Posts By Stefan Bisanz

Achter & Neunter Verhandlungstag | Angeklagter sagt aus

Die beiden Prozesstage beginnen mit der Befragung von Polizeikommissar R., der als Zeuge geladen ist. Der vom Gericht neu bestellte Gutachter möchte von Polizeikommissar R. wissen, ob er beim Mitangeklagten Jan I. psychische, als auch physische Auffälligkeiten bemerkt habe. Polizeikommissar R. antwortet, dass sich der Angeklagte insgesamt normal verhalten habe, bis auf die auffällige Motorik. Der Angeklagte wäre gehumpelt. Bei seiner Festnahme jedoch konnte er auf einmal normal gehen.

Der Angeklagte Jan I. wird unwirsch

Dann werden weitere Fragen an den Angeklagten Thomas B. gestellt. Unter anderem will der Vorsitzende Richter von Thomas B. erfahren, wie das erste Treffen mit dem Hauptangeklagten in Dortmund verlaufen sei. Neben Michael K. haben daran auch Jan I., Piotr M. und Thomas B. teilgenommen. Thomas B. berichtet, dass er zuerst das Gespräch geführt habe, später aber feststellte, dass die Deutschkenntnisse der anderen beiden Polen für ein Gespräch mit Michael K. ausreichend sein würden. Letztlich hätte aber der Angeklagte Jan I. den größten Sprachanteil gehabt. Über diese Aussage regt sich Jan I. wiederum fürchterlich auf und beleidigt Thomas B. unflätig (Polen-Nazi, Polen-Assi u.ä.). Daraufhin unterbricht der Vorsitzende Richter die Verhandlung für fünf Minuten und belegt den Angeklagten mit einer Ordnungshaft von fünf Tagen. Der psychologische Gutachter fragt Thomas B., ob Jan I. solch ein impulsives Verhalten schon früher gezeigt habe, was dieser verneint.

Achter & Neunter Verhandlungstag | Angeklagter sagt aus

Aussage des angeklagten Mittäters Piotr M.

Im Fokus des weiteren Verlaufes dieses Tages steht die Aussage von Piotr M. Er berichtet auf Polnisch mit weinerlicher Stimme – eine Dolmetscherin übersetzt in beide Richtungen jeweils Wort für Wort. Piotr M. entschuldigt sich für alles, was passiert ist und möchte die Zeit am liebsten zurückdrehen. Er habe damals den Angeklagten Thomas B. in einem Fitnessstudio kennengelernt. Da sei er regelmäßig hingegangen, weil er bei einer Schlägerei erhebliche Verletzungen erlitten hätte und seine Fitness hätte steigern wollen.

Thomas B. hätte ihn gefragt, ob er mit ein paar Jungs für ihn Schulden eintreiben könnte. Weil Piotr M. wusste, dass Jan I. zu diesem Zeitpunkt selbst hochverschuldet war, dachte er, das ist genau der Richtige für den Job des Geldeintreibers. So sprach er ihn darauf an, denn Piotr M. Plan sei gewesen, im Hintergrund zu bleiben, nur als Vermittler zu agieren.

Der Hauptangeklagte Michael K. und Thomas B. wollten nach dem ersten Treffen den Mitangeklagten Jan I. jedoch nicht dabeihaben, da dieser ein Zigeuner sei. Michael K. selbst wollte auch keinen direkten Kontakt mit Jan I. und Piotr M. Später sei dann noch ein weiterer Mittäter polnischer Herkunft dazu gekommen, berichtet Piotr M.

Michael K. hätte die Observation des Opfers in Leer und Deetern beauftragt, mit der Begründung, auf normalem Weg käme man an das Geld nicht ran. Der Hauptangeklagte wäre sich sicher gewesen, dass das Opfer nicht die Polizei einschalten würde. Piotr M. selbst wäre mit einer Entführung nicht einverstanden gewesen und wäre daraufhin telefonisch eingeschüchtert und mit dem Tod bedroht worden. Deshalb habe er auch mitgemacht.

In dieser Phase seines Lebens hätte er viele persönliche Probleme gehabt: keine Arbeit, Schulden, ein kleines Kind, eine schwangere Lebensgefährtin. Zu allem Überfluss habe er auch noch Drogen konsumiert. Michael K. kam ihm da sehr glaubwürdig vor. Bei einem Treffen habe Michael K. Blut in ein Taschentuch gehustet. Er sei sehr kränklich gewesen und sah alt aus. Noch während der wochenlangen Observation vor der Tat habe er gehofft, dass das Unterfangen noch abgebrochen würde.

Piotr. M berichtet weiter, dass seine Überwachungsaufgabe darin bestand, an der nächsten Bushaltestelle zum Wohnort des Opfers zu stehen und die jeweilige Abfahrts- und Ankunftsuhrzeit des potentiellen Opfers zu melden.

Bushaltestellen sind, neben anderen, sehr wichtige Aufklärungspunkte, da es hier für die Täter die Gelegenheit gibt, unter einer Legende unauffällig die Gegend zu beobachten. Kein vorbeifahrender Mitbewohner würde eine wartende Person an einer Haltestelle für verdächtig halten.

Am Samstag vor der Entführungswoche zog Piotr M. dann in die Ferienwohnung. Zwei weitere Männer aus Polen, die er nicht kannte, zogen einen Tag später zu ihm in die Ferienwohnung. Am Montag sollte die Entführung durchgeführt werden. Das klappte jedoch nicht, da das Opfer nicht alleine in seinem Auto fuhr. So wurde die Entführung am nächsten Tag, am Dienstag vollzogen.

Auch das ist typisch für Entführungsfälle, es gibt oft mehrere Anläufe. Das bedeutet, dass eine größere Infrastruktur und Mehraufwand für die Täter notwendig wird. Das wiederum birgt eine „bedingt“ bessere Chance für die Sicherheit bzw. für die Aufklärungskräfte, die Entführer noch vor der Tat zu entdecken.

Piotr M. sei am Tag der Entführung alleine zur Ferienwohnung gefahren, nachdem er seinen Auftrag am Wohnort des Opfers ausgeführt hätte, und sei als Erster dort eingetroffen. Die anderen Täter kamen nach, sie fuhren mit dem Opfer im Zickzackkurs zur Wohnung. Dort angekommen wies das Opfer darauf hin, dass es starke Herzschmerzen habe. Dabei habe Heiko L. allerdings auf seine rechte Körperseite und nicht auf die linke Herzseite gezeigt. Die Entführer fühlten sich durch diese Finte betrogen und die Stimmung gegenüber dem Opfer sank dramatisch ab.

Opfern einer Einführung ist dringend angeraten, niemals Spielchen mit den Tätern zu treiben. Dergleichen führte im konkreten Fall der Entführung von Heiko L. fast dazu, dass ihm ein Ohr abgeschnitten worden wäre. Dieses Detail, dass das Opfer die Täter versucht hat, zu täuschen, führte das Opfer in seiner Zeugenaussage im Prozess allerdings nicht aus.

Es ist immer wieder festzustellen, dass sich Opfer – so auch Heiko L. – den Tätern intellektuell überlegen fühlen. Das ist im normalen Lebensalltag höchstwahrscheinlich der Fall. Doch in einer Entführungssituation sind die Kräfteverhältnisse genau umgekehrt. Genau das sollte ein Opfer trotz erheblichen Stresspegels immer beachten.

Denn eines steht fest: Die operative Durchführung einer Entführung ist oftmals erfolgreich, so auch im Fall von Heiko L. Die meisten Fehler werden dann in der Infrastruktur der Nachtat und bei der Geldübergabe gemacht. Doch dann ist es für das Opfer bereits zu spät, es ist bereits traumatisiert.

Auch durch diesen versuchten Trick von Heiko L. hatten die Täter das Gefühl, dass der Hauptangeklagte Michael K. „der Gute“ sei und das Opfer Heiko L. „der Schlechte“. So wurde es auch immer wieder von Michael K. dargestellt. Man wolle das Opfer nicht ernsthaft verletzen, man gab ihm sogar noch ein zusätzliches Kissen und auf Toilette durfte er auch. Zudem wurde ihm Wechselunterwäsche gekauft.

Piotr M. berichtet weiter, dass die Entführer vermuteten, die Polizei sei bereits involviert, weswegen sie beschlossen, das Opfer freizulassen. Die Polen fuhren dann unverzüglich zurück in ihre Heimat. Piotr M. sollte jedoch noch einen Tag länger in der Ferienwohnung bleiben, dies lehnte er jedoch ab.

Die Entführung wurde in der Nähe des Wohnortes des Opfers durchgeführt, weil die Observation am Arbeitsplatz ergeben hat, dass dort eine Kamera angebracht ist. Man befürchtete also, beim Observieren aufgezeichnet zu werden. Dies zeigt wiederum eindeutig, dass Sicherheitsmaßnahmen welcher Art auch immer aktiv schützen.

Der Angeklagte Piotr M. entschuldigt sich zwischendurch nochmals und zeigt Reue. Dann erklärt er, dass die polnischen Männer bald erkannt hätten, dass sie kein Geld erhalten würden. Deshalb beschlossen sie, den Mitangeklagten Thomas B. zu entführen, damit sie wenigstens etwas Geld bekommen. Piotr M. bekam daraufhin später Ärger mit Thomas B., da dieser annahm, dass Piotr M. Informationen über ihn an die Polen weitergegeben hätte. Doch Piotr M.s größter Wunsch sei es vielmehr gewesen, nur noch ein normales Leben führen zu können.

Piotr M. berichtet weitere wissenswerte Informationen rund um die Entführungsinfrastruktur. So erzählt er, dass die Uniformen, die die Polen während der Entführung trugen, von ihm per Post nach Polen hinterhergeschickt wurden, weil sie die nicht im Auto mitführen wollten. Des Weiteren teilt er mit, dass es einen GPS-Blocker in der Ferienwohnung gab, dessen Reichweite sich auch auf den angemieteten Skoda, der ebenfalls mit einem GPS-System ausgestattet war, auswirkte.

Eine ursprüngliche Entführungsvariante war, laut Piotr M., dass die Täter als Security-Mitarbeiter, mit schusssicheren Westen ausgestattet, in die Firma des Opfers gehen und dort das Geld erpressen wollten.

Und zum Thema Observation des Opfers berichtet Piotr M., alle Beteiligten hätten per E-Mail ein Foto des Opfers bekommen mit den entsprechenden Anschriften.

Nach dieser Aussage fragt der Vorsitzende Richter den Angeklagten, was er sich denn von dieser Tat versprochen hätte und wie viel Geld er als Vermittler verdienen wollte. Der Angeklagte antwortet, dass darüber nicht gesprochen worden sei. Der Hauptangeklagte Michael K. hatte Piotr M. jedoch erzählt, dass das Opfer Milliardär sei und ihm 36 Millionen Euro schulde. Bei der Entführung ging es jedoch nur um eine Million Euro, davon sollten 600.000 Euro an Michael K. gehen und 400.000 Euro an die Entführer. Michael K. hätte das Geld über die Erpressung bekommen wollen, da er der Ansicht war, ein Gerichtsprozess würde zu lange dauern.

Einer der polnischen Männer, so Piotr M., gehöre der „achtarmigen Krake“ an, einer Gruppierung der polnischen Mafia. Den Mitangeklagten Jan I. wiederum würde er bereits seit 2014 kennen.

In der Vorbereitung der Entführung wurden mehrere Gespräche geführt, der Mitangeklagte Thomas B. und der Hauptangeklagte Michael K. waren immer dabei. Die Telefonate zur Anmietung der Ferienwohnung habe immer Michael K. geführt. Die Polen wurden von ihm mit einer neuen Handynummer und einem Handy ausgestattet. Bei der Entführung hatten sie Plastikpistolen dabei. Die Namen der Polen kenne Piotr M. nicht. Piotr M. hätte immer gedacht, die Entführung würde nicht funktionieren. Als sie doch tatsächlich stattfand, sei er total geschockt gewesen.

Ganz nebenbei erfahren die Zuhörer im Gerichtssaal, dass die Angeklagten Piotr M. und Thomas B. während ihrer U-Haft mindestens für eine Nacht gemeinsam in einer Zelle untergebracht waren. Hier stellt sich erstens die Frage, wie so etwas passieren konnte und zweitens, in welcher Art und Weise hier Aussagen abgesprochen werden konnten.

Nach der Aussage des Angeklagten Piotr M. stellt die Anwältin des Mitangeklagten Jan I. erneut den Antrag, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen und den Angeklagten in ein Justizvollzugskrankenhaus zu verlegen, um ihn neurologisch untersuchen zu lassen.

Fazit:

An diesen beiden Verhandlungstagen wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig es für einen Sicherheitsberater ist, Täterwissen im Original  und authentisch zu erfahren! Es waren wertvolle Erkenntnisse zum Observationsverhalten von Entführern zu erfahren, so dass hieraus Maßnahmen der Aufklärung getroffen werden können. Des Weiteren ermöglicht das gewonnene bzw. bestätigte Wissen über das Verhalten von Opfern im Umgang mit Tätern, potentiellen Opfern entsprechende Vorab-Hinweise mitzugeben. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Sicherheitsmaßnahmen wie Videokameras von Tätern durchaus wahrgenommen werden und diese zu anderem Verhalten zwingen. All dies verriet uns die Täteraussage der beiden Prozesstage.


Bildquelle: Polizeidirektion Osnabrück | Polizeiinspektion Leer/Emden

Siebter Verhandlungstag | Reuiger Täter

Der siebte Verhandlungstag am 20. Dezember 2016 beginnt mit der Hörung der Zeugin Polizeikommissarin Michaela R. (33 Jahre) von der Polizeidirektion Leer. Sie war mit anderen Kollegen für die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) verantwortlich und betreute etwa 40 Leitungen. Sowohl der Verteidiger von Jan I als auch der Staatsanwalt fragen die Zeugin, ob bei der TKÜ Hintergrundgeräusche zur Kenntnis genommen worden seien, denn es gilt die Frage zu klären, ob Jan I. einen Zuflüsterer hatte. Im Laufe der Befragung wird sodann klar, dass der Zuflüsterer der Täter mit der grauen Jogginghose aus Hatzum ist.

Als nächster Zeuge sagt Holger H. (34 Jahre) aus, Polizist in der Polizeistation Emden. Er war der stellvertretende Ermittlungsgruppenleiter. Er berichtet insbesondere über die Vernehmung von Jan I. und wiederholt größtenteils dessen Aussage. Holger H. berichtet aber auch, dass er Jan I. während der Vernehmung mittels eines Fotos der Lüge überführte, das ihn mit einem der Täter zeigt. Der Beamte erinnert sich, dass die Vernehmung von Jan I. konfus war, ebenso wie das auch hier bei Gericht zu erleben war.

Siebter Verhandlungstag | Reuiger Täter

Nun tritt Manfred P., 49 Jahre, Kriminalhauptkommissar der Polizeiinspektion Leer, in den Zeugenstand. Er war an der Festnahme des Täters Borislav J.beteiligt. Dieser wurde in Dortmund festgenommen, wo er zeitweise bei einer Frau und ihrem Kind übernachtete. Die Frau sagte aus, dass Borislav J. nur ein Bekannter sei. Dieser wies sich mit einem Ausweis aus, der auf einen anderen Namen lautete. Da man bei der Festnahme an der Garderobe aber eine Jacke entdeckte, die auch auf einem Tat-Foto zu sehen war, wurde Borislav J. trotzdem mit auf die Wache genommen. Außerdem wurde in der nämlichen Wohnung auch ein Kfz-Schlüssel für einen Audi gefunden. Auch das Tat-Fahrzeug war ein Audi.

Der vorläufig Festgenommene bestätigte, dass die Jacke ihm gehöre, auch das Basecap, das ebenfalls in der Wohnung gefunden wurde und das zuvor ebenso am Tatort gesehen wurde. Später gab er außerdem zu, dass sein Führerschein gefälscht ist. Doch von der Entführung wisse er nichts – und das, obwohl er an der Unterkunft, in der das Opfer festgehalten worden ist, fotografiert wurde.

Anträge auf Haftentlassung

Nach dieser Zeugenvernehmung stellt der Verteidiger des Angeklagten Thomas B. Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls gegen seinen Mandanten, da dieser von Anfang an geständig war, er an der Aufklärung des Verbrechens mitgeholfen habe und er außerdem in guten sozialen Verhältnissen lebe. Es sei ja auch Weihnachtszeit.

Die Staatsanwaltschaft unterstützt diesen Antrag trotz des Tatvorwurfs. Es lägen tatsächlich stabile Verhältnisse vor und seine umfangreichen Einlassungen zur Aufklärung berechtigten die Aufhebung. Daher beschließt das Gericht nun, dass der Haftbefehl ausgesetzt wird, jedoch unter der Auflage, dass sich der Angeklagte zweimal wöchentlich bei der örtlichen Polizei melden muss.

Hiernach stellt der Anwalt von Jan I. ebenfalls Antrag auf Aussetzung des Haftbefehls, insbesondere wegen dessen angeblich geringer Tatbeteiligung, außerdem wegen der schlechten Unterbringungsmöglichkeiten, die dessen Gesundheit schaden würde. Der Staatsanwalt jedoch lehnt diesen Antrag strikt ab, da es keinerlei Geständnis gibt und die Schwere der Tatbeteiligungen noch gar nicht genau feststeht. Zusätzlich habe der Angeklagte insgesamt zwölf Einträge und Vorstrafen in seinem Führungszeugnis, unter anderem wegen schwerer Erpressung. Weiterhin wird ihm derzeit noch unterstellt, dass er enge Verknüpfungen zu den flüchtigen Tätern hat. Dadurch besteht Gefahr, dass er sich dem Prozess entziehen könnte.

Der Rechtsanwalt von Jan I. führt nun wiederum aus, dass sein Mandant seit einem Verkehrsunfall den Geisteszustand eines 15-Jährigen hat. Er legt Atteste vom Juni 2015 vor, die eine Leistungsschwäche und psychische Störungen bescheinigen. Dahingegen führt der Staatsanwalt aus, dass der Angeklagte zehn der zwölf Taten nach seinem Unfall ausgeführt habe. Seine Einschränkungen im Leistungsvermögen und in der Psyche haben also keinerlei Einfluss auf die Durchführung von Straftaten gehabt. Somit sei es auch als gegeben anzusehen, dass es Jan I. schuldfähig ist.

Nach einer Beratungspause des Gerichts wird der Antrag auf Aussetzung des Haftbefehls für Jan I. zurückgewiesen. Weiterhin wird ein ärztliches Gutachten angefordert, in dem der Gesundheitszustand des Angeklagten festgestellt werden soll.

Der siebte Verhandlungstag endet um 15:24 Uhr, weiter geht es am 11. Januar 2017.

Fazit des Tages:

Das Gericht belohnt das Nach-Straftatverhalten. Der geständige Täter Thomas B. bekommt seine Freiheit wieder und der Haftbefehl wird unter Auflagen aufgehoben. Der alles abstreitende und unreuige Täter Jan I. muss im Strafvollzug verbleiben.

Bildmotiv: Landgericht Aurich | Bildquelle: Stefan Bisanz

Sechster Verhandlungstag

Auch der heutige Verhandlungstag am 13. Dezember 2016 findet Interesse bei den Journalisten, drei Redakteure sind neben sechs weiteren Zuschauern heute im Saal anwesend.

Weitere Befragung des Opfers

Heute wird zunächst die Befragung des Opfers Heiko L. fortgesetzt. Nachdem zuletzt bereits Richter und Staatsanwalt ihre Fragen gestellt haben, sind heute die verschiedenen Rechtsanwälte der Angeklagten aufgefordert. Unter anderem wird das Opfer gefragt, was ist zum Essen gab und ob er Besteck benutzen durfte. Der Zeuge erinnert sich grob, dass es Gulasch und belegte Brote gab, wahrscheinlich durfte er auch Besteck benutzen.

Sechster Verhandlungstag

Man interessiert sich, was er gedacht hat, als er nach seiner Freilassung Besuch von zwei Tätern in seiner Firma bekommen hat. Zitat Heiko L: „Mein Gott, jetzt geht es wieder los!“ Auf die Frage, ob er denn den Entführern während seiner Geiselhaft Geld für seine Freilassung versprochen hätte, antwortet Heiko L. mit „ja“.

Interessant wird es nun, als bekannt wird, dass Heiko L. in früheren Bedrohungsszenarien im Sinne einer Schutzgelderpressung temporär auch schon mal Personenschutz durch die Polizei bekommen hat. Auch unmittelbar nach seiner Freilassung erhielt das Opfer Personenschutz. Mittlerweile jedoch ist das nicht mehr der Fall.

Einer der Verteidiger befragt Heiko L. nun bezüglich einer Anklage aus dem Jahr 1991 zum Thema Geldwäsche und Waffenschmuggel, worauf der Vernommene nur zu berichten weiß, dass diese Anklage ohne Ergebnis blieb.

Zeugenbefragung

Anschließend wird der Zeuge Chris B., 48 Jahre, Hard- und Software-Entwickler, vernommen. Er hatte im Mai 2015 eine bedrohliche Begegnung, die mit dem Haupttäter Michael K. zusammenhängt.

Gemeinsam mit Michael K. und einer dritten Person führte Chris. B. eine 2010 gegründete Firma, die allerdings nicht so gut lief, weswegen er sich – noch vor Mai 2015 – zurückzog. Im besagten Monat kamen dann zwei bis vier Männer zu ihm und forderten 180.000 Euro, Geld, dass er angeblich Michael K. schuldete. Eine körperliche Bedrohung gab es zwar nicht, allerdings erklärte man ihm, dass man seine Kinder kenne, auch sein Auto sowie die Umgebung um sein Haus.

Der nächste Zeuge war bei dem oben beschriebenen Bedrohungsszenario dabei. Er beteuert jedoch, dass er nur als Dolmetscher vor Ort war. Man sprach ihn in einem Schnellimbiss in Dortmund an und wollte ihn auch für seine Tätigkeit bezahlen, wenn denn Geld beschafft werden konnte. Bei der Einführung von Heiko L. war er jedoch nicht dabei.

Nach diesem Zeugen wird nun Stefanie W., 37 Jahre, aus Leer gehört. Sie sitzt am Empfang der Firma des Opfers Heiko L. und berichtet, dass am 29. April 2016 zwei Männer zu ihr an den Empfang kamen und Heiko L. zu sprechen wünschten. Da dieser nicht im Hause war, hinterließen die Männer einen Zettel mit einer Handynummer. Stefanie W. identifiziert im Gerichtssaal den Angeklagten Jan I. als einen der beiden Männer, der allerdings nicht mit ihr gesprochen habe.

Nachdem als letzter Zeuge des heutigen Verhandlungstages Ernst Rainer J., Polizeihauptkommissar der Autobahnpolizei Leer, gehört worden ist, berichtet das Gericht zunächst, dass Michael K. lebensgefährlich an Leukämie erkrankt ist. Des Weiteren wird die Funkzellenauswertung ausführlich besprochen und erklärt, dass im Nachhinein einzelne Zusammenhänge verschiedener Tätertelefone zueinander herausgearbeitet werden konnten.

Des Weiteren werden drei Telefonmitschnitte der Telekommunikationsüberwachung vorgespielt, auf denen man den Angeklagten Jan I. sprechen hört.

Durch das Anhören der Mitschnitte tritt ein Widerspruch zutage: Angesichts dessen, dass Jan I. behauptet, dass er nur als Übersetzer gewirkt habe, verhandelt er in den Telefonaten sehr selbstständig und spricht sich währenddessen auch nicht mit einem der anderen Täter ab.

Danach endet dieser Prozesstag.

Fazit des Tages:

Trotz jahrelanger Schutzgelderpressung hat das Entführungsopfer Heiko L. sein Sicherheitsverhalten nicht geändert oder überprüft. Obwohl das natürlich nichts an der Schuld der Täter ändert, was das ein extrem fahrlässiges Verhalten!

Wahrscheinlich hätte Heiko L. seine Entführung proaktiv verhindern können, wenn er rechtzeitig entsprechend Rat gesucht hätte. Spätestens bei einer konkreten Bedrohung sollte das Opfer zudem immer auch bedenken, dass Familie oder enge Freunde oder Kollegen theoretisch auch im Fokus der Täter stehen könnten.

Bildquelle: twinlili  / pixelio.de

Fünfter Verhandlungstag | Aussagen weiterer Zeugen

Die Beweisaufnahme wurde am heutigen Prozesstag am 6. Dezember 2016 mit dem Zeugen Manfred M. fortgesetzt. Er ist Geschäftsführer der Reederei, die dem Opfer zum Zeitpunkt der Tat als Gesellschafter anteilig gehörte.

Die Tat aus Sicht des Geschäftsführers des Opfers

Zum Sachverhalt befragt gab Manfred M. an, dass er am 19. April 2016 um 12:26 Uhr (aus der Anrufliste ersichtlich) einen Anruf des Opfers Heiko L. erhielt. Dieser teilte mit, dass er für drei Tage weg sei und Manfred M. solle eine Million Euro überweisen. Heiko L. habe in dem Gespräch verwirrt gewirkt, der gesamte Gesprächsverlauf glich eher einer Mitteilung und wirkte auf den Zeugen sehr sonderbar. Dies und diverse Vorfälle in der nahen Vergangenheit veranlassten Manfred M., umgehend zur Polizei zu gehen.

Fünfter Verhandlungstag | Aussagen weiterer Zeugen

13 Minuten später erhielt Manfred M. eine SMS mit den Kontodaten, allerdings fehlte der Name des Kontoinhabers. Weitere zwei Minuten später erhielt der Zeuge eine WhatsApp-Nachricht mit einem Foto auf dem die schon per SMS übersendeten Kontodaten zu sehen waren, wieder ohne Name des Empfängers. Der Zeuge fragte per WhatsApp, wer der Empfänger sei. Diese Nachricht wurde gelesen, aber nicht beantwortet. Um 12:53 Uhr fragte der Zeuge wieder per WhatsApp, diesmal, von welchem Konto er überweisen solle. Diese Nachricht wurde diesmal nicht gelesen. Die Kommunikation lief hier bereits nur noch in Abstimmung mit der Polizei.

