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Reker-Prozess: Elfter Verhandlungstag | Die letzten Worte von Frank S.

Heute wird das Plädoyer der Verteidigung erwartet und der Angeklagte Frank S. hat das sogenannte „letzte Wort“, daher sind auch wieder Kamerateams und circa 15-20 Journalisten vor Ort.

Nach der Begrüßung fordert die Vorsitzende Richterin den Verteidiger Jasper M. zu seinem Plädoyer auf. Der Verteidiger sagt, dass er in seiner fast 20-jährigen Berufszeit noch niemals durch seinen Mandanten derartig beleidigt oder derart behandelt worden sei. Weiterhin berichtet er von einem Gespräch am gestrigen Abend, in dem die Einlassung zur Beweislage von ihm und dem Angeklagten unterschiedlich beurteilt worden seien. Frank S. habe ihm daher untersagt, sich zur Beweislage zu äußern. Nun würde er sich einzig zur Straftatbemessung äußern.

Er führt dahingehend an, dass der Angeklagte eine sehr schlechte Kindheit gehabt habe und es einen nur grausen könne, wenn man die ersten Lebensjahre von Frank S. betrachtet. Folglich beantrage er auch eine Strafmaßverschiebung aufgrund einer psychischen Erkrankung. Als Strafmaß fordert Jasper M. eine zeitlich begrenzte Haftstrafe, die 15 Jahre Haft nicht überschreiten dürfe. Damit ist sein Plädoyer beendet.

Reker-Prozess: Elfter Verhandlungstag | Die letzten Worte von Frank S.

Danach beginnt, auf Aufforderung der Vorsitzenden Richterin, Frank S. mit seinem letzten Wort. In der bereits bekannten Art und Weise fällt sein Vortrag thematisch sehr sprunghaft aus. Zuerst beklagt er sich über seine beiden Anwälte, die nach seiner Sicht stümperhaft und ein Totalausfall seien. Anschließend geht er auf Fotos vom Tatort ein, die er aus der Akte erhalten habe, und zeigt diese in die Kameras. Darauf kann man sehen, dass ein Teil der Messerscheide mit einem Edding schwarz übermalt wurde. Es gebe auch andere Fotos, auf denen diese Schwarzfärbung nicht zu sehen sei, sondern Blutspuren auf dem Messer. Daher ist Frank S. überzeugt, dass das Blut nachträglich aufgetragen wurde, um so das DNA-Gutachten zu manipulieren.

Weiterhin ist ihm wichtig, dass er nicht als psychisch krank angesehen werde, sondern, dass er bei gesundem Menschenverstand sei. Er unterstellt den Polizisten massive Manipulationen ihrer Aussagen sowie alle möglichen Straftaten. Er besteht auch darauf, dass er Henriette Reker nicht töten, sondern sie nur verletzen wollte. Auch alle anderen Personen habe er nicht verletzen wollen. Politische Motive hätten ihn angetrieben. „Die Herrschaftskaste sollte wieder den Volkssturm fürchten.“ Er habe sich seinem Gewissen gegenüber verpflichtet gesehen, „ein Zeichen zu setzen“, ein Zeichen gegen Die Grünen und gegen „die Kriegstreiber“ in Bezug auf Russland. Es würde ein millionenfacher Rechtsbruch geschehen. Und er habe Henriette Reker als Oberbürgermeisterin verhindern wollen, da sie nicht parteilos sei, sondern von den Grünen gesteuert werde.

Insgesamt wird in seinem letzten Wort sehr viel wiederholt und es werden auch keine neuen Aspekte aufgezeigt. Er zitiert aus vielen Zeitungsartikeln und Gesetzestexten, um so ein Meinungsbild herauszuarbeiten.

Das Gericht hört sich den Vortrag von Frank S. geduldig an, nur an der Gesichtsmimik lässt sich die jeweilige persönliche Stimmungslage ablesen.

Frank S. führt weiter aus, dass er einen Tag vor Prozessbeginn ein Entschuldigungsschreiben an Henriette Reker geschrieben habe. Dieses Schreiben habe er seinem Anwalt Dr. Christoph M. mitgegeben, damit er dies an Henriette Reker übergeben könne. Dies habe er nicht getan und er habe ihm dieses Schreiben auch nicht wieder zurückgegeben. Er beklagt sich weiter über das Verhalten seines Anwalts, da dieser den Klarnamen seiner Bekannten an die Medien weiter gegeben habe. Auch Informationen, die sonst keiner wisse, zum Beispiel, dass seine Bekannte halb Schwedin und halb Französin sei.

Frank S. glaubt, dass Henriette Reker gegen ihn einen Rachefeldzug führe. Er hofft auf ein Urteil, welches auf Fakten und Beweisen basiere.

Da sich Frank S. zwischendurch auch ungebührlich benimmt und seinen Anwalt beleidigt, wird er von der Vorsitzenden Richterin zur Ordnung gerufen. Auch unter Androhung eines Ordnungsgeldes oder von Ordnungshaft.

Frank S. führt nochmals aus, dass er keine Tötungsabsicht gehabt habe. Unter anderem will er das dadurch beweisen, dass er das Attentat einem Ort durchgeführt habe, wo mehrere Leute in unmittelbarer Nähe haben helfen können und auch entsprechende Rettungskräfte schnell hätten kommen können. Immer wieder pocht er darauf, dass er die Wahrheit sage.

Zum Schluss entschuldigt sich Frank S. pauschal bei allen Opfern und teilt nochmals mit, er habe ein Zeichen setzen und Henriette Reker nicht töten wollen. Er sehe ein, dass er einen großen Fehler gemacht habe. Er habe wie mit Tunnelblick gehandelt und „mit etwas Schlimmen etwas Schlimmeres verhindern“ wollen, so die letzten Worte des Angeklagten Frank S.

Der heutige Verhandlungstag endet bereits um 10:35 Uhr. Am 01. Juli 2016, um 14:00 Uhr wird das Urteil gesprochen.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Vierter Verhandlungstag

Beim vierten Verhandlungstag, am 20. Juni 2016, sind 25 Zuschauer, 10 Medienvertreter sowie ein TV-Team von RTL anwesend.

Kurz vor Verhandlungsbeginn wird Norbert K. von zwei Justizbeamten in den Saal geführt. Nachdem er Platz genommen hat, führt er sofort ein intensives Gespräch mit seinen Anwälten. Markus B. hingegen hält wieder einen DIN A4-Ordner vor sein Gesicht. Als die beiden Angeklagten den Saal betreten, verdüstern sich umgehend die Minen der gesamten Familie, Mutter Ramona R, Vater Uwe R. und Tochter Anett R.

Zu Beginn möchte der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung abgeben. Er bezieht sich darin auf die Zeugenaussagen des Kriminalhauptmeisters Rüdiger P. Anhand von dessen Aussage vor Gericht, aber auch insbesondere der polizeilichen Vernehmung und den dort getätigten Aussagen von Norbert K., spielt der Verteidiger die Tatbeteiligung seines Mandanten herunter.

Diese Stellungnahme ist nur aufgrund des unprofessionellen Aussageverhaltens des Polizisten am letzten Verhandlungstag möglich. Der Beamte Rüdiger P. hat extrem viel interpretiert und in seiner Aussage Vermutungen angestellt, nur dadurch ist diese Stellungnahme überhaupt möglich. Der Verteidiger versucht nun, Schuld von Norbert K. zu nehmen und Markus B. anzulasten. Da Letzterer jedoch keine größere Schuld haben kann, als er ohnehin schon hat, hilft dieses Vorgehen alles in allem nur dem Angeklagten Norbert K.

Nun wird die erste Zeugin vernommen, die Apothekerin Irene S. Sie identifiziert den Angeklagten als Kunden ihrer Apotheke. Markus B. sei regelmäßiger und langjähriger Kunde gewesen. Er habe sich im Grunde immer korrekt verhalten, nur manchmal war er auch fordernd. Am 22. Juni 2015 habe er versucht, 250 Milliliter Äther zu kaufen. Als Begründung habe er angegeben, Hühner auf seinem Hof töten zu müssen, wofür die Tiere vorher betäubt werden sollten, gemäß Tierschutz. Erst nach Recherche durch die Apothekerin und mithilfe des Rezepts eines Tierarztes wurde dem Beschuldigten diese Menge am 29. Juni 2015 verkauft.

Vater Uwe R. nimmt sein Recht wahr, Fragen zu stellen und möchte nun von der Zeugin erfahren, wie oft in ihrer Apotheke nach Äther gefragt werde. “Selten“ antwortet diese und wirkt in diesem Moment emotional ziemlich ergriffen.

Hiernach kommt ein weiterer Zeuge zu Gehör, Dr. Albrecht L. Er war der Hausarzt des Angeklagten Markus B. und soll nun die Frage der Verhandlungsfähigkeit seines früheren Patienten beantworten. Hierzu ist er von der Schweigepflicht entbunden. Die Verteidigung besteht darauf, dass er zu keinen weiteren Punkten Stellung nimmt.

Jedoch äußert sich Dr. Albrecht L. nicht zur Verhandlungsfähigkeit von Markus B., sondern teilt nur mit, dass sich sein Patient auch bei ihm über die Verschreibung von Äther zur Betäubung von Hühnern erkundigt habe. Da der Doktor kein Tierarzt sei, habe er kein Rezept ausgestellt.

Danach wird ein Telefonat vorgespielt, das am 13. August 2015, um 21:00 Uhr, zwischen beiden Angeklagten geführt wurde. Beide Angeklagten tun darin so, als ob sie ein ganz normales Gespräch über Gott und die Welt führten. Es geht ganz teilnahmslos um Verkehrsprobleme, die Kinder des Angeklagten Markus B. und weitere Themen. Unter anderem wird darüber gesprochen, dass zu hören gewesen sei, ein Mädchen aus der sei Gegend entführt worden. Beide Männer äußern, die betroffene Familie nicht zu kennen. Norbert K. aber meint, dass die Eltern sich erst so spät in der Öffentlichkeit gemeldet hätten, sei eine schwache Leistung.

Immer wieder versucht Markus B., den Angeklagten Norbert K. versteckt zu beruhigen. Er baut vermehrt Halbsätze wie „es gibt keine Bewegung hier“ oder „alles wird gut“ in die Unterhaltung ein.

Dieses Gespräch scheint absichtlich geführt worden zu sein, weil die Täter wahrscheinlich dachten, sie würden einer Telefonüberwachung unterliegen. Um sich nun unverdächtig zu machen, führten sie ein normales Gespräch. Doch für einen gelungenen Fake ist das geführte Gespräch nicht gut genug. Norbert K. klopft während des Abspielens des Gesprächs mit den Fingern nervös auf der Tischplatte.

Hiernach kommt als Zeugin eine ambulante Altenpflegerin aus Dresden. Die 27-jährige kennt den Angeklagten Markus B., weil ihre Eltern direkt neben ihm wohnten. Am 14. August 2015 habe sie eine ungewöhnliche Begegnung mit Markus B. gehabt, als dieser ihr um 12:00 Uhr, gerade als sie vom Haus ihrer Eltern wegfuhr, mit hohem Tempo in seinem BMW entgegen gekommen sei.

Nach ihr sagt Kriminalhauptkommissar Georg B. (40) aus Dresden aus. Er stieg erst zwei Wochen nach der Entführung in den Fall ein, da er bis dahin im Urlaub war. Er war für die Zusammenfassung der ermittelten Ergebnisse zuständig und auch mit der Auswertung beauftragt.

Unter anderem hat der Beamte festgestellt, dass die Strecke zwischen dem Elternhaus von Anneli und dem Entführungsort 1,7 Kilometer lang ist, Luftlinie etwa 900 Meter. Uwe R. möchte vom Zeugen erfahren, ob der Entführungsort zufällig oder absichtlich gewählt worden sei. Der Zeuge ist der Meinung, dass dieser Ort absichtlich ausgesucht worden sei, da man sich in dem dort zu findenden Gebüsch, gut verstecken könne und somit nicht zu entdecken sei.

Des Weiteren ist sich der Zeuge sicher, dass Anneli diesen Weg oft gegangen sei, da man in der Auswertung ihrer Mobilfunkdaten festgestellt habe, dass ihr Handy nahezu täglich um die gleiche Uhrzeit in die dortige Mobilfunkzelle eingeloggt gewesen sei.

Auch gebe es Aufschluss über die Bilder, die der Vater von Anneli unmittelbar nach der Entführung von Annelis Fahrrad und dem Hund gemacht habe. Der Polizeibeamte ist der Ansicht, dass der Hund am Gepäckträger mit der Leine befestigt worden sei, gleichzeitig hat es vermutlich den Angriff auf Anneli gegeben, daher müsse es um zwei Täter gehandelt haben.

An den zu diesen Fragen stattfindenden Betrachtungen einiger Bilder am Richtertisch nimmt Uwe R. jedes Mal teil. Aus dieser Position kommt er den Angeklagten etwas näher und taxiert diese. Seine Gestik und Mimik wirken drohend, insbesondere gegenüber Norbert K. Norbert K. leidet offenbar sehr und macht auf Mitleid. Ab und zu schaut er verstohlen zu Familie R. Wie die Opfer wird auch er lebenslang mit den Folgen des Verbrechens zu kämpfen haben, er wird sein Mitwirken an der Tat niemals überwinden.

Als nächster Zeuge des heutigen Verhandlungstages erscheint der 52-jährige Auktionator und Immobilienmakler Brian H. bei Gericht. Er hatte den Maklerauftrag des Angeklagten Markus B. zum Verkauf des mütterlichen Dreiseitenhofs übernommen.

Er teilt mit, dass die erste Verkaufsphase vor circa eineinhalb bis zwei Jahren gewesen sei. Das Unterfangen sei jedoch kaum umsetzbar gewesen, da Markus B. sehr unzuverlässig gewesen sei und somit keine Besichtigungstermine stattgefunden hätten. Im Mai 2015 habe er einen neuerlichen Versuch unternommen, sich den Hof persönlich angeschaut und den zu erlösenden Kaufpreis von circa 150.000 bis 200.000 Euro als akzeptabel eingeschätzt. Auch Norbert K. habe er manchmal dort gesehen.

Ramona und Anett R. schauen ständig Markus B. an. Dieser hat den Kopf nach links abgewandt.

Auch am 14. August 2015 habe der Makler von circa 16:00 Uhr bis circa 17:00 Uhr eine Besichtigung auf dem Hof durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat noch in vollem Gange. Es habe mehrere Besichtigungsparteien gegeben, sodass man die Interessierten in zwei Gruppen aufgeteilt habe. Eine Gruppe sei durch den Makler geführt worden, die andere Gruppe durch Markus B. Der Makler habe da noch nichts von einer Entführung gewusst, davon habe er erst durch die Presse bzw. einen Tag später durch die Polizei erfahren.

Besonderheiten seien ihm bei der Besichtigung nicht aufgefallen, auch das Verhalten von Markus B. sei nicht ungewöhnlich gewesen.

Als letzter Zeuge am heutigen Verhandlungstag kommt Marcel P. in den Saal. Er war einer der Interessenten beim Besichtigungstermin. Auch ihm seien keine Besonderheiten aufgefallen, außer, dass er der Meinung gewesen wäre, die Immobilie sei ihren Preis nicht wert und in einem katastrophalen Zustand. Als er jedoch am Montag bei der Arbeit von der Entführung gehört habe, hätte er sich umgehend bei der Polizei gemeldet.

Damit endet dieser Verhandlungstag.

Bildquelle: NicoLeHe / pixelio.de

Reker-Prozess: Zehnter Verhandlungstag | Die Plädoyers der Anklage

Am heutigen 10. Verhandlungstag werden die Generalbundesanwaltschaft und die Nebenklagevertreter ihre Plädoyers verlesen. Anwesend sind 15 Pressevertreter, zwei Fotografen und zwei Besucher. Nach Beginn der Verhandlung um 09:34 Uhr verliest die Richterin zunächst drei Beschlüsse der Kammer.

Anträge des Angeklagten: das Gericht beschließt

Zunächst wird der Antrag des Angeklagten, ein weiteres rechtmedizinisches Gutachten einzuholen, abgelehnt. Der Angeklagte unterstellt der Gutachterin, dass sie ihm gegenüber befangen sei, weil sie aus Köln kommt. Doch die Kammer zweifelt nicht am Sachverstand der Gutachterin, auch ihre Kölner Herkunft ändert daran nichts.

Der zweite Beschluss bezieht sich auf den Antrag des Angeklagten, Sara S. als Zeugin zu vernehmen. Sara S. hat in ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt, sie hätte Henriette Reker röcheln gehört. Der Angeklagte wollte festgestellt wissen, dass er dies dann auch gehört habe, und daraufhin seine Tat nicht weiter ausgeführte, womit feststehen würde, dass er Henriette Reker nicht töten wollte. Das Gericht lehnt jedoch auch diesen Antrag ab, weil es sich durch die Vernehmung der Zeugin keinerlei neue Erkenntnisse erwartet, zumal der Angeklagte sich selbst darauf eingelassen hat, dass er sich direkt nach der Tat einem Mob gegenüber sah, dem er sich erwehren musste.

Reker-Prozess: Zehnter Verhandlungstag | Die Plädoyers der Anklage

Der dritte Beschluss bezieht sich auf den Antrag des Angeklagten, die Zeugen Roland S. und Mathias K. erneut zu befragen. Auch diesen Antrag lehnte das Gericht ab, da die relevante Fragestellung bereits am fünften Verhandlungstag ausreichend erörtert worden sei und der Angeklagte selbst Fragen hätte stellen können. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht gewusst, dass er Fragen stellen kann, wies das Gericht mit dem Hinweis ab, er habe vor dem fünften Verhandlungstag schon rege von diesem Recht Gebrauch gemacht.

Einlassung des Angeklagten

Nun meldete sich der Verteidiger zu Wort, um zu verkünden, dass der Angeklagte sich zum Gutachten vom neunten Verhandlungstag sowie zu eben genannten Beschlüssen erklären wolle. Die Richterin fordert daraufhin, dass sich der Angeklagte sofort zum Gutachten erklärt, er hätte ja bis heute Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Der Angeklagte erwidert, dass er nach der gestrigen Verhandlung gestresst gewesen sei und Kopfschmerzen gehabt habe, somit habe er sich nicht vorbereiten können. Es folgt eine halbstündige Unterbrechung.

Mit der Fortsetzung der Verhandlung lässt der Angeklagte abermals zwischen sich und seinem Verteidiger einen Platz frei. Der Anklagte begründet das auf Nachfrage der Richterin damit, dass der Anwalt nicht seine Interessen vertrete. Wörtlich bezeichnet er seinen Anwalt als „linksradikalen Speichellecker und Kriminellen“ und ergänzt: „das Ganze hier ist eh alles eine Volksverdummung“. Er möchte mit diesem „Typen“ nichts zu tun haben. Die Richterin ermahnt den Angeklagten daraufhin und fordert ihn auf, die gesprochenen Worte so nicht mehr in diesem Saal zu wiederholen. Anschließend gewährt sie dem Angeklagten Raum für seine gewünschte Einlassung.

Nun nimmt der Angeklagte nervös und mit schneller Sprache – und offensichtlich Stichpunkte vom Zettel ablesend – Stellung zu diversen Themen. Dabei springt er thematisch hin und her.

Zunächst bezeichnet er das Gutachten vom neunten Verhandlungstag als Gefälligkeitsgutachten, welches auf Falschaussagen beruhe. Die Zeugenbefragungen betreffend räumt er ein, er habe sich darauf nicht vorbereitet, weil er annahm, seine Anwälte würden das tun. Er habe nicht wissen können, dass diese „ein Totalausfall“ seien. Abschließend gab er zu verstehen, dass er von einer Revision ausgehe und in diesem Fall auf gute Anwälte hoffe, die die Wahrheit herausfinden werden. Da das Gericht, so Frank S., alle seine Anträge ablehne, stünde das Urteil ohnehin schon fest. Das Gutachten sei ein Fake, alle wüssten das. Es solle ein Exempel an ihm statuiert werden.

Auf Nachfrage der Richterin, was er am Ende des Prozesses erwarte, etwa eine Belobigung, antwortet Frank S., er habe eine Strafe verdient, weil er eine Straftat begangen hat. Aber alles, was hier passiere, sei schlimmer als in der DDR oder in Nordkorea. Von der Verhaftung bis heute hätten alle gelogen, Gutachten und Zeugenaussagen seien falsch, das ganze System sei total korrupt.

Die Richterin bittet den Angeklagten, mit seiner Einlassung fortzufahren die derselbe jedoch abbricht, mit der Begründung, „es bringt ja eh nichts“. Danach schließt die Richterin die Beweisaufnahme.

Plädoyer der Generalbundesanwaltschaft

In dem nun folgendem Plädoyer stellt die Generalbundesanwaltschaft zunächst in direkter Ansprache an den Angeklagten fest, dass nicht er das Opfer sei, sondern die Geschädigten, vor allem Henriette Reker. Anschließend gibt es einen kurzen Exkurs zum Thema „freie Meinungsäußerung“, um dann in die reine Sachverhaltsfeststellung einzutreten.

Wichtig wird nun, ob die Generalbundesanwaltschaft auf versuchten Mord plädiert oder nur auf gefährliche Körperverletzung.

Die Generalbundesanwaltschaft stellt im Ergebnis der Beweisaufnahme Folgendes fest:

Erstens: Der Entschluss zur Tat habe spätestens am Vorabend festgestanden. Der Beschuldigte habe sich nach den Wahlkampfterminen von Henriette Reker erkundigt und Testläufe mit dem verdeckten Tragen und schnellen Ziehen des Bowiemessers gemacht.

Zweitens: Am Tattag habe der Beschuldigte vor der Tatbegehung drei halbe Liter Bier getrunken, um – wie er selbst eingelassen hat – seine Hemmschwelle zu senken.

Drittens: Vor der direkten Tatausführung habe er Henriette Reker um eine Rose gebeten, um seine eigentliche Tatabsicht zu verdecken.

Anschließend werden die bereits bekannten Tatabläufe wiederholt, wobei laut Generalbundesanwaltschaft klar ist, dass bei den Taten gegen Henriette Reker und drei weitere Opfer das Bowiemesser zum Einsatz kam, und bei der Tat zum Nachteil eines weiteren Opfers das Butterflymesser.

Bei der Tat gegen Henriette Reker habe der Angeklagte schon durch die Nutzung des Bowiemessers – und unabhängig von den gemachten Aussagen – in Tötungsabsicht gehandelt. Somit sei das Tatbestandmerksmal für Mord erfüllt. Da Tötungsabsicht unterstellt wird, spricht man juristisch hier von Mord ersten Grades. Da die Tötung glücklicherweise nicht vollendet wurde, wird dem Angeklagten der versuchte Mord zur Last gelegt. Bei der Straftat gegen Henriette Frau Reker kommt außerdem gefährliche Körperverletzung in Tateinheit hinzu. Auch die Mordmerkmale Heimtücke sowie niedere Beweggründe (politische Motive) sind nach Ansicht der Staatsanwälte erfüllt.

Da die Angriffe mit dem Bowiemesser auf weitere Personen unmittelbar im Anschluss an die Tat gegen Henriette Reker stattgefunden haben und mit dem gleichen Tatwerkzeug durchgeführt wurden, sieht die Generalbundesanwaltschaft hier eine Tateinheit. Allerdings unterstellt man hier keine Tötungsabsicht.

Da der Angeklagte nach dieser Tatkette das Bowiemesser abgelegt und den Angriff auf das letzte Opfer mit dem Butterflymesser und in keinem direkten zeitlichen Zusammenhang ausgeführt habe, sei diese gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit zu sehen.

Um das Strafmaß festzulegen, stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass der zugrundeliegende § 211 des Strafgesetzbuchs (Mord) eine lebenslange Haft fordere. Eine Milderung, etwa durch einen strafbefreienden Rücktritt, liege entgegen der Wahrnehmung des Angeklagten nicht vor.

Zugute hält die Generalbundesanwaltschaft dem Angeklagten das Ablegen des Teilgeständnisses, seine Lebensgeschichte, seine dissoziale Persönlichkeitsstörung, seine schwierige Lebenssituation zum Tatzeitpunkt und, dass er juristisch nicht vorbestraft ist.

Der letztgenannte Punkt bedeutet, dass seine vorherigen Straftaten nicht mehr in den Akten stehen.

