Gericht geht nicht von Heimtücke aus
Das Gericht hat in den weiteren Verhandlungstagen seine ersten Überlegungen zu einem möglichen Urteil bekannt gegeben. Doch bevor das Gericht diese genauer ausführt, werden noch einige Zeugen vernommen.
Unter diesen ist unter anderem ein Nachbar von Jens H., der im Erdgeschoss wohnhaft ist und sich des Öfteren auf seiner Terrasse aufhielt. So auch am Tattag, zwischen 20:00 Uhr und 20:30 Uhr. Er beobachtete, wie Jens H. ohne ihn zu grüßen an seiner Terrasse vorbeiging und eine Plastiktüte in den Müll warf. Es gab keinen Augenkontakt. Jens H. ging danach zu einem Taxi.
Ein weiterer Nachbar in einer gegenüberliegenden Wohnung konnte das Ehepaar beim Frühstück auf der Dachterrasse beobachten. Dabei wurden keinerlei Besonderheiten festgestellt.
Der psychologische Sachverständige über den Jens H.
Auch der psychologische Sachverständige wird als Zeuge vernommen. Er hatte in der Justizvollzugsanstalt an vier Untersuchungstagen insgesamt 13 Stunden mit Jens H. gesprochen.
Er beschreibt seinen Gesprächspartner als freundlich und kooperativ, allerdings wenig spontan und wenig aktiv. Er stellte fest, dass Jens H. seit seinem 18. Lebensjahr alkohol- und drogenabhängig war. Er sei über die Partyszene in die Sucht hineingerutscht. Der Konsum führte unter anderem zu stationären Behandlungen in diversen Krankenhäusern. In der JVA jedoch hatte Jens H. keine Entzugsbehandlung gebraucht. Der Sachverständige beurteilt die Alkohol- und Medikamenteneinnahme daher nicht als Abhängigkeit, sondern vielmehr als Missbrauch. Jens H. war in den Jahren 2011 bis 2013 in Behandlung bei einer Kölner Psychologin gewesen. Die Belastungsfaktoren waren eindeutig Berufswechsel, Ex-Ehefrau und sein Umgang mit den Kindern. Er hatte Anpassungsschwierigkeiten und war depressiv. Als Ausgleich betrieb er Kraft- und Kampfsport, „um den Kopf frei zu bekommen“, wie er sagte. Dabei hat er sich intermuskulär Anabolika zugeführt. Als besondere Tätigkeiten nannte Jens H. seine V.I.P.-Einsätze bei Events und seine Sicherheitsaufgaben für Verona Pooth.
Der psychologische Sachverständige resümiert, dass bei Jens H. durchaus Aufmerksamkeit und Wachsamkeit vorhanden seien. Eine schwere Depression liege nicht vor, es gebe keine Auffälligkeiten, auch keine Gehirnschäden. Jens H. habe einen gewissen Grad an Intelligenz, sei ein geselliger Mensch gewesen mit einem sehr großen Selbstbewusstsein, allerdings teilweise aggressiv und mit einer Neigung zur Sucht ausgestattet.
Es liegen laut dem Sachverständigen somit keine krankheitsrelevanten Merkmale vor. Jens H. habe keine schwere psychologische Störung. Seine lange Krankschreibung sei nicht notwendig gewesen, da sein Verhalten völlig normal war und nicht der Krankschreibung entsprach. Eine Bewusstseinsstörung sei nicht vorhanden, auch während der Tat nicht, denn dafür sei sie zu konkret durchgeführt worden. Seine gute Erinnerung an die Tat spreche ebenfalls dafür. Zudem seien motorische Fähigkeiten zur Durchführung durchaus vorhanden gewesen. Selbst der starke Alkoholeinfluss von circa 3,0 Promille und die Einnahme von Lorezepam haben nicht zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt, dafür sei seine Leistungsfähigkeit während der Tat zu ausgeprägt gewesen. Der Gemütszustand von Jens H. beim Gedanken an die Tat sei im Gespräch eher nachdenklich, aber nicht betroffen oder weinerlich gewesen.
An dieser Stelle versucht die Verteidigung immer wieder, mit Zwischenfragen den Redefluss des Sachverständigen zu stören. Der Richter belehrt die Verteidigung und weist auf einen späteren Fragezeitpunkt hin.
Einschätzungen des Gerichts
Nach einer Beratungspause des Gerichts teilt das Gericht ihre Überlegungen zu einer möglichen Verurteilung mit.
Jetzt hört Jens H. erstmalig interessiert zu. Körperspannung ist vorhanden.
Das Gericht teilt nun mit, dass die Tötungsabsicht „Ruhe vor der Ehefrau“ als Motivation nicht plausibel erscheine. Auch eine langvorbereitete Tötungsabsicht sei nicht erkennbar. Das Vorhandensein der Kabelbinder könne deutlich erklärt werden und sei damit nicht im Tatzusammenhang zu sehen. Das Gericht glaubt nicht, dass Jens H. in der Lage gewesen wäre, eine Inszenierung durchzuführen. Er habe auch im Nachhinein nichts zur Verbergung der Tat unternommen. Daher glaubt das Gericht auch nicht, dass es ein lang geplantes Geschehen war.
Insofern sei es wahrscheinlicher, dass Jens H. eine spontane Tötungsabsicht verfolgte. Die Situation war durch die Streitereien aufgeladen. Sein Tötungsvorsatz wäre unmittelbar umgesetzt und nicht gestaffelt gewesen. Die Einlassung von Jens H. sei zurzeit nicht widerlegbar. Allerdings seien die Erinnerungslücken für sein Nachtatverhalten nicht plausibel. Als Ergebnis sei jedoch festzustellen, dass das Mordmerkmal „Heimtücke“ nicht gegeben sei.
Zur Erläuterung des möglichen Strafmaßes spricht der Richter Jens H. direkt an. Er teilt ihm mit, dass er nicht mit einer Strafe im unteren Bereich und auch nicht in mittleren Bereich rechnen dürfe, da das Gericht durchaus annimmt, dass er dicht an der „Heimtücke“ getötet hat. Damit bleibe es bei Totschlag und es laufe wahrscheinlich auf ein Strafmaß von etwa zehn Jahren hinaus.
Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de
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