Achter & Neunter Verhandlungstag | Angeklagter sagt aus

Die beiden Prozesstage beginnen mit der Befragung von Polizeikommissar R., der als Zeuge geladen ist. Der vom Gericht neu bestellte Gutachter möchte von Polizeikommissar R. wissen, ob er beim Mitangeklagten Jan I. psychische, als auch physische Auffälligkeiten bemerkt habe. Polizeikommissar R. antwortet, dass sich der Angeklagte insgesamt normal verhalten habe, bis auf die auffällige Motorik. Der Angeklagte wäre gehumpelt. Bei seiner Festnahme jedoch konnte er auf einmal normal gehen.

Der Angeklagte Jan I. wird unwirsch

Dann werden weitere Fragen an den Angeklagten Thomas B. gestellt. Unter anderem will der Vorsitzende Richter von Thomas B. erfahren, wie das erste Treffen mit dem Hauptangeklagten in Dortmund verlaufen sei. Neben Michael K. haben daran auch Jan I., Piotr M. und Thomas B. teilgenommen. Thomas B. berichtet, dass er zuerst das Gespräch geführt habe, später aber feststellte, dass die Deutschkenntnisse der anderen beiden Polen für ein Gespräch mit Michael K. ausreichend sein würden. Letztlich hätte aber der Angeklagte Jan I. den größten Sprachanteil gehabt. Über diese Aussage regt sich Jan I. wiederum fürchterlich auf und beleidigt Thomas B. unflätig (Polen-Nazi, Polen-Assi u.ä.). Daraufhin unterbricht der Vorsitzende Richter die Verhandlung für fünf Minuten und belegt den Angeklagten mit einer Ordnungshaft von fünf Tagen. Der psychologische Gutachter fragt Thomas B., ob Jan I. solch ein impulsives Verhalten schon früher gezeigt habe, was dieser verneint.

Achter & Neunter Verhandlungstag | Angeklagter sagt aus

Aussage des angeklagten Mittäters Piotr M.

Im Fokus des weiteren Verlaufes dieses Tages steht die Aussage von Piotr M. Er berichtet auf Polnisch mit weinerlicher Stimme – eine Dolmetscherin übersetzt in beide Richtungen jeweils Wort für Wort. Piotr M. entschuldigt sich für alles, was passiert ist und möchte die Zeit am liebsten zurückdrehen. Er habe damals den Angeklagten Thomas B. in einem Fitnessstudio kennengelernt. Da sei er regelmäßig hingegangen, weil er bei einer Schlägerei erhebliche Verletzungen erlitten hätte und seine Fitness hätte steigern wollen.

Thomas B. hätte ihn gefragt, ob er mit ein paar Jungs für ihn Schulden eintreiben könnte. Weil Piotr M. wusste, dass Jan I. zu diesem Zeitpunkt selbst hochverschuldet war, dachte er, das ist genau der Richtige für den Job des Geldeintreibers. So sprach er ihn darauf an, denn Piotr M. Plan sei gewesen, im Hintergrund zu bleiben, nur als Vermittler zu agieren.

Der Hauptangeklagte Michael K. und Thomas B. wollten nach dem ersten Treffen den Mitangeklagten Jan I. jedoch nicht dabeihaben, da dieser ein Zigeuner sei. Michael K. selbst wollte auch keinen direkten Kontakt mit Jan I. und Piotr M. Später sei dann noch ein weiterer Mittäter polnischer Herkunft dazu gekommen, berichtet Piotr M.

Michael K. hätte die Observation des Opfers in Leer und Deetern beauftragt, mit der Begründung, auf normalem Weg käme man an das Geld nicht ran. Der Hauptangeklagte wäre sich sicher gewesen, dass das Opfer nicht die Polizei einschalten würde. Piotr M. selbst wäre mit einer Entführung nicht einverstanden gewesen und wäre daraufhin telefonisch eingeschüchtert und mit dem Tod bedroht worden. Deshalb habe er auch mitgemacht.

In dieser Phase seines Lebens hätte er viele persönliche Probleme gehabt: keine Arbeit, Schulden, ein kleines Kind, eine schwangere Lebensgefährtin. Zu allem Überfluss habe er auch noch Drogen konsumiert. Michael K. kam ihm da sehr glaubwürdig vor. Bei einem Treffen habe Michael K. Blut in ein Taschentuch gehustet. Er sei sehr kränklich gewesen und sah alt aus. Noch während der wochenlangen Observation vor der Tat habe er gehofft, dass das Unterfangen noch abgebrochen würde.

