Zweiter Verhandlungstag – Beschuldigter Norbert K. im Fokus

Zum heutigen Verhandlungstag am 3. Juni 2016 sind nur noch circa 15 Pressevertreter und etwa 40 Zuschauer vor Ort.

Es ist ein üblicher Effekt, dass das Interesse nach dem ersten Verhandlungstag eines Prozesses sinkt und weniger Zuschauer und Journalisten anwesend sind.

Zu Beginn ist wieder eine gewisse Unruhe im Saal zu spüren. Ramona und Annette R. sind wieder schwarz gekleidet. Fotografen stürzen sich auf sie, als sie den Gerichtssaal betreten. Später, als der Vater der Getöteten, Uwe R., sich auf seinen Platz gesetzt hat, stellt er einen Laptop vor sich auf den Tisch und klappt ihn auf. Auf dem Bildschirm sind zwei große Fotos seiner Tochter zu sehen. Auch seine Frau hat ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Anneli vor sich aufgestellt. Der Haupttäter Markus B. sitzt ihr genau gegenüber und muss nun, sobald er hochschaut, genau auf die Bilder von Anneli R. sehen.

Das Gericht gibt heute bekannt, dass nun auch der Bruder der getöteten Anneli als Kläger in das Verfahren eingetreten ist.

Antrag auf Beweisverwertungsverbot

Da die Verteidigung von Norbert K. am letzten Verhandlungstag ein Beweisverwertungsverbot für die zweite polizeiliche Vernehmung gestellt hat, wird nun die Stellungnahme der Staatsanwältin gehört. Sie erläutert ausführlich, dass der Beschuldigte damals genügend Pausen gehabt hätte, was sie minutiös belegen kann.

Während des Verlesens der Stellungnahme hebt der Angeklagte Norbert K. immer wieder den Kopf. Ramona R. wiederum schaut nur auf den Angeklagten Markus B., der auf den Tisch vor sich starrt. Nach der Verlesung weist das Gericht Uwe und Ramona R. an, die aufgestellten Fotos von Anneli wieder zu entfernen, da diese Demonstration aus Sicht des Gerichts keinerlei Sinn hat.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Ramona R. nimmt zum Beweisverwertungsverbot der Verteidiger Stellung. Er hält es für eine taktische Maßnahme, um eine Aussage des Beschuldigten, die dieser in einer Vernehmungspause getätigt hat, jetzt wieder zurückzunehmen. Das Brisante: Diese Aussage offenbart, dass seine Beteiligung am Tatgeschehen intensiver war, als er am ersten Verhandlungstag eingeräumt hat. Er wusste, dass Anneli getötet wurde und er wusste auch, wie. Zudem wurden bei der besagten zweiten Vernehmung ordnungsgemäße Pausen gewährt und mehrfache Belehrungen durchgeführt.

Der Verteidiger von Norbert K. beantragt jetzt einen Gerichtsbeschluss.

Befragung der Polizeibeamten

Nun wird der Kriminalhauptmeister Jörg M. (46) aus Dresden gehört. Er habe am Tag der Vernehmung Bereitschaft gehabt und sei um 03:30 Uhr zur Dienststelle gerufen worden, um dort mit der Vernehmung des Tatverdächtigen Norbert K zu beginnen. Die Vernehmung habe um 06:15 Uhr begonnen, wobei zunächst die offizielle Belehrung durchgeführt worden sei.

In der Vernehmung habe Norbert K. angegeben, Markus B. bereits seit circa drei Jahren zu kennen. Beide hätten eine Kumpel-Beziehung gepflegt, zudem habe Norbert K. Markus B. immer mal wieder ein wenig ausgeholfen. Zum Beispiel habe er dessen Hund ausgeführt und dafür Benzingeld erhalten.

Norbert K. habe eine Tatortbegehung abgelehnt und auch jegliche Anschuldigungen immer wieder bestritten. Er sei dabei sehr nervös gewesen, sodass die vernehmenden Beamten der Meinung gewesen seien, dass etwas nicht stimmen könne und Norbert K. ihnen etwas verheimliche.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. fragt den Kriminalhauptmeister Jörg M. nun, ob der Beschuldigte alles verstanden habe, was der Beamte mit einem selbstbewussten Ja beantwortet. Die Nebenkläger-Anwälte von Uwe und Ramona R. fragen nach dem allgemeinen Zustand des Beschuldigten, wie lange er wach gewesen sei und ob er einen übermüdeten Eindruck hinterlassen habe. Letzteres wurde von Jörg M. verneint, allerdings habe Norbert K. einige Fragen blockiert. Nun stellt der Verteidiger von Norbert K. eine Suggestivfrage – die jedoch grundsätzlich nicht gestattet sind – und möchte wissen, was gewesen wäre, wenn der Beschuldigte geäußert hätte, dass er lange wach gewesen sei. Außerdem mahnt der Anwalt an, dass man seinem Mandanten während der damaligen Vernehmung gesagt hätte, sein Handy wäre am Tatort eingeloggt gewesen. Dies hatte Norbert K. schon während der Vernehmung abgestritten, völlig zurecht, denn Norbert K. hatte sein Handy in Lampersdorf gelassen.

