Alle Artikel in Kategorie: Maskenmann-Prozess

Erneute Widersprüche bei Polizeibeamtem

Als erster Zeuge am heutigen, 42. Verhandlungstag, ist Rainer P. vor Ort. Ihm gehört ein Grundstück in der Nähe des Tatortes des Verbrechens gegen Stefan T.

Rainer P. hatte in der Tatzeit ein Fahrrad neben seinem Grundstück gesehen, dies erschien ihm ungewöhnlich, da er seit zehn Jahren dort wohnt und niemals ein Fahrrad dort bemerkt hatte.

Widersprüchliche Kritik eines Polizisten

Zehn Minuten später wird der zweite Zeuge aufgerufen, der uns mittlerweile gut bekannte Polizeioberkommissar Lutz B. Er war am 1. und am 18. Dezember 2014 schon einmal im Zeugenstand. Er ist der Beamte, der sich selbst und seine Vorgesetzten wegen verschiedener Delikte angezeigt hatte. Diese Anzeigen waren alle so inhaltslos, dass sie nicht weiter verfolgt worden waren. Auch bei seinen ersten Auftritten vor Gericht hat er viele unterschiedliche, teilweise sehr diffuse Aussagen getätigt. Alle seine haltlosen Vorwürfe gegenüber seiner Behörde und seinen Vorgesetzten wurden durch die Nebenklägervertreter sehr deutlich entkräftet.

Erneute Widersprüche bei Polizeibeamtem

Es ist spannend zu erwarten, welche Zeugenaussage Lutz B. heute tätigt und ob er bei seinen haltlosen Aussagen bleibt.

Die ersten zwei Vernehmungsstunden, die von der Befragung durch den Verteidiger Axel W. geprägt sind, stellen sich relativ ruhig dar. Der Zeuge beantwortet besonnen und sachlich die Fragen, die Axel W. stellt. Inhaltlich geht es hier insbesondere um den E-Mail-Verkehr zwischen dem Zeugen und dem Opfer Stefan T. Zwischen beiden Männern sind über 80 Mails hin und her gesendet worden. Die Frage von Axel W., ob der Zeuge Lutz B. mit dem Opfer Stefan T. über den E-Mail-Verkehr hinaus über den Inhalt der Ermittlungsverfahrens gesprochen hat, verneint der Zeuge.

Des Weiteren geht es um den Punkt, dass der Zeuge Lutz B. erzählte, sein Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar K., habe in einer morgendlichen Besprechung berichtet, mit dem Zeugen Christian P. per du und mit ihm essen gewesen zu sein. Dabei wurde auch eine Zigarre geraucht. Der Zeuge Lutz B. stört sich daran, dass sein Vorgesetzter einen Zeugen mit Vornamen anspricht und duzt. Zu dieser Aussage hält der Nebenklägervertreter Dr. Panos P. dem Zeugenim Folgenden seine eigenen E-Mails an Stefan T. vor.

Dr. Panos P. zitiert etliche Fundstellen, die auch ein sehr persönliches Annäherungsverhältnis von Lutz B. an das Opfer Stefan T. aufzeigen. Zum Beispiel beginnt die Anrede weder mit „Sehr geehrter“ oder „Hallo“, sondern mit „Lieber“. Und auch als Grußformel am Ende wird „Liebe Grüße“ geschrieben. Weiterhin finden sich Textzeilen mit „ganz, ganz lieben Dank“ oder „lieben, lieben Dank“, die ebenfalls eher auf ein persönlicheres Verhältnis hindeuten. Auch Weihnachts- und Neujahrsgrüße werden seitens des Zeugen Lutz B. mit dem Opfer ausgetauscht. Ebenso hat Lutz B. seine private Telefonnummer sowie seine Erreichbarkeitsbereitschaft rund um die Uhr angedient.

Die Frage, die sich mir stellt: warum kritisiert er ein Verhalten bei seinem Vorgesetzten, wenn er doch selbst ein Ähnliches an den Tag legt?

Weiterhin geht es um die Frage, ob zum Beispiel die Kollegen aus Cottbus und Neuruppin (die jeweils mit 7 Beamten zur SoKo abgeordnet waren) ebenso wie die Potsdamer Kollegen kritisch zu den Aussagen des Opfers Stefan T. standen. Diese Frage kann Lutz B. nur zurückhaltend und dahingehend beantworten, dass weitere Kollegen sich wohl nicht trauten, Kritik zu äußern. So nimmt Lutz B. an, der Kollege Sch. und die Kollegin B. wären auch kritisch gewesen, hätten aber Angst gehabt, sich zu äußern.

Weiterhin ist Lutz B. auch der Meinung, dass die Festnahme des Beschuldigten Mario K. im September – drei Wochen vor den Tat-Jahrestagen am 2. und am 5. Oktober – zu früh erfolgt ist. Man hätte die Jahrestage abwarten sollen, um festzustellen, ob der Täter (und damit vielleicht gleichzeitig der Beschuldigte) an diesen Tagen wieder tätig wird. Lutz B. beschreibt seine Täter-Logik so, dass wenn es an diesen Tagen keine weitere Tat gegeben hätte, Mario K. nicht der Schuldige ist.

Diese Annahme ist kriminalistischer Unsinn, da es bei beiden Tatkomplexen ein hohes Maß an Vortatverhalten gegeben hat. Da Mario K. seit mehreren Wochen und Monaten unter Observation stand, wären diese Tatvorbereitungshandlungen den Observationskräften aufgefallen.

Nach all dieser Fragerei rückt Lutz B. nun mit einer Skandalantwort heraus. Er teilt mit, dass die Kriminalbeamtin, die den Schlussbericht für Staatsanwaltschaft abgefasst hat, von ihrem Vorgesetzten dem K-Leiter K., die Anweisung erhalten habe alle entlastenden Beweispunkte gegen den Beschuldigten aus dem Abschlussbericht herauszunehmen. Daraufhin habe sich die Beamtin B. geweigert, diesen Abschlussbericht zu unterschreiben.

Dieses wäre bei wahrheitsgemäßer Aussage wirklich der erste Skandal dieses Prozesses! Doch glauben kann ich die Aussage nicht. Insofern muss man sich die Frage stellen, worin die Motivation von Lutz B. liegt, diese Aussage zu tätigen? Oder wird er vielleicht fremdgesteuert? Wäre das der Fall – was ebenso skandalös wäre –, müsste überlegt werden, aus welchem Bereich diese Fremdsteuerung kommen kann. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Lutz B. verwirrt ist, was wiederum zumindest weniger skandalös wäre.

Nach dieser heftigen Aussage beantragt die Verteidigung beim Vorsitzenden Richter eine Unterbrechung und Besprechung unter Ausschluss der Öffentlichkeit; dem Antrag wird stattgegeben.

Anschließend wird Zeugin B. gehört. Sie ist Polizeibeamtin der Polizeidienststelle Ost in Frankfurt (Oder) und gehörte zum Auswerteteam. Auf Befragen berichtet sie, dass sie am oben aufgeführten Schlussbericht nicht beteiligt war, denn zum Zeitpunkt der Erstellung desselben, am 13. Januar 2014, war sie nicht mehr in der SOKO. Ebenso wenig war sie für Spuren des Mario K. zuständig.

Der Aussage von Lutz B. widerspricht die Zeugin B. Sie kann sich nur an einen Zwischenbericht in tabellarischer Form erinnern, in dem eine Tabelle für belastendes Material und eine Tabelle für entlastendes Material erstellt werden sollte. Später wurde entschieden, dass nur die Tabelle für belastendes Material erstellt werden sollte. Doch, ob das tatsächlich so durchgeführt worden ist, kann sie nicht bestätigen.

Auf die Frage des Richters, ob sie Kenntnis von unkorrekten Ermittlungsmethoden innerhalb der SOKO hat, antwortet sie mit einem klaren Nein. Auch eine Aufforderung zum absichtlichen Weglassen irgendwelcher Punkte gab es ihr zufolge nicht. Die Zeugin schließt noch einmal deutlich aus, dass sie gesagt haben soll, sie wolle einen Bericht nicht unterschreiben, weil sie vorher aufgefordert worden sei, entlastendes Beweismaterial wegzulassen. Der Verteidiger Axel W. fragt in diesem Punkt mehrfach nach. Die Zeugin antwortet mehrfach dasselbe.

Die Staatsanwalt fragt die Zeugin dann zum abgelehnten Gutachten der ebenso abgelehnten Sachverständigen G. und wie mit diesem umgegangen wurde. Die Zeugin sagt aus, dass der Leiter der SOKO, Kriminalhauptkommissar K., bei einer Frühbesprechung darüber gesprochen hat. Bei weiterem Nachfragen, ob dieses Gutachten nicht in die Akten sollte, bestätigt die Zeugin, dass das bei einer Frühbesprechung nicht angeordnet wurde.

Hiernach wird wiederum der Zeuge Lutz B vernommen. Er wird von Verteidiger Axel W, mit der vorherigen Aussage der Zeugin B. konfrontiert. Er äußert, dass er darüber schockiert sei. Lutz B. wird danach gefragt, woher denn seine Erkenntnisse zu diesem Sachverhalt kommen. Hierauf antwortet er, dass ihm die Kriminaloberkommissarin B. erzählt hätte, dass sie diese Aussage von der Zeugin B. erhalten haben soll, die kurz vor ihm heute im Gericht gehört wurde. In der vorherigen Zeugenaussage der Kriminaloberkommissarin B. gab es keine Einlassung zu diesem heute erörterten Punkt.

Interessant ist, dass Lutz B. sich erst jetzt darauf einlässt, woher er diese Kenntnis erhalten hat. In der vorherigen Vernehmung sagte er noch, dass er diese Aussage direkt von der Zeugin B. erhalten hätte.

Hiernach beginnt der Nebenklägeranwalt Dr. Panos P. seine Befragung. Er möchte wissen, warum der Zeuge diesen Sachverhalt seiner sogenannten Selbstanzeige (22 Seiten) nicht beigefügt hat. Außerdem fragt er, warum Lutz B. in seiner Selbstanzeige oder bei seiner heutigen Aussage außerdem nicht erwähnt hat, dass er von dem Gutachten der Sachverständigen G. bereits am 26. Februar 2013 über den Kollegen Sch. erfahren hat. Auf beide Fragen antwortet der Zeuge, dass er nicht mehr weiß, warum sich beides so zugetragen hat.

Da der Zeuge gemutmaßt und behauptet hat, dass das Gutachten der Sachverständigen G. absichtlich aus den Fallakten ferngehalten wurde, zählt Dr. Panos P. auf, wer alles Kenntnis von diesem Gutachten hatte. Ohne nun eine genaue Aufzählung folgen zu lassen, kann hier valide wiedergegeben werden, dass alle in diesem Fall eingesetzten Leitungskräfte und deren Vorgesetzte – also insgesamt circa 20 Personen – vom Gutachten der Sachverständigen G. Kenntnis hatten.

Trotzdem bemängelt Zeuge Lutz B., dass dieses Gutachten geheim gehalten werden sollte, weil er davon ja nichts wusste.

Die Staatsanwältin befragt den Zeugen zu seiner Anzeige wegen Körperverletzung gegen seinen Vorgesetzten. Das wiederum begründet der Zeuge damit, dass er mit seinem Vorgesetzten ein lautes und hartes Gespräch hatte. Dies zeichnete sich auch durch unsachliche und diskriminierende Inhalte aus, woraufhin er, Lutz B., krank wurde, weswegen er seinen Vorgesetzten wegen Körperverletzung angezeigt hat.

Auch taucht noch einmal die Frage auf, warum der Zeuge Lutz B. nach seiner ersten Vernehmung des Zeugen Stefan T. am 8. Oktober 2012 in Berlin, keinen Vermerk geschrieben hat. Eine Antwort hierzu hat der Zeuge nicht.

Der Nebenklägeranwalt Jakob D. fragt den Zeugen nach dem Bericht, den er und sein Kollege Sch. nach ihrem Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt S. in Bezug auf die Widersprüche zum Tatkomplex Stefan T. erstellen sollten. Dieser Bericht wurde selbst nach fünf Monaten durch Lutz B. nicht angefertigt. Hierzu kann der Zeuge keine Erklärung abgeben. Anwalt Jakob D. hält dem Zeugen Lutz B. vor, dass dieser daran festhält, dass er das vom Gericht zurückgewiesene Gutachten der Sachverständigen G. hätte einsehen und danach handeln müssen; ganz unabhängig von der Kenntnis, dass die Gutachterin vom Gericht wegen Befangenheit abgelehnt wurde und daher ihre Fallanalysen unberücksichtigt bleiben.

Danach kommt es durch den Anwalt Jakob D. noch einmal zu einer Zusammenfassung der wichtigsten Aussagepunkte von Lutz B., etwa dass dieser vor Gericht gesagt hat, es gebe keine Widersprüche in der Aussage von Stefan T.. Zudem hat der Saal heute gehört, dass keine Beweise zur Entlastung des Beschuldigten unterschlagen worden sind. Trotz alldem bleibt Lutz B. unbelehrbar.

Aufgrund der heutigen Aussagen weist das Gericht an, dass zum nächsten Verhandlungstag erneut die Kriminaloberkommissarin B. und der Kriminaloberrat Sch. geladen werden.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Aussagen eines Kommissars auf dem Prüfstand

Der 41. Verhandlungstag am 18. Dezember 2014 ist der letzte vor der Weihnachtspause in diesem Jahr und er erregt noch einmal erhöhte Aufmerksamkeit. Einige Medienvertreter und viele Zuschauer, insbesondere Polizeibeamte, sind heute anwesend.

Heute ist zur weiteren Vernehmung der Kriminaloberkommissar (KOK) Lutz B. bei Gericht. Er war bereits am 1. Dezember 2014 zur Zeugenvernehmung anwesend. Lutz B. hatte öffentlichkeitswirksam erhöhte Aufmerksamkeit erregt, da er sich in seiner Ermittlungsarbeit derartig durch seinen Vorgesetzten behindert gefühlt hatte, dass er sowohl den Vorgesetzten als auch sich selbst angezeigt hat. Heute erklärt er vor Beginn der eigentlichen Vernehmung, dass er diese Anzeige absichtlich bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin gestellt hat, weil er nicht wollte, dass diese Anzeige Einfluss auf den „Maskenmann–Prozess“ in Frankfurt (Oder) hat. Diese Einlassung von einem erfahrenen, seit 34 Jahren im Dienst befindlichen Polizeibeamten zu hören ist verwunderlich.

