Achter Verhandlungstag

Der achte Verhandlungstag beginnt 9:07 Uhr, es sind zwei Kamerateams vor Ort, etwa zehn weitere Journalisten, zwei Fotografen sowie rund 30 Zuschauer.

Die drei Zeugen des Vormittags sind Polizeibeamte der Polizeidirektion Dresden, die der SOKO Marie angehörten. Sie waren insbesondere mit der Auswertung der Verbindungsdaten der jeweiligen Telefonanschlüsse beschäftigt und darüber hinaus mit der Recherche der persönlichen Verhältnisse und Finanzen der Angeklagten betraut.

Bei den Familienverhältnissen ging es auch um die Vita der Angeklagten und Informationen über deren Familie und Freunde. Hierbei wurde festgestellt, dass der Angeklagte Markus B. ein Prepaid-Handy auf den Namen Helmut Meyer in seinem Eigentum hatte und mit diesem auch zum Tatgeschehen telefonierte. Im Rahmen eines früheren Verhandlungstages wurde bereits über ein Telefonat zwischen den beiden Angeklagten berichtet. Bei diesem Telefonat unterhielten sich die beiden über die Entführung so, als ob sie es als unbeteiligte Dritte betrachten würden. Eine Zeugin teilt mit, dass sie sich sehr zynisch und sarkastisch über die Entführung unterhalten hätten und dass genau dieses Verhalten sie bei der Polizei äußerst verdächtig gemacht habe. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass am 11. August bereits der erste Versuch einer Entführung der Anneli R. stattgefunden hat.

Es ist durchaus ‚üblich‘, dass es bei Entführungsfällen mehrere Versuche oder Generalproben seitens der Täter gibt.

Bei der Überprüfung der Festplatten wurde festgestellt, dass sich Markus B. in den letzten Wochen vor der Tat insbesondere mit den folgenden Themen beschäftigte: Betäubungsmittel, Entführung, Auslandskonto, Anneli R., Ramona R., Ersticken, Ersticken durch Plastiktüte, Äther-Betäubung, Polizei Dresden, Rattengift, Nachrichten MDR.  Ebenfalls gab es am 27. Juli einen Anrufversuch bei Ramona R. Am gleichen Tag wurde die Facebook-Seite von Uwe R. durch den Angeklagten Markus B. gelikt. Außerdem schickte Markus B. am 27. Juli ein Foto an seine Mutter, auf dem ein Reh und im Hintergrund das Hausdach der Familie R. zu sehen ist.

Darüber hinaus wurde eine Polizeipanne der Verhandlungsgruppe durch die TKÜ bekannt: Am 14. August wurde Uwe R. auf seinem Handy von Markus B. angerufen. Dieses Handy war zur Verhandlungsgruppe des LKA umgeleitet – allerdings wurde dieser Anruf nicht entgegengenommen. Warum, konnte nicht ermittelt werden.

Bei der Befragung wurden insbesondere bei vielen Zeugen zunächst Fragen des Angeklagten Norbert K. durch den Anwalt K. gestellt, die die Zeugen zuständigkeitshalber nicht beantworten konnten. Eine natürliche Reaktion des Menschen ist es, sich in die Defensive gedrängt zu fühlen. Nach zwei bis drei Fragen dieser Kategorie stellt der Anwalt dann eine Frage, die ihn wirklich interessiert und die von den Zeugen auch beantwortet werden kann. Da der jeweilige Zeuge dann froh darüber ist, eine Antwort geben zu können, beantwortet er diese Fragen dann intensiver als es eigentlich notwendig oder gewollt war. Dadurch erfährt der Anwalt mehr, als wenn er die Frage direkt am Anfang gestellt hätte.

Zu den persönlichen Verhältnissen und Finanzen des Angeklagten Norbert K.: Er hatte drei Gewerbe angemeldet – eines für Finanzen und Versicherungen, eines als Handelsvertreter und das Dritte zum Themenbereich Edelmetalle. Insgesamt hatte er Schulden von circa 40.000 Euro. In den Jahren vor der Tat hat er Leistungen von der Arbeitsagentur erhalten, die inklusive Mietzuschuss monatlich 801 Euro ausmachten. Der Angeklagte Norbert K. wurde dreimal geschieden, hat drei Geschwister und eine Ausbildung zum Floristen abgeschlossen.

Bei dem Angeklagten Markus B. war die Recherche komplizierter, da es sehr viele falsche Angaben gab. Diese falschen Angaben wurden insbesondere durch Markus B. selbst gemacht. Er habe sowohl eine Ausbildung zum Fleischer wie auch zum Dachdecker gemacht, diese aber beide nicht abgeschlossen. Anfang der 2000er Jahre war er für ein Jahr wegen Betruges in der JVA Stuttgart. Ab 2005 hatte er ein Gewerbe als Koch, Caterer und Eventmanager angemeldet. Zwischen 2009 und 2012 musste er keine Steuererklärung beim Finanzamt abgeben, weil er mitteilte, dass er in der JVA Stammheim eingesessen habe. Dies entsprach nicht den Tatsachen, wurde aber seitens des Finanzamtes nicht überprüft. Dem Arbeitsamt gegenüber machte Markus B. glaubhaft, dass er einen Abschluss als Bachelor of Arts gemacht habe. Daraufhin wurde er in die Qualitätsstufe 1 eingestuft und bekam so den höchsten Satz von Euro 1.300 Euro. Seine Schulden betrugen 571.000 Euro, die auf folgende Ausgaben zurückzuführen sind:  Hauskauf über 350.000 Euro, Gartengestaltung 77.000 Euro, Malerarbeiten 10.000 Euro, neue Küche 24.000 Euro sowie Maklerkosten in Höhe von 11.000 Euro. Markus B. wurde 1976 geboren, war verheiratet, hatte zwei Kinder und die Mittlere Reife. Alle weiteren Angaben seines Lebenslaufes waren falsch. Er erzählte, dass er dem Rocker Club MC Gremium angehört habe und wegen Zuhälterei und illegalen Waffenbesitzes zehn Jahre im Gefängnis gewesen habe. Auch diese Story ist gelogen.

Als letzte Zeugin vor der Pause erscheint Frau Katrin K., die dritte geschiedene Frau von Norbert K. Die 55-jährige Lehrerin aus Dresden verweigert jedoch die Aussage.

Nach der Mittagspause erstattet der sachverständige Rechtsmediziner Dr. Schmidt sein Gutachten zur Obduktion der Leiche von Anneli R.

Die Eltern von Anneli sind nun nicht mehr im Saal, und der Zeuge spricht auch die Schwester Annett R. an, ob sie weiter anwesend sein möchte, was diese bejaht. Diese zweieinhalb Stunden andauernde Zeugenaussage über jedes Detail möchte ich hier den Lesern ersparen und aus Respekt vor der Familie nicht detailliert darlegen. Eine genaue Wiedergabe des Sektionsprotokolls und weitere Angaben halte ich nicht für angebracht.

Ich höre nicht zum ersten Mal einen Obduktionsbericht. Dieser hier ist allerdings sehr, sehr schwer zu ertragen. Wie die Schwester von Anneli R. das alles so verkraften kann, kann ich mir kaum erklären.

Zum Ende des Verhandlungstages gibt das Gericht bekannt, dass alle weiteren Zeugen des Prozesses bis zum 18. August vernommen werden und die Beweisaufnahme durch das Gericht dann geschlossen werden soll. Falls die Parteien noch weitere Zeugen hören wollten, so sollen sie diese zeitnah benennen.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

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