Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Heute sind circa 30 Journalisten, ein Kamerateam und drei Fotografen als Zuschauer anwesend. Sechs Justizbeamte begleiten den Beschuldigten Frank S. in den Saal. Zwei weitere sitzen bei den Zuschauern. Frank S. zeigt sein Gesicht der Presse, aber diese darf es trotzdem nicht so abdrucken. Er trägt drei Ohrringe am linken Ohr, weiterhin eine Bluejeans, ein langärmliges schwarzes Hemd und Turnschuhe. Auf seinem mitgebrachten DIN A4-Ordner ist ein Abdruck des Grundgesetzartikels § 5 zu erkennen. Die Verteidiger geben bekannt, dass nicht die Verteidigung eine Erklärung abgeben wird, sondern Frank S. das selbst machen will.

Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, wie der Beschuldigte charakterlich aufgestellt ist. Man hatte schon am ersten Verhandlungstag deutlich erkannt, dass er derjenige sein will, der das „Heft in die Hand“ nimmt. Auch dem Gericht macht er hin und wieder Vorschläge, wie das Verfahren geführt werden soll.

Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Die Vorsitzende Richterin beginnt ihre erneute Befragung mit ungeklärten Auffälligkeiten aus dem ersten Verhandlungstag. Insbesondere möchte Sie noch Fragen zur großflächigen Tätowierung auf dem Rücken von Frank S. geklärt wissen, dass den Schriftzug BERSERKER zeigt. Frank S. erklärt, er habe dieses Tattoo in Bezug auf eine gleichnamige Hardrock-Band aus seiner Jugend ausgewählt. Des Weiteren habe er eine E-Mail-Anschrift gehabt, die ebenfalls Berserker hieß, doch zusätzlich die Zahlen 1488 enthielt. 1488 bedeutet „Auf Deutschland Heil Hitler“. Die jeweilige Zahl steht für den Anfangsbuchstaben. Die Richterin möchte von Frank S. wissen, warum er genau diese Kombination gewählt hat. Der Beschuldigte weicht dieser Fragestellung aus.

Überwiegend gibt der Beschuldigte klare Antworten. Wenn er so wie oben beschrieben ausweicht, zeigt das, dass ihm diese Fragen unangenehm sind, er lügt oder aber weiß, dass er speziell in diesem Fall in die rechte Ecke gestellt werden könnte. Es zeigt aber auch deutlich, dass der Beschuldigte nicht krank oder verrückt ist, sondern auf gewisse Fragen auch entsprechende Antworten hat.

Zu seinem Lebenslauf verweigert er danach jede weitere Aussage.

Nun befragt der psychologische Sachverständige, Prof. Dr. med. Norbert L., den Beschuldigten zu seinem Leben. Prof. Norbert L. interessieren unter anderem dessen Internetaktivitäten. Der Beschuldigte bestätigt, sich in Chats bewegt zu haben. Bei entsprechenden Kommunikationsdiensten wie Facebook oder ähnlichen war er nicht angemeldet, da dort seine Daten über zehn Jahre gespeichert werden. Weiterhin wollte der Sachverständige wissen, warum Frank S. von Bonn nach Köln gezogen ist. Dieses beantwortet Frank S. damit, dass er ein neues Leben beginnen wollte. Ob eine Suizidgefährdung vorlag, beantwortet Frank S. mit Nein.

Hiernach übernimmt das Gericht wieder die Befragung des Beschuldigten. Heute geht es um die eigentliche Tat. Frank S. erklärt, dass er sich nach wie vor noch nicht zur Motivation seiner Tat äußern wird. Er wird sich nur zum eigentlichen Tatgeschehen vom morgendlichen Aufstehen bis zur Festnahme und Verbringen auf die Polizeiwache äußern.

Diese Begrenzung wird über den ganzen Tag immer wieder Thema zwischen dem Gericht und dem Angeklagten sein, da die Fragen des Gerichts zu Tatgeschehen und Motivation nicht klar zu unterscheiden sind.

So erzählt der Beschuldigte, dass er sich am Abend vor der Tat, also am 16. Oktober 2015, die Wahlkampftermine von Henriette Reker im Internet angeschaut und sich diese auf einem Zettel notiert habe. Alle Termine habe er in Betracht gezogen und wollte erst prüfen, wie die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort sind. Er war sich nicht sicher, ob Polizisten oder Personenschutz für Henriette Reker vor Ort im Einsatz sein würden. Trotzdem war ihm klar, dass er, wenn er morgens die Wohnung verlässt, diese so schnell nicht wieder betreten würde. Auch hat er einkalkuliert, von der Polizei erschossen oder angeschossen zu werden.