Aussagen eines Kommissars auf dem Prüfstand

Als Erster befragt der Nebenklägervertreter von Petra P., Anwalt Jakob D., den Zeugen, ob er denn mit jemandem über den Prozess gesprochen hätte. Dies beantwortet Lutz B. mit „Nein“. Ob er denn Anlass zur Annahme der Vortäuschung einer Straftat im Tatgeschehen Stefan T. gehabt hätte. „Nein“ antwortet der Zeuge Lutz B auch hier.

Danach liest der Nebenklägervertreter einen Passus aus der 20-seitigen Selbstanzeige vor, der im direkten Widerspruch zu seiner eben gemachten Aussage steht. Weiter wird die Frage gestellt, ob der Zeuge Lutz B. angenommen hatte, dass Stefan T. auch der Täter ist?

Noch sitzt der Zeuge selbstsicher in seinem Stuhl. Er gibt an, dass er sich auf den heutigen Vernehmungstag bei Gericht vorbereitet, noch ein intensives Aktenstudium betrieben und sich verschiedene DVDs der Zeugenaussagen von Stefan T. angeschaut hätte. Insbesondere betont er nochmals die Aussage, dass es eine klare Aussage von Stefan T. gibt, in der dieser sagt, dass er seine Brille mit verbundenen Augen in eine Astgabel gehängt hätte. Auch auf weiteres und sehr direktes Nachfragen durch Anwalt Jakob D. bestätigt der Zeuge, Lutz B., die eben gemachte Aussage.

Im weiteren Verlauf thematisiert ein weiterer Nebenklägervertreter, Manuel O., das besagte Video. Er hält dem Zeugen Lutz B. die auf dem Video zu sehende Aussage entsprechend mündlich vor. Stefan T. sagt aus, er habe die Brille in den Ast gehängt, weil er sie ja mit verbundenen Augen nicht brauchte. Daraus hat der Zeuge Lutz B. abgeleitet, dass Stefan T. tatsächlich verbundene Augen gehabt hatte; allerdings stand das tatsächliche Verkleben der Augen erst kurz bevor. Tragisch an dieser falschen Interpretation durch den Zeugen und erfahrenen Ermittler Lutz B. ist, dass hieraus sein Verdacht der Vortäuschung einer Straftat der Entführung des Opfers Stefan T. begründet wurde. Da diese unterschiedlichen Aussagen eine so hohe Diskrepanz aufweisen, besteht der Verteidiger des Beschuldigten, Axel W., auf einer Vorführung der Original-DVD dieser Aussage.

Wir alle sehen im Gericht die Videoaussage von Stefan T. Zu diesem Zeitpunkt müssen wir sehen, dass sich der Zeuge Lutz B. dramatisch geirrt hat – und die Aussage so richtig ist, wie die Nebenkläger sie vorgetragen haben.

Auch an diesem Beispiel bemerken wir die besondere Tragik des KOK Lutz B. Wie sehr er sich in einem Tunnelblick befindet und klare Aussagen nur so auswertet, wie es seiner Zeugenaussage zugutekommt.

Auf die Frage des Nebenklägers, wie sich denn ein Opfer fühlen müsste, wenn es bei der eigenen Entführung der Vortäuschung einer Straftat belastet wird, antwortet der Zeuge: „beschissen“.

Ein weiterer Punkt, an dem der Zeuge Lutz B. seinen Verdacht der Vortäuschung einer Straftat festgemacht hat, war, dass der Täter dem Opfer Stefan T. vor der Augenverklebung Ohropax in die Ohren gesteckt hat. Und zwar aus dem Grund, weil die Ohropax-Variante des Verbrechers, die gleiche ist, wie Stefan T. sie beim Schwimmen im Süßwasser benutzt.

Hieraus hat der Zeuge den Zweifel entnommen, woher denn der Täter wissen könne, dass Stefan T. diese Ohropax-Sorte beim Schwimmen benutze. Dass der Täter dem Opfer Stefan T. diese Ohropax nicht direkt beim Betreten des Sees und beim Transport über das Wasser gegeben hat, sondern erst kurz vor der Verklebung, lässt den Schluss eindeutig zu, dass es hierbei nicht um das Vermeiden einer Ohrenkrankheit ging, sondern ausschließlich darum, die Wahrnehmung auf akustische Geräusche deutlich einzuschränken. Auch dieser Umstand muss einem erfahrenen Ermittler unbedingt auffallen.

Hiernach beginnt die Verteidigung mit Axel W. ihre Befragung des Zeugen. Einleitend wird nach dem Werdegang von Lutz B. gefragt, der seit 2002 in der Mordkommission tätig ist und vorher unter anderem in den Kommissariaten Raub, Erpressung und Bandenkriminalität eingesetzt war. Lutz B. erzählt, dass er am 8. Oktober 2012, einem Montag, ganz normal zum Dienst ging; vorher befand er sich im Urlaub. Er fuhr mit zwei Kollegen zur Vernehmung von Stefan T. Sein Kollege Willmar F. hat die Vernehmung geführt, er selbst hat zugehört.

Einen üblichen Eindrucksvermerk zu dieser Vernehmung hat Lutz B. nicht geschrieben. Während dieser Vernehmung hat sich der zuständige Polizeipräsident telefonisch bei Stefan T. gemeldet und ein circa acht- bis zehnminütiges Telefonat geführt. Nochmals wird er nach dem „sogenannten Urlaub“ der Familie T. befragt. Hier hatte er deutliche Bedenken, die er allerdings niemals gegenüber seinen Kollegen, Vorgesetzten und der Familie geäußert hat. Es wird festgestellt, dass niemand der Polizei Einwände gegen diese Reise hatte. Die eingeteilten Personenschützer vom LKA Brandenburg befürworteten diese Abstandsreise sogar. Eine Erreichbarkeit war gegeben.

Der Beschuldigte Mario K. ist immens gelangweilt von der Befragung seiner Verteidiger und starrt Löcher in die Luft.

In der weiteren Vernehmung durch den Verteidiger Axel W. stellt sich heraus, dass der Zeuge Lutz B. einen Selbstversuch durchgeführt hat. Er hat sich mit einem Panzerband so gefesselt, wie er es den Aussagen von Stefan T. in seinen Vernehmungen entnehmen konnte. Im Weiteren hat er auch versucht, sich einen Silikonschlauch in den Mund und durch das Panzerband zu stecken. Dieser Versuch ist gescheitert. Nach zwei Stunden mit umklebtem Kopf hielt er es nicht mehr aus. Es war ihm einfach zu schmerzhaft und auch beim Abreißen des Panzerbandes sind ihm einige Haare und Augenbrauen mit ausgerissen worden.

Diese Experimente und Selbstversuche helfen einem Ermittler sicherlich, sich einen besseren Eindruck zu verschaffen. Dass der Zeuge Lutz B. aussagt, dass er diesen Selbstversuch erst vor einigen Wochen, das heißt über zwei Jahre nach der Tat durchgeführt hat, ist mehr als verwunderlich und auch ärgerlich. Wenn er dieses Experiment zeitnah nach dem Tatgeschehen durchgeführt hätte, hätte es in beiderlei Richtungen Erkenntnisse daraus geben können. Dadurch, dass er ihn erst jetzt durchgeführt hat, kann seine Motivation für diesen Selbstversuch nur die Rettung seiner eigenen Aussage bedeuten.

Der Zeuge hat in seinen beiden Vernehmungstagen versucht, seinen ungeheuerlichen Vorwurf gegenüber dem Opfer Stefan T., die Vortäuschung einer Straftat, mit vielen Beispielen zu rechtfertigen. An beiden Tagen haben ihm die Vertreter der Nebenkläger mehrfach und eindeutig bewiesen, dass er im Unrecht war:

Im weiteren Verlauf der Befragung durch den Verteidiger Axel W. geht es wieder einmal um das Gutachten der Sachverständigen Frau G. aus Magdeburg. Hier wird danach gefragt, in welcher Art und Weise der Zeuge Lutz B. davon wusste und in welchem Maße er auf dieses Zugriff hatte. Hierzu antwortet Lutz B., dass er von diesem Gutachten lange Zeit nichts wusste und er es später im Büro seines Vorgesetzten lesen durfte.

Warum diese Fragen wichtig sind, da dieses Gutachten aufgrund eines Befangenheitsbeschlusses gegen die Sachverständige durch das Gericht keinerlei Einfluss im Prozess hat, ist mir wieder einmal schleierhaft.

Ablehnung des Beweisantrags zur Stimmerkennung

Am Ende dieses letzten Verhandlungstages des Jahres 2014 gibt das Gericht noch einen Beschluss bekannt: Der bedingte Beweisantrag der Verteidigung zum Schriftgutachten im Tatgeschehen Stefan T. durch das LKA Brandenburg (das Experiment zur Stimmerkennung), wird abgelehnt. Das Gericht gibt bekannt, dass es sich hierbei um kein rechtswidriges Experiment gehandelt hat. Die Wertung und Beurteilung dieses Gutachtens bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

Höchste Brutalität: Täter und Angeklagter

Der 40. Verhandlungstag am 16. Dezember 2014 beginnt mit der Vorführung einer DVD, die eine Tatrekonstruktion mit Torsten H. als Zeugen zeigt, aufgenommen am 1. August 2012. Thema ist das Tatgeschehen zum Nachteil von Louisa P. und Torsten H., zu sehen sind auch die Tatschauplätze.

„Der erste Schuss galt ganz klar mir“ – das Opfer Torsten H. in der Vernehmung

Torsten H. war als Sicherheitsmitarbeiter am Wohnort der Familie P. tätig. Er wurde nach dem Überfall auf Petra P. (22. August 2011) beauftragt.

In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 2011, dem Tattag, waren Torsten H. und sein Bruder Matthias H. im Einsatz. Dieser Dienst dauerte jeweils von 20:00 Uhr abends bis 8:00 Uhr morgens und wurde regelmäßig mit zwei Mitarbeitern durchgeführt. Die Tagesschicht von morgens 8:00 Uhr bis abends 20:00 Uhr war jeweils mit einem Sicherheitsmitarbeiter besetzt.

Höchste Brutalität: Täter und Angeklagter

Torsten H. berichtet auf Befragen der Polizeibeamten, dass der Dienst „bis der ganze Spaß begann“ normal verlief. Bevor sich Petra P. und Louisa P. zur Nachtruhe begaben, gab es noch eine gemeinsame Hunderunde. Auch das war ganz normal.

In der Nacht haben die beiden Brüder dann Rundgänge auf dem Objektgelände mit Taschenlampe durchgeführt. Ein entsprechendes Wach- oder Dienstbuch, in der diese Runden hätten eingetragen werden können, wurde nicht geführt.

Der Beschuldigte Mario K. schaut sich diese DVD sehr interessiert an, so wie er es bisher noch nicht getan hat. Man könnte meinen, er ergötzt sich an den Bildern.

Torsten H. berichtet in der Vernehmung weiter, dass beide Brüder keine Waffen getragen haben, weil es ja kein bewaffneter Personenschutzauftrag war. Mitunter habe er aber sein Pfefferspray mit sich geführt, berichtet Torsten H.

Ab 6:00 Uhr morgens kümmerte sich Louisa P. um die Versorgung der Pferde. Der Morgen verlief zunächst wie immer. Zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr wurden die Pferde von den Ställen auf die Koppel gebracht. Paul, der Hund, war am Morgen des 2. Oktobers 2011 nicht dabei; vielleicht hätte der etwas bemerkt, vermutet Torsten H.

Die Sicherheitsmitarbeiter sind immer mit Louisa P. mitgegangen, wenn sie die Pferde zur Koppel gebracht hat. An diesem Morgen war nichts auffällig; sie sind mit den Pferden denselben Weg wie immer gelaufen. Auf dem Rückweg dann, etwa auf der halben Strecke, hatte Thorsten H. „so ein Gefühl“ und drehte sich um. Plötzlich stand da ein Mann im Tarnanzug und mit einer Kopfmaske. „Mein erster Gedanke war: das ist so ein „Gotcha-Affe“, mit dem ich mich jetzt am frühen Morgen rumärgern muss“, so Torsten H. in der Vernehmung.

Der Angreifer war circa 180 Zentimeter groß, etwa 30-35 Jahre, hatte eine normale Figur und trug unter seinem Tarnanzug vermutlich eine Schutzweste. Und er machte klare Ansagen, denn ganz deutlich befahl er: „Mädel, leg dich hin!“. Doch Louisa P., die hinter Torsten H. stand, war wie zu einer Salzsäule erstarrt. Dann ging sie auf die Knie und Torsten H. sagte zu ihr, dass sie aufstehen solle, und dann: „Louisa, lauf los!“.

Louisa P. rannte los, während Torsten H. die Entfernung zum Angreifer verringerte. Dieser nimmt nun den gestreckten rechten Arm mit Waffe runter, lädt durch und schießt auf Torsten H. Der Sicherheitsmitarbeiter hatte plötzlich das Gefühl, von einem Starkstromschlag getroffen worden zu sein. Der Angreifer habe ihn regelrecht aus dem Weg geschossen.

„Der erste Schuss galt ganz klar mir.“, sagt Torsten H. Dann folgten zwei weitere Schüsse, die auf Louisa P. abgefeuert worden sind. „Mir war klar, ich war raus. Ich habe meine Mütze vom Kopf genommen, das Handy draufgelegt und telefoniert. Zuerst habe ich die Polizei angerufen, dann meinen Bruder, dann meinen Chef. Danach habe ich einen Freund angerufen, der auch in der Sicherheitsbranche arbeitet, und habe länger mit ihm gesprochen. Da ich kein Blut an den Händen hatte, habe ich Elektronen von einer Elektroschockpistole (Taser) gesucht. Später habe ich bemerkt, dass es „ein großer Schaden war“, berichtet Torsten H.

Vorher hatte der Angreifer noch zu ihm gesagt, „Leg dich hin oder ich schieß dir ’ne Kugel in den Kopf.“. Der Angreifer habe wohl aus Angst geschossen, weil er gemerkt hatte, dass die Situation nicht so läuft wie geplant. Torsten H.: „So hat sich das ganze Theater abgespielt.“

Seit diesem gemeinen und menschenverachtenden Angriff des Täters sitzt Torsten H. querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Als die Polizei sich bei ihm für seine Bereitschaft zur Durchführung dieser Tatrekonstruktion und für seine Aussage bedankt, sagt Torsten H. bemerkenswerterweise, dass es ja auch schlimmer hätte kommen können.