Gegen den Angeklagten spricht laut Generalbundesanwaltschaft die Anzahl der Taten (ein versuchter Mord und fünf gefährliche Körperverletzungen), die Folgen für die Opfer und die Gefährlichkeit der Tat. Es sei nur ein glücklicher Zufall, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Die kriminelle Energie bei der Tatausübung war extrem hoch, was sowohl die Planung als auch die Auswahl des Tatwerkzeugs beweisen.

Die benannten Punkte lassen laut Generalbundesanwaltschaft keine Milderung des Strafmaßes zu. Ergo beantragt die Staatsanwaltschaft, wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit vier gefährlichen Körperverletzungen und in Tatmehrheit mit einer gefährlichen Körperverletzung, eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen sowie die Fortsetzung der U-Haft.

Damit verlassen schlagartig alle anwesenden Journalisten den Saal.

Anträge der Nebenklagevertreter

Das Wort hat nun der Rechtsbeistand von Henriette Reker. Der Nebenklagevertreter unterstreicht den Kern des Plädoyers der Generalbundesanwaltschaft, allerdings in deutlich schärferem Ton. Darüber hinaus verlangt er neben der bereits geforderten lebenslangen Freiheitsstrafe die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und begründet dies vor allem mit dem Nachtatverhalten. So zeige der Angeklagte bis heute keinerlei glaubhafte Reue oder Einsehen. Er sei nach wie vor nicht bereit, seine Verschwörungstheroien in Frage zu stellen. Er nutze den Prozess, um sich als politischer Täter darzustellen und habe laut dem Gutachten seine dissoziale Persönlichkeit betreffend keine positive Prognose.

Die Nebenklagevertreterin eines der weiteren Opfer des Bowiemesser-Angriffs ist in ihrem Plädoyer der Ansicht, dass es sich bei der Tat gegen ihre Mandantin sehr wohl um einen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung handele. Auch sie will die besondere Schwere der Schuld festgestellt wissen.

Die letzte Nebenklagevertreterin konstatiert, dass es sich entgegen der Ansicht der Generalbundesanwaltschaft auch bei den Taten gegen die weiteren Bowiemesser-Opfer um neue Taten handele. Somit sei eine Tatmehrheit gegeben. Darüber hinaus fordert sie, den Angeklagten neben dem versuchten Mord an Henriette Reker auch hinsichtlich der anderen Taten wegen versuchten Totschlags zu verurteilen. Auch sie möchte die besondere Schwere der Schuld festgestellt wissen.

Alle drei Nebenklagevertreter stellten entsprechende Anträge.

Nach Abschluss der Plädoyers beendet die Richterin den Verhandlungstag, der Prozess wird am Mittwoch, 22.06.2016 fortgesetzt.

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.de

Reker-Prozess: Neunter Verhandlungstag | Angeklagter ist voll schuldfähig

Am heutigen 15. Juni 2016 sind zwei Fotografen und sieben Medienvertreter anwesend.

Direkt zu Beginn fällt auf, dass fünf Justizbeamte einen engen, taktisch gut besetzen Ring um den Angeklagten Frank S. bilden. Das hat sicherlich mit der Hörung des psychologischen Sachverständigen zu tun und der Annahme, dass der Angeklagte bei diesem Vortrag eventuell überreagieren könnte.

Der Angeklagte wird weiterhin nur durch einen Anwalt vertreten. Ein weiterer, sogenannter TV-Anwalt hat sich zwar ein Besuchsrecht einräumen lassen, dieses jedoch nicht wahrgenommen.

Das Gericht teilt anfangs mit, dass die Urteilsverkündung wahrscheinlich am Freitag, den 1. Juli 2016 erfolgen wird. Anschließend möchte Frank S. weitere Anträge stellen. Unter anderem beantragt er, die heutige Beweisaufnahme mit den Zeugen zu verschieben, damit er Zeit hat, sich einen neuen zweiten Anwalt zu suchen und dieser sich entsprechend einarbeiten kann. Hierzu wird ein Gerichtsbeschluss gefasst und der Antrag abgelehnt. Des Weiteren stellt Frank S. Anträge, um neue Zeugen zu laden sowie, um ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten durch einen Gutachter außerhalb Kölns erstellen zu lassen.

Reker-Prozess: Neunter Verhandlungstag | Angeklagter ist voll schuldfähig

Zeugenanhörung

Als erste Zeugin wird heute die Rentnerin Gisela K. (74) aus Köln gehört. Sie war ebenfalls auf dem Braunsfelder Markt und hat einen Teil des Tatgeschehens mitbekommen. Sie hat gesehen, wie der Angeklagte auf einen jungen Mann (Pascal S.) eingestochen hat, kann allerdings auch nach der Betrachtung des kleinen Butterflymessers und des großen Jagdmessers nicht genau sagen, welches verwendet wurde. Auf Nachfragen der Verteidigung tendiert sie dann jedoch zum Butterflymesser. Auch beantwortet sie die Frage, ob Frank S. das Messer freiwillig weggeworfen habe, mit einem Ja.

Nun möchte sich das Gericht von dem Schätzvermögen der Zeugin ein Bild machen. Bei einem Test mit Angaben in Metern verschätzt sich die Zeugin jedoch um mehr als das Doppelte. Hierzu stellt Frank S. daher fest, dass es widersprüchliche Aussagen zwischen Pascal S. und der eben gehörten Zeugin gebe.

Als nächste Zeugin wird Maria-Elisabeth B. (70) gehört. Die ehemalige Lehrerin kommt aus Köln und war Wahlhelferin für die CDU auf dem Braunsfelder Markt. Sie ist ebenfalls verletzt worden. Das Tatgeschehen hat zunächst hinter ihrem Rücken stattgefunden. Doch als sie sich umdrehte und Frank S. noch bei Henriette Reker stehen sah, habe sie geglaubt, er würde weiter angreifen und habe ihn deshalb angeschrien. Daraufhin habe Frank S. aus der linken Hosentasche ein Butterflymesser gezogen und ihr damit in die linke Bauchseite gestochen. Danach habe sie unter Schock gestanden und sei lief ziellos umhergelaufen. Die Zeugin berichtet, dass die Verletzungen der anderen Opfer diesen vor der ihren zugefügt worden seien, dass also alle Verletzungen davor mit dem großen Jagdmesser herbeigeführt worden seien, alle danach mit dem kleineren Butterflymesser. Folgen der Verletzung seien der Zeugin nicht zurückgeblieben.

Der Verteidiger von Frank S. zeigt sich verwundert über den zeitlichen Ablauf der Tat, respektive über die einzelnen Verletzungen: Erst soll Frank S. noch bei Henriette Reker gestanden und danach Maria-Elisabeth B. verletzt haben – dazwischen allerdings sollen ja auch noch zwei weitere Personen verletzt worden sein.

In seiner Stellungnahme zu dieser Zeugin teilt Frank S. mit, dass das DNA-Gutachten zu den Blutspuren an den jeweiligen Messern manipuliert worden sein müsse. Dann verlautbart Frank S., dass er gern alle Gründe für die Entpflichtung seines Anwalts Dr. Christoph M. öffentlich werden lassen möchte. Das rechtsmedizinische Gutachten bezeichnet er des Weiteren als „Gesinnungsgutachten“, denn er habe nicht von oben nach unten zugestochen, sondern geradeaus, wie auch die zwei Zeugen, unter anderem Henriette Reker, ausgesagt haben. Auch, dass das medizinische Gutachten als Grundlage für das Textilgutachten dient, findet Frank S. merkwürdig. Er stellt nun außerdem nochmals fest, dass er Henriette Reker nicht habe töten wollen.

Der Generalbundesanwalt gibt seinerseits eine Stellungnahme ab, in der er ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten ablehnt, auch weitere Zeugen würden keine neue Beweiskraft ergeben. Die Verteidigung widerspricht dem. Weiterhin sieht der Generalbundesanwalt keinen Anlass für einen rechtlichen Hinweis bezüglich des Vorwurfs der mehrheitlichen Tötung an Frank S. Das sei nicht nachweisbar, auch wenn eine gefährliche Körperverletzung hätte tödlich sein können. Die Verteidigung schließt sich dieser Aussage an. Das Gericht verkündet daraufhin einen rechtlichen Hinweis nach § 265 der Strafprozessordnung zur mehrheitlichen Tateinheit. Bei einer Verletzten sieht das Gericht keine gefährliche, sondern nur eine einfache Körperverletzung, weitere Verletzungen zweier anderer Personen hätten keinen Tatzusammenhang. Ebenso sei die Verletzung eines vierten Opfers eine eigenständige Tat gewesen. Insofern ergeben sich drei Taten: Die an Henriette Reker und einem weiteren Opfer, eine zweite an zwei Personen und eine dritte an einer Person.

Psychologisches Gutachten zu Frank S.: Voll schuldfähig

Im zweiten Teil des Verhandlungstages erstattet der psychologische Sachverständige, Prof. Dr. Leygraf, sein Gutachten. Er teilt mit, dass er den Angeklagten Frank S. am 22. Februar 2016 und am 03. März 2016 in der Justizvollzugsanstalt Köln aufgesucht habe. Frank S. habe in den Gesprächen einen hohen Erklärungsbedarf gezeigt und sich regelrecht hineingesteigert. Der Angeklagte habe die Furcht geäußert, aufgrund seiner Kindheit in ein typisches Schema gepresst zu werden, wonach Menschen mit ähnlichen Erlebnissen automatisch als rechtsradikal betrachtet würden. Der Gutachter berichtet, Frank S. stehe sehr gerne im Mittelpunkt, verhalte sich aber auch kooperativ. Er wirke oft wie ein vorlautes Kind, welches belohnt werden möchte. Zwar seien nicht alle Angaben seitens Frank S. realitätsbasierend, doch überwiegend stimmig.

Die ersten vier bis fünf Lebensjahre sind auch für einen Sachverständigen eine Blackbox, weil es hierzu einfach keine Angaben gibt. Für Frank S. sei es jedoch sehr kränkend gewesen, dass seine leiblichen Eltern ihn verlassen haben. Dieses Verlassenwordensein sei für ihn nach wie vor prägend. Er habe die Tendenz zum Schwarz-Weiß-Denken, über viele Dinge sage er, sei er sich 100- oder 1000-prozentig sicher. Stets habe Frank S. jedoch das Gefühl, zu kurz zu kommen, Geld sei ihm besonders wichtig. Schon als Kleinkind habe er die Welt als feindselig erlebt, so sei er ein typischer Einzelkämpfer geworden. Seine Pflegefamilie sei sehr konflikt- und gewaltträchtig gewesen. Weitere Stationen in seinem Leben seien Schule, Bundeswehr, Malerlehre und Haft gewesen.

Frank S. hört interessiert zu, schüttelt den Kopf und schreibt mit.

Der Sachverständige erklärt weiter, dass Frank S. ein aggressives und dissoziales Verhalten habe, er sei ein Meister des Ausweichens. Es gebe zudem mehrere Körperverletzungsverfahren, darunter zwei, nach denen er die aktuellen Freunde seiner Ex-Partnerin verprügelt habe. Frank S. vermeide es, sich von Externen steuern zu lassen. Er habe einen eigensinnigen und halsstarrigen Charakter, Beharrlichkeit zeichne ihn aus.

Nach dem ersten Gefängnisaufenthalt habe Frank S. eigenverantwortlich seinen Umzug von Bonn nach Köln durchgeführt und sei daraufhin 15 Jahre ohne Straftat gewesen. Sein beruflicher Werdegang sei lückenhaft, insgesamt sei er jedoch vier Jahre arbeitslos gewesen – von November 2012 durchgängig bis zur Begehung des Attentats auf die damals künftige Oberbürgermeisterin. Ein depressiver Zusammenhang sei jedoch nicht erkennbar.

Die letzten drei Jahre habe Frank S. fast ohne sozialen Außenkontakt gelebt, in seiner Wohnung haben die Polizisten ausschließlich Fingerabdrücke von Frank S. feststellen können. Einige Mieter in dem Haus, in dem Frank S. wohnte, hätten nicht einmal gewusst, ob in der Wohnung ein Mann oder eine Frau wohnte. Durch diese Einsamkeit habe sich Frank S. auf seine eigenen Gedanken fokussiert und keinerlei Austausch mit anderen gehabt. Seine Gedanken hätten ihm daher als die einzig richtigen geschienen. Sein Hauptthema seien Ausländer gewesen.

Insgesamt habe Frank S. bis zuletzt ein trostloses Leben geführt und sei dabei immer der Überzeugung gewesen, stets zu kurz gekommen zu sein. Die Gründe dafür lägen in der Welt draußen, insbesondere die Politik habe Schuld.

Die Diagnose des Gutachters besagt, dass keine psychiatrische Krankheit vorliegt, ebenso keine schizophrene oder manisch-depressive Krankheit. Auch sein kognitives Handlungsvermögen sei nicht gestört. Ebenso sei er nicht wahnhaft, glaube also beispielsweise nicht, dass er Auserwählter sei. Auch seine immer wieder vorgetragenen Verschwörungstheorien seien nicht einzigartig, sondern würden von vielen anderen Menschen geteilt. Der Psychologe konnte überhaupt nichts Krankhaftes an Frank S. feststellen und hält ihn damit voll schuldfähig.

Eine tief greifende Bewusstseinsstörung sei nicht vorhanden, eine paranoide Persönlichkeitsstörung in einer notwendigen Schwere ebenfalls nicht, ebenso wenig wie eine seelische Abartigkeit. Auch die Unrechtseinsichtsfähigkeit ist nicht herabgesetzt, denn eine Hemmschwelle bei der Tatvorbereitung sei durchaus vorhanden gewesen.

Frank S. habe eine festgefahrene Lebenssituation durchlebt und diese mit einer heroischen Tat verändern wollen. Warum er auch gegen andere vorgegangen ist, sei nicht erklärlich. Mit seinen bei Gericht vorgetragenen Darstellungen der Tat schütze er sich gegen die objektive Spurenlage (z. B. DNA-Spuren am großen Jagdmesser).

Eine verminderte oder ausgesetzte Schuldfähigkeit gibt es aus psychologischer Sicht laut Gutachter nicht.

Nun fragt die Vorsitzende Richterin den Sachverständigen, ob eine Therapie dem Angeklagten helfen könne. Dieser erklärt dazu, dass Frank S. hierzu eine Bereitschaft zur Mithilfe aufbringen müsse. Dies hält er aber für nicht wahrscheinlich, da Frank S. sein ausgeprägter Narzissmus im Wege stehe.

Alle anderen Parteien, auch die Verteidigung und der Angeklagte selbst, haben keinerlei Fragen an den psychologischen Sachverständigen. Das finde ich extrem erstaunlich!

Bildquelle: Rainer Sturm / pixelio.de

Reker-Prozess: Achter Verhandlungstag | Frank S. widerspricht und leugnet

Am 10. Juni 2016 sind 14 Journalisten anwesend, ebenso alle Parteien bis auf den psychologischen Gutachter.

Als erste Zeugin wird Dr. Sibylle B., Rechtsmedizinerin der Uniklinik Köln, gehört. Sie war beauftragt, die Verletzungen der Verwundeten des Attentats zu beurteilen. Insbesondere galt es, festzustellen, bei welchem Verletzten welches Messer eingesetzt worden ist.

Frank S. hat von Anfang an behauptet, dass er das große Jagdmesser nur gegen Henriette Reker gerichtet hat. Einige DNA-Spuren am selbigen Messer stammten jedoch von zwei weiteren Verletzten. Bei einer Verletzten ist höchstwahrscheinlich das große Messer eingesetzt worden und nicht das kleine Butterfly-Messer, was insbesondere an der 5 Zentimeter großen Einstichwunde festzustellen war. Lebensgefahr bestand für diese Verletzte nicht. Bei einer weiteren verletzten Frau ließ sich nicht genau feststellen, welches Messer zum Einsatz gekommen ist. Auch hier bestand keine Lebensgefahr, aber sie hatte sehr großes Gück, dass ihr Darm nicht verletzt wurde. Auch im Fall einer dritten verletzten Frau gab es keine lebensgefährlichen Verletzungen, wobei hier ebenfalls jedes der beiden Messer Tatwerkzeug hätte sein können. Der verletzte Pascal S. wurde am rechten Ober- und Unterarm erheblich verletzt, hier ist es sehr wahrscheinlich, dass das große Messer zum Einsatz kam. Er war potentiell lebensbedrohlich verletzt.

Achter Verhandlungstag | Frank S. widerspricht und leugnet

Ebenso ist es auch angesichts ihrer Verletzungen unstrittig, dass Henriette Reker durch das große Messer verletzt worden ist, bei ihr bestand akute Lebensgefahr, da der Stich die Halsschlagader nur um wenige Millimeter verfehlte. Auch hätte jederzeit die Speiseröhre ganz abreißen können, da sie beidseitig durchstoßen wurde. Die Klinge war bis zu zehn Zentimeter tief in ihren Hals gestochen worden, der Stichkanal führte von oben nach unten. Der Stich wurde so wuchtig ausgeführt, dass die Klinge an einem Brustwirbel Wirbelstücke abgesprengt hat.

Dass sein Hieb gegen Henriette Reker von oben nach unten geführt haben muss, wie Dr. Sibylle B. erläutert, bestreitet Frank S. in seiner Stellungnahme. Er beantragt daher, dass ein zweiter Sachverständiger, der nicht aus Köln kommen bzw. dort tätig sein soll, zur Analyse der Verletzungen beauftragt werden soll.

Der Nebenkläger-Vertreter von Henriette Reker wiederum beantragt in Bezug auf die Verletzungen weiterer Personen, die Anklage auf mehrheitliche Tötungsabsicht zu erweitern; ein Ersuchen, das der Generalbundesanwalt ablehnt mit der Erläuterung, dass das Gutachten Bestätigung in den Aussagen der Verletzten und in den DNA-Spuren am großen Messer findet.

Frank S. weist nun nochmals darauf hin, dass es ja auch zwei Zeugen geben soll, die seine Aussage, dass er das Messer unmittelbar nach dem Stich auf Henriette Reker sofort weggeworfen hat, bestätigen können.

Der nächste Zeuge des heutigen Verhandlungstages ist ein Sachverständiger vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen für Werkzeugspuren. Er hatte seitens des Gerichts den Auftrag, anhand der Kleidung festzustellen, welches Messer jeweils benutzt worden ist. Er beschreibt nochmals das große Jagdmesser, das 56 Millimeter breit ist und 460 Millimeter lang, wovon 300 Millimeter auf die Klingel entfallen. Das Butterfly-Messer wiederum hatte eine Gesamtlänge von 225 Millimetern und eine Klingenlänge von 85 Millimeter bei einer Breite von 16 Millimetern. Die Ergebnisse des Experten ergeben, dass eine der Verletzten durch das Jagdmesser verletzt worden ist, Pascal S. wiederum durch das Butterfly-Messer zu Schaden gekommen sein könnte, aber auch das große Jagdmesser nicht auszuschließen sei. Er führt weiter aus, dass das Butterfly-Messer weniger scharf ist als das Jagdmesser.

In seiner Stellungnahme zu diesem Thema gibt Frank S. zu bedenken, dass das große Jagdmesser nur ein Deko-Messer sei und völlig stumpf ist.

Als nächste Zeugin wird Stella G. aus Köln gehört, die bei einem Beschäftigungsträger der Stadt Köln als Vermittlerin angestellt ist. Ihre Aufgabe war die Betreuung von Frank S. während seiner Arbeitslosigkeit. Sie musste die Akte Frank S. übernehmen, da Ihre Kollegen Probleme mit ihm hatten. In dieser Phase lehnte Frank S. eine Stelle in einem DRK-Flüchtlingsheim als Hausmeistergehilfe mit dem Verweis auf seine rechtsradikalen Einstellungen ab. Frank S. hatte zudem keine Lust auf weitere Qualifikationen und benahm sich unverschämt. Hierzu gab es ernste Gespräche, die nicht selten mit Aggressivität endeten. Nach einer Drohung („wir sehen uns bestimmt noch mal“) seitens Frank S. hat Stella G. ihn aber nicht mehr wiedergesehen.

Wiederum streitet Frank S. die gesamte Aussage der Zeugin ab.

Nun kommen drei Zeugen, die schon mal gehört worden sind, aber jetzt nochmals aussagen müssen, da der nunmehr alleinige Anwalt von Frank S., Jasper M. bei der ersten Vernehmung dieser drei Zeugen nicht anwesend war. Der Inhalt der Aussagen ist nahezu identisch mit dem ihrer ersten Vernehmung bei Gericht.

Schließlich verliest das Gericht noch die Angaben zum Haftbefehl gegen Frank S., der durch das Amtsgericht Köln ausgestellt wurde. Darin wurden für seine Tat niedrige Beweggründe und Heimtücke festgestellt. Ebenso sei Frank S. dringend tatverdächtig gewesen, Fluchtgefahr habe ebenfalls bestanden.

Bildquelle: Gerhard Frassa / pixelio.de

Anneli-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Ausspähen: Wie Täter ihre Opfer finden

Am 9. Juni, dem dritten Verhandlungstag im Anneli-Prozess, sind circa 25 Zuschauer im Saal und 15 Journalisten.

Ich bin heute befördert worden, von Platz 25 in der dritten Reihe auf Platz drei in der ersten Reihe.

Dann kommen die Parteien in den Saal. Ramona R. ist wie zuletzt auch in Schwarz gekleidet, Uwe R. in Schwarz-Grau, Anett R. hingegen in Creme-Weiß.

Vor Beginn der Verhandlung wird ein bisschen gelächelt und auch ein bisschen gelacht, das ist ein gutes Zeichen und absolut erlaubt.

Doch als die Beschuldigten den Raum betreten, schauen die Familienangehörigen nicht hin.

Antrag auf Beweisverwertungsverbot

Zu Beginn des Verhandlungstages verliest der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung gemäß Paragraf 257, Absatz 1 der Strafprozessordnung. Er wiederholt seinen Antrag zum Verwertungsverbot der Aussagen seines Mandanten während der zweiten polizeilichen Vernehmung, und stellt ebenfalls die Rechtswegwidrigkeit der vorläufigen Festnahme fest. Er stellt damit die gesamte Beweiskraft in Frage.

Wahrscheinlich rechnet der Verteidiger mit der Ablehnung seines Antrages und möchte sicherlich schon zu einem frühen Zeitpunkt des Gesamtprozesses einen möglichen Revisionsgrund schaffen.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. nimmt hierzu nur ganz kurz Stellung und empfiehlt der Verteidigung, doch nochmals die 16 Aktenbände zu lesen. Dort würde alles Notwendige zu dem Antrag stehen. Die Nebenkläger-Vertreter schließen sich dieser Erklärung an.

Zeugenaussagen

Nun kommt der erste Zeuge des heutigen Tages zur Befragung. Es ist der Student Lukas S. (23). Er war am Entführungstag als Jäger in dem Gebiet unterwegs, im dem die Entführung stattgefunden hat. Dort hat er das Täter-Fahrzeug, einen grauen BMW-Kombi, gesehen. Zu den Personen, die im Kfz saßen, kann er nichts sagen, weil er zu weit entfernt war.

Danach wird die nächste Zeugin befragt, Julie B. (16). Da die Schülerin sehr große Angst vor den Tätern hat, kommt sie in Begleitung ihrer Mutter. Beide sind komplett in Schwarz gekleidet. Julie B. kannte Anneli R. und ihre Familie persönlich. Sie erzählt, dass sie am Tattag auf dem Feldweg gefahren ist, direkt am stehenden BMW vorbei, und nun Markus B. eindeutig identifizieren kann. Er hat auf dem Beifahrersitz gesessen. Das Fenster war heruntergelassen, ein Arm hing heraus. Auch bei einer Bildervorlage erkennt sie Markus B. sofort. Nach ihrer Aussage gibt Julie B. noch eine persönliche Erklärung ab, die ihrer Trauer um Anneli Ausdruck verleiht. Auch ihre Mutter wird noch spontan vernommen und bestätigt die Angaben ihrer Tochter.

Anett R. ist durch die Aussage der Schülerin sehr mitgenommen. Auch die Zeugin selbst ringt sehr um Fassung.

Danach kommt der 37-jährige angestellte Landwirt Thomas H. als Zeuge. Er berichtet über ungewöhnliche Treffen mit Markus B. in der Nähe und am Haus der Familie R. Er kennt Markus B. persönlich und ist mit dessen Bruder zusammen zur Schule gegangen. Da das Haus der Familie R. vom Wohnort des Markus B. sehr weit entfernt ist, hat er sich gewundert, was Markus B. denn da wohl zu tun hätte. Allerdings hatte er kein großes Interesse an Markus B., da er – wie auch viele andere in dem Dorf – der Meinung war, Markus B. sei ein Spinner, der sehr viel Falsches erzählt.

