Elfter Verhandlungstag | Psychologische Gutachten

Zu Beginn des elften Verhandlungstages am 19. August stellt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen Antrag, der sich auf den Beweisantrag der Verteidigung von Markus B. bezieht, gestellt am letzten Prozesstag am 18. August. Der Anwalt fordert darin, den Beweisantrag abzulehnen, da es überhaupt kein Hinweis darauf gäbe, dass Markus B. ohne Handschuh gemordet hat. Auch habe der Mitangeklagte Markus B. keine Aussage gemacht, im Gegensatz zu seinem Mandanten, dem Angeklagten Norbert K. Dieser wiederum habe ausgesagt, dass er bei der Tötung nicht dabei war. Der Rechtsanwalt untermauert seinen eben gestellten Antrag mit einer Erläuterung zur Vortatbeteiligung von Markus B., wobei er insbesondere auf dessen Internet-Recherche zum Tötungsmodus eingeht. Hier gab es Recherche-Treffer zum Thema „Ersticken wie lange dauert es“ oder „Autogase ersticken“.

Wieder einmal muss sich die Familie R. die Details der Tötung und das entsprechende Vortatverhalten anhören; zum bereits x-ten Mal.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Uwe und Ramona R. nimmt Stellung zum nämlichen Beweisantrag des gestrigen Tages und fordert, diesen abzulehnen. Er erklärt, Norbert K. habe nie ausgesagt, dass Markus B. zu keinem Zeitpunkt Handschuhe getragen hat. Er habe lediglich zu Protokoll gegeben, dass Markus B. beim Transport der entführten Anneli R. keine Handschuhe angehabt hatte.

Vorstrafen Markus B.

Hiernach liest das Gericht die Vorstrafen von Markus B. vor:

– 17. Juli 1996: Erschleichung von Leistungen

– 3. Dezember 1996: Betrug, Strafe: 30 Tagessätze zu 20 DM

– 1. September 1998: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 80 Tagessätze zu 30 DM

– 17. September 1999: Betrug, Strafe: 50 Tagessätze zu 30 DM

– 24. Februar 2000: Betrug, Strafe: sieben Monate Freiheitsstrafe auf drei Jahre Bewährung

– 28. März 2000: Urkundenfälschung, Strafe: 60 Tagessätze zu 25 DM

– 18. Mai 2000: Betrug, Strafe: 70 Tagessätze zu 30 DM

– 21. Juni 2000: Betrug, Strafe: 60 Tagessätze zu 30 DM

– 26. Oktober 2000: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 90 Tagessätze zu 50 DM

– 24. April 2002: Betrug in 285 Fällen, Strafe: ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung

– 21. Mai 2002: Betrug: Strafe: fünf Monate Freiheitsstrafe

Mit diesem Eintrag endet das Zentralregister. Nun wird außerdem aus zwei Urteilsbegründungen zur Person Markus B. vorgelesen. Das ist erforderlich, da er selbst keine Angaben zu seiner Person gemacht hat. Darin wird er als uneinsichtig und rücksichtslos beschrieben. Es wird zudem deutlich, dass Markus B. die Schuld immer bei den anderen sucht und hochgradig egoistisch handelt. Insbesondere seine Rückfallgeschwindigkeit ist erstaunlich. In einem Fall ist es sehr auffällig: Nur einen Tag nach seiner Verurteilung beging er erneut eine Straftat.

Zu dem Angeklagten Norbert K. gibt es keine Einträge im Zentralregister.

Beweisantrag DNA

Hiernach wird der bereits gestern angekündigte Sachverständige, Dr. Ralf N. vom LKA Sachsen, zum Thema DNA gehört. Er fasst zusammen, dass der Beweisantrag der Verteidigung von Markus B., betreffend möglicher DNA-Spuren am Spanngurt, abzulehnen sei. Denn auch wenn keine DNA-Spuren feststellbar seien, so bedeute dies nicht, dass es keinen Kontakt gegeben habe. Vielmehr könne ein Täter den Spanngurt angefasst haben, ohne dass Hautspuren hinterlassen worden sind. Selbst ein intensiver Kontakt führe nicht automatisch zum Hinterlassen von Hautspuren / DNA.