Klar ist auch, dass der Täter diese Tat mit hohem Aufwand vorbereitet hat, sowohl in der Infrastruktur, als auch im Zeitaufkommen (wochenlanges Ausspähen). Damit ist dem Täter auch zu unterstellen, dass er ganz bewusst eine scharfe Waffe mitgeführt hat, um die Sicherheitsmitarbeiter je nach Lage aus dem Weg zu räumen. Da der Täter nicht in die Beine geschossen hat, sondern gezielt auf den Oberkörper, ist ihm ebenfalls zu unterstellen, dass ihm das Leben von Torsten H. völlig egal war. In diesem Handeln ist die große Brutalität des Täters zu erkennen. Er handelte aus Habsucht und Mordabsicht, um Louisa P. entführen zu können. Diese besonders schwere Brutalität hat am letzten Verhandlungstag auch der Sachverständige H. dem Beschuldigten Mario K. deutlich zugeschrieben. Somit ist auch hier eine Deckungsgleichheit zu vielen anderen Indizien zu erkennen.

Enttäuschendes Verhalten der Verteidigung

Warum die Verteidigung unmittelbar nach dieser bedrückenden DVD-Vorführung unbedingt noch eigene DVDs abspielen musste, war für mich absolut nicht nachvollziehbar. Dieser Moment hätte dem Opfer Torsten H. gehört. Die Verteidigung hat schon mehrfach während des Prozesses ihr rücksichtsloses Verhalten gegenüber den Opfern gezeigt, so auch hier.

Zu sehen waren vier Sequenzen, die jeweils nicht länger als 15 bis 20 Sekunden dauerten. Die Clips zeigten die Verteidiger an der Villa von Stefan T., die Verteidiger auf der Opfer-Insel sowie den Verteidiger Christian L. in einem Wasserloch.

Was sollten die gezeigten Bilder, die weder irgendeinen Aussagewert haben, noch kommentiert oder in einen Zusammenhang gestellt wurden, in diesem Moment bewirken? Sollte der bedrückende Eindruck, den die DVD der Tatrekonstruktion mit Thorsten H. bei allen Parteien hinterlassen hat, sofort wieder verwischt werden?

Da man der hochprofessionellen Verteidigung durchaus unterstellen kann, dass sie sich genauestens auf jeden Verhandlungstag vorbereitet, muss sie sich auch in diesem Fall ein taktisches Verhalten vorhalten lassen – und das leider wieder einmal zulasten der Opfer.

Sachverständige berichten über Untersuchungsergebnisse

Hiernach wird es wieder etwas nüchterner und sachlicher. Es werden drei Sachverständige vom kriminaltechnischen Institut des LKA Brandenburg gehört.

So wurde von der Sachverständigen Dr. H. ein Taschentuch auf Spuren abgesucht und zugleich geprüft, ob diese Spuren mit einem weiß-braunen Pulver identisch ist, das in einer Metalldose im Bereich des Beschuldigten gefunden wurde. Dabei wurde festgestellt, dass die Anhaftungen am Taschentuch und das Pulver aus der Metalldose dieselbe Substanz sind. Des Weiteren wurden Ohrstöpsel, die im Besitz von Mario K. gefunden wurden, mit Ohrstöpseln vom Tatort der Tat gegen Stefan T. verglichen, ebenso Klebebänder vom Kajak. Auch kam ein Messer zur Untersuchung, das Kleberreste aufwies.

Das Fachgebiet der zweiten Sachverständigen, Petra M., sind Handschriften. Sie hatte die Aufgabe, fünf Briefumschläge, die im Tathergang gegen Stefan T. als Erpresserbriefe dienen sollten, zu untersuchen. Sie bestätigt, dass die Schrift auf den Umschlägen von jeweils demselben Schreiber stammt. Das Schriftbild war zitternd, es wurde ab- und neu angesetzt, die Verbiegungen der Schrift zeigen außerdem, dass der Schreiber nicht störungsfrei geschrieben hat. Der Schreiber war entweder von Einwirkungen von außen (Schreibhaltung, Schreibgerät, Lautstärke, Witterung) oder von innen (Alkohol oder Medikamente) beeinflusst.

Die dritte Zeugin, die Sachverständige Kirsten S., beschäftigt sich mit dem Gebiet Mineralien. Sie hat Anhaftungen an der Reisetasche und an den Gummistiefeln untersucht sowie einen Klappspaten und Arbeitshandschuhe, die dem Beschuldigten zugeordnet werden konnten. Hierzu hatte sie sich Vergleichsproben aus den Gebieten besorgt, von denen es Anzeichen gab, dass der Täter sich dort aufgehalten haben könnte. Eine Übereinstimmung konnte sie jedoch nicht feststellen.

Als Schreibmittel für die Erpresserbriefe bestätigt sie einen Graphitstift, allgemein als Bleistift bezeichnet. Sie ist der Meinung, dass dieser Bleistift mittelhart gewesen sein muss. Die Witterungsbedingungen, aufgrund derer die Briefumschläge einer gewissen Feuchtigkeit ausgesetzt waren, hatten keinen Einfluss auf das Schreibmittel, bestätigt die Sachverständige.

Bild: Steg zum Tatvorgang Stefan T. / Bildquelle: Stefan Bisanz

Gutachter: “Maskenmann” ist gefährlich und potentiell rückfällig

Der heutige Prozesstag beginnt zunächst mit zwei Hinweisen des Vorsitzenden Richters. Zum einen informierte er die Prozessbeteiligten, dass Rainer O. den heutigen Termin der Zeugenvorladung „verschwitzt“ habe und auf einer Auslandsgeschäftsreise sei. Zum anderen teilte der Richter mit, dass die Ergebnisse vom Leiter der Mordkommission, Herrn K., noch ausstehen. Hierbei handelt es sich um die Prüfung einer weiblichen DNA-Spur sowie die polizeiliche Überprüfung eines eventuell Tatbeteiligten.

Stellungnahme der Nebenklägervertretung zum Stimmerkennungsversuch

Anschließend hat Rechtsanwalt Dr. P. das Wort. Er nahm Stellung zu dem durch Verteidiger Christian L. eingebrachten, bedingten Beweisantrag bezüglich des Gutachtens der LKA-Experten zur Stimmenerkennung. In seiner Erwiderung zeigt Dr. P. dezidiert auf, warum das Gutachten sehr wohl als Indizienbeweis zugelassen werden solle.

Gutachter: “Maskenmann” ist gefährlich und potentiell rückfällig

Interessant hierbei ist vor allem, dass Rechtsanwalt Dr. P. den Verteidiger Christian L. sozusagen mit dessen eigenen Waffen schlagen möchte. Speziell geht es um den wissenschaftlich nachgewiesenen Sachverhalt, dass nicht mehr als sechs Monate zwischen einer Opfer-Täter-Kommunikation und dem Versuch liegen dürfen, bei dem das Opfer die Stimme des Täters wiedererkennen und determinieren kann. Wohingegen Christian L. nun bemängelt, dass im Falle des “Maskenmannes” das Opfer Stefan T. den Stimmerkennungsversuch nach sechs Monaten und fünf Tagen gemacht hat, widerlegt dies Dr. P. mit genau den Veröffentlichungen, die die Verteidigung für die Begründung des bedingten Beweisantrages anführte. Es liegt nun beim Gericht, über das Gutachten und die Beweiskraft zu entscheiden.

Wer war’s? Polizisten offenbaren Widersprüche bei Protokollierung

Der nun gehörte erste Zeuge, ein Polizist, kann nichts Erhellendes zur Tat beitragen und wird auch nach 17 Minuten mit Dank entlassen.

Beim nächsten Zeugen bringt die Befragung durchaus neue Erkenntnisse. Gehört wird der Polizist M., der am Tag der Festnahme des Angeklagten im Polizeipräsidium Eberswalde zugegen war.

Der Angeklagte wurde nach seiner Festnahme in Berlin-Köpenick zunächst nach Eberswalde verbracht.

Nach der Vernehmung am Tag der Festnahme war der Beamte beim Beschuldigten Mario K. und sprach mit ihm. Mario K. sagte, dass die Beweislage sehr dünn sei. Darüber hinaus habe der Beschuldigte sich mit dem Beamten über das Zelten unterhalten. Er mache dies am liebsten an abgelegenen Plätzen, weil er gerne an der frischen Luft sei, wo ihn niemand stört. So hätte Mario K. an die 50 Plätze gefunden, an denen er gerne campiert. Weiterhin gab der mutmaßliche Täter in dem Gespräch an, dass ihm seine derzeitige Freundin sehr wichtig sei.

Auf Nachfrage der Nebenklagevertreter gibt der Polizist im Zeugenstand an, dass der Angeklagte Mario K. besonders heftig reagierte, als der Beamte ihm sagte, dass auch die Wohnung seiner Ex-Freundin durchsucht würde. Der Vertreter der Nebenklage, Dr. P., fragt explizit, ob der Angeklagte sich nur über die dünne Beweislage beschwerte, oder ob er in dem Gespräch auch geäußert habe, er sei es nicht gewesen. Letzteres verneint der Zeuge sehr deutlich.

Anschließend sind nun die Verteidiger an der Reihe. Zunächst äußern sie ihre Verwunderung über den Ablauf am Tag der Festnahme. Denn, wie könne es sein, dass der Angeklagte nach seiner Festnahme in Berlin nach Eberswalde verbracht wurde, obschon ein Haftbefehl vom Amtsgericht  Frankfurt (Oder) vorgelegen hatte. Hierzu kann der Zeuge keinerlei Angaben machen. Die Verteidigung hält dem Zeugen ein durch ihn unterzeichnetes Protokoll der Beschuldigtenvernehmung vor. Selbst jetzt besteht der Zeuge darauf, dass er diese Vernehmung nicht geführt hat, muss allerdings nach der durch den Richter angeordneten Inaugenscheinnahme einräumen, dass das Protokoll seine Unterschrift trägt. In diesem Protokoll steht eindeutig die Aussage des Angeklagten, dass er mit den ihm vorgeworfenen Taten nichts zu tun habe. Das steht im Widerspruch zu den gegenüber der Nebenklage gemachten Aussagen des Zeugen. Der Zeuge räumt ein, dass die Vernehmung durch den Polizeibeamten R. geführt wurde; dieser hätte ihn dann wohl gebeten, das Protokoll zu schreiben.

Zwei Dinge fallen hier auf. Erstens ist mir völlig unklar, wie ein erfahrener Beamter ein Protokoll erstellen kann, ohne dies von dem eigentlich vernehmenden Beamten abzeichnen zu lassen. Und zweitens stelle ich erneut fest, dass die Beamten nicht auf ihre Aussagen in dem Verfahren vorbereitet sind. Es ist unabdingbar, die Inhalte der Akten zu kennen, um hier eine korrekte Einlassung abgeben zu können.

Im Anschluss wird ein weiterer Zeuge rund um das Thema Kajak gehört. Allerdings gibt es hier keine weiteren Erkenntnisse, so dass der Richter die Beteiligten vorerst in die Mittagspause schickt.

Gutachten zeigt: Der Angeklagte Mario K. birgt hohes Rückfallrisiko

Danach wird der psychologische Sachverständige Dr. H. gehört. Dr. H. hatte von der Staatsanwaltschaft den Auftrag, die Schuldfähigkeit des Angeklagten festzustellen und die Notwendigkeit der Sicherheitsverwahrung gemäß § 66 StGB. Wohlgemerkt geht es in diesem Gutachten nicht darum, ob der Angeklagte die Taten begangen hat.

Schon zu Beginn der Vorstellung seines Gutachtens stellt Dr. H. fest, dass sich dieses lediglich auf die Aktenlage und die Hauptverhandlung bezieht, da der Angeklagte nicht bereit war, mit ihm zu sprechen. Darüber hinaus legte Dr. H. dem Gutachten zugrunde, dass der Angeklagte die ihm hier vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen hat. Im Ergebnis des Gutachtens konstatiert der Gutachter, dass der Angeklagte trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung voll schuldfähig sei. Auch die anschließende Sicherheitsverwahrung nach § 66 StGB befürwortete der Gutachter aufgrund des aus psychologischer Sicht hohen Rückfallrisikos. Der Angeklagte gehört demnach in die Hochrisikogruppe. Dr. H. begründet seine Einschätzung mit der schwankenden Motivation des Angeklagten, Normen einzuhalten, der fehlenden Einsicht nach langen Haftstrafen und der Bereitschaft zu einem rücksichtslosen Verhalten zur Erreichung seiner Ziele. Auch hier betont Dr. H., dass seine Erkenntnisse auf der Grundlage des Nachweises der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten gewonnen wurden.

Auf Nachfragen der Nebenklagevertreter hebt der Sachverständige hervor, dass die hier verhandelten Taten sehr wahrscheinlich von einem Täter mit dissozialer Verhaltensstörung begangen wurden. Hierfür sprächen das hohe Maß der Eigensicherung, die Inkaufnahme der Beschädigung der Gesundheit der Opfer durch das Führen und den Einsatz der Schusswaffe und die umfassende Planungssicherheit.

Auf weitere Fragen der Nebenklage reagiert der Sachverständige sehr deutlich. Die Nebenklage will wissen, ob der Täter weitere Entführungstaten geplant habe. Der Sachverständige gab an, er sei kein Profiler und könne somit keine seriöse Stellung zu der Frage beziehen.

Es folgt der Auftritt der Verteidigung, die zwei bis drei Fragen avisiert – es werden 23.

Neben verschiedenen Einzelheiten scheint mir vor allem bemerkenswert, dass der Verteidiger bei einem Wort ein Störgefühl aufzeigte. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten beschrieben, dass der Angeklagte bei einer seiner Taten “skrupellos” die Schusswaffe einsetzte. Verteidiger W. hält jedoch dagegen, dass es sich ja um Notwehr gehandelt hätte und der Angeklagte in den Boden geschossen habe. Allerdings stellte das Gericht bereits früher fest, dass es sich eben nicht um eine Notwehrsituation handelte.

Sei es drum; die Tatsache, dass der Angeklagte hier widerrechtlich eine scharfe Waffe mit sich führte, scheint der Verteidigung entgangen zu sein. Das Führen einer Schusswaffe und auch das Schießen in den Boden gefährdet immer Menschenleben.

Am Ende dieses Fragenkomplexes wird deutlich, dass aufgrund der fehlenden Kooperation des Angeklagten, die ihm rechtlich gewährt wird, die Erstellung des Gutachtens schwierig gewesen sein muss.

Bildquelle: Paul Georg Meister / pixelio.de

Kritische Fragen – klare Antworten

Der 38. Verhandlungstag am heutigen Donnerstag, den 4. Dezember 2014, wird von verschiedenen Parteien und der Öffentlichkeit heiß erwartet. Das zeigt sich auch am regen Interesse der Presse und an der hohen Zuschauerzahl. Grund ist die Vernehmung des Leiters der Ermittlungen und der SOKO Imker, Kriminalhauptkommissar (KHK) Falk K. Zunächst wird er durch den Vorsitzenden Richter nach § 55 StPO belehrt.