Noch bei der Polizei erhielt der Zeuge am Nachmittag einen Anruf des Opfers. Heiko L. fragte, ob das Geld überwiesen sei, es sei sehr wichtig. Wieder fragte Manfred M. nach dem Empfänger, erhielt aber keine Antwort.

Manfred M. gab gegenüber der Polizei sofort an, er habe den Verdacht, dass Michael K. hinter der ganzen Sache stecke. Manfred M. wusste, dass es schon in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Vorfälle gab, bei denen Heiko L. angesprochen wurde, er solle doch Michael K. das Geld, welches er ihm schulde, bezahlen. So sei Heiko L. auch nach einer Beerdigung angesprochen worden, aber auch bei ihm zu Hause seien Leute wegen der vermeintlichen Forderung gewesen.

Leider fragt die Kammer an dieser Stelle nicht nach, ob Heiko L. oder das Unternehmen etwas unternommen hat, um solche Vorfälle künftig zu unterbinden bzw., um sich zu schützen.

Der letzte Vorfall habe im Oktober 2015 stattgefunden, hier seien Leute wegen der Forderung im Büro der Reederei erschienen. Manfred M. und Herr Heiko L. waren zu dieser Zeit in Hamburg, sodass man sich telefonisch auf einen Termin am Nachmittag vereinbart hat und dazu umgehend die Polizei verständigte. Die Beamten nahmen die Täter, die beim vereinbarten Termin auftauchten, fest, ließ sie allerdings später wieder laufen. Zu den Festgenommen wurden heute keine Angaben gemacht.

Am 20. April blieb Manfred M. im Beisein der Polizei zu Hause und erwartete weitere Instruktionen zur Überweisung. Am Nachmittag wollte er kurz frische Luft schnappen und verließ hierfür kurz das Haus. Sein Handy hatte er nicht dabei. Dieses klingelte allerdings in seiner Abwesenheit, sodass ein Polizist ihm nacheilte, um es ihm zu bringen. Der Anrufer legte aber auf, noch bevor Manfred M. den Anruf annehmen konnte.

Dass die Polizei hier nicht darauf bestanden, hat Manfred M. zu begleiten, ist bemerkenswert.

Manfred M. rief umgehend die angezeigte Nummer zurück und Heiko L. nahm das Gespräch an. Er sagte, Manfred M. müsse das Geld unbedingt überweisen, sonst sei er, Heiko L., morgen tot. Wieder fragte Manfred M. nach dem Namen des Empfängers und hörte, wie aus dem Hintergrund gerufen wurde: Magdalena K.

Manfred M. teilt dem Gericht an dieser Stelle mit, Heiko L. schon lange zu kennen, weswegen er dessen Todesangst rausgehört habe.

Nun wartete Manfred M. auf die Entscheidung der Polizei, ob er die Überweisung ausführen könne, was für ihn unerträgliche zwei Stunden des Wartens bedeutete. Bei Ausführung der Überweisung um ca. 19:30 Uhr war klar, dass diese erst am nächsten Morgen vollzogen werden wird. Allerdings generierte das System schon bei der online abgeschickten Überweisen eine Bestätigung. Diese wurde abfotografiert und auf Anweisung der Polizei um ca. 21:45 Uhr den Tätern übermittelt.

Gegen 2:00 Uhr wurde Manfred M. durch die Polizei informiert, dass man Heiko L. weitestgehend unverletzt aufgegriffen habe.

Das Geschehen nach der Entführung

Ein weiterer Tatkomplex begann am 29. April. Auch hier waren wieder Personen in der Firma und wollten Heiko L. sprechen. Der Empfang sagte, dass dieser nicht da sei, woraufhin die Personen ihre Telefonnummer hinterließen mit dem Hinweis, Heiko L. solle sich melden, er wisse, worum es ginge. Die Mitarbeiterin des Empfangs übergab Manfred M. die Nummer, die ihm sofort verdächtig war, weil sie bis auf die letzte Zahl mit der Nummer der Entführer identisch war. Er informierte umgehend die Polizei, um dann in Absprache mit dieser den Kontakt zu der Nummer herzustellen. Die Angerufenen bestanden darauf, mit Heiko L. zu sprechen, was die Polizei letztendlich zusagte und alles Notwendige hierfür einleitete.

Manfred M. gibt an, dass er während der Telefonate Fahrgeräusche hörte und er das Gefühl hatte, es seien mehrere Personen, die sich in einem Fahrzeug bewegten. Die Person, mit der er sprach, hatte einen osteuropäischen Dialekt.

Auf Fragen des Gerichts, ob er denn die Forderung des Haupttäters an das Opfer für gerechtfertigt halte, äußert der Zeuge nun absolutes Unverständnis. Er schildert den Ablauf des Verkaufs der gemeinsamen Firma in Saudi-Arabien und teilt mit, dass nicht der gesamte vereinbarte Kaufpreis gezahlt wurde. Die gezahlte Summe wurde allerdings vereinbarungsgemäß an Heiko L. und Michael K. ausgeschüttet. Dies wurde mehrfach gegenüber Michael K. belegt.

Weiterhin räumte Manfred M. ein, dass sich nach den Vorfällen im Oktober das spätere Opfer mit dem späteren Täter treffen wollte, um eine Einigung zu erzielen. Das wiederum lehnte der Zeuge, Manfred M., rigoros ab. Die Begründung: Es gäbe keine gerechtfertigte Forderung, also müsse man sich auch nicht einigen, schon gar nicht nach diesen Vorfällen.

Auf die Frage warum denn Heiko L. das wolle, gibt Manfred M. an, dass Heiko L. ein sehr sozialer Mensch sei und häufig Gutes für andere tue, was für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist.

Aussage der Vermieter des Ferienhauses

Im Anschluss sagt jetzt das Vermieter-Ehepaar der Ferienwohnungen aus, die für die Entführung angemietet wurden. Zunächst Ento W., später seine Ehefrau Else W.

Für beide verlief die Anmietung normal, obwohl die Herrschaften erst sehr spät zur Schlüsselübergabe kamen und die Vermieter schon dachten, die kämen nicht mehr. Zunächst wurde nur eine Wohnung angemietet, später die zweite unter dem Vorwand, dass die Frauen der vier polnischen Mieter nachkommen würden. Der Mann hatte die Möglichkeit, kurz alle vier Mieter zu sehen, als er kurz in der Wohnung war, um die Heizung zu entlüften. Die Frau sah während der gesamten Zeit nur eine Person.

Während der Zeit der Anmietung hatte der Ehemann ein Foto von den Fahrzeugen der Mieter gemacht. Er hatte vergessen, sich etwas Schriftliches von den Mietern, auch zur WLAN-Nutzung, geben zu lassen. So hatte er wenigstens etwas in der Hand.

Obwohl die Wohnungen für eine Woche angemietet waren, stellte der Vermieter fest, dass sie schon am Donnerstag verlassen waren. Unter den zurückgelassenen Gegenständen war auch eine Sturmhaube. Dies und die öffentliche Berichterstattung über die Entführung veranlassten beide, zur Polizei zu gehen. Auf den vorgelegten Lichtbildern konnte der Ehemann eine Person sicher identifizieren, die Frau keine Person. Die Angeklagten wurden von keinem der Eheleute erkannt.

Zeuge schildert Observation

Nach dem Ehepaar wird ein Nachbar des Opfers befragt, der eine Beobachtung schilderte, welche er ca. einen Monat vor der Tat machte. So habe er am 15. März zwei Personen beobachtet, die sich langsam durch die Siedlung bewegten und immer wieder vor den Häusern, auch dem Haus des Opfers, stehen blieben und diese lange beobachteten. Er hatte den Verdacht, dass es sich bei den beiden Personen um Einbrecher handele, die ihre nächsten Ziele ausspähen. Der Zeuge machte sogar ein Foto von den Personen, wobei hierauf der Angeklagte Jan I. zu erkennen sein soll. Auch im Saal zeigt er auf den Angeklagten, als der Richter ihn fragte, ob einer der Männer hier im Saal sei.

Schließlich werden noch der Filialleiter und die Bankangestellte der Bank befragt, bei der das Konto für das Lösegeld angelegt wurde. Neben den schon bekannten Fakten ist hier noch erwähnenswert, dass die heute angeklagte Magdalena K. als Grund für den zu erwartenden Geldeingang das Erbe ihres verstorbenen Sohnes angab. Das Geld käme aus Frankreich.

Weiter geht es am 13.12.2016


Bild: Entführungshaus innen | Bildquelle: Stefan Bisanz

Vierter Verhandngstag | Dramatische Spätfolgen für das Opfer

Der vierte Prozesstag am 28. November 2016 ist der Tag des Opfers. Daher ist die Presse mit einem TV-Team und fünf Journalisten vertreten, weitere acht Zuschauer sind außerdem im Raum.

Der Angeklagte Jan I., der erneut mit einem Rollstuhl in den Gerichtssaal gefahren wird, gibt wieder den “Weinerlichen”. Bei genauer Beobachtung erkennt man allerdings, dass er zwischendurch einen sehr wachen Blick hat, mit dem er sowohl die Mitangeklagten als auch das Gericht beobachtet. Seine Masche ist, dass er immer alles vehement abstreitet.

Vierter Verhandngstag | Dramatische Spätfolgen für das Opfer

Erklärung des Verteidigers von Magdalena K.

Bevor der eigentliche Prozess beginnt, gibt der Verteidiger von Magdalena K. eine sogenannte Verteidiger-Erklärung ab. Erstens stellt er darin fest, dass seine Mandantin wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub durch Unterstützung des Sohnes Michael K. – zum Beispiel mit der Einrichtung eines Kontos für das Lösegeld – angeklagt ist. Zweitens konstatiert er, dass seine Mandantin nicht weiß, woher sich Opfer und Sohn kennen. Geschäfte machen beide schon seit über 20 Jahren, auch privat und auch in Saudi-Arabien. Das Opfer habe ihren Sohn betrogen. Auch sie habe versucht, über Telefonate eine einvernehmliche Lösung mit dem Opfer zu erzielen. Verbindlich abgesprochene Termine wurden aber immer wieder mit unterschiedlichen Ausreden kurzfristig abgesagt. Daher sollten die Forderungen über ein Inkassobüro eingezogen werden. Der Anwalt teilt weiterhin mit, dass Magdalena K. ein Konto für ihren Sohn eingerichtet hat, da er aufgrund negativer Schufa-Einträge kein Konto mehr eröffnen darf. Sie zahlte 3.000 Euro darauf ein, damit er etwas Geld zum Leben hat. Seine Mandantin habe das Konto nicht für das Lösegeld eingerichtet, so der Verteidiger. Er schließt seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass Nachfragen nicht gestattet sind.

Aussage des Angeklagten Jan I.

Als erster Zeuge des heutigen Tages wird um 9:20 Uhr der Pole Jan I. gehört. Er spricht einigermaßen gut Deutsch und beschuldigt sofort den Angeklagten Thomas B. Jan I. wäre durch diesen ausschließlich als Übersetzer hinzugezogen worden, er habe mit der ganzen Sache nichts zu tun und habe auch nicht gewusst, worum es geht. Er sei in Dortmund angesprochen worden.

Thomas B. runzelt bei dieser Aussage die Stirn und schaut den Zeugen ernst an.

Der Zeuge spricht weiter wirres Zeug. Zuerst erklärt er, dass er 200 Euro bekommen sollte später 500 Euro, zum Ende 700 Euro. Er berichtet konfus über Treffen und Fahrten, wilde Telefonate und Bestellungen bei einem Fast-Food-Restaurant. Dort wurde er auch am 29. April 2016 festgenommen.

Der Angeklagte beschwert sich über die Mittäter und deren Verhalten, insbesondere da sie eine hohe Summe vom Lösegeld bekommen sollten und ihn mit 500-700 Euro abspeisen wollten. Die Fahrten haben sie mit einem roten Opel Corsa durchgeführt, der vom Mittäter Sylvester gefahren worden ist.

Sylvester ist bei dem Zugriff durch die Polizei nicht festgenommen worden und immer noch flüchtig.

Der Angeklagte besteht darauf, dass er von der Entführung nichts wusste. Der Richter hält ihm Telefonate vor, in denen er unter anderem wörtlich zu Manfred M.gesagt hat: „Sie können nicht alle schnappen, vielleicht zwei, drei oder vier. Wir sind professionell. Es geht um K.“ Hierauf hat der Angeklagte keine Antwort. Er habe von nichts gewusst und der noch flüchtige Sylvester habe ihm alles vorgesagt.

Die Entführung ist durch mehrmonatige Aufklärungs- und Observationseinsätze der Täter vorbereitet worden. Sie hatten ein Wohnmobil mit Firmenaufschrift eingesetzt sowie eine Standkamera am Wohnobjekt versteckt, sie wussten sogar die Zigarrenmarke des Opfers und, dass er zweimal die Woche eine Zigarre raucht. Die Täter waren sogar der Meinung dass, Heiko L. Milliardär sei.

Es kommt für das Täterhandeln bzw. für das Stattfinden einer Straftat immer darauf an, was der Täter denkt und glaubt, und nicht darauf, ob das, was er denkt, tatsächlich stimmt oder das Opfer ihm als Tatsache mitteilt.

Aussage des Opfers zum Ablauf der Entführung

Um 11:22 Uhr sagt das Entführungsopfer Heiko L., 69 Jahre, aus. Er ist selbstständig im Maritim- und Reeder-Geschäft und stammt aus Detern. Zuerst schildert er, wie er die Tat vom 19. April 2016 erlebt hat.

Wie immer verlässt er kurz nach 8:00 Uhr sein Privathaus und fährt mit seinem Auto zur Arbeit. Während der Autofahrt telefoniert er ordnungswidrig. Kurze Zeit nach Anfahrt überholt ihn ein weißes Auto, wahrscheinlich ein Mercedes, mit einem Lichtbalken mit Display in der Heckscheibe. Hierauf steht „Polizei bitte folgen“.

Nachdem er angehalten hat kommen zwei Männer in Polizeiuniform an sein Auto heran und verlangen von ihm die Fahrzeugpapiere. Ab jetzt hat er einen Filmriss.

Auf der weiteren Fahrt konnte er nichts erkennen, da ihm seine Augen verbunden worden sind. Er trägt sowohl eine Sonnenbrille, darüber eine Tauchmaske und eine Pudelmütze. Auf der Entführungsfahrt gab es dann einen Wechsel des Autos. Drei Männer sitzen mit ihm im Fahrzeug. Sie sind circa eine bis anderthalb Stunden gefahren, überwiegend kleinere Wege.

In dem Haus seiner Gefangenschaft angekommen wird er in ein Schlafzimmer geführt und muss sich dort nackt ausziehen. Er wird von Kopf bis Fuß nach Peilsendern abgesucht. Der Markenknopf an seinen Burlington-Socken wird von den Tätern als Sender eingestuft und abgeschnitten. Hiernach wird er an einen Bettpfosten gefesselt und muss dann bald einen Schuldschein über 400.000 Euro unterschreiben. Außerdem wird darin handschriftlich eine weitere Summe über 600.000 Euro angeführt. Er wollte diesen Schuldschein erst nicht unterschreiben. Daraufhin kam ein Täter mit einem Messer und wollte ihm ein Ohr abschneiden, die Hand und das Messer waren schon am Ohr. Ein anderer Täter verhinderte das.

Später fuhr man wieder mit dem Auto los, circa anderthalb Stunden lang, und er sollte seine Frau anrufen, damit diese das Lösegeld bereitstellt. Dieses verneinte er mit der Bemerkung, dass seine Frau panisch die Polizei anrufen würde und schlug deshalb vor, seinen angestellten Geschäftsführer Manfred M. anzurufen. Wieder zurück im Haus schlief er unten in einem Doppelstockbett, gefesselt an einen Bettpfosten. Am nächsten Tag waren alle nervös, da die avisierte Überweisung seitens des Geschäftsführers noch nicht auf dem Konto war.

Gegen 20:00 Uhr wurde Heiko L. mitgeteilt, dass er nun nach Hause darf. Vor der Abfahrt sollte er Whisky trinken und so teilte er sich eine Flasche mit einem der Täter. Die Alternative wäre gewesen, eine LSD-Pille zu schlucken. Nachdem er dann am Straßenrand in der Nähe einer Autobahn ausgesetzt worden war, wurde er gegen 02:00 Uhr zufällig durch eine Streife der Bundespolizei aufgegriffen.

Es ist deutlich festzustellen, dass das Opfer noch erheblich traumatisiert ist.

Das Opfer berichtet weiter, dass es unter den Tätern einen dominanten Führer gab und einen sogenannten Beschwichtiger. Das Opfer hat versucht, mit den Tätern zu diskutieren. Um ihn, das Opfer, gefügig zu machen, wurde er etwa fünf bis zehn Mal mit der Faust und der flachen Hand auf die linke Gesichts- und Halsseite geschlagen.

Die Täter trugen in seinem Beisein Sturmmasken. Bei jedem Toilettengang wurde er begleitet, dann gab es keine Handfesseln. Das Essen wurde im Wohnzimmer eingenommen.

Er habe sich nicht getraut, zu flüchten, sein Telefon wurde durch die Täter entsorgt. Waffen aber habe er nur bei der gestellten Polizeikontrolle, also der unmittelbaren Entführungssituation, gesehen. Es wurde ihm aber mehrfach mit dem Tod gedroht.

Während der Gefangenschaft war Heiko L. nicht in der Lage, sich den Schuldschein genau durchzulesen. Er diskutierte weiter mit den Tätern über deren Forderung und bot zweien der Täter 100.000 Euro für seine sofortige Freilassung.

Nachdem er auf der Autobahn ausgesetzt worden ist und frei war, hatte Heiko L. nicht mit einer weiteren Kontaktaufnahme der Täter gerechnet. Als ihn die Täter 2 Wochen später im Büro aufsuchten, war er gerade mit seinem Wohnmobil unterwegs. Umgehend informierte er die Polizei wurde und bekam daraufhin zwei Personenschützer zur Seite gestellt. Ein Telefonat der Täter mit dem Opfer über den Treffpunkt der Geldübergabe wurde von der Polizei natürlich aufgezeichnet. Heiko L. jedoch ging nicht zu diesem Treffen.

Als letzte Information sagt Heiko L. noch, dass er, nachdem er den Schuldschein unterschrieben hatte, ein moderates Verhältnis zu den Entführern hatte, er formuliert es so: „Ich wurde artgerecht gehalten.“

Entführungsopfer Heiko L. über die Vorgeschichte

Den Haupttäter Michael K. lernte Heiko L. Anfang der Neunzigerjahre in Saudi-Arabien kennen. Bei dem letzten Geschäft ging es um den Verkauf einer Firma für circa 6 bis 10 Millionen Dollar. Allerdings sind nur 1,5 Millionen Dollar gezahlt worden, davon bekam Michael K. 80 Prozent. Von diesem Geld kaufte er sich Immobilien im Norden Deutschlands. Die Restsumme hatte sich Michael K. unter anderem über Geldeintreiber bei Heiko L. besorgen wollen. Das spätere Entführungsopfer wurde dabei über zwei Jahre lang massiv bedroht.

Trotz dieser Bedrohung hat Heiko L. keine Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, weder in seiner Firma noch zu Hause.

Warum Michael K. noch mehr Geld haben wollte, kann Heiko L. nicht beantworten, es gibt dafür laut ihm keine Begründung.

Die dramatischen Folgen für das Opfer

Während der Entführung hat das Opfer große Todesangst ausgestanden. Sein Leben sei wie in einem Film an ihm vorbeigelaufen. Diese Phase war extrem belastend. Seine Erinnerungen zum Tatgeschehen sind daher immer noch nur noch partiell.

In den zwei Tagen seiner Entführung hat Heiko L. sechs Kilo abgenommen. Psychisch ging es ihm die ersten drei Monate nach der Entführung soweit gut, danach und mit der wachsenden Nähe zum Prozessbeginn ging es ihm immer schlechter. Ein Zustand, der immer noch anhält. Betroffen sind auch seine Frau, seine Kinder, seine Eltern und Nachbarn. Er hat sich stark verändert, ist vorsichtiger geworden und hat sich eine Alarmanlage gekauft. Zitat des Opfers: „Ich habe einen Fast-Absturz im Flugzeug überlebt, eine schlimme Krankheit überstanden, bin zweimal aus Seenot gerettet worden – doch diese Entführung war das Schlimmste, was ich je erlebt habe.” Bis zu diesem schrecklichen Ereignis hatte Heiko L. sorgenfrei gelebt.


Bild: Auffindestelle von Heiko L.  | Bildquelle: Stefan Bisanz

Dritter Verhandlungstag | Aussage des leitenden Ermittlers

Der Beginn des heutigen Prozesstages am 14. November ist für 13:30 Uhr angesetzt. Die Kammer eröffnet fast pünktlich und beginnt mit der Beiordnung von neuen Verteidigern, die im Vorfeld auch bereits angekündigt war. Im Saal sind neben den Prozessbeteiligten fünf Zuhörer und vier Pressevertreter.

Nach Erledigung der Formalitäten ruft die Kammer den für heute angekündigten Zeugen, Kriminalhauptkommissar (KHK) M. auf. KHK M. war Leiter der am 25. April eingerichteten Ermittlungsgruppe.

Zur Sache gibt KHK M. an, dass am 19. April der Geschäftsführer (GF) eines Unternehmens aus Leer Anzeige wegen der Entführung von Heiko L. stellte. Er gab an, einen Anruf von Heiko L. erhalten zu haben, in dem dieser eine Million Euro gefordert habe und zugleich angab, er wäre die nächsten drei Tage nicht erreichbar. Heiko L. rief dabei von seinem Handy aus an. Die Polizei richtete daraufhin eine so genannte BAO (Besondere Aufbau Organisation) ein und begann umgehend mit den Ermittlungen. Das erste Ziel dessen war, Heiko L. unversehrt aufzufinden. Eine Ortung des Handys war jedoch nicht möglich, es war ausgeschaltet. Der GF gab gegenüber der Polizei an, dass die Forderung nicht erfüllt werden könne, da der Kontoinhaber des Zielkontos nicht genannt wurde.

Dritter Verhandlungstag | Aussage des leitenden Ermittlers

Am 20. April rief Heiko L. erneut an, diesmal von einer unbekannten Nummer, und fragte, ob das Geld überwiesen sei, sonst sei er tot. Nun fragte der GF nach dem Namen des Kontoinhabers und hörte wie im Hintergrund der Name der jetzt angeklagten 90-Jährigen gerufen wurde. Darüber hinaus will er Fahrgeräusche gehört haben. Der Anschluss, von dem aus angerufen wurde, konnte jedoch nicht ermittelt werden. Der GF wies das Geld entsprechend den Angaben der Entführer an.

Der GF soll schon bei der Anzeigenerstattung einen Verdacht gegen den jetzigen Hauptverdächtigen Michael K. geäußert haben. Michael K. habe schon öfters geäußert, dass Heiko L. ihm einen sechsstelligen Betrag schulde. Schon 2015 sei es zu einer ähnlichen Bedrohung gekommen. Die nun gebildete Ermittlungsgruppe observierte Michael K. und führte eine so genannte TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) durch. Hierbei wurden diverse Gespräche zwischen Michael K. und seiner Mutter aufgezeichnet, bei denen es um den Eingang des Geldes bei der Bank ging. So sollte die Mutter immer wieder nachhören, ob das Geld eingegangen sei und wann sie es abholen könne. Michael K. ging offensichtlich davon aus, dass die Bank die Summe nach Kontoeingang umgehend auszahlen kann. Dies war jedoch nicht der Fall. Der Filialleiter teilte der Mutter von Michael K. mit, dass es noch drei Werktage nach Eingang dauern könne, weil er das Geld bestellen müsse. Darauf sagte Michael K. seiner Mutter, man müsse Heiko L. „eben noch so lange da behalten“. Spätestens hier wird klar, dass sowohl Michael K. als auch dessen Mutter genau wussten, dass es sich um eine Entführung handelt.

Am Abend des 20. April wurde das Opfer, Heiko L., freigelassen und am 21. April durch eine Streife der Bundespolizei an der BAB 31 aufgegriffen. Heiko L. war weitestgehend unverletzt. Er gab an, am 19. April auf dem Weg ins Büro gewesen zu sein, als er von einem weißen Mercedes mit Hannoveraner Behördenkennzeichen überholt wurde.

Behördenkennzeichen bedeutet, dass lediglich das H für Hannover sowie Zahlen auf dem Kennzeichen zu sehen sind.

In der Heckscheibe klappte sodann ein Display mit „Bitte folgen“ auf. Heiko L. dachte an eine Polizeikontrolle, zumal er kurz zuvor am Steuer telefoniert hatte. Er leistete den Anweisungen folge und wurde kurz darauf angehalten. Zwei Männer in polizeiähnlichen Uniformen stiegen aus dem Mercedes und forderten ihn auf, auszusteigen. Er wurde mit Handschellen gefesselt und die Sicht wurde ihm mit einer Solarium-Brille genommen. Anschließend wurde er in den Mercedes gebracht. Heiko L. hat noch mitbekommen, dass auch sein Fahrzeug weggebracht wurde. Später kam es zu einer Umsteigesituation auf einem Parkplatz, wobei das Opfer erkannt haben will, dass er jetzt in einem Audi saß. Mit diesem wurde er in ein Ferienhaus verbracht.

Das Opfer gab an, dass er trotz Schlägen, Drohungen und Fesselung im Großen und Ganzen während der Geiselhaft gut behandelt wurde. Für die Telefonate, die er während dieser Zeit führen sollte, wurde er wieder in das Auto verbracht und mit einer Stunde Fahrt zu einem anderen Ort verbracht, bevor er telefonieren sollte.

Offenbar hatten die Entführer Sorge, geortet zu werden.

Am Abend des 20. April sei die Stimmung hektischer geworden, man habe ihm gesagt, er könne wählen zwischen LSD und einer Flasche Whisky, um ruhiggestellt zu werden, anschließend wurde er ausgesetzt.

