Dritter Verhandlungstag | Aussage des leitenden Ermittlers

Der Beginn des heutigen Prozesstages am 14. November ist für 13:30 Uhr angesetzt. Die Kammer eröffnet fast pünktlich und beginnt mit der Beiordnung von neuen Verteidigern, die im Vorfeld auch bereits angekündigt war. Im Saal sind neben den Prozessbeteiligten fünf Zuhörer und vier Pressevertreter.

Nach Erledigung der Formalitäten ruft die Kammer den für heute angekündigten Zeugen, Kriminalhauptkommissar (KHK) M. auf. KHK M. war Leiter der am 25. April eingerichteten Ermittlungsgruppe.

Zur Sache gibt KHK M. an, dass am 19. April der Geschäftsführer (GF) eines Unternehmens aus Leer Anzeige wegen der Entführung von Heiko L. stellte. Er gab an, einen Anruf von Heiko L. erhalten zu haben, in dem dieser eine Million Euro gefordert habe und zugleich angab, er wäre die nächsten drei Tage nicht erreichbar. Heiko L. rief dabei von seinem Handy aus an. Die Polizei richtete daraufhin eine so genannte BAO (Besondere Aufbau Organisation) ein und begann umgehend mit den Ermittlungen. Das erste Ziel dessen war, Heiko L. unversehrt aufzufinden. Eine Ortung des Handys war jedoch nicht möglich, es war ausgeschaltet. Der GF gab gegenüber der Polizei an, dass die Forderung nicht erfüllt werden könne, da der Kontoinhaber des Zielkontos nicht genannt wurde.

Dritter Verhandlungstag | Aussage des leitenden Ermittlers

Am 20. April rief Heiko L. erneut an, diesmal von einer unbekannten Nummer, und fragte, ob das Geld überwiesen sei, sonst sei er tot. Nun fragte der GF nach dem Namen des Kontoinhabers und hörte wie im Hintergrund der Name der jetzt angeklagten 90-Jährigen gerufen wurde. Darüber hinaus will er Fahrgeräusche gehört haben. Der Anschluss, von dem aus angerufen wurde, konnte jedoch nicht ermittelt werden. Der GF wies das Geld entsprechend den Angaben der Entführer an.

Der GF soll schon bei der Anzeigenerstattung einen Verdacht gegen den jetzigen Hauptverdächtigen Michael K. geäußert haben. Michael K. habe schon öfters geäußert, dass Heiko L. ihm einen sechsstelligen Betrag schulde. Schon 2015 sei es zu einer ähnlichen Bedrohung gekommen. Die nun gebildete Ermittlungsgruppe observierte Michael K. und führte eine so genannte TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) durch. Hierbei wurden diverse Gespräche zwischen Michael K. und seiner Mutter aufgezeichnet, bei denen es um den Eingang des Geldes bei der Bank ging. So sollte die Mutter immer wieder nachhören, ob das Geld eingegangen sei und wann sie es abholen könne. Michael K. ging offensichtlich davon aus, dass die Bank die Summe nach Kontoeingang umgehend auszahlen kann. Dies war jedoch nicht der Fall. Der Filialleiter teilte der Mutter von Michael K. mit, dass es noch drei Werktage nach Eingang dauern könne, weil er das Geld bestellen müsse. Darauf sagte Michael K. seiner Mutter, man müsse Heiko L. „eben noch so lange da behalten“. Spätestens hier wird klar, dass sowohl Michael K. als auch dessen Mutter genau wussten, dass es sich um eine Entführung handelt.

Am Abend des 20. April wurde das Opfer, Heiko L., freigelassen und am 21. April durch eine Streife der Bundespolizei an der BAB 31 aufgegriffen. Heiko L. war weitestgehend unverletzt. Er gab an, am 19. April auf dem Weg ins Büro gewesen zu sein, als er von einem weißen Mercedes mit Hannoveraner Behördenkennzeichen überholt wurde.

Behördenkennzeichen bedeutet, dass lediglich das H für Hannover sowie Zahlen auf dem Kennzeichen zu sehen sind.

In der Heckscheibe klappte sodann ein Display mit „Bitte folgen“ auf. Heiko L. dachte an eine Polizeikontrolle, zumal er kurz zuvor am Steuer telefoniert hatte. Er leistete den Anweisungen folge und wurde kurz darauf angehalten. Zwei Männer in polizeiähnlichen Uniformen stiegen aus dem Mercedes und forderten ihn auf, auszusteigen. Er wurde mit Handschellen gefesselt und die Sicht wurde ihm mit einer Solarium-Brille genommen. Anschließend wurde er in den Mercedes gebracht. Heiko L. hat noch mitbekommen, dass auch sein Fahrzeug weggebracht wurde. Später kam es zu einer Umsteigesituation auf einem Parkplatz, wobei das Opfer erkannt haben will, dass er jetzt in einem Audi saß. Mit diesem wurde er in ein Ferienhaus verbracht.

Das Opfer gab an, dass er trotz Schlägen, Drohungen und Fesselung im Großen und Ganzen während der Geiselhaft gut behandelt wurde. Für die Telefonate, die er während dieser Zeit führen sollte, wurde er wieder in das Auto verbracht und mit einer Stunde Fahrt zu einem anderen Ort verbracht, bevor er telefonieren sollte.

Offenbar hatten die Entführer Sorge, geortet zu werden.

Am Abend des 20. April sei die Stimmung hektischer geworden, man habe ihm gesagt, er könne wählen zwischen LSD und einer Flasche Whisky, um ruhiggestellt zu werden, anschließend wurde er ausgesetzt.

Heiko L. konnte nur eine vage Täterbeschreibung geben, da die Täter maskiert waren und Heiko L. seine Brille nicht auf hatte.

Am 21. April meldete sich der Vermieter der Ferienwohnung, dem nun seine polnischen Mieter komisch vorkamen. Diese seien sehr schnell abgereist und in der Wohnung habe er eine Sturmhaube gefunden. Die sofort eingeleitete Spurensicherung und die Vorlage von Fotos der Wohnung an das Opfer ergaben schnell, dass es sich um den Tatort handelt.

Der Vermieter gab an, dass die Wohnung am 14. April angemietet wurde, am 15. April wurden die Schlüssel geholt, es wurde bar bezahlt. Der Vermieter hatte wohl schon jetzt ein komisches Gefühl und fotografierte die Fahrzeuge, die später vor dem Haus standen. Vom Vermieter konnten dann außerdem Phantombilder von den Männern erstellt werden, die die Schlüssel abgeholt hatten.

Eines der fotografierten Fahrzeuge gehörte dem Vater der Lebensgefährtin des heute Angeklagten Piotre M. Bei der Durchsuchung der Wohnung der Tochter des Fahrzeughalters wurde Piotre M. auch angetroffen, dieser wies sich allerdings mit einem gefälschten polnischen Führerschein aus. Ein falscher polnischer Ausweis auf den gleichen Namen wurde bei einer späteren Durchsuchung ebenfalls sichergestellt.

Zu einem weiteren Tatkomplex kam es nach Angaben des KHK M. am 29. April. Der GF der Leeraner Firma meldete der Polizei telefonisch, dass zwei Personen bei der Firma waren, die Heiko L. sprechen wollten. Die beiden hatten eine Rufnummer hinterlassen, auf der sich Heiko L. melden sollte. Die Polizei stellte schnell fest, dass die Nummer bereits bei der Entführung genutzt wurde und veranlasste eine Überwachung. Auch wurden Beamte zur Firma geschickt, um die Gesprächsführung zu begleiten. Die Personen wurden auf den Parkplatz eines Fast-Food-Lokals in Münster gelotst, wo es zu einem Zugriff kam, bei dem allerdings nur ein Verdächtiger festgenommen werden konnte. Es handelte sich hierbei um den jetzt Angeklagten Jan I. Die Polizei ging allerdings davon aus, dass in dem Fahrzeug weitere Verdächtige sitzen würden. Warum diese nicht festgenommen werden konnten, kann der heute befragte KHK M. nicht sagen. Der Halter des Fahrzeugs war ein in Konstanz lebender Pole. Nach Aussage des Hauptkommissars gab es eine hohe Ähnlichkeit zu den Phantombildern, welche aufgrund der Aussagen des Ferienhausvermieters erstellt wurden. Sylvester konnte nicht festgenommen werden, er hat sich wahrscheinlich nach Polen abgesetzt.

Im Zuge der weiteren Ermittlungen meldete sich dann auch ein Nachbar des Opfers, dem am 15. März zwei Personen aufgefallen seien, die sich verdächtig verhielten und offensichtlich das Haus von Heiko L. beobachteten. Der Nachbar machte heimlich Videoaufnahmen der Personen. Die Polizei identifizierte diese später aufgrund der Figur, des Ganges und der Bekleidung als die jetzt Angeklagten Jan I. und Piotre M.

Vieles in diesem Prozess lässt darauf schließen, dass es sich bei der Tatausführung nicht um Voll-Profis gehandelt hat. Das macht es oftmals aber eher gefährlicher. Allerdings kam es auch hier zu tatvorbereitenden Handlungen, die bei Erkennen das Ausführen der Tat verhindert hätten. So hat das Ausspähen des Opfers schon mindestens zwei Monate vor der Tat begonnen, ja es ist sogar aufgefallen! Allerdings wurde nichts unternommen.

Auch das Anmieten der Ferienhäuser und die Barzahlung hätte auffallen können.

Ebenso ist die gezielte Nutzung der Prepaid-Handykarten als tatvorbereitende Handlung anzusehen, zumal bei der Freischaltung immer Phantasienamen angegeben wurden. Selbst bei einer Telekommunikationsüberwachung ist es dann schwierig, die Anschlüsse den Personen zuzuordnen.

Für eine längst überfällige Reaktion der Politik, die eine Registrierung anhand eines Ausweisdokumentes zur Folge hat, musste erst der „Kampf gegen dem Terrorismus“ herhalten. Allerdings gibt es selbst vor diesem Hintergrund noch keine rechtsverbindliche Lösung, so dass Täter diese Tools auch in Zukunft weiter nutzen werden.

Der nächste Verhandlungstermin ist der 24. November.


 

Bildquelle: Stefan Bisanz

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