Das Gericht fordert den Zeugen auf, allgemeine Dinge des Verfahrens zu erläutern. Doch in diesen Aussagen gibt es kaum Unterschiede zu den bereits gehörten Aussagen vorangegangener Zeugen, insbesondere der Behördenvertreter. Daher erwähne ich im Folgenden insbesondere die Unterschiede.

Kritische Fragen – klare Antworten

Falk K. war schon in das Verfahren zur Tat gegen Petra P. eingebunden, ebenso in das Tatgeschehen zum Nachteil von Luisa. P. und Thorsten H. Danach ist er ebenso im Fall Stefan T. eingesetzt worden. Hier hat er dann auch eine sogenannte Besondere Aufbauorganisation (BAO) aufgestellt. In dieser waren zeitweise über 60 Beamte von verschiedenen Dienststellen aus Brandenburg eingesetzt, wobei nicht alle Beamten aus dem Fachressort der Mordkommission kamen. Als Leiter der SOKO Imker hatte Falk K. die Aufgabe, die unterschiedlichen Kompetenzen und Fähigkeiten der einzelnen Beamten entsprechend einzusetzen und effektiv zu führen.

Jetzt, vor Gericht, spricht KHK Falk K. frei und kann den Sachverhalt sehr detailliert darstellen. Das Gericht möchte wissen, warum gerade der Beschuldigte Mario K. ins Visier der Ermittlungen rückte und später auch als Beschuldigter geführt wurde. Hierauf berichtet Falk K., dass insbesondere aus der Bevölkerung Hinweise zu Mario K. eingegangen sind und auch Parallelen zu den vorherigen Straftaten des Beschuldigten sehr auffällig waren. Sie hatten insgesamt über 50 Verdächtige, die dann im Laufe der Ermittlungen, zum Beispiel durch ein Alibi, wieder aus dem Fokus rückten. Es gab keinen anderen Verdächtigen, der sein Leben in dieser Komplexität führte, wie das der potentielle Täter getan hat.

In der Gesamtschau musste man seitens der Polizisten feststellen, dass sich sowohl der Täter als auch der Beschuldigte gut mit Kajaks auskennt oder im Zelt in der Wildnis lebte. Auch, dass kein anderer Verdächtiger je solch eine Brutalität in seinem früheren Leben gezeigt hätte, wie es in all den Tatkomplexen geschehen ist.

Ein weiterer Fragenkomplex des Vorsitzenden Richters handelt von der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen von Stefan T., die Falk K. wiederum bestätigt. Er habe bei verschiedenen Vernehmungen deutliche Realkennzeichen klar wahrgenommen, die Antworten von Stefan T. waren nicht einstudiert und variierten im Vokabular. Auch die Zeugenaussagen von dessen Frau Sabine T. und die seines jüngsten Sohnes Ricardo T. hatten eine entsprechende Übereinstimmung mit seiner Aussage.

Der Beschuldigte Mario K. schaut den Zeugen Falk K. nicht ein einziges Mal an. Ab und zu schreibt er auf seinen Block, ansonsten schaut er abgeneigt und leicht vorgebeugt auf den Tisch vor sich.

Weiter möchte der Richter wissen, ob er als Leiter der Ermittlungen kritische Fragen zu den Zeugenaussagen von Stefan T. untersagt hat. Dieses wird durch Falk K. eindeutig verneint; es sind keine Fragen verboten worden. In der täglichen Frühbesprechung wurden niemals ernsthafte und begründete Zweifel vorgebracht. Von diesen Zweifeln und kritischen Stimmen hat er erst im Februar bzw. März 2013 durch den Oberstaatsanwalt S. erfahren.

Zu dem Gutachten und der wegen Befangenheit abgelehnten Sachverständigen G. aus Magdeburg sagt der Zeuge, dass er, nachdem er dieses Gutachten im November 2012 erhalten hat, mit diesem zum zuständigen Staatsanwalt W. gegangen ist. Nach einer entsprechenden Diskussion über den Umgang und die Bewertung dieses Gutachtens wurde entschieden, dass dies nicht zu berücksichtigen ist, und dass die Ermittlungen entsprechend weiterzuführen sind. Am 15. Januar 2013 wurde das Verfahren gegen Mario K. durch die Staatsanwaltschaft dann eingeleitet.

Die Staatsanwaltschaft möchte nun wissen, ob der Zeuge für diesen Prozess eine besondere Aussagegenehmigung erhalten hat. Falk K. gibt an, dass es diese nicht gibt, sondern es sich um einen normalen Vorgang gemäß einer jahrelang bestehenden Dienstanweisung handelt.

Die Frage nach der besonderen Aussagegenehmigung wurde hier im Prozess schon öfter gestellt. Darüber bin ich etwas verwundert, denn wenn ein Gesetzeshüter nochmals belehrt wird, dass er, wenn er gegen seine Dienstanweisungen verstößt, mit entsprechenden Disziplinarmaßnahmen zu rechnen hat, so ist dies für mich eine Selbstverständlichkeit. Daher wird dieses Thema ausschließlich zur Ablenkung und, um Zweifel zu streuen eingesetzt.

Der Zeuge räumt ein, dass es im Tatgeschehen um Stefan T. versäumt wurde, ein rechtsmedizinisches Gutachten zu erwirken. Allerdings ist dies auch keine Standardmaßnahme. Nach den Ermittlungsmaßnahmen gefragt, zählt der Zeuge die einzelnen Maßnahmen auf, wie zum Beispiel Beobachtung, Auswertung der alten Straftaten, Kontakt zur Bewährungshelferin, Durchsuchungen, Vernehmungen, Zeugenbefragung (zum Beispiel der Ärzte) und auch eine monatelange Observation.

Die Observation wiederum war entsprechend aufwändig, weil der Beschuldigte keinen festen Wohnsitz hatte sondern in fünf bis sechs Lagern lebte, die in unterschiedlichen Wäldern rund um Berlin angelegt waren.

Bei der Zeugenvernehmung des Beschuldigten verneinte dieser den Besitz eines Handys. Das konnte durch entsprechende Überwachung widerlegt werden. Er hatte zu diesem Zeitpunkt ein Samsung-Handy (bereits früher im Prozess haben wir gehört, dass am Tatort der Tat gegen Petra P. ein entsprechendes Samsung-Handy-Trageband gefunden worden war.). Unmittelbar nach der ersten Vernehmung des damals noch als Zeuge auftretenden Mario K. besorgte sich dieser über seine Schwester eine neue Telefonnummer. Das macht normalerweise kein Unschuldiger unmittelbar nach einer polizeilichen Vernehmung. Auch hatte der Beschuldigte Mario K. über seinen Schießsportverein die Möglichkeit, sich Munition zu besorgen. Diese wiederum entspricht der Munition, die bei beiden Tatgeschehen um die Familie P. und um die Familie T. aufgefunden wurde.

Weiterhin will der Staatsanwalt vom Kriminalhauptkommissar wissen, da dieser selbst mehrfach am Tatort und am Ablageort von Stefan T. war, ob er sich bei den Gängen durch den Sumpf verletzt hätte. Dieses wird durch den Zeugen verneint.

Während dieser Frage schütteln die Verteidiger Axel W. und Christian L. den Kopf. Irgendwie sind sie diese Frage leid, da die Fragesteller immer eine Vergleichbarkeit der Rekonstruktionen mit eigentlichen Tatgeschehnissen annehmen. Jedoch: Die Tat selbst fand in der Dunkelheit statt und teilweise mit verbundenen Augen des Opfers, die jeweiligen Rekonstruktionen durch die Ermittlungsbeamten hingegen ohne verbundene Augen und am Tag.

Die Frage, die sich mir mithin stellt, ist, warum auch die Verteidigung ihre Rekonstruktion am helllichten Tag durchgeführt hat. Wenn sie denn hätte beweisen wollen, dass man sich unbedingt verletzen muss, wenn man in der Nacht und mit verbundenen Augen durch diesen Sumpf geht, wäre doch eine Rekonstruktion ihrerseits zu solchen Bedingungen möglich gewesen. Doch dieses unterblieb.

Nach der Staatsanwaltschaft befragt der Nebenklägervertreter den Zeugen. Hier geht es noch mal um den kritischen Kollegen B. vom letzten Prozesstag. Der heutige Zeuge Falk K. sagt nun nochmals eindeutig aus, dass ihm gegenüber niemals begründete Zweifel angemeldet oder mitgeteilt worden sind.

Die Kollegen der Potsdamer Mordkommission hingegen waren der Meinung, dass die Entführung von Stefan T. möglicherweise vorgetäuscht war. Diesen Umstand erklärte Falk K. damit, dass die Kollegen nicht den gesamten Aktenbestand kannten. Der Tipp, die mittlerweile wegen Befangenheit und Inkompetenz abgelehnte Sachverständige G. aus Magdeburg in den Fall einzubeziehen, kam im Übrigen auch von der Potsdamer Mordkommission.

Die nächste Frage an KHK Falk K. zielt darauf, ob es irgendwelche Hinweise oder Indizien gegen die Schuld des Beschuldigten Mario K. gab. Dieses beantwortete Falk K. mit einem klaren Nein. Es hätte auch keinerlei Alibis gegeben. In Bezug auf ein bestimmtes Alibi hat der Beschuldigte sogar gelogen.

Nach dieser Befragung ist die Verteidigung mit mehreren Fragen dran. Axel W. beginnt. Er möchte zuerst wissen, wie die Namen der Sonderkommission entstanden. Der Name zu dem Tatgeschehen um die Familie P. war „Bugatti“, der spätere Name der SOKO war „Imker“. Weiter wird durch die Verteidigung sehr detailliert nach der Durchführung und Aufgabenverteilung der SOKO gefragt. Nicht zu allen Fragen hat der Zeuge eine entsprechende Antwort oder kann sich an den Sachverhalt erinnern.

Doch er teilt mit, den Kollegen Kriminaloberkommissar Wilmar F. aus dem Fall und der Opferbetreuung von Stefan T. abgezogen zu haben, weil dieser seiner Meinung nach nicht mehr die kritische Distanz zur Familie hatte.

Der Zeuge Falk K. beantwortet die Fragen der Verteidigung sehr genau, entsprechend der gestellten Frage. Die Verteidigung hätte natürlich gerne mehr freie Rede, damit sie in den Antworten Hinweise zu weiteren Fragen findet. Diesen Gefallen tut der Zeuge der Verteidigung nicht.

Die Frage, ob es entsprechende Korrekturen von Fragenkatalogen der Vernehmer an die jeweiligen Zeugen gab, beantwortet Falk K. ohne Zögern mit einem Ja. Auch wären Vernehmungsbeamte auf die Idee gekommen, dem Opfer Stefan T. eine vorgetäuschte Straftat vorzuhalten. Dieses hatte Falk K., in Absprache mit dem ermittelnden Staatsanwalt W., den Vernehmern mit der Argumentation untersagt, dass es keinerlei begründete Zweifel an dem Tatgeschehen gab.

Weiter geht es der Verteidigung ein erneutes Mal um das Gutachten der Sachverständigen G. aus Magdeburg. Gefragt wird, wer es wann zu lesen bekommen hatte und in welchem Schrank es lag (ob offener Büroschrank, Safe oder Stahlschrank).

Da dieses Gutachten auf Anweisung des Gerichts nicht in den Prozess eingeführt werden durfte, stellt sich die Frage, warum es immer wieder Bestandteil der Fragen bei Gericht ist. Hätte der Leiter der Ermittlungen, KHK Falk K., dieses Gutachten maßgeblich in seine Ermittlungen eingebaut, hätte er nun nachträglich durch das Gericht die Bescheinigung erhalten, dass dieses Verhalten falsch gewesen wäre. Insofern zeigt die Nichtberücksichtigung dieses Gutachtens nur den kriminalistischen Instinkt, dass dieses Gutachten für die laufenden Ermittlungen nicht geeignet ist. In diesem Punkt waren sich der Leiter der Ermittlungen und der ermittelnde Staatsanwalt W. einig.

Da der Beschuldigte Mario K. am 17. September 2013 erst um circa 15:30 Uhr festgenommen wurde, konnte er an diesem Tag dem zuständigen Gericht in Frankfurt (Oder) aufgrund des allgemeinen Dienstschlusses nicht mehr vorgeführt werden. Der Verteidiger Axel W. unterstellt dem Zeugen Falk K. in diesem Fall Absicht, damit die Polizeibeamten den Festgenommenen unmittelbar nach der Tat noch vernehmen konnten. Denn § 115 der StPO schreibt vor, dass ein Beschuldigter, der aufgrund eines Haftbefehls ergriffen wird, unverzüglich dem zuständigen Gericht vorzuführen ist.

Axel W. mutmaßt, dass es außer seinem Mandanten noch andere Menschen gibt, die irgendwo in den Wäldern Brandenburgs leben, daher kann es kein Indiz gegen seinen Mandanten sein, dass er in einem Zelt in einem Wald lebte. Weiterhin führt Axel W. die Indizienkette auf, die der Zeuge Falk K. der Staatsanwaltschaft zur Beantragung eines Haftbefehls überreicht hatte:

1. Spracherkennung, 2. Briefmarke zu 0,45 € mit dem Motiv „600 Jahre Universität Leipzig“, 3. Alibi vorgetäuscht: Griechenlandaufenthalt während der Tatzeiten, 4. Mobilität, das heißt körperliche Einschränkung, 5. die Waffe aus dem Schützenverein ist derselbe Waffentyp wie die Tatwaffe.

Zu jedem dieser Punkte führt der Verteidiger Axel W. entsprechende Gegenargumente auf.

Die Liste der Indizien wurde hier wohl nicht vollständig vorgetragen, denn bei Durchsicht und im Verlauf des Prozesses kann man deutlich über 20 Indizien feststellen.

Auch interessiert die Verteidigung, inwieweit noch in andere Verdachtsrichtungen ermittelt wurde. Hierauf entgegnet Falk K., dass es zunächst andere, allgemeine Informationen gab, die aber in nichts Konkretem mündeten.

Axel W. kritisiert des Weiteren, dass, obwohl das Wort „Nauen“ als Bezeichnung auf einen Erpresserbrief geschrieben worden ist, dies doch kein Indiz gegen seinen Mandanten sein könne, auch wenn der Stiefvater von Mario K. in Nauen geboren worden war.

Damit endet der heutige Verhandlungstag wesentlich unspektakulärer als angenommen. Im Vorhinein wurde die Vernehmung des Zeugen Falk K. sehr kontrovers diskutiert. Die hervorgerufene Angespanntheit durch die öffentliche Diskussion konnte man dem Zeugen heute anmerken.