Heiko L. konnte nur eine vage Täterbeschreibung geben, da die Täter maskiert waren und Heiko L. seine Brille nicht auf hatte.

Am 21. April meldete sich der Vermieter der Ferienwohnung, dem nun seine polnischen Mieter komisch vorkamen. Diese seien sehr schnell abgereist und in der Wohnung habe er eine Sturmhaube gefunden. Die sofort eingeleitete Spurensicherung und die Vorlage von Fotos der Wohnung an das Opfer ergaben schnell, dass es sich um den Tatort handelt.

Der Vermieter gab an, dass die Wohnung am 14. April angemietet wurde, am 15. April wurden die Schlüssel geholt, es wurde bar bezahlt. Der Vermieter hatte wohl schon jetzt ein komisches Gefühl und fotografierte die Fahrzeuge, die später vor dem Haus standen. Vom Vermieter konnten dann außerdem Phantombilder von den Männern erstellt werden, die die Schlüssel abgeholt hatten.

Eines der fotografierten Fahrzeuge gehörte dem Vater der Lebensgefährtin des heute Angeklagten Piotre M. Bei der Durchsuchung der Wohnung der Tochter des Fahrzeughalters wurde Piotre M. auch angetroffen, dieser wies sich allerdings mit einem gefälschten polnischen Führerschein aus. Ein falscher polnischer Ausweis auf den gleichen Namen wurde bei einer späteren Durchsuchung ebenfalls sichergestellt.

Zu einem weiteren Tatkomplex kam es nach Angaben des KHK M. am 29. April. Der GF der Leeraner Firma meldete der Polizei telefonisch, dass zwei Personen bei der Firma waren, die Heiko L. sprechen wollten. Die beiden hatten eine Rufnummer hinterlassen, auf der sich Heiko L. melden sollte. Die Polizei stellte schnell fest, dass die Nummer bereits bei der Entführung genutzt wurde und veranlasste eine Überwachung. Auch wurden Beamte zur Firma geschickt, um die Gesprächsführung zu begleiten. Die Personen wurden auf den Parkplatz eines Fast-Food-Lokals in Münster gelotst, wo es zu einem Zugriff kam, bei dem allerdings nur ein Verdächtiger festgenommen werden konnte. Es handelte sich hierbei um den jetzt Angeklagten Jan I. Die Polizei ging allerdings davon aus, dass in dem Fahrzeug weitere Verdächtige sitzen würden. Warum diese nicht festgenommen werden konnten, kann der heute befragte KHK M. nicht sagen. Der Halter des Fahrzeugs war ein in Konstanz lebender Pole. Nach Aussage des Hauptkommissars gab es eine hohe Ähnlichkeit zu den Phantombildern, welche aufgrund der Aussagen des Ferienhausvermieters erstellt wurden. Sylvester konnte nicht festgenommen werden, er hat sich wahrscheinlich nach Polen abgesetzt.

Im Zuge der weiteren Ermittlungen meldete sich dann auch ein Nachbar des Opfers, dem am 15. März zwei Personen aufgefallen seien, die sich verdächtig verhielten und offensichtlich das Haus von Heiko L. beobachteten. Der Nachbar machte heimlich Videoaufnahmen der Personen. Die Polizei identifizierte diese später aufgrund der Figur, des Ganges und der Bekleidung als die jetzt Angeklagten Jan I. und Piotre M.

Vieles in diesem Prozess lässt darauf schließen, dass es sich bei der Tatausführung nicht um Voll-Profis gehandelt hat. Das macht es oftmals aber eher gefährlicher. Allerdings kam es auch hier zu tatvorbereitenden Handlungen, die bei Erkennen das Ausführen der Tat verhindert hätten. So hat das Ausspähen des Opfers schon mindestens zwei Monate vor der Tat begonnen, ja es ist sogar aufgefallen! Allerdings wurde nichts unternommen.

Auch das Anmieten der Ferienhäuser und die Barzahlung hätte auffallen können.

Ebenso ist die gezielte Nutzung der Prepaid-Handykarten als tatvorbereitende Handlung anzusehen, zumal bei der Freischaltung immer Phantasienamen angegeben wurden. Selbst bei einer Telekommunikationsüberwachung ist es dann schwierig, die Anschlüsse den Personen zuzuordnen.

Für eine längst überfällige Reaktion der Politik, die eine Registrierung anhand eines Ausweisdokumentes zur Folge hat, musste erst der „Kampf gegen dem Terrorismus“ herhalten. Allerdings gibt es selbst vor diesem Hintergrund noch keine rechtsverbindliche Lösung, so dass Täter diese Tools auch in Zukunft weiter nutzen werden.

Der nächste Verhandlungstermin ist der 24. November.


 

Bildquelle: Stefan Bisanz

Zweiter Verhandlungstag

Zu Beginn des zweiten Prozesstages im Auricher Landgericht am heutigen 9. November 2016 wird zunächst der Antrag der 90-jährigen Angeklagten Magdalena K. auf Abtrennung des Verfahrens als unbegründet zurückgewiesen.

Nach den Ausführungen der Kammer beginnt der Angeklagte Thomas B. mit seiner Einlassung, welche sich über den gesamten heutigen Prozesstag ziehen wird. Thomas B. versucht, die Einlassung und die Fragen der Kammer in deutscher Sprache durchzuführen. Bei sprachlichen Engpässen steht ihm aber eine Dolmetscherin zur Seite, was immer mal wieder zu Missverständnissen und Verzögerungen bei den Antworten führt.

Zweiter Verhandlungstag

Zunächst erörtert Thomas B., wie er Michael K. kennengelernt hat. Dies sei an der Kasse eines Fast-Food-Lokals in Dortmund geschehen. Michael K. sei Geld runtergefallen, Thomas B. hat es aufgehoben und Michael K. gegeben. So sei man ins Gespräch gekommen. Man habe sich dann öfter getroffen und über alles Mögliche gesprochen. Irgendwann hat man Nummern ausgetauscht und sich regelmäßig getroffen. Diese Treffen fanden zwei bis drei Mal im Monat und immer im nämlichen Lokal statt. Das alles begann mehr als ein Jahr vor der jetzt zur Last gelegten Tat.

Michael K. erzählte Thomas B. unter anderem über seine beruflichen Aufenthalte in der arabischen Welt und dem dort vorherrschenden Reichtum. Irgendwann offenbarte er auch seine finanziellen Engpässe, die dem geschuldet seien, dass er von seinem Geschäftspartner, dem späteren Opfer Heiko L. betrogen wurde.

Während der Einlassung von Thomas B. kam es immer wieder zu nicht nachvollziehbaren und zunächst unverständlichen Zwischenrufen des Angeklagten Jan I., der dabei auch häufig gestikulierte. Auf Nachfrage der Kammer gab der Verteidiger an, dass er seinen Mandanten hier nicht zur Ruhe bringen kann, da er sehr aufgewühlt sei. Ohnehin habe der Angeklagte ein Attest aus dem unter anderem hervorgeht, dass er sich nicht mehr als zwei Stunden konzentrieren kann.

Thomas B. sagt weiter aus, dass Michael K. angegeben habe, dass es zu einer Fusion seiner Firma, die er zusammen mit Heiko L. führte, mit der der arabischen Geschäftsleute kommen sollte. Im Zuge dieser Verhandlungen wurde Michael K. von den Arabern bedroht und sei schnell abgereist. Anschließend sei er aus der Firma gedrängt worden. Später habe es Forderungen vom deutschen Fiskus gegeben. Um gegen diese anzugehen, hätte er Unterlagen von seinem ehemaligen Partner Heiko L. gebraucht, diese aber nicht bekommen.

Als Schadenssumme hatte der K. immer von 400.000 bis 500.000 gesprochen, wobei sich Thomas B. aber in seiner Aussage nicht an die Währung erinnern kann.

Michael K. hätte versucht, so berichtet Thomas B. weiter, seine Forderungen gerichtlich geltend zu machen. Allerdings kam es nie zu einer Verhandlung, weil Zeugen von dem nun fusionierten Unternehmen eingeschüchtert worden seien. Letztlich wurde von den Anwälten von Michael K. und Heiko L. eine außergerichtliche Einigung vorbereitet, welche aber kurz vor dem Abschluss von Heiko L. ohne Begründung abgesagt wurde. Michael K. soll hierüber sehr enttäuscht gewesen sein. Er soll Thomas B. gesagt haben, dass es ihm schwerfalle, damit zu leben. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Michael K. in den arabischen Ländern eine Krankheit geholt haben soll, die nicht diagnostiziert werden kann und sich sein Zustand zusehens verschlechterte. Michael K. ging davon aus, dass er daran sterben würde.

In seiner Verzweiflung fragte Michael K. Thomas B., ob er nicht Leute kenne, die ihm helfen könnten, durch Inkasso an sein Geld zukommen . Diese Leute sollten gut gekleidet bei Heiko L. auftauchen und ihn an die Forderungen von Michael K. erinnern. Michael K. wolle aber keine Gewalt angewendet wissen, Heiko L. sollte lediglich überredet werden. Thomas B. sagte Michael K., dass er solche Leute nicht kenne, sich aber gerne umhören kann.

Die Zwischenfrage der Kammer, ob es denn noch gegen andere Personen Forderungen gab, bejaht Thomas B., allerdings sei dies nach Angaben von Michael K. alles auf seinen ehemaligen Partner Heiko L. zurückzuführen. So sei Michael K. auch aus einer Firma in Flensburg rausgedrängt worden. Hier sei bei einem Krankenhausaufenthalt von Michael K. ein Anwalt am Bett erschienen, der ihn unter dem Vorwand von Forderungen des Finanzamtes überredete, seine Anteile für einen Euro zu verkaufen, um Schaden von ihm abzuwenden. Michael K. tat dies und will erst später bemerkt haben, dass dies ein Trick von Heiko L. war.

Thomas B. berichtet nun weiter, dass er sich von Michael K. dazu überreden ließ, zum Schuldner nach Flensburg zu fahren, um das Geld einzutreiben. Hier soll noch ein weiterer Mann, der über Michael K. kam, dabei gewesen sein sowie drei Leute aus Polen und Russland, die Thomas B. aber nicht bekannt waren. Thomas B. berichtet, dass der Flensburger Schuldner ihn in einem Gespräch davon überzeugte, dass es keine Schulden gäbe und die Gruppe daraufhin unverrichteter Dinge abgefahren seien.

Michael K. fragte Thomas B. nun, ob er das nicht auch bei seinem ehemaligen Partner Heiko L. machen kann, was Thomas B. aber verneinte. Er wolle sich allerdings weiter umhören.

Nun soll es vor dem Fitnessstudio von Thomas B. zu einem Gespräch mit dem Angeklagten Piotre M. gekommen sein. Man kannte sich sehr lose von früher. Piotre M. fragte Thomas B. nach Arbeit. Thomas B. konnte hier zwar nicht helfen,, berichtete allerdings von einem Deutschen, der ein Problem hat und Hilfe benötige. Piotre M. sagte daraufhin, er wolle sich mit Michael K. treffen. Daraufhin koordinierte Thomas B. ein Treffen, bei dem dann neben Michael K. und Piotre M. auch der dritte Angeklagte Jan I. dabei gewesen sein soll. Thomas B. habe als Dolmetscher fungiert. Thomas B. hatte den Eindruck, dass Jan I. das Sagen hatte und Piotre M. machen würde, was Jan I. will. Michael K. schilderte also den beiden „Neuen“ die Situation, worauf Jan I. angab, dass er Leute in Polen anrufen müsse und dann entscheiden würde, ob sie die Sache übernehmen.

Nach dem Termin sagte Michael K. zu Thomas B., dass er eigentlich lieber nicht mit solchen Leuten arbeiten wolle und er die Sache absagen würde. Als Thomas B. dies einen Tag später Piotre M. mitteilte, erwiderte dieser, dass das nicht mehr ginge. Die Leute in Polen hätten schon jetzt Aufwendungen, die Michael K. dann bezahlen müsse. Auch hier hatte Thomas B. das Gefühl, dass Piotre M. nur ein Mittelsmann sei und die Leute in Polen gar nicht kennen würde. Er hätte sich immer telefonisch Jan I. abgesichert.

Es kommt wiederholt zu Ausbrüchen von Jan I., die die Kammer veranlassten, Jan I. einen Verweis aus dem Saal anzudrohen.

Thomas B. führt nun weiter aus, dass es zu einem weiteren Treffen gekommen sei, wobei diesmal einer der Männer aus Polen dabei war. Es handelt sich hierbei um den späteren Chef der Entführer. Neben Michael K. waren auch Piotre M. und Thomas B. – nach seiner Angabe wieder als Dolmetscher – dabei. Jan I. war nicht anwesend.

Alle Treffen fanden übrigens immer in dem Fast-Food-Lokal statt, in dem sich Thomas B. und Michael K. kennenlernten.

Der Mann aus Polen machte am Ende des Treffens noch keine Zusage, da er erst mit seinen Jungs in Polen sprechen wollte. Auf die Nachfrage von Michael K., wie sie denn das Geld holen wollten, soll er gesagt haben: „Das sind Profis, die wissen was sie tun und du brauchst das nicht zu wissen.“

Bei einem nächsten Treffen mit dem späteren Chef der Entführer, berichtet Thomas B. weiter, ging es dann um die „Leistungsvergütung“, wobei Michael K. den Entführern 20 Prozent der geforderten 400.000 Euro angeboten habe. Sein Gegenüberantwortete, dass seine Jungs nicht für unter 100.000 Euro tätig würden und verlangte, dass die Forderung auf eine Million Euro erhöht wird, so dass 600.000 Euro für ihn und seine Jungs seien. Das Opfer sei schließlich reich,  das sei kein Problem.

Darüber sei Michael K. sehr geschockt gewesen. Es habe aber keinen Ausweg mehr gegeben, keinen Weg zurück. Thomas B. hatte den Eindruck, dass Michael K. nun Angst vor den Polen hatte.

Bei einem weiteren Treffen wurden nun Details besprochen. Zunächst sollte Michael K. ein Wohnmobil anmieten, was dieser aber ablehnte. Man einigte sich auf das Anmieten einer Ferienwohnung bzw. eines Ferienhauses. Michael K. sollte sich um die Anmietung kümmern, wobei das Haus für vier Personen sein sollte, möglichst billig und so gelegen, dass Nachbarn und Andere keine Einsicht haben. Michael K. solle eine Barzahlung vereinbaren und angeben, dass das Haus für Freunde aus Polen sei, selbst ein polnischer Name als Mieter wurde ihm vorgegeben.

Für das nächste Treffen bereitete Michael K. eine Liste mit potentiellen Mietobjekten vor. Die Kammer verlas die Liste im Zuge der Einlassung des Thomas B., die wiederum bei Durchsuchungen nach der Festnahme von Michael K. beschlagnahmt worden ist.

Wie Thomas B. nun dem Gericht angibt, soll Michael K. die Objekte nach einer Vorauswahl während des Treffens abtelefoniert haben. Allerdings sollte Michael K. die Vermieter hinhalten, damit sich der Mann aus Polen die Objekte vor der endgültigen Anmietung noch anschauen kann. Die Dauer der Anmietung sollte ein bis zwei Wochen betragen.

Auf Fragen des Richters sagt Thomas B. nun aus, dass für ihn klar war, dass es zu einer Entführung kommen würde. Direkt darüber gesprochen wurde allerdings nicht. Wie Michael K. darüber dachte, wusste er auch nicht. Ebenfalls waren ihm alle tatvorbereitenden Handlungen unbekannt. Der Mann aus Polen habe immer nur gesagt: „Wir sind noch nicht so weit.“ Vom Tatablauf erfuhr Thomas B. erst später. Gelegenheit dazu gab es nach seiner Festnahme, als er in eine andere JVA verlegt werden sollte und hierfür einen Zwischenstopp für eine Nacht in der JVA Oldenburg einlegen musste. Hier kam er in eine Zelle mit dem Angeklagten Piotre M.

Eine äußerst unglückliche Entscheidung der Justiz! Auch das Gericht muss wiederholt nachfragen, ob sich Thomas B. an das Geschilderte aus der Vortatzeit erinnert, oder ob das Information sind, die ihm Piotre M. in dieser Nacht gegeben hat.

Piotre M. erzählte Thomas B., dass man das Fahrzeug des Opfers als Polizisten getarnt anhielt, weil er telefonierte. Ob das Opfer freiwillig oder mit Gewalt mitgenommen wurde, wusste Thomas B. nicht. Piotre M. habe gesagt, er habe während der Entführung in einem Bett mit dem Opfer geschlafen. Piotre M. erzählte des Weiteren, dass das Opfer habe sich mit dem Chef der Entführer angefreundet habe, man habe sogar zusammen gefeiert. Nähere Angaben hierzu gab es allerdings nicht.

Thomas B. kann zur Tat selbst keine weiteren Auskünfte erteilen. Allerdings kam es nach seinen Angaben nach der Freilassung des Opfers noch zu einem Besuch des Chefs der Entführer mit dem Angeklagten Jan I. bei Thomas B. zu Hause. Diese führten ein Schreiben von einem Anwalt mit sich, aus dem hervorging, dass das Lösegeld gezahlt worden sei. Die Männer wollten nun die Nummer von Michael K., um Geld für die Aufwendungen zu erhalten. Thomas B. wollte die Nummer besorgen. Und so kam es zu einem zweiten Besuch des Chefs der Entführer, der aber diesmal einen Mann dabei hatte, der sich als Bruder von Jan I. vorstellte. Zu diesem Zeitpunkt war Jan I. bereits in Haft. Erneut forderte man Geld und wollte Michael K. sprechen.

Nun berichtet Thomas B. von einem Schuldschein, der ebenfalls bei einer Durchsuchung beschlagnahmt worden ist. Dieser sei von Michael K. erstellt worden , der den Chef der Entführer zugleich Aufforderte, den Schuldschein vom Opfer unterschreiben zu lassen. Die Forderung auf dem Schuldschein belief sich auf 600.000 Euro. Diesen Betrag kann Thomas B. auf Nachfrage des Gerichts allerdings nicht erklären, er sei immer von 400.000 Euro ausgegangen.

Nach der Mittagspause bittet das Gericht Thomas B. um die Schilderung seines Tagesablaufs am Entführungstag. Thomas B. gibt dazu an, dass alles wie immer war. Er war arbeiten und gegen Mittag im Fitnessstudio. Hier rief Michael K. ihn an und wollte mit aufgeregter Stimme ein sofortiges Treffen mit dem Chef der Entführer. Das Treffen fand gegen 15,16 Uhr statt. Bis zu diesem Zeitpunkt will Thomas B. nicht gewusst haben, dass Heiko L. entführt worden ist. Michael K. wiederum erzählte nach dem Treffen, dass es Streit wegen einer Kontonummer gegeben habe. Michael K. wollte den Namen des Kontoinhabers des eigens eingerichteten Kontos nicht benennen. Michael K. hatte auf Drängen des Mannes aus Polen, dem Chef der Entführer, ein Konto eingerichtet und sich hierzu des Kontosseiner Mutter bedient. Michael K. habe seine Konten aufgrund der Forderungen des Finanzamtes nicht verwenden können. Nun aber wollte Michael K. den Namen der Mutter nicht preisgeben. Er war der Meinung, die IBAN reiche aus. Letztendlich gab er den Namen per SMS preis. Gegenüber Thomas B. sagte Michael K., er habe der Bank den Eingang einer größeren Zahlung avisiert.

Auf die Frage des Gerichts nach den eingesetzten Handys räumte Thomas B. ein, am ersten Tag der Suche nach den Ferienhäusern ein Prepaid-Handy besorgt zu haben, dies auf Drängen des Mannes aus Polen. Eine weitere Frage drehte sich um den Verbleib des Schuldscheins. Thomas B. gab an, dass ihm der Angeklagte Piotre M. in der gemeinsamen Nacht in der Zelle gesagt haben soll, er -also hielte diesen in einem sicheren Versteck. Dann wollte das Gericht wissen, warum Thomas B. das alles für Michael K. tat. Darauf gab Thomas B., er habe nie Geld für seine Leistungen haben wollen, Michael K. versprach ihm lediglich, sich um eine Arbeitsstelle zu kümmern. Außerdem sei Michael K. für Thomas B. ein fast väterlicher Freund gewesen und Freunden helfe man eben.

Anschließend befragte die Staatsanwaltschaft Thomas B., wobei es zunächst wieder um die Karten der Prepaid-Handys ging. Hierzu räumte Thomas B. ein, er habe am Tag der Ferienhaussuche zwei bis drei dieser Karten besorgt und dann nochmals zwei bis drei an dem Tag, an dem beim Treffen die Bankverbindung Thema war. Die Karten seien immer vom Anbieter Otelo gewesen, diese seien sehr günstig und vor allem sofort aktiv.

Er selbst, Thomas B., hätte aber immer nur die Nummer genutzt, die er schon seit Jahren hat. Der Staatsanwalt nannte Thomas B. eine Nummer, die man auf einem SIM-Kartenhalter seiner Wohnung gefunden hatte. Thomas B. äußert dazu, nicht zu wissen, was für eine Nummer das ist. Auch als der Staatsanwalt ihm vorhielt, dass mit dieser Nummer am Tag der Entführung die Entführer angerufen wurden, konnte Thomas B. nichts Erhellendes beitragen.

Der Staatsanwalt fragte so häufig nach der Nummer, dass es selbst die Prozessbeteiligten zu nerven schien.

Jetzt verlas der Staatsanwalt eine WhatsApp-Nachricht von der Nummer von Thomas B., in der auf Polnisch seine neue Nummer übermittelt wurde – eben genau jene, die bei der Durchsuchung gefunden wurde. Nach kurzem Hin und Her räumte Thomas B. letztlich ein, dass es seine Nummer sei und er auch am Tag der Entführung versucht hatte die Entführer mit dieser Nummer zu erreichen. Michael K. habe gewollt, dass er, Thomas B., den Polen mitteilt, dass das Treffen erst um 15:30 Uhr stattfinden kann. Thomas B. wusste also zu dem Zeitpunkt angeblich noch nichts von der Entführung. Er habe seine eigentliche Nummer für das Telefonat nicht nutzen wollen und er habe das vor Gericht verschwiegen, damit er nicht mit der eigentlichen Entführung zusammengebracht wird, schließlich habe er damit ja nichts zu tun.

Nun sollten auch die anderen Prozessbeteiligten die Möglichkeit haben, ihre Fragen zu stellen, wobei der Verteidiger von Thomas B. angab, diese nicht beantworten zu wollen so lange nicht auch die anderen Angeklagten sich äußern wollten.

Weiter geht es am 14. November


 

Bildmotiv: Ferienhaus, in dem das Entführungsopfer festgehalten worden ist.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Erster Verhandlungstag | Verlesung der Anklage

Der erste Verhandlungstag am 26. Oktober im Landgericht Aurich beginnt verspätet um 10:37 Uhr. Die Verspätung ergab sich unter ominösen Gründen durch Krankmeldung der vorgesehenen Schöffin. Es sind drei Kamerateams, fünf Fotografen und circa zehn Pressevertreter vor Ort. Außerdem sind nur fünf weitere Zuschauer anwesend.

Angeklagt sind fünf Täter wobei das Verfahren gegen den Haupttäter, den 67-jährigen Michael K. aus Iserlohn, abgetrennt wurde, da dieser für unbestimmte Zeit erkrankt ist. Seine ebenfalls angeklagte 90-jährige Mutter Magdalena K., auch aus Iserlohn, hingegen ist im Gerichtssaal anwesend.

Erster Verhandlungstag | Verlesung der Anklage

Nach persönlichen Angaben befragt, teilt Sie mit, dass sie seit 1960 verwitwet ist, drei Kinder hat, ihr jüngstes Kind jedoch bereits verstorben ist. Sie hat Betriebswirtschaft studiert , ist nun Rentnerin und hat keine Schulden.

Magdalena K. ist eine Dame, sehr gepflegt, sehr klein und hat weißes Haar. Ihre Kleidung ist durchaus hochwertig. Sie ist dezent geschminkt hat drei Goldringe an ihren Fingern. Ihre Augen sind wach und sie macht einen gelassenen Eindruck.

Drei weitere anwesende Angeklagte sind alle polnische Staatsbürger und daher sind auch in Begleitung je eines Dolmetschers. Der erste von ihnen ist Thomas B., geboren am 31. März 1976 in Polen, Vater zweier Kinder und verheiratet ist Klempner von Beruf und Hausmeister auf 450-Euro-Basis. Seine Schulden beim Finanzamt betragen 160.000 Euro, die während seiner Selbstständigkeit entstanden sind. Er ist am 13. Mai 2016 festgenommen worden und seitdem in Haft. Der nächste Angeklagte Jan I., geboren am 20. Juni 1977 in Leczyca, ist ledig und hat fünf Kinder. Er gibt an, nie gearbeitet zu haben und seit einem Verkehrsunfall 1998 von einer Rente in Höhe von monatlich 120 Euro zu leben.

Er wurde am 29. April 2016 festgenommen und seitdem in Haft. Er macht einen sehr nervösen Eindruck und hat einen weinerlichen Blick. Er ist dick und trägt einen Vollbart. Er betritt den Saal auf Krücken oder fährt mit dem Rollstuhl.

Der dritte dieser Riege ist Piotre M.. Er wurde am 4. Januar 1975 in Polen geboren, ist ledig und hat zwei Kinder. Seine derzeitige Partnerin ist schwanger. Er hat den Beruf eines Tischlers gelernt und hat zuletzt vor zwei Jahren gearbeitet. Seitdem hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, zum Beispiel als Helfer bei Umzügen. So verdient er im Monat circa 600 bis 1000 Euro. Zu seinen Schulden macht er keine näheren Angaben. Er ist am 13. Mai 2016 festgenommen worden und seitdem in Haft.

Nach diesen notwendigen Formalien, die der Richter entsprechend durchgeführt hat, erteilt er dem Staatsanwalt das Wort. Dieser verliest nun die Anklage.