Die Familie von Markus B. wohnte im Haus seiner Schwiegermutter. Dieses sollte verkauft werden, da die Ehefrau von Markus B. in einer anderen deutschen Stadt eine Anstellung gefunden hatte.

Die Körpersprache der beiden Angeklagten ist eindeutig die von Schuldigen.

Erneute Befragung der Polizeibeamten

Nun wird nochmals der Zeuge Sven M. vom Landeskriminalamt Sachsen gehört. Hierbei geht es um entsprechende Berichte des eingesetzten SEK-Kommandos und um den Umstand, ob der Angeklagte Norbert K. bei seiner Festnahme müde und verschlafen angetroffen worden ist oder putzmunter. Es werden zur Klärung dieses Sachverhalts circa zwei Minuten vom Einsatzfilm gezeigt. In diesem ist zu sehen, dass der Angeklagte liegend auf der Couch mit einer Decke angetroffen worden ist. Natürlich ist er durch das Aufbrechen der Haustür geweckt worden, er macht aber immer noch einen sehr verschlafenen Eindruck. Er kann den Anweisungen der SEK-Beamten nur nach mehrmaligem Nachfragen folgen.

Die Verteidigung von Norbert K. versucht nun nochmals, wie schon am vorangegangenen Verhandlungstag, durch Fragen, die nicht zu beantworten sind, die Zeugenaussage des SEK-Beamten zu durchlöchern. Dieses gelingt nicht, denn das Gericht verliest nun das rechtsmedizinische Gutachten bezüglich der körperlichen Untersuchung von Norbert K. vom Festnahmetag. Norbert K. war damals 61 Jahre alt, 96 Kilo schwer bei einer Körperlänge von 1, 80 Meter. Er wies keine Anzeichen einer Einnahme von Rauschmittel auf und war bei der ärztlichen Untersuchung wach.

Nach der Mittagspause nimmt das Gericht zum Verwertungsverbot auf Antrag der Verteidigung Stellung. Der Antrag wird abgelehnt, weil es keine Beeinträchtigung der Vernehmungsfähigkeit von Norbert K. gab. Auch die Festnahme war rechtens, da Gefahr im Verzug bestand.

Zeugen über das Vortat-Verhalten der Täter: Ausspähen und Auswahl der Opferfamilie

Als nächster Zeuge wird nochmals der Kriminalhauptmeister Rüdiger P. gehört. Er ist derjenige, der auch zwei Berichte beim SEK angefordert hatte und gibt hierzu Aufklärung.

Bei der Vernehmung von Norbert K. hat dieser auf den vorgeworfenen Sachverhalt mit Ausweichen reagiert, auf das Bild von Anneli R. mit einer verzögerten Reaktion. Der Zeuge beschreibt die Tatbeteiligung von Norbert K. eher als Beihilfe, so sein Eindruck. Markus B. habe alles umgesetzt und bestimmt. Norbert K. wiederum wollte nie den Tod von Anneli R. Rüdiger P. vermutet, dass auch Norbert K. durch Markus B. hätte getötet werden sollen. Er stellt allerdings heraus, dass dies ist nur eine Vermutung ist.

Laut Rüdiger P. gab Norbert K. an, dass er erst ungefähr eine Woche vor der Tat von der Entführung erfahren hat. Neben der Familie R. seien auch andere Familien ausspioniert worden, insbesondere ein Millionär aus der Gemeinde Grumbach. Dieser Unternehmer hatte allerdings entsprechende Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmanlagen am Haus, ein sondergeschütztes Fahrzeug und Personenschutz. Deswegen hat Markus B. hier eine Entführung samt Erpressung ausgeschlossen.

Norbert K. hat dem Ermittler Rüdiger P. die Entführungssituation sehr ausführlich beschrieben. Danach hat sich Markus B. in einem Gebüsch versteckt mit einem mit Ethanol getränkten Tuch. Er selber saß im Auto und hat die Situation abgewartet. Aus dem Gebüsch heraus hat sich Markus B. dann auf die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende Anneli R. gestürzt. Sie hatte keine Chance, da sie den Angriff nicht hätte vermuten können. Dann hat Markus B. versucht, sie mit Kabelbinder an Armen und Beinen zu fixieren, um sie sodann in den Kofferraum des grauen BMW-Kombis zu legen. Da dies nicht gelang, weil Anneli R. sich heftig wehrte, wurde sie auf die Rückbank gelegt und dort von Markus B festgehalten.

Das Gericht befragt den Zeugen nun, in welcher Art und Weise die Tatbeteiligung von Norbert K. im Zusammenhang mit der Tötung von Anneli R. stand. Doch da der Todeszeitpunkt nicht genau bekannt ist, ist diese Frage nicht zu beantworten. Allerdings ist fraglich, warum Norbert K. überhaupt mitgemacht hat, wenn er doch all dies nicht wollte.

Markus B. scheint von dieser Aussage unbeeindruckt zu sein, er schaut mal nach links, mal nach rechts zu seinen Anwälten.

Die Zeugenaussage von Rüdiger P. suggeriert, dass Norbert K. Markus B. hörig gewesen sein könnte und daher nichts für sein Verhalten kann. Doch diese Schlussfolgerung wäre wohl zu weit gegriffen.

Emotionale Eskalationen im Gerichtssaal

Hiernach erfolgt eine in Augenscheinnahme am Richtertisch. In dieser Situation, da alle Beteiligten der Parteien mit dem Rücken zum Gerichtssaal stehen, nutzt Ramona R. die Gelegenheit, die Beschuldigten direkt anzusprechen. Sie fordert beide auf, doch endlich ihre Aussagen zu machen und beschimpft die Täter. Die Oberstaatsanwälten Karin D. zieht Ramona R. von den Beschuldigten weg. Norbert K. wiederum läuft nach dieser direkten Ansprache der Mutter von Anneli R. rot an. Auch der Verteidiger geht dazwischen.

Da der aktuell befragte Zeuge Rüdiger P. in seinen Antworten sehr viel interpretiert und sich nicht so sehr an die Fakten hält, fordert ihn der Nebenkläger-Anwalt von Uwe und Ramona R. auf, Vermutungen künftig sein zu lassen und sich nur noch an die Fakten zu halten. Auch der Verteidiger von Norbert K. geht auf die übersteigerte Interpretationsdarstellung des Zeugen ein. In diesen findet der Verteidiger natürlich genügend Ansätze, die Aussage des Zeugen zu hinterfragen. Beispielsweise fragt der Anwalt Rüdiger P. nach der Logik der Entführung – die es natürlich nicht gibt, da Verbrechen nie logisch sind.

Unter anderem teilt der Zeuge mit, dass auch der Präsident der Polizei gesagt hätte, die Entführung sei „grottig schlecht“ gewesen.

Das ist natürlich eine ganz schlimme und schwer auszuhaltende Aussage im Hinblick auf die Ermordung von Anneli R. Ihre Eltern und ihre Schwester reagieren entsprechend.


Bildquelle: Martin-Schemm / pixelio.de

Sonderbeitrag zum Reker-Prozess | Täter-Typ: Terrorist

Nach dem 6. Verhandlungstag steht meine Einschätzung zum Täter-Typ nun endgültig fest. Wohingegen viele Beobachter Frank S. einfach für verrückt oder schwachsinnig halten, trifft aus meiner Sicht die in Sicherheitskreisen übliche Definition „Terrorist“ voll und ganz zu.

Danach ist ein Terrorist jemand, der durch Gewaltaktionen (MESSER-ATTENTAT) gegen eine politische Ordnung (SOZIALDEZERNENTIN und potentielle OBERBÜRGERMEISTERIN HENRIETTE REKER) vorgeht. Er will unter anderem Unterstützungsbereitschaft erzeugen und das Denken besetzen, um dadurch Veränderungsprozesse (WÄHLT NICHT HENRIETTE REKER UND IHRE POLITIK) zu erzwingen. Ein weiteres typisches Merkmal ist die Inkaufnahme des eigenen Tods (MIT DEM FRANK S. LAUT AUSSAGE RECHNETE).

Sonderbeitrag zum Reker-Prozess | Täter-Typ: Terrorist

Das Geschehen um Henriette Reker zeigt, dass nicht nur eine Gefahr von IS-Terrorzellen ausgeht. Vielmehr sind wir in Deutschland auch von deutschen Terroristen bedroht, egal welcher politischen oder religiösen Weltsicht.

Gravierend in diesem Zusammenhang ist, dass die Sicherheitsbehörden, dies weder auf dem Schirm haben, noch etwas dafür tun, dass seitens dieser Gefährder keine Gewalt ausgeübt werden kann. Daher ist es von größter Bedeutung für die Sicherheit der Bevölkerung, dass durch die Sicherheitsbehörden von Stadt, Land und Bund eine effektive Prävention eingerichtet wird. Speziell im Fall Henriette Reker hätte die besondere Konstellation Sozialdezernentin / Flüchtlingspolitik / Oberbürgermeister-Kandidatin vom Staatsschutz der Polizei Köln im Vorfeld analysiert und hinsichtlich der Schutzmaßnahmen besser vorbereitet werden müssen.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Siebter Verhandlungstag | Paukenschlag: Anwalt entpflichtet!

Am siebten Verhandlungstag am 6. Juni 2016 sind lediglich zehn Journalisten anwesend – und das, obwohl Herausragendes geschieht: Einer der zwei Rechtsanwälte des Angeklagten Frank S., Dr. Christof M. wird von seinem Mandant entpflichtet. Dies ist ein außergewöhnlicher Vorfall.

Als der Angeklagte den Gerichtssaal betritt, ist nur sein Anwalt Jasper M. vor Ort. Der Stuhl auf dem sonst sein zweiter Anwalt saß, ist frei geblieben und nun von Frank S. besetzt. Nachdem die Vorsitzende Richterin Barbara H. das mitbekommen hat, fordert sie ihn auf, sich einen anderen Platz zu nehmen.

In der heutigen Verhandlung wird sodann im Zusammenhang mit der Entpflichtung berichtet, dass eine Bekannte, von Frank S., die er vor etwa zehn Jahren kennengelernt und die nun wieder Kontakt mit ihm aufgenommen hat, auch in regem E-Mail-Kontakt mit seinem zweiten Anwalt Dr. Christof M. stand. Die Bekannte hat diesen E-Mail-Verkehr dem Gericht offengelegt, dessen Inhalt den Angeklagten aufregt und den er „schweinisch“ nennt.

Reker-Prozess: Siebter Verhandlungstag | Paukenschlag: Anwalt entpflichtet!

Frank S. erweiterte seinen Antrag auf Entpflichtung des Anwalts und möchte zusätzlich auch seinen zweiten Anwalt Jasper M. entpflichten lassen, weil dieser von den „Machenschaften“ von Dr. Christof M. wusste und Frank S. für „verblödet“ hält. Zusätzlich wirft der Angeklagte seinem Ex-Anwalt Dr. Christof M. Alkoholmissbrauch während der Gerichtspausen vor. Sein zweiter Anwalt Jasper M. wiederum hätte keine Ideale.

Hierzu nimmt auf Aufforderung des Gerichts auch der Generalbundesanwalt Stellung. Eine Entpflichtung von Jasper M. hält dieser für nicht relevant. Einer Entpflichtung von Christof M. in Bezug auf die E-Mails mit der Bekannten von Frank S. stimmt er jedoch zu. Daraufhin gibt es eine Beratungspause für das Gericht.

Nach dieser Pause liest das Gericht einen Antrag des Rechtsanwalts Dr Christof M. vor, indem er selbst um Entpflichtung von seinem Mandanten Frank S. bittet, da sowohl das Vertrauensverhältnis gestört sei, als auch die Kommunikation nicht mehr stattfindet. Danach teilt das Gericht seinen Beschluss mit: Dr. Christof M. wird entpflichtet, Rechtsanwalt Jasper M. jedoch nicht, da hierfür keine Gründe vorliegen. Des Weiteren wird durch das Gericht festgestellt, dass nun einige Zeugen nochmals gehört werden müssen, da der verbleibende Anwalt Jasper M. teilweise nicht am Prozess teilgenommen habe und somit einige Zeugen nicht persönlich erlebt hat.

Nun wird die erste Zeugin des heutigen Tages vernommen, Dr. Konstanze J. (60), Psychiaterin aus Köln. Sie hatte den ersten ärztlichen Kontakt zum Beschuldigten nach dem Attentat. Hierzu wurden sie von der Polizei angerufen und beauftragt. Es galt, die Frage zu klären, ob der Beschuldigte in einen normalen Strafvollzug und gebracht werden kann, oder ob er in eine entsprechende Anstalt eingeliefert werden muss. Zur Aufsicht war eine Polizeibeamtin beim Gespräch anwesend.

Dr. Konstanze J. teilt mit, dass Frank S. kooperativ war und alles verstanden hat. Er sagte ihr, dass er ein politisch motivierter Straftäter sei, aber nicht geistesgestört. Seine politische Richtung sei rechts. Er mache sich Sorgen wegen der Flüchtlingskrise. Die Flüchtlinge seien die neuen „Sklavenkräfte“. An Henriette Reker hat ihn die „extreme Verlogenheit“ gestört. Auch sei er „arbeitslos aus Überzeugung“.

Während dieser Aussage schüttelt Frank S. immer wieder den Kopf.

Zum Befund äußerte Dr. Konstanze J., dass eine wahnhafte Störung nicht zu erkennen sei. Im Gespräch war Frank S. bewusstseinsklar. Sein Denken war etwas ausufernd und eingeengt. Er war nicht paranoid. Es gab keinen pathologischen Befund und auch Suizidgefahr bestand nicht. Seine Stimmungslage während des Gesprächs war zuerst zurückhaltend, danach geriet er in gute Stimmung. Er war weder betroffen noch nachdenklich, eher etwas stolz.

Nun stellt Frank S. selbst auch eine Frage und möchte wissen, ob die Zeugin unabhängig sei, was wiederum bejaht wird. In seiner nachfolgenden Stellungnahme streitet Frank S. die gesamte Aussage der Zeugin ab.

Hiernach wird als Zeugin die Kriminaloberkommissarin gehört, die beim Gespräch mit der Psychologin anwesend war. Sie teilt mit, dass Frank S. schockiert war, als er gehört hat, dass es mehrere Verletzte gab. Sie fand diese Aussage allerdings nicht glaubhaft, sie wirkte sehr aufgesetzt. Weiterhin teilte Frank S. im Gespräch mit Dr. Konstanze J. mit, dass er Henriette Reker nicht töten, sondern nur verletzen wollte. Er habe diese Tat für die Zukunft unserer Kinder und für Deutschland getan. Er hätte im Vorfeld länger über das Attentat nachgedacht und festgestellt, dass diese Handlung notwendig sei. Frank S. hat der Kriminaloberkommissarin gegenüber einen klaren Eindruck hinterlassen und war sehr redselig.

In seiner anschließenden Stellungnahme äußert Frank S. seine Verwunderung darüber, dass er im Streifenwagen etwas anderes gesagt haben soll als nur zwei Stunden später bei seiner Vernehmung. Denn im Streifenwagen, so sei ihm unterstellt worden, habe er noch ausgesagt, dass er Henriette Reker hat töten wollen.

Im weiteren Verlauf des Verhandlungstages fordert Frank S. sein zweiten Anwalt Jasper M. dazu auf, sich wie sein Rechtsanwaltskollege Dr. Christof M. entpflichten zu lassen und sein Mandant Mandat abzulegen. Jasper M. erklärt, dass er das nicht machen wird, woraufhin Frank S. einen erneuten Antrag zur Entflichtung seines Anwalts stellt. Das Gericht wiederum gibt als Beschluss bekannt, diesem Antrag nicht statt zu geben. Auch wird keine Beiordnung eines weiteren Anwalts angewiesen.

Bildquelle: I-vista  / pixelio.de

Reker-Prozess: Sechster Verhandlungstag | Attentäter verliert die Nerven

Heute haben sich die rabiaten Tendenzen in der Persönlichkeit des Angeklagten, die über die Dauer des bisherigen Prozessverlaufs immer wieder durchschimmerten, klar bestätigt.

Im Zeugenstand sind heute die Polizeibeamten, die Frank S. unmittelbar nach seiner Festnahme im Streifenwagen zum ersten Verhör ins Polizeipräsidium Köln gefahren haben.

Doch noch bevor die Zeugen aussagen können, versucht der Angeklagte über eine geschlagene Stunde lang dem Gericht zu erklären, warum er seine Anwälte Dr. Christoph M. und Jasper M. nicht mehr an seiner Seite haben möchte. Er wirft ihnen Lügen, mangelnden Einsatz, Alkoholprobleme sowie Verletzung der Schweigepflicht vor. Dieses in seiner altbekannten beleidigenden Art. Die Vorsitzende Richterin Barbara H. belehrt ihn immer wieder und bittet ihn, nicht so viel Unsinn zu reden. Auch der Bundesanwalt Dr. Lars O. wird deutlich und kontert gegenüber Frank S., dass hier nicht alle nach seiner Pfeife tanzen. Eine Entpflichtung der Anwälte hat an diesem Verhandlungstag im Übrigen nicht stattgefunden.

Reker-Prozess: Sechster Verhandlungstag | Attentäter verliert die Nerven

Alle drei Zeugen sagen danach gleichermaßen aus, der Beschuldigte habe freimütig, locker und entspannt gesprochen. Er habe herausgestellt und deutlich gesagt –das wird auch auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin nochmals durch die Zeugen bestätigt – dass er gerne die Bundeskanzlerin Angela Merkel getötet hätte. Es sei ihm aber zu schwierig gewesen, an sie heran zu kommen. Daraufhin habe er sich als Ziel die damalige Kölner Sozialdezernenten Henriette Reker ausgesucht, da sie ein leichteres Ziel zu sein schien. Er habe durch die Tötung Henriette Rekers ein Zeichen setzen wollen. Auch diese Aussage bestätigen alle drei Zeugen nochmals.

Weitere Äußerungen des Täters seien gewesen: „Ich habe sie gezielt in den Hals gestochen. Einmal. Ich war der Meinung, dass das gereicht hat.“ Und weiter: „Ich hoffe, dass sie stirbt.“

Diese Aussagen sind für den Angeklagten besonders prekär. Bisher hatte er immer angegeben, dass er sie nicht habe umbringen wollen. Doch mit diesen Zeugenaussagen ist diese Behauptung nun widerlegt. Er wird deshalb nun sicherlich wegen versuchten Mordes verurteilt, bei Urteilsbestätigung droht ihm lebenslange Haft.

Auf diese Aussagen hin beschimpft der ohnehin schon recht aufgebrachte Frank S. die Polizisten als „verlogene Schweinehunde“.

Dieser verbale Ausfall bleibt auch über das Ende des heutigen Prozesstages in Erinnerung.

Bildquelle: NicoLeHe / pixelio.de

Zweiter Verhandlungstag – Beschuldigter Norbert K. im Fokus

Zum heutigen Verhandlungstag am 3. Juni 2016 sind nur noch circa 15 Pressevertreter und etwa 40 Zuschauer vor Ort.

Es ist ein üblicher Effekt, dass das Interesse nach dem ersten Verhandlungstag eines Prozesses sinkt und weniger Zuschauer und Journalisten anwesend sind.

Zu Beginn ist wieder eine gewisse Unruhe im Saal zu spüren. Ramona und Annette R. sind wieder schwarz gekleidet. Fotografen stürzen sich auf sie, als sie den Gerichtssaal betreten. Später, als der Vater der Getöteten, Uwe R., sich auf seinen Platz gesetzt hat, stellt er einen Laptop vor sich auf den Tisch und klappt ihn auf. Auf dem Bildschirm sind zwei große Fotos seiner Tochter zu sehen. Auch seine Frau hat ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Anneli vor sich aufgestellt. Der Haupttäter Markus B. sitzt ihr genau gegenüber und muss nun, sobald er hochschaut, genau auf die Bilder von Anneli R. sehen.

Das Gericht gibt heute bekannt, dass nun auch der Bruder der getöteten Anneli als Kläger in das Verfahren eingetreten ist.

Antrag auf Beweisverwertungsverbot

Da die Verteidigung von Norbert K. am letzten Verhandlungstag ein Beweisverwertungsverbot für die zweite polizeiliche Vernehmung gestellt hat, wird nun die Stellungnahme der Staatsanwältin gehört. Sie erläutert ausführlich, dass der Beschuldigte damals genügend Pausen gehabt hätte, was sie minutiös belegen kann.

Während des Verlesens der Stellungnahme hebt der Angeklagte Norbert K. immer wieder den Kopf. Ramona R. wiederum schaut nur auf den Angeklagten Markus B., der auf den Tisch vor sich starrt. Nach der Verlesung weist das Gericht Uwe und Ramona R. an, die aufgestellten Fotos von Anneli wieder zu entfernen, da diese Demonstration aus Sicht des Gerichts keinerlei Sinn hat.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Ramona R. nimmt zum Beweisverwertungsverbot der Verteidiger Stellung. Er hält es für eine taktische Maßnahme, um eine Aussage des Beschuldigten, die dieser in einer Vernehmungspause getätigt hat, jetzt wieder zurückzunehmen. Das Brisante: Diese Aussage offenbart, dass seine Beteiligung am Tatgeschehen intensiver war, als er am ersten Verhandlungstag eingeräumt hat. Er wusste, dass Anneli getötet wurde und er wusste auch, wie. Zudem wurden bei der besagten zweiten Vernehmung ordnungsgemäße Pausen gewährt und mehrfache Belehrungen durchgeführt.

Der Verteidiger von Norbert K. beantragt jetzt einen Gerichtsbeschluss.

Befragung der Polizeibeamten

Nun wird der Kriminalhauptmeister Jörg M. (46) aus Dresden gehört. Er habe am Tag der Vernehmung Bereitschaft gehabt und sei um 03:30 Uhr zur Dienststelle gerufen worden, um dort mit der Vernehmung des Tatverdächtigen Norbert K zu beginnen. Die Vernehmung habe um 06:15 Uhr begonnen, wobei zunächst die offizielle Belehrung durchgeführt worden sei.

In der Vernehmung habe Norbert K. angegeben, Markus B. bereits seit circa drei Jahren zu kennen. Beide hätten eine Kumpel-Beziehung gepflegt, zudem habe Norbert K. Markus B. immer mal wieder ein wenig ausgeholfen. Zum Beispiel habe er dessen Hund ausgeführt und dafür Benzingeld erhalten.

Norbert K. habe eine Tatortbegehung abgelehnt und auch jegliche Anschuldigungen immer wieder bestritten. Er sei dabei sehr nervös gewesen, sodass die vernehmenden Beamten der Meinung gewesen seien, dass etwas nicht stimmen könne und Norbert K. ihnen etwas verheimliche.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. fragt den Kriminalhauptmeister Jörg M. nun, ob der Beschuldigte alles verstanden habe, was der Beamte mit einem selbstbewussten Ja beantwortet. Die Nebenkläger-Anwälte von Uwe und Ramona R. fragen nach dem allgemeinen Zustand des Beschuldigten, wie lange er wach gewesen sei und ob er einen übermüdeten Eindruck hinterlassen habe. Letzteres wurde von Jörg M. verneint, allerdings habe Norbert K. einige Fragen blockiert. Nun stellt der Verteidiger von Norbert K. eine Suggestivfrage – die jedoch grundsätzlich nicht gestattet sind – und möchte wissen, was gewesen wäre, wenn der Beschuldigte geäußert hätte, dass er lange wach gewesen sei. Außerdem mahnt der Anwalt an, dass man seinem Mandanten während der damaligen Vernehmung gesagt hätte, sein Handy wäre am Tatort eingeloggt gewesen. Dies hatte Norbert K. schon während der Vernehmung abgestritten, völlig zurecht, denn Norbert K. hatte sein Handy in Lampersdorf gelassen.

Der nächste Zeuge ist der Kriminalhauptkommissar Alexander S. vom Landeskriminalamt Sachsen. Er war am 16. bzw. 17. August 2015 nach Bamberg gefahren, um dort den Beschuldigten Markus B. zu vernehmen. Als Alexander S. auf Markus B. traf, habe dieser geweint und kaum sprechen können, allerdings habe er sich schnell beruhigt. Anschließend habe Alexander S. die die offizielle Belehrung durchgeführt. Der Beschuldigte habe sich jedoch zum Tatvorwurf nicht eingelassen.