Nun gibt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen weiteren Beweisantrag ab, durch den er festgestellt wissen möchte, dass bei der Durchsuchung der Küche seines Mandanten Getränkeflaschen der Marke Volvic gefunden wurden. Dies diene als Beweis dafür, dass Norbert K. diese Flaschen gekauft hat. Durch den Kaufvorgang könne er seine Abwesenheit am Tatort nachweisen. Dieser Antrag wird durch das Gericht sofort erfüllt. Man nimmt daraufhin jene Fotos, die während der Durchsuchung der Küche angefertigt worden sind, durch Inaugenscheinnahme ins Verhandlungsprotokoll auf.

Psychologische Gutachten zu Markus B.

Die größte Erwartungshaltung am heutigen Verhandlungstag gilt sicherlich den psychologischen Gutachten zu beiden Angeklagten. Zuerst trägt Prof. Hans Ludwig G. zur Person und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten Markus B. vor. Er teilt vorab mit, dass Markus B. nicht am Gutachten habe mitwirken wollen, sondern sich auch hier verweigert habe.

Der Sachverständige habe bei Markus B. keine Antriebslosigkeit, zum Beispiel aus einer Depressionskrankheit, festgestellt, keine Demenz oder manischen oder schizophren-pathologischen und auch keine psychischen Auffälligkeiten. Markus B. sei mit einer normalen Intelligenz ausgestattet, nur halte er sich für schlauer als er ist. Ebenso seien keine krankhaften seelischen Störungen vorhanden, weder zur Tatzeit oder vorher sei eine solche erkennbar gewesen. Ebenso nicht erkennbar sei gewesen, dass er eventuell unter dem Einfluss bewusstseinsbeeinflussender Substanzen gestanden haben könnte. Auch sein 2013 festgestellter Hautkrebs habe keine Auffälligkeiten ergeben. Die dazu eingenommenen Medikamente haben keinen Einfluss auf seine Taten gehabt. Auch Alkoholmissbrauch habe man nicht feststellen können.

Markus B. sitzt still auf seinem Platz, der Kopf ist schräg nach unten geneigt.

Zur Persönlichkeitsstruktur und -veränderung gebe es keine pathologischen Erkenntnisse. Festzustellen sei eine leichte Diskrepanz zwischen seinen über sich selbst erzählten Legenden und seiner realen Lebensgeschichte. Seine Familienherkunft sei eine bescheidene gewesen. Es sei festzustellen, dass er sehr viele Einträge im Führungszeugnis hat, zusätzlich gab es noch Jugendstrafen wegen Betruges und Unterschlagung. Er habe extrem viele Arbeitsplatzwechsel gehabt. Sein Leben weise Inkonstanz auf.

Was den Psychologen verwundert ist, dass Markus B. nie begriffen habe, dass seine Verbrecherkarriere erfolglos ist. Markus B. habe immer ein reicher Mann sein wollen und versucht, ein solches Leben zu führen. Prof. Hans Ludwig G. fährt fort, dass Markus B. nicht stark minderbegabt sei. Während der Tat habe er allerdings unklug gehandelt.

Als Fazit stellt der Gutachter fest, dass es keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit von Markus B. gebe.

Im Nachgang dieser Darlegung versuchen die Verteidiger von Markus B. nun, beim Gutachter doch noch eine schwere Diagnose als Begründung für eine mögliche Schuldunfähigkeit zu erfragen. Sie sind der Meinung, dass sein Wunsch, immer noch bedeutender bzw. wichtiger sein zu wollen, eine Störung der Ich-Wahrnehmung sei und damit pathologisch zu berücksichtigen wäre. Diesem Versuch der Verteidigung wird durch den Experten allerdings eine strikte Ablehnung erteilt. Doch die Verteidigung hakt nach, denn ihrer Meinung nach habe Markus B. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, da dieser sein Leben schon jahrelang geschönt habe. Auch diesem eher amateurhaften Versuch erteilt der psychologische Gutachter eine erneute Abfuhr. Er erläutert, dass das Verhalten einer besonders niederträchtigen Behandlung anderer Menschen ein dauerhaftes Verhalten sein und eine dauerhafte Auffälligkeit haben müsse. Diese Kriterien seien bei Markus B. jedoch nicht erfüllt.

Dieses Nachfragen der Verteidiger von Markus B. sollte nur den einen Sinn haben, hier doch noch eine geringfügige Schuldunfähigkeit ihres Mandanten herauszudiskutieren. Damit hätten sie gegenüber dem Gericht ein Argument für strafmildernde Gründe. Ihr Vorhaben scheiterte allerdings, denn der Gutachter hat dem Angeklagten eine hundertprozentige Schuldfähigkeit attestiert.

Psychologisches Gutachten zu Norbert K.