Piotr. M berichtet weiter, dass seine Überwachungsaufgabe darin bestand, an der nächsten Bushaltestelle zum Wohnort des Opfers zu stehen und die jeweilige Abfahrts- und Ankunftsuhrzeit des potentiellen Opfers zu melden.

Bushaltestellen sind, neben anderen, sehr wichtige Aufklärungspunkte, da es hier für die Täter die Gelegenheit gibt, unter einer Legende unauffällig die Gegend zu beobachten. Kein vorbeifahrender Mitbewohner würde eine wartende Person an einer Haltestelle für verdächtig halten.

Am Samstag vor der Entführungswoche zog Piotr M. dann in die Ferienwohnung. Zwei weitere Männer aus Polen, die er nicht kannte, zogen einen Tag später zu ihm in die Ferienwohnung. Am Montag sollte die Entführung durchgeführt werden. Das klappte jedoch nicht, da das Opfer nicht alleine in seinem Auto fuhr. So wurde die Entführung am nächsten Tag, am Dienstag vollzogen.

Auch das ist typisch für Entführungsfälle, es gibt oft mehrere Anläufe. Das bedeutet, dass eine größere Infrastruktur und Mehraufwand für die Täter notwendig wird. Das wiederum birgt eine „bedingt“ bessere Chance für die Sicherheit bzw. für die Aufklärungskräfte, die Entführer noch vor der Tat zu entdecken.

Piotr M. sei am Tag der Entführung alleine zur Ferienwohnung gefahren, nachdem er seinen Auftrag am Wohnort des Opfers ausgeführt hätte, und sei als Erster dort eingetroffen. Die anderen Täter kamen nach, sie fuhren mit dem Opfer im Zickzackkurs zur Wohnung. Dort angekommen wies das Opfer darauf hin, dass es starke Herzschmerzen habe. Dabei habe Heiko L. allerdings auf seine rechte Körperseite und nicht auf die linke Herzseite gezeigt. Die Entführer fühlten sich durch diese Finte betrogen und die Stimmung gegenüber dem Opfer sank dramatisch ab.

Opfern einer Einführung ist dringend angeraten, niemals Spielchen mit den Tätern zu treiben. Dergleichen führte im konkreten Fall der Entführung von Heiko L. fast dazu, dass ihm ein Ohr abgeschnitten worden wäre. Dieses Detail, dass das Opfer die Täter versucht hat, zu täuschen, führte das Opfer in seiner Zeugenaussage im Prozess allerdings nicht aus.

Es ist immer wieder festzustellen, dass sich Opfer – so auch Heiko L. – den Tätern intellektuell überlegen fühlen. Das ist im normalen Lebensalltag höchstwahrscheinlich der Fall. Doch in einer Entführungssituation sind die Kräfteverhältnisse genau umgekehrt. Genau das sollte ein Opfer trotz erheblichen Stresspegels immer beachten.

Denn eines steht fest: Die operative Durchführung einer Entführung ist oftmals erfolgreich, so auch im Fall von Heiko L. Die meisten Fehler werden dann in der Infrastruktur der Nachtat und bei der Geldübergabe gemacht. Doch dann ist es für das Opfer bereits zu spät, es ist bereits traumatisiert.

Auch durch diesen versuchten Trick von Heiko L. hatten die Täter das Gefühl, dass der Hauptangeklagte Michael K. „der Gute“ sei und das Opfer Heiko L. „der Schlechte“. So wurde es auch immer wieder von Michael K. dargestellt. Man wolle das Opfer nicht ernsthaft verletzen, man gab ihm sogar noch ein zusätzliches Kissen und auf Toilette durfte er auch. Zudem wurde ihm Wechselunterwäsche gekauft.

Piotr M. berichtet weiter, dass die Entführer vermuteten, die Polizei sei bereits involviert, weswegen sie beschlossen, das Opfer freizulassen. Die Polen fuhren dann unverzüglich zurück in ihre Heimat. Piotr M. sollte jedoch noch einen Tag länger in der Ferienwohnung bleiben, dies lehnte er jedoch ab.

Die Entführung wurde in der Nähe des Wohnortes des Opfers durchgeführt, weil die Observation am Arbeitsplatz ergeben hat, dass dort eine Kamera angebracht ist. Man befürchtete also, beim Observieren aufgezeichnet zu werden. Dies zeigt wiederum eindeutig, dass Sicherheitsmaßnahmen welcher Art auch immer aktiv schützen.