Zunächst hatte Frank S. nur sein Butterflymesser als Tatwaffe in Erwägung gezogen, dann entschied er sich jedoch für sein Bowiemesser, mit einer circa 30 cm langen Klinge (auch bekannt aus den Rambo-Filmen). Er habe einen theatralischen Auftritt gewollt und fand, dass das Rambo-Messer martialischer wirke. Dieses Messer habe er vor einigen Jahren im Internet bestellt.

Frank S. meint, das Bowiemesser sei total stumpf und somit kein Mordwerkzeug. Daraufhin hält die Richterin das Tatmesser für alle sichtbar hoch und fragt den Beschuldigten nochmals, ob er dieses Messer meint. Dies wird von ihm bejaht.

Er teilt weiter mit, er habe ein Zeichen setzen, aber niemanden ernsthaft verletzen oder sogar töten wollen. Er habe die Nacht vor dem Tattag schlecht geschlafen, da er vorher ja noch niemals solch eine Tat begangen hatte. Er wusste außerdem noch nicht, ob er tatsächlich seine Hemmungen, insbesondere eine Frau zu verletzen, überwinden könne.

Am Tattag stand er zwischen 5:30 Uhr und 6:00 Uhr auf. Er zog sich extra eine weite Latzhose an, um darunter am rechten Bein das große Messer verdeckt tragen zu können. Die Lederscheide für das Messer befestigte er an seinem Bein. Das Butterflymesser steckte er in eine Hosentasche. Darüber zog er sich einen Pulli und eine Jeansjacke. Um seine Hemmungen etwas abzubauen, hat er zuhause noch ein Bier getrunken.

Am Tattag war der Angeklagte 1,85 m groß und 93 Kilo schwer.

Circa gegen 7:20 Uhr erreichte Frank S. die Tankstelle, die von seiner Wohnung fünf Minuten entfernt war, und kaufte dort zwei weitere Biere. Er begab sich zur Straßenbahn und fuhr zum Rudolfplatz. Während der Fahrt trank er ein Bier. In einem Einzelhandelsladen am Rudolfplatz hat er noch Geld gewechselt. Seinen Tatort, den Wahlkampfort in Köln-Braunsfeld, hat Frank S. dann doch noch etwas suchen müssen. Erst nach längerer Zeit fand er den Wochenmarkt mit den jeweiligen Ständen der CDU, der FDP und der Partei Die Grünen. Hier leerte er auch sein drittes Bier.

Frank S. verurteilt Frau Reker unter anderem dafür, dass sie ihren Wahlkampf nur in Nobelvierteln bei der „Schickeria“ durchgeführt hat, in Problemvierteln quasi nie. Da der Beschuldigte immer „die Reker“ sagt, wird er durch das Gericht belehrt, dass er dies unterlassen und Henriette Reker „Frau Reker“ nennen solle.

Frank S. hat die Szenerie an den Wahlkampfständen zunächst ein wenig beobachtet. Zuerst hat er Henriette Reker nicht gesehen, sie dann aber doch aus einer Entfernung von etwa 50 Metern erkannt. Er wusste, dass er seine Hemmschwelle überwinden musste, aber der Entschluss war klar gefasst. Die Motive hatte er im Kopf. Frank S. betont nochmals, dass alles, was er sagt, die Wahrheit ist.

Er steht nun auf und stellt die Tat nach. Es ist zu sehen, wie er an sein rechtes Bein greift, seinen Arm hochzieht und mit einer kurzen heftigen Bewegung nach vorne schnellt. Danach sieht es so aus, als ob er etwas nach rechts wegwirft. Er erzählt, dass er die Knöpfe an der rechten Beinseite schon kurz vorher geöffnet habe, um dann bei Henriette Reker nach einer Rose zu fragen. In diesem Moment hat er sein Messer gegriffen und ihr in den Hals gestochen (10 Zentimeter). Das Messer hat er danach sofort weggeworfen. Er war sich nicht bewusst darüber, dass er in den Hals gestochen hatte, er wollte nur ein Zeichen setzen, weil er das Motiv im Kopf hatte. Er erklärt weiter, dass er sich spontan für das große Rambomesser und nicht für das kleine Butterflymesser entschieden habe.

Diese Aussage ist aufgrund seiner umfangreichen Überlegungen zum Vortatverhalten unglaubwürdig.

Die Vorsitzende Richterin hält ihm vor, dass DNA-Spuren von zwei weiteren Verletzten am Messer gefunden worden sind. Dieses könne ja nicht sein, wenn er das Messer sofort weggeworfen hat. Der Angeklagte bestreitet dies vehement und vermutet eine Manipulation der Sicherheitsbehörden. Nach dem Messerangriff ist Henriette Reker sofort zu Boden gegangen und nach hinten umgefallen. Er fühlte sich durch die Menschenmenge, die auf ihn zukam, bedroht und wollte sich nicht lynchen lassen, deshalb habe er sich mit dem Butterflymesser gewehrt. Er habe aber nicht vorgehabt, andere Menschen damit zu verletzen.

Nach einer kurzen Pause möchte das Gericht von dem Beschuldigten wissen, was er sich als Ergebnis seiner Tat vorgestellt hat. Frank S. antwortet, er habe einen Menschen verletzen, aber nicht töten wollen. Diesen Gedanken habe er nicht gehabt. Wenn er hätte töten wollen, so sagt er, hätte er es ja jederzeit machen können. Henriette Reker war ja wehrlos.

Das Ziel seiner Tat war im Übrigen, dass alle erfahren sollten, dass Henriette Reker ein U-Boot der Grünen sei. Ihre Kandidatur sei ein Wahlbetrug gewesen. Er habe sich genau über sie informiert, sie sei eine Marionette, dieser Partei. Dies klarzumachen sei sein Ziel gewesen.

Die Verletzung der anderen Menschen sei nicht beabsichtigt gewesen, er habe sich nur gegen den Mob wehren wollen. Am liebsten sei ihm auch ein ehrenhafter Kampf „Mann gegen Mann“ wie im Mittelalter gewesen. Nach der Tat wurde er durch einen Zivilpolizisten festgenommen und von diesem zum zwischenzeitlich eingetroffenen Polizeiwagen geführt.

Der Generalbundesanwalt möchte von dem Beschuldigten wissen, ob er mitbekommen hat, dass er Henriette Reker am Hals getroffen hatte, und inwieweit er sich vorher dazu Gedanken gemacht hatte, wohin er stechen wollte. Dies beantwortet der Angeklagte nur ausweichend. Er habe allerdings vor der Tat zuhause mehrfach probiert, wie er das Bowiemesser am besten aus der Lederscheide bekommt.

Hier ergibt sich ein großer Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage, dass er sich spontan für das Bowiemesser entschieden hätte und nicht für das wesentlich kleinere Butterflymesser. Diesen Widerspruch arbeitet der Generalbundesanwalt nochmal heraus und der Beschuldigte bestätigt ihn.

Ob er sich mit uniformierten Polizisten am Tatort noch unterhalten hat, weiß Frank S. nicht mehr.

Nun führt der psychologische Sachverständige Prof. Norbert L. die Vernehmung weiter. Er fragt nochmals nach der Motivation der Tat. Dieses möchte Frank S. in einem zukünftigen Verhandlungstag deutlich erläutern. Er lässt sich nur insoweit ein, als dass er ein Zeichen habe setzen wollen, um Schlimmeres zu verhindern. Für ihn sei es eine Notwehrsituation gewesen. Henriette Reker habe in seinen Augen Schuld auf sich geladen, wie er durch das Lesen und Studieren aller Reker-Interviews meinte, festgestellt zu haben. Henriette Reker war für ihn der Inbegriff einer „linksradikalen Schickeria-Ideologin“. Sie habe nicht nur fünf, sondern gleich zehn Jahre Bürgermeisterin sein wollen. Des Weiteren sei sie als Sozialdezernentin für die in seinem Verständnis verfehlte Flüchtlingspolitik verantwortlich gewesen. Sie sei nur für Die Grünen. Die Grünen wiederum unterstützen die Antifa. Henriette Reker sei eine verlogene Parteilose. Sie sei die Symbolfigur für falsche Flüchtlingspolitik und die herrschenden Politiksysteme. Frank S. glaubte, ein Signal setzen zu können, um das Volk wachzurütteln.

Interessant für den Generalbundesanwalt ist es auch, zu erfahren, warum der Beschuldigte Frank S. genau diesen Tag ausgesucht hat. Frank S. teilt dazu mit, die Bevölkerung habe unmittelbar vor dem Wahltag erfahren sollen, wer hier zur Wahl steht und, dass Henriette Reker die falsche Wahl sei.

Nach einer längeren Mittagspause berichtet der Beschuldigte von seinem Abtransport vom Tatort. Drei Polizeibeamte haben ihn zum Polizeipräsidium in einem Streifenwagen transportiert. Dort musste er sich komplett ausziehen und alle seine Sachen abgeben. Über diesen Transport haben die Polizeibeamten einen Vermerk erstellt. Den Inhalt dieses Vermerks streitet Frank S. komplett ab.

Danach wurde er der Gutachterin Dr. Constanze J. vorgestellt. Sie ist Psychiaterin und Neurologin und sollte beurteilen, ob Frank S. hafttauglich ist oder in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden muss. Frank S. beklagt, dass die Gutachterin ihm hundertprozentige Vertraulichkeit zugesagt hätte, und diese danach nicht gewahrt habe. Die Richterin erklärt ihm daraufhin, dass Sinn und Zweck des Gesprächs mit der Gutachterin die Beurteilung seines geistigen Zustands gewesen sei, und dass Inhalt und Ergebnis natürlich dem Haftrichter bekannt gegeben werden müssen.

Frank S. wechselt immer wieder zwischen Aussagen, die zu 100 Prozent stimmen und Aussagen, die zu 1000 Prozent nicht stimmen, wie etwa seine Einlassung. Man merkt deutlich, dass es für ihn keine Regeln gibt. Er bestimmt ausschließlich, und das nicht nur über sein Leben. Er möchte auch über das Leben aller anderen Menschen bestimmen.

Frank S. unterstellt der Gutachterin, dass sie ihr Gutachten absichtlich verfälscht habe, da ihre Arbeit- und Auftraggeber die Stadt Köln und die Universität Köln seien. Er hat ihr zu ihrem Gutachten einen Brief geschrieben, aus dem er nun vorliest. Hierin beklagt er in beleidigender Form ihr vermeintliches Falschverhalten.

Später habe er sich von zwei Verteidigern einen aussuchen können. Er entschied sich für den Rechtsanwalt B., da er den Nachnamen als bodenständiger empfand (der zweite Verteidiger hatte einen französisch klingenden Namen). Sein Anwalt habe ihm zwei Tage später eine schriftliche Erklärung zur Unterzeichnung vorgelegt, in der der Anwalt B. von seinem Mandanten verlangt habe, dass dieser vor Gericht ausschließlich schweigen solle. Zusätzlich wollte der Rechtsanwalt, dass er von Frank S. von seiner Schweigepflicht, auch gegenüber der Presse, entbunden werde. Frank S. habe nicht zugestimmt. Auf seinen jetzigen Anwalt sei er schließlich über einen Express-Artikel gestoßen.

Das Gericht arbeitet noch einen weiteren Widerspruch heraus: Einerseits wollte der Beschuldigte mit seinem Attentat eine Botschaft setzen. Andererseits hat er fest damit gerechnet, dass er auch erschossen werden könnte. Wenn dem so gewesen wäre, hält ihm das Gericht nun vor, hätte er seine Botschaft ja nicht so wie jetzt in einem öffentlichen Gerichtsverfahren transportieren können, da er vor der Tat kein Manifest oder Selbstbezichtigungsschreiben erstellt hat. Hierauf hat der Beschuldigte keine plausible Erklärung. Er führt nochmals aus, dass Henriette Reker für ihn die Symbolfigur für eine verfehlte Politik gewesen sei. Er habe darauf aufmerksam machen wollen, dass alles manipuliert werde und die Medien die Schlimmsten seien.

Der psychologische Sachverständige fragt Frank S. nochmals nach seiner Botschaft und warum er der Meinung sei, dass er seine Botschaft nur mit dieser Tat zur Sprache hat bringen können. Frank S. antwortet, dass er zum Zeitpunkt der Tat davon überzeugt gewesen sei.

Um 16.01 Uhr ist der heutige Verhandlungstag beendet.

Bildquelle: Stefan Bisanz

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