Später, als ein Bamberger Rechtsanwalt zur Vernehmung dazugestoßen war, habe Markus B. dem Beamten mitgeteilt, dass er die Familie R. gekannt habe, Uwe R. sogar persönlich von einem Unternehmer-Stammtisch. Er habe des Weiteren berichtet, dass er den Feldweg zur B 101, auf dem Anneli R. entführt worden war, selbst schon benutzt hatte, mit dem Fahrrad und zusammen mit seinem Hund. Er habe sogar angeboten, sich in der Szene (Rocker, Albaner, Russen) umzuhören. Zitat: „Die Szene weiß alles.“ Als die Polizisten schließlich gemeinsam mit Markus B. nach Dresden fuhren, sei der Beschuldigte nach wenigen Minuten tief und fest eingeschlafen.

Die Verteidiger von Markus B. möchten jetzt wissen, woher der LKA-Beamte Alexander S. die Aussagen von Norbert K. bekommen habe (diese hatte er von Kollegen auf dem Flur erhalten) und außerdem, ob es Spuren gab, von denen er bei bereits der Vernehmung gewusst habe. Alexander S. berichtet, er habe Kenntnis von einem Taschentuch gehabt, das am Tatort gefunden worden war und auf dem sich DNA-Spuren von Markus B. befunden haben.

Hiernach wird als Zeuge der Polizeidirektor Sven M. (55) befragt, Kommandoführer des SEK Sachsen, der mit einer klaren und dominanten Stimme spricht. Beamte seines Status haben eine nur eingeschränkte Aussagegenehmigung, was bedeutet, dass er nichts zum Materialeinsatz oder zum Ausbildungsstand der SEK sagen, und auch keine Personenangaben zum eingesetzten SEK-Team machen darf.

Er gibt zunächst an, dass er selbst nicht vor Ort gewesen sei, als Norbert K. festgenommen wurde, der Einsatz zur Festnahme habe wiederum keine 10 Minuten gedauert.

Die Verteidiger von Norbert K. möchten wissen, in welchem Zustand sich ihr Mandant bei Eintreffen der Einsatzkräfte am Festnahmeort befand. War er putzmunter oder verschlafen? Sven M. sagt aus, dass Norbert K. benommen gewirkt habe. Da dies zum aktuellen Zeitpunkt jedoch nicht eindeutig geklärt werden kann, legt das Gericht nun fest, dass der Zeuge an einem der nächsten Verhandlungstage nochmal vernommen und zu diesem Anlass auch der Einsatzfilm gezeigt wird.

Nach der Mittagspause wird nun Kriminalhauptmeister Rüdiger P. (48) vom Polizeipräsidium Dresden gehört. Er habe den Beschuldigten Norbert K. gegen Mittag erstmals gesehen und vernommen. Außerdem habe er eine offizielle Belehrung durchgeführt und vom Beschuldigten eine Bestätigung bekommen, dass er diese Belehrung verstanden habe. Norbert K. sei mit der Vernehmung einverstanden gewesen und habe zum damaligen Zeitpunkt auch keinen Anwalt gewollt, sondern erst bei Gericht. Bei der Vernehmung seien ausreichend Pausen gemacht worden.

Doch erst in einer Pause zwischen 16:05 Uhr und 16:25 Uhr habe sich Norbert K. darauf eingelassen, sich zur Entführung zu äußern. Er habe mitgeteilt, dass Anneli R. tot sei und wo sich der Ablageort ihrer Leiche befinde.

Während dieser Zeugenaussage schüttelt Norbert K. immer wieder den Kopf und bespricht sich mit seinem Anwalt.

Der Zeuge teilt weiter mit, es habe niemals Anzeichen einer Erschöpfung oder eines Schlafmangels bei Norbert K. gegeben. Die Vernehmung habe insgesamt bis 22:15 Uhr gedauert und es habe insgesamt vier Pausen und mehrere Belehrungen gegeben.

Der Verteidiger von Norbert K. möchte nun wissen, welche Kleidung der Beschuldigte anhatte, worauf der Zeuge Antwort weiß. Der Anwalt fragt anschließend weitere Fragen, die aber kein Zeuge beantworten kann und, die auch für das Verfahren juristisch nicht wichtig sind. Zum Beispiel, woher genau der Zeuge gewusst habe, dass Norbert K. ein Beschuldigter ist.

Schließlich werden am Richtertisch Fotos von Norbert K. in Augenschein genommen, die am Tag seiner Vernehmung gemacht wurden, wie der Verteidiger behauptet. Dadurch soll geklärt werden, ob Norbert K. am nämlichen Tag müde war. Die Vorsitzende Richterin kann jedoch keine Müdigkeit erkennen.

Aussage des Mithäftlings von Norbert K.

Nach den Polizisten kommt nun mit Daniel I. (37) ein verurteilter Strafgefangener zur Befragung, der mit Norbert K. circa drei Wochen in Görlitz in einer Zelle eingesessen hat. Er selbst ist vor über drei Jahren wegen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden und sitzt seitdem in der JVA Waldheim ein.

Daniel I. teilt dem Gericht mit, dass Norbert K. ihm erzählt habe, sie hätten das Mädchen entführt und eingesperrt. Später sei das Mädchen tot gewesen. Beide hätten die Leiche vergraben und sich noch über die Tiefe des Lochs gestritten. Norbert K. habe ein tieferes Loch als Markus B. gewollt, weil sonst der Verwesungsgeruch zu schnell bemerkt würde. Die Kleidung des Opfers hätten sie verbrannt. Weiter erzählte Norbert K. seinem Mitinsassen, dass er 400.000 Euro Anteil vom Lösegeld hätte erhalten sollen.

Norbert K. habe ihm des Weiteren berichtet, er sei von Markus B. angerufen worden und sofort zu ihm eilen müssen. Als Norbert K. vor Ort eintraf, habe Anneli R. schon nackt auf dem Boden gelegen und sei blau angelaufen gewesen. Der Grund der Tötung sei Norbert K. nicht klar gewesen. Er habe Daniel I. auch davon erzählt, dass Markus B. das Opfer so betäuben wollte, dass dieses sich an nichts mehr erinnern könnte.

Nun beschreibt Daniel I. recht genau, wie die Leiche nach Norbert K.s Bericht entsorgt worden ist.

In diesem Erzählmoment wendet sich die Familie R. vom Zeugen ab. Anett R. hält eine Hand vor das Gesicht, ihre Mutter schaut ihren Mann an.

Warum Norbert K. und Markus B. ausgerechnet Anneli R. entführt haben, erklärte Norbert K. damit, dass vorab mehrere Personen durch Markus B. ausspioniert worden seien. Dabei offenbarte sich für die beiden Täter letztlich, dass Familie R. viel Geld besitzte und sich eine Entführung samt Erpressung lohnen würde. Markus B. habe durch einen Hauskauf hohe Schulden gemacht und brauche nun entsprechend viel Geld.

Dass der Zeuge Daniel I. heute hier aussagt, ergab sich über die Postkontrolle in der Untersuchungshaft. Er hat in einem Brief an seine Mutter von den Berichten des Norbert K. geschrieben, insbesondere auch deshalb, weil dieser ihm gesagt hatte, dass Markus B. Lebensmittel im Supermarkt „Kaufland“ präparieren wollte, um das Unternehmen zu erpressen. Daher riet er seinen Angehörigen davon ab, dort einzukaufen. Des Weiteren habe Norbert K. ihn genau über den Einführungsablauf informiert. Auch habe Norbert K. erwähnt, dass sein Therapeut ihm geraten hätte, über die Straftat zu reden, weil ihm das psychisch helfen würde. Seine Kooperation mit der Polizei – noch bevor Markus B. dies ebenfalls täte – würde ihm Bonuspunkte einbringen, berichtete Norbert K. dem Mithäftling Daniel I.

Daniel I. weiter: Markus B. sei zu einhundert Prozent der Bestimmende in dem Entführungs- und Tötungsdelikt gewesen, er wäre schlau und gewieft. Außerdem sei Markus B. ein Rocker, wie Norbert K. erwähnte.

Die Nebenkläger-Anwälte befragen den Zeugen nun noch zu weiteren Details der Entführung. Sie wollen unter anderem erfahren, wie der Zugriff auf Anneli R. passierte. Daniel I. erklärt, dass Norbert K. ihm beschrieben habe, Markus B. wäre aus einem Gebüsch heraus auf Anneli R. zugesprungen und hätte sie vom Fahrrad gestoßen. Das Handy von Anneli sei später in die Talsperre geworfen worden.

Jetzt fragen die Verteidiger von Markus B. nach dem Grund der Inhaftierung von Daniel I. Er teilt mit, dass er wegen Handels mit Crystal in insgesamt sechs Fällen (650 bis 700 Gramm) verurteilt worden sei. Auf die Frage, ob er denn Vorteile durch seine Aussage zu erwarten hätte, antwortet Daniel I., dass er eher mit Nachteilen rechnen müsse. Der psychologische Sachverständige fragt den Zeugen nun, wie er denn Norbert K. erlebt habe? „Als einen ganz normalen Mann, dem ich das nicht zugetraut hätte.“, antwortet der Zeuge.

Damit endet der Verhandlungstag um 15:02 Uhr.


Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Fünfter Verhandlungstag

Am heutigen 17. Mai 2016 sitzen neben vier Justizbeamten auch acht Journalisten und zwei Zuschauer im Gerichtssaal.

Zu Beginn der Verhandlung betritt der Angeklagte Frank S. den Gerichtssaal und setzt sich erneut demonstrativ drei Plätze von seinen Verteidigern weg – dabei schaut er seine Anwälte regelrecht angewidert an. Als die Vorsitzende Richterin den Saal betritt und diese Situation bemerkt, fordert sie Frank S. auf, sich neben seine Verteidiger zu setzen, worauf er antwortet: „Das sind nicht meine Verteidiger.“ Doch die Richterin setzt sich nach Ermahnung des Beschuldigten durch.

Zeuge Nummer eins

Als erster Zeuge wird heute der Landwirt Matthias Peter K. (38) aus Wesseling gehört. Er betrieb auf dem Markt einen Verkaufsstand, der sich in Blickrichtung auf die Wahlkampfstände der Parteien befand.

Als er lautes Geschrei hörte, habe er sich zu den Wahlkampfständen umgedreht und Henriette Reker am Boden liegen und zwei Männer miteinander ringen sehen. Es seien der Attentäter mit einem Messer in der Hand und TaxiunternehmerMartin B. mit einer flexiblen Kunststoffstange gewesen. Dann habe Frank S. das Messer weggeworfen und nur noch still dagestanden. Anschließend habe Matthias Peter K. gehört, wie der Angeklagte vor sich hin sprach, er hätte das „für die Kinder gemacht“ und „ihr habt keine Ahnung, worauf ihr euch da eingelassen habt“. Den Gesichtsausdruck des Attentäters beschrieb der Zeuge als „Mission erfüllt“. Außerdem ist dem Zeugen während der Rangelei eine Besonderheit aufgefallen: Beim Attentäter hat er ein kleines Messer gesehen.

Reker-Prozess: Fünfter Verhandlungstag

Zeuge Nummer zwei

Als nächster Zeuge wird nun der ehemalige Polizeibeamte und jetzige Vertriebsmitarbeiter Florian K. (29) gehört. Er hat damals in Marktnähe gewohnt und wollte dort einkaufen.

Das Attentat habe er aus der Entfernung wahrgenommen. Als er den Markt erreicht und sich einen Überblick über die Situation verschafft hatte, habe er den Angeklagten Frank S. vorläufig festgenommen und ihn belehrt. Auch zu ihm habe Frank S. gesagt: „Das habe ich für euch alle getan. Das sind doch alles keine Politiker.“ Als die Polizei eingetroffen war, habe Florian K. den Attentäter an die Beamten übergeben.

Frank S. habe auf ihn ruhig, abgeklärt, berechnend und gefasst gewirkt. Der Täter schien zu wissen, was er tat. Sein Blick sei klar gewesen und habe nicht verrückt gewirkt. Des Weiteren teilt Florian K. eine Aussage vom Hörensagen mit, wonach Frank S. zu einem Polizeikollegen gesagt habe: “Heute Morgen bin ich als freier Mann aufgestanden, heute Abend bin ich als Mörder im Gefängnis.”

Der Generalbundesanwalt fragt noch einmal nach den Sätzen, die Frank S. vor Ort gesagt haben soll, unter anderem die Formulierung „das sind keine Politiker“. Dies wird durch den Zeugen bestätigt.

Die Verteidiger von Frank S. erkundigen sich anschließend nur danach, wo das große Messer gelegen hat.

Zeuge Nummer drei

Als dritter Zeuge des heutigen Tages wird Roland S. (57) aus Köln gehört. Er war für Die Grünen als Wahlkampfhelfer vor Ort. Vom Geschehen selbst hat er nichts gesehen, sondern nur die Unruhe mitbekommen.

Zunächst sei Frank S. mit einem großen Messer in seinem Blickfeld aufgetaucht, da dachte Roland S. noch an einen Scherz. Erst kurz darauf habe er die verletzte Henriette Reker gesehen. Er habe mitbekommen, dass Frank S. das große Messer wegwarf und ein kleines Messer aus der Hosentasche zog.

Aktenlektüre

Nach dieser Zeugenanhörung liest das Gericht einige Akteninhalte vor. Unter anderem die Asservatenliste und Angaben zum Auffindeort der Tatwaffe. Des Weiteren werden etliche Spuren an Spurenträgern, wie zum Beispiel dem Tatmesser, benannt, mit dem Ergebnis, dass dem Bowiemesser sowohl Blut von Henriette Reker als auch von Pascal S. und von Anette v. W. anhaftet. Weiter wird der Durchsuchungsbeschluss zur Privatwohnung von Frank S. und aus einigen Akten aus dem Job-Center vorgelesen.

Da der Angeklagte sich zwischendurch immer wieder ungefragt mündlich meldet, wird er lauthals und deutlich durch die Richterin ermahnt.

Zeugin Nummer vier

Als letzte Zeugin des heutigen Tages wird die Polizeioberkommissarin Katja K. (44) aus Köln vernommen. Sie war mit ihren Kollegen die erste Einsatzkraft vor Ort.

Der Zeuge Matthias B. habe ihr Zeichen gegeben, zum Attentäter Frank S. zu kommen. Dieser sei völlig ruhig gewesen und habe seine Hände in den Taschen gehabt. Er sei gefesselt, zum Streifenwagen geführt und dort belehrt worden. Hier habe er zu ihr gesagt: „Ich habe das für euch und eure Kinder getan. Und mehr sage ich nicht dazu.” Danach sei von ihm die als Frage formulierte Aufforderung gekommen: “Können wir dann jetzt fahren?!” Der Tonfall sei fordernd gewesen.

Fragen an den Angeklagten

Nach der Mittagspause gibt es noch ein paar Fragen der Vorsitzenden Richterin an den Angeklagten. Als Erstes geht es um eine Bestellung im Internet, bei der Aufkleber mit dem Abdruck „Dritter Weg“ bestellt worden sind. Frank S. erläutert dazu, dass er diese Aufkleber im Internet bestellt habe, um Antifa-Wahlplakate zu überkleben.

Weiterhin führt er aus, dass er etwa mit 16 Jahren schleichend in die rechte Szene hineingerutscht sei. Die Gruppenbezeichnung „Berserker“ sei erst aufgekommen, als er circa 20 Jahre alt war. Die Hauptaktion dieser Gruppe sei die Stellung einer Bürgerwehr gegen ausländische Gruppen gewesen, wodurch deutsche Bürger vermeintlich geschützt werden sollten.

Zur Tatmotivation sagt er nochmals, dass er Henriette Reker habe verletzen wollen, um ein Signal zu setzen. Der Stich in den Hals sei nicht explizit beabsichtigt gewesen, ebenso wenig ihr Tod. Auch sei er davon ausgegangen, dass Henriette Reker Leibwächter bei sich haben würde und er hätte erschossen werden können. Warum Blutspuren von mehreren Menschen an seinem Bowiemesser sind, obwohl er nur Henriette Reker attackiert habe, sei ihm nicht erklärlich.

Der Generalbundesanwalt konfrontiert Frank S. nun damit, dass es ja dessen Ziel gewesen sei zu verhindern, dass Henriette Reker Oberbürgermeisterin von Köln wird. Das Ziel habe er allerdings nicht erreicht, denn das wäre nur möglich gewesen, wenn er sie getötet hätte. Hierauf erhält er vom Attentäter allerdings keine entsprechende Antwort.

Der psychologische Sachverständige befragt den Angeklagten zu seiner Gewaltbereitschaft. Dieser sagt deutlich aus, dass er nicht gewalttätig sei, da er ja die letzten 25 Jahre gewaltfrei gelebt habe. Bei dem Anschlag auf Henriette Reker sei das etwas anderes gewesen, da er hier die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel gesehen habe. Jetzt wisse er jedoch, dass es das falsche Mittel war. Das Gericht wiederum fragt den Beschuldigten an dieser Stelle, ob es denn auch Alternativen gegeben hätte. Dies verneint Frank S. klar mit „keine“.

Somit endet der fünfte Verhandlungstag gegen Attentäter Frank S. um 15:05 Uhr.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

Erster Verhandlungstag

Am ersten Verhandlungstag im Prozess gegen die Mörder von Anneli R. am 30. Mai 2016 sind über 40 Zuschauer und mehr als 30 Journalisten (sechs Kamerateams) anwesend. Während alle Beteiligten den Saal betreten und ihren Platz suchen, ist es etwas hektisch.

Es herrscht eine große Unruhe im Publikum, was vermutlich damit zusammenhängt, dass sich unter den Zuschauern eine große Zahl Angehöriger oder Freunde der Familie R. befindet, der Familie des Opfers.

Die Zugehörigen der Parteien betreten nach und nach den Verhandlungssaal und nehmen ihren Platz ein. Vorn rechts sitzt die Oberstaatsanwältin Karin D., neben ihr die Familie mit den Nebenklägern. Auch die beiden psychologischen Sachverständigen, pro Täter einer, haben vorn rechts ihren Platz. Ebenfalls ganz vorn, jedoch auf der linken Seite, sitzen die Verteidiger des Täters Markus B., rechts daneben die zwei Verteidiger von Norbert K.

Als die Eltern und die Schwester des Opfers den Saal betreten, bricht ein Blitzlichtgewitter los. Die Frauen sind komplett in schwarz gekleidet. Ihnen ist die Last ihres schweren Ganges auf ihre Plätze deutlich anzumerken. Sie zittern und ringen um Fassung. Der Vater des Opfers ist dunkelblau gekleidet und kaut in sehr schnellem Tempo Kaugummi. Die Familie braucht eine Weile, bis sie an ihrem Platz angekommen ist und sich ein wenig sortiert hat.

Nun wird der erste Täter in den Gerichtssaal geführt. Es handelt sich um Norbert K. (62), geboren in Berlin, eine Tochter (34). Er hat Forstwirt und Florist gelernt. Zurzeit sitzt er in der JVA Görlitz ein. Er trägt eine Jeans mit einem hellblauen Hemd, hat den Kopf leicht nach unten geneigt, diesen aber nicht bedeckt. Danach wird Markus B. (40) in den Saal geführt. Er hat zwei Söhne, acht und neun Jahre alt, und wurde in Pforzheim geboren. Er trägt eine Jacke mit hochstehendem Kragen, ein Basecap verdeckt seinen Kopf, ein Aktenordner verdeckt sein Gesicht.

Nachdem das Gericht ebenfalls Platz genommen und die Richterin Birgit W. eine allgemeine Begrüßung und Belehrung durchgeführt hat, ist die Oberstaatsanwältin Karin D. mit dem Verlesen der Anklage dran.

Die Anklage

Laut derselben haben sich die Täter sich Anfang 2014 kennengelernt. Norbert K. hat Hilfsdienste für Markus B. durchgeführt. Zu Beginn des Jahres 2015 wurde der Entschluss zur Erpressung und Entführung gefasst. Es konnte mithin nachgewiesen werden, dass der dabei verwendete Kabelbinder am 23. Mai 2015 in einem Baumarkt sowie eine 250 ml Flasche Ethanolam 23. Juni 2015 in einer Apotheke gekauft wurden. Nachgewiesen wurde auch, dass die Familie vorab im Internet und aktiv vor Ort über mehrere Wochen observiert worden war. Die Täter hatten sich auf ein Lösegeld von 1,2 Millionen Euro geeinigt, davon sollte Markus B. 800.000 Euro erhalten und Norbert K. 400.000 Euro.

Zur Observation hielten sie sich regelmäßig am Grundstück und an den Feldwegen um den Wohnort der Familie R. auf. So registrierten sie, dass das Opfer Anneli R. regelmäßig in den Abendstunden mit dem Familienhund Gassi ging. Nachdem Markus B. Anneli R. am Tattag, dem 13. August 2015, von ihrem Fahrrad gestoßen hatte, sollte sie mittels Kabelbindern an Händen und Füßen gefesselt und in den Kofferraum des Fluchtfahrzeugs, einem BMW, verbracht werden. Da dies nicht gelang, stießen sie Anneli R. auf die Rücksitzbank. Markus B. setzte sich dazu, um sie zu fixieren. Um 19:57 Uhr riefen die Täter über das Handy von Anneli R. ihren Vater Uwe R. an, bevor es später in eine naheliegende Talsperre geworfen wurde.

Da Markus B. bei dieser Entführung keine Maske trug, sprach Norbert K. ihn darauf an und fragte: „Bist du doof?“ Markus B. antwortete: „Da habe ich wohl einen Fehler gemacht.“ In diesem Moment wurde der Entschluss zur Tötung des Opfers gefasst.

Markus B. rief dann nochmals Uwe R. an und sprach mit etwas verstellter Stimme auf dessen Mailbox.

Norbert K. war nun klar, dass Markus B. Anneli R. töten wollte. Anneli R. wurde an einem Stuhl festgebunden. Zuerst versuchte B., sie mit Ethanolzu betäuben. Als das nicht gelang, stülpte er ihr eine Plastiktüte über den Kopf, um sie zu ersticken. Auch das schlug fehl, sodass er ihr einen Kabelbinder um den Hals legte und zuzog. Auch dieser Versuch misslang. Hiernach nahm Markus B. einen Spanngurt, womit er letztendlich den Tod von Anneli R. herbeiführte. Norbert K. hielt ihn nicht davon ab.

Hiernach wurde Uwe R. nochmals angerufen und aufgefordert, ohne die Polizei einzuschalten, 1,2 Millionen Euro auf ein maltesisches Konto zu überweisen. Auf die Frage von Uwe R. wie das funktionieren sollte, sagte Markus B., man solle sich eben entsprechend erkundigen.

Die Leiche von Anneli R. wurde komplett entkleidet und die Kleidung verbrannt. Man vergrub die Leiche von Anneli R. in einer Mulde und deckte diese mit Sand zu.

Die Obduktion ergab Tod durch Ersticken.

Markus B. wird gemäß § 211 Strafgesetzbuch wegen Mordes, nach § 239 wegen Freiheitsberaubung und nach § 253 wegen Erpressung angeklagt. Norbert K. wiederum wird nach § 239 a Strafgesetzbuch wegen erpresserischen Menschenraubs und nach § 253 wegen Erpressung angeklagt.

Markus B. und Norbert K. wurden am 17. August 2015 festgenommen und sind seit dem 18. August 2015 in Haft.

Anträge und Angaben der Angeklagten

Nach dem Verlesen der Anklage wird durch das Gericht bekannt gegeben, dass der Verteidiger von Markus B. einen Antrag gestellt hat, wonach die Verhandlungsunfähigkeit seines Mandanten festzustellen sei, der ein Schmerzsyndrom hat und an Neurodermitis und Hautkrebs erkrankt ist. Dieser Antrag wurde relativ kurzfristig vor Verhandlungsbeginn gestellt. Das Gericht hatte jedoch noch die Zeit, ein rechtsmedizinisches Gutachten erstellen zu lassen, was ergab, dass es keinerlei Anzeichen für irgendeinen Befund gibt. Der Hautkrebs wurde im Jahr 2007 erfolgreich operativ behandelt.

Unter anderem wird durch das Gericht darauf hingewiesen, dass für Markus B. eine Belastung von bis zu acht Stunden am Tag aushaltbar ist, da der Angeklagte ja auch in der Lage war, einen in der JVA belegten PC-Kurs, der täglich acht Stunden dauerte, zu besuchen.