Der Angeklagte Piotr M. entschuldigt sich zwischendurch nochmals und zeigt Reue. Dann erklärt er, dass die polnischen Männer bald erkannt hätten, dass sie kein Geld erhalten würden. Deshalb beschlossen sie, den Mitangeklagten Thomas B. zu entführen, damit sie wenigstens etwas Geld bekommen. Piotr M. bekam daraufhin später Ärger mit Thomas B., da dieser annahm, dass Piotr M. Informationen über ihn an die Polen weitergegeben hätte. Doch Piotr M.s größter Wunsch sei es vielmehr gewesen, nur noch ein normales Leben führen zu können.

Piotr M. berichtet weitere wissenswerte Informationen rund um die Entführungsinfrastruktur. So erzählt er, dass die Uniformen, die die Polen während der Entführung trugen, von ihm per Post nach Polen hinterhergeschickt wurden, weil sie die nicht im Auto mitführen wollten. Des Weiteren teilt er mit, dass es einen GPS-Blocker in der Ferienwohnung gab, dessen Reichweite sich auch auf den angemieteten Skoda, der ebenfalls mit einem GPS-System ausgestattet war, auswirkte.

Eine ursprüngliche Entführungsvariante war, laut Piotr M., dass die Täter als Security-Mitarbeiter, mit schusssicheren Westen ausgestattet, in die Firma des Opfers gehen und dort das Geld erpressen wollten.

Und zum Thema Observation des Opfers berichtet Piotr M., alle Beteiligten hätten per E-Mail ein Foto des Opfers bekommen mit den entsprechenden Anschriften.

Nach dieser Aussage fragt der Vorsitzende Richter den Angeklagten, was er sich denn von dieser Tat versprochen hätte und wie viel Geld er als Vermittler verdienen wollte. Der Angeklagte antwortet, dass darüber nicht gesprochen worden sei. Der Hauptangeklagte Michael K. hatte Piotr M. jedoch erzählt, dass das Opfer Milliardär sei und ihm 36 Millionen Euro schulde. Bei der Entführung ging es jedoch nur um eine Million Euro, davon sollten 600.000 Euro an Michael K. gehen und 400.000 Euro an die Entführer. Michael K. hätte das Geld über die Erpressung bekommen wollen, da er der Ansicht war, ein Gerichtsprozess würde zu lange dauern.

Einer der polnischen Männer, so Piotr M., gehöre der „achtarmigen Krake“ an, einer Gruppierung der polnischen Mafia. Den Mitangeklagten Jan I. wiederum würde er bereits seit 2014 kennen.

In der Vorbereitung der Entführung wurden mehrere Gespräche geführt, der Mitangeklagte Thomas B. und der Hauptangeklagte Michael K. waren immer dabei. Die Telefonate zur Anmietung der Ferienwohnung habe immer Michael K. geführt. Die Polen wurden von ihm mit einer neuen Handynummer und einem Handy ausgestattet. Bei der Entführung hatten sie Plastikpistolen dabei. Die Namen der Polen kenne Piotr M. nicht. Piotr M. hätte immer gedacht, die Entführung würde nicht funktionieren. Als sie doch tatsächlich stattfand, sei er total geschockt gewesen.

Ganz nebenbei erfahren die Zuhörer im Gerichtssaal, dass die Angeklagten Piotr M. und Thomas B. während ihrer U-Haft mindestens für eine Nacht gemeinsam in einer Zelle untergebracht waren. Hier stellt sich erstens die Frage, wie so etwas passieren konnte und zweitens, in welcher Art und Weise hier Aussagen abgesprochen werden konnten.

Nach der Aussage des Angeklagten Piotr M. stellt die Anwältin des Mitangeklagten Jan I. erneut den Antrag, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen und den Angeklagten in ein Justizvollzugskrankenhaus zu verlegen, um ihn neurologisch untersuchen zu lassen.

Fazit:

An diesen beiden Verhandlungstagen wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig es für einen Sicherheitsberater ist, Täterwissen im Original  und authentisch zu erfahren! Es waren wertvolle Erkenntnisse zum Observationsverhalten von Entführern zu erfahren, so dass hieraus Maßnahmen der Aufklärung getroffen werden können. Des Weiteren ermöglicht das gewonnene bzw. bestätigte Wissen über das Verhalten von Opfern im Umgang mit Tätern, potentiellen Opfern entsprechende Vorab-Hinweise mitzugeben. Eine weitere wichtige Erkenntnis ist, dass Sicherheitsmaßnahmen wie Videokameras von Tätern durchaus wahrgenommen werden und diese zu anderem Verhalten zwingen. All dies verriet uns die Täteraussage der beiden Prozesstage.


Bildquelle: Polizeidirektion Osnabrück | Polizeiinspektion Leer/Emden

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