Vierter Verhandlungstag

Beim vierten Verhandlungstag, am 20. Juni 2016, sind 25 Zuschauer, 10 Medienvertreter sowie ein TV-Team von RTL anwesend.

Kurz vor Verhandlungsbeginn wird Norbert K. von zwei Justizbeamten in den Saal geführt. Nachdem er Platz genommen hat, führt er sofort ein intensives Gespräch mit seinen Anwälten. Markus B. hingegen hält wieder einen DIN A4-Ordner vor sein Gesicht. Als die beiden Angeklagten den Saal betreten, verdüstern sich umgehend die Minen der gesamten Familie, Mutter Ramona R, Vater Uwe R. und Tochter Anett R.

Zu Beginn möchte der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung abgeben. Er bezieht sich darin auf die Zeugenaussagen des Kriminalhauptmeisters Rüdiger P. Anhand von dessen Aussage vor Gericht, aber auch insbesondere der polizeilichen Vernehmung und den dort getätigten Aussagen von Norbert K., spielt der Verteidiger die Tatbeteiligung seines Mandanten herunter.

Diese Stellungnahme ist nur aufgrund des unprofessionellen Aussageverhaltens des Polizisten am letzten Verhandlungstag möglich. Der Beamte Rüdiger P. hat extrem viel interpretiert und in seiner Aussage Vermutungen angestellt, nur dadurch ist diese Stellungnahme überhaupt möglich. Der Verteidiger versucht nun, Schuld von Norbert K. zu nehmen und Markus B. anzulasten. Da Letzterer jedoch keine größere Schuld haben kann, als er ohnehin schon hat, hilft dieses Vorgehen alles in allem nur dem Angeklagten Norbert K.

Nun wird die erste Zeugin vernommen, die Apothekerin Irene S. Sie identifiziert den Angeklagten als Kunden ihrer Apotheke. Markus B. sei regelmäßiger und langjähriger Kunde gewesen. Er habe sich im Grunde immer korrekt verhalten, nur manchmal war er auch fordernd. Am 22. Juni 2015 habe er versucht, 250 Milliliter Äther zu kaufen. Als Begründung habe er angegeben, Hühner auf seinem Hof töten zu müssen, wofür die Tiere vorher betäubt werden sollten, gemäß Tierschutz. Erst nach Recherche durch die Apothekerin und mithilfe des Rezepts eines Tierarztes wurde dem Beschuldigten diese Menge am 29. Juni 2015 verkauft.

Vater Uwe R. nimmt sein Recht wahr, Fragen zu stellen und möchte nun von der Zeugin erfahren, wie oft in ihrer Apotheke nach Äther gefragt werde. “Selten“ antwortet diese und wirkt in diesem Moment emotional ziemlich ergriffen.

Hiernach kommt ein weiterer Zeuge zu Gehör, Dr. Albrecht L. Er war der Hausarzt des Angeklagten Markus B. und soll nun die Frage der Verhandlungsfähigkeit seines früheren Patienten beantworten. Hierzu ist er von der Schweigepflicht entbunden. Die Verteidigung besteht darauf, dass er zu keinen weiteren Punkten Stellung nimmt.

Jedoch äußert sich Dr. Albrecht L. nicht zur Verhandlungsfähigkeit von Markus B., sondern teilt nur mit, dass sich sein Patient auch bei ihm über die Verschreibung von Äther zur Betäubung von Hühnern erkundigt habe. Da der Doktor kein Tierarzt sei, habe er kein Rezept ausgestellt.

Danach wird ein Telefonat vorgespielt, das am 13. August 2015, um 21:00 Uhr, zwischen beiden Angeklagten geführt wurde. Beide Angeklagten tun darin so, als ob sie ein ganz normales Gespräch über Gott und die Welt führten. Es geht ganz teilnahmslos um Verkehrsprobleme, die Kinder des Angeklagten Markus B. und weitere Themen. Unter anderem wird darüber gesprochen, dass zu hören gewesen sei, ein Mädchen aus der sei Gegend entführt worden. Beide Männer äußern, die betroffene Familie nicht zu kennen. Norbert K. aber meint, dass die Eltern sich erst so spät in der Öffentlichkeit gemeldet hätten, sei eine schwache Leistung.

Immer wieder versucht Markus B., den Angeklagten Norbert K. versteckt zu beruhigen. Er baut vermehrt Halbsätze wie „es gibt keine Bewegung hier“ oder „alles wird gut“ in die Unterhaltung ein.

Dieses Gespräch scheint absichtlich geführt worden zu sein, weil die Täter wahrscheinlich dachten, sie würden einer Telefonüberwachung unterliegen. Um sich nun unverdächtig zu machen, führten sie ein normales Gespräch. Doch für einen gelungenen Fake ist das geführte Gespräch nicht gut genug. Norbert K. klopft während des Abspielens des Gesprächs mit den Fingern nervös auf der Tischplatte.