Hiernach erfolgt zunächst die Belehrung der Angeklagten, anschließend sollen diese sich erstmals äußern. Das verweigert Markus B. komplett, weder zu seiner Person noch zur Sache macht er Angaben. Norbert K. hingegen lässt über seinen Anwalt Andrej K. zu seiner Person und zu einem Teil der Tat berichten. Dieser räumt das Fahren des Flucht- und Entführungsfahrzeuges durch Norbert K. ein. Ansonsten teilt er mit, dass sein Mandant von nichts gewusst habe, weder von der Erpressung, noch von der Tötung Anneli R.s. Zuvor habe er sich nur um den Hund von Markus B. gekümmert.

Des Weiteren stellt der Verteidiger einen Antrag auf ein Verwertungsverbot der Zeugenaussage während der zweiten polizeilichen Vernehmung mit der Begründung, Norbert K. sei zu diesem Zeitpunkt bereits 40 Stunden ohne Schlaf gewesen. Dadurch habe er eine seelische Entkräftigung erlitten und konnte der Vernehmung auch physisch nicht mehr folgen. Außerdem rügt Andrej K. die Fragestellung der Polizei. Ein weiterer Antrag bemängelt die vorläufige Festnahme nach § 127 der Strafprozessordnung (StPO); diese sei nicht berechtigt gewesen, da keine Gefahr im Verzug war. Norbert K. sei die komplette Zeit bereits observiert worden und es habe keinerlei Tatverdacht gegeben. Der Anwalt unterstellt den Ermittlern, dass sie die Vorschriften vorsätzlich umgangen haben, um so bewusst eine Haftrichter-Vorführung umgehen und Norbert K. weiter vernehmen zu können. Das Gericht wird über diesen Antrag entscheiden. Die Vorsitzende Richterin bemerkt allerdings, dass Norbert K. während der gesamten Vernehmung nicht einmal geäußert hätte, das er am Ende sei.

Da hierzu noch Polizei-Zeugen gehört werden, wird dieser Sachverhalt sicherlich zeitnah aufgeklärt werden.

Die anschließend abgefragten Angaben zu seiner Person gibt der Angeklagte Norbert K. der Richterin direkt.

Seine Mutter war Inhaberin eines Blumenladens, sein Vater Arbeiter, Norbert K. hat drei ältere Geschwister. Die Schule in Berlin besuchte er von 1960 bis 1969, bis 1972 durchlief er eine Försterlehre, ebenfalls in Berlin, danach arbeitete er 17 Jahre in diesem Beruf. Hiernach begann er eine Lehre als Florist im Blumenladen seiner Mutter. 1974 ist er aus dem Elternhaus ausgezogen. 1978 heiratete er das erste Mal, dem folgte 1982 die Geburt seiner Tochter. 1985 wurde die Ehe geschieden. 1990 zog er wegen einer neuen Frau nach Verden an der Aller und eröffnete dort einen eigenen Blumenladen. Die Trennung kam nach drei Jahren. Ein Jahr später lernte er eine neue Frau kennen, die er auch heiratete. Nun zog Norbert K. aus Verden nach Ruhpolding, doch nach sieben Jahren wurde auch die zweite Ehe getrennt.

Während all dieser Vorgänge im Gerichtssaal sitzt der Angeklagte Markus B. ganz ruhig auf seinem Stuhl, die Unterarme leicht auf dem Tisch aufgelegt und den Kopf tief nach unten geneigt. Den Angeklagten gegenüber sitzt die Mutter des Opfers und schaut ihn ständig an. Markus B. versucht, den Blickkontakt zu vermeiden.

Aussage des Vaters von Anneli R.

Nun wird der Vater von Anneli R. befragt.

Uwe R. berichtet, die Familie hätte zum Zeitpunkt der Tat keine Ahnung oder Vermutung gehabt, wer der Täter hätte sein können. Am Samstagmittag, dem 15. August 2015, habe sich die gesamte Familie versammelt, um das Geschehen zu besprechen. Das LKA habe ihnen versicherte, dass man Anneli lebend wiederhaben wolle.

Vater Uwe R. habe schon immer ein ungutes Gefühl gehabt, wenn Anneli mit dem Hund Gassi gegangen war, denn Anfeindungen aufgrund des gehobenen Lebensstandards der Familie gab es immer wieder mal. Anneli wiederum sei der Wohlstand aber eher peinlich gewesen. Die Geschäftszahlen seiner Firma seien im Internet problemlos zu recherchieren und „wer eins und eins zusammenzählen kann, weiß Bescheid“, so Uwe R. Er selbst ginge zur Jagd und sammle das eine oder andere Auto. Angst, dass seine Kinder entführt werden könnten, habe er nie gehabt, jedoch sei er sowohl privat als auch geschäftlich schon öfter bestohlen worden. Im Haus aber habe er keine Überwachungsanlage.

Befragt nach psychischen Problemen seit dem Mord an seiner Tochter antwortete Uwe R. der Richterin, dass sich sein Leben komplett verändert habe. Den Verlust lebenslang ertragen zu müssen, sei für ihn unerträglich. Die Familie habe ärztliche Hilfe (ambulante psychologische Beratung) in Anspruch genommen, er selbst funktioniere nur noch.

Zu diesem Zeitpunkt versagt seine Stimme, er weint.

Seine Leistungsfähigkeit sei nicht mehr vorhanden, allerdings wohnen sie noch im alten Haus. Die Oberstaatsanwältin fragt, ob es denn irgendwelche Auffälligkeiten am Haus gegeben hätte, was Uwe R. verneint.

Nachdem die offizielle Zeugenaussage beendet ist, steht Uwe R. auf, geht zuerst zum Angeklagten Norbert K. und fordert ihn auf, auszusagen. Danach geht er auch zu Markus B. und fordert auch ihn auf, endlich die Wahrheit zu sagen. Aus dem Publikum ist zu hören, wie jemand laut ruft „du Dreckschwein“.

Aussage von Anett R.

Nach der Pause geht es mit der Aussage der Schwester von Anneli R., Anett R., weiter. Sie ist 33 und arbeitet als Ingenieurin im Betrieb ihres Vaters. Sie sei von ihrer Schwester auf dem Handy angerufen worden und habe sich sofort zum Elternhaus begeben. Hier habe sie mit ihrer Mutter die Freunde von Anneli angerufen, um sich zu erkundigen wo sie sein könnte.

Den zweiten Anruf der Entführer habe sie per Diktiergerät aufnehmen wollen, da sie die Lage sehr ernst genommen habe. Dass Anneli mit dem Hund täglich Gassi ging, sei ihr bekannt gewesen. Irgendwelche mysteriösen Beobachtungen habe sie jedoch nicht mitbekommen.

Natürlich haben die Familienangehörigen keine Ausspionierung durch Verdächtige mitbekommen, denn offenbar hat nie eine Sicherheitsberatung oder eine Sensibilisierung stattgefunden.

Die Schwester berichtet, Anneli sei überall beliebt gewesen, ihr familiärer Hintergrund entsprechend bekannt gewesen. Anneli habe sich davon jedoch nicht beeindrucken lassen.

Das Geschäft im Betrieb sei trotz der Entführung weiter gelaufen, wesentliche Mitarbeiter seien entsprechend informiert worden. Auch sei über Facebook eine Botschaft an die Entführer geschickt worden; diese sei allerdings nicht wahrgenommen worden. Bei der Tätersuche sei ihr unangenehm gewesen, dass alle verdächtigt werden mussten, auch Freunde oder Familienangehörige.

Aufgrund psychischer Belastungen habe sie für zwei Wochen eine Arbeitspause eingelegt. „So wie es war, wird es nie wieder sein“, sagt Anett R., „es gibt nichts Grässlicheres.“ Sie mache sich Sorgen um die eigenen Eltern und um die Freunde von Anneli. Sie denkt, dass sie die Auswirkungen noch nicht komplett überstanden hat. Sie spüre jeden Tag das Elend, habe aber noch keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Auch ihre Kinder (neun und sieben Jahre) seien wahnsinnig mitgenommen.

Dass das Lösegeld von ihrem Vater bezahlt werden sollte, ist laut Anett R. zweifelsfrei. Die Oberstaatsanwältin Karin D. möchte wissen, wie lange die Hundespaziergänge von Anneli R. gedauert haben, was Anett R. mit „20 bis 30 Minuten“ beantwortet.

Zum Abschluss erklärt die Vorsitzende Richterin der Mutter von Anneli R., dass sie nicht als Zeugin gehört werden müsse, um sie nicht weiter zu belasten. Das nimmt Ramona R. dankbar an.

Damit endet der erste Verhandlungstag im Mordfall Anneli R. um 14:00 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Vierter Verhandlungstag | Zeugen und Ersthelfer über das Attentat auf Henriette Reker

Der vierte Verhandlungstag, dem 14 Medienvertreter beiwohnen, beginnt mit einem kleinen Eklat auf Seiten des Angeklagten: Frank S. setzt sich demonstrativ weg von seinem Anwalt und lässt drei Plätze zwischen sich und seiner Rechtsvertretung. Er hält einen Zettel in die Kamera, auf den er die Stellenbeschreibung für einen neuen Pflichtverteidiger geschrieben hat. Dieses Verhalten wird später durch die Vorsitzende Richterin gerügt.

Zeugenvernehmung: Der Hauptwahlkampfleiter

Der erste Zeuge ist der 32-jährige Hauptwahlkampfleiter Pascal S. Er richtet nur einen ganz kurzen Blick auf Frank S. Auf Aufforderung der Vorsitzenden Richterin beschreibt der Zeuge den Ablauf des Tages. Er berichtet sehr klar und deutlich.

Pascal S., der beim Attentat ebenfalls verletzt worden ist, erzählt, dass er sich zunächst am Stand der Partei Die Grünen aufgehalten habe. Dies hörend schließt der Angeklagte Frank S. die Augen und nickt zustimmend.

Diese Geste von Frank S. könnte gut dahingehend interpretiert werden, dass er sich in seiner Annahme, Henriette Reker sei nicht parteilos, durch die Aussage von Pascal S. bestätigt sieht.

Reker-Prozess: Vierter Verhandlungstag | Zeugen und Ersthelfer über das Attentat auf Henriette Reker

Von der Gesamtsituation habe Pascal S. nichts mitbekommen. Erst im Krankenwagen und später über die Medienberichte habe er realisiert, was geschehen war. Auch zur eigentlichen Tat könne Pascal S. nichts aussagen, da er mit dem Rücken zum Haupttatgeschehen stand. Er sei erst durch einen Schrei aufmerksam geworden und habe sich sofort umgedreht. Pascal S. beschreibt den Blick des Angeklagten bei der Tat, den er seitdem nicht mehr gesehen hat, als wahnsinnig, dominant und unberechenbar.

Mit dem großen Bowiemesser wurde Pascal S. dann verwundet. Er hat dadurch je eine Verletzung an seiner Schulter und am rechten Arm erlitten. Im rechten Arm hat er seitdem in einem Teil der oberen Handfläche immer noch einen tauben Bereich, Temperaturschwankungen zwischen warm und kalt empfindet er außerdem als extrem. Berührungen sind ebenfalls stark unangenehm, ansonsten hat er keine Einschränkung.

Da Pascal S. angibt, mit dem großen Messer verletzt worden zu sein, kann die Aussage des Angeklagten Frank S., wonach er sofort nach dem einmaligen Zustechen auf Henriette Reker das Messer weggeworfen hat, nicht korrekt sein.

Im Krankenhaus nahm der Hauptwahlkampfleiter zunächst den psychologischen Dienst in Anspruch. Nach dem Attentat sind jedoch keine Ängste oder Ähnliches zurückgeblieben, stattdessen hat er Positives aus dem Erlebten gezogen und an Entschlossenheit gewonnen.

Auf die Frage, ob die Tatwaffe ein großes oder ein kleines Messer gewesen sei, antwortet der Zeuge, es sei ein großes Messer gewesen, und er habe kein kleines Messer gesehen.

Posse um Pflichtverteidiger des Attentäters

Nachdem der Zeuge den Gerichtssaal verlassen hat, meldet sich der Angeklagte Frank S. zu Wort und teilt dem Gericht mit, dass er sich bei Pascal S. entschuldigen wolle, da er ja nur Henriette Reker verletzen wollte. Des Weiteren streitet er ab, ihn mit dem großen Messer verletzt zu haben, da er dieses ja unmittelbar nach dem Angriff auf Henriette Reker weggeworfen habe. Zudem entzieht er seinen Anwälten das Vertrauen, da diese mit der Presse gesprochen hätten, obwohl er ihnen dies untersagt habe.

Der Anwalt klärt daraufhin den Sachverhalt auf: Frank S. sei mit einem Artikel, der in der Zeitschrift Stern erschienen ist, nicht einverstanden. Das Gericht belehrt den Angeklagten und teilt ihm außerdem mit, dass das Gericht hier zunächst keinen Grund erkennen könne, den Advokaten zu wechseln. Da der Angeklagte immer wieder dazwischenspricht, wird es laut zwischen beiden Parteien. Am Ende gebietet die Vorsitzende Richterin Frank S. laut: „Sie halten jetzt den Mund!“

Danach folgt eine Beratungspause von circa 25 Minuten, nach der das Gericht den Antrag des Beschuldigten mit einem klaren Nein beantwortet, da keine erkennbaren Gründe vorliegen, seinen anwaltlichen Beistand zu wechseln.

Der Angeklagte beantragt nun außerdem, dass ein Sachverständigen-Gutachten erstellt werden soll hinsichtlich der Frage, ob nun ein großes oder ein kleines Messer für die Verletzungen verwendet wurde. Dabei legt Frank S. Wert darauf, dass es kein Fachmann aus Köln sein darf, der das Gutachten erstellt, da er mit der Justiz aus Köln schlechte Erfahrungen gemacht habe.

Zeugenaussagen: Wahlkämpfer und Ersthelfer berichten

Auch der Kommunikationstrainer Franz B., 55 Jahre, war Wahlkampfhelfer von Henriette Reker. Er beschreibt sein Erleben des Tatablaufs identisch zu dem von Wahlkampfleiter Pascal S. Auch er habe mit dem Rücken zum Tatgeschehen gestanden, sodass er den Ablauf nicht mitbekommen habe. Er habe Panik gehabt, als er Henriette Reker am Boden liegen sah und sei zuerst in Deckung gegangen. Den Täter habe er mit einem großen Messer wie eingefroren dastehen sehen. Franz B. selbst sei schockiert gewesen. Erst als der Täter das Messer in Richtung CDU-Stand warf, sei er zur verletzten Henriette Rieker gegangen, viele andere Personen ebenfalls. Henriette Reker habe ihn gebeten, ihren Mann zu informieren. Das sei ihm jedoch nicht möglich gewesen, da er dafür ihr Handy benötigt hätte, welches in einer Tasche in ihrem Auto gelegen habe.

Warum hat ein so wichtiger Wahlkampfhelfer nicht die Handynummer des Ehemanns der Oberbürgermeisterkandidatin in seinem eigenen Handy gespeichert?

Franz B. berichtet, dass Henriette Reker inzwischen von etwa vier Helfern umringt gewesen sei.

Wenn dem tatsächlich so war, hätte Frank S. nicht, wie von ihm behauptet, ein weiteres Mal zustechen können. Hier ist der genaue Zeitablauf sicherlich noch konkreter zu rekonstruieren.

Der Zeuge führt nun weiter aus, dass Frank S. zum Opfer gesagt habe: „Sie zerstören dieses Land.“ Das Messer habe er dabei zunächst noch in der Hand gehalten und es erst danach weggeworfen. Den Gesichtsausdruck des Täters beschreibt Franz B. als ausdruckslos und leer. Dann merkt er an, dass ihm noch viele Bilder in der Erinnerung fehlen würden.

Als weiterer Zeuge wird anschließend Martin B. (56), Taxi-Fahrer aus Köln, gehört. Er war als Wahlkampfhelfer für die Grünen vor Ort und berichtet nun auch vom Tathergang.

Frank S. guckt ihn sehr grimmig an. Das liegt vielleicht daran, dass der Zeuge Martin B. in den Medien unmittelbar nach dem Anschlag als Held gefeiert wurde, da er den Täter in Schach gehalten haben soll. Dies allerdings hat Frank S. an einem vorherigen Verhandlungstag schon abgestritten.

Auch Martin B. hat das Tatgeschehen nicht direkt gesehen, sondern ist ein sogenannter Knallzeuge. Nachdem er Schreie gehört hatte und Henriette Reker am Boden liegen sah, sei er auf den Täter zugegangen und habe ihn weggestoßen. Er habe ihm zugerufen, er solle das Messer wegwerfen, was Frank S. dann auch getan habe, um allerdings sofort ein Klappmesser aus der Tasche zu ziehen. Der Zeuge habe den Täter gefragt, warum er Henriette Reker töten wolle, woraufhin dieser geantwortet habe: „Weil sie mein Land verraten hat.“ Später habe er auch noch gesagt: „Ich ergebe mich.“

Kurze Zeit später sei die Polizei gekommen und habe sich um den Täter gekümmert. Martin B. sei wiederum nun zu Henriette Reker gegangen, habe seine Jacke auf sie gelegt und ihr Mut zugesprochen. Er habe nicht gesehen, in welcher Art und Weise sie verletzt worden war. Er sei ganz auf den Täter fixiert gewesen. Wenn er den Täter nicht vom zweiten Stich abgehalten hätte, sei Henriette Reker nun tot.

Der Generalbundesanwalt möchte daraufhin wissen, ob er Frank S. immer im Blick gehabt habe, was der Zeuge bejaht. Er habe allerdings nicht gesehen, wie der Täter andere mit dem Klappmesser verletzt hat.

Die Richterin weißt auf den Widerspruch hin, woraufhin der Zeuge antwortet, dass er sich kurz umgedreht habe, um eine Fahnenstange zu holen. Weiterhin gibt er an, mit einer dünnen Kunststoffstange auf die Schulter von Frank S. geschlagen zu haben, sodass dieser das Messer hat fallen lassen.

Der Beschuldigte hält dies offenbar für lächerlich.

Bildquelle: Michael Grabscheit/pixelio.de

Reker-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Henriette Reker sagt aus

Der heutige Tag ist natürlich vom Zeugenauftritt des Hauptopfers, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, geprägt. Sie stellte sich vor dem eigentlichen Prozessbeginn der Presse, die heute sehr stark vertreten ist, und gab circa ein bis zwei Statements ab, in denen sie erklärte, kein Problem hinsichtlich der Gegenüberstellung mit dem Täter im Gerichtssaal zu haben. Ihre Arbeit werde durch den Prozess nicht beeinträchtigt und sie freue sich, nach ihrer Aussage wieder an ihren Schreibtisch in Köln gehen zu können. Des Weiteren bedankte sie sich auch für die Unterstützung der Medien.

Heute sind etwa 70 Medienvertreter im Zuschauersaal zugegen. Neben den üblichen acht Justizangestellten ist zu Beginn des Verhandlungstages kurzzeitig auch noch ein uniformierter Polizist im Gerichtssaal.

Der Angeklagte Frank S. wird hineingeführt, er trägt schwarze Halbschuhe, eine schwarze Jacke, darunter ein blaues Oberhemd und eine olivfarbene Cargohose. Danach betritt Henriette Reker den Gerichtssaal. Sie wirkt sehr konzentriert und bewegt sich direkt zu ihrem Stuhl in der Mitte des Saals, gegenüber der Vorsitzenden Richterin. Sie trägt einen blauen Hosenanzug und wird durch das Gericht formal belehrt.

Reker-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Henriette Reker sagt aus

Ein Augenkontakt zum Täter findet nicht statt.

Die Richterin möchte, dass Henriette Reker vom Tattag erzählt. Sie beginnt damit, dass sie um 6:30 Uhr aufgestanden sei und gefrühstückt habe. Um 8:45 Uhr sei sie abgeholt und zum Braunsfelder Markt gefahren worden. Dort habe sie die anwesenden Menschen begrüßt.

Der Angeklagte Frank S. sei dann auf sie zugekommen und habe sie freundlich nach einer Rose gefragt. In der gleichen Sekunde habe er mit einem großen Messer zugestochen. Sie sei sehr schnell zu Boden gegangen und habe sich selbst in eine stabile Seitenlage gebracht. Geistesgegenwärtig habe sie ein einen Finger in die klaffende Stichwunde am Hals gesteckt. Sie habe gemerkt, dass sie aus Nase und Mund blutete.

Der Angeklagte hört interessiert zu und schaut Henriette Reker ständig an.

Eine weitere Wahlkämpferin, so Henriette Reker weiter, habe sich um sie gekümmert und auf sie eingesprochen. Als sie im Krankenwagen abtransportiert werden sollte, habe sie noch gesehen, dass ihr Wahlkampfkoordinator Pascal S. ebenfalls in ärztlicher Behandlung war. Sie sei froh gewesen, ihn lebend gesehen zu haben. Ihr Bewusstsein habe sie erst im Krankenhaus verloren.

Den Ärzten habe sie aber vorher noch ihren Wunsch mitgeteilt, am nächsten Tag auf jeden Fall wählen gehen zu wollen. Sie habe Angst gehabt, aufgrund der Verletzung mit einer Lähmung rechnen zu müssen.

Henriette Rieker berichtet flüssig und klar.

Vor dem Moment der Tat habe sie sich mit Wahlkämpferinnen der anderen Parteien unterhalten. Den ihr unbekannten Angeklagten habe sie im Augenwinkel gesehen und wahrgenommen, wie er sich auf sie zubewegte. Es sei bei all ihren öffentlichen Auftritten auch ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, einen entsprechenden Bürgerkontakt wahrzunehmen – so auch in diesem Falle. Und der Gesichtsausdruck von Frank S. sei freundlich und ihr zugewandt gewesen. Für sie habe es keine Misstrauensanzeichen gegeben.

Dann habe sie kurz das Messer gesehen und wahrgenommen, dass Frank S. ihr durch den Hals gestochen hatte. Der Messerstich sei von oben herab und schnell durchgeführt worden und sehr, sehr schmerzhaft gewesen. Anschließend sei sie nach hinten gefallen. Den Täter habe sie danach nicht mehr wahrgenommen. Die Ärzte haben ihr im Nachhinein nur mitgeteilt, dass es einen glatten sauberen Schnitt gegeben hat, und daher das Messer sehr scharf gewesen sein muss.

Der Angeklagte hat an einem vorherigen Verhandlungstag ausgesagt, dass das Messer keine Mordwaffe sei, ja es sei nicht mal scharf genug, um Tomaten zu schneiden!

Im Krankenhaus war sie froh, so Henriette Reker, dass sie zwei der behandelnden Ärzte kannte, was sie beruhigte. Ihr Mann sei sehr schnell ins Krankenhaus geeilt. Nach der OP sei sie bis zum folgenden Mittwoch im künstlichen Koma gehalten worden. Zu ihren Verletzungen haben ihr die Ärzte gesagt, dass sie sehr großes Glück gehabt hätte.

Dass sie währenddessen die Kölner Bürgermeisterwahl gewonnen hatte, habe ihr wiederum ihr Mann mitgeteilt. Über einen Rücktritt habe sie nie nachgedacht.

Ihre Wirbelverletzung war nach zwei Monaten einigermaßen verheilt, ihre Luftröhre etwa 16 Tage nach dem Durchschnitt. Insgesamt war Henriette Reker zehn Tage im Krankenhaus. Danach musste sie wieder zu Kräften kommen, denn am 21. November wartete ihr offizieller Amtsantritt. Körperliche Folgeschäden wird es keine geben. Die psychologischen Belastungen hingegen waren da und sind immer noch ein wenig vorhanden. Insbesondere machen Henriette Reker schlimme Albträume zu schaffen. Sie sei aber nicht misstrauischer geworden und habe auch keine Angst vor Menschenmengen.

Die Richterin stellt ihre Fragen sehr rücksichtsvoll. Henriette Reker hingegen hat die Beine überkreuzt, der rechte Fuß wackelt.

Während der Wahlkampfzeit war sie noch die Sozialdezernentin der Stadt Köln und damit auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Das war auch in der Öffentlichkeit bekannt. Sie hat ihren Standpunkt zu Flüchtlingsunterbringungen bei öffentlichen Veranstaltungen und in Medieninterviews stets bekannt gemacht. Für diese Haltung ist sie auch schon mal beschimpft worden. Persönlich hat sie sich jedoch nie bedroht gefühlt.

Der Angeklagte oder sein Umfeld sind bisher nie an sie herangetreten, um sich zu entschuldigen.

Die Verteidiger von Frank S. fragen Henriette Reker, ob der Angeklagte Worte der Entschuldigung an sie richten dürfe. Dies lehnt sie mit der Bemerkung ab, dass dies noch nicht der richtige Zeitpunkt sei.