Angeklagt wird Piotre M. wegen erpresserischen Menschenraubs, Körperverletzung und Nötigung in unterschiedlicher Tatbeteiligung. Auch wird die Anklage gegen den Haupttäter Michael K. vorgelesen. Doch die Besonderheit in diesem Entführungsfall ist zweifelsohne die Tatbeteiligung der 90-jährigen Magdalena K. Sie wiederum wird wegen Beihilfe angeklagt.
Das Opfer ist der 60-jährige Reeder und Geschäftsmann aus Leer, Heiko L. Michael K. hat mit dem Opfer verschiedentlich Geschäfte durchgeführt. Aus einem letzten Geschäft in Saudi-Arabien hatte er einen Verlust von 400.000 Euro, die das Opfer Heiko L. nicht erstatten wollte. Da diese Geschäfte oftmals nicht dem normalen Rechtsverkehr entsprachen, konnte Michael K. seinen Verlust auch nicht auf dem Rechtswege durchsetzen. Daher entschloss er sich, das Opfer durch Gespräche einzuschüchtern. Dies hatte jedoch keinen Erfolg. Da Michael K. zu Thomas B. schon länger Kontakt hatte, beauftragte er ihn, weitere Männer für eine Entführung ausfindig zu machen und dann ein entsprechendes Lösegeld zu erpressen.

Die Besprechungen und Anstiftungen zu dieser Tat wurden zwischen Michael K. und Thomas B. in einem Fast-Food-Restaurant in Dortmund durchgeführt und geplant. Dabei wurde schnell ein Abgreif-Ort zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte des Opfers gefunden. Des Weiteren hatten zwei Angeklagte die Aufgabe, eine entsprechende Unterbringung in einem Ferienhaus zu beschaffen. Dieses taten sie sehr professionell, indem sie mehrere Möglichkeiten ausgetestet haben.

Zum Vortat-Verhalten ist zu hören, dass die Gewohnheiten des Opfers sehr ausführlich ausgekundschaftet worden sind. Hierzu hat sich das Team der Täter mehrere Monate Zeit genommen, insbesondere im März und April 2016. Die Observation wurden vor allem am Wohnort und an der Arbeitsstelle durchgeführt, auch mit einer Standkamera. Die Entführung wurde unter dem Vorwand einer Polizeikontrolle durchgeführt. Man besorgte sich Polizei-Uniformen und eine Anhaltekelle.

Hier ist der Tätertyp unter der Kategorie „persönlicher Feind“ einzugruppieren, da Täter und Opfer Geschäftspartner waren und der Täter somit über Insider Kenntnisse verfügte.

Des Weiteren wurden zwei weitere Täter aus Polen hinzugezogen, die ausschließlich in der Einführungsphase eingesetzt wurden. Auch Magdalena K. wurde eingeweiht. Sie unterstützte ihren Sohn aktiv, indem sie unter anderem eines ihrer Konten bei der Märkischen Bank zur Verfügung stellte. Dann wurde am 15. April eine Ferienwohnung in Hatzum, Hatzumer Weg 1 und 1a, angemietet.

Am 19. April morgens wurde die Entführung durchgeführt. Ein Täter begab sich dazu zur Wohnung des Opfers, um die Abfahrt desselben zu melden. Das Opfer fuhr wie immer mit seinem VW Phaeton die bereits observierte Fahrstrecke zum Büro. Die Täter fuhren mit erhöhtem Tempo an dem Opfer-Fahrzeug vorbei und hielten auf der Beifahrerseite eine Polizeikelle aus dem Fenster, sodass das Opfer annahm, anhalten zu müssen, da die Polizei ihn kontrollieren wollte.

Es stiegen zwei der Täter in Polizeiuniform aus und überwältigten unmittelbar das Opfer. Dieses wurde nach Ortungsmöglichkeiten am Körper durchsucht, und zwar komplett, auch wurden ihm alle persönlichen Gegenstände abgenommen, unter anderem 1000 Euro Bargeld. Dann bekam das Opfer, um keine Orientierung zu haben, eine undurchsichtige Sonnenbrille aufgesetzt.

Eine erste Lösegeldforderung wurde vom Opfer unmittelbar abgelehnt. Erst, als er mit Faustschlägen und Ohrfeigen geschlagen worden ist und einer der Täter ihm sogar ein Ohr abschneiden wollte, wurde das Opfer gefügig und unterschrieb einen Schuldschein über eine Million Euro. Außerdem informierte er seinen Geschäftsführer Markus M., damit dieser eine weitere Million Euro auf das Konto der Magdalena K überweist. In diesem Gespräch teilte er seinem Geschäftsführer ebenfalls mit, dass er noch weitere Tage abwesend sein wird. Doch Markus M. ging nach diesem Gespräch von einer Entführung aus. Die Polizei informierte er allerdings nicht.

Da bei der Übermittlung der Kontonummer etwas schief lief, kam das Geld nicht auf dem Konto an. Magdalena K stachelte ihren Sohn Michael K. weiter an mit Worten wie „die nehmen dich nicht ernst“.

Und so wurde der Geschäftsführer Markus M. durch die beiden wiederholt angerufen. Es wurde dabei auch mit dem Tod des Opfers gedroht. Nach der Richtigstellung der Kontonummer wurde das Geld dann überwiesen. Markus M. schickte ein Foto der Überweisungsbestätigung per SMS an die Täter. Hierauf bereiteten sich die Täter unmittelbar und zügig für die weitere Flucht vor. Die Wohnung wurde gesäubert. Das Opfer musste erheblich viel Whisky trinken und wurde danach in der Nähe der Bundesautobahn 31 – Kilometer 197,6 – freigelassen.

Die Polen sollten 400.000 Euro von der Million erhalten. Der Rest sollte an an Michael K. gehen. Magdalena K. unterstützte den aufwendigen Lebensstil ihres Sohnes und war daher daran interessiert, dass dieses Verbrechen tatsächlich gelingen sollte.

Da die Freilassung des Opfers so schnell durchgeführt wurde und das Opfer zeitnah die Polizei informieren konnte, war die Überweisung noch nicht auf dem Konto des Täters angekommen. Daraufhin wandten sich Thomas B. und Piotre M. nochmals an das Opfer und drohten mit einer erneuten Entführung wenn sie nicht 100.000 Euro bekommen würden. Dieses Geld hatte das Opfer den beiden während seiner Gefangenschaft versprochen, wenn sie ihn freilassen würden. Für die Übergabe der 100.000 Euro hatten sich die Täter schließlich in das Firmengelände begeben. Da das Opfer jedoch nicht anwesend war, hatten sie eine Mobilnummer hinterlegt. Das Opfer ging scheinbar darauf ein, kontaktierte die Täter und vereinbarte mit ihnen eine Geldübergabe in Dortmund. Bei dieser scheinbaren Übergabe wurden die Täter durch die Polizei vor Ort festgenommen.

Nach Verlesung der Anklageschrift befragt der Vorsitzende Richter jeden einzelnen Angeklagten, ob sie sich zur Sache äußern wollen. Dieses wird durch alle vier am Tage abgelehnt. Zwei der Angeklagten beabsichtigen, vielleicht an einem späteren Verhandlungstag etwas zur Sache auszusagen. Magdalena K. beantragt, dass sie aus diesem Verfahren herausgenommen wird und zusammen mit ihrem Sohn verhandelt wird. Dies lehnt der Staatsanwalt ab. Der Rechtsanwalt der Mutter hält diesen Antrag trotzdem aufrecht.

Damit ist der erste Verhandlungstag heute um 11:43 Uhr beendet.


Bildmotiv: Eingang zum Landgericht Aurich im Schloss Aurich.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Von Tätern lernen – Prozessbeobachtung eines Entführungsfalles

Mitte April 2016 entführten mehrere Männer einen Geschäftsmann aus Detern im Landkreis Leer, verschleppten ihn und hielten ihn fast zwei Tage in einem Ferienhaus in Hatzum gefangen. Das Opfer wurde geschlagen, gefoltert und mit Waffen bedroht. Nach der Zahlung eines Lösegelds in Höhe von einer Million Euro wurde der Entführte freigelassen.

Der initiierende Haupttäter, ein 67-jähriger Dortmunder und ehemaliger Geschäftspartner des Opfers, wurde von seiner 90-jährigen Mutter unterstützt sowie von mehreren polnischen Männern.

Nachdem alle Tatverdächtigen gefasst worden, wurden sie von der Staatsanwaltschaft wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung angeklagt sowie wegen erpresserischen Menschenraubs. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die 90-jährige Mutter ist wegen Beihilfe angeklagt.

Von Tätern lernen – Prozessbeobachtung eines Entführungsfalles

In diesem wie in 99,9 Prozent aller Entführungsfälle liegt der Tat das Motiv „Bereicherung“ zugrunde. Vom Opfer, dessen Familie, Firma oder sonstigen Bezugspersonen sollen Werte – zumeist Geld – erpresst werden. Anders als bei Raubüberfällen geht es zumeist um immens hohe Beträge, deren Erbeutung aufwendiger vorbereitet wird. Zum Gelingen tragen ein entsprechend hohes Maß an krimineller Energie und Skrupellosigkeit bei ebenso wie verbrecherische Erfahrung und technische sowie organisatorische, aber auch geografische und psychologische Sachkenntnis bei. Derart hohe Intelligenz und Kaltschnäuzigkeit sind in dieser Kombination nicht oft vorhanden, zudem sind die Ermittlungsmethoden der Polizeibehörden auf so fortgeschrittenem Stand, dass erfolgreiche Entführungs- und Erpressungsfälle sehr selten sind. Ob erfolgreich oder nicht: Den zumeist irreparablen psychischen Schaden trägt immer das Opfer – den Rest seines Lebens.

Wohingegen krimineller Energie nur sehr schwer vorgebeugt werden kann, können potentielle Opfer jedoch durchaus Vorsorge treffen. Zunächst gilt es, den eigenen Status zu reflektieren und die Wahrscheinlichkeiten eines wie auch immer gearteten Angriffs auszuloten.

Parameter wie Bekanntheitsgrad, Reichtum, Familienstand, alltägliche Gewohnheiten, Feindschaften und Neider sind zuerst zu hinterfragen. Schon bei einigermaßen nach außen erkennbarem Wohlstand besteht die Gefahr einer Attacke auf Leib und Leben einer oder mehrerer Personen der Familie. Hier können erste Abschreckungsmaßnahmen bereits hilfreich sein, etwa der Einsatz von Kameras oder Alarmanlagen. Bei Personen, die in leitender Funktion mehr oder weniger im öffentlichen Leben stehen, ist die sicherheitsbezogene Analyse des Ist-Zustandes, Entwicklung eines Sicherheitskonzepts sowie die Etablierung eines solchen im Grunde notwendig und dringend angeraten. Zahlreiche Entführungs-, Erpressungs-, ja sogar Mordfälle belegen diesen Fakt.

Auch im Falle des entführten Unternehmers aus Leer ist von nicht vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen auszugehen, außerdem von erheblichem Vortatverhalten der Gangster. Diese haben ihre Tat offenbar weitestgehend geplant und vorbereitet. Sie observierten ihr Opfer und kundschafteten seine Gewohnheiten aus, sie konstruierten eine Entführungssituation, verkleideten sich dafür als Polizisten und gaben vor, eine Kontrolle durchführen zu wollen. Sie mieteten im Vorfeld ein Ferienhaus, in dem sie das Opfer ungestört festhalten konnten.

Aus Sicht eines Personenschützers sind genau diese Vorfeld-Aspekte spannend und interessant. Zudem: Welche Schutzmaßnahmen gab es oder wären zur Installation geeignet gewesen? Wie haben die Täter ihre Vorgehensweise aufgebaut, welche Schwerpunkte haben sie gesetzt, was wären Gefahren-Indikatoren für das Opfer oder sonstige Außenstehende gewesen?

Da sowohl jede Opfersituation als auch jedes Tätervorgehen aufgrund der jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen und aufgrund der jeweiligen strukturellen Gegebenheiten anders ist, lohnt sich immer eine intensive Analyse aller Vorkommnisse. Denn obwohl wesentliche Grundzüge verbrecherischen Handels je nach Tat-Genre zumeist gleich bleiben, lassen sich anhand derartiger Analysen die Wahrscheinlichkeiten von Täter-Verhalten weiter präzisieren und somit entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen bzw. Empfehlungen aussprechen.

Die Prozessbeobachtung inklusive des weitestgehend genauen Berichts von Vortatabläufen – soweit die Aussagen aller Prozessbeteiligten dies sachlich ermöglichen – ist daher ein wichtiges Instrument des Kenntnisgewinns. Allein die Aussagen direkt Beteiligter wie Opfer und Täter, aber auch indirekt Beteiligter oder ermittelnder Polizisten erlauben fast schon intime Einblicke in Opfer-Gefährdungspotentiale, aber auch und vor allem in die Verbrechensplanung.

Davon ausgehend wird nun auch der Prozess zum Fall des entführten Leerer Unternehmers weitere Erkenntnisse zutage fördern, die in diesem Blog Thema sein werden.

Der Prozess am Landgericht Aurich beginnt am 26. Oktober.


Bildquelle: Stefan Bisanz

14. Verhandlungstag | Die Urteile und die Begründung

Heute werden die Urteile verkündet. Im Saal befinden sich ca. 80 Zuschauer, eine große Zahl Interessierter wartet davor. Die Medien sind mit acht Kamerateams, zehn Fotografen und weiteren 30 Journalisten vertreten.

Die Familie betritt, komplett in Schwarz gekleidet, den Saal. Sie sehen alle sehr erschöpft und müde aus. Die Fotografen stürzen sich auf die Familie, diese wird regelrecht „abgeknipst“.

Dann betritt der Angeklagte Markus B. den Saal wie immer mit einem Ordner in der Hand. Auch hier geht ein regelrechtes Blitzlichtgewitter los. Seine beiden Anwälte stellen sich hinter ihm in Pose, so dass sie mit auf die Bilder kommen. Die Familie schaut mit verachtenden Blicken auf den Angeklagten. Beim Mitangeklagten Norbert K. läuft dasselbe Spiel.

Der Bruder der getöteten Anneli R. sitzt heute bei seiner Familie.

Die Urteile

Nun gibt die Vorsitzende Richterin das Urteil bekannt: Markus B. wird mit lebenslanger Haft bestraft, zudem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Norbert K. erhält eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Verurteilt wird Norbert K. wegen Mordes durch Unterlassung und erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge.

Als der Anwalt von Norbert K. das Urteil für seinen Mandanten hört, sieht man in seinem Gesicht ein kleines Grinsen.

Die Urteilsbegründung

Die Richterin kommt zur Urteilsbegründung und erklärt zuerst die Aufgaben des Gerichtes in einem Rechtsstaat und auch die Aufgabe der Verteidigung. An dieser Stelle nimmt sie die Verteidigung in Schutz und stellt fest, dass fair verhandelt worden sei. Des Weiteren geht sie auf die Bewältigungsstrategie der Familie ein und meint damit ihre aktive Rolle in diesem Prozess. Sie betont, beide Täter seien extrem feige gewesen und haben keinerlei Verantwortung gezeigt. Der persönliche Mut fehle den Angeklagten komplett. Sie führt mit der Vorgeschichte zur Tat weiter aus und erläutert, dass insbesondere die Lebensgeschichte des Markus B. sehr dünn gewesen sei. Aber auch alles, was bekannt geworden war, habe sich als erlogen herausgestellt, sowohl die Ausbildung als auch die beruflichen Stationen.

Markus B. habe früh mit seiner kriminellen Laufbahn begonnen, er habe betrogen und unterschlagen. Ehrlich sei das Leben von Markus B. nie gewesen. Die Richterin zählt nochmals alle Lügen in Bezug auf das Leben von Markus B. auf. Auch alle sogenannten Fakten zum Hauskauf in Burgebrach seien erfunden gewesen. Nur kurze Zeit vor der Tat an Anneli R. habe Markus B. noch versucht, den Großkonzern Lidl auf 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Er habe sich nicht getraut, sich seiner Ehefrau gegenüber bzgl. seiner finanziellen Schwierigkeiten zu offenbaren. Was besonders heraussticht, ist die Äußerung der Richterin, dass Markus B. ein besonders dummer Mensch sei.

Zu Norbert K. führt sie lediglich aus, er sei nicht vorbestraft gewesen, im Leben soweit zurechtgekommen und habe sehr angepasst gelebt. Finanziell sei er in der letzten Zeit allerdings nicht klargekommen, da er Hartz-IV-Empfänger gewesen sei. Angeblich habe er bei der Tat nicht mitmachen wollen, auch seine Beziehung zu Markus B. könne man sicherlich nicht Freundschaft nennen. Sein Anteil am Lösegeld habe 400.000 Euro betragen sollen. Seine Einlassung, das Geld nicht nehmen zu wollen, hält das Gericht für lachhaft. Zudem wurde nochmals festgestellt, dass seine Festnahme und Vernehmung rechtens gewesen seien.

Während der Urteilsverlesung schaut Markus B. nur stur auf die Tischplatte vor sich. Norbert K hat seinen Kopf auf seine Hand gestützt und klopft mit dem Zeigefinger seiner linken Hand nervös auf die Tischplatte.

Die Richterin schildert nun den Tatablauf und nimmt dabei immer wieder Bezug auf den jeweiligen Anteil der Täter.

Während dieses Vortrages der Richterin halten sich Uwe und Ramona R. an den Händen.

Der Entführungstag war im Übrigen ein Donnerstag! Wie so oft findet ein solches Verbrechen an einem Donnerstag oder an einem Freitag statt.

Am Tatort und am Abgreifort von Anneli R. wurden DNA-Spuren an zwei Papiertaschentüchern gefunden und eine DNA-Spur an einem Kopfhörer von Anneli R. sowie an einer der Folien. Auch hierin sieht das Gericht eine besonders hohe und ausgeprägte Dummheit des Angeklagten Markus B. Die – nicht weniger dümmliche –

Nicht-Maskierung der Täter bei der Entführung hatte für Opfer und Täter entsprechende Konsequenzen.

Interessant ist, dass die Richterin die Sichtweise zum Thema „Sicherheit der Familie R.“ erklärt und auch die Sichtweise vom Täter Markus B. zum Lebensstil der Familie.

Entscheidend für die Opferauswahl und die Durchführung eines solchen Verbrechens ist immer nur die Sichtweise des Täters.

Das Gericht unterstellt Norbert K., am Entführungstag gewusst zu haben, worum es ging. Auch er habe das Geld für seine Zukunft gewollt. Hörig gegenüber dem Mittäter Markus B. sei er zwar nicht gewesen, aber die Kammer sieht auch bei Norbert K. einen absoluten Täterwillen und eine Tatherrschaft. Norbert K. sei zumindest ein verlässlicher Mittäter gewesen. Markus B. hingegen habe der Tatablauf sowie die mögliche Lösegeldübergabe überfordert. Dilettantisch, dumm und unprofessionell stellt die Richterin deutlich fest.

Norbert K. hab bei seinen Aussagen immer wieder versucht, seinen Tatbeitrag zu minimieren. Zum großen Teil habe er auch unsinnige Aussagen getätigt, diese ausschließlich zum Selbstschutz. Ihm sei ganz bewusst gewesen, dass Anneli. R. getötet werden sollte, und zwar durch einen Kabelbinder.

Die genaue Todesursache habe zwar nicht festgestellt werden können, theoretisch denkbar seien als Täter allerdings sowohl nur einer von beiden, entweder Markus B. oder Norbert K., oder doch alle beide. Das Vortatverhalten und die Motivation weisen jedoch erheblich auf Markus B. als Täter hin. Auch die Persönlichkeitsmerkmale deuteten auf seine Haupttäterschaft. Das aktive Tun erfolgte durch Markus B., das ist die Überzeugung der Kammer. Auch Vorsatz sei gegeben gewesen. Allerdings sei die Tötungsabsicht erst aufgekommen, nachdem Markus B. bewusst geworden war, dass Anneli R. ihn hätte erkennen können. Hiermit sei die Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal gegeben. Die Unterlassung sei wiederum bei Norbert K. gegeben, da auch er eine Verdeckungabsicht gehabt habe. Auch er wäre erkannt worden. Er habe auch gewusst, dass Anneli R. sterben wird.

Bei dieser Aussage schüttelt Norbert K. seinen Kopf.

Das Töten habe Norbert K. nicht aktiv unterstützt, aber er habe auch nichts aktiv dazu beigetragen, den Mord zu verhindern. Er habe Angst gehabt, entdeckt zu werden. Zum Nachtatverhalten sei zu sagen, dass beide Täter die Leiche verbracht haben.

Während des Vortrages der Richterin nimmt einer der Verteidiger (Rechtsanwalt S.) von Markus B. zwischenzeitlich eine Liegestellung in seinem Stuhl ein und schaut sich die Decke an. Auch dieses Verhalten zeigt die durchgängige Respektlosigkeit gegenüber dem Opfer, dessen Familie und in diesem Falle insbesondere auch gegenüber dem Gericht.

Die Richterin stellt fest, Norbert K. habe gegenüber Anneli R. eine Garantenpflicht gemäß § 13 Strafgesetzbuch innegehabt. Das pflichtwidrige Vortatverhalten sei die Entführung. Auch sei ein Einschreiten zum Wohle der Anneli R. zumutbar gewesen. Die Frage hiernach beantworte sich ausschließlich mit einem Ja und unbedingt. Die innere Haltung von Norbert K. entspreche somit einer Täterschaft durch Unterlassen.

Beurteilung von Strafmaß und Schuld

Wenn man die Schuld und das Strafmaß in Bezug auf den Täter Markus B. beurteilt, so könne festgestellt werden, dass es keinerlei pathologische Auffälligkeiten gab. Sicherlich habe Markus B. narzisstische Persönlichkeitsmerkmale. Daher sei eine Freistrafe von 15 Jahren unangemessen gewesen und insofern die Entscheidung auf lebenslange Freiheitsstrafe deutlich. Seine insgesamt über zwölf Vorstrafen beeinflussen das Gesamtbild zusätzlich negativ. Seine Tat habe eine Nähe zur Habgier. Das Leid des Opfers und der Opfer-Familie sei ausgesprochen groß und die Folgen der Tat besonders schlimm, da es hier viele Opfer gebe. Strafmildernd müsse man die Krebsdiagnose (inzwischen geheilt) bei Markus B. berücksichtigen.

Der Bruder von Anneli R. schüttelt bei dieser Aussage deutlich den Kopf.

Die Richterin stellt fest, dass das Schlimme und Schlechte bei Markus B. insgesamt überwiege.

Zu Schuld und Strafmaß bei Täter Norbert K. gibt das Gericht bekannt, dass es bereits entsprechende Urteile des BGH und des Verfassungsgerichts gebe, die in solchen Fällen zu berücksichtigen seien. Norbert K. sei weniger aktiv gewesen, dadurch gebe es eine sogenannte Strafrahmen-Verschiebung auf drei bis fünfzehn Jahre. Eine weitere Strafrahmenverschiebung erfolge, weil er Aufklärungsmithilfe zur Tat geleistet habe. Diese Verschiebung bedeute ein Strafmaß von sechs Monaten bis elf Jahren und drei Monaten. Damit habe das Gericht einen Ermessensspielraum von zwei Jahren bis elf Jahren und drei Monaten. Negativ zu bewerten sei, dass er an der Tat beteiligt war. Positiv zu bewerten sei, dass Norbert K. nicht vorbestraft ist. Er habe Reue gezeigt und ein Teilgeständnis abgegeben. Zusätzlich bedeute sein Alter von 62 Jahren, dass er eine gewisse Haftempfindlichkeit habe.

Für die Haft ist Norbert K. zu empfindlich, aber für eine solche grausame und brutale Ermordung nicht?

Das Ergebnis ist schlussendlich eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten.

Nach dem Verlesen der Urteilsbegründung wendet sich die Richterin noch mit ein paar persönlichen Worten an die Opferfamilie. Mit diesen Worten versucht sie, Trost zu spenden, doch leider wählt sie aus meiner Sicht die falschen Worte, sodass der Trost nicht bei der Familie ankommt. Die Richterin erklärt beiden Parteien, dass eine Revision innerhalb einer Woche möglich ist.

Der letzte Prozesstag endet um 16:03 Uhr.

Innerhalb der genannten Wochenfrist haben die Anwälte des Beschuldigten Markus B. Revision eingelegt. Des Weiteren hat die Staatsanwaltschaft Revision in Bezug auf beide Täter eingelegt.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

13. Verhandlungstag | Persönliche Erklärungen der Familie von Anneli R.

Den heutigen Verhandlungstag am 26. August 2016 prägen die persönlichen Erklärungen des Vaters und der Schwester des Opfers Anneli R. Des Weiteren halten heute die Verteidiger ihre Plädoyers. Der Zuschauersaal ist wieder mit etwas mehr (circa 40) Zuschauern gefüllt. Zusätzlich sind etliche Medienvertreter, darunter zwei Kamerateams, anwesend.

Erklärung der Schwester von Anneli R.

Zu Beginn des Prozesstages trägt die Schwester des Opfers, Anett R.-Sch., ihre sehr persönliche und emotionale Erklärung vor. Sie erläutert, wie oft sie während des Prozesses anhören musste, wie ihre Schwester Anneli gestorben bzw. ermordet worden ist.

Auf die enorme Belastung für die Familie habe ich auch in diesem Blog mehrfach hingewiesen

Anett R.-Sch. berichtet weiter, dass sie erschöpft sei und das letzte Jahr und die letzten Wochen gerne nicht mit der Ermordung ihrer Schwester und im Gerichtssaal verbracht hätte, sondern viel lieber mit Anneli. Sie sei gerne dabei gewesen, wenn ihre Schwester Anneli ihr Abitur gemacht hätte und hätte gerne mit ihr zusammen überlegt, welches Studium sie danach angehen möchte. Aber all das könne sie nicht tun, weil sie den Tätern und deren abscheulicher Tat ausgeliefert sei. Außerdem könne sie ihrer Familie und ihren Kindern nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit schenken, obwohl diese ganz bestimmt ein Recht darauf haben. Das Familienkonstrukt der gesamten Familie R. sei zerrissen und durch den Tod von Anneli verstümmelt. Diese Tat sei durch die beiden „Nichtsnutze“ auf der Anklagebank verübt worden. Anett R.-Sch. betont auch, dass die Familie „keine stinknormale reiche Familie“ sei. Sie spricht die beiden Täter direkt an und formuliert ganz klar, dass die Täter sowohl aktiv als auch passiv Schuld an dieser Tat seien.