Der nächste Zeuge ist der Kriminalhauptkommissar Alexander S. vom Landeskriminalamt Sachsen. Er war am 16. bzw. 17. August 2015 nach Bamberg gefahren, um dort den Beschuldigten Markus B. zu vernehmen. Als Alexander S. auf Markus B. traf, habe dieser geweint und kaum sprechen können, allerdings habe er sich schnell beruhigt. Anschließend habe Alexander S. die die offizielle Belehrung durchgeführt. Der Beschuldigte habe sich jedoch zum Tatvorwurf nicht eingelassen.

Später, als ein Bamberger Rechtsanwalt zur Vernehmung dazugestoßen war, habe Markus B. dem Beamten mitgeteilt, dass er die Familie R. gekannt habe, Uwe R. sogar persönlich von einem Unternehmer-Stammtisch. Er habe des Weiteren berichtet, dass er den Feldweg zur B 101, auf dem Anneli R. entführt worden war, selbst schon benutzt hatte, mit dem Fahrrad und zusammen mit seinem Hund. Er habe sogar angeboten, sich in der Szene (Rocker, Albaner, Russen) umzuhören. Zitat: „Die Szene weiß alles.“ Als die Polizisten schließlich gemeinsam mit Markus B. nach Dresden fuhren, sei der Beschuldigte nach wenigen Minuten tief und fest eingeschlafen.

Die Verteidiger von Markus B. möchten jetzt wissen, woher der LKA-Beamte Alexander S. die Aussagen von Norbert K. bekommen habe (diese hatte er von Kollegen auf dem Flur erhalten) und außerdem, ob es Spuren gab, von denen er bei bereits der Vernehmung gewusst habe. Alexander S. berichtet, er habe Kenntnis von einem Taschentuch gehabt, das am Tatort gefunden worden war und auf dem sich DNA-Spuren von Markus B. befunden haben.

Hiernach wird als Zeuge der Polizeidirektor Sven M. (55) befragt, Kommandoführer des SEK Sachsen, der mit einer klaren und dominanten Stimme spricht. Beamte seines Status haben eine nur eingeschränkte Aussagegenehmigung, was bedeutet, dass er nichts zum Materialeinsatz oder zum Ausbildungsstand der SEK sagen, und auch keine Personenangaben zum eingesetzten SEK-Team machen darf.

Er gibt zunächst an, dass er selbst nicht vor Ort gewesen sei, als Norbert K. festgenommen wurde, der Einsatz zur Festnahme habe wiederum keine 10 Minuten gedauert.

Die Verteidiger von Norbert K. möchten wissen, in welchem Zustand sich ihr Mandant bei Eintreffen der Einsatzkräfte am Festnahmeort befand. War er putzmunter oder verschlafen? Sven M. sagt aus, dass Norbert K. benommen gewirkt habe. Da dies zum aktuellen Zeitpunkt jedoch nicht eindeutig geklärt werden kann, legt das Gericht nun fest, dass der Zeuge an einem der nächsten Verhandlungstage nochmal vernommen und zu diesem Anlass auch der Einsatzfilm gezeigt wird.

Nach der Mittagspause wird nun Kriminalhauptmeister Rüdiger P. (48) vom Polizeipräsidium Dresden gehört. Er habe den Beschuldigten Norbert K. gegen Mittag erstmals gesehen und vernommen. Außerdem habe er eine offizielle Belehrung durchgeführt und vom Beschuldigten eine Bestätigung bekommen, dass er diese Belehrung verstanden habe. Norbert K. sei mit der Vernehmung einverstanden gewesen und habe zum damaligen Zeitpunkt auch keinen Anwalt gewollt, sondern erst bei Gericht. Bei der Vernehmung seien ausreichend Pausen gemacht worden.

Doch erst in einer Pause zwischen 16:05 Uhr und 16:25 Uhr habe sich Norbert K. darauf eingelassen, sich zur Entführung zu äußern. Er habe mitgeteilt, dass Anneli R. tot sei und wo sich der Ablageort ihrer Leiche befinde.

Während dieser Zeugenaussage schüttelt Norbert K. immer wieder den Kopf und bespricht sich mit seinem Anwalt.

Der Zeuge teilt weiter mit, es habe niemals Anzeichen einer Erschöpfung oder eines Schlafmangels bei Norbert K. gegeben. Die Vernehmung habe insgesamt bis 22:15 Uhr gedauert und es habe insgesamt vier Pausen und mehrere Belehrungen gegeben.

Der Verteidiger von Norbert K. möchte nun wissen, welche Kleidung der Beschuldigte anhatte, worauf der Zeuge Antwort weiß. Der Anwalt fragt anschließend weitere Fragen, die aber kein Zeuge beantworten kann und, die auch für das Verfahren juristisch nicht wichtig sind. Zum Beispiel, woher genau der Zeuge gewusst habe, dass Norbert K. ein Beschuldigter ist.