Henriette Reker würdigt den Täter keines Blickes. Insgesamt ein sehr starker Auftritt der Kölner Oberbürgermeisterin. Nach der Pause im Anschluss an die Aussage von Henriette Reker sind nun nur noch 20 Medienvertreter im Saal.

Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin möchte Frank S. nichts sagen, auch eine Entschuldigung kommt von ihm nicht.

Hiernach werden Lichtbilder in Augenschein genommen. Sowohl von Tatort und Täter, als auch von der Tatwaffe, mit dreißig Zentimeter Klingenlänge und fünfzehn Zentimeter Grifflänge, und dem Butterflymesser, mit neun Zentimeter Klingenlänge. Darüber hinaus kommen Bilder der weiteren Verletzten zur Ansicht. Auch die Täterbekleidung wird nochmals ausführlich besprochen. Hiernach wird auf einem großen Foto der handgeschriebene Zettel des Angeklagten mit den Wahlkampfterminen gezeigt. Darauf stehen sechs Termine. Vor dem ersten Termin steht die Ziffer 1, vor dem dritten Termin eine 2. Es gibt auch Anmerkungen bezüglich der Reisemöglichkeiten zu den möglichen Tatorten. Der Täter wollte den Ort der besten Tatausführungsgelegenheit auskundschaften.

Frank S. wird gefragt, wann ihm das erste Mal der Gedanke kam, dass Henriette Reker Symbolfigur seiner Tat, sein Opfer werden sollte. Hierzu sagt Frank S., dass die Idee aufgekommen sei, als er die ersten Wahlplakate für die Bürgermeisterwahl gesehen hatte. In seinen Augen ist die deutsche Flüchtlingspolitik falsch, und Henriette Reker war für ihn die deutschlandweite Symbolfigur dafür. Er wollte ein Zeichen setzen. Auch habe ihn die Parteilosigkeit von Henriette Reker wütend gemacht, da es sich hierbei nur um einen Beitrag der Grünen handeln könne. Deshalb hat er gezielt Henriette Reker angegriffen, denn die grüne Bundespolitik störte ihn sehr.

Zuerst habe er auch an ein friedliches Zeichen gedacht, die Gewalt sei für ihn dann nur das letzte Mittel gewesen. Hier fragt die Vorsitzende Richterin nach. Anfangs, so der Angeklagte daraufhin, habe er Antifa-Plakate abgerissen oder mit im Internet bestellten Aufklebern beklebt. Er habe jedoch nicht demonstrieren wollen, weil es für ihn keine Meinungsfreiheit in Deutschland gebe. In diesem Punkt widerspricht ihm die Richterin und hält ihm vor, dass er seine Meinung nie öffentlich geäußert habe. Friedliche Mittel hätten ihm nichts genutzt, also habe er direkt zur Gewalt gegriffen. Die Richterin fragt weiter nach seinen sozialen Kontakten. Hierzu möchte sich der Angeklagte nicht äußern, weil er niemanden mit hineinziehen möchte. Zu diesem Themenkomplex verweigert Frank S. nun die weitere Aussage, da es ihn nerve. Er habe mit dem Attentat einen Politikwechsel herbeiführen und Aufmerksamkeit erzeugen wollen.

Nach der Mittagspause sagt ein weiteres Opfer aus, die Wahlkampfhelferin Katrin H. aus Köln.

Ihr Mann, der ebenfalls Politiker ist, sitzt im Zuschauerraum. Die Zeugin wirkt etwas nervös und unsicher, Augenkontakt zum Täter nimmt sie ebenfalls nicht auf.

Sie wird formal belehrt und durch die Vorsitzende Richterin aufgefordert, vom Tattag zu erzählen. Sie beginnt damit, dass sie mit einer Bürgerin gesprochen habe und dabei von Henriette Reker begrüßt worden sei. Sie berichtet, dass jemand von links auf sie zugekommen sei und von Henriette Reker eine Rose wollte. Er habe dann die Rose mit der linken Hand angenommen, unvermittelt ein Messer gezogen und sofort mit Wucht zugestochen. Als der Angeklagte das Messer zurückzog, habe er die Zeugin an der Wange verletzt. Da sie kurz zuvor mit einer Ärztin gesprochen und gewusst habe, dass diese auf dem Markt einkaufen war, sei sie zum Markt gelaufen und habe nach der ihr bekannten Ärztin gefragt. Hierauf sei Henriette Reker erstversorgt worden. Die Zeugin sei bei ihr geblieben. Ihre körperliche Verletzung sei gering gewesen, erzählt die Zeugin. An der Wange ist kaum noch eine Narbe zu sehen.

Der Angeklagte habe nach seiner Tat etwas abseits gestanden und die Hände hochgehoben. Er habe gesagt: „Ich ergebe mich, ich ergebe mich.“ Die Zeugin wurde später ebenfalls zur Versorgung ihrer Wunde ins Krankenhaus gefahren.

Zum Gesichtsausdruck des Täters kann die Zeugin nichts sagen, da sie ihn nicht direkt angeschaut hat. Das Messerziehen und -stechen war für sie ein einzelner Vorgang.

Der Angeklagte hört interessiert zu und schaut die Zeugin von der Seite aus an.

Psychologisch muss die Zeugin das Tatgeschehen verarbeiten und hat hierzu professionelle Gespräche mit einer Psychologin geführt. Heute sei das nicht mehr notwendig, aber es gebe immer wieder Belastungsmomente. Wenn sie Menschen in ihrer Nähe hat, die ihre Hände in den Taschen verstecken, erzeuge das bei ihr Angst. Es gebe auch Momente, in denen sie plötzlich Angst habe, insbesondere bei Situation in ihrem Leben, die mit dem Attentat in Zusammenhang stehen. Auch unter Schlafstörungen leide sie.

Die Verteidiger befragen sie nochmals zur Messerführung. Sie bestätigt, dass das Messer gerade und mit voller Wucht geführt worden sei.

Beim Hinausgehen aus dem Gerichtssaal sucht sie mit ihren Augen ihren Mann und lächelt ihm zu. Sie ist offenbar sehr erleichtert, dass Sie diese Aussagesituation gemeistert hat.

Dann kommt ein weiteres Opfer als Zeugin, Annette V. W. aus Köln. Sie war ebenfalls im Wahlkampf aktiv. Sie erzählt, dass sie den Wahlstand für ihre Partei aufgebaut und die interessierten Menschen begrüßt habe. Sie habe in der Nähe von Henriette Reker gestanden und den Täter auf die Gruppe zukommen, unter seine Jacke greifen und unmittelbar zustechen sehen. Sie selbst wurde auch verletzt.

Beim Erzählen bemerkt man, dass sie immer noch sehr beeindruckt ist von dem, was geschehen ist. Ihre Stimme ist zwar kräftig, allerdings eher bewusst und sie zittert.

Sie erzählt, sie habe nach dem Attentat telefonieren wollen, sei aber nicht in der Lage gewesen, das Handy zu bedienen. Daraufhin habe sie sich in eine naheliegende Buchhandlung begeben, da sie auch befürchtet habe, dass ihr Kreislauf zusammenbricht.

Alle drei heute gehörten Zeugen sagen aus, dass der Täter das Messer aus dem Inneren der Jacke geholt hat, und nicht wie der Beklagte aussagte, von der rechten Beinseite her.

Die Zeugin erzählt weiter, dass sie das warme Blut am Körper gespürt und dann sehr starke Schmerzen gehabt habe. Das Bewusstsein habe sie nicht verloren. Verletzt worden sei bei ihr die Arterie und ein Muskel in Höhe des Rippenbogens. Sie sei ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert worden. Heute habe sie noch Ohrenschmerzen und Schmerzen an den Armen. Sie sei auch immer noch in psychologischer Behandlung, habe Albträume, Ängste und Schlafstörungen, sie sei kaum ausgegangen und misstrauischer und ängstlicher geworden. Der Aufenthalt in Menschenmengen sei für sie immer noch schlimm. Manchmal sei sie panisch und schreckhaft und nicht mehr so unbedarft wie früher.

Nach dieser Zeugenaussage verliest das Gericht die Festnahmeanzeigen. Des Weiteren wird ein Wert von 0,21 Promille Alkohol um 9:20 Uhr bekannt gegeben, eine weitere Blutprobe um 15:00 Uhr ergibt keine nachweisbaren Alkoholspuren. Zum Zeitpunkt der Tat war der Täter 93 Kilo schwer, 184 Zentimeter groß, hatte eine mittlere Körperstatur und war an Neurodermitis erkrankt. Seine Urinprobe ergab keine Auffälligkeiten bis auf nachweisbare Spuren von Cannabis. Diese Spuren waren allerdings so gering, dass sie auf die Tat keinen Einfluss hatten. Auf Befragen sagt der Beschuldigte aus, dass er zuletzt circa ein bis zwei Wochen vor der Tat Cannabis konsumiert habe.

Der Prozess endet um 15:38 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Heute sind circa 30 Journalisten, ein Kamerateam und drei Fotografen als Zuschauer anwesend. Sechs Justizbeamte begleiten den Beschuldigten Frank S. in den Saal. Zwei weitere sitzen bei den Zuschauern. Frank S. zeigt sein Gesicht der Presse, aber diese darf es trotzdem nicht so abdrucken. Er trägt drei Ohrringe am linken Ohr, weiterhin eine Bluejeans, ein langärmliges schwarzes Hemd und Turnschuhe. Auf seinem mitgebrachten DIN A4-Ordner ist ein Abdruck des Grundgesetzartikels § 5 zu erkennen. Die Verteidiger geben bekannt, dass nicht die Verteidigung eine Erklärung abgeben wird, sondern Frank S. das selbst machen will.

Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, wie der Beschuldigte charakterlich aufgestellt ist. Man hatte schon am ersten Verhandlungstag deutlich erkannt, dass er derjenige sein will, der das „Heft in die Hand“ nimmt. Auch dem Gericht macht er hin und wieder Vorschläge, wie das Verfahren geführt werden soll.

Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Die Vorsitzende Richterin beginnt ihre erneute Befragung mit ungeklärten Auffälligkeiten aus dem ersten Verhandlungstag. Insbesondere möchte Sie noch Fragen zur großflächigen Tätowierung auf dem Rücken von Frank S. geklärt wissen, dass den Schriftzug BERSERKER zeigt. Frank S. erklärt, er habe dieses Tattoo in Bezug auf eine gleichnamige Hardrock-Band aus seiner Jugend ausgewählt. Des Weiteren habe er eine E-Mail-Anschrift gehabt, die ebenfalls Berserker hieß, doch zusätzlich die Zahlen 1488 enthielt. 1488 bedeutet „Auf Deutschland Heil Hitler“. Die jeweilige Zahl steht für den Anfangsbuchstaben. Die Richterin möchte von Frank S. wissen, warum er genau diese Kombination gewählt hat. Der Beschuldigte weicht dieser Fragestellung aus.

Überwiegend gibt der Beschuldigte klare Antworten. Wenn er so wie oben beschrieben ausweicht, zeigt das, dass ihm diese Fragen unangenehm sind, er lügt oder aber weiß, dass er speziell in diesem Fall in die rechte Ecke gestellt werden könnte. Es zeigt aber auch deutlich, dass der Beschuldigte nicht krank oder verrückt ist, sondern auf gewisse Fragen auch entsprechende Antworten hat.

Zu seinem Lebenslauf verweigert er danach jede weitere Aussage.

Nun befragt der psychologische Sachverständige, Prof. Dr. med. Norbert L., den Beschuldigten zu seinem Leben. Prof. Norbert L. interessieren unter anderem dessen Internetaktivitäten. Der Beschuldigte bestätigt, sich in Chats bewegt zu haben. Bei entsprechenden Kommunikationsdiensten wie Facebook oder ähnlichen war er nicht angemeldet, da dort seine Daten über zehn Jahre gespeichert werden. Weiterhin wollte der Sachverständige wissen, warum Frank S. von Bonn nach Köln gezogen ist. Dieses beantwortet Frank S. damit, dass er ein neues Leben beginnen wollte. Ob eine Suizidgefährdung vorlag, beantwortet Frank S. mit Nein.

Hiernach übernimmt das Gericht wieder die Befragung des Beschuldigten. Heute geht es um die eigentliche Tat. Frank S. erklärt, dass er sich nach wie vor noch nicht zur Motivation seiner Tat äußern wird. Er wird sich nur zum eigentlichen Tatgeschehen vom morgendlichen Aufstehen bis zur Festnahme und Verbringen auf die Polizeiwache äußern.

Diese Begrenzung wird über den ganzen Tag immer wieder Thema zwischen dem Gericht und dem Angeklagten sein, da die Fragen des Gerichts zu Tatgeschehen und Motivation nicht klar zu unterscheiden sind.

So erzählt der Beschuldigte, dass er sich am Abend vor der Tat, also am 16. Oktober 2015, die Wahlkampftermine von Henriette Reker im Internet angeschaut und sich diese auf einem Zettel notiert habe. Alle Termine habe er in Betracht gezogen und wollte erst prüfen, wie die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort sind. Er war sich nicht sicher, ob Polizisten oder Personenschutz für Henriette Reker vor Ort im Einsatz sein würden. Trotzdem war ihm klar, dass er, wenn er morgens die Wohnung verlässt, diese so schnell nicht wieder betreten würde. Auch hat er einkalkuliert, von der Polizei erschossen oder angeschossen zu werden.

Zunächst hatte Frank S. nur sein Butterflymesser als Tatwaffe in Erwägung gezogen, dann entschied er sich jedoch für sein Bowiemesser, mit einer circa 30 cm langen Klinge (auch bekannt aus den Rambo-Filmen). Er habe einen theatralischen Auftritt gewollt und fand, dass das Rambo-Messer martialischer wirke. Dieses Messer habe er vor einigen Jahren im Internet bestellt.

Frank S. meint, das Bowiemesser sei total stumpf und somit kein Mordwerkzeug. Daraufhin hält die Richterin das Tatmesser für alle sichtbar hoch und fragt den Beschuldigten nochmals, ob er dieses Messer meint. Dies wird von ihm bejaht.

Er teilt weiter mit, er habe ein Zeichen setzen, aber niemanden ernsthaft verletzen oder sogar töten wollen. Er habe die Nacht vor dem Tattag schlecht geschlafen, da er vorher ja noch niemals solch eine Tat begangen hatte. Er wusste außerdem noch nicht, ob er tatsächlich seine Hemmungen, insbesondere eine Frau zu verletzen, überwinden könne.

Am Tattag stand er zwischen 5:30 Uhr und 6:00 Uhr auf. Er zog sich extra eine weite Latzhose an, um darunter am rechten Bein das große Messer verdeckt tragen zu können. Die Lederscheide für das Messer befestigte er an seinem Bein. Das Butterflymesser steckte er in eine Hosentasche. Darüber zog er sich einen Pulli und eine Jeansjacke. Um seine Hemmungen etwas abzubauen, hat er zuhause noch ein Bier getrunken.

Am Tattag war der Angeklagte 1,85 m groß und 93 Kilo schwer.

Circa gegen 7:20 Uhr erreichte Frank S. die Tankstelle, die von seiner Wohnung fünf Minuten entfernt war, und kaufte dort zwei weitere Biere. Er begab sich zur Straßenbahn und fuhr zum Rudolfplatz. Während der Fahrt trank er ein Bier. In einem Einzelhandelsladen am Rudolfplatz hat er noch Geld gewechselt. Seinen Tatort, den Wahlkampfort in Köln-Braunsfeld, hat Frank S. dann doch noch etwas suchen müssen. Erst nach längerer Zeit fand er den Wochenmarkt mit den jeweiligen Ständen der CDU, der FDP und der Partei Die Grünen. Hier leerte er auch sein drittes Bier.

Frank S. verurteilt Frau Reker unter anderem dafür, dass sie ihren Wahlkampf nur in Nobelvierteln bei der „Schickeria“ durchgeführt hat, in Problemvierteln quasi nie. Da der Beschuldigte immer „die Reker“ sagt, wird er durch das Gericht belehrt, dass er dies unterlassen und Henriette Reker „Frau Reker“ nennen solle.

Frank S. hat die Szenerie an den Wahlkampfständen zunächst ein wenig beobachtet. Zuerst hat er Henriette Reker nicht gesehen, sie dann aber doch aus einer Entfernung von etwa 50 Metern erkannt. Er wusste, dass er seine Hemmschwelle überwinden musste, aber der Entschluss war klar gefasst. Die Motive hatte er im Kopf. Frank S. betont nochmals, dass alles, was er sagt, die Wahrheit ist.

Er steht nun auf und stellt die Tat nach. Es ist zu sehen, wie er an sein rechtes Bein greift, seinen Arm hochzieht und mit einer kurzen heftigen Bewegung nach vorne schnellt. Danach sieht es so aus, als ob er etwas nach rechts wegwirft. Er erzählt, dass er die Knöpfe an der rechten Beinseite schon kurz vorher geöffnet habe, um dann bei Henriette Reker nach einer Rose zu fragen. In diesem Moment hat er sein Messer gegriffen und ihr in den Hals gestochen (10 Zentimeter). Das Messer hat er danach sofort weggeworfen. Er war sich nicht bewusst darüber, dass er in den Hals gestochen hatte, er wollte nur ein Zeichen setzen, weil er das Motiv im Kopf hatte. Er erklärt weiter, dass er sich spontan für das große Rambomesser und nicht für das kleine Butterflymesser entschieden habe.

Diese Aussage ist aufgrund seiner umfangreichen Überlegungen zum Vortatverhalten unglaubwürdig.

Die Vorsitzende Richterin hält ihm vor, dass DNA-Spuren von zwei weiteren Verletzten am Messer gefunden worden sind. Dieses könne ja nicht sein, wenn er das Messer sofort weggeworfen hat. Der Angeklagte bestreitet dies vehement und vermutet eine Manipulation der Sicherheitsbehörden. Nach dem Messerangriff ist Henriette Reker sofort zu Boden gegangen und nach hinten umgefallen. Er fühlte sich durch die Menschenmenge, die auf ihn zukam, bedroht und wollte sich nicht lynchen lassen, deshalb habe er sich mit dem Butterflymesser gewehrt. Er habe aber nicht vorgehabt, andere Menschen damit zu verletzen.

Nach einer kurzen Pause möchte das Gericht von dem Beschuldigten wissen, was er sich als Ergebnis seiner Tat vorgestellt hat. Frank S. antwortet, er habe einen Menschen verletzen, aber nicht töten wollen. Diesen Gedanken habe er nicht gehabt. Wenn er hätte töten wollen, so sagt er, hätte er es ja jederzeit machen können. Henriette Reker war ja wehrlos.

Das Ziel seiner Tat war im Übrigen, dass alle erfahren sollten, dass Henriette Reker ein U-Boot der Grünen sei. Ihre Kandidatur sei ein Wahlbetrug gewesen. Er habe sich genau über sie informiert, sie sei eine Marionette, dieser Partei. Dies klarzumachen sei sein Ziel gewesen.

Die Verletzung der anderen Menschen sei nicht beabsichtigt gewesen, er habe sich nur gegen den Mob wehren wollen. Am liebsten sei ihm auch ein ehrenhafter Kampf „Mann gegen Mann“ wie im Mittelalter gewesen. Nach der Tat wurde er durch einen Zivilpolizisten festgenommen und von diesem zum zwischenzeitlich eingetroffenen Polizeiwagen geführt.

Der Generalbundesanwalt möchte von dem Beschuldigten wissen, ob er mitbekommen hat, dass er Henriette Reker am Hals getroffen hatte, und inwieweit er sich vorher dazu Gedanken gemacht hatte, wohin er stechen wollte. Dies beantwortet der Angeklagte nur ausweichend. Er habe allerdings vor der Tat zuhause mehrfach probiert, wie er das Bowiemesser am besten aus der Lederscheide bekommt.

Hier ergibt sich ein großer Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage, dass er sich spontan für das Bowiemesser entschieden hätte und nicht für das wesentlich kleinere Butterflymesser. Diesen Widerspruch arbeitet der Generalbundesanwalt nochmal heraus und der Beschuldigte bestätigt ihn.

Ob er sich mit uniformierten Polizisten am Tatort noch unterhalten hat, weiß Frank S. nicht mehr.

Nun führt der psychologische Sachverständige Prof. Norbert L. die Vernehmung weiter. Er fragt nochmals nach der Motivation der Tat. Dieses möchte Frank S. in einem zukünftigen Verhandlungstag deutlich erläutern. Er lässt sich nur insoweit ein, als dass er ein Zeichen habe setzen wollen, um Schlimmeres zu verhindern. Für ihn sei es eine Notwehrsituation gewesen. Henriette Reker habe in seinen Augen Schuld auf sich geladen, wie er durch das Lesen und Studieren aller Reker-Interviews meinte, festgestellt zu haben. Henriette Reker war für ihn der Inbegriff einer „linksradikalen Schickeria-Ideologin“. Sie habe nicht nur fünf, sondern gleich zehn Jahre Bürgermeisterin sein wollen. Des Weiteren sei sie als Sozialdezernentin für die in seinem Verständnis verfehlte Flüchtlingspolitik verantwortlich gewesen. Sie sei nur für Die Grünen. Die Grünen wiederum unterstützen die Antifa. Henriette Reker sei eine verlogene Parteilose. Sie sei die Symbolfigur für falsche Flüchtlingspolitik und die herrschenden Politiksysteme. Frank S. glaubte, ein Signal setzen zu können, um das Volk wachzurütteln.

Interessant für den Generalbundesanwalt ist es auch, zu erfahren, warum der Beschuldigte Frank S. genau diesen Tag ausgesucht hat. Frank S. teilt dazu mit, die Bevölkerung habe unmittelbar vor dem Wahltag erfahren sollen, wer hier zur Wahl steht und, dass Henriette Reker die falsche Wahl sei.

Nach einer längeren Mittagspause berichtet der Beschuldigte von seinem Abtransport vom Tatort. Drei Polizeibeamte haben ihn zum Polizeipräsidium in einem Streifenwagen transportiert. Dort musste er sich komplett ausziehen und alle seine Sachen abgeben. Über diesen Transport haben die Polizeibeamten einen Vermerk erstellt. Den Inhalt dieses Vermerks streitet Frank S. komplett ab.

Danach wurde er der Gutachterin Dr. Constanze J. vorgestellt. Sie ist Psychiaterin und Neurologin und sollte beurteilen, ob Frank S. hafttauglich ist oder in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden muss. Frank S. beklagt, dass die Gutachterin ihm hundertprozentige Vertraulichkeit zugesagt hätte, und diese danach nicht gewahrt habe. Die Richterin erklärt ihm daraufhin, dass Sinn und Zweck des Gesprächs mit der Gutachterin die Beurteilung seines geistigen Zustands gewesen sei, und dass Inhalt und Ergebnis natürlich dem Haftrichter bekannt gegeben werden müssen.

Frank S. wechselt immer wieder zwischen Aussagen, die zu 100 Prozent stimmen und Aussagen, die zu 1000 Prozent nicht stimmen, wie etwa seine Einlassung. Man merkt deutlich, dass es für ihn keine Regeln gibt. Er bestimmt ausschließlich, und das nicht nur über sein Leben. Er möchte auch über das Leben aller anderen Menschen bestimmen.

Frank S. unterstellt der Gutachterin, dass sie ihr Gutachten absichtlich verfälscht habe, da ihre Arbeit- und Auftraggeber die Stadt Köln und die Universität Köln seien. Er hat ihr zu ihrem Gutachten einen Brief geschrieben, aus dem er nun vorliest. Hierin beklagt er in beleidigender Form ihr vermeintliches Falschverhalten.

Später habe er sich von zwei Verteidigern einen aussuchen können. Er entschied sich für den Rechtsanwalt B., da er den Nachnamen als bodenständiger empfand (der zweite Verteidiger hatte einen französisch klingenden Namen). Sein Anwalt habe ihm zwei Tage später eine schriftliche Erklärung zur Unterzeichnung vorgelegt, in der der Anwalt B. von seinem Mandanten verlangt habe, dass dieser vor Gericht ausschließlich schweigen solle. Zusätzlich wollte der Rechtsanwalt, dass er von Frank S. von seiner Schweigepflicht, auch gegenüber der Presse, entbunden werde. Frank S. habe nicht zugestimmt. Auf seinen jetzigen Anwalt sei er schließlich über einen Express-Artikel gestoßen.

Das Gericht arbeitet noch einen weiteren Widerspruch heraus: Einerseits wollte der Beschuldigte mit seinem Attentat eine Botschaft setzen. Andererseits hat er fest damit gerechnet, dass er auch erschossen werden könnte. Wenn dem so gewesen wäre, hält ihm das Gericht nun vor, hätte er seine Botschaft ja nicht so wie jetzt in einem öffentlichen Gerichtsverfahren transportieren können, da er vor der Tat kein Manifest oder Selbstbezichtigungsschreiben erstellt hat. Hierauf hat der Beschuldigte keine plausible Erklärung. Er führt nochmals aus, dass Henriette Reker für ihn die Symbolfigur für eine verfehlte Politik gewesen sei. Er habe darauf aufmerksam machen wollen, dass alles manipuliert werde und die Medien die Schlimmsten seien.

Der psychologische Sachverständige fragt Frank S. nochmals nach seiner Botschaft und warum er der Meinung sei, dass er seine Botschaft nur mit dieser Tat zur Sprache hat bringen können. Frank S. antwortet, dass er zum Zeitpunkt der Tat davon überzeugt gewesen sei.

Um 16.01 Uhr ist der heutige Verhandlungstag beendet.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Erster Verhandlungstag | Aufsehen erregender Auftakt

Ich werde den Prozess, der von großem öffentlichen Interesse begleitet wird, beobachten, wobei mich besonders die Motivation und die Vita des Täters interessiert.

Worum geht es? Frank S. wird vorgeworfen, anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung am 17. Oktober 2015 die damalige Kandidatin für das Kölner Oberbürgermeisteramt Frau Henriette Reker heimtückisch, aus niedrigen Beweggründen und mit Mordabsicht mit einem Messer angegriffen zu haben. Frau Reker wurde durch den Angriff des Angeklagten lebensgefährlich verletzt. Die Anklage lautet daher auf versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung. Zusätzlich wurden weitere Beteiligte des Wahlkampfteams durch den Angeklagten durch Messerstiche verletzt.

Reker-Prozess: Erster Verhandlungstag | Aufsehen erregender Auftakt

Der Prozess in Düsseldorf – 1. Verhandlungstag

Ort: Das Gerichtsgebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf – ein innen wie außen einfach gehaltener, grauer Betonbau, der speziell für Prozesse aus dem Bereich der Schwerstkriminalität oder des Terrorismus gebaut wurde .
Das Interesse der Medien vor Ort ist groß: Etwa 10 Fernsehteams und weitere 40 Journalisten sind anwesend.

Zivile Zuschauer kann ich hingegen nicht identifizieren. Mich interessiert neben der Tätermotivation und dessen Vita natürlich auch, wer die Sicherheitsmaßnahmen für die jetzige Oberbürgermeisterin Frau Henriette Reker geplant hat, und wie diese verantwortlich entschieden worden sind. Beide Aspekte sind wichtig für den Bereich des Personenschutzes.

Der Prozess wird durch den 6. Strafsenat, der für Staatsschutzverfahren zuständig ist, geführt. Neben der Vorsitzenden Richterin Frau H. nehmen vier weitere Richter als Beisitzer teil. Die Bundesanwaltschaft wird durch zwei Ankläger vertreten. Der Angeklagte wird ebenfalls durch zwei Rechtsanwälte, Dr. Christof M. aus Köln und Herrn M. aus Krefeld, vertreten. Des Weiteren sind drei Anwälte für die Nebenklage anwesend. Unter anderem Rechtsanwalt M. aus Köln für Frau Henriette Reker.

Der Angeklagte Frank S. betritt in Begleitung von vier Justizbeamten den Saal. Er ist weder an den Händen noch an den Füßen gefesselt.  Er trägt eine Bluejeans sowie ein langärmliges, blauweiß-kariertes Hemd und dazu Sportschuhe. Der Angeklagte, mit Glatze und einem Kinnbart, macht einen überwältigten und überforderten Eindruck. Er hört sehr aufmerksam zu, hat hektische Augenbewegungen und vermittelt den Eindruck, dass er glaubt, jederzeit angegriffen zu werden.

Nach der allgemeinen Begrüßung und grundsätzlichen Belehrung wird die Generalbundesanwaltschaft (GBA) zur Klageverlesung aufgefordert. Es wird kurz die heimtückische und niederträchtige Tat des Angeklagten erläutert. Für die GBA steht eindeutig fest, dass hier ein Mensch getötet werden sollte. Die Motive des Angeklagten lagen offenbar in der Einschätzung einer verfehlten Flüchtlingspolitik in Deutschland. Nach Recherchen im Internet hatte er sich Frau Henriette Reker ausgesucht, da diese zum Zeitpunkt der Tat Sozialdezernentin der Stadt Köln war – und somit zuständig für die Flüchtlinge. Er brachte ein 30 cm langes Buschmesser und ein 19 cm langes Butterflymesser zur Tat mit, die er verborgen bei sich trug. Als er Frau Reker nach einer Blume fragte und diese abgelenkt war, stach er ihr in den Hals. Die Klinge drang 10 cm in den Hals ein und die Luftröhre war verletzt: Frau Reker konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Zusätzlich wurden weitere Beteiligte durch Messerstiche verletzt.

Nun wird der Angeklagte Frank S. nochmals zu seinem Zeugnisverweigerungsrecht belehrt. Er spricht mit klarer und fester Stimme und will sich zur Tat äußern. Meine Einschätzung  nach dem bisherigem Auftritt: Frank S. ist eine Person, die sich ausdrückt. Er sitzt nicht still im Saal und lässt alles um sich herum geschehen.

Bevor die Beweisaufnahme beginnt, möchte sein Anwalt, Dr. M., eine kurze Erklärung abgeben. Er erklärt, dass dieser Fall eine sehr starke Pressepräsenz gehabt habe und dass eine objektive Aufklärung damit kaum gegeben gewesen sei. Zudem zweifelt er die Befragung durch die Polizei an, da es einige Gespräche ohne Anwesenheit der Verteidigung gegeben hat. Auch den Tötungsvorsatz seines Mandanten sieht er nicht. Er führt aus, dass der Täter ja durchaus ein zweites Mal hätte zustechen können und somit der Tod des Opfers sicher eingetreten wäre. Da er dieses aber nicht getan hat, sieht Anwalt Dr. M.  auch keine Tötungsabsicht, sondern nur den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung. Hierzu führt er einige Beispiele entsprechender Urteile an. Des Weiteren behauptet er, dass es sich hier um einen politischen Prozess handele. Wäre das Opfer ein nicht in der Öffentlichkeit stehender Mensch gewesen, wäre sein Mandant auch nur der gefährlichen Körperverletzung angeklagt worden. Hierzu erklärt die Vorsitzende Richterin, dass es sich keinesfalls um einen politischen Prozess handele, sondern der 6. Senat sich um Staatsschutzverfahren kümmere. Hiernach findet eine 20-minütige Pause statt.

Um 11:30 Uhr beginnt die Vernehmung von Frank S. Die Vorsitzende Richterin H. fordert ihn auf, zu erzählen. Frank S. bittet jedoch darum, dass er jeweils einzeln gefragt wird. Er macht einen nervösen Eindruck, beantwortet die Fragen allerdings normal. Zuerst kommt die Aufarbeitung seiner Vita. Frank S. ist im Juni 1971 in Düsseldorf geboren. Seine letzte Anschrift (vor der JVA)  war die Hohlbeinstraße 32 in Köln. Er ist nicht in einem Kindergarten gewesen und kam mit circa fünf Jahren in eine Pflegefamilie. Kontakt zu seinen leiblichen Eltern oder Geschwistern hatte er danach nicht mehr. In der Pflegefamilie waren sechs Pflegekinder und vier leibliche Kinder. Frank S. bringt die hohe Anzahl der Pflegekinder mit den entsprechenden Zahlungen der Behörden in Zusammenhang. Mit sechs Jahren wurde er in Bonn eingeschult und erreichte nach Abschluss der zehnten Klasse an der Gesamtschule in Bonn-Beuel seinen Hauptschulabschluss.

Seine schulischen Leistungen bezeichnet er selbst als normal. Als er sein 18. Lebensjahr erreicht hatte,  wurde er nach eigener Aussage durch seine Pflegeeltern aus dem Haus geworfen. Daher musste er mit Aushilfsjobs über die Runden kommen. In dieser Zeit war er auch zwölf Monate als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr, als Funker. Im Rückblick empfindet er diese Zeit als „nicht schlecht“, wollte sich aber auch nicht als Zeitsoldat verpflichten. Danach  durchlief er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Die Abschlussprüfung konnte er nicht durchführen, da er zu dieser Zeit wegen mehrerer Delikte (körperliche Gewalt) eine 30-monatige Gefängnisstrafe in der JVA Rheinbach absaß. Hier arbeitete er in der Wäscherei, sortierte Müll oder lud Lkw ab. Kontakt zu seinen leiblichen Eltern oder Geschwistern hatte er nie. Seine Pflegeeltern seien schwierig gewesen und die Erziehungsmethoden aus dem Mittelalter, es gab viele Schläge. Nach der Zeit im Gefängnis wollte er mit seinem rechtsradikalen Umfeld in Bonn nichts mehr zu tun haben und zog deshalb nach Köln. Dort suchte und bekam er Arbeit als Maler und Lackierer und wurde auch von den unterschiedlichen Arbeitgebern als Geselle eingestellt.

Hinweis: der zweite Anwalt von Frank S., Herr M. aus Krefeld, scheint etwas müde zu sein. Er streckt sich, legt den Kopf weit zurück und schließt einige Zeit die Augen.

Die Vorsitzende Richterin möchte noch etwas zu dem Privatleben von Frank S. hören, insbesondere in welcher Art und Weise er liiert war. Frank S. berichtet, dass er zwischen 1988 und 1993 eine fünfjährige Beziehung hatte. Danach dauerten seine Beziehungen nicht mehr so lange, etwa ein bis zwei Jahre, und immer wieder habe er einige Affären gehabt. Da er ein sehr freiheitsliebender Mensch sei, wurden ihm die Beziehungen oftmals zu eng, so dass er sie gar nicht erst eingehen wollte oder beendete.

Weiterhin möchte die Richterin wissen, warum er eine Gefängnisstraße erhalten hatte. Frank S. begründet dies mit einigen Schlägereien, in der er der Gejagte war und sich immer wieder wehren musste. Er sei  immer sehr politisch interessiert gewesen, habe viel gelesen und sich auch in der rechten Szene aufgehalten. Deshalb habe er sehr viel Ärger mit der Antifa gehabt,  die ihm immer wieder auflauerten. Einer rechten Gruppierung gehörte er nicht an. Er war Mitglied einer Clique, die sich „Berserker“ nannte. Er selbst hat eine sehr große Tätowierung mit diesem Namen auf dem Rücken. Damit war er der einzige in dieser Gruppe. Er hat eine eigene Vorstellung zum rechten Gedankengut. Er hat einen Freiheitsgedanken für alle Menschen auf dieser Welt und bezeichnet sich selbst als „wertkonservativen Rebell“. Er sagt aus, dass er sich nichts vorschreiben lässt, sondern selbst entscheidet, was er macht. Er denke sehr logisch und informiere sich im rechten und linken Lager sowie im Mainstream. Danach entscheide er, was ihn am meisten überzeugt und handelt danach eigenständig und eigenverantwortlich.

Die Vorsitzende Richterin fragt sehr gut und auch viel nach. Der Angeklagte vermutet hinter jeder Frage eine Falle.

Nach der Mittagspause, die von 13:08 Uhr bis 14:15 Uhr  angesetzt war, kann die Verhandlung erst um 14:37 Uhr neu beginnen, da die Verteidiger des Angeklagten unentschuldigt zu spät kommen. Der Verteidiger M. aus Krefeld scheint sehr belustigt darüber zu sein. Beide erhalten eine deutliche Ermahnung des Gerichts. Nur noch etwa die Hälfte der zum Prozessauftakt anwesenden Journalisten kommt nach der Mittagspause zurück in den Saal. Der Angeklagte wird weiter durch die Vorsitzende Richterin befragt. Er selbst erzählt über sich, dass er ein sehr lebensfroher Mensch sei, er habe viel Zeit am PC verbracht und viel gelesen. Er sei gerne alleine und seine letzte feste Freundin habe er zwei Jahre vor der Tat gehabt. Er bilde sich immer eine eigene Meinung und ließe sich nicht vorschreiben, was er zu denken habe. Zu seiner Tatmotivation will er noch ausführlich aussagen. Dieses wolle er selber machen und nicht durch seine Verteidiger, von denen er sagt, dass sie „nix damit zu tun haben wollen“. Er gibt an, dass seine Motivation die verfehlte Politik und der nach eigener Einschätzung millionenfache Rechtsbruch gewesen sei. Hiernach ist zunächst die Befragung des Gerichts beendet.

Die GBA möchte nun noch etwas zu seiner nicht durchgeführten Gesellenprüfung wissen und, warum er sich nicht darum gekümmert habe. Dies beantwortet der Angeklagte damit, dass er sich nicht beschweren wollte und sehr frustriert war. Die Frage nach möglichen Krankheiten führt zu der Antwort, dass er keinerlei Krankheiten habe und gesund sei. Mögliche Fragen der Nebenkläger und des Gutachters werden heute nicht durch die Verteidigung beantwortet.

Um 16:09 Uhr ist der erste Verhandlungstag zu Ende.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Bodyguard-Prozess: Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Bevor das Gericht am letzten Verhandlungstag den Urteilsspruch fällen kann, hat die Nebenklage noch einige Fragen an zwei Sachverständige, die bereits gehört wurden. Anhand der Fragen selbst wird deutlich, dass sie eher aus psychologischen Gründen gestellt werden. Erhellendes für die Klage bringen sie nicht. Man merkt dem Bruder der Getöteten, einem der Nebenkläger, an, dass er nicht loslassen kann. Und nachdem nun wirklich auch die letzte Frage gestellt wurde, erkundigt sich der Richter bei ihm sehr fürsorglich, ob auch er keine mehr habe. Danach beginnt der Staatsanwalt sein Plädoyer.

Der Staatsanwalt stellt fest, dass der Angeklagte die Tötung eingeräumt hat. Doch wie sieht es mit den Mordmerkmalen aus? War seine Steuerungsfähigkeit wirklich eingeschränkt? Er wirft dem Angeklagten Jens H. vor, dass er sich erst am ersten Verhandlungstag eingelassen bzw. geäußert und auch keine weiteren Nachfragen zugelassen hat. Dieses Verhalten machte den Beschuldigten in den Augen des Staatsanwaltes unglaubwürdig.

Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Jens H. hört nicht zu und gähnt vor sich hin.

Der Staatsanwalt benennt einige Stolpersteine. Zuerst erwähnt er die Google-Suche des Angeklagten am Vortag der Tat zum Thema „Verabreichung von Lorazepam“. Da der Angeklagte dieses Medikament schon seit einigen Jahren einnimmt, sei eine weitere Erkundung des Themas eigentlich nicht notwendig gewesen. Diese Suche sei somit als ein Vortat-Verhalten zur Tötung seiner Frau zu bewerten.

Des Weiteren sei auch die Streit-Situation beim Frühstück, die der Angeklagte beschrieben hat, nicht bewiesen, denn Nachbarn haben vielmehr eine harmonische Paarsituation beobachtet.

Auch sein Motiv, dass er seine Frau nur schlafen schicken wollte, um Ruhe zu haben, mache überhaupt keinen Sinn, da der Ärger nach dem Aufwachen noch größer gewesen wäre.

Zum Zeitpunkt der Verabreichung des Medikaments war Jens H. auch noch nicht alkoholisiert.

Zudem sei die Aussage von Jens H., dass seine Frau bei einem kurzfristigen Aufwachen weiter mit ihm gestritten hätte, unglaubwürdig, da sie sich immer noch in einem Dämmerzustand befunden haben müsste und somit kaum streitfähig gewesen wäre.

Die Tatsache, dass der Angeklagte den von ihm an seiner Frau angeblich eingesetzten Würgegriff nicht nochmals demonstrieren wollte, führt beim Staatsanwalt zur Annahme, dass es diesen Würgegriff nie gegeben hat.

Zuletzt führt er noch die Erinnerungslücken zum Nachtatverhalten auf: Entkleiden der Leiche, Verbringen in die Badewanne, zehn Messerstiche zum Ausbluten, das Abschneiden von acht Fingern mit der Rosenschere. Hier gab Jens H. nur das zu, was schon bekannt gewesen war.

Auch eine Schuldunfähigkeit durch Alkoholeinnahme erkennt der Staatsanwalt nicht an, dafür habe der Täter Jens H. zu rational gehandelt. Auch waren seine motorischen Fähigkeiten noch vorhanden. Zum Beispiel konnte er mit einer kleinen Kneifzange die Enden der Kabelbinder abschneiden und die kleinen Piercings aus der Leiche entfernen.

Der Staatsanwalt stellt eine klare heimtückische Ermordung fest und fordert, den Beschuldigten wegen Mord zu verurteilen und eine lebenslange Haftstrafe auszusprechen.

Der Angeklagte merkt, dass es langsam eng für ihn wird, und auf einmal hört er interessiert zu.

Als Nächster hält Jens K., der Verteidiger der Nebenkläger (Bruder und Tochter von Ana H.), sein Plädoyer. Er beginnt mit einer Darstellung der besonderen Lebensumstände der Eheleute H.

Diese waren geprägt durch die Drogenexzesse des Angeklagten, durch sein Verhältnis zu seiner Ex-Frau und zu den gemeinsamen Kindern sowie durch die schlechte finanzielle und geschäftliche Situation. Jens H. hatte mehrere Insolvenzen hingelegt, und die getötete Ehefrau war von Sorgen geplagt. Zusätzlich betrog der Angeklagte seine Krankenkasse, weil er sich scheinheilig über mehrere Ärzte hatte krankschreiben lassen.

Rechtsanwalt Jens K. stellt heraus, dass es die Natur des Angeklagten Jens H. sei, sich immer wieder persönliche Vorteile zum Nachteil anderer zu verschaffen. So habe er auch am Tattag seine Frau ruhigstellen wollen und ihr dafür eine deutliche Überdosis von 2 × 7,5 Milligramm Lorazepam gegeben. Auch glaubt er, dass die Tötung der Ehefrau vorab geplant gewesen sei. Eine Dosis von sechs Tabletten habe Jens H. nicht heimlich zerstampfen und in ein Getränk geben können, das lasse die Wohnsituation nicht zu.

Auch eine Tötung im Vollrausch nimmt er dem Angeklagten nicht ab, da alle Zeugen, die Jens H. am Tattag gesehen haben, keine Bewegungseinschränkungen festgestellt hatten. Die am Tattag geschriebenen SMS habe er zudem fehlerfrei geschrieben und seiner Stieftochter sogar noch geschäftliche Anweisung klar und deutlich mitgeteilt.

Die Einlassung des Angeklagten sei so schwammig gewesen, dass Rechtsanwalt Jens K. diese für unglaubwürdig hält. Er unterstellt dem Beschuldigten daher Heimtücke und zitiert hierzu den Bundesgerichtshof mit einer Erläuterung zum Komplex „Tötungsvorsatz“.

Außerdem stellt der Anwalt fest, dass die Tat äußerst planvoll durchgeführt worden sei. Hierfür spreche auch das Nachtatverhalten: Der Beschuldigte entkleidete die Leiche seiner Ehefrau komplett, die Kleidung packte er in ein Müllbeutel, sodann legte er die Leiche in die Wanne und stach dort mit einem Messer zehnmal auf dieselbe ein, was zum späteren Ausbluten führen sollte. Weiterhin schnitt er der Getöteten mit einer Rosenschere acht Finger ab. Dieses Verhalten wertet der Nebenkläger als voraussichtliche Vertuschung der Tötung. Insbesondere wirft er dem Angeklagten vor, dass er bis heute keine Reue gezeigt und sich auch nicht bei der Tochter und dem Bruder der Toten entschuldigt habe.

Hier gibt es ein Zwischenruf des Bruders der Getöteten in Richtung des Angeklagten: „Er ist nicht in der Lage gewesen, sich zu entschuldigen, aber seine Unterwäsche aus der Wohnung konnte er einfordern.“

Der Antrag des Nebenkläger-Verteidigers lautet auf Mord mit einer Strafzumessung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Nur hilfsweise beantragt er Mord aus niedrigen Beweggründen oder Totschlag nach § 212 StGB.

Hiernach kommen nun die drei Verteidiger des Angeklagten Jens H. zu ihrem gemeinsamen Plädoyer.

Zuerst spricht der Verteidiger Wolf B. Er erläutert sofort, dass die Mordmerkmale nicht zutreffen. Da er die Plädoyers des Staatsanwalts und des Nebenkläger-Verteidigers gehört hat, hat er nun die Möglichkeit, diese einzeln zu widerlegen. Diese Chance nutzt er auch.

So erklärt er gleich zu Anfang, dass Jens H. sich im Sinne eines Totschlags für schuldig erklärt habe. Er geht insbesondere auf die Alkohol-, Drogen- und Tablettensucht von Jens H. ein. Jahrelang habe er hiermit Probleme im Beruf und in der Beziehung gehabt. Im Leben des Angeklagten habe es viele irrationale Momente gegeben. Immer wieder bezieht er die Aussagen der Tochter und des Bruders der Getöteten mit ein.

Dieses Vorgehen trifft die Angehörigen besonders schwer, da es den Eindruck vermittelt, sie hätten Fehler gemacht. Ein moralisch sehr bedenkenswertes Verhalten des Verteidigers.

Zusätzlich versucht der Verteidiger, die Belastung des Angeklagten in Bezug auf sein Verhältnis zu seiner Ex-Ehefrau und den Umgang mit seinen Kindern sowie der beruflichen Situation zu erläutern. Er spricht von einem deutlichen Streit am Tattag, der auch durch eine Ohrfeige der Getöteten für Jens H. geprägt gewesen sei. Die Tötung sei ein spontaner Gedanke gewesen, nachdem Jens H. seine Ehefrau bewusstlos gewürgt hatte, somit könne von heimtückischem Mord keine Rede sein. Der Angeklagte sei schuldig des Totschlags nach § 212 StGB, und damit sehe das Gesetz einen Strafrahmen von einer 5- bis 15-jährigen Freiheitsstrafe vor.

Der Anwalt erläutert, dass es weiterhin die Möglichkeit der verminderten Schuldfähigkeit gebe und damit eine Strafrahmenverschiebung möglich sei. Der Umgang des Angeklagten mit unterschiedlichen Suchtmitteln solle als Grundlage für eine Strafrahmenschiebung herangezogen werden. Das würde eine Reduzierung der Freiheitsstrafe bedeuten, unter anderem auch deshalb, weil Jens H. ein Geständnis abgelegt habe und die Tat bereue. Im Übrigen betitelt Wolf B. den Vorgang, dass der Angeklagte sich erst so spät zu seiner Tat geäußert hat, als ein legitimes Mittel der Verteidigung, was nicht vorwerfbar sei. Der Verteidiger stellt keinen konkreten Strafmaßantrag.

Nach ihm spricht die Verteidigerin Sarah Teresa B. Sie erläutert, warum die Tötung nicht geplant gewesen sei und zielt insbesondere auf die besonderen Belastungen, die Jens H. in seinem Leben gehabt habe. Auch sie stellt fehlende Heimtücke fest und sieht eher Argumente für einen Totschlag als gegeben. Aufgrund der Suchterkrankung des Angeklagten hält sie eine verminderte Schuldfähigkeit für angebracht und damit auch die Voraussetzung für eine Strafrahmenverschiebung. Daher beantragt sie eine Freiheitsstrafe von acht Jahren.

Als dritter Verteidiger des Angeklagten spricht Nicolai M., der in zwei kurzen Sätzen feststellt, dass er sich den Ausführungen seiner Kollegen anschließt.

Nun wird dem Angeklagten durch das Gericht das letzte Wort erteilt.

Jens H. spricht sehr leise und stockend: „Mir fällt es schwer, etwas zu sagen. Ich habe mir selbst das Wichtigste im Leben genommen. Ich bereue, was ich getan habe und möchte mich hiermit bei den Angehörigen meiner gestorbenen Frau entschuldigen und bitte Sie um Verzeihung.“

Danach zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.

Die Zuhörer und die Parteien begeben sich zur Kantine, ich setze mich vor das Beratungszimmer, weil ich wissen möchte wie lange die Beratung läuft. Schon 28 Minuten später kommt das Gericht aus dem Beratungszimmer und begibt sich ebenfalls zur Kantine.