Während dieser Rede, die mit Sicherheit sowohl die 100-prozentige Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Gerichtssaal, als auch absolut notwendigen Respekt verdient hat, muss ich leider feststellen, dass der Rechtsanwalt von Markus B. an seinem Laptop arbeitet und in den Büchern vor ihm liest. Dieses Verhalten ist absolut unangemessen und rücksichtslos gegenüber der Familie R.

Erklärung des Vaters von Anneli R.

Nach der Rede von Anett Sch.-R. spricht der Vater von Anneli, Uwe R. Auch er berichtet sehr eindrucksvoll und emotional von der Tat, insbesondere von den Erpressungsanrufen und vom letzten Schrei, den er von Anneli am Telefon gehört habe. Er berichtet über das Familienleben und über den Charakter und die Wesenszüge von Anneli.

Die entstandene Belastung durch dieses abscheuliche Verbrechen sei nicht auszuhalten, so Uwe R. Körperliche und psychische Schäden haben alle Familienmitglieder davongetragen. Es gebe kaum Aussicht auf Beendigung dieser Auffälligkeiten. Schlaflosigkeit und Vergesslichkeit seien normal geworden. Seine Frau Ramona R. sei in ihrer Trauer gefangen und nicht mehr arbeitsfähig. Auch er sei lange Zeit nicht arbeitsfähig gewesen und leide an Konzentrationsschwäche, habe keinen Antrieb mehr und inzwischen eine „dünne Haut“ bekommen. Auch habe er keine Lust mehr, seine Hobbys zu betreiben. Uwe R. fragt sich nicht nur nach dem Sinn des Lebens, sondern auch nach dem Anteil seiner Schuld.

Die Täter seien für ihn eine Ausgeburt der Hölle. Sie seien bösartig, brutal, grausam und gefühllos. Dann spricht er den Angeklagten Norbert K. direkt an und unterstellt ihm Lügen und Selbstmitleid. Auch er habe eine hohe Tatbeteiligung und sei schuldig durch Unterlassen. Er habe zugeguckt, wie Markus B. seine Tochter Anneli umbringt. Auch Markus B. spricht er direkt an und fordert ihn auf, eine Aussage zu machen. Die Familie möchte endlich Klarheit über den genauen Tötungsvorgang und die letzten Stunden von Anneli.

Uwe R. sagt, er und seine Familie haben durch dieses Verbrechen ebenfalls „lebenslänglich“.

Zum Schluss bedankt er sich beim Gericht, den Medien und allen, die die Familie in dieser schweren Zeit unterstützt haben. Sein Schlusswort lautet: „Gott beschütze uns.“

Der Rechtsanwalt von Markus B. fühlt sich durch das Zitat eines Briefes, den Uwe R. während des Prozesses von einem Zeugen erhalten und aus dem er zitiert hat, persönlich angegriffen, sodass er eine 30-minütige Pause beantragt. Vielleicht hat er kurzfristig vergessen, dass er nicht Opfer ist, sondern auf der Seite der Angeklagten und Täter sitzt.

Plädoyers der Verteidiger

Ab 10:16 Uhr hält die Verteidigung von Markus B. ihre Plädoyers. Rechtsanwalt F. stellt zunächst auch seine eigene Betroffenheit in diesem Fall fest. Danach erläutert er sehr genau die Aufgaben der Verteidigung. Dazu gehöre, Zweifel zu säen, Kritik zu üben und Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt. Unter anderem spricht er Uwe R. direkt an. Er teilt auch mit, dass zu allererst die Unschuldsvermutung gelte, und die Aufgabe des Gerichts sei die Suche nach der Wahrheit.

Es klingt fast so, als wollte sich der Verteidiger bereits im Vorhinein für das entschuldigen, was gleich folgen wird. Außerdem sei an dieser Stelle konstatiert, dass auch die Familie R. sicherlich nicht die Institution einer korrekten Rechtsvertretung anzweifelt. Nur stellt sich doch immer auch die Frage nach dem „WIE“ einer Verteidigung.

Dann erzählt der Verteidiger ein bisschen aus der Vorgeschichte von Markus B. und stellt fest, dass dieser ein notorischer Lügner sei und immer mehr darstellen will als er tatsächlich ist. Der Anwalt stellt in den Raum, dass Markus B. sich so sehr in Lügen verstrickt habe, dass er im Grunde nur zwei Möglichkeiten hatte: Seiner Frau die Wahrheit zu sagen – doch das stuft der Verteidiger als die schwierigere Lösung ein – oder irgendwie an Geld zu kommen. Dies sei, nach Aussage des Anwalts, die leichtere Variante.

Diese Einstufung verwundert mich schon sehr.

Der Anwalt ist des Weiteren der Meinung, dass bei Markus B. entgegen dem psychologischen Gutachten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliege. Zuerst habe Markus B. erwogen, das Mitglied einer Familie aus Grumbach zu entführen, dann habe er versucht, den Handelskonzern Lidl um 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Erst danach sei er auf die Familie R. gekommen. Zudem gibt der Verteidiger auch dem Mitangeklagten Norbert K. Schuld an der Tat. Er ist der Meinung, dass beide die Tat gemeinsam geplant und durchgeführt haben. Das will der Anwalt unter anderem dadurch bewiesen sehen, dass beide ihr Handy während der Entführung in Lampersdorf gelassen haben. Somit könne die Entführung auch für Norbert K. nicht überraschend gewesen sein. Auch das Überwältigen des Opfers sei nicht allein zu bewerkstelligen gewesen. Am Ende stellt er die Frage, ob sein Mandant Markus B. Anneli R. alleine getötet habe – und streitet das zugleich ab, da es dafür keinen Beweis gebe, sondern der Mitangeklagte Norbert K. dies nur behauptet habe. Dieser wiederum habe ja aber schon genug gelogen. Für den Verteidiger von Markus B. sind somit drei Varianten möglich: erstens Tötung durch Markus B., zweitens Tötung durch Norbert K., drittens gemeinsame Tötung.

Durch diese unterschiedlichen Varianten will der Verteidiger erreichen, dass das Gericht alle Indizien und Fakten, die gegen Markus B. sprechen, ausblendet und so ausreichend Zweifel an der Schuld von Markus B. erwachsen.

Der Verteidiger pickt sich einige Indizien heraus und verliert auf diesem Wege natürlich den Gesamtzusammenhang. Somit stellt sich die Lage für seinen Mandanten positiver dar. Er argumentiert mit Logik und Sinnhaftigkeit, doch beides hat der Angeklagte Markus B. bisher in keiner Art und Weise gezeigt. Auch, dass Markus B. Anneli R. habe töten müssen, weil sie ihn hätte wiedererkennen können, hält er für unwahrscheinlich, da Markus B. ja umziehen wollte und insofern eine Entdeckung durch sie nicht möglich gewesen wäre.

Außerdem unterstellt er dem Mitangeklagten Norbert K., Anneli R. aus Panik getötet zu haben. Die vorliegenden Beweise ließen es nicht zu, festzustellen, wer der Mörder sei, so der Verteidiger. Als Strafmaß für seinen Mandanten fordert er zum Schluss eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen erpresserischen Menschenraubs.

Hiernach hält der zweite Verteidiger von Markus B. sein Plädoyer und stellt ebenfalls fest, dass es keine Beweise dazu gebe, wer den Mord begangen hat. Auch er schiebt den Mord dem Mitangeklagten Norbert K. zu und begründet dies ausschweifend. Er kommt zu dem Schluss, dass man nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass Markus B. der Mörder sei. Betreffend das Strafmaß schließt er sich seinem Kollegen an. Er teilt außerdem mit, dass Markus B. ein sogenanntes „Lügen-Gen“ habe. Er bezeichnet ihn des Weiteren als „dümmlich“ und „kopflos“. Markus B. sei nicht in der Lage, ein solches Verbrechen auszuführen. Zudem zweifelt der zweite Verteidiger die Fachlichkeit des Sachverständigen Prof. G. an. Und natürlich sieht er in dem Verbrechen keine „besondere Schwere der Schuld“.

Der Verteidiger führt immer wieder auch zu seiner eigenen Person aus. Er erzählt, wie viel Erfahrung er in welchen Arten von Prozessen schon gesammelt und auch, dass er sogar schon vor dem BGH verhandelt habe. Doch was bezweckt der Advokat damit? Will er das versammelte Publikum beeindrucken, was für ein toller Held er ist?

Am Ende fügt der Anwalt noch hinzu, dass, wenn das Gericht doch auf Mord urteilen sollte, sein vorgeschlagenes Strafmaß für diesen Fall lebenslänglich, ohne Feststellung einer „besonderen Schwere der Schuld“ sei.

Anschließend und ohne Pause plädiert nun der Rechtsanwalt von Norbert K., Andrej K. Er bedankt sich bei den Beteiligten für den fairen Prozess. Einleitend führt er zunächst zum Wesen der Nebenklage aus. Er sagt, als Anwalt müsse er rücksichtslos sein und betont, dass er „nur seinen Job“ mache. Er beklagt sich auch darüber, dass ein Blogger seine Anträge als kaltschnäuzig und menschenverachtend bezeichnet habe.

Damit kann er nur mich meinen.

Weiter führt er aus, dass er die objektive Ermittlungsarbeit der Polizei anzweifle und benennt angebliche Ungereimtheiten. Zum Beispiel habe es in den ersten Ermittlungsentwürfen Fehler bei Daten und Uhrzeiten gegeben.

Juristisch entscheidend ist das alles nicht, daher stufe ich diesen Einwand als Bemühung ein, Zweifel zu streuen.

Er mahnt weiter an, dass es niemals einen dringenden Tatverdacht gegen seinen Mandanten gegeben habe, und dass die vorläufige Festnahme ebenso rechtswidrig gewesen sei. Er sei auch sehr verwundert darüber, dass sowohl die Oberstaatsanwältin als auch die Vertreter der Nebenklage in ihren Plädoyers so viel zu seinem Mandanten Norbert K. vorgetragen haben. Er hält dies für einen Beitrag zur Verunsicherung, ob Norbert K. überhaupt als Täter in Frage kommt. Ein ehemaliger Gefängnis-Mitinsasse habe ja als Zeuge ausgesagt, sein Mandant habe ihm wiederum berichtet, dass Anneli R. tot gewesen sei, als Norbert K. von der Tankstelle, an der er Getränke gekauft hatte, zurückkam. Der Anwalt ist demnach der Meinung, dass am Ende nur Indizien vorliegen und keine Beweise.

Indizien sind gemäß BGH auch Beweise.

Der Verteidiger zweifelt darüber hinaus auch die Freundschaft zwischen den beiden Angeklagten an und schließt eine Mittäterschaft von Norbert K. beim Mord aus. Seine Tatbeteiligung an der Entführung sei nur dadurch entstanden, dass er unter Vortäuschung falscher Tatsachen zum Abfangort von Anneli R. geführt worden sei. Dass sein Handy auch in Lampersdorf verblieb, liege daran, dass er es dort nur vergessen habe.

Das „Unterlassen“ von Norbert K. begründet er mit der psychologischen Einschätzung, dass Norbert K. ein passiver Mensch sei. Bei der nun folgenden Beurteilung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens schließt der Anwalt eine Unterlassung seines Mandanten aus, da dessen Tatbeteiligung „zu minimal“ sei. Er habe weder am Vortatverhalten mitgewirkt, noch die Durchführungspläne gekannt. Die Tat sei von Markus B. auch ohne seinen Mandanten durchgeführt worden bzw. hätte ohne ihn durchgeführt werden können. Norbert K. habe keinerlei Veranlassung gehabt, zu glauben, dass Anneli R. getötet werden sollte, daher sei er nur wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub zu verurteilen. Und auch wenn er mehrmals die Möglichkeit gehabt habe, auszusteigen, hätte er dieses aufgrund seiner Passivität nicht tun können. Norbert K. bereue, nicht aktiv, beispielsweise durch einen Anruf bei der Poilizei, dagegen gesteuert zu haben. Eine Unterlassung treffe in diesem Fall juristisch jedenfalls nicht zu, da Norbert K. nicht gewusst habe, dass Markus B. Anneli R. töten wollte. Somit liege seitens Norbert K. auch keine Mittäterschaft am Mord vor. Zu berücksichtigen sei schließlich auch, dass Norbert K. ausgesagt und zur Aufklärung des Falls beigetragen habe. Als Strafmaß beantragt er vier Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe.

Wenn man die Plädoyers aller Verteidiger betrachtet, so lässt sich deren Absicht deutlich feststellen: Keiner der Angeklagten soll wegen Mordes verurteilt werden. Der eine nicht, weil man es ihm nicht beweisen kann, der andere nicht, weil er davon nichts wusste. Auch diese Erkenntnis wird für die Familie R. schwer zu ertragen sein, denn in der Konsequenz ist Anneli R. grausam und brutalst ermordet worden – und keiner hat Schuld.

Nun gibt das Gericht den Angeklagten noch Gelegenheit für letzte Worte. Markus B. nimmt diese Möglichkeit erwartungsgemäß nicht wahr. Norbert K. spricht seine letzten Worte. Er entschuldigt sich bei der Familie und teilt mit, dass es ihm Leid tue, was passiert ist. Er bereue die Tat und verstehe sein Verhalten nicht. Er unterstellt dem Mitangeklagten Markus B., dass dieser ihn für die Tat manipuliert habe.

Hiernach endet der Verhandlungstag bereits um 12:27 Uhr. Das Urteil wird am 5. oder 6. September 2016 verkündet.

Markus B. / Bildquelle: Stefan Bisanz

Zwölfter Verhandlungstag | Verteidiger missachten Absprachen

Zunächst sei vorangestellt, dass sich zum Schluss des heutigen Verhandlungstages, dem 24. August 2016, erneut das juristische, nüchtern berechnende Kalkül der Verteidigung Bahn bricht – zum Leidwesen der Opferfamilie. Denn beide Verteidiger-Parteien halten sich nicht an getroffene Absprachen des letzten Verhandlungstages und beantragen stattdessen, ihre Plädoyers, die für den morgigen Verhandlungstag angesetzt waren, erst am Freitag halten zu müssen. Diese Terminverschiebung wird wahrscheinlich auch den Prozess entsprechend verlängern, da er direkte Auswirkungen auf die weiteren Beratungstermine des Gerichts hat. All das geschieht auf Kosten der Familie R., weil diese erst entsprechend später mit dem Prozess abschließen kann.

An dieser Stelle hätte ich mir Anstand und Menschlichkeit gewünscht. Die fehlende Empathie und die Rücksichtslosigkeit aller Verteidiger gegenüber der Familie R. ist an diesem Verhalten erneut deutlich spürbar.

Schließung der Beweisaufnahme

Der Verhandlungstag beginnt mit der Bekanntgabe eines Beschlusses durch das Gericht, der sich auf einen Beweisantrag der Verteidiger von Markus B. bezieht. Diese hatten am 18. August gefordert, einen Sachverständigen zu hören, um Fragen bezüglich möglicher DNA-Spuren an dem Spanngurt zu klären, mit dem Anneli R. ermordet worden ist. Der Beweisantrag wird abgelehnt, da alle Fragen bereits am 19. August durch den Sachverständigen des Landeskriminalamtes Sachsen beantwortet wurden. Die Verteidigung akzeptiert diesen Beschluss. Daraufhin schließt das Gericht die Beweisaufnahme.

Plädoyer der Oberstaatsanwältin

Jetzt beginnt Oberstaatsanwältin Karin D. mit ihrem fast genau zweistündigen Plädoyer. Zunächst weist sie auf die Einmaligkeit dieser grausamen Tat hin, die besonders große Betroffenheit bei allen Beteiligten, insbesondere bei der Familie, aber auch bei Freunden, Verwandten, Bekannten und Klassenkameraden der getöteten Anneli R. hervorgerufen hat. Auch Polizisten, die der Ermittlungsgruppe und der SOKO angehört haben, waren selbst deutlich nach Abschluss der Ermittlungsarbeit äußerst berührt.

Der Angeklagte Norbert K. hört zu und hat die Augen geschlossen. Markus B. schaut, wie so oft, auf die Tischplatte vor sich.

Die Staatsanwältin führt nochmals zu den Lebensläufen der beiden Angeklagten aus. Insbesondere über die vielen Vorstrafen von Markus B. Beide Täter kennen sich seit 2012 und führen seitdem eine lockere Freundschaft. Sie weist darauf hin, Norbert K. sei für Markus B. sicherlich kein willenloses Subjekt gewesen, sondern habe durchaus selbstständig handeln können.

Des Weiteren erwähnt sie, dass die Tat durch die Schulden, die beide Täter hatten, motiviert gewesen sei. Markus B. sei stets davon getrieben worden, sich besser darzustellen als er ist. Er habe die Tat vorbereitet, sich im Internet nach Opfern erkundigt und diese ausgewählt. Beispielsweise sei eine Familie aus Grumbach in seinem Fokus gewesen, jedoch ließ er von ihr ab, weil deren Sicherheitsmaßnahmen Markus B. abgeschreckten.

In seinem persönlichen Umfeld habe Markus B. überall berichtet, er sei demnächst vermögend, weil er erben und Geld aus Auslandskonten erhalten werde. Der Angeklagte habe etliche Wochen, vielleicht sogar Monate vor der eigentlichen Entführung mit der Beschaffung der Tat-Infrastruktur begonnen. Er habe damit angefangen, Familie R. auszuspähen, unter anderem mit der Methode, mit seinem Hund am Wohnort der Familie R. seine Gassi-Runden zu drehen. Weiterhin habe er im Internet über die Familie recherchiert und Kabelbinder sowie den notwendigen Äther besorgt.

Die Tatdurchführung selbst sei aktiv durch beide Täter erfolgt, das heißt, beide haben die Tatherrschaft gehabt. Der Tötungsentschluss – „dann muss sie eben sterben“ – habe Markus B. nur wenige Stunden nach der Entführung gefällt. Diese schnelle Entscheidung sei aus seiner Sicht notwendig geworden, weil er vergessen hatte, sich bei der eigentlichen Entführung zu maskieren. Das Wiedererkennungsrisiko habe damit bei 100 Prozent gelegen.

Während des Plädoyer-Vortrages durch die Oberstaatsanwältin, schreibt Markus B. mit und gibt seinen Anwälten links und rechts immer wieder Hinweise und Anweisungen zu seinen Notizen.

Die Oberstaatsanwältin fährt damit fort, dass Norbert K. oftmals die Gelegenheit gehabt habe, das Verbrechen anzuhalten und aufzulösen. Es habe immer wieder Zeiträume gegeben, in denen auch er die absolute Tatherrschaft hatte. Besonders perfide erscheinen zum einen das Telefonat vom 16. August 2015 gegen 20:00 Uhr zwischen beiden Tätern, in dem sie über die Entführung sprechen, und zum anderen auch der Besuch eines Dresdner Stadtfestes in dem Zeitraum, in dem die Erpressung noch lief. Auch hieran sei das gefühlskalte und grausame Verbrechenspotenzial der Angeklagten zu erkennen. Die nachträgliche Reue, die der Angeklagte Norbert K. zeigte, sei ihm nur schwer abzunehmen. Mitleid habe er wohl nur in Bezug auf die ihm drohenden persönlichen Konsequenzen seiner Tat. Noch immer sei nicht ist ein einziges Wort der Entschuldigung an die Familie R. gerichtet worden.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. beantragt für den Angeklagten Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für den Angeklagten Norbert K. beantragt sie eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

Plädoyer des Nebenkläger-Vertreters

Nach der Mittagspause trägt der Nebenkläger-Vertreter der Eltern Uwe und Ramona R., Rechtsanwalt Kay E., vor. Er erläutert, dass das Ziel der Familie gewesen sei, die Tat aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Eltern haben außerdem erfahren wollen, wie es ihrer Tochter Anneli in den letzten Stunden erging. Der Anwalt mahnt nochmals deutlich an, dass diese Erwartungshaltung durch die Angeklagten noch nicht erfüllt worden sei. Beide haben zur Aufklärung noch nichts beigetragen. Weiterhin stellt er nochmals die Grausamkeit dieser Tat heraus.

Der Anwalt trägt klar und deutlich vor und spricht die Angeklagten zeitweise auch direkt an. Markus B. schaut nach wie vor auf die Tischplatte vor sich. Norbert K. schaut an dem Verteidiger vorbei nach links unten.

Als Strafmaß fordert der Nebenkläger-Vertreter für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. fordert er ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bevor er mit seinem Plädoyer zum Ende kommt, spricht er den Angeklagten Norbert K. nochmals direkt an und fordert ihn auf, umfassend auszusagen. Er solle jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, die Tat aufzuklären.

Hiernach hält der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., Rechtsanwalt Stephan S., sein Plädoyer. Da schon vieles gesagt worden sei, spricht er über andere Inhalte und konzentriert sich vor allem auf das intensive Vortatverhalten des Angeklagten Markus B. Dieser habe im Internet nicht nur über reiche Menschen im Allgemeinen recherchiert, sondern im Speziellen auch über die Familie R. Außerdem habe er nicht nur Kabelbinder besorgt und umständlich Äther in einer Apotheke gekauft, sondern auch die Gewohnheiten der Familie R. und vor allem die seines späteren Opfers Anneli langwierig ausgespäht. Des Weiteren habe er ein besonderes, BitCoin-fähiges Konto angelegt – für eine erleichterte Lösegeldübergabe. Der Anwalt stellt außerdem fest, beide Täter seien an der Entführung beteiligt gewesen und haben sie gemeinsam durchgeführt. Zu Norbert K. konstatiert er, dass dieser fortlaufend seinen Tatbeitrag beschönige und klein halte. Dies sei jedoch eindeutig durch die Beweisaufnahme widerlegt. Er sei Mittäter gewesen und habe jederzeit den Tatverlauf beenden können.

Ich bin sehr froh, dass dieses prozess-taktische Vorgehen des Verteidigers von Norbert K. so eindeutig – und nicht nur durch die Nebenkläger-Vertreter, sondern auch durch die Staatsanwaltschaft – erkannt und bewertet wurde.

Jetzt berichtet Rechtsanwalt Stephan S. über die Auswirkungen der Tat auf die Familie. So gebe es massive gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sich auch noch die nächsten Jahre hinziehen werden. Es liegen Nervenschäden vor sowie Belastungsstörungen, zum Beispiel Gehörverlust oder Rückenschmerzen. Insbesondere seien psychosomatische Auffälligkeiten vorhanden. Zudem gebe es ganz konkrete Anlässe, bei denen Familienangehörige direkt mit dieser schrecklichen und grausamen Tat in Bezug gebracht werden.

Es ist sehr anerkennenswert seitens der Familie R., dass sie mit diesen erheblichen Belastungen nicht hinter dem Berg hält, sondern dem Gericht, den Angeklagten, aber auch der Öffentlichkeit davon berichtet.

Als Strafmaß beantragt der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., der Schwester des Opfers, für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. wird eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt.

Nach diesen Plädoyers möchte das Gericht den heutigen Verhandlungstag beenden und teilt der Verteidigung der Angeklagten mit, dass sie absprachegemäß ihre Plädoyers am morgigen Donnerstag halten sollen. Daraufhin stellen die Verteidiger beider Angeklagten den ungeheuerlichen Antrag, dass sie den morgigen Verhandlungstag ausfallen lassen möchten, um erst am Freitag ihre Plädoyers zu halten. Sie führen an, den morgigen Tag zur Vorbereitung ihrer Plädoyers zu benötigen.

Da allerdings schon seit knapp einer Woche bekannt ist, dass die Plädoyers am morgigen Donnerstag gehalten werden sollen, ist dieser Antrag nur schwer zu verstehen und verursacht auch beim Gericht heftiges Kopfschütteln. Die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger-Vertreter haben keine neuen Erkenntnisse und Überraschungen für die Verteidiger gebracht. Insofern kann es sich hier wieder nur um einen Schachzug handeln. Leider – und wie bisher schon öfter erlebt – geht dieses Verhalten komplett zulasten der Opferfamilie.

Die Familie R. wird am Freitag ebenfalls eine Erklärung abgeben.

Damit endet dieser Prozesstag um 14:44 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Elfter Verhandlungstag | Psychologische Gutachten

Zu Beginn des elften Verhandlungstages am 19. August stellt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen Antrag, der sich auf den Beweisantrag der Verteidigung von Markus B. bezieht, gestellt am letzten Prozesstag am 18. August. Der Anwalt fordert darin, den Beweisantrag abzulehnen, da es überhaupt kein Hinweis darauf gäbe, dass Markus B. ohne Handschuh gemordet hat. Auch habe der Mitangeklagte Markus B. keine Aussage gemacht, im Gegensatz zu seinem Mandanten, dem Angeklagten Norbert K. Dieser wiederum habe ausgesagt, dass er bei der Tötung nicht dabei war. Der Rechtsanwalt untermauert seinen eben gestellten Antrag mit einer Erläuterung zur Vortatbeteiligung von Markus B., wobei er insbesondere auf dessen Internet-Recherche zum Tötungsmodus eingeht. Hier gab es Recherche-Treffer zum Thema „Ersticken wie lange dauert es“ oder „Autogase ersticken“.

Wieder einmal muss sich die Familie R. die Details der Tötung und das entsprechende Vortatverhalten anhören; zum bereits x-ten Mal.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Uwe und Ramona R. nimmt Stellung zum nämlichen Beweisantrag des gestrigen Tages und fordert, diesen abzulehnen. Er erklärt, Norbert K. habe nie ausgesagt, dass Markus B. zu keinem Zeitpunkt Handschuhe getragen hat. Er habe lediglich zu Protokoll gegeben, dass Markus B. beim Transport der entführten Anneli R. keine Handschuhe angehabt hatte.

Vorstrafen Markus B.

Hiernach liest das Gericht die Vorstrafen von Markus B. vor:

– 17. Juli 1996: Erschleichung von Leistungen

– 3. Dezember 1996: Betrug, Strafe: 30 Tagessätze zu 20 DM

– 1. September 1998: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 80 Tagessätze zu 30 DM

– 17. September 1999: Betrug, Strafe: 50 Tagessätze zu 30 DM

– 24. Februar 2000: Betrug, Strafe: sieben Monate Freiheitsstrafe auf drei Jahre Bewährung

– 28. März 2000: Urkundenfälschung, Strafe: 60 Tagessätze zu 25 DM

– 18. Mai 2000: Betrug, Strafe: 70 Tagessätze zu 30 DM

– 21. Juni 2000: Betrug, Strafe: 60 Tagessätze zu 30 DM

– 26. Oktober 2000: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 90 Tagessätze zu 50 DM

– 24. April 2002: Betrug in 285 Fällen, Strafe: ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung

– 21. Mai 2002: Betrug: Strafe: fünf Monate Freiheitsstrafe

Mit diesem Eintrag endet das Zentralregister. Nun wird außerdem aus zwei Urteilsbegründungen zur Person Markus B. vorgelesen. Das ist erforderlich, da er selbst keine Angaben zu seiner Person gemacht hat. Darin wird er als uneinsichtig und rücksichtslos beschrieben. Es wird zudem deutlich, dass Markus B. die Schuld immer bei den anderen sucht und hochgradig egoistisch handelt. Insbesondere seine Rückfallgeschwindigkeit ist erstaunlich. In einem Fall ist es sehr auffällig: Nur einen Tag nach seiner Verurteilung beging er erneut eine Straftat.

Zu dem Angeklagten Norbert K. gibt es keine Einträge im Zentralregister.

Beweisantrag DNA

Hiernach wird der bereits gestern angekündigte Sachverständige, Dr. Ralf N. vom LKA Sachsen, zum Thema DNA gehört. Er fasst zusammen, dass der Beweisantrag der Verteidigung von Markus B., betreffend möglicher DNA-Spuren am Spanngurt, abzulehnen sei. Denn auch wenn keine DNA-Spuren feststellbar seien, so bedeute dies nicht, dass es keinen Kontakt gegeben habe. Vielmehr könne ein Täter den Spanngurt angefasst haben, ohne dass Hautspuren hinterlassen worden sind. Selbst ein intensiver Kontakt führe nicht automatisch zum Hinterlassen von Hautspuren / DNA.

Nun gibt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen weiteren Beweisantrag ab, durch den er festgestellt wissen möchte, dass bei der Durchsuchung der Küche seines Mandanten Getränkeflaschen der Marke Volvic gefunden wurden. Dies diene als Beweis dafür, dass Norbert K. diese Flaschen gekauft hat. Durch den Kaufvorgang könne er seine Abwesenheit am Tatort nachweisen. Dieser Antrag wird durch das Gericht sofort erfüllt. Man nimmt daraufhin jene Fotos, die während der Durchsuchung der Küche angefertigt worden sind, durch Inaugenscheinnahme ins Verhandlungsprotokoll auf.

Psychologische Gutachten zu Markus B.

Die größte Erwartungshaltung am heutigen Verhandlungstag gilt sicherlich den psychologischen Gutachten zu beiden Angeklagten. Zuerst trägt Prof. Hans Ludwig G. zur Person und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten Markus B. vor. Er teilt vorab mit, dass Markus B. nicht am Gutachten habe mitwirken wollen, sondern sich auch hier verweigert habe.

Der Sachverständige habe bei Markus B. keine Antriebslosigkeit, zum Beispiel aus einer Depressionskrankheit, festgestellt, keine Demenz oder manischen oder schizophren-pathologischen und auch keine psychischen Auffälligkeiten. Markus B. sei mit einer normalen Intelligenz ausgestattet, nur halte er sich für schlauer als er ist. Ebenso seien keine krankhaften seelischen Störungen vorhanden, weder zur Tatzeit oder vorher sei eine solche erkennbar gewesen. Ebenso nicht erkennbar sei gewesen, dass er eventuell unter dem Einfluss bewusstseinsbeeinflussender Substanzen gestanden haben könnte. Auch sein 2013 festgestellter Hautkrebs habe keine Auffälligkeiten ergeben. Die dazu eingenommenen Medikamente haben keinen Einfluss auf seine Taten gehabt. Auch Alkoholmissbrauch habe man nicht feststellen können.

Markus B. sitzt still auf seinem Platz, der Kopf ist schräg nach unten geneigt.

Zur Persönlichkeitsstruktur und -veränderung gebe es keine pathologischen Erkenntnisse. Festzustellen sei eine leichte Diskrepanz zwischen seinen über sich selbst erzählten Legenden und seiner realen Lebensgeschichte. Seine Familienherkunft sei eine bescheidene gewesen. Es sei festzustellen, dass er sehr viele Einträge im Führungszeugnis hat, zusätzlich gab es noch Jugendstrafen wegen Betruges und Unterschlagung. Er habe extrem viele Arbeitsplatzwechsel gehabt. Sein Leben weise Inkonstanz auf.

Was den Psychologen verwundert ist, dass Markus B. nie begriffen habe, dass seine Verbrecherkarriere erfolglos ist. Markus B. habe immer ein reicher Mann sein wollen und versucht, ein solches Leben zu führen. Prof. Hans Ludwig G. fährt fort, dass Markus B. nicht stark minderbegabt sei. Während der Tat habe er allerdings unklug gehandelt.

Als Fazit stellt der Gutachter fest, dass es keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit von Markus B. gebe.

Im Nachgang dieser Darlegung versuchen die Verteidiger von Markus B. nun, beim Gutachter doch noch eine schwere Diagnose als Begründung für eine mögliche Schuldunfähigkeit zu erfragen. Sie sind der Meinung, dass sein Wunsch, immer noch bedeutender bzw. wichtiger sein zu wollen, eine Störung der Ich-Wahrnehmung sei und damit pathologisch zu berücksichtigen wäre. Diesem Versuch der Verteidigung wird durch den Experten allerdings eine strikte Ablehnung erteilt. Doch die Verteidigung hakt nach, denn ihrer Meinung nach habe Markus B. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, da dieser sein Leben schon jahrelang geschönt habe. Auch diesem eher amateurhaften Versuch erteilt der psychologische Gutachter eine erneute Abfuhr. Er erläutert, dass das Verhalten einer besonders niederträchtigen Behandlung anderer Menschen ein dauerhaftes Verhalten sein und eine dauerhafte Auffälligkeit haben müsse. Diese Kriterien seien bei Markus B. jedoch nicht erfüllt.

Dieses Nachfragen der Verteidiger von Markus B. sollte nur den einen Sinn haben, hier doch noch eine geringfügige Schuldunfähigkeit ihres Mandanten herauszudiskutieren. Damit hätten sie gegenüber dem Gericht ein Argument für strafmildernde Gründe. Ihr Vorhaben scheiterte allerdings, denn der Gutachter hat dem Angeklagten eine hundertprozentige Schuldfähigkeit attestiert.

Psychologisches Gutachten zu Norbert K.

Hiernach erstattet Dr. Matthias L. sein Gutachten zur Person des Angeklagten Norbert K. Er teilt vorab mit, dass Norbert K. am Gutachten mitgewirkt habe und berichtet zur Vita des Angeklagten zunächst das, was vor Gericht bereits gehört worden ist.

Nun trägt Dr. Matthias L. vor, dass es bei Norbert K. nie psychiatrische Erkrankungen und auch keine sozialen Auffälligkeiten gegeben habe. Er sei nie straffällig oder drogen- oder alkoholabhängig gewesen. Er sei normal intelligent, habe sich allerdings passiv am Leben abgearbeitet. Es gebe keine Bewusstseinsstörung oder Intelligenzminderung. Ebenso liege keine abartige Persönlichkeitsstörung vor. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei voll gegeben. Er lebe zurückgezogen, eher als Einzelgänger. Der Gutachter stellt schließlich fest, dass bei Norbert K. volle Schuldfähigkeit gegeben sei.

Da während des Prozesses herausgearbeitet wurde, dass Norbert K. sich Markus B. untergeordnet habe, fragt das Gericht beim Sachverständigen daraufhin nach. Dieser wiederum bestätigt, Norbert K. habe zwar eine gewisse Passivität, diese sei aber nicht auf der pathologischen Ebene. Norbert K. habe jederzeit aktiv werden können. Dieses Vermögen liege durchaus in seiner Person. Er habe davon allerdings keinen Gebrauch gemacht, so der Spezialist. Auch eine Verlustangst hinsichtlich Markus B. gebe es nicht, da schon festgestanden habe, dass Markus B. demnächst umziehen würde. Norbert K. habe in den Gesprächen mit dem Sachverständigen zudem Reue und Betroffenheit gezeigt. Auch diese Einsicht zeige, dass er in der Lage gewesen wäre, anders zu handeln.

Während des Gutachterberichts ringt Norbert K. deutlich mit sich, sein Gesichtsausdruck wirkt weinerlich, er beißt sich ständig auf die Unterlippe, schluckt mehrfach und atmet tief durch. Der Angeklagte Markus B. wieder schaut immer noch vor sich auf die Tischplatte.

Die Staatsanwältin fragt nun, ob für Norbert K. Anerkennung wichtig sei. Dies verneint der Sachverständige. Norbert K. wolle nur unauffällig leben. Weiterhin möchte sie wissen, ob Norbert K. Reue bezüglich der Tat, Mitleid mit dem Opfer oder Mitleid mit sich selbst gezeigt habe. Dr. Matthias L. erläutert daraufhin, dass Norbert K. sehr betroffen gewesen sei.

Jetzt unternimmt der Verteidiger von Norbert K. den Versuch einer Erklärung der Persönlichkeitsstruktur seines Mandanten. Er stellt fest, dass Norbert K. über unzureichendes Selbstbewusstsein verfüge und willensschwach sei. Daraus müsse doch resultieren, dass er manipulierbar ist. Der Sachverständige entgegnet dieser These, dass Norbert K. sich nicht exponieren wolle.

Der Verteidiger von Markus B. wiederum stellt die Frage, ob sein Mandant hätte erkennen können, was er einem Opfer mit seinen Taten antut. Der psychologische Experte teilt dazu mit, dass er das durchaus könne. Allerdings versuche er immer, sich selbst zu schützen, indem er nicht zu seinen Taten stehe.

Wieder auf Norbert K. zurückkommend betont nun der Vater von Anneli R., dass dieser schon während der Vortat Gelegenheit gehabt habe, sich anders zu verhalten. Er verstehe daher nicht, warum Norbert K. es nicht getan hat. Der Sachverständige klärt hierzu auf, dass Norbert K. zu den Menschen gehöre, die in gewissen Lebenssituationen hängen und nicht daraus kommen, sondern einfach weitermachen. Das sei insgesamt als inkonsequentes Handeln zu beurteilen.

Nun spricht das Gericht in Richtung des Angeklagten Norbert K. noch zwei rechtliche Hinweise aus und teilt ihm mit, dass er gemäß § 13 StGB wegen Unterlassung angeklagt und die Anklage auch um § 27 StGB wegen Beihilfe erweitert werde.

Die nachfolgende Terminabstimmung zwischen dem Gericht und den Parteien ergibt als möglichen Urteilsverkündungstermin den 5. September 2016. Davor liegen jedoch noch drei weitere Verhandlungstage in der nächsten Woche.

Foto: Der Angeklagte Norbert K. / Bildquelle: Stefan Bisanz

Zehnter Verhandlungstag | Dummheit ist gefährlich

Am 18. August 2016 beginnt der zehnte Verhandlungstag um 9:10 Uhr, bei dem zehn Journalisten, zwei Fotografen und circa 15 Zuschauer anwesend sind, ebenso alle Parteien.

Ursprünglich war dieser Verhandlungstag für gestern angesetzt, wurde aber auf heute verschoben. Gestern jährte sich erstmals das Auffinden von Anneli R. Insofern ist es gut und löblich, dass das Gericht diese mögliche Pietätlosigkeit bemerkt und entsprechend reagiert hat.

Das Gericht gibt vorab bekannt, dass der Angeklagte Norbert K. nun in die JVA Dresden überführt worden sei.

Als erster Zeuge wird der Polizeibeamte Ralf B. aus Dresden gehört. Er berichtet über den Bereich der Funkzellen-Datenauswertung und hatte den Auftrag, ein entsprechendes Bewegungsbild der Angeklagten zu erstellen.

Der Angeklagte Norbert K. macht einen teilnahmslosen Eindruck. Ab und zu sieht er verstohlen auf die gegenüberliegende Seite, wo die Familie R. sitzt. Markus B. hingegen wirkt beschäftigt, er wälzt in den vor ihm liegenden Akten, macht sich Notizen und vermeidet den Augenkontakt mit der Opferfamilie.

Als nächste Zeugin sagt Sandra G. (33) aus, Büro-Servicekraft aus Klipphausen. Sie kennt Markus B. über die Kinder der Familien, die gemeinsam im Verein Fußball gespielt haben. Markus B. habe versucht, näheren Kontakt zu ihr aufzubauen. Er habe über Facebook und WhatsApp Kontakt mit ihr gehalten und einige Annäherungsversuche unternommen. Zu einem Körperkontakt sei es aber nicht gekommen.

Der Angeklagte Markus B. möchte nun mit seinem Anwalt rechts von ihm sprechen. Diesen Moment will er nutzen, um einen kurzen Augenkontakt mit der Zeugin aufzunehmen. Dies jedoch geht von der Zeugin unbemerkt an ihr vorbei.

Täter bei zwei Schwerverbrechen: Markus B.

Als nächster Zeuge wird Kriminaloberkommissar (KOK) Kurt H. von der Polizeidirektion Heilbronn vernommen. Er ermittelte in einem Erpressungsverfahren gegen die Firma Lidl vom 28. Juli 2015.

Der Erpresser forderte per Anruf über die Hotline der Lidl Stiftung 1,2 Millionen Euro, die auf ein Offshore-Konto auf Malta überwiesen werden sollten. Genau in diesem Umstand sah der ermittelnde Beamte eine Parallele zum Entführungsfall Anneli R., da Markus B. den zu erpressenden Betrag ebenfalls auf ein Offshore-Konto auf Malta überwiesen haben wollte. Daher beschäftigte sich KOK Kurt H. nun auch mit dem Fall Anneli R. Der Lidl-Erpresser wiederum drohte bei Nichtzahlung mit präparierten Produkten in mehreren Filialen. Des Weiteren kündigte er an, eine Äther-Bombe zu zünden, wobei der Einsatz von Äther eine weitere Parallele der beiden Fälle darstellt.

Nun wird ein zweiter Anruf des Lidl-Erpressers – mutmaßlich Markus B. – im Gericht vorgespielt, der deutlich zeigt, wie gefährlich Dummheit sein kann: Es ist zu hören, wie sich der mutmaßliche Erpresser Markus B. an eine Teamleiterin der Hotline der Lidl Stiftung weitervermittelt lässt, die tatsächlich allerdings eine gut ausgebildete Polizeibeamtin ist. Markus B. lässt sich auf ein Gespräch ein und beantwortet auch jegliche Nachfragen.

Dieses Gespräch vermittelt den Eindruck, dass der Anrufer wie ein Ochse mit einem Ring in der Nase in der Arena vorgeführt wird.

Akustikspezialist Dr. K. vom Bundeskriminalamt stellt nun im Nachhinein fest, dass es sich hinsichtlich der Anrufe bei der Lidl Stiftung sowie im Fall Anneli R. um ein und denselben Anrufer handelt: mutmaßlich Markus B.

Beweisantrag der Verteidigung

Nun stellt die Verteidigung von Markus B. einen erneuten Beweisantrag und fordert, zu ermitteln, auf welche Art und Weise DNA-Spuren an den Spanngurt, der um den Hals des Opfers gelegt worden war, gekommen sein könnten. Hintergrund dieses Antrags ist die Aktenlage, wonach auf dem Spanngurt nur DNA-Spuren von Anneli R. gefunden wurden. Da die Verteidigung nun davon überzeugt ist, dass Markus B. keine Handschuhe getragen hat, hätten dessen DNA-Spuren zu finden sein müssen, wäre er tatsächlich der Mörder. Da es laut Akten offenbar keine DNA-Spuren von Markus B. auf dem Spanngurt gibt, mutmaßt die Verteidigung, dass er auch nicht der Mörder sein kann.

Die Verteidiger des Angeklagten Norbert K. antworten sofort auf diesen Beweisantrag und halten ihn nicht für hilfreich. Der Spanngurt, von dem Norbert K. gesprochen hat, sei nicht schwarz-orange gewesen wie jener, der dem Opfer um den Hals gelegt wurde, sondern blau.

Aussage der Halbschwester von Markus B.

Hiernach sagt die Zeugin Carla Andrea H. (54) aus. Sie ist die Halbschwester von Markus B., eine von insgesamt fünf Geschwistern des Angeklagten. Als ihr Halbbruder geboren wurde, war die Zeugin 14 Jahre alt. Da sie mit 18 ausgezogen sei, habe sie nur vier gemeinsame Jahre mit dem Angeklagten unter einem Dach gelebt. Sie habe den Kontakt zu ihm schon lange komplett eingestellt, da Markus B. im Alter von 15 Jahren ein neunjähriges Mädchen aus der Verwandtschaft im Intimbereich angelangt habe. Da ihre gemeinsame, kürzlich verstorbene Mutter Markus B. in dieser Sache immer nur in Schutz genommen habe, habe sie den Kontakt von sich aus abgebrochen.

Es gibt zwischen den Halbgeschwistern keinen einzigen Blickkontakt.

Hiernach gibt das Gericht zwei Beschlüsse bekannt. Zuerst wird der Antrag der Verteidigung von Norbert K. abgelehnt, wonach es eine erneute Hörung der Sekretärin der Polizei geben sollte, die in einem Bericht das Wort „Beschuldigter“ in Anführungsstriche geschrieben hatte. Begründung: Das ist für die Urteilsfindung bedeutungslos.

Dem heutigen Antrag der Verteidigung von Markus B. bezüglich der DNA-Feststellung wiederum wird insofern stattgegeben, als dass zum morgigen Verhandlungstag ein DNA-Sachverständiger des LKA Sachsen gehört werden soll.

Somit endet der heutige Verhandlungstag um 14:50 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Neunter Verhandlungstag | Erklärung der Täteranwälte

Am heutigen neunten Verhandlungstag, dem 8. August 2016, sind 15 Zuschauer anwesend sowie ein TV-Team, zwei Fotografen und zehn Journalisten.

Die Überschrift des Tages verdient nur einen Titel: „Menschenverachtende Erklärung der Täter Anwälte!“

Zuerst gibt der Rechtsanwalt Rolf F. aus Dresden eine Verteidigererklärung für seinen Mandanten Markus B. ab. Er bezieht sich auf das Gutachten des Rechtsmediziners des letzten Verhandlungstages zum Obduktionsbericht der entführten und getöteten Anneli R.

Da der Rechtsmediziner den genauen Todeszeitpunkt nicht auf die genaue Stunde und Minute festlegen konnte und auch die Todesursache (Tod durch Ersticken) nicht zu 100 Prozent feststellen konnte, hinterfragt der Anwalt die Allein-Täterschaft oder überhaupt die Täterschaft seines Mandanten Markus B. Dahingegen stellt er zur Ermordung der Annelie R. er die These auf, dass auch der Mitangeklagte Norbert K. der alleinige Täter sein könnte.

Danach gibt auch der Verteidiger vom Mittäter Norbert K., Rechtsanwalt Andrej K. aus Dresden, eine Erklärung ab. Darin bezieht auch er sich auf die Gutachtenerstattung des Rechtsmediziners zur Todesursache der Anneli R. Erst spricht er über Erstickung oder Erdrosselung als Todesursache aus und erklärt noch einmal den Vorgang der Komprimierung des Halses von Anneli R. Ihr Hals hatte bei normalem Zustand einen Umfang von 31 Zentimetern. Durch das Anlegen von Kabelbindern und das gewalttätige Zuziehen derselben wurde der Hals auf brutalste Weise auf einen Umfang von 26 cm komprimiert. Letztlich stellt der Verteidiger die Täterschaft seines Mandanten Norbert K. in Abrede.

Auch diese Erklärungen der Verteidiger sind äußerst grenzwertig und menschenverachtend einzustufen. Die Eltern und die Schwester der getöteten Anneli sitzen mit im Saal und müssen sich diese ungeheuren Erklärungen mit anhören. Dabei haben diese nur einen einzigen Sinn: Sie sollen bei Gericht Zweifel streuen. Ich empfinde sie als äußerst unanständig und unmoralisch und es hat meiner Meinung nach auch nichts mit einer korrekten Mandantenverteidigung zu tun.

Des Weiteren ist bemerkenswert, dass der Anwalt von Markus B. in seiner Erklärung einen anderen, den als Mittäter angeklagten Norbert K., der Tat beschuldigt. Dies ist ihm nur erlaubt, wenn er durch seinen Mandanten nicht erfahren hat, wer der wirklich Schuldige ist. Denn wenn ein Verteidiger weiß, wer der Schuldige ist, darf er keinen anderen beschuldigen. Dass Verteidiger Rolf F. von seinem Mandanten nicht erfahren haben soll, wer der tatsächliche Mörder ist, kann ich, nach allem was ich in den bisherigen Verhandlungstagen gesehen und erlebt habe, nicht glauben.

Zudem muss man berücksichtigen, dass Mittäter Norbert K. zum Tatgeschehen des Mordes bereits eine Aussage getätigt hat und diese lässt nur die Täterschaft in Person des Angeklagten Markus B. zu. Markus B. hatte zudem jederzeit die Möglichkeit, sich zum Tatgeschehen zu äußern, was er jedoch nicht getan hat. Das ist zwar sicherlich sein Recht. Doch wäre er unschuldig, hätte er dies jederzeit tun können – und sollte es auch!

Nach den Verteidigererklärungen werden heute noch weitere Zeugen gehört. Unter anderem ein Handelsvertreter, der mit dem Angeklagten Markus B. zwei Bauprojekte realisieren wollte. Des Weiteren eine Maklerin, die für Markus B. einen Hauskauf realisiert hat, sowie ein Landschaftsgärtner, der zu diesem Haus die Außenanlagen gestaltet hat. Außerdem wird ein Handwerker befragt, der in dieses Haus eine Küche eingebaut hat. Ebenso wird ein Hausverkäufer als Zeuge vernommen, der dem Angeklagten Markus B. ein Haus im Wert von 350.000 Euro verkauft hat. Die genannten Zeugen beklagen eine Gesamtschadenssumme von über 530.000 Euro. Sie alle haben dem Angeklagten vorbehaltlos vertraut, da Markus B. ihnen schön klingende Geschichten, jedoch vermutlich auch gefälschte Dokumente aufgetischt hat. Insbesondere beeindruckte Markus B. wohl hinsichtlich seiner beruflichen Herkunft als Caterer, da er mit einer Jacke des Formel 1-Teams von Red Bull aufgetreten ist: Da diese im freien Handel nicht zu kaufen ist, schien er wohl Beziehungen zur Formel 1 zu haben, so die ungeprüften Vermutungen der Zeugen.

Hier fühlt man sich an die Geschichte des Soldaten Schweijk erinnert.

Auch ein Freund der Familie von Markus B., Mike W., ein Techniker aus Klipphausen, wurde als Zeuge vernommen. Durch den gemeinsamen Schulbesuch der Söhne der beiden Familien baute sich eine engere Bindung zum Angeklagten Markus B. auf. Man grillte zusammen, besuchte das Freibad gemeinsam und traf sich beim Fußball.

Die Spanngurte, mit denen Anneli R. getötet worden ist, kamen von Mike W. Von all den Umständen und Taten zum Nachteil der Familie R. habe der Zeuge angeblich nichts gewusst. Auch folgende Bemerkung von Markus B., die dieser beim Vorbeifahren am abgesicherten Haus eines reichen Unternehmers aus Grumbach äußerte, kam Mike W. nicht verdächtig vor: „Man müsste den mal entführen.“

Die Staatsanwältin konfrontiert Mike W. nach der Befragung damit, dass er doch näheren Kontakt zu Markus B. und damit Kenntnis seiner Lebenssituation gehabt haben müsse. Dazu weißt der Zeuge jedoch erhebliche Erinnerungslücken auf. Im Nachhinein habe er die große Befürchtung gehabt, dass er irgendwie mit in diese Tat hineingezogen werden könnte.

Nun stellt der Verteidiger von Norbert K. den Antrag, die Zeugenaussage des Polizeidirektors Detlef L., der als verantwortlicher Polizeiführer in den Nachtschichten vom 13. bis zum 16. August 2015 eingesetzt war, inhaltlich überprüfen zu lassen. Der Zeuge, so der Anwalt, habe sich mit anderen Zeugen vor ihm ausgetauscht und auf diese Weise informiert. Insbesondere zweifelt der Verteidiger immer noch die rechtmäßige Festnahme seines Mandanten an, da nicht nachweisbar sei, dass tatsächlich „Gefahr im Verzug“ war. Dies insbesondere deshalb, weil ein dringender Tatverdacht gegen Norbert K. seiner Meinung nach nicht vorlag.

Die Art und die Dauer der Nachfragen von Andrej K., dem Anwalt von Norbert K., nerven den Zeugen offenbar. Das wird deutlich, weil dessen Antworten vehementer und lauter ausfallen. An dieser Stelle wäre ein professionelleres Verhalten des Zeugen, der immerhin Polizeidirektor ist, angezeigt.

Als letzter Zeuge des heutigen Verhandlungstages erscheint der Erste Polizeihauptkommissar (EPHK) Jens N. von der Bereitschaftspolizei des Landes Sachsen. Er ist Einheitsführer einer taktischen Einheit und hatte den Auftrag, den Dreiseitenhof des Hauptangeklagten Markus B. zu durchsuchen. Zwischen der Durchsuchung im Inneren und auf dem Außengelände begab er sich in den Außenbereich, um dort für seine Mannschaft einzelne Suchbereiche einzuteilen. Hier fiel ihm ein frischer Erdhaufen an einer Mauer zwischen zwei Seiten des Hofes auf. Er schob circa zehn Zentimeter Erdreich weg und entdeckte dort die Leiche von Anneli.

Mit dieser Aussage endet der heutige Verhandlungstag um 15:01 Uhr. Die Verhandlung wird am 18. August 2016 fortgesetzt.

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

Achter Verhandlungstag

Der achte Verhandlungstag beginnt 9:07 Uhr, es sind zwei Kamerateams vor Ort, etwa zehn weitere Journalisten, zwei Fotografen sowie rund 30 Zuschauer.

Die drei Zeugen des Vormittags sind Polizeibeamte der Polizeidirektion Dresden, die der SOKO Marie angehörten. Sie waren insbesondere mit der Auswertung der Verbindungsdaten der jeweiligen Telefonanschlüsse beschäftigt und darüber hinaus mit der Recherche der persönlichen Verhältnisse und Finanzen der Angeklagten betraut.

Bei den Familienverhältnissen ging es auch um die Vita der Angeklagten und Informationen über deren Familie und Freunde. Hierbei wurde festgestellt, dass der Angeklagte Markus B. ein Prepaid-Handy auf den Namen Helmut Meyer in seinem Eigentum hatte und mit diesem auch zum Tatgeschehen telefonierte. Im Rahmen eines früheren Verhandlungstages wurde bereits über ein Telefonat zwischen den beiden Angeklagten berichtet. Bei diesem Telefonat unterhielten sich die beiden über die Entführung so, als ob sie es als unbeteiligte Dritte betrachten würden. Eine Zeugin teilt mit, dass sie sich sehr zynisch und sarkastisch über die Entführung unterhalten hätten und dass genau dieses Verhalten sie bei der Polizei äußerst verdächtig gemacht habe. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass am 11. August bereits der erste Versuch einer Entführung der Anneli R. stattgefunden hat.

Es ist durchaus ‚üblich‘, dass es bei Entführungsfällen mehrere Versuche oder Generalproben seitens der Täter gibt.

Bei der Überprüfung der Festplatten wurde festgestellt, dass sich Markus B. in den letzten Wochen vor der Tat insbesondere mit den folgenden Themen beschäftigte: Betäubungsmittel, Entführung, Auslandskonto, Anneli R., Ramona R., Ersticken, Ersticken durch Plastiktüte, Äther-Betäubung, Polizei Dresden, Rattengift, Nachrichten MDR.  Ebenfalls gab es am 27. Juli einen Anrufversuch bei Ramona R. Am gleichen Tag wurde die Facebook-Seite von Uwe R. durch den Angeklagten Markus B. gelikt. Außerdem schickte Markus B. am 27. Juli ein Foto an seine Mutter, auf dem ein Reh und im Hintergrund das Hausdach der Familie R. zu sehen ist.

Darüber hinaus wurde eine Polizeipanne der Verhandlungsgruppe durch die TKÜ bekannt: Am 14. August wurde Uwe R. auf seinem Handy von Markus B. angerufen. Dieses Handy war zur Verhandlungsgruppe des LKA umgeleitet – allerdings wurde dieser Anruf nicht entgegengenommen. Warum, konnte nicht ermittelt werden.

Bei der Befragung wurden insbesondere bei vielen Zeugen zunächst Fragen des Angeklagten Norbert K. durch den Anwalt K. gestellt, die die Zeugen zuständigkeitshalber nicht beantworten konnten. Eine natürliche Reaktion des Menschen ist es, sich in die Defensive gedrängt zu fühlen. Nach zwei bis drei Fragen dieser Kategorie stellt der Anwalt dann eine Frage, die ihn wirklich interessiert und die von den Zeugen auch beantwortet werden kann. Da der jeweilige Zeuge dann froh darüber ist, eine Antwort geben zu können, beantwortet er diese Fragen dann intensiver als es eigentlich notwendig oder gewollt war. Dadurch erfährt der Anwalt mehr, als wenn er die Frage direkt am Anfang gestellt hätte.

Zu den persönlichen Verhältnissen und Finanzen des Angeklagten Norbert K.: Er hatte drei Gewerbe angemeldet – eines für Finanzen und Versicherungen, eines als Handelsvertreter und das Dritte zum Themenbereich Edelmetalle. Insgesamt hatte er Schulden von circa 40.000 Euro. In den Jahren vor der Tat hat er Leistungen von der Arbeitsagentur erhalten, die inklusive Mietzuschuss monatlich 801 Euro ausmachten. Der Angeklagte Norbert K. wurde dreimal geschieden, hat drei Geschwister und eine Ausbildung zum Floristen abgeschlossen.

Bei dem Angeklagten Markus B. war die Recherche komplizierter, da es sehr viele falsche Angaben gab. Diese falschen Angaben wurden insbesondere durch Markus B. selbst gemacht. Er habe sowohl eine Ausbildung zum Fleischer wie auch zum Dachdecker gemacht, diese aber beide nicht abgeschlossen. Anfang der 2000er Jahre war er für ein Jahr wegen Betruges in der JVA Stuttgart. Ab 2005 hatte er ein Gewerbe als Koch, Caterer und Eventmanager angemeldet. Zwischen 2009 und 2012 musste er keine Steuererklärung beim Finanzamt abgeben, weil er mitteilte, dass er in der JVA Stammheim eingesessen habe. Dies entsprach nicht den Tatsachen, wurde aber seitens des Finanzamtes nicht überprüft. Dem Arbeitsamt gegenüber machte Markus B. glaubhaft, dass er einen Abschluss als Bachelor of Arts gemacht habe. Daraufhin wurde er in die Qualitätsstufe 1 eingestuft und bekam so den höchsten Satz von Euro 1.300 Euro. Seine Schulden betrugen 571.000 Euro, die auf folgende Ausgaben zurückzuführen sind:  Hauskauf über 350.000 Euro, Gartengestaltung 77.000 Euro, Malerarbeiten 10.000 Euro, neue Küche 24.000 Euro sowie Maklerkosten in Höhe von 11.000 Euro. Markus B. wurde 1976 geboren, war verheiratet, hatte zwei Kinder und die Mittlere Reife. Alle weiteren Angaben seines Lebenslaufes waren falsch. Er erzählte, dass er dem Rocker Club MC Gremium angehört habe und wegen Zuhälterei und illegalen Waffenbesitzes zehn Jahre im Gefängnis gewesen habe. Auch diese Story ist gelogen.

Als letzte Zeugin vor der Pause erscheint Frau Katrin K., die dritte geschiedene Frau von Norbert K. Die 55-jährige Lehrerin aus Dresden verweigert jedoch die Aussage.

Nach der Mittagspause erstattet der sachverständige Rechtsmediziner Dr. Schmidt sein Gutachten zur Obduktion der Leiche von Anneli R.

Die Eltern von Anneli sind nun nicht mehr im Saal, und der Zeuge spricht auch die Schwester Annett R. an, ob sie weiter anwesend sein möchte, was diese bejaht. Diese zweieinhalb Stunden andauernde Zeugenaussage über jedes Detail möchte ich hier den Lesern ersparen und aus Respekt vor der Familie nicht detailliert darlegen. Eine genaue Wiedergabe des Sektionsprotokolls und weitere Angaben halte ich nicht für angebracht.

Ich höre nicht zum ersten Mal einen Obduktionsbericht. Dieser hier ist allerdings sehr, sehr schwer zu ertragen. Wie die Schwester von Anneli R. das alles so verkraften kann, kann ich mir kaum erklären.

Zum Ende des Verhandlungstages gibt das Gericht bekannt, dass alle weiteren Zeugen des Prozesses bis zum 18. August vernommen werden und die Beweisaufnahme durch das Gericht dann geschlossen werden soll. Falls die Parteien noch weitere Zeugen hören wollten, so sollen sie diese zeitnah benennen.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

Siebter Verhandlungstag

Dieser Verhandlungstag am 18. Juli 2016 beginnt um 9:42 Uhr, nachdem wieder alle bekannten Parteien eingetroffen sind. Auch die Medien sind erneut vertreten, diesmal mit einem Kamerateam, vier Fotografen und circa 20 Journalisten. Des Weiteren sind über 30 Zuschauer im Saal.

Allerdings beginnt die Verhandlung heute später, da es zu Überschneidungen mit einem anderen Prozess und Terminverschiebungen gekommen ist. Hinzu kam die Krankmeldung einer Zeugin, sodass der erste Zeuge, Kriminalhauptkommissar M., schließlich gegen 11:30 Uhr gehört werden kann.

Die bis dahin verfügbare Zeit wird durch das Gericht zunächst dafür verwendet, mitzuteilen, dass sich der Stiefbruder des Täters Markus B. bei der Polizei gemeldet hat. Er habe von Markus B. ständig SMS aus der JVA erhalten. Die Polizei hat daraufhin sofort veranlasst, eine Durchsuchung der Zelle durchzuführen, wobei das entsprechende Handy gefunden wurde. Zudem hat der Stiefbruder mitgeteilt, dass es eine Silke B. gebe, die zu den Zuständen der Familie Markus B. aussagen könne. Er selbst könne über die Familie jedoch nur berichten, dass diese untereinander zerstritten sei. Der Stiefbruder wird in den kommenden Verhandlungstagen als Zeuge gehört werden.

Darüber hinaus, so das Gericht, werde auch eine Sandra K. als Zeugin in den Gerichtssaal kommen, denn sie habe am 14. August 2015 per E-Mail oder SMS mit dem Angeklagten Markus B. in Kontakt gestanden, dies jedoch zu diesem Zeitpunkt zum letzten Mal.

Als der Angeklagte Markus B. seinen Aktenordner hochhebt, kann man seine Hände sehen. An beiden Händen sind die Fingerkuppen mit Heftpflastern umklebt.

Antrag auf Erweiterung der Anklage gegen Norbert K.

Bevor das Gericht nun in die Pause bis zum nächsten Zeugen gehen kann, stellt der Nebenkläger-Anwalt von Uwe und Ramona R. noch einen Antrag und fordert, dem Angeklagten Norbert K. einen rechtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen. Diese soll sich auf die Erweiterung der Anklage beziehen, da Norbert K. auch des Mordes durch Unterlassen angeklagt werden kann. Das habe die bisherige Beweisaufnahme ergeben. Norbert K. habe die Mordtat mit angesehen sei nicht eingeschritten, sondern habe die Scheune verlassen. Seine Aussage habe Inhalte von Täterwissen gezeigt. Dieses habe Norbert K. nur durch mindestens teilweise Teilnahme erlangen können.

Nun wird in Anwesenheit der Familie R. die Tötungshandlung erneut detailliert beschrieben. Der Verteidiger von Norbert K. ist nicht begeistert und verzieht sorgenvoll sein Gesicht, er verschränkt die Arme, die Augen schärfen sich und die Lippen werden schmal. Tiefe Sorgenfurchen durchziehen seine Stirn. Der Angeklagte Norbert K. hingegen schüttelt hin und wieder den Kopf. Es gibt die starke Befürchtung, dass der Verteidiger von Norbert K. auf diesen Antrag ebenfalls mit einem Antrag reagieren wird. Das wäre das bisher bekannte typische Reaktionsverhalten.

Der Nebenkläger-Anwalt führt weiter aus, dass der Angeklagte Norbert K. versucht habe, seine Tatbeteiligung zu verdecken und Spuren zu vermeiden. Des Weiteren habe er Markus B. den entscheidenden Hinweis gegeben, dass das Opfer ihn möglicherweise identifizieren könne, da Markus B. bei der Tatausführung seine Maske vergessen hatte. Diese Umstände sprechen deutlich für eine hohe kriminelle Energie von Norbert K.

3-D-Präsentation des Tat- und Auffindeorts

Zwischenzeitlich ist es 11:36 Uhr und an der Zeit, Kriminalhauptkommissar Peter M. (57) vom LKA Sachsen als Zeugen zu hören. Er hatte am 17. August 2015 Bereitschaftsdienst und wurde um 17:21 Uhr angerufen. Er begab sich zum Auffindeort der Leiche; vor Ort waren weitere Kollegen der Polizeidirektion Dresden. Man hat den Fundort mit einem Laserscanner aufgenommen, sodass dem Gericht und den Parteien nun eine 3-D-Simulation von Tatort und Auffindeort gezeigt werden kann.

Die Eltern verlassen den Saal, die Schwester bleibt trotz Ansprache durch die Vorsitzende Richterin im Raum. Man merkt ihr an, wie sie zu kämpfen hat. Der Angeklagte Markus B. betrachtet die Bilder sehr interessiert. Der Angeklagte Norbert K. schaut inhaltslos geradeaus, sieht sich die Bilder nicht einmal flüchtig an.

Der Fundort befand sich auf einem Dreiseitenhof zwischen Stall und Scheune. Beide Gebäude sind mit einer kurzen Mauer verbunden, hinter der die Leiche von Anneli R., außerhalb des Dreiseitenhofs, vergraben wurde.

Zu all dem wird nun unter anderem auch ein Bild der Leiche gezeigt – ein Moment, der auch für die Zuschauer nur schwer zu ertragen ist. Detailliertere Bilder werden jedoch am Richtertisch in Augenschein genommen und somit der Öffentlichkeit vorenthalten. Es sind nur noch die mündlichen Erklärungen des Zeugen zu den einzelnen Bildern zu hören. Norbert K. verharrt in seiner Körperhaltung. Marcus B. bespricht sich angeregt mit seinen Anwälten und schaut sich die Bilder auf dem Laptop seines Anwalts an.

Auf den Bildern, die in der Scheune erstellt worden sind, sieht man einen grünen Kunststoffstuhl auf dem Anneli R. gefesselt worden war, des Weiteren sind Kabelbinder, Spanngurte und graues Klebeband zu sehen. Im Außenbereich befinden sich sowohl eine Feuerstelle als auch eine Metalltonne (Ölfass). Hier wie da finden sich Brandrückstände, unter anderem von Kabelbindern und einem BH-Bügel. Um 12:55 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Nach der Mittagspause wird eine weitere Zeugin, die Kriminalhauptkommissarin Katrin S. von der Polizeidirektion Dresden, gehört. Sie war in dem Fall von Anfang an dabei und im Führungsstab tätig. Unter anderem wurde sie bei der Leichenbergung eingesetzt. Ihre Zeugenaussage beinhaltet den gesamten Verlauf des Auffindens, der Freilegung, der Bergung und des Abtransports der Leiche von Anneli R. durch ein Bestattungsunternehmen. Man merkt der Beamtin an, dass ihr das Sprechen sehr schwer fällt. Sie teilt mit, dass die Leiche durch einen aufmerksamen Polizeibeamten der Bereitschaftspolizei bei der Gesamtdurchsuchung des Dreiseitenhofs und der weiteren Umgebung gefunden worden sei. Den genauen Fundort hatte der Angeklagte Norbert K. allerdings parallel in seiner Aussage mitgeteilt.

Gegenantrag von Norbert K.

Nach der Kriminalhauptkommissarin kommt das Unausweichliche und Erwartete: Der Verteidiger von Norbert K. meldet sich bei Gericht zur Abgabe eines Antrages. Auch verlangt er, seinem Mandanten einen rechtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen, nachdem ihm ausschließlich mitgeteilt wird, dass er nur zur Beihilfe eines erpresserischen Menschenraubes angeklagt werden könne. Eine Beteiligung von Norbert K. an der Entführung und Ermordung von Anneli R. sei nicht gegeben. Er habe ausschließlich und nachweisbar nur am Transport von Anneli R. vom Entführungsort bis zum Verwahrort mitgewirkt. Alles andere sei das Werk von Markus B. gewesen. Norbert K. habe weder töten noch entführen wollen. Ebenso habe er kein Lösegeld gewollt.

Dieser Antrag war vorherzusehen. Natürlich ist dem Anwalt von Norbert K. nicht entgangen, wie hoch der Anteil von Norbert K. an der Tatbeteiligung ist. Das lässt er in seinem Antrag natürlich außen vor. Ein nachvollziehbares Verhalten, denn seine Aufgabe ist es, seinen Mandanten bestmöglich zu vertreten. Daher kann er eine Nebelbombe nach der anderen werfen. Sein Hauptinteresse wird sein, beim Gericht Zweifel an der Schuld seines Mandanten zu säen.

Nach dem Antrag endet der Verhandlungstag um 14:23 Uhr.

Bildquelle: Karl-Heinz Laube / pixelio.de

Reker-Prozess: Zwölfter Verhandlungstag | Das Urteil: 14 Jahre Haft

Der zwölfte und letzte Verhandlungstag findet am 1. Juli 2016 statt. Beginn ist um 14:00 Uhr. Heute wird ausschließlich das Urteil bekannt gegeben, daher sind fünf TV-Teams, zehn Fotografen und über fünfzig Journalisten bei Gericht.

Am Anfang gibt die Vorsitzende bekannt, dass der Beschuldigte Frank S. zu 14 Jahren Haftstrafe wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird. Danach erklärt sie außerdem, dass es bei diesem Prozess keinerlei Versuche politischer Einflussnahme gegeben hat. Hintergrund der Erklärung: Der Prozess wurde beim Staatsschutzsenat verhandelt, weil der Täter eine politische Motivation angegeben hat und durch sein Attentat auf eine politische Mandatsträgerin eine politische Willensbeeinflussung herbeiführen wollte. Aufgrund dessen musste eine Gefährdung der Inneren Sicherheit in Betracht gezogen werden.

Wie ich bereits nach dem sechsten Verhandlungstag feststellte, macht diese Tatmotivation deutlich, dass Frank S. dem Täter-Typ „Terrorist“ entspricht.

Die Vorsitzende Richterin schildet nun, die vorgenommene rechtliche Beurteilung habe zum einen ergeben, dass mit der Haupttat von Frank S. ein Mordversuch vorlag. Zum anderen war zu prüfen, ob die Gesamtheit seiner Taten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führen müsse.

Reker-Prozess: Zwölfter Verhandlungstag | Das Urteil: 14 Jahre Haft

Der Täter und sein Vortat-Verhalten

Danach werden nochmals die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten detailliert geschildert. Es wird auf seine Kindheit, seinen beruflichen Werdegang, seine Zeit bei der Bundeswehr sowie seine Wohnsituation und sein Freizeitverhalten eingegangen. Zum Thema Persönlichkeitsstörung wird erneut festgestellt, dass diese als schwerwiegend einzuschätzen sei. Es liege eine paranoide und narzisstische Störungen vor. Frank S. sei immer angespannt, misstrauisch und rechthaberisch.

Bezüglich des Vortat-Verhaltens und der Tatausführung erklärt die Vorsitzende Richterin, Frank S. habe über die lange Zeit von zwei Jahren vor der Tat im Internet viel über das Thema Flüchtlinge gelesen. Dies habe Frank S. auf die Idee gebracht, auf Henriette Reker, als politische Symbolfigur im Wahlkampf, ein Attentat zu verüben. Der konkrete Entschluss zur Durchführung sei spätestens am Vortag der Tat entstanden. Frank S. habe Henriette Reker töten wollen und hierfür gezielt den 17. Oktober 2015, den Tag vor der Wahl, ausgesucht. Am 16. Oktober habe sich der Täter im Internet nochmals über die Wahlkampftermine der Bürgermeisterkandidatin informiert.

Er habe keinen Fluchtplan gehabt und gewusst, dass er nicht in seine Wohnung zurückkehren würde. Deshalb habe er seinem Vermieter den Zweitschlüssel zur Wohnung auf den Tisch gelegt, die Festplatte seines Computers entsorgt und zur Renovierung der Wohnung einen großen Eimer Farbe bereitgestellt.

Die Tatwaffe war ein sogenanntes Bowie- oder Rambomesser mit einer Gesamtlänge von 46 Zentimetern. Die Messerklinge war 30 Zentimeter lang bei einer Breite von 6 Zentimetern. Er habe getestet, wie er das Messer in einer Lederscheide am rechten Bein befestigen könnte und außerdem das schnelle Ziehen des Messers trainiert.

Am Morgen des 17. Oktober habe er noch drei Bier à 0,5 Liter getrunken, um seine Hemmungen loszuwerden. Er habe einen Overall angezogen und darüber ein schwarzes Kapuzenshirt. Danach habe er sich mit der Bahn zum Tatort begeben, Aachener Straße Nummer 456.

Der Tötungsvorsatz sei alleine durch die Wahl des großen Rambomessers belegt. Er sei auch dadurch deutlich geworden, dass er einen gezielten Stich in den Hals von Henriette Reker ausführte. Dieser Stich durchstach die Luftröhre vorn und hinten und traf mit der Spitze des Messers auf den zweiten Brustwirbelkörper. Der Stich war so heftig, dass an diesem Wirbelkörper kleine Knochenteile abgesprengt wurden.

Es wurden außerdem noch zwei weitere Wahlkampfhelfer mit dem Rambomesser verletzt. In diesen Fällen habe der Senat jedoch keine Tötungsabsicht feststellen können. Zwei andere Wahlkampfhelfer wurden von Frank S. durch sein zweites mitgebrachtes Messer, ein Butterflymesser, ebenfalls schwer verletzt.

Sein Ziel, dass Henriette Reker nicht Oberbürgermeisterin der Stadt Köln wird, hat er durch die Tat nicht erreicht. Teilweise hat Frank S. zum objektiven Tatgeschehen ein Geständnis abgegeben.

Frank S. schüttelt zwischendurch immer wieder mal den Kopf, insbesondere bei dem Vorhalt, das Bowiemesser auch bei anderen Menschen benutzt zu haben, und auch bezüglich seiner Einlassung zur Tötungsabsicht gegenüber der Polizei.

Bewertung der Taten

Eine verminderte Schuldfähigkeit könne Frank S. keinesfalls zuerkannt werden. Er habe zwar eine Persönlichkeitsstörung, diese beeinträchtige jedoch nicht seine Fähigkeit zur Einsicht von Unrecht.

Die Tat werde rechtlich als versuchter Mord gemäß § 211 StGB eingestuft. Sie sei heimtückisch gewesen, aber es lägen keine niedrigen Beweggründe vor, insbesondere deshalb, weil Frank S. nicht aus egoistischen Gründen wie Mordlust oder Habgier gehandelt habe. Betreffend des Opfers Henriette Reker sei das Motiv dadurch entstanden, dass sie die Repräsentantin der Flüchtlingspolitik in Köln war und, weil sie seiner Meinung nach vorgetäuscht hat, parteilos zu sein. Beeinflusst worden seien seine Gedanken durch seine Internetrecherchen und die nicht vorhandenen Sozialkontakte. Einen Rücktritt vom Versuch könne Frank S. ebenfalls nicht nachweisen, insofern habe er rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

Bei den Taten zum Nachteil der anderen Verletzten liege eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB vor. Bei der Strafzumessung bezüglich des versuchten Mordes werde die Gefährlichkeit des Vorgehens (Einsatz des großen Rambomessers), die hohe kriminelle Energie (Planung und Vortat-Verhalten) sowie die Nähe der Vollendung (Lebensgefährlichkeit der Verletzung) in die Bewertung einbezogen.

Daraus ergebe sich folgende kumulierte Haftstrafe: für den versuchten Mord an Henriette Reker zwölf Jahre, für die gefährliche Körperverletzung an der Gruppe von Wahlkampfhelfern fünf Jahre und für die gefährliche Körperverletzung bei der Wahlkampfhelferin B. drei Jahre. Schlussendlich erhält Frank S. die Gesamtstrafe von 14 Jahren Haft.

Hiernach teilt das Gericht noch den Beschluss mit, dass die U-Haft zunächst fortdauert. Der verurteilte Frank S. wird des Weiteren zum Thema Revision belehrt, woraufhin er sofort bekanntgibt, dass er auf jeden Fall in das Revisionsverfahren einsteigen wird, dann jedoch mit einem „richtigen“ Anwalt.

Der letzte Prozesstag wird um 15:26 Uhr geschlossen.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

Sechster Verhandlungstag | Erneute Schilderung des Grauenhaften

Der heutige sechste Verhandlungstag beginnt um 9:10 Uhr. Neben zehn Zuhörern sind sechs Pressevertreter, ein Kamerateam sowie vier Fotografen anwesend.

Zu Beginn gibt die Vorsitzende Richterin die heutige Abwesenheit von Professor G. bekannt, der als Gutachter den Prozess begleitet. Anschließend gibt der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung ab.

Hierbei bezieht er sich auf die gestrige Zeugenaussage der Kriminalhauptmeisterin W. und bemängelt, diverse Zeiten in den Protokollen würden nicht stimmen bzw. seien nachträglich verändert worden. So beispielsweise die durch Kriminalhauptmeisterin W. eingeräumte Änderung des Vernehmungsprotokolls. Die Beamtin hatte das Protokoll erst lange nach der Vernehmung geprüft und verändert. Sie begründete dies damit, dass es Fehler in der Mitschrift gegeben habe, die ihr unlogisch erschienen und die sie deshalb habe ändern wollen. Außerdem geht es dem Verteidiger in seiner Erklärung um die seines Erachtens fehlende Grundlage der vorläufigen Festnahme des Norbert K. bzw. um die fehlende Dokumentation der Grundlage. Gefahr im Verzug habe seiner Ansicht nach nicht vorgelegen. Auch die Fortführung der Vernehmung sei einer rechtswidrigen Beugehaft nahe gekommen. Sein Mandant hätte vorher einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Dass die Gründe für die Fortführung nur auf dem Gefühl der Kriminalhauptmeisterin W. beruhten, Norbert K. „kippe gleich“, reiche nicht aus.

Maskenmann-Prozess

Während der Erklärung gibt es diverse „Kopfschüttler“ bei den Prozessbeteiligten.

Zeugenbefragungen

Um 9:20 Uhr wird der erste Zeuge aufgerufen. Wolfgang H. war der Nachbar des Angeklagten Markus B. Der einzig tatrelevante Fakt der Befragung ist, dass Wolfgang H. Markus B. am 14. August 2015 sehr früh auf dem Grundstück gesehen hatte, was wohl sehr ungewöhnlich war.