Hiernach erstattet Dr. Matthias L. sein Gutachten zur Person des Angeklagten Norbert K. Er teilt vorab mit, dass Norbert K. am Gutachten mitgewirkt habe und berichtet zur Vita des Angeklagten zunächst das, was vor Gericht bereits gehört worden ist.

Nun trägt Dr. Matthias L. vor, dass es bei Norbert K. nie psychiatrische Erkrankungen und auch keine sozialen Auffälligkeiten gegeben habe. Er sei nie straffällig oder drogen- oder alkoholabhängig gewesen. Er sei normal intelligent, habe sich allerdings passiv am Leben abgearbeitet. Es gebe keine Bewusstseinsstörung oder Intelligenzminderung. Ebenso liege keine abartige Persönlichkeitsstörung vor. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei voll gegeben. Er lebe zurückgezogen, eher als Einzelgänger. Der Gutachter stellt schließlich fest, dass bei Norbert K. volle Schuldfähigkeit gegeben sei.

Da während des Prozesses herausgearbeitet wurde, dass Norbert K. sich Markus B. untergeordnet habe, fragt das Gericht beim Sachverständigen daraufhin nach. Dieser wiederum bestätigt, Norbert K. habe zwar eine gewisse Passivität, diese sei aber nicht auf der pathologischen Ebene. Norbert K. habe jederzeit aktiv werden können. Dieses Vermögen liege durchaus in seiner Person. Er habe davon allerdings keinen Gebrauch gemacht, so der Spezialist. Auch eine Verlustangst hinsichtlich Markus B. gebe es nicht, da schon festgestanden habe, dass Markus B. demnächst umziehen würde. Norbert K. habe in den Gesprächen mit dem Sachverständigen zudem Reue und Betroffenheit gezeigt. Auch diese Einsicht zeige, dass er in der Lage gewesen wäre, anders zu handeln.

Während des Gutachterberichts ringt Norbert K. deutlich mit sich, sein Gesichtsausdruck wirkt weinerlich, er beißt sich ständig auf die Unterlippe, schluckt mehrfach und atmet tief durch. Der Angeklagte Markus B. wieder schaut immer noch vor sich auf die Tischplatte.

Die Staatsanwältin fragt nun, ob für Norbert K. Anerkennung wichtig sei. Dies verneint der Sachverständige. Norbert K. wolle nur unauffällig leben. Weiterhin möchte sie wissen, ob Norbert K. Reue bezüglich der Tat, Mitleid mit dem Opfer oder Mitleid mit sich selbst gezeigt habe. Dr. Matthias L. erläutert daraufhin, dass Norbert K. sehr betroffen gewesen sei.

Jetzt unternimmt der Verteidiger von Norbert K. den Versuch einer Erklärung der Persönlichkeitsstruktur seines Mandanten. Er stellt fest, dass Norbert K. über unzureichendes Selbstbewusstsein verfüge und willensschwach sei. Daraus müsse doch resultieren, dass er manipulierbar ist. Der Sachverständige entgegnet dieser These, dass Norbert K. sich nicht exponieren wolle.

Der Verteidiger von Markus B. wiederum stellt die Frage, ob sein Mandant hätte erkennen können, was er einem Opfer mit seinen Taten antut. Der psychologische Experte teilt dazu mit, dass er das durchaus könne. Allerdings versuche er immer, sich selbst zu schützen, indem er nicht zu seinen Taten stehe.

Wieder auf Norbert K. zurückkommend betont nun der Vater von Anneli R., dass dieser schon während der Vortat Gelegenheit gehabt habe, sich anders zu verhalten. Er verstehe daher nicht, warum Norbert K. es nicht getan hat. Der Sachverständige klärt hierzu auf, dass Norbert K. zu den Menschen gehöre, die in gewissen Lebenssituationen hängen und nicht daraus kommen, sondern einfach weitermachen. Das sei insgesamt als inkonsequentes Handeln zu beurteilen.

Nun spricht das Gericht in Richtung des Angeklagten Norbert K. noch zwei rechtliche Hinweise aus und teilt ihm mit, dass er gemäß § 13 StGB wegen Unterlassung angeklagt und die Anklage auch um § 27 StGB wegen Beihilfe erweitert werde.

Die nachfolgende Terminabstimmung zwischen dem Gericht und den Parteien ergibt als möglichen Urteilsverkündungstermin den 5. September 2016. Davor liegen jedoch noch drei weitere Verhandlungstage in der nächsten Woche.

Foto: Der Angeklagte Norbert K. / Bildquelle: Stefan Bisanz

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