Anschließend wird der Verhandlungstag fortgesetzt. Das Gericht teilt nun das Urteil mit: Totschlag nach § 212 StGB mit einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Demnach sieht das Gericht Heimtücke als nicht bewiesen an und glaubt zudem nicht, dass die Tötung geplant war. Für einen Mord sei der Tathergang auch nicht plausibel genug gewesen. Eine Schuldunfähigkeit hingegen könne ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden, da die Sachverständigen eine entsprechende Leistungsfähigkeit nachgewiesen haben. Die Höchststrafe von 15 Jahren wurde nicht ausgesprochen, da der Angeklagte Jens H. ein Geständnis abgegeben hat und Ersttäter war.

Der Prozess endet am 31. März nach acht Verhandlungstagen um 14:28 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Gericht geht nicht von Heimtücke aus

Das Gericht hat in den weiteren Verhandlungstagen seine ersten Überlegungen zu einem möglichen Urteil bekannt gegeben. Doch bevor das Gericht diese genauer ausführt, werden noch einige Zeugen vernommen.

Unter diesen ist unter anderem ein Nachbar von Jens H., der im Erdgeschoss wohnhaft ist und sich des Öfteren auf seiner Terrasse aufhielt. So auch am Tattag, zwischen 20:00 Uhr und 20:30 Uhr. Er beobachtete, wie Jens H. ohne ihn zu grüßen an seiner Terrasse vorbeiging und eine Plastiktüte in den Müll warf. Es gab keinen Augenkontakt. Jens H. ging danach zu einem Taxi.

Ein weiterer Nachbar in einer gegenüberliegenden Wohnung konnte das Ehepaar beim Frühstück auf der Dachterrasse beobachten. Dabei wurden keinerlei Besonderheiten festgestellt.

Gericht geht nicht von Heimtücke aus

Der psychologische Sachverständige über den Jens H.

Auch der psychologische Sachverständige wird als Zeuge vernommen. Er hatte in der Justizvollzugsanstalt an vier Untersuchungstagen insgesamt 13 Stunden mit Jens H. gesprochen.

Er beschreibt seinen Gesprächspartner als freundlich und kooperativ, allerdings wenig spontan und wenig aktiv. Er stellte fest, dass Jens H. seit seinem 18. Lebensjahr alkohol- und drogenabhängig war. Er sei über die Partyszene in die Sucht hineingerutscht. Der Konsum führte unter anderem zu stationären Behandlungen in diversen Krankenhäusern. In der JVA jedoch hatte Jens H. keine Entzugsbehandlung gebraucht. Der Sachverständige beurteilt die Alkohol- und Medikamenteneinnahme daher nicht als Abhängigkeit, sondern vielmehr als Missbrauch. Jens H. war in den Jahren 2011 bis 2013 in Behandlung bei einer Kölner Psychologin gewesen. Die Belastungsfaktoren waren eindeutig Berufswechsel, Ex-Ehefrau und sein Umgang mit den Kindern. Er hatte Anpassungsschwierigkeiten und war depressiv. Als Ausgleich betrieb er Kraft- und Kampfsport, „um den Kopf frei zu bekommen“, wie er sagte. Dabei hat er sich intermuskulär Anabolika zugeführt. Als besondere Tätigkeiten nannte Jens H. seine V.I.P.-Einsätze bei Events und seine Sicherheitsaufgaben für Verona Pooth.

Der psychologische Sachverständige resümiert, dass bei Jens H. durchaus Aufmerksamkeit und Wachsamkeit vorhanden seien. Eine schwere Depression liege nicht vor, es gebe keine Auffälligkeiten, auch keine Gehirnschäden. Jens H. habe einen gewissen Grad an Intelligenz, sei ein geselliger Mensch gewesen mit einem sehr großen Selbstbewusstsein, allerdings teilweise aggressiv und mit einer Neigung zur Sucht ausgestattet.

Es liegen laut dem Sachverständigen somit keine krankheitsrelevanten Merkmale vor. Jens H. habe keine schwere psychologische Störung. Seine lange Krankschreibung sei nicht notwendig gewesen, da sein Verhalten völlig normal war und nicht der Krankschreibung entsprach. Eine Bewusstseinsstörung sei nicht vorhanden, auch während der Tat nicht, denn dafür sei sie zu konkret durchgeführt worden. Seine gute Erinnerung an die Tat spreche ebenfalls dafür. Zudem seien motorische Fähigkeiten zur Durchführung durchaus vorhanden gewesen. Selbst der starke Alkoholeinfluss von circa 3,0 Promille und die Einnahme von Lorezepam haben nicht zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt, dafür sei seine Leistungsfähigkeit während der Tat zu ausgeprägt gewesen. Der Gemütszustand von Jens H. beim Gedanken an die Tat sei im Gespräch eher nachdenklich, aber nicht betroffen oder weinerlich gewesen.

An dieser Stelle versucht die Verteidigung immer wieder, mit Zwischenfragen den Redefluss des Sachverständigen zu stören. Der Richter belehrt die Verteidigung und weist auf einen späteren Fragezeitpunkt hin.

Einschätzungen des Gerichts

Nach einer Beratungspause des Gerichts teilt das Gericht ihre Überlegungen zu einer möglichen Verurteilung mit.

Jetzt hört Jens H. erstmalig interessiert zu. Körperspannung ist vorhanden.

Das Gericht teilt nun mit, dass die Tötungsabsicht „Ruhe vor der Ehefrau“ als Motivation nicht plausibel erscheine. Auch eine langvorbereitete Tötungsabsicht sei nicht erkennbar. Das Vorhandensein der Kabelbinder könne deutlich erklärt werden und sei damit nicht im Tatzusammenhang zu sehen. Das Gericht glaubt nicht, dass Jens H. in der Lage gewesen wäre, eine Inszenierung durchzuführen. Er habe auch im Nachhinein nichts zur Verbergung der Tat unternommen. Daher glaubt das Gericht auch nicht, dass es ein lang geplantes Geschehen war.

Insofern sei es wahrscheinlicher, dass Jens H. eine spontane Tötungsabsicht verfolgte. Die Situation war durch die Streitereien aufgeladen. Sein Tötungsvorsatz wäre unmittelbar umgesetzt und nicht gestaffelt gewesen. Die Einlassung von Jens H. sei zurzeit nicht widerlegbar. Allerdings seien die Erinnerungslücken für sein Nachtatverhalten nicht plausibel. Als Ergebnis sei jedoch festzustellen, dass das Mordmerkmal „Heimtücke“ nicht gegeben sei.

Zur Erläuterung des möglichen Strafmaßes spricht der Richter Jens H. direkt an. Er teilt ihm mit, dass er nicht mit einer Strafe im unteren Bereich und auch nicht in mittleren Bereich rechnen dürfe, da das Gericht durchaus annimmt, dass er dicht an der „Heimtücke“ getötet hat. Damit bleibe es bei Totschlag und es laufe wahrscheinlich auf ein Strafmaß von etwa zehn Jahren hinaus.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

“Medien wollten Einfluss auf das Gericht nehmen”

So wie im Titel äußerte sich der Präsident des Oberlandesgerichts Brandenburg, Klaus-Christoph Clavée, anlässlich einer öffentlichen Veranstaltung mit Podiumsdiskussion am 16. März 2016 in Frankfurt (Oder). Veranstalter war die Juristische Gesellschaft Frankfurt (Oder) e. V.

Die Podiumsdiskussionen trug den Titel: „Der Maskenmannprozess – zum Verhältnis von Öffentlichkeit, Medien und Justiz.“ Als Gesprächsteilnehmer waren die Journalisten Beate Bias (Märkische Oderzeitung), Alexander Fröhlich (Potsdamer Neueste Nachrichten) und Andreas Oppermann vom rbb-Studio in Frankfurt (Oder) eingeladen. Weiterhin nahmen teil der Präsident des brandenburgischen Oberlandesgerichts sowie Prof. Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg. Die Moderation wurde von Frau Janine Nuyken, Vizepräsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) übernommen.

“Medien wollten Einfluss auf das Gericht nehmen”

Es waren über 300 Gäste und Zuhörer anwesend, unter ihnen viele mir bekannte Gesichter. An dieser großen Anzahl an Besuchern konnte man deutlich feststellen, dass der „Maskenmann“-Prozess insbesondere in Frankfurt (Oder) von hohem Interesse ist. Im Publikum waren auch sehr viele Behördenvertreter aus Staatsanwaltschaft und Polizei, unter anderem der Nebenkläger-Verteidiger von Louisa P. und der Bruder des durch den Maskenmann angeschossenen Sicherheitsmitarbeiters.

Da ich während meiner 59-tägigen Prozessbeobachtung auch hinreichend viel Erfahrung mit der Presse vor Ort bekommen habe, konnte ich mir diese Veranstaltung natürlich nicht entgehen lassen. Im Übrigen habe ich während des Prozesses nur Beate Bias des Öfteren im Saal gesehen, die beiden andern Journalisten waren nur zwei-, dreimal vor Ort.

Frau Nuyken führte in das Thema ein und forderte die Podiumsteilnehmer auf, doch in kurzen Worten ihre Ansicht zum Massenprozess mitzuteilen. Die Journalisten berichteten, dass sie über den geforderten Freispruch überrascht waren, und dass sie viele Zweifel hatten, insbesondere an der Polizeiarbeit. Der Präsident des brandenburgischen Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg hatten hingegen das spektakuläre Verbrechen, das dieser Prozess behandelt hat, im Fokus. Deren Eindruck war, dass die Journalisten Partei für den Angeklagten eingenommen haben und nur sie in der Lage wären, den wahren Täter zu präsentieren.

Die Diskussion über diese doch sehr gegensätzlichen Standpunkte ging eine Weile hin und her. Danach wurde das Wort den Zuhörern erteilt. Auch hier waren Wortmeldungen dabei, die die Berichtserstattung sehr einseitig empfunden haben. Unter anderem äußerte sich der Richter B. (Ehemann einer kritischen Polizeibeamtin). Ihm merkte man deutlich an, dass er eine betroffene Person ist. Als Erster sprach er die Namen der am Prozess Beteiligten mit Klarnamen aus. Auch klagte er die Polizeiarbeit – hier namentlich die der Beamten der Sonderkommission – an, die seiner Meinung nach schlechte Ermittlungsarbeit geleistet hatten. Dieser Beitrag war sehr persönlich gefärbt.

Um 18:00 Uhr hatte die Veranstaltung begonnen. Um 19:20 Uhr wurde mir das erste Mal das Wort erteilt. Zu Beginn meines Statements machte ich darauf aufmerksam, dass es eine Stunde und 20 Minuten gedauert hatte, bis wir erstmalig an die Opfer dachten. Das war eine Parallelität zum Prozess. Insbesondere auch durch die Verteidigung und die Journalisten wurde damals keine Rücksicht auf die Opfer genommen, ein Umstand, auf den ich in meinem Blog mehrmals hingewiesen habe.

Meine Fragen an die Journalisten gingen somit ebenfalls in diese Richtung. Mich interessierte zum einen, welche Wahrnehmung sie zu ihrer Berichterstattung hatten. Zum anderen wollte ich erfahren, was sie glauben, welche Folgen die Show des Beschuldigten-Verteidigers Axel W. für die Opfer gehabt haben könnte, denn jedem noch so abstrusen Zweifel der Verteidigung folgte die Presse. Sei es die Unterstellung, dass sich das Entführungsopfer selbst entführt hätte, oder dass die beiden Opferfamilien gemeinsame Sache gemacht hätten. Beide Storys nahm die Presse nahezu ungeprüft auf und verbreitete sie entsprechend. Wie also bewerten die Journalisten das im Nachhinein, mit einigem Abstand? Was glauben die Berichterstatter, hat das mit den Opfern gemacht, sich derartigen Anschuldigungen ausgesetzt sehen zu müssen?

Auf meine Frage antwortete nur Beate Bias mit einem einzigen Satz und sagte sinngemäß, die Opfer wären durch die Presse nicht unanständig behandelt worden.

Dass die Journalisten auf eine an sie gestellte Frage nicht antworten, ist für mich auch eine deutliche Antwort.

Ein im Publikum sitzender Journalist vom rbb trat hingegen erfrischend kritisch auf, stellte entsprechende Fragen an die Podiumsrunde und entwarf Thesen, die durchaus selbstkritisch waren.

Zum Ende der Podiumsdiskussion wartete der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg noch mit einer wichtigen, aber für mich nicht überraschenden Neuigkeit auf: Er hat die Revisionen der Verteidigung und einer Nebenklägerpartei geprüft und inzwischen beim Bundesgerichtshof beantragt, diese Revision vor dem Bundesgerichtshof zu verwerfen. Der Prozess in Frankfurt (Oder) sei korrekt abgelaufen. Diese Entscheidung wiederum obliegt letztendlich dem Bundesgerichtshof.

Auch diese Erklärung stellten einige Journalisten sofort in Frage. Sie avisierten mir, dass sie mich ja dann wieder im Gerichtsaal treffen werden – zur Revisionsverhandlung.

Ich bin gespannt (aber nur ein bisschen).

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.de

Das falsche Gesicht des Jens Christoph H.

Am dritten Verhandlungstag werden durch Zeugenaussagen zur Krankengeschichte des Angeklagten seine „betrügerischen“ Charakterzüge deutlich.

Nachdem alle Parteien in gleicher Besetzung wie in den Tagen zuvor im Gerichtssaal erschienen sind, beginnt die Verhandlung, der neben drei Medienvertretern auch 20 Zuschauer folgen

Der Angeklagte trägt dieselbe Kleidung wie immer und hat außerdem eine blaue Tragetasche mit weißem Werbeaufdruck dabei. In dieser Tasche führt er ein paar wenige Unterlagen mit sich.

Das falsche Gesicht des Jens Christoph H.

Zeugenaussage Kevin G., Freund des Beschuldigten

Der erste Zeuge ist Kevin G., 27 Jahre alt und arbeitslos. Er ist über zwei Meter groß und hat dicke, tätowierte Oberarme. Zu Beginn gibt er sich noch betont cool.

Kevin G. hat für die Firma des Beschuldigten gearbeitet und war im Sommer 2015 drei bis vier Monate mit der Tochter des Opfers, Anela M., liiert. Er kennt Jens H. seit circa fünf bis sechs Jahren und beschreibt ihn als einen lockeren Typ.

Bei dieser Aussage hält sich Anela die Hände vors Gesicht. Der Beschuldigte kann auch diesen Zeugen nicht direkt ansehen. Statt dessen schaut er auf den Tisch vor sich, blickt mal nach links, mal nach rechts und wirkt insgesamt sehr teilnahmslos.

Über den Drogen- und Alkoholkonsum von Jens H. war Kevin G. im Bilde, da er beides gemeinsam mit dem Beschuldigten konsumiert hatte. Auch über die Streitigkeiten in der Beziehung zwischen Jens H. und dem Mordopfer Ana H. hatte er Kenntnis.

Nach der Tat fuhr Jens H. zu Kevin G. und erzählte ihm von den Streitigkeiten mit Ana H. sowie von dem mit Schlafmittel versetzten Getränk, das ihr gegeben hatte. Kevin G. rief daraufhin die Tochter des Opfers, Anela M., an, die anschließend unmittelbar zu ihrer Mutter fuhr und diese vor Ort tot auffand. Kevin G. wusste zu keinem Zeitpunkt, dass Jens H. seine Frau Ana H. getötet hatte.

Kevin G. spricht in seinen Aussagen auch von Mutmaßungen. Dieses wird sofort durch den Verteidiger des Beschuldigten moniert, dessen Tonfall dabei etwas angestrengt wirkt. Weiterhin versucht der Anwalt, dem Zeugen durch geschickte Fragestellung zu entlocken, ob Jens H. seine Frau nicht doch im Affekt getötet haben könnte. Dazu legt der Verteidiger dem Zeugen Mutmaßungen in den Mund, die dieser dann bestätigt.

Der Verteidiger beginnt seine Vernehmung mit dem Hinweis, er hätte nur sechs bis sieben Fragen, doch schließlich wurden es 19. Diese Methodik wird gerne angewandt, um dem Zeugen ein kurzfristiges Ende vorzugaukeln.

Zusammengefasst geht es bei den Fragen der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und des Nebenklägeranwaltes an Kevin G. um die Lebensumstände von Jens H., wie etwa Freizeitverhalten, Alkohol- und Drogenkonsum, Firma, Ehestreitigkeiten.

Aussage des toxikologischen Experten

Danach trägt Prof. Dr. Thomas D. (65) sein Gutachten vor. Er ist Bereichsleiter für Forensische Toxikologie sowie Leiter des Alkohollabors in Düsseldorf und somit ein ausgewiesener toxikologischer Sachverständiger. Prof. Dr. Thomas D. beschreibt zunächst seine Daten zum Opfer Ana H.: Sie wog 62,2 Kilo und war 49 Jahre alt. Die Harnblase war ohne Urin, sie hatte keinen Alkohol konsumiert. Überprüft wurden Mageninhalt, Niere und Blut, wobei man 59 Milligramm Lorazepam pro Milliliter Blut feststellte. Das bedeutet, dass etwa zwölf Stunden vor dem Tod circa vier bis fünf Tabletten Tavor, so der Verkaufsname, zu 2,5 Milligramm verabreicht worden sind. Dieses hatte der Beschuldigte auch so angegeben. Diese Dosierung ist eine deutliche Überdosierung und hat eine zentral dämpfende Wirkung. Es ruft eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses hervor, so wie man es von K.-o.-Tropfen kennt. Auch verschwinden Angst und Unruhe.

Auch wenn man unter dieser Dosierung zwischendurch, wie auch am Tattag geschehen, aufwacht, ist man nur zu kurzen Handlungen oder Gesprächen fähig, an die man sich später nicht mehr erinnern kann.

Weiter berichtet Prof. Dr. Thomas D., dass er drei Blutproben von Jens H. genommen hat. Die ersten zwei Proben von 0:58 Uhr ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,66 Promille, die dritte Probe von 1:35 Uhr ergab 1,56 Promille, was eine Senkung um 0,1 Promille in 37 Minuten bedeutet und einen normalen Wert darstellt.

Als weitere berauschende Mittel hatte der Rechtsmediziner im Körper des Beschuldigten ebenfalls Lorazepam festgestellt, aber auch Amphetamine, Bluthochdruckmittel sowie MDMA, besser bekannt als Ecstasy. Die Mischung dieses Cocktails bedingt, dass sich Wirkkräfte der einzelnen Mittel gegenseitig aufheben.

Jens H. war am Tattag circa 1,78 Zentimeter groß und wog etwa 100 Kilo. Im Falle entsprechender Einnahmegewöhnung sind die Ausfallerscheinungen bei dieser Menge geringer als bei anderen Personen.

Anhand dieser Blutalkoholwerte rechnete der Sachverständige als mögliche Promillegrenze zum Tatzeitpunkt einen Wert von 3,0 Promille aus. Der Nebenklägeranwalt fragt daraufhin, ob die Einnahme von Anabolika, bei gleichzeitigem Konsum von entsprechenden Medikamenten und Drogen sowie Alkohol, einen möglichen Einfluss auf das Verhalten des Beschuldigten gehabt haben könnte. Prof. Dr. Thomas D. erläutert, hieraus ergäbe sich keine gegenseitige Auswirkung.

In diesem Zusammenhang wird durch das Gericht ein Bild gezeigt, auf dem man den geöffneten Kühlschrank des Beschuldigten sieht. Dieser ist voll mit unterschiedlichen Kartons mit der Beschriftung „Anabolika aus Indien“.

Nun entsteht ein Wortwechsel zwischen dem Staatsanwalt, der Verteidigung, dem Nebenklägeranwalt und Prof. Dr. Thomas D. Es wird darüber diskutiert, inwieweit es eine Wechselwirkung bei der Einnahme von Medikamenten bzw. Alkohol und vor allem eine Gewöhnung an diesen Konsum geben kann. Zudem wird erörtert, in welchem Bezug die Tathandlungen, insbesondere die Nachtathandlungen wie das Ausziehen der Leiche, deren Transport in die Wanne, das Entfernen des Strangulierungswerkzeugs vom Hals oder auch die Entfernung des Bauchnabelpiercings dazu stehen. Letztendlich kann der Sachverständige zu all diesen Fragen keine konkreten Antworten geben.

Vernehmung des Polizeiarztes

Anschließend wird der Polizeiarzt vernommen, der Jens H. unmittelbar nach der Festnahme untersucht und hierbei auch eine Blutprobe entnommen hat. Diese enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. Weitere Tests, um eine Beurteilung seines Zustandes vorzunehmen, wie zum Beispiel den Finger-Nasen-Test oder das Gehen auf einem weißen Strich, hat der Beschuldigte abgelehnt. Er hat vielmehr einen aufnahmefähigen Eindruck hinterlassen, alles sehr gut wahrgenommen und sich beherrscht gegeben.

Die Aussage des Polizeiarztes, dass Jens H. beherrscht war, gefällt dem Verteidiger des Beschuldigten überhaupt nicht. Er gibt sich keine Mühe, seine Angespanntheit zu verbergen.

Des Weiteren, berichtet der Polizeiarzt nun, konnte Jens H. nach seiner Festnahme eine ganz genaue Auflistung seiner Medikamente geben, ganz so, als ob er einen Verordnungsplan dabei gehabt hätte. Dies verwundert sowohl den psychologischen als auch den toxikologischen Sachverständigen sichtlich.

Hausarzt Nummer 1

Nun wird Dr. Dimitri G. (46) aus Düsseldorf zur Aussage gebeten, von Beruf Allgemeinmediziner. Er war Hausarzt von Jens H., der wiederum gegenüber dem Richter die Freigabe der ärztlichen Schweigepflicht bestätigt hat. Dr. Dimitri G. erklärt, dass Jens H. mit einem Stress-Syndrom zu ihm kam. Sein Patient zeigte sich aufgrund seiner gescheiterten Ehe und des Kontakts zu seinen Kindern belastet. Immer wieder bot der Arzt Jens H. auch psychologische Hilfe an, doch dieses lehnte der Patient stets ab. Dr. Dimitri G. verschrieb ihm daher etwa ein Jahr lang das Schlafmittel Lorazepam zu 2,5 Milligramm mit der Maßgabe, jeweils nur eine halbe Tablette zu sich zu nehmen. Von einem weiteren Hausarzt wusste Dr. Dimitri G. nichts.

Hausarzt Nummer 2

Dem ersten folgt nun der zweite Hausarzt als Zeuge, Dr. Oliver Peter K. (52), Arzt in Hilden.

Auch dieser wurde von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Er war Hausarzt von Jens H. ab Sommer 2012. Er hatte dessen Depression und Belastung diagnostiziert und den Patienten kontinuierlich krankgeschrieben.

Einige Zeit vor der Tat hat die Krankenkasse die Krankschreibung aufgehoben, weil Jens H. verweigert hatte, sich dem Gutachter der Krankenkasse vorzustellen.

Dr. Oliver Peter K. hatte etwa alle 14 Tage Kontakt mit seinem Patienten, und auch er verschrieb ihm Lorazepam, 20 Stück zu 1 Milligramm, zur Einnahme insgesamt dreimal pro Tag. Der Arzt aus Hilden wusste von einem weiteren Hausarzt, dem er auch zweimal einen Brief geschrieben, allerdings nie eine Reaktion erhalten hatte.

Der erste Hausarzt hatte im Zeugenstand soeben ausgesagt, dass er den zweiten Hausarzt nicht kenne.

Dr. Oliver Peter K. ist sich im Nachhinein bewusst, dass er ausschließlich zur Medikamentenbeschaffung und zum Ausfüllen des Krankenscheins benutzt worden ist. Letzteres führte dazu, dass Jens H. ein Jahr lang Krankengeld von seiner privaten Krankenkasse erhalten hatte. Auch Angaben zu seinen privaten Umständen, etwa, dass er erneut geheiratet hatte, teilte Jens H. seinem zweiten Hausarzt nicht mit, obgleich Dr. Oliver Peter K. ihm vertraute.

An diesem Verhandlungstag wird deutlich, welche Charakterzüge der Beschuldigte Jens H. in sich trägt: Einerseits verschaffte er sich durch die Einnahme von Anabolika muskelbepackte Oberarme, ohne dafür zu trainieren, andererseits erschlich er sich Leistungen von seiner privaten Krankenkasse und erhielt über ein Jahr lang unberechtigt Krankengeld, weil er seinen zweiten Hausarzt hinsichtlich einer entsprechend passenden Krankengeschichte angelogen hatte.

Bildquelle: Rainer Sturm / pixelio.de