Um 9:52 Uhr wird der Polizeihauptmeister S. in den Zeugenstand gerufen. Dieser war am Tag der Entführung der diensthabende Kriminaltechniker und als solcher als erster Ermittler am Auffindeort des Fahrrades. Polizeihauptmeister S. lässt sich bei seiner Aussage klar und allumfassend ein. Fragen beantwortet er gewissenhaft und ohne zu zögern. Inhaltlich wird das meiste am Richtertisch, bei der Inaugenscheinnahme der Fotomappe erörtert.

Um 10:55 Uhr wird Dr. L. als Zeuge belehrt und befragt. Dr. L. sitzt dem Prozess auch als Gutachter bei, soll aber jetzt nicht als Gutachter, sondern als Zeuge zur Einlassung des Angeklagten Norbert K. anlässlich der Erstellung des psychologischen Gutachtens aussagen. Dr. L. interviewte Norbert K. für dieses Gutachten am 28. November 2015; namentlich hat Norbert K. seinen Kumpel Markus B. – den zweiten Angeklagten – nicht erwähnt. Er sprach immer von „dem Typen“ oder „der“.

Die dann folgenden Passagen des Interviews stellen wieder alle Zuhörer auf eine harte Probe, für mich unvorstellbar, wie schwer dies für die anwesende Familie des Opfers sein muss.

Zeugenbericht des Gutachters von Norbert K.

Dr. L. berichtet weiter, dass die beiden Angeklagten sich 2012 kennenlernten. Norbert K. sei bei einem Autodiscounter angestellt gewesen und Markus B. dort Kunde. Beide seien sauer auf den Geschäftsführer gewesen, Norbert K. wegen ausstehender Lohnzahlungen, Markus B. wegen einer falschen Reparatur. So sei man sich nähergekommen. Norbert K. habe es als lockeren Kontakt beschrieben, eine enge Freundschaft sei es nicht gewesen. Im Jahr 2014 sei der Kontakt enger geworden, weil Norbert K. Markus B. chauffierte. Markus B. sei wegen der Krebsmedikamente fahruntüchtig gewesen.

Circa eine Woche vor der Entführung habe Markus B. Norbert K. erzählt, dass er eine Millionärsfamilie kenne, in der sowohl der Mann als auch die Frau Millionäre seien und er wisse, wo die Tochter immer mit dem Hund lang gehe. Diese solle man entführen. Norbert K. soll hierauf gesagt haben „da mache ich nicht mit“. Zwei Tage vor der Entführung habe Norbert K. wieder Fahrdienste geleistet, wobei Markus B. ihn in den Feldweg (späterer Tatort) und zum Haus der Familie gelotst habe. Wieder will K. abgelehnt haben. Auch am Tattag habe Markus B. einen Vorwand erfunden und sich von Norbert K. fahren lassen.

Erneut sei Norbert K. in den Weg gelotst worden und ihm sei klar gewesen, dass es dann passieren sollte. Auch zu diesem Zeitpunkt will er mehrfach gesagt haben, er mache nicht mit. Als er das Opfer sah, habe er abhauen wollen, habe dies dann doch nicht getan und sei im Auto sitzengeblieben. Markus B. soll Anneli R. alleine überwältigt und mit Kabelbindern an den Händen gefesselt haben. Anneli R. habe nicht geschrien. Zuerst habe Markus B. Anneli R. in den Kofferraum gelegt, sie habe sich dann aber selber auf die Rückbank gesetzt. Norbert K. sei gefahren, während Markus B. ihm die Richtung gewiesen habe.

Es sei zu einem ersten Halt gekommen, bei dem Markus B. vom Handy des Opfers den Vater angerufen habe. Hierfür sei Markus B. aus dem Fahrzeug ausgestiegen, aber zurückgekommen, um Anneli R. anzuweisen, einen Laut von sich zu geben. Bei der Weiterfahrt habe Markus B. das Handy in eine Talsperre geworfen. Anschließend seien sie im Zickzack zum Hof von Markus B. gefahren, wobei es vor Erreichen einen weiteren Halt gegeben habe und Anneli R. in den Kofferraum habe steigen müssen.

Norbert K. habe angegeben, er habe nicht fassen können, was passiert und völlig neben sich gestanden. Nach Ankunft sei Anneli R. in der Scheune auf einem Gartenstuhl gefesselt worden. Norbert K. sei dann nach Hause gefahren. Er habe überlegt, die Polizei anzurufen, es aber nicht getan. Um 2:30 Uhr habe ihn Markus B. angerufen, er solle sofort kommen, Markus B. schaffe das alles nicht alleine. Erneut habe sich Norbert K. überreden lassen. Als er auf dem Hof auf einen gesunden Markus B. getroffen sei, habe er wieder fahren wollen. Markus B. habe ihm noch gesagt, „das Mädel“ mache Probleme und sei wieder im Kofferraum. Norbert K. will nur 15 Minuten da gewesen sein. Am nächsten Morgen sei er abermals nach einem Anruf von Markus B. hingefahren und um 10:00 Uhr angekommen. Anneli R. sei noch im Kofferraum gewesen. Gegen 11:00 Uhr habe Markus B. weggemusst und Norbert K. habe auf die nun wieder am Gartenstuhl gefesselte Anneli R. aufpassen sollen. Das habe Norbert K. nicht gewollt, es aber trotzdem getan. Als Markus B. um 12:00 Uhr zurückgekommen sei, habe er Anneli R. gesagt, das alles gut werde und ihr Vater zahlen werde. Er müsse sie allerdings bewusstlos vor der Übergabe machen, dies sei mit dem Vater so abgesprochen. Anneli R. soll dem zugestimmt haben. Allerdings ging der Versuch mit dem Äther schief, weil Anneli R. sich gewehrt habe. Daraufhin soll Markus B. dem Opfer vorgeschlagen haben, es mit einer Plastiktüte zu versuchen, aber auch das habe nicht geklappt. Danach soll Markus B. Norbert K. zum Einkaufen geschickt haben. Als er 40 Minuten später zurückgekommen sei, habe das tote Mädchen nackt auf dem Boden gelegen.

Norbert K. habe das alles nicht verstanden, worauf Markus B. gesagt habe, der Vater zahle nicht. Die Sachen habe Markus B. in einer Tonne verbrannt. Auch dann habe sich Norbert K. von Markus B. überreden lassen, ihm bei der Verbringung des Leichnams in die Grube zu helfen. Zugeschüttet haben soll diese Markus B. alleine, Norbert K. sei nach Hause gefahren. Er habe das alles jedoch alleine nicht verarbeiten können.

Die Entführung habe am 13. August 2015 stattgefunden und am 14. August 2015 will er gegen 12:45 Uhr die tote Anneli gesehen haben. Am 15. August 2015 sei Norbert K. trotz allem wieder zum Grundstück gefahren, um sich um den Hund zu kümmern. Es sei ihm alles wie im Film vorgekommen und er habe immer wieder an der Ablagestelle nachsehen müssen. Markus B. sei auch vor Ort gewesen und habe den Hof mit Makler und Kaufinteressenten begangen.

Auch am 16. August 2015 habe sich Norbert K. wieder um den Hund gekümmert. Am 17. August 2015 sei er dann gegen 4:00 Uhr festgenommen worden. Er habe sich nicht erklären können, warum er nicht eingeschritten sei. Des Weiteren habe er weder etwas mit der Konzeption der Entführung noch mit der Erpressung oder der Tötung zu tun gehabt.

Dr. L. stellte hiernach fest, dass es sich bei der Befragung nicht um eine Ermittlungsmaßnahme gehandelt habe, sondern um ein Interview im Rahmen der Schuldfähigkeitsbegutachtung. Im Wesentlichen habe Norbert K. die Angaben ausführlich und ruhig gemacht, ohne dass der Eindruck entstanden sei, er rede nach einem vorgefertigten Konzept. Norbert K. sei in einer bilanzierenden Verfassung gewesen. Die Aussage von Dr. L. dauert bis 11:30 Uhr, womit der Prozesstag endet.

Bildquelle: Lutz Stallknecht / pixelio.de

Fünfter Verhandlungstag | Ehefrau des Mörders gibt Einblicke in dessen Persönlichkeit

Der heutige Prozesstag (23. Juni) beginnt um 9:10 Uhr. Anwesend sind zwei Kamerateams, zehn Journalisten, fünf Fotografen und 22 Zuhörer. Es wird wie immer beim Zugang des Gerichtssaals überprüft, ob mitgebrachte Mobiltelefone ausgeschaltet sind.

Zu Beginn überreicht die Oberstaatsanwältin ein Gutachten des LKA Sachsen. Danach kündigt die Vorsitzende Richterin an, dass im Zuge der Prozesspause verschiedene Akten im Rahmen des Selbstleseverfahrens übergeben werden. Die genauen Akten wird sie am Ende des Prozesstages benennen. Nun will die Richterin den ersten Zeugen aufrufen, doch bevor dies geschieht, bittet der Vater der Getöteten um die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu verlesen.

Der Vater bezieht darin auf den gestrigen 18. Geburtstag seiner Tochter. Er spricht die vermeintlichen Täter direkt an, nennt ihren Auftritt feige und erbärmlich. „Stehen Sie zu Ihrer Tat“, fordert er Norbert K. und Markus B. auf. Auf die Anmerkung der Richterin „Ich nehme an, Sie wollen dazu nichts sagen“, schweigen die Angeklagten.

Anschließend ruft die Richterin den ersten Zeugen, Christoph A., auf. Christoph A. war einen Tag nach der Entführung auf dem Dreiseitenhof, den Markus B. verkaufen wollte, um sich denselben als Interessent anzuschauen. Vor Ort waren ein Makler, vier weitere Parteien und die Täter. Der Dreiseitenhof war damals auf 230.000 Euro taxiert worden.

Erhellendes zu Norbert K. sowie Markus B. kann der Zeuge nicht beitragen. Interessanterweise wird jedoch nicht erwähnt, dass nicht Markus B. Eigentümer des Hofs war, sondern die Schwiegermutter. Darüber hinaus kann Christoph A. – selbst auf Nachfragen der Prozessbeteiligten – keinerlei Angaben dazu machen, ob ihm der Zugang zu verschiedenen Bereichen des Hofs verweigert wurde. Auch zum Verhältnis der beiden Angeklagten untereinander kann er keinen Beitrag leisten.

Noch-Ehefrau über den Lügner und Mörder Markus B.

Die nun aufgerufene Zeugin ist die Noch-Ehefrau des Angeklagten Markus B., Anne B. Sie ist 33 Jahre alt und nur deshalb noch mit dem Ehemann verheiratet, da eine eingereichte Härtefall-Scheidung aufgrund des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten nicht anerkannt wurde.

Die Zeugin und der Angeklagte haben sich 2004 in Heidelberg kennengelernt und kurz darauf ihre Rückkehr nach Sachsen beschlossen. 2006 kam das erste gemeinsame Kind zur Welt, 2007 folgte das zweite. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt als Koch tätig, ging dann in die Selbstständigkeit und hatte anschließend diverse verschiedene Jobs.

Der Angeklagte habe damals Lügenmärchen erzählt. Er sei, so Markus B., studierter Diplom-Gastronom, habe keinen Kontakt zu seiner Familie, aber fünf Geschwister, die die Ehefrau jedoch nie kennenlernte. Sein Vater sei Großunternehmer und die Mutter Hausfrau. Der Vater wiederum sei sehr vermögend und hätte für alle seine Kinder ein Konto angelegt mit einem Vermögen von jeweils einer Million Euro. Das Vermögen würde nach dem Tod des Vaters zugeteilt. Der Vater sei angeblich 2007 oder 2008 verstorben, doch beide Eheleute waren nicht bei der Beerdigung. Die Legende über die Auszahlung des väterlichen Vermögens sei nur im Hinblick darauf korrigiert worden, dass das Erbe erst zugeteilt würde, wenn auch die Mutter verstorben sei. Zudem habe der Angeklagte seiner Ehefrau erzählt, er sei vier Jahre wegen eines kleineren Betrugs im Gefängnis gewesen und er wolle mit ihr ein neues Leben anfangen. Mit dem noch nicht zugeteilten Vermögen seines Vaters seien verschiedene Häuser in der Planung gewesen. Diese Häuser seien mit diversen Hausbau-Unternehmen sogar bereits geplant worden, und es habe schon von ihm unterzeichnete Verträge gegeben.

Generell sei es in der Ehe klar geregelt gewesen, dass er sich um alle Finanzen kümmere. So habe sie keinerlei Überblick über Finanzen, Versicherungen, Lohn oder Steuer gehabt. Diese Dinge habe sich der Angeklagte Markus B. zu Eigen gemacht und ihr außerdem verboten, die Post, die an ihn gerichtet war, zu öffnen.

Im September 2014 habe sie eine neue Anstellung in Erlangen in Bayern angenommen. Von da an habe die Familie eine Wochenendbeziehung geführt. Die Kinder seien vorerst bei ihrem Vater gewesen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt das Familieneinkommen verdient, zumal er an Hautkrebs erkrankt sei. Man sei sich schnell einig geworden, in Erlangen eine gemeinsame Bleibe zu suchen. Die Suche nach der Immobilie habe der Angeklagte übernommen. Letztendlich habe man sich für eine Immobilie im Wert von 350.000 Euro entschieden. Hinzu sollten Kosten für Umbau, Renovierung und Küche kommen. Insgesamt habe der Angeklagte hierfür nach Aussage der Zeugin, seiner Ehefrau, 800.000 Euro eingerechnet. Sämtliche Aufträge für die oben genannten Leistungen habe der Angeklagte beauftragt. Keine dieser Leistungen und das Haus seien je bezahlt worden. Für die Zeugin habe dies bedeutet, dass sie das Haus Hals über Kopf verlassen musste. Sie lebe heute mit den Kindern und ihrer Mutter in einer Mietwohnung bei Erlangen. Dies alles sei noch vor seiner Festnahme geschehen. Nach seiner Festnahme habe sie jedoch die Möglichkeit eingeräumt bekommen, die Unterlagen, welche sich noch im Haushalt befanden, zu sichten.

Ab diesem Zeitpunkt sei für sie eine Welt zusammengebrochen. Neben den finanziellen Schwierigkeiten und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schieflage, habe sich herausgestellt, dass alles, was die Zeugin mit dem Angeklagten bisher erlebt hatte, auf einem Lügengerüst aufgebaut gewesen sei. Das Studium sowie sämtliche Einkommen, die er von seinem Vater zu haben schien, seien erlogen gewesen. Außerdem habe er sie während der Ehe mit verschiedenen Frauen betrogen. Die Kinder habe er bei den Tête-à-Têtes mit den benannten Frauen dabei gehabt. Er habe diese vor den Fernseher im Wohnzimmer gesetzt, während er sich mit den Frauen im Schlafzimmer vergnügte. Den Kindern habe er danach mit dem Entzug des Spielzeugs oder mit der Scheidung von der Mutter und dem alleinigen Sorgerecht gedroht. Die Zeugin Anne B. gibt an, er habe den Kindern sogar mit einem Messer gedroht, sollten sie der Mutter sagen, dass er fremdgeht. Nach eigener Aussage ist der Ehefrau danach der „Boden unter den Füßen“ weggezogen worden. Sie wisse nicht, wie das Leben weitergehen solle. Auch die Kinder seien aktuell mit Hilfe des Jugendamtes in psychologischer Betreuung.

Die komplette Aussage der Ehefrau ist schwer zu ertragen. Zu beachten ist hierbei, dass sie diese Aussage aufgrund des aktuellen Status der Ehefrau nicht hätte tätigen müssen, da sie dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegt. Zu hinterfragen bleibt, welche Bank den Kredit über 350.000 Euro für das Haus gewährt hat, zumal Anne B. zum Zeitpunkt des Immobilienkaufes über ein Einkommen von 1.500 Euro netto, und er über ein Einkommen von 1.300 Euro netto verfügte.

Die Staatsanwältin bringt noch weitere zwielichtige Details ans Tageslicht, von denen die Zeugin keine Kenntnis hatte. So habe der Angeklagte angeboten, in der Kindertagesstätte für die Kinder zu kochen und hierbei lediglich den Aufwand der Zutaten in Rechnung zu stellen. Die Rechnung habe sich anschließend auf 15.000 Euro belaufen. Nach den Befragungen der Nebenklage und der Verteidiger, welche keine neuen Erkenntnisse bringen, wird die Verhandlung für 15 Minuten unterbrochen.

Nach dieser Unterbrechung wird die Zeugin nicht weiter zur Person des Angeklagten befragt, sondern jetzt konkret zum Tattag. Anne B. gibt zu Protokoll, der Angeklagte habe nach seiner Rückkehr aus Sachsen, also am Samstag nach der Entführung, direkt nach seiner Ankunft in der Familie gefragt: „Habt ihr schon gehört: bei uns hat es eine Entführung gegeben, es ist die Anneli.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte es allerdings keinerlei öffentliche Berichterstattung über eine vermeintliche Entführung gegeben. Darüber hinaus gibt Anne B. zu Protokoll, sie habe ihn am 13. August 2015 über einen längeren Zeitraum gar nicht erreicht. Sein Handy sei ausgeschaltet gewesen, dies sei für den Angeklagten sehr ungewöhnlich. Am Tag der Durchsuchung des Dreiseitenhofs durch das Sondereinsatzkommando in Sachsen habe die Mutter von einem Nachbarn darüber Bescheid bekommen. Als sie daraufhin die Familie informierte, sei der Angeklagte äußerst nervös gewesen. Er habe sofort gesagt, er würde seinen Anwalt kontaktieren, „was das denn alles solle“ und er würde sich umgehend ins Auto setzen und dahinfahren.

Die Zeugin wird über zwei Stunden gehört. Anschließend wird ihre Mutter, die Schwiegermutter des Angeklagten, befragt, deren Aussage deckungsgleich mit der ihrer Tochter ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie zu Protokoll gibt, Markus B. habe noch heute diverse Vorhaltungen und Briefe an die Kinder geschrieben, in denen er behauptet, dass sowohl seine Schwiegermutter als auch seine Ehefrau die Kinder gegen ihn aufhetzen würden. Nach Vernehmung der Schwiegermutter setzt die Richterin die Mittagspause bis 14:00 Uhr an.

Erstvernehmende Beamtin sagt aus zum Verhör von Norbert K.

Nach der Mittagspause betritt Kriminalhauptmeisterin W. den Zeugenstand. Sie soll zu den Umständen der Festnahme aussagen und wird um eine freie Rede gebeten. Die Kriminalhauptmeisterin W. sei am Tag der Festnahme des Angeklagten Norbert K. in die Behörde einberufen worden, um die erste Beschuldigtenvernehmung durchzuführen. Zum Zeitpunkt der Vernehmung sei das vorrangige Ziel die Rettung des Entführungsopfers gewesen.

Mit dieser Einleitung beginnt die Aussage der Kriminalhauptmeisterin und schon hier bricht ihre Stimme. Sie muss eine längere Pause einlegen, da sie ihre Aussage unter Tränen macht.

Die komplette erste Vernehmung habe sich sehr schwierig gestaltet, zumal die Zeugin habe feststellen müssen, dass der Angeklagte Norbert K. während der gesamten Vernehmung unter einer erheblichen Anspannung stand. Sie habe immer das Gefühl gehabt, nach der nächsten Frage würde er „kippen”.

Die Zeugin räumt anfängliche Probleme mit der digitalisierten Mitschrift ein. Es habe sich als sehr ungünstig herausgestellt, dass ein Beamter die Befragung durchführte und der andere mitschrieb. Entgegen dem Protokoll habe die Vernehmung nicht um 6:13 Uhr, wie protokolliert, sondern erst später begonnen. Das habe daran gelegen, dass der Rechner zwar um 6:13 Uhr gestartet und die Vernehmung mit Öffnung des Protokolls vorbereitet worden sei, die Vernehmung selber habe jedoch um 06:30 Uhr begonnen. Nach der Feststellung, dass die Mitschrift nicht funktionierte, habe man entschieden, die Vernehmung mit Diktiergeräten fortzusetzen. Die übliche Korrektur der Vernehmungsprotokolle habe die Zeugin erst am 27. August durchführen können. Dies sei der Tatsache geschuldet gewesen, dass sie im Anschluss an die Vernehmung in die einberufene BAO (Besondere Aufbauorganisation) stark eingebunden war.

Die Befragung habe kurz und knapp erfolgen müssen, zumal der Angeklagte Norbert K., der zu diesem Zeitpunkt Beschuldigter war, noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten sei. Das bedeute, man habe keinerlei Spurenmaterial, wie die DNA oder anderes, zur Verfügung gehabt. Man habe daher beschlossen, die Vernehmung für die erkennungsdienstliche Behandlung zu unterbrechen und sie danach fortzusetzen. Anschließend habe sich auch die zweite Vernehmung sehr schwierig gestaltet. Nach wie vor habe die Zeugin den Eindruck gehabt, der Beschuldigte Norbert K. verhalte sich wie das sprichwörtliche „schlechte Gewissen auf zwei Beinen“.

Dann sei die Befragung für eine Raucherpause unterbrochen worden. Währenddessen habe der vernehmende Beamte in Anwesenheit der Zeugin gefragt, ob das Mädchen noch lebe. Daraufhin habe der Angeklagte mit „Nein“ geantwortet, er habe sie umgebracht. Die Zeugin weint bei dieser Aussage. Dann gibt sie an, Markus B. habe Geld gebraucht und diverse Millionäre ausgekundschaftet. Dabei sei er auf die Familie R. gekommen. Daraufhin sei die Vernehmung, in der der Beschuldigte Norbert K. den Tathergang detailliert erzählte, fortgesetzt worden, wie schon mit der Anklageschrift verlesen wurde.

Ich erspare mir an dieser Stelle die Wiederholung der Details. Im Gerichtssaal muss es für die Angehörigen von Anneli unerträglich gewesen sein, diese Details wieder und wieder zu hören. Bei der Schilderung der Umstände flossen auch bei dem einen oder anderen Zuhörer die Tränen.

Bei der zweiten Vernehmung gibt Norbert K. an, versucht zu haben, den Angeklagten Markus B. von dem Opfer wegzustoßen. Aber, so wörtlich, „das Schwein war zu schwer“. Er habe ihn auch verbal an der Tötung zu hindern versucht, es sei ihm nicht gelungen. Die gesamte Tötungshandlung habe er nicht gesehen, weil er immer wieder rausgegangen sei.

Die Zeugin beschreibt grausame Details, deren Schilderung ich hier nicht wiedergeben möchte.

Nach der Tötung habe der Angeklagte Markus B. ihn angewiesen, Getränke kaufen zu fahren. Bei seiner Rückkehr habe er die nun unbekleidete Anneli gesehen. Markus B. habe ihn anschließend aufgefordert, ihn bei der Verbringung des Leichnams zu unterstützen.

Auch dies muss für die Angehörigen der Anneli unerträglich sein, mit anzuhören.

Nun haben die Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreter die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Allerdings muss diese Vernehmung kurz unterbrochen werden, weil die Zeugin (eine erfahrene, durchaus belastbare Kriminalbeamte, welche seit 15 Jahren in der Mordkommission tätig ist) um diese Unterbrechung bittet.

Die Fragen der Nebenklagevertreter erbringen keine erhellenden Erkenntnisse, somit ist nun die Verteidigung an der Reihe. Im Kern geht es bei der Befragung der Verteidiger um Widersprüche oder Fehlleistungen in den Vernehmungsprotokollen. So sei der Beginn der Vernehmung in einem Zeugenprotokoll, nicht aber in einem Protokoll für einen Beschuldigten niedergeschrieben worden. Darüber hinaus sei die Aussage des Beschuldigten Norbert K. zum einen sinngemäß, dann wiederum wörtlich wiedergegeben worden.

Die Art der Befragung der Verteidigung und auch deren Inhalt sind aus meiner Sicht erschreckend und ein Hohn für die Opfer, zumal die Zeugin mehrfach eingelassen hat, dass es der Polizei zum Zeitpunkt der Befragung nicht in erster Linie um die Überführung des Täters ging, sondern vielmehr darum, das Opfer der Entführung lebend wiederzufinden. Sicherlich ist es nun im Nachhinein sehr leicht, die geschriebenen Protokolle zu verreißen, doch es ist deutlich, dass dies an der Sache nichts ändert. Das Ansinnen der Polizei, das Entführungsopfer lebend wiederzufinden, ist mehr als nachvollziehbar. Eine Einlassung der Verteidigung im Nachhinein mag rechtlich relevant sein, die Art und Weise jedoch ist mehr als fragwürdig.

Die Verteidigung des Norbert K. beginnt ihre Einlassungen mit der Bemerkung, dass die Zeugin in den vergangenen Minuten keinerlei Blickkontakt zur Verteidigung gehabt habe. Damit bezieht man sich auf eine Aussage der Zeugin, wonach sie das Verhalten des Angeklagten seltsam fand, weil er nie den Blickkontakt gesucht habe.

Dieser Vergleich ist so lächerlich wie er in einem Gerichtsprozess nur sein kann. Ich bin mir absolut sicher, dass auch die Verteidigung weiß, dass dieser Vergleich nur der Versuch ist, Nebelbomben zu zünden. Auch die folgenden Fragen rund um die Festnahme des Norbert K. sind überflüssig und dienen lediglich der Verunsicherung der Zeugin, vor allem, da von vornherein klar war, dass sie lediglich die erstvernehmende Beamte war. Mit der Festnahme hatte die Zeugin nichts zu tun, so dass man sich gern fragen darf, was bitte der Sinn dieser Fragen sein soll.

Zur Erleichterung aller ist die Befragung der Zeugin hiermit beendet. Die Richterin gibt vor Beendigung beziehungsweise Unterbrechung des Prozesses noch bekannt, dass sie im Rahmen der Prozesspause nach dem morgigen Prozesstag diverse Unterlagen zum Selbstleseverfahren freigeben wird, hierzu gehören fünf Berichte der Polizeidirektion, drei Protokolle der kriminaltechnischen Untersuchung, zwei DNA-Gutachten, zwei Untersuchungsberichte des LKA Sachsen sowie ein kriminaltechnischer Bericht des LKA Berlin.

Bildquelle: Stefan Bisanz