Zwölfter Verhandlungstag | Verteidiger missachten Absprachen

Zunächst sei vorangestellt, dass sich zum Schluss des heutigen Verhandlungstages, dem 24. August 2016, erneut das juristische, nüchtern berechnende Kalkül der Verteidigung Bahn bricht – zum Leidwesen der Opferfamilie. Denn beide Verteidiger-Parteien halten sich nicht an getroffene Absprachen des letzten Verhandlungstages und beantragen stattdessen, ihre Plädoyers, die für den morgigen Verhandlungstag angesetzt waren, erst am Freitag halten zu müssen. Diese Terminverschiebung wird wahrscheinlich auch den Prozess entsprechend verlängern, da er direkte Auswirkungen auf die weiteren Beratungstermine des Gerichts hat. All das geschieht auf Kosten der Familie R., weil diese erst entsprechend später mit dem Prozess abschließen kann.

An dieser Stelle hätte ich mir Anstand und Menschlichkeit gewünscht. Die fehlende Empathie und die Rücksichtslosigkeit aller Verteidiger gegenüber der Familie R. ist an diesem Verhalten erneut deutlich spürbar.

Schließung der Beweisaufnahme

Der Verhandlungstag beginnt mit der Bekanntgabe eines Beschlusses durch das Gericht, der sich auf einen Beweisantrag der Verteidiger von Markus B. bezieht. Diese hatten am 18. August gefordert, einen Sachverständigen zu hören, um Fragen bezüglich möglicher DNA-Spuren an dem Spanngurt zu klären, mit dem Anneli R. ermordet worden ist. Der Beweisantrag wird abgelehnt, da alle Fragen bereits am 19. August durch den Sachverständigen des Landeskriminalamtes Sachsen beantwortet wurden. Die Verteidigung akzeptiert diesen Beschluss. Daraufhin schließt das Gericht die Beweisaufnahme.

Plädoyer der Oberstaatsanwältin

Jetzt beginnt Oberstaatsanwältin Karin D. mit ihrem fast genau zweistündigen Plädoyer. Zunächst weist sie auf die Einmaligkeit dieser grausamen Tat hin, die besonders große Betroffenheit bei allen Beteiligten, insbesondere bei der Familie, aber auch bei Freunden, Verwandten, Bekannten und Klassenkameraden der getöteten Anneli R. hervorgerufen hat. Auch Polizisten, die der Ermittlungsgruppe und der SOKO angehört haben, waren selbst deutlich nach Abschluss der Ermittlungsarbeit äußerst berührt.

Der Angeklagte Norbert K. hört zu und hat die Augen geschlossen. Markus B. schaut, wie so oft, auf die Tischplatte vor sich.

Die Staatsanwältin führt nochmals zu den Lebensläufen der beiden Angeklagten aus. Insbesondere über die vielen Vorstrafen von Markus B. Beide Täter kennen sich seit 2012 und führen seitdem eine lockere Freundschaft. Sie weist darauf hin, Norbert K. sei für Markus B. sicherlich kein willenloses Subjekt gewesen, sondern habe durchaus selbstständig handeln können.

Des Weiteren erwähnt sie, dass die Tat durch die Schulden, die beide Täter hatten, motiviert gewesen sei. Markus B. sei stets davon getrieben worden, sich besser darzustellen als er ist. Er habe die Tat vorbereitet, sich im Internet nach Opfern erkundigt und diese ausgewählt. Beispielsweise sei eine Familie aus Grumbach in seinem Fokus gewesen, jedoch ließ er von ihr ab, weil deren Sicherheitsmaßnahmen Markus B. abgeschreckten.

In seinem persönlichen Umfeld habe Markus B. überall berichtet, er sei demnächst vermögend, weil er erben und Geld aus Auslandskonten erhalten werde. Der Angeklagte habe etliche Wochen, vielleicht sogar Monate vor der eigentlichen Entführung mit der Beschaffung der Tat-Infrastruktur begonnen. Er habe damit angefangen, Familie R. auszuspähen, unter anderem mit der Methode, mit seinem Hund am Wohnort der Familie R. seine Gassi-Runden zu drehen. Weiterhin habe er im Internet über die Familie recherchiert und Kabelbinder sowie den notwendigen Äther besorgt.

Die Tatdurchführung selbst sei aktiv durch beide Täter erfolgt, das heißt, beide haben die Tatherrschaft gehabt. Der Tötungsentschluss – „dann muss sie eben sterben“ – habe Markus B. nur wenige Stunden nach der Entführung gefällt. Diese schnelle Entscheidung sei aus seiner Sicht notwendig geworden, weil er vergessen hatte, sich bei der eigentlichen Entführung zu maskieren. Das Wiedererkennungsrisiko habe damit bei 100 Prozent gelegen.

Während des Plädoyer-Vortrages durch die Oberstaatsanwältin, schreibt Markus B. mit und gibt seinen Anwälten links und rechts immer wieder Hinweise und Anweisungen zu seinen Notizen.