Schließlich werden am Richtertisch Fotos von Norbert K. in Augenschein genommen, die am Tag seiner Vernehmung gemacht wurden, wie der Verteidiger behauptet. Dadurch soll geklärt werden, ob Norbert K. am nämlichen Tag müde war. Die Vorsitzende Richterin kann jedoch keine Müdigkeit erkennen.

Aussage des Mithäftlings von Norbert K.

Nach den Polizisten kommt nun mit Daniel I. (37) ein verurteilter Strafgefangener zur Befragung, der mit Norbert K. circa drei Wochen in Görlitz in einer Zelle eingesessen hat. Er selbst ist vor über drei Jahren wegen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden und sitzt seitdem in der JVA Waldheim ein.

Daniel I. teilt dem Gericht mit, dass Norbert K. ihm erzählt habe, sie hätten das Mädchen entführt und eingesperrt. Später sei das Mädchen tot gewesen. Beide hätten die Leiche vergraben und sich noch über die Tiefe des Lochs gestritten. Norbert K. habe ein tieferes Loch als Markus B. gewollt, weil sonst der Verwesungsgeruch zu schnell bemerkt würde. Die Kleidung des Opfers hätten sie verbrannt. Weiter erzählte Norbert K. seinem Mitinsassen, dass er 400.000 Euro Anteil vom Lösegeld hätte erhalten sollen.

Norbert K. habe ihm des Weiteren berichtet, er sei von Markus B. angerufen worden und sofort zu ihm eilen müssen. Als Norbert K. vor Ort eintraf, habe Anneli R. schon nackt auf dem Boden gelegen und sei blau angelaufen gewesen. Der Grund der Tötung sei Norbert K. nicht klar gewesen. Er habe Daniel I. auch davon erzählt, dass Markus B. das Opfer so betäuben wollte, dass dieses sich an nichts mehr erinnern könnte.

Nun beschreibt Daniel I. recht genau, wie die Leiche nach Norbert K.s Bericht entsorgt worden ist.

In diesem Erzählmoment wendet sich die Familie R. vom Zeugen ab. Anett R. hält eine Hand vor das Gesicht, ihre Mutter schaut ihren Mann an.

Warum Norbert K. und Markus B. ausgerechnet Anneli R. entführt haben, erklärte Norbert K. damit, dass vorab mehrere Personen durch Markus B. ausspioniert worden seien. Dabei offenbarte sich für die beiden Täter letztlich, dass Familie R. viel Geld besitzte und sich eine Entführung samt Erpressung lohnen würde. Markus B. habe durch einen Hauskauf hohe Schulden gemacht und brauche nun entsprechend viel Geld.

Dass der Zeuge Daniel I. heute hier aussagt, ergab sich über die Postkontrolle in der Untersuchungshaft. Er hat in einem Brief an seine Mutter von den Berichten des Norbert K. geschrieben, insbesondere auch deshalb, weil dieser ihm gesagt hatte, dass Markus B. Lebensmittel im Supermarkt „Kaufland“ präparieren wollte, um das Unternehmen zu erpressen. Daher riet er seinen Angehörigen davon ab, dort einzukaufen. Des Weiteren habe Norbert K. ihn genau über den Einführungsablauf informiert. Auch habe Norbert K. erwähnt, dass sein Therapeut ihm geraten hätte, über die Straftat zu reden, weil ihm das psychisch helfen würde. Seine Kooperation mit der Polizei – noch bevor Markus B. dies ebenfalls täte – würde ihm Bonuspunkte einbringen, berichtete Norbert K. dem Mithäftling Daniel I.

Daniel I. weiter: Markus B. sei zu einhundert Prozent der Bestimmende in dem Entführungs- und Tötungsdelikt gewesen, er wäre schlau und gewieft. Außerdem sei Markus B. ein Rocker, wie Norbert K. erwähnte.

Die Nebenkläger-Anwälte befragen den Zeugen nun noch zu weiteren Details der Entführung. Sie wollen unter anderem erfahren, wie der Zugriff auf Anneli R. passierte. Daniel I. erklärt, dass Norbert K. ihm beschrieben habe, Markus B. wäre aus einem Gebüsch heraus auf Anneli R. zugesprungen und hätte sie vom Fahrrad gestoßen. Das Handy von Anneli sei später in die Talsperre geworfen worden.

Jetzt fragen die Verteidiger von Markus B. nach dem Grund der Inhaftierung von Daniel I. Er teilt mit, dass er wegen Handels mit Crystal in insgesamt sechs Fällen (650 bis 700 Gramm) verurteilt worden sei. Auf die Frage, ob er denn Vorteile durch seine Aussage zu erwarten hätte, antwortet Daniel I., dass er eher mit Nachteilen rechnen müsse. Der psychologische Sachverständige fragt den Zeugen nun, wie er denn Norbert K. erlebt habe? „Als einen ganz normalen Mann, dem ich das nicht zugetraut hätte.“, antwortet der Zeuge.

Damit endet der Verhandlungstag um 15:02 Uhr.


Bildquelle: Stefan Bisanz

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