Hiernach kommt als Zeugin eine ambulante Altenpflegerin aus Dresden. Die 27-jährige kennt den Angeklagten Markus B., weil ihre Eltern direkt neben ihm wohnten. Am 14. August 2015 habe sie eine ungewöhnliche Begegnung mit Markus B. gehabt, als dieser ihr um 12:00 Uhr, gerade als sie vom Haus ihrer Eltern wegfuhr, mit hohem Tempo in seinem BMW entgegen gekommen sei.

Nach ihr sagt Kriminalhauptkommissar Georg B. (40) aus Dresden aus. Er stieg erst zwei Wochen nach der Entführung in den Fall ein, da er bis dahin im Urlaub war. Er war für die Zusammenfassung der ermittelten Ergebnisse zuständig und auch mit der Auswertung beauftragt.

Unter anderem hat der Beamte festgestellt, dass die Strecke zwischen dem Elternhaus von Anneli und dem Entführungsort 1,7 Kilometer lang ist, Luftlinie etwa 900 Meter. Uwe R. möchte vom Zeugen erfahren, ob der Entführungsort zufällig oder absichtlich gewählt worden sei. Der Zeuge ist der Meinung, dass dieser Ort absichtlich ausgesucht worden sei, da man sich in dem dort zu findenden Gebüsch, gut verstecken könne und somit nicht zu entdecken sei.

Des Weiteren ist sich der Zeuge sicher, dass Anneli diesen Weg oft gegangen sei, da man in der Auswertung ihrer Mobilfunkdaten festgestellt habe, dass ihr Handy nahezu täglich um die gleiche Uhrzeit in die dortige Mobilfunkzelle eingeloggt gewesen sei.

Auch gebe es Aufschluss über die Bilder, die der Vater von Anneli unmittelbar nach der Entführung von Annelis Fahrrad und dem Hund gemacht habe. Der Polizeibeamte ist der Ansicht, dass der Hund am Gepäckträger mit der Leine befestigt worden sei, gleichzeitig hat es vermutlich den Angriff auf Anneli gegeben, daher müsse es um zwei Täter gehandelt haben.

An den zu diesen Fragen stattfindenden Betrachtungen einiger Bilder am Richtertisch nimmt Uwe R. jedes Mal teil. Aus dieser Position kommt er den Angeklagten etwas näher und taxiert diese. Seine Gestik und Mimik wirken drohend, insbesondere gegenüber Norbert K. Norbert K. leidet offenbar sehr und macht auf Mitleid. Ab und zu schaut er verstohlen zu Familie R. Wie die Opfer wird auch er lebenslang mit den Folgen des Verbrechens zu kämpfen haben, er wird sein Mitwirken an der Tat niemals überwinden.

Als nächster Zeuge des heutigen Verhandlungstages erscheint der 52-jährige Auktionator und Immobilienmakler Brian H. bei Gericht. Er hatte den Maklerauftrag des Angeklagten Markus B. zum Verkauf des mütterlichen Dreiseitenhofs übernommen.

Er teilt mit, dass die erste Verkaufsphase vor circa eineinhalb bis zwei Jahren gewesen sei. Das Unterfangen sei jedoch kaum umsetzbar gewesen, da Markus B. sehr unzuverlässig gewesen sei und somit keine Besichtigungstermine stattgefunden hätten. Im Mai 2015 habe er einen neuerlichen Versuch unternommen, sich den Hof persönlich angeschaut und den zu erlösenden Kaufpreis von circa 150.000 bis 200.000 Euro als akzeptabel eingeschätzt. Auch Norbert K. habe er manchmal dort gesehen.

Ramona und Anett R. schauen ständig Markus B. an. Dieser hat den Kopf nach links abgewandt.

Auch am 14. August 2015 habe der Makler von circa 16:00 Uhr bis circa 17:00 Uhr eine Besichtigung auf dem Hof durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat noch in vollem Gange. Es habe mehrere Besichtigungsparteien gegeben, sodass man die Interessierten in zwei Gruppen aufgeteilt habe. Eine Gruppe sei durch den Makler geführt worden, die andere Gruppe durch Markus B. Der Makler habe da noch nichts von einer Entführung gewusst, davon habe er erst durch die Presse bzw. einen Tag später durch die Polizei erfahren.

Besonderheiten seien ihm bei der Besichtigung nicht aufgefallen, auch das Verhalten von Markus B. sei nicht ungewöhnlich gewesen.

Als letzter Zeuge am heutigen Verhandlungstag kommt Marcel P. in den Saal. Er war einer der Interessenten beim Besichtigungstermin. Auch ihm seien keine Besonderheiten aufgefallen, außer, dass er der Meinung gewesen wäre, die Immobilie sei ihren Preis nicht wert und in einem katastrophalen Zustand. Als er jedoch am Montag bei der Arbeit von der Entführung gehört habe, hätte er sich umgehend bei der Polizei gemeldet.

Damit endet dieser Verhandlungstag.

Bildquelle: NicoLeHe / pixelio.de

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