Dass sich in einer Sonderkommission mit über 60 Beamten aus vielen unterschiedlichen Fachkommissariaten des Landes Brandenburg auch einige kritische Stimmen (circa 15 Prozent) befinden, ist sicherlich normal und dient auch der Findung von weiteren Ermittlungsansätzen. Dass jedoch aus dem Sachverhalt, wonach Vernehmungsbeamten verboten wurde, dem Opfer Stefan T. die Vortäuschung einer Straftat vorzuhalten, nun der Vorwurf konstruiert wird, in dem Verfahren wäre einseitig ermittelt worden, ist nicht nachvollziehbar.

Zudem wäre es wohl wesentlich schlimmer gewesen, wenn die SOKO das inkompetente und verbotswidrige Gutachten der Sachverständigen G. aus Magdeburg in ihre Ermittlung einbezogen hätte. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass der Oberstaatsanwalt S. und der ermittelnde Staatsanwalt W. nach Beurteilung der sogenannten kritischen Stimmen keine Veranlassung sahen, die Ermittlungsrichtungen gegen den Beschuldigten Mario K. zu verändern. Auch aus diesen Gründen kann ich den Vorwurf der einseitigen Ermittlung oder der Ermittlungsverbote weder erkennen noch nachvollziehen.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Zweifelhafte Selbstanzeige

Im Gerichtssaal sind am heutigen Prozesstag zwei Kamerateams und elf Vertreter der schreibenden Zunft anwesend sowie zwischen 15 und 20 Zuschauer.

Antrag der Verteidigung zum Stimmgutachten

Wie schon am letzten Tag vorausgeschickt, stellt Verteidiger Christian L. heute einen bedingten Beweisantrag zum Gutachten der LKA-Experten zur Stimmerkennung. Der Verteidiger beantragt, das Gutachten nicht als Indiz gegen seinen Mandanten zuzulassen. Er begründet dies damit, dass der Zeuge Stefan T. keine Stimme eindeutig als Täterstimme erkannt hat und auch das dementsprechend zu deutende nonverbale Zeichen des Kopfnickens bei Sprecher fünf (Beschuldigter Mario K.) nicht ausreicht. Weiterhin, führt er aus, hätte das Experiment nicht durchgeführt werden dürfen, da die wissenschaftlich nachgewiesene Zeit zwischen Entführer-Opfer-Kommunikation und Experiment nicht länger als sechs Monate sein sollte. Diese Zeit tatsächlich wurde um circa 3 % überschritten.

Zweifelhafte Selbstanzeige

Der Antrag der Verteidigung wird innerhalb von 22 Minuten noch detaillierter vorgetragen. Bei allen Fakten, die die Verteidigung in ihrem Antrag vorträgt, bleibt nach wie vor die Tatsache virulent, dass das Opfer Stefan T. unter sieben Sprechern den Beschuldigten (Sprecher Nummer fünf) als der Stimme des Täters am ähnlichsten herausgefunden hat.

Der Anwalt von Stefan T., Dr. Panos P., teilt nach der Verlesung mit, dass er zu diesem Antrag der Verteidigung eine Erklärung abgeben wird.

Verbote, Behinderungen, Mobbing?

Seit einigen Monaten gibt es immer wieder Äußerungen, auch in den Medien, dass Ermittler der SOKO durch ihren Leiter an ihrer Polizei- und Ermittlungsarbeit gehindert worden sind. Auch von Mobbing war die Rede. Daher erwarten alle Anwesenden mit Spannung die heutigen Zeugen aus genau dieser SOKO; darunter der Beamte, der sich selbst angezeigt hat.

Als erster Zeuge wird Wilmar F., Kriminalhauptkommissar (KHK) der Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder), vernommen. Die Nettozeit seiner Vernehmung wird 185 Minuten betragen, davon nimmt die Verteidigung 142 Minuten in Anspruch, in denen sie 318 Fragen stellt.

Bei Wilmar F. handelt es sich um einen erfahrenen Kriminalisten der alten Schule. Er war der erste Beamte, der Stefan T. vernommen hat. Er hat auch erste Ermittlungen am Entführungswochenende durchgeführt. Er erzählt, dass Stefan T. bei seiner Vernehmung noch voller Adrenalin war und insofern eine Zeugenaussage kaum möglich gewesen sei. Im Laufe des Tages suchte er mit ihm außerdem noch den Tatort ab. Stefan T. hat ihm die Vorgänge der Entführung sehr genau beschrieben.

Wilmar F. beschreibt die außergewöhnliche Persönlichkeit von Stefan T., von der er glaubt, dass diese ihm das Leben gerettet hat. Insbesondere hat den Kriminaler dessen analytisches Denkvermögen beeindruckt. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er denn glaube, dass die Entführung nur vorgetäuscht sein könnte, verneint dies Wilmar F. vehement. Er hält die Aussagen des Zeugen Stefan T. für glaubwürdig.

Dass er, Wilmar F., schon nach kurzer Zeit durch den Leiter der SOKO von diesem Fall abgelöst worden war, überraschte ihn sehr. Einen möglichen Grund dafür kann er sich kaum vorstellen.

Der Nebenklägervertreter, Dr. Panos P., fragt den Zeugen, ob er es kritisch betrachtet habe, dass das Opfer Stefan T. unmittelbar nach dem Tag seiner Flucht mit seiner Familie eine Auszeit nehmen wollte und zu diesem Zweck eine Reise ins Ausland unternommen hat. Der Zeuge betrachtete dies nicht kritisch, da er vor Abreise mit den Kollegen eine circa vierstündige Vernehmung durchgeführt hat. Somit lagen alle für die weitere Ermittlungsarbeit wichtigen Angaben vor. Zusätzlich war er sich sicher, dass er die Familie auch telefonisch hätte erreichen können. Der Zeuge wird weiter gefragt, ob denn sein Kollege Lutz B. irgendwelche Einwände oder Zweifel an der Aussage des Zeugen Stefan T. hatte. Dies wird verneint.

Auch der Nebenklägervertreter Jakob D. möchte wissen, ob es denn im Kollegenkreis Zweifel zu den Angaben des Opfers Stefan T. gab. Hierauf äußert sich der Zeuge dahingehend, dass es nur allgemeine Äußerungen dazu gab.

Aus dem nun folgenden Fragenmarathon des Verteidigers Axel W. entstehen keine neuen Erkenntnisse. Es interessiert ihn allerdings auch sehr, welche kritischen Stimmen es im Kollegenkreis zu den Aussagen und Ermittlungen im Tatbereich Stefan T. gab. Hierauf lässt der Zeuge Wilmar F. keine Einlassung zu. Er kann sich nur an allgemeine Äußerungen erinnern.

SOKO-Mitarbeiter zeigt sich selbst an – und offenbart grobe Fehler

Zwischen 14:00 Uhr und 16:00 Uhr findet die Vernehmung des Zeugen Lutz B. statt, seines Zeichens Kriminaloberkommissar (KOK). Er wird nach § 55 StPO belehrt. Dieser Zeuge ist interessant, weil er eine Selbstanzeige betreffend seiner Ermittlungsarbeit gestellt hat. Immer wieder wurden Vorwürfe durch ihn gegen die Dienststellenleitung dahingehend geführt, dass er in seiner Ermittlungsarbeit gehindert wurde und Widersprüche in den Aussagen von Stefan T. nicht aufgelöst worden sind.

Insbesondere schien es Lutz B. nicht logisch, dass Stefan T., nachdem ihm bei seiner Entführung die Hände gefesselt wurden, noch einen Pullover angezogen hat. Weiterhin war ihm nicht klar, wie Stefan T. auf der Opfer-Insel mit verbundenen Augen und gefesselten Händen seine Brille in eine Astgabel hängen konnte. Diese Widersprüche durfte er nach Maßgabe seines Dienststellenleiters K. nicht abklären. Auch sollte er hierzu keinen Aktenvermerk schreiben. Dass das Opfer mit seiner Familie, nach eigenen Worten „in Urlaub fahren“ durfte, so unmittelbar nach der Tat, war ihm ebenfalls nicht schlüssig.

Das Opfer Stefan T. war in diesem Fall die einzige echte Beweisquelle, die die Polizei zu diesem frühen Zeitpunkt der Ermittlung, direkt nach der Tat hatte. (Dies hat auch der Verteidiger Axel W. festgestellt.) Aus ermittlungstaktischen Gründen wäre es unklug gewesen, dieser Beweisquelle unmittelbar mit Vorhaltungen und Unterstellungen zu begegnen. Dadurch hätte die Gefahr bestanden, dass das Opfer (und zugleich der Zeuge) dichtmacht und somit die Quelle versiegt.

Das Gericht empfindet es als bemerkenswert, dass der Zeuge Lutz B., nachdem der Kollege Wilmar F. aus der SOKO ausgeschieden war, Opfer-Betreuer von Stefan T. wurde, obwohl er nach seinen Angaben diese kritischen Nachfragen und Bemerkungen hatte.

Da Lutz B. weder einen Vermerk über seine Zweifel geschrieben, noch die Vorgesetzten seines Vorgesetzten informiert hat, kam er nicht weiter. In der Folge besprach er sich sodann mit dem Kollegen Sch. Gemeinsam waren beide dann auch beim Oberstaatsanwalt S., dem sie die Missstände vortrugen. In einem Gespräch mit seinem Vorgesetzten K., am 13. März 2013, wurde Lutz B. dafür derartig gemaßregelt, dass er daraufhin sofort krank wurde.

Hiernach beginnt der Nebenkläger von Stefan T., Dr. Panos P., die Befragung des Zeugen. Es stellt sich heraus, dass insbesondere das Gutachten der Sachverständigen, Frau Dr. G., die Initialzündung für die am 3. August 2013 getätigte Selbstanzeige war. Die Sachverständige wurde wegen eindeutiger Befangenheit vom Gericht abgelehnt, somit ist das Gutachten ohne jedwede Bedeutung. Insbesondere auch, da sie nicht die formalen Voraussetzungen erfüllt hat, solch ein Gutachten zu schreiben. Im weiteren Verlauf wurde sie durch einen Kollegen des LKA diesbezüglich angezeigt. Damit erhielt allerdings auch die Bewertung des SOKO-Leiters, dieses sogenannte Gutachten nicht als Ermittlungsgrundlage einzubringen, eine andere Dimension.

In seiner Strafanzeige listet der Zeuge Lutz B. seine, „erheblichen Widersprüche“ auf. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass es sich bei Lutz B. um einen erfahrenen Kriminalisten handelt.

Lutz B. stellte eine über 20-seitige Anzeige wegen Amtsmissbrauch, Rechtsbeugung, Untreue, Betrugs, Mobbing und Geheimnisverrats. Von Selbstanzeige kann hier keine Rede sein, weil keines der vorgetragenen Delikte gegen ihn gerichtet ist.

Auf die Frage, warum es von ihm vor dieser Anzeige keinerlei Vermerke über seine Zweifel gab, so wie es andere Kollegen gehandhabt haben, gibt er keine Antwort.

Auch hat Lutz B. in seiner heutigen Aussage als zentralen Punkt seiner Widersprüche herausgestellt, dass Stefan T. während seiner Flucht keinerlei Verletzungen erlitten hatte, Erstaunlich findet Dr. Panos P. allerdings, dass dieser Punkt in seiner Anzeige überhaupt nicht angeführt ist.

Der erste Komplex der Selbstanzeige behandelt den Pullover. Hier beschreibt Lutz B.die Aussage des Opfers Stefan T., dass er bei seiner Entführung zum Zeitpunkt des Überfalls in seinem Haus noch seinen Pullover anziehen konnte, obwohl er nach Wahrnehmung von Lutz B. schon gefesselt gewesen war. Dies kann er sich nicht erklären. Dr. Panos P. hält Lutz B. die Aussage von Stefan T. vor, in der dieser sagt, er wüsste nicht genau, wann er seinen Pullover angezogen hat. Weiterhin wird auch die Aussage von Ehefrau Sabine T. wiedergegeben. Diese berichtete, dass Stefan T. den blauen Pullover anziehen durfte, nachdem er den Täter danach gefragt hat und noch nicht gefesselt war. Diese Aussage von Sabine T., so räumt der Zeuge Lutz B. ein, hat er in seiner Selbstanzeige und in der Widerspruchsäußerung nicht berücksichtigt.

Der zweite Komplex der Anzeige betrifft die Leibesvisite durch den Täter. Das Opfer Stefan T. hat ausgesagt, dass er durch den Täter nach Ortungsgeräten am oder im Körper abgesucht wurde. Diese Aussage zweifelt Lutz B. an, da er nicht glaubt, dass ein Täter nach Ortungsgeräten fragt. Dies vor allem auch deshalb, weil der Überfall ja überraschend kam. Dass der Täter im Gespräch mit Stefan T. selbst geäußert hat, dass er das Objekt schon mehrere Monate ausgespäht hatte, findet hier ebenfalls keine Berücksichtigung.

Ein dritter Komplex behandelt das Thema Brille. Lutz B. führt in seiner Strafanzeige aus, dass man eine Brille mit verbundenen Augen und gefesselten Händen nicht in eine Astgabel hängen kann. Dass das Opfer Stefan T. die Brille vom Täter erhalten hat, um die entsprechenden Lösegeldbriefe zu schreiben, dass dazu seine Hände entfesselt sowie die Augenbinde abgenommen wurden, hat Lutz B. nicht wahrgenommen. Diesbezüglich gibt Lutz B. sogar an, dass es Videoaufnahmen der Vernehmungen von Stefan T. gibt, in denen dieser etwas anderes sagt, als bei der schriftlichen Vernehmung, die von seinem Kollegen Wilmar F. durchgeführt worden ist. Daraufhin zitiert Dr. Panos P. aus den schriftlichen Protokollen zu diesen Videoaufnahmen und es wird deutlich, dass beide Aussagen tatsächlich identisch sind. Lutz B. räumt nun ein, dass es keinen Widerspruch mehr gibt.

Zum vierten Komplex „Pinkeln“ hat Lutz B. in seiner Strafanzeige geschrieben, dass ihm Stefan T. in einem Flurgespräch mitgeteilt hat, dass er nach der Selbstbefreiung das erste Mal richtig gepinkelt hat. Lutz B. erklärt, dass er sich das nicht vorstellen konnte. Auch in diesem Fall beweist der Nebenklägervertreter dem Zeugen, dass die niedergeschriebenen Aussagen etwas anderes sagen.