Die Oberstaatsanwältin fährt damit fort, dass Norbert K. oftmals die Gelegenheit gehabt habe, das Verbrechen anzuhalten und aufzulösen. Es habe immer wieder Zeiträume gegeben, in denen auch er die absolute Tatherrschaft hatte. Besonders perfide erscheinen zum einen das Telefonat vom 16. August 2015 gegen 20:00 Uhr zwischen beiden Tätern, in dem sie über die Entführung sprechen, und zum anderen auch der Besuch eines Dresdner Stadtfestes in dem Zeitraum, in dem die Erpressung noch lief. Auch hieran sei das gefühlskalte und grausame Verbrechenspotenzial der Angeklagten zu erkennen. Die nachträgliche Reue, die der Angeklagte Norbert K. zeigte, sei ihm nur schwer abzunehmen. Mitleid habe er wohl nur in Bezug auf die ihm drohenden persönlichen Konsequenzen seiner Tat. Noch immer sei nicht ist ein einziges Wort der Entschuldigung an die Familie R. gerichtet worden.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. beantragt für den Angeklagten Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für den Angeklagten Norbert K. beantragt sie eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

Plädoyer des Nebenkläger-Vertreters

Nach der Mittagspause trägt der Nebenkläger-Vertreter der Eltern Uwe und Ramona R., Rechtsanwalt Kay E., vor. Er erläutert, dass das Ziel der Familie gewesen sei, die Tat aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Eltern haben außerdem erfahren wollen, wie es ihrer Tochter Anneli in den letzten Stunden erging. Der Anwalt mahnt nochmals deutlich an, dass diese Erwartungshaltung durch die Angeklagten noch nicht erfüllt worden sei. Beide haben zur Aufklärung noch nichts beigetragen. Weiterhin stellt er nochmals die Grausamkeit dieser Tat heraus.

Der Anwalt trägt klar und deutlich vor und spricht die Angeklagten zeitweise auch direkt an. Markus B. schaut nach wie vor auf die Tischplatte vor sich. Norbert K. schaut an dem Verteidiger vorbei nach links unten.

Als Strafmaß fordert der Nebenkläger-Vertreter für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. fordert er ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bevor er mit seinem Plädoyer zum Ende kommt, spricht er den Angeklagten Norbert K. nochmals direkt an und fordert ihn auf, umfassend auszusagen. Er solle jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, die Tat aufzuklären.

Hiernach hält der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., Rechtsanwalt Stephan S., sein Plädoyer. Da schon vieles gesagt worden sei, spricht er über andere Inhalte und konzentriert sich vor allem auf das intensive Vortatverhalten des Angeklagten Markus B. Dieser habe im Internet nicht nur über reiche Menschen im Allgemeinen recherchiert, sondern im Speziellen auch über die Familie R. Außerdem habe er nicht nur Kabelbinder besorgt und umständlich Äther in einer Apotheke gekauft, sondern auch die Gewohnheiten der Familie R. und vor allem die seines späteren Opfers Anneli langwierig ausgespäht. Des Weiteren habe er ein besonderes, BitCoin-fähiges Konto angelegt – für eine erleichterte Lösegeldübergabe. Der Anwalt stellt außerdem fest, beide Täter seien an der Entführung beteiligt gewesen und haben sie gemeinsam durchgeführt. Zu Norbert K. konstatiert er, dass dieser fortlaufend seinen Tatbeitrag beschönige und klein halte. Dies sei jedoch eindeutig durch die Beweisaufnahme widerlegt. Er sei Mittäter gewesen und habe jederzeit den Tatverlauf beenden können.

Ich bin sehr froh, dass dieses prozess-taktische Vorgehen des Verteidigers von Norbert K. so eindeutig – und nicht nur durch die Nebenkläger-Vertreter, sondern auch durch die Staatsanwaltschaft – erkannt und bewertet wurde.

Jetzt berichtet Rechtsanwalt Stephan S. über die Auswirkungen der Tat auf die Familie. So gebe es massive gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sich auch noch die nächsten Jahre hinziehen werden. Es liegen Nervenschäden vor sowie Belastungsstörungen, zum Beispiel Gehörverlust oder Rückenschmerzen. Insbesondere seien psychosomatische Auffälligkeiten vorhanden. Zudem gebe es ganz konkrete Anlässe, bei denen Familienangehörige direkt mit dieser schrecklichen und grausamen Tat in Bezug gebracht werden.

Es ist sehr anerkennenswert seitens der Familie R., dass sie mit diesen erheblichen Belastungen nicht hinter dem Berg hält, sondern dem Gericht, den Angeklagten, aber auch der Öffentlichkeit davon berichtet.

Als Strafmaß beantragt der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., der Schwester des Opfers, für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. wird eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt.

Nach diesen Plädoyers möchte das Gericht den heutigen Verhandlungstag beenden und teilt der Verteidigung der Angeklagten mit, dass sie absprachegemäß ihre Plädoyers am morgigen Donnerstag halten sollen. Daraufhin stellen die Verteidiger beider Angeklagten den ungeheuerlichen Antrag, dass sie den morgigen Verhandlungstag ausfallen lassen möchten, um erst am Freitag ihre Plädoyers zu halten. Sie führen an, den morgigen Tag zur Vorbereitung ihrer Plädoyers zu benötigen.

Da allerdings schon seit knapp einer Woche bekannt ist, dass die Plädoyers am morgigen Donnerstag gehalten werden sollen, ist dieser Antrag nur schwer zu verstehen und verursacht auch beim Gericht heftiges Kopfschütteln. Die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger-Vertreter haben keine neuen Erkenntnisse und Überraschungen für die Verteidiger gebracht. Insofern kann es sich hier wieder nur um einen Schachzug handeln. Leider – und wie bisher schon öfter erlebt – geht dieses Verhalten komplett zulasten der Opferfamilie.

Die Familie R. wird am Freitag ebenfalls eine Erklärung abgeben.

Damit endet dieser Prozesstag um 14:44 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

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