13. Verhandlungstag | Persönliche Erklärungen der Familie von Anneli R.
Den heutigen Verhandlungstag am 26. August 2016 prägen die persönlichen Erklärungen des Vaters und der Schwester des Opfers Anneli R. Des Weiteren halten heute die Verteidiger ihre Plädoyers. Der Zuschauersaal ist wieder mit etwas mehr (circa 40) Zuschauern gefüllt. Zusätzlich sind etliche Medienvertreter, darunter zwei Kamerateams, anwesend.
Erklärung der Schwester von Anneli R.
Zu Beginn des Prozesstages trägt die Schwester des Opfers, Anett R.-Sch., ihre sehr persönliche und emotionale Erklärung vor. Sie erläutert, wie oft sie während des Prozesses anhören musste, wie ihre Schwester Anneli gestorben bzw. ermordet worden ist.
Auf die enorme Belastung für die Familie habe ich auch in diesem Blog mehrfach hingewiesen
Anett R.-Sch. berichtet weiter, dass sie erschöpft sei und das letzte Jahr und die letzten Wochen gerne nicht mit der Ermordung ihrer Schwester und im Gerichtssaal verbracht hätte, sondern viel lieber mit Anneli. Sie sei gerne dabei gewesen, wenn ihre Schwester Anneli ihr Abitur gemacht hätte und hätte gerne mit ihr zusammen überlegt, welches Studium sie danach angehen möchte. Aber all das könne sie nicht tun, weil sie den Tätern und deren abscheulicher Tat ausgeliefert sei. Außerdem könne sie ihrer Familie und ihren Kindern nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit schenken, obwohl diese ganz bestimmt ein Recht darauf haben. Das Familienkonstrukt der gesamten Familie R. sei zerrissen und durch den Tod von Anneli verstümmelt. Diese Tat sei durch die beiden „Nichtsnutze“ auf der Anklagebank verübt worden. Anett R.-Sch. betont auch, dass die Familie „keine stinknormale reiche Familie“ sei. Sie spricht die beiden Täter direkt an und formuliert ganz klar, dass die Täter sowohl aktiv als auch passiv Schuld an dieser Tat seien.
Während dieser Rede, die mit Sicherheit sowohl die 100-prozentige Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Gerichtssaal, als auch absolut notwendigen Respekt verdient hat, muss ich leider feststellen, dass der Rechtsanwalt von Markus B. an seinem Laptop arbeitet und in den Büchern vor ihm liest. Dieses Verhalten ist absolut unangemessen und rücksichtslos gegenüber der Familie R.
Erklärung des Vaters von Anneli R.
Nach der Rede von Anett Sch.-R. spricht der Vater von Anneli, Uwe R. Auch er berichtet sehr eindrucksvoll und emotional von der Tat, insbesondere von den Erpressungsanrufen und vom letzten Schrei, den er von Anneli am Telefon gehört habe. Er berichtet über das Familienleben und über den Charakter und die Wesenszüge von Anneli.
Die entstandene Belastung durch dieses abscheuliche Verbrechen sei nicht auszuhalten, so Uwe R. Körperliche und psychische Schäden haben alle Familienmitglieder davongetragen. Es gebe kaum Aussicht auf Beendigung dieser Auffälligkeiten. Schlaflosigkeit und Vergesslichkeit seien normal geworden. Seine Frau Ramona R. sei in ihrer Trauer gefangen und nicht mehr arbeitsfähig. Auch er sei lange Zeit nicht arbeitsfähig gewesen und leide an Konzentrationsschwäche, habe keinen Antrieb mehr und inzwischen eine „dünne Haut“ bekommen. Auch habe er keine Lust mehr, seine Hobbys zu betreiben. Uwe R. fragt sich nicht nur nach dem Sinn des Lebens, sondern auch nach dem Anteil seiner Schuld.
Die Täter seien für ihn eine Ausgeburt der Hölle. Sie seien bösartig, brutal, grausam und gefühllos. Dann spricht er den Angeklagten Norbert K. direkt an und unterstellt ihm Lügen und Selbstmitleid. Auch er habe eine hohe Tatbeteiligung und sei schuldig durch Unterlassen. Er habe zugeguckt, wie Markus B. seine Tochter Anneli umbringt. Auch Markus B. spricht er direkt an und fordert ihn auf, eine Aussage zu machen. Die Familie möchte endlich Klarheit über den genauen Tötungsvorgang und die letzten Stunden von Anneli.
Uwe R. sagt, er und seine Familie haben durch dieses Verbrechen ebenfalls „lebenslänglich“.
Zum Schluss bedankt er sich beim Gericht, den Medien und allen, die die Familie in dieser schweren Zeit unterstützt haben. Sein Schlusswort lautet: „Gott beschütze uns.“
Der Rechtsanwalt von Markus B. fühlt sich durch das Zitat eines Briefes, den Uwe R. während des Prozesses von einem Zeugen erhalten und aus dem er zitiert hat, persönlich angegriffen, sodass er eine 30-minütige Pause beantragt. Vielleicht hat er kurzfristig vergessen, dass er nicht Opfer ist, sondern auf der Seite der Angeklagten und Täter sitzt.
Plädoyers der Verteidiger
Ab 10:16 Uhr hält die Verteidigung von Markus B. ihre Plädoyers. Rechtsanwalt F. stellt zunächst auch seine eigene Betroffenheit in diesem Fall fest. Danach erläutert er sehr genau die Aufgaben der Verteidigung. Dazu gehöre, Zweifel zu säen, Kritik zu üben und Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt. Unter anderem spricht er Uwe R. direkt an. Er teilt auch mit, dass zu allererst die Unschuldsvermutung gelte, und die Aufgabe des Gerichts sei die Suche nach der Wahrheit.
Es klingt fast so, als wollte sich der Verteidiger bereits im Vorhinein für das entschuldigen, was gleich folgen wird. Außerdem sei an dieser Stelle konstatiert, dass auch die Familie R. sicherlich nicht die Institution einer korrekten Rechtsvertretung anzweifelt. Nur stellt sich doch immer auch die Frage nach dem „WIE“ einer Verteidigung.
Dann erzählt der Verteidiger ein bisschen aus der Vorgeschichte von Markus B. und stellt fest, dass dieser ein notorischer Lügner sei und immer mehr darstellen will als er tatsächlich ist. Der Anwalt stellt in den Raum, dass Markus B. sich so sehr in Lügen verstrickt habe, dass er im Grunde nur zwei Möglichkeiten hatte: Seiner Frau die Wahrheit zu sagen – doch das stuft der Verteidiger als die schwierigere Lösung ein – oder irgendwie an Geld zu kommen. Dies sei, nach Aussage des Anwalts, die leichtere Variante.
Diese Einstufung verwundert mich schon sehr.
Der Anwalt ist des Weiteren der Meinung, dass bei Markus B. entgegen dem psychologischen Gutachten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliege. Zuerst habe Markus B. erwogen, das Mitglied einer Familie aus Grumbach zu entführen, dann habe er versucht, den Handelskonzern Lidl um 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Erst danach sei er auf die Familie R. gekommen. Zudem gibt der Verteidiger auch dem Mitangeklagten Norbert K. Schuld an der Tat. Er ist der Meinung, dass beide die Tat gemeinsam geplant und durchgeführt haben. Das will der Anwalt unter anderem dadurch bewiesen sehen, dass beide ihr Handy während der Entführung in Lampersdorf gelassen haben. Somit könne die Entführung auch für Norbert K. nicht überraschend gewesen sein. Auch das Überwältigen des Opfers sei nicht allein zu bewerkstelligen gewesen. Am Ende stellt er die Frage, ob sein Mandant Markus B. Anneli R. alleine getötet habe – und streitet das zugleich ab, da es dafür keinen Beweis gebe, sondern der Mitangeklagte Norbert K. dies nur behauptet habe. Dieser wiederum habe ja aber schon genug gelogen. Für den Verteidiger von Markus B. sind somit drei Varianten möglich: erstens Tötung durch Markus B., zweitens Tötung durch Norbert K., drittens gemeinsame Tötung.
Durch diese unterschiedlichen Varianten will der Verteidiger erreichen, dass das Gericht alle Indizien und Fakten, die gegen Markus B. sprechen, ausblendet und so ausreichend Zweifel an der Schuld von Markus B. erwachsen.
Der Verteidiger pickt sich einige Indizien heraus und verliert auf diesem Wege natürlich den Gesamtzusammenhang. Somit stellt sich die Lage für seinen Mandanten positiver dar. Er argumentiert mit Logik und Sinnhaftigkeit, doch beides hat der Angeklagte Markus B. bisher in keiner Art und Weise gezeigt. Auch, dass Markus B. Anneli R. habe töten müssen, weil sie ihn hätte wiedererkennen können, hält er für unwahrscheinlich, da Markus B. ja umziehen wollte und insofern eine Entdeckung durch sie nicht möglich gewesen wäre.
Außerdem unterstellt er dem Mitangeklagten Norbert K., Anneli R. aus Panik getötet zu haben. Die vorliegenden Beweise ließen es nicht zu, festzustellen, wer der Mörder sei, so der Verteidiger. Als Strafmaß für seinen Mandanten fordert er zum Schluss eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen erpresserischen Menschenraubs.
Hiernach hält der zweite Verteidiger von Markus B. sein Plädoyer und stellt ebenfalls fest, dass es keine Beweise dazu gebe, wer den Mord begangen hat. Auch er schiebt den Mord dem Mitangeklagten Norbert K. zu und begründet dies ausschweifend. Er kommt zu dem Schluss, dass man nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass Markus B. der Mörder sei. Betreffend das Strafmaß schließt er sich seinem Kollegen an. Er teilt außerdem mit, dass Markus B. ein sogenanntes „Lügen-Gen“ habe. Er bezeichnet ihn des Weiteren als „dümmlich“ und „kopflos“. Markus B. sei nicht in der Lage, ein solches Verbrechen auszuführen. Zudem zweifelt der zweite Verteidiger die Fachlichkeit des Sachverständigen Prof. G. an. Und natürlich sieht er in dem Verbrechen keine „besondere Schwere der Schuld“.
Der Verteidiger führt immer wieder auch zu seiner eigenen Person aus. Er erzählt, wie viel Erfahrung er in welchen Arten von Prozessen schon gesammelt und auch, dass er sogar schon vor dem BGH verhandelt habe. Doch was bezweckt der Advokat damit? Will er das versammelte Publikum beeindrucken, was für ein toller Held er ist?
Am Ende fügt der Anwalt noch hinzu, dass, wenn das Gericht doch auf Mord urteilen sollte, sein vorgeschlagenes Strafmaß für diesen Fall lebenslänglich, ohne Feststellung einer „besonderen Schwere der Schuld“ sei.
Anschließend und ohne Pause plädiert nun der Rechtsanwalt von Norbert K., Andrej K. Er bedankt sich bei den Beteiligten für den fairen Prozess. Einleitend führt er zunächst zum Wesen der Nebenklage aus. Er sagt, als Anwalt müsse er rücksichtslos sein und betont, dass er „nur seinen Job“ mache. Er beklagt sich auch darüber, dass ein Blogger seine Anträge als kaltschnäuzig und menschenverachtend bezeichnet habe.
Damit kann er nur mich meinen.
Weiter führt er aus, dass er die objektive Ermittlungsarbeit der Polizei anzweifle und benennt angebliche Ungereimtheiten. Zum Beispiel habe es in den ersten Ermittlungsentwürfen Fehler bei Daten und Uhrzeiten gegeben.
Juristisch entscheidend ist das alles nicht, daher stufe ich diesen Einwand als Bemühung ein, Zweifel zu streuen.
Er mahnt weiter an, dass es niemals einen dringenden Tatverdacht gegen seinen Mandanten gegeben habe, und dass die vorläufige Festnahme ebenso rechtswidrig gewesen sei. Er sei auch sehr verwundert darüber, dass sowohl die Oberstaatsanwältin als auch die Vertreter der Nebenklage in ihren Plädoyers so viel zu seinem Mandanten Norbert K. vorgetragen haben. Er hält dies für einen Beitrag zur Verunsicherung, ob Norbert K. überhaupt als Täter in Frage kommt. Ein ehemaliger Gefängnis-Mitinsasse habe ja als Zeuge ausgesagt, sein Mandant habe ihm wiederum berichtet, dass Anneli R. tot gewesen sei, als Norbert K. von der Tankstelle, an der er Getränke gekauft hatte, zurückkam. Der Anwalt ist demnach der Meinung, dass am Ende nur Indizien vorliegen und keine Beweise.
Indizien sind gemäß BGH auch Beweise.
Der Verteidiger zweifelt darüber hinaus auch die Freundschaft zwischen den beiden Angeklagten an und schließt eine Mittäterschaft von Norbert K. beim Mord aus. Seine Tatbeteiligung an der Entführung sei nur dadurch entstanden, dass er unter Vortäuschung falscher Tatsachen zum Abfangort von Anneli R. geführt worden sei. Dass sein Handy auch in Lampersdorf verblieb, liege daran, dass er es dort nur vergessen habe.
Das „Unterlassen“ von Norbert K. begründet er mit der psychologischen Einschätzung, dass Norbert K. ein passiver Mensch sei. Bei der nun folgenden Beurteilung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens schließt der Anwalt eine Unterlassung seines Mandanten aus, da dessen Tatbeteiligung „zu minimal“ sei. Er habe weder am Vortatverhalten mitgewirkt, noch die Durchführungspläne gekannt. Die Tat sei von Markus B. auch ohne seinen Mandanten durchgeführt worden bzw. hätte ohne ihn durchgeführt werden können. Norbert K. habe keinerlei Veranlassung gehabt, zu glauben, dass Anneli R. getötet werden sollte, daher sei er nur wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub zu verurteilen. Und auch wenn er mehrmals die Möglichkeit gehabt habe, auszusteigen, hätte er dieses aufgrund seiner Passivität nicht tun können. Norbert K. bereue, nicht aktiv, beispielsweise durch einen Anruf bei der Poilizei, dagegen gesteuert zu haben. Eine Unterlassung treffe in diesem Fall juristisch jedenfalls nicht zu, da Norbert K. nicht gewusst habe, dass Markus B. Anneli R. töten wollte. Somit liege seitens Norbert K. auch keine Mittäterschaft am Mord vor. Zu berücksichtigen sei schließlich auch, dass Norbert K. ausgesagt und zur Aufklärung des Falls beigetragen habe. Als Strafmaß beantragt er vier Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe.
Wenn man die Plädoyers aller Verteidiger betrachtet, so lässt sich deren Absicht deutlich feststellen: Keiner der Angeklagten soll wegen Mordes verurteilt werden. Der eine nicht, weil man es ihm nicht beweisen kann, der andere nicht, weil er davon nichts wusste. Auch diese Erkenntnis wird für die Familie R. schwer zu ertragen sein, denn in der Konsequenz ist Anneli R. grausam und brutalst ermordet worden – und keiner hat Schuld.
Nun gibt das Gericht den Angeklagten noch Gelegenheit für letzte Worte. Markus B. nimmt diese Möglichkeit erwartungsgemäß nicht wahr. Norbert K. spricht seine letzten Worte. Er entschuldigt sich bei der Familie und teilt mit, dass es ihm Leid tue, was passiert ist. Er bereue die Tat und verstehe sein Verhalten nicht. Er unterstellt dem Mitangeklagten Markus B., dass dieser ihn für die Tat manipuliert habe.
Hiernach endet der Verhandlungstag bereits um 12:27 Uhr. Das Urteil wird am 5. oder 6. September 2016 verkündet.
Markus B. / Bildquelle: Stefan Bisanz
Comments are Disabled