Nachdem nun vier wesentliche Widerspruchskomplexe durch Dr. Panos P. widerlegt worden sind, äußert dieser seine Verwunderung, dass Lutz B. seine Strafanzeige ohne genaue Kenntnis der Vernehmungsakten gestellt, beziehungsweise deren Inhalt nicht hinreichend berücksichtigt hat. Weiterhin hat Lutz B. in der Zeit zwischen dem Tattag, am 5. Oktober 2012, und der Aufgabe der Strafanzeige, am 3. August 2013, keinerlei Vermerke zu seinen Zweifeln schriftlich niedergelegt. Zu diesem Widerspruch werden dem Zeugen durch Dr. Panos P. weit über 100 Fragen gestellt. Viele der Antworten des Zeugen kommen zögernd und leise, einige überhaupt nicht.

Hiernach stellt der Nebenklägervertreter Jakob D. noch ein paar Fragen. Insbesondere geht es ihm darum, ob Lutz B. Zweifel an der Tat hatte. Dieses beantwortet Lutz B. mit einem klaren Nein, er hätte nur ein paar Nachfragen stellen wollen.

Daraufhin wird ihm von Jacob D. aus seiner Strafanzeige zitiert, dass er die Tat anzweifelt. Er bezichtigte Stefan T. sogar einer möglichen Mittäterschaft oder einer möglichen Beseitigung eines Mittäters. Weiterhin beklagte er in seiner Strafanzeige, dass das Opfer und der Zeuge Stefan T. durch die Polizei über den Ermittlungsstand informiert war. Auf die Frage, ob er denn einen konkreten Hinweis auf einen Mittäter vorlegen könne, gibt es nur ein zögerliches Nein.

Am Ende des Tages kann festgehalten werden, dass die Frage, ob die Ermittlungsarbeiten durch die Leitung der Dienststelle erheblich eingeschränkt oder sogar behindert und verboten wurden, nicht positiv beantwortet werden kann. Mehr noch: Nach dem Vortragen unterschiedlicher Vernehmungsaussagen räumt der Zeuge Lutz B. ein, dass es keine Widersprüche gibt.

Warum sich ein so erfahrener Kriminalist dazu hinreißen lässt, eine 20-seitige Strafanzeige aufzugeben und damit auch noch in die Öffentlichkeit geht, wird wohl das Geheimnis von Lutz B. bleiben, sofern es nicht bei seiner weiteren Vernehmung am 18. Dezember 2014 herausgearbeitet werden kann.

Bildquelle: Gerhard Frassa / pixelio.de

„Wenn Blicke töten könnten.“

Der 36. Verhandlungstag beginnt etwas verspätet um 9:43 Uhr. Dieser Tag wird mindestens als frag- bis denkwürdig eingestuft werden. Hierzu im weiteren Verlauf mehr.

Heute ist der Hauptanwalt des Beschuldigten, Axel W., nicht anwesend. Er wird vertreten durch die junge Rechtsanwältin Naila W., die auch schon ein- bis zweimal hier im Prozess verteidigt hat. Warum der Rechtsanwalt Axel W. heute nicht am Prozess teilnehmen konnte und sich vertreten lässt, blieb bis zuletzt offen.

Spracherkennungsversuch weist deutlich auf mutmaßlichen “Maskenmann”

Heute stehen sechs Sachverständige im Zeugenstand. Es können allerdings nur zwei gehört werden. Die Hörung der anderen vier wird auf die nachfolgenden Prozesstage verlegt. Heute werden die Sachverständigen Dr. M. und Frau D. vom Landeskriminalamt Brandenburg, Dienststelle Eberswalde gehört, die im Fachgebiet Spracherkennung tätig sind.

„Wenn Blicke töten könnten.“

Das Opfer Stefan T. wurde am 5. Oktober 2012, gegen 19:30 Uhr vom Täter aus seinem Haus entführt und konnte erst circa 36 Stunden später fliehen. In dieser Zeit hatte es ungewöhnlich viel Kommunikation in Form von Gesprächen mit dem Maskenmann gegeben. Es wurden Themenblöcke wie die finanzielle und berufliche Situation des Opfers besprochen sowie dessen körperliche Fitness. Weiterhin wollte der Täter viel über die Ehefrau des Opfers wissen und sprach mit dem Opfer über die weitere Vorgehensweise sowie die Geldübergabe.

Da Stefan T. eine herausragende Beobachtungsgabe und auch ein sehr gutes Erinnerungsvermögen hat, entschloss sich die SOKO Imker dazu, die Sachverständigen des LKA Brandenburg mit einem Experiment zur Spracherkennung zu beauftragen. Sie erstellten einen Versuchsaufbau zur auditiven Stimmerkennung. Zuerst wurde der Zeuge Stefan T. dazu aufgefordert, die Täterstimme genauestens zu beschreiben, sowohl im Vokabular, welches gebraucht wurde, als auch in den Eigenschaften. Stefan T. beschrieb die Stimme als ruhig, gleichmäßig dunkel, ohne Akzent, regional dem Bereich Brandenburg, Berlin zuzuordnen, allerdings auch manipuliert und monoton. Zwischendurch beschrieb er, immer wieder ein Schniefen gehört zu haben. Diese Befragung ist per Videokamera aufgenommen worden und wird heute dem Gericht in einer Stunde und sieben Minuten vorgespielt.

Nachdem die Sachverständigen den Inhalt dieser Befragung ausgewertet hatten, wurden mindestens fünf Stimmen, die in etwa vergleichbar sind, benötigt. Die Sachverständigen entschlossen sich, aus 17 gecasteten Stimmen sechs Vergleichsstimmen mit gleicher Sprachprägung zum Vergleich zu nutzen. Diese Vergleichsstimmen werden vorab mindestens zwei Experten und zwei Laien zur Qualitätssicherung vorgespielt. Hierbei soll nur herausgefunden werden, ob eine dieser sechs Vergleichsstimmen zu auffällige Unterschiede zu den anderen aufweist. Zu diesen sechs Vergleichsstimmen wurde dann als siebte die des Beschuldigten beigefügt. Da der Beschuldigte Mario K. einige Monate vor seiner Festnahme observiert worden ist, konnten die Sachverständigen auf ein abgehörtes Gespräch, welches der Beschuldigte bei einen Termin in der Arbeitsagentur geführt hat, zurückgreifen. Hier wurden nun ähnliche Gespräche mit den sechs Vergleichssprechern am selben Ort unter gleichen technischen Aufzeichnungsbedingungen geführt. Da Stefan T. die Stimme des Täters auch immer als verstellt dargestellt hat, wird es jedoch besonders schwer sein, jetzt die Täterstimme unter Normalbedingungen herauszuhören.

Da die Sachverständigen dem Opfer Stefan T. mechanisch verstellte Stimmen vorgespielt haben und diese durch Stefan T. alle ausgeschlossen werden konnten, sind sie sicher, dass der Täter seine Stimme während der Kommunikation mit dem Entführungsopfer auf natürliche Weise verstellt hat.

Die Durchführung des Experiments erfolgte am 10. April 2013. Hierzu wird sich die Verteidigung noch entsprechend äußern, da die Wissenschaft ein solches Experiment nur bis zu sechs Monate nach Beendigung der Kommunikation zulässt. Die Überschreitungsfrist beträgt hier fünf Tage (etwa 3 %) und wird durch die Sachverständigen damit begründet, dass die Wissenschaft sich hier auf eine geringe Täter-Opfer-Kommunikation stützt und wir hier einen Ausnahmefall mit größtmöglicher Kommunikationsmasse vorfinden. Auch dieses Experiment wird dem Gericht am heutigen Tage per Video vorgeführt.

Wir sehen eine Bürosituation mit einer Sachverständigen und Stefan T. Jede Stimme wird circa eine Minute vorgespielt. Der Zeuge hat die Möglichkeit, sich die jeweilige Stimmprobe mehrmals vorspielen zu lassen und danach den nächsten Sprecher zu hören. Die Möglichkeit, eine bereits abgespielte Stimme erneut zu hören, gibt es nicht. Auch die Sachverständige, die das Experiment leitete, hat die Stimmen vorher noch nicht gehört. Somit ist hier eine unbeabsichtigte Einflussnahme nicht möglich.

Sprecher eins bis drei werden durch Stefan T. ausgeschlossen. Bei Sprecher vier gibt Stefan T. bekannt, dass es hier Teile gibt, die der Täterstimme entsprechen könnten. Bei Stimme fünf hat er dahingehend einen vermehrten Eindruck und gibt an, dass diese Stimme der des Täters am ähnlichsten ist. Stimme sechs wird ebenfalls ausgeschlossen und Stimme sieben wird in etwa auf dem Niveau der Stimme vier eingestuft.

Eine eindeutige Aussage, dass Sprecher fünf der Täter war, gibt es von Stefan T. nicht. Wenn man allerdings seine nonverbale Kommunikation beobachtet, so sieht man eindeutig, dass ausschließlich bei Sprecher fünf eine deutliche Reaktion durch bejahendes Kopfnicken stattgefunden hat. Bei Sprecher fünf handelt es sich um den Beschuldigten Mario K. Dass das Opfer Stefan T. diese Stimme als am ähnlichsten empfunden hat, obwohl es sich hier um eine Aufnahme eines unter Normalbedingungen geführten Gespräches handelt, und Stefan T. die Stimme des Täters nur unter manipulierten Gegebenheiten gehört hat, ist äußerst bemerkenswert und sollte seine Beachtung finden.

Bei der Videovorführung der Befragung von Stefan .T zur Stimme des Täters hat der Beschuldigte wieder einmal regungslos auf seinem Platz gesessen und sich nur hin und wieder Notizen gemacht. Bei der Vorführung der sieben unterschiedlichen Sprecher war der Beschuldigte sehr konzentriert, richtete Kopf und Körper zum Bildschirm und hörte aufmerksam zu.

Fragenmarathon der Verteidigung

Nachdem das Gericht seine Befragung beendet hat und auch die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger keine Fragen mehr haben, beginnt die Verteidigung ihren Fragenblock. Da das Ergebnis der Stimmerkennung nicht positiv für den Beschuldigten und dessen Verteidigung ist, kann man sich auf eine intensive Befragung einstellen. Typisch ist, dass die Partei, die aus dem Gutachten des Sachverständigen einen Nachteil erfährt, zuallererst nach dessen Ausbildung und Qualifizierung fragt. Dadurch wird versucht, das Ergebnis als solches anzuzweifeln.

Man merkt der Verteidigerin deutlich an, dass sie weitere Fragen und Lücken zum Experiment sucht, ihre Augen wandern von links nach rechts, manchmal auch nach oben. Der Sachverständige antwortet fundiert und sehr souverän. Weiterhin wird nun das gesamte Experiment in Zweifel gezogen. Auch das ist eine typische Vorgehensweise gegenüber Sachverständigen, um deren Gutachten insgesamt infrage zu stellen.

Nachdem die Verteidigerin Naila W. all ihre Fragen gestellt hat und selbst einräumt, dass sie die Antworten und Ergebnisse des Sachverständigen immer noch nicht versteht, beginnt sie nun noch detaillierter und noch penibler nachzufragen. Der Sachverständige antwortet weiterhin ruhig und souverän. Sie erreicht damit, dass ihr Mandant Mario K. inzwischen aufmerksam zuhört und den sachverständigen Zeugen sogar direkt anschaut. Ein seltener Augenblick. Sein Stirnrunzeln signalisiert, dass er dem Sachverständigen ebenfalls nicht folgen kann.

Nach der Mittagspause ist um 14:02 Uhr der Verteidiger Christian L. an der Reihe, weiter nachzufragen. Das Fragesystem bleibt entsprechend bestehen. Er stellt überwiegend Fragen, die seine Kollegin Naila W. bereits gestellt hat. Die Fragen sind erneut sehr detailliert.

Der Fakt, dass der Zeuge Stefan T. den Sprecher Nummer fünf als am ähnlichsten und damit als den wahrscheinlichen Täter herausgestellt hat, bleibt bestehen. Und auch sein nonverbales Zeichen, das mehrmalige Kopfnicken, bestätigt diese Aussage.

In diesen Fragenblock von Christian L. mischt sich Naila W. immer wieder ein und sagt insgesamt circa 50 Mal „Das verstehe ich nicht.“, so dass der Sachverständige immer und immer wieder den Sachverhalt erläutern muss. Gerade als ihr Kollege Christian L. nun selbst feststellt, „dass wir uns im Kreis drehen“, erntet er allgemeines, lautes Gelächter. Der Verteidiger behält sich vor, zum Gutachten am nächsten Verhandlungstag einen Antrag zu stellen. Dass dies ein „Ablehnungsantrag“ wird, dürfte klar sein.

Auf jedes „Das verstehe ich nicht.“ seitens der Verteidigung folgt meistens eine unerlaubte Frage; entweder eine Wiederholungs- oder eine Suggestionsfrage. Doch die Sachverständigen antworten weiterhin ruhig, besonnen, fachlich fundiert und souverän. Jegliche Antwort der Sachverständigen wird von Naila W. mit heftigem Kopfschütteln, Stirnrunzeln, gequältem Grinsen oder Augenverdrehen gewürdigt. Jede Antwort wird dadurch angezweifelt.

War das die Vorgehenstaktik, die der Hauptverteidiger Axel W. der jungen Anwältin mit auf den Weg gegeben hat, um den heutigen Tag so verstreichen zu lassen? Dass Naila W. rund 50 Mal äußert, sie habe die Antwort des Sachverständigen nicht verstanden, und, dass dieser den Sachverhalt über 27 Mal erklären muss, ergibt für mich keinen erkennbaren Sinn.

Auch der Beschuldigte Mario K. hat für sich erkannt, dass die Aussage des Sachverständigen ihm schadet. Immer, wenn solch eine Situation eintritt, reagiert er nonverbal auf den jeweiligen Zeugen. In diesem Fall schaut er den Sachverständigen böse und aggressiv an, nickt mit dem Kopf oder murmelt etwas vor sich hin. Auch ein aufmerksamer Beobachter der Polizei im Zuschauerraum erkennt diese Situation und kommentiert dies treffend: „Wenn Blicke töten könnten.“

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

„Maskenmann“ kennt den Weg zur Polizei

Der 35. Verhandlungstag am 12. November 2014 ist von vornherein als kurzer Prozesstag terminiert. Die Partei der Verteidiger hat noch andere Termine und der Vorsitzende Richter hat hierauf Rücksicht genommen.

Erste Vernehmungen

Heute werden noch drei weitere Polizeibeamte aus der Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder) als Zeugen vernommen. Der erste Zeuge ist der Kriminalhauptmeister Lutz R. Er ist Kriminaltechniker und war bei der Durchsuchung bei Sebastian L. mit der Dokumentation beauftragt. Die nächste Zeugin ist die Kriminalkommissarin Anke S. Sie war mit der Besichtigung eines Containers in der Marzahner Chaussee beauftragt worden. Dort soll die Decke gelegen haben, die am Ablageort von Stefan T. gefunden worden ist, an der sich außerdem DNA-Spuren befanden. Beide Aussagen bringen keine nennenswerten neuen Erkenntnisse für das Gericht.

„Maskenmann“ kennt den Weg zur Polizei

Beschuldigter erklärt der Polizei den Weg

Die Aussage des Zeugen Polizeiobermeister Marco P. scheint da schon wesentlich interessanter zu sein. Er war nach der unmittelbaren Festnahme des Beschuldigten durch ein SEK in Berlin als Beifahrer des Transportfahrzeuges eingeteilt, das den Beschuldigten Mario K. von Berlin zur Polizeidienstelle Eberswalde gefahren hat. Marco P. kann sich erinnern, dass er mit seinem Kollegen den Beschuldigten vor der Fahrt noch einmal gründlich durchsucht hat. Weiterhin wurde dem mutmaßlichen Täter eine Decke zur Verschleierung angeboten, welche dieser auch annahm. Während der Fahrt hat Mario K. den Polizisten außerdem den kürzesten Weg zur Dienststelle mitgeteilt. Dieser Weg wich von jenem ab, der durch das Navigationssystem empfohlen wurde.

Die erste Vernehmung im Kfz wurde durch den LKA-Beamten R. durchgeführt. Mario K. war absolut ruhig. Auf der Dienststelle angekommen wurde ihm eingeräumt, Wasser zu trinken und zu rauchen. Die ihm angebotenen Zigaretten lehnte er ab, da ihm diese zu schwach seien. Er wollte seinen schwarzen Tabak rauchen.

Nach der Befragung des Zeugen Marco P. durch das Gericht hat auch der Verteidiger Axel W. einige Fragen. Insbesondere interessiert ihn der Ablauf des Transportes: Warum sind die Beamten entsprechend der Wegbeschreibung von Mario K. gefahren und nicht nach Navigationssystem? Dies scheint ihm ungewöhnlich. Der Zeuge kann sich noch gut daran erinnern, dass das Navigationssystem auf dem vorgegebenen Weg Stau angezeigt hat. Mario K. wiederum kannte sich in der Gegend so gut aus, dass er den Beamten unmittelbar den kürzesten Weg nennen konnte.

Die Relevanz dieser Nachfragen wird sich den Beteiligten bestimmt noch im weiteren Verlauf des Prozesses erschließen. Aber sehr interessant ist es, zu erfahren, dass Mario K. sich in dieser Region so gut auskennt. Warum nur?

Nach Beendigung der Zeugenbefragung liest das Gericht noch die Melderegisterauskunft des Beschuldigten vor. Danach ist der Verhandlungstag beendet.

Beispielbild, Bildquelle: Rainer Sturm / pixelio.de

Beamtenvernehmung: Neue Details zum Maskenmann

Der Verhandlungstag am 6. November 2014 beginnt um 9:38 Uhr. Heute werden wiederum einige Polizeibeamte und Angestellte befragt.

Als erster Zeuge wird der Leiter der Kriminaltechnik der Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder) vernommen. Er war mit einer Durchsuchung bei Familie K. in Ahrensfelde beauftragt. Die Familie K. sind die Eltern der ehemaligen Lebensgefährtin des Angeklagten. Der Angeklagte hatte auch nach der Beziehung zur Tochter immer noch Kontakt zu den Eltern, und das über mehrere Jahre.

Beamtenvernehmung: Neue Details zum Maskenmann

Auf dem Grundstück der Eltern stand ein großer Container von circa 3 × 18 Metern, in dem der Angeklagte Sachen aufbewahrt hatte. Auch Gegenstände unter einem Schleppdach direkt am Container wurden eindeutig dem Angeklagten zugeordnet. Der Zeuge kann berichten, dass ein Taschenmesser in den Sachen des Täters aufgefunden wurde und zudem ein Briefmarkenträger mit sechs Marken mit dem Motiv „600 Jahre Universität Leipzig“. Marken mit diesem Motiv nutzte der Täter bei den potentiellen Erpresserbriefen zur Lösegeldübergabe im Fall Stefan T.

Als nächster Zeuge wird der Kriminalkommissar Michael N. befragt. Er war ebenfalls bei der Durchsuchung des Hauses der Familie K. anwesend und mit der Abklärung der aufgefundenen Jogginganzüge, die dem Angeklagten zugeordnet werden konnten, beauftragt. Ähnliche Modelle musste das Opfer Stefan T. an seinem Lagerort tragen. Es handelte sich um einen Jogginganzug der Firma Aldi und um einen, noch originalverpackten der Firma Lidl. In diesem Zusammenhang kann Michael N. berichten, dass der Angeklagte während der monatelangen Observation nicht ein einziges Mal Billigjogginganzüge für circa zehn Euro getragen hatte. Er trug immer hochwertige, eng anliegende Sportkleidung.

Hier stellt sich die Frage, wofür der Angeklagte diese Jogginganzüge dann gebrauchen wollte?

Hiernach wird der Kriminalkommissar Frank B., ebenfalls von der Polizeidirektion Ost in Frankfurt (Oder), befragt. Er war an einer Durchsuchung der Wohnung und des Kellers von Josephine L. beteiligt. Hier fand man Sachen, die dem Angeklagten zugeordnet werden konnten. Es handelte sich hierbei um Kabel, Seile, Taschen, Tauchgeräte, Lüfter und ebenfalls Briefmarken mit dem Motiv „600 Jahre Universität Leipzig“.

Auch wenn es dieses Motiv hunderttausendfach gibt, so ist doch auffällig, dass gerade dieses sich in allen Lebensbereichen des Angeklagten wiederfindet.

Darüber hinaus war der Zeuge damit beauftragt, die Decke, die am Ablageort des Opfers Stefan T. aufgefunden wurde, nach DNA-Spuren zu untersuchen und diese Spuren abzuklären. Eine DNA-Spur konnte Mohamad B. zugeordnet werden. Außerdem hatte Frank B. dem Zeugen Adel E.-B. Lichtbildvorlagen mit 15 Bildern vorgelegt, darunter vier Fotos vom Angeklagten (das wird durch den Verteidiger Axel W. explizit betont).

Bei dieser Aussage seines Verteidigers schaut der Beschuldigte Mario K. den Zeugen sehr, sehr böse an.

Die Verteidigung fragt weiter intensiv nach den Protokollen zur Lichtbildvorlage und deren Umgang. Weiterhin sind die Verteidiger der Meinung, dass man des Inhabers der gefundenen DNA entsprechend habhaft werden sollte.

Dass es hierzu keine juristische Grundlage gibt, scheint die Verteidigung in diesem Fall nicht zu interessieren. Als Täter würde der DNA-Träger wahrscheinlich auch nicht infrage kommen, da er kein Wort deutsch spricht.

Anschließend kommen zwei weitere Polizeibeamten, Annegret P. und Peggy G. zur Vernehmung, die beide ebenfalls an der Durchsuchung der Wohnung der Josephine L. beteiligt waren. Da Josephine L. von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, dürfen die Zeugen nichts über das vor Ort von Josephine L. Gesprochene berichten. Annegret P. kann noch erzählen, dass die für die Wohnung des Beschuldigten zuständige Hausmeisterin erwähnt hat, Mario K. sei sehr neugierig und sehr aggressiv gegenüber den Nachbarn gewesen. Auffällig war auch, dass er sein Fahrrad immer wieder mit dem Staubsauger abgesaugt hat. Überdies hatte er der Hausverwaltung einen Brief geschickt, ebenfalls mit der Briefmarke mit dem Motiv „600 Jahre Universität Leipzig“.

Die Wartezeit bis zum Erscheinen des nächsten Zeugen wird vom Gericht durch Vorlesen von Kontoauszügen des Beschuldigten genutzt. Der letzte Zeuge dieses Verhandlungstages, der Polizeikommissar Alexander S. vom LKA Brandenburg, war auch bei der oben aufgeführten Durchsuchung eingesetzt. Da er keinerlei Erinnerung an diesen Einsatz mehr hat, ist seine Vernehmung schnell beendet und somit auch der heutige Verhandlungstag.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Kurzer Prozess

Aufgrund des Ausfalls einiger Zeugen wird der 33. Prozesstag am 3. November 2014 zu einer kurzen Angelegenheit.

Dennoch werden immerhin drei Zeugen gehört, darunter zwei Polizeibeamte. Zuerst tritt der Kriminalkommissar Heiko K. in den Zeugenstand. Er war einerseits an einer Rekonstruktionsfahrt der Opfer-Kanufahrt (am 10. Dezember 2013) beteiligt, andererseits an der Sicherstellung und Überprüfung eines Briefes des Beschuldigten an eine Immobilienfirma. Zudem wohnte er der Überprüfung von Theaterschminke bei. Zwar fällt der Zeuge durch seine präzisen Antworten und klaren Abgrenzungen zu seinem Bereich positiv auf, doch insgesamt ergibt diese Aussage keine neuen Erkenntnisse.

Kurzer Prozess

Des Weiteren wird der Kriminaloberkommissar Matthias B. gehört, der bei der Durchsuchung der Kellerräume von Frau B. (der Schwester des Beschuldigten) präsent war. Doch auch hierzu gibt es keine neuen Erkenntnisse.

Die dritte und für heute letzte Zeugin, Frau Dr. Vera M. aus Berlin, hat von einer Begegnung am 14. Oktober 2011 in der Nähe der Therme in Bad Saarow zu berichten. Der Mann, den sie damals sah, hatte in ihren Augen auffällige Ähnlichkeit mit dem mutmaßlichen Maskenmann, weswegen sie den Vorfall dann im Juni 2012 gemeldet hat. Insbesondere deshalb, weil diese Person sie sehr böse und aggressiv angeschaut hat. In vielen Teilen ihrer Aussage ist sie sich sicher, manchmal aber widerspricht sie sich.

Da sie der Meinung ist, die Gesichtsform des Beschuldigten passe zu der Person, der sie im Oktober 2011 begegnet ist, bittet sie den Angeklagten, zur besseren Ansicht seine Brille abzunehmen. Obwohl der Angeklagte dieses nicht tun muss, nimmt er die Brille ab, sodass die Zeugin ihn von allen Seiten hinreichend betrachten kann. Allerdings: Eine eindeutige Identifizierung kann die Zeugin nicht abgeben, sie bleibt bei etwa 75 Prozent Wahrscheinlichkeit.

Damit endet dieser Verhandlungstag vergleichsweise frühzeitig.

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

Gerichtsbeschluss: Keine neue Tatortbegehung

Dieser Verhandlungstag ist geprägt durch die Stellungnahme des Verteidigers Axel W., durch die Zeugenaussage einer Polizeibeamtin, zweier Augenzeugen und einem Beschluss des Gerichts.

Stellungnahme der Verteidigung zur Ablehnung des Beweisantrages

Zunächst geht es um eine Stellungnahme von Axel W. Der Verteidiger reagiert damit auf die Ablehnung eines von ihm am 29. Prozesstag gestellten Antrags, eine Vor-Ort-Rekonstruktion der Tat gegen Stefan T. durchzuführen. Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Nebenklägervertreter der Opfer lehnten diesen Antrag am letzten Prozesstag deutlich ab.

Heute stellt Axel W. nun fest, dass die gegnerischen Parteien einen Ortstermin verhindern wollen, obwohl es die Aufklärungspflicht unbedingt gebietet. Weiterhin konstatiert er, dass die polizeiliche Rekonstruktion der Tat nicht so gut geeignet war, wie die der Verteidigung. Demnach würde bei einer erneuten Ortsbesichtigung festgestellt werden, dass das Ersatz-Opfer den Versuch unterbrechen müsste, weil es entsprechend unterkühlt sein würde und es weiterhin zu Verletzungen oder Schürfwunden am Ersatz-Opfer kommen würde. Dieses sei entscheidend für die Beweisführung.

Gerichtsbeschluss: Keine neue Tatortbegehung

Meine Hoffnung aus dem letzten Verhandlungstag, dass Axel W. ein paar einfühlende Worte an die Opfer richtet, wird leider nicht erfüllt. Mit keiner Silbe erwähnt er in seiner Stellungnahme die Opfer. Etwas Empathie gegenüber den Opfern hätte der Verteidigung im Hinblick auf ihre bisherige Prozessführung gut getan. Diese Chance bleibt leider ungenutzt.

Eine skeptische Kriminaloberkommissarin

Anschließend wird Kriminaloberkommissarin (KOKin) B. aus Frankfurt (Oder) als Zeugin gehört. Sie arbeitet seit 2006 in der Mordkommission in Frankfurt (Oder) und war vorher elf Jahre als Sachbearbeiterin beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) in Potsdam eingesetzt. Sie war ebenfalls Mitglied der Soko Imker, die sich mit dem „Maskenmann“ beschäftigt hat. KOKin B. wohnte dabei einer Vernehmung im Fall der Familie P. bei, zum Tatgeschehen gegen Stefan T. begann ihr Einsatz am 8. Oktober 2012.

In ihren Antworten bezieht sich die Zeugin einerseits auf ihren eingeschränkten Aufgabenbereich – sie war Sachbearbeiterin in einer sehr komplexen Ermittlung –, andererseits äußert sie sich und mutmaßt zu umfangreichen Sachverhalten. Bei der Mordkommission hat sie ein paar Verdachtsfälle zu Entführungen bearbeitet. Bei ihrer vorherigen Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim MEK in Potsdam hat sie Entführungen mitbearbeitet.

Die letzte Vernehmung im Fall Stefan T., die sie gelesen hat, stammte vom 18. Oktober 2012. Danach hatte sie keine Zeit mehr, ein entsprechendes Aktenstudium durchzuführen. Sie hatte Klärungsbedarf zu den Aussagen von Stefan T., insbesondere zu seinem Aufenthalt im Wasser und seiner Flucht vom Ablageort.

Sie hatte große Skepsis, dass man es so lange im Wasser aushalten kann und auch, dass man die Flucht ohne Verletzung überstehen kann. Sie persönlich hätte damit Probleme gehabt. Doch ihr Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar (KHK) K., teilte ihre Skepsis nicht und ordnete an, dass diese offenen Punkte mit dem Zeugen und Opfer Stefan T. nicht besprochen werden.

Auch hatte KOKin B. Zweifel an der Fesselung sowie der Durchführung der Rekonstruktion und teilte dies wiederum KHK K. mit. Dieser blockte die Diskussion erneut ab. Auch ein Kollege von ihr hatte mit den geschilderten Umständen erhebliche Schwierigkeiten und sich daher im weiteren Verlauf der Ermittlungen selbst angezeigt.

Die Zeugin B. betont in der Vernehmung des heutigen Tages noch einmal, dass sich ihre Skepsis auf den Ermittlungsstand bis einschließlich 18. Oktober 2012 bezieht.

Einige Fragen der Verteidigung darf die Zeugin aufgrund ihrer eingeschränkten Aussagegenehmigung nicht beantworten. Dies scheint vordergründig zu verwundern, ist jedoch ein ganz normaler Vorgang. Zum Beispiel dürfen über innerdienstliche Gegebenheiten oder Polizeitaktiken keine Aussagen getroffen werden. In ihrer Aussagegenehmigung steht des Weiteren, dass bei Verstoß ein Disziplinarverfahren droht, was die Zeugin kritisiert.

Dass sich gerade eine Polizeibeamtin, die für die Einhaltung von Recht und Ordnung zuständig ist, darüber beklagt, dass bestraft wird, wer gegen eine Anordnung verstößt, ist mehr als verwunderlich.

Des Weiteren fand es die Zeugin B. befremdend, dass sich der Polizeipräsident persönlich in die Ermittlungen eingebracht hat.

Bei einer Hochwasserkatastrophe erwartet man auch, dass der Ministerpräsident sich vor Ort blicken lässt. Dieser hier verhandelte Straftatkomplex ist außergewöhnlich und so noch nirgendwo verhandelt worden. Daher ist es eine ganz natürliche Pflicht des Polizeipräsidenten, sich besonders für diesen Fall zu interessieren.

Zeugin KOKin B. berichtet, dass sie am 13. März 2013 ein Gespräch mit ihren Vorgesetzten Kriminaldirektor (KD) K. und KHK K. führte. Darin wurde geklärt, welcher ihrer Kollegen mit den Zweifeln schließlich zur Staatsanwaltschaft gegangen ist. Es war der Kollege B., der sich im Nachhinein auch selbst angezeigt hat. Die Vorgesetzten missbilligten dieses Verhalten.

Bedenklich erscheint mir, dass die Zeugin nach eigener Aussage keine persönliche Tatortbesichtigung zum Tatgeschehens gegen Stefan T. durchgeführt hat. Weiterhin war sie auch die zuständige Opferbetreuerin von Stefan T., sagt jedoch hier im Prozess aus, dass sie nie einen persönlichen Kontakt zu Stefan T. hatte.

Zeugin KOKin B. brennt hier ein kleines Buschfeuer ab. Juristisch hat ihre Aussage allerdings keinen Wert. Sie hat sogenanntes „gefährliches Halbwissen“ gepaart mit einer übertriebenen Skepsis. Während ihrer Aussage lässt sie auch schon beantwortete Fragen nicht auf sich beruhen, und fügt immer wieder noch eigene Interpretationen hinzu. Sie äußert selbst, dass es sich um persönliche Meinungen und Mutmaßungen handelt. Ich würde mir allerdings doch ein verantwortungsvolleres Aussageverhalten wünschen, dass sich an Zahlen, Daten und Fakten hält.

Ihre Skepsis ergab sich unter anderem über Bekannte und Beamte, die sie zu dem Fall gefragt haben, aber keinerlei Einblicke in die Ermittlungsakten hatten.

Natürlich ergeben sich aus den einzelnen Punkten und der Gesamtschau der Aussage der Zeugin KOKin B. Nachfragen, sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft, als auch bei den Nebenklägern. So fragt der Staatsanwalt, ob denn die Androhung einer Disziplinarmaßnahme ganz explizit ausgesprochen worden ist, oder ob es sich um einen allgemeinen Hinweis handelte. KOKin B. antwortet, es handelte sich nur um einen allgemeinen Hinweis auf ihre Aussagegenehmigung. Auch diese ist nur eine ganz Allgemeine, bestätigt die Zeugin KOKin B.

Weiterhin wird die Zeugin gefragt, ob es denn ein üblicher Weg sei, bei Unstimmigkeiten in der Polizeiarbeit zur Staatsanwaltschaft zu gehen. Auch dieses wird verneint. Man würde sich zuerst an den nächsten Vorgesetzten wenden und kann die Antwort dann akzeptieren, oder man spricht mit Kollegen darüber. Warum ihr Kollege B, mit seinem Anliegen zum Oberstaatsanwalt S. gegangen ist, kann sie nicht beantworten. Auch nähere Inhalte des Gesprächs kennt sie nicht.

Sie wird außerdem gefragt, warum sie zum oben aufgeführten Gespräch mit ihrem Vorgesetzten geladen wurde. Das weiß sie nicht mehr, ebenso wenig, warum sie sich zu Sachverhalten äußern würde, zu denen sie einen Ermittlungsstand hat, der nur bis zum 18. Oktober 2012 reicht. Der Staatsanwalt fragt weiter, warum sie sich äußert, ohne sich parallel sachkundig zu machen. Auch die Rekonstruktion der Fesselung von Stefan T. hat sie als zweifelhaft angesprochen, obwohl sie ebenfalls nicht vollständig in diesen Vorgang eingebunden war. Weiterhin hat sie sich auf das Gutachten der Sachverständigen Bettina G. aus Magdeburg bezogen, obwohl sie inzwischen weiß, dass diese als Sachverständige durch das Gericht abgelehnt wurde. Damit hat dieses Gutachten keinerlei Relevanz in diesem Prozess.

Auf weitere Nachfragen des Verteidigers Axel W. sagt sie aus, dass sie die Aussagegenehmigungserteilung schon als ungewöhnlich empfand und ihre Zeugenaussage vor Gericht für sie eine Gratwanderung ist. Darüber hinaus kann sie sich nicht erinnern, dass sie auch Videoaufnahmen zu den Vernehmungen von Stefan T. gesehen hat.

Wiedererkennungsmerkmal „abstehendes Ohr“

Nach der Mittagspause wird das Ehepaar Harry und Christiane J. aus Berlin gehört. Der Mann ist seit 1974 Polizist, unter anderem sehr lange Zeit in Berlin-Marzahn, spricht aber heute nicht in dieser Funktion. Beide können berichten, dass sie den Beschuldigten an einer Edeka-Filiale in der Nähe ihres Campingplatzes am Storkower See gesehen haben. Sie können leider keine Zeitangaben machen. Der Mann sagt aus, dass er sich sehr gut Gesichter merken kann und damit bei der Polizei viele Festnahmeerfolge hatte. Allerdings kann er sich keine Daten merken. Das Gesicht des Beschuldigten hat er definitiv schon zweimal gesehen. Die Frau kann sich insbesondere an die markante Augenpartie erinnern. Weiterhin erinnert sie sich, dass ein Ohr umgeknickt war und abstand. Auch Petra P. hat als Zeugin schon ausgesagt, dass sie den Täter am umgeknickten, abstehenden Ohr wiedererkannt hat.

Gerichtsentscheidung zum Beweisantrag der Verteidigung

Zum Ende des Verhandlungstages gibt das Gericht noch einen mit Spannung erwarteten Beschluss bekannt: Der Beweisantrag der Verteidigung vom 2. Oktober 2014, dem 29. Prozesstag, wird abgelehnt.

Eine erneute Inaugenscheinnahme ist nicht erforderlich, da es bereits schon zahlreiche Fotos, Videos und Ähnliches von den Tatorten gibt. Außerdem gab es viele Polizeibeamte, die bei Gericht als Zeugen ausgesagt haben. Damit liegen sehr umfangreiche Erkenntnisse vor. Durch diese Erkenntnisse ist die Kammer durchaus in der Lage, die Situation hinreichend beurteilen zu können. Ein erneuter Ortstermin würde keine entscheidende Aufklärung erbringen. Auch ist eine exakte Rekonstruktion nicht mehr möglich, da viele Angaben nicht bekannt sind oder aber originalgetreu nachgestellt werden könnten.

Die Verteidigung behält sich vor, auf diesen Beschluss entsprechend zu antworten. Ferner stellt der Klagevertreter von Stefan T., Dr. Panos P., einen Beweisantrag. Er beantragt das Abspielen von Audio- und Videoaufzeichnungen des Beschuldigten. Darauf sei das von Stefan T. angesprochene Schniefen des Täters zu hören.

Der Prozess endet um 14:18 Uhr.

Bildquelle: Gerhard Frassa / pixelio.de

Die Opfer erheben ihre Stimme und wehren sich

Der heutige Tag ist geprägt durch die Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter zum Beweisantrag der Verteidigung vom 29. Verhandlungstag.

Nächster Akt in der Schmierenkomödie

Nachdem die Verteidigung an jenem Verhandlungstag eine fragwürdige Rekonstruktion von einem Teil des Tathergangs zum Nachteil von Stefan T. per DVD vorgeführt hat – und damit wieder einmal Zweifel an dem Straftatenkomplex gegenüber Stefan T. geäußert hat – stellte die Verteidigung in diesem Zusammenhang ein Beweisantrag dahingehend, dass das Gericht einen Ortstermin durchführen soll, in dem der gesamte Tathergang rekonstruiert wird. Diese Vorführung wurde von den Nebenklägervertretern als Schmierenkomödie dargestellt und daher fielen ihre heutigen Stellungnahmen auch entsprechend aus.

Ich fasse im Folgenden die Antworten der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter, Dr. Jakob D., Dr. Panos P. und Anwältin Evelyn R., zusammen, damit ich mich mehr auf die Antwort der Familie P. konzentrieren kann.

Die Opfer erheben ihre Stimme und wehren sich

Allgemeine Ablehnung des Beweisantrages

Zunächst: Alle oben aufgeführten Personen haben den Beweisantrag eindeutig abgelehnt. Es wurde darauf hingewiesen, dass sowohl andere Beweise und Zeugenaussagen, als auch die Rekonstruktion der Polizei bewiesen haben, dass die Tat so grundsätzlich durchführbar war. Eine exakte Rekonstruktion ist heute auch nicht mehr möglich, da weder das damalige exakte Gewicht des Täters bekannt ist, noch beispielsweise die Auswirkungen des ausgeschütteten Adrenalins beim Opfer Stefan T. nachvollziehbar sind.

Zudem hat der Beweisantrag von Verteidiger Axel W. nicht einmal die geringsten formellen Ansprüche erfüllt. So ist zum Beispiel keine konkrete Beweistatsache genannt worden, sondern nur eine pauschale Behauptung über einen vermuteten Ablauf.

Die Familie des Opfers wehrt sich

Besonders bemerkenswert ist am heutigen Verhandlungstag, dass die Familie P. über ihren Verteidiger Dr. Jakob D. eine Erklärung zu dem Beweisantrag abgibt.

Während der Vorführung der DVD konnte ich schon bemerken, dass Petra P. und Louisa .P die Rekonstruktion nur missbilligend wahrgenommen haben.

In ihrer Stellungnahme beklagt Familie P., dass die Verteidigung immer wieder Zweifel an den Aussagen und Schilderungen des Opfers Stefan T. äußert und diese auch pressewirksam verbreitet. Insbesondere stütze die Verteidigung ihre Zweifel auf die Fallanalyse der mittlerweile wegen Befangenheit und Inkompetenz abgelehnten Sachverständigen G. aus Magdeburg.

Diese Sachverständige hatte verbotenerweise (sie hat nicht die gesetzlich vorgeschriebene Qualifizierung dazu) ein Glaubwürdigkeitsgutachten über Stefan T. erstellt. Darin bezweifelte sie die Aussage von Stefan T. Inzwischen ist sie für die Erstellung dieses „Gutachtens“ von einem professionellen Kollegen des LKA Brandenburg angezeigt worden.

Zu behaupten, dass Stefan T. seine Entführung nur vorgetäuscht hat, findet Familie P. perfide und geschmacklos, insbesondere wenn man diesen Denkansatz bis zum Ende verfolgt: Denn die Kriminaltechnische Untersuchung (KTU) betreffend der Munition bei der Tat gegen Louisa P. und Thorsten H. sowie gegen Stefan T. hat ergeben, dass jeweils dieselbe Waffe verwendet wurde. Das lässt natürlich den Schluss zu, dass auch derselbe Täter gehandelt haben muss, was wiederum impliziert, dass Stefan T. in die Tat an Louisa P. und Thorsten H. verwickelt sein könnte.

Familie P. glaubt nicht, dass die Verteidigung diese Behauptung ernsthaft verfolgen will. Das stete Wiederholen der Zweifel führt stattdessen nur dazu, dass alle Opfer bei diesem Prozess erneut viktimisiert („zum Opfer gemacht“) werden. Auch die Begründung der Verteidigung, alles für ihren Mandanten tun zu müssen, bedeutet keine Rechtfertigung für die erhebliche Effekthascherei der letzten Wochen.

Letztlich hat es die Verteidigung leider nie geschafft, ihre Behauptungen, das Verbrechen sei vorgetäuscht worden und die Behörden hätten nur einseitig ermittelt, mit einer stichhaltigen Begründung oder gar mit einem Beweis zu belegen.

Das zeigt insbesondere auch die am 29. Verhandlungstag eingebrachte DVD mit einer Teiltat-Rekonstruktion, die wiederum unter falschen Rahmenbedingungen stattfand.

Es ist gut zu sehen, dass Familie P. die Stärke aufbringt, sich gegen diesen Höhepunkt der Unerträglichkeit zu wehren. Es wäre wünschenswert, wenn die Verteidigung die nötige und angemessene Empathie gegenüber allen Geschädigten aufbringen könnte.

Die Ernüchterung folgt prompt

Auf die Antwort von Verteidiger Axel W. zu den diversen Stellungnahmen muss nicht lange gewartet werden. Er empfindet diese als polemisch und zweifelt auch an, dass bei Benutzung der jeweils selben Tatwaffe auch der jeweils selbe Täter das Verbrechen begangen haben muss. Er möchte wiederum seinerseits am nächsten Verhandlungstag eine Stellungnahme zu den gehörten Stellungnahmen abgeben.

Damit wird mein Wunsch nach Empathie auf Seiten der Verteidigung wohl nicht erfüllt. Vielleicht gelingt es der Verteidigung, bei ihrer Stellungnahme einige einfühlsame Worte an die Opfer zu richten. Eine umfangreichere und bessere Art der Opferbehandlung habe ich schon mehrmals in meinem Blog beschrieben und bereits am sechsten Verhandlungstag angesprochen.

Einsatz des Selbstleseverfahrens

Des Weiteren hatte das Gericht einen Ordner mit Observationsberichten des Beschuldigten Mario K. zum Selbstleseverfahren an die Parteien verteilt und so in den Prozess eingebracht.

Das Selbstleseverfahren ist gesetzlich in § 249 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Hierbei werden Schriftstücke zur Beweiserhebung nicht wie üblich durch Verlesen in die Hauptverhandlung eingeführt, sondern die Parteien erhalten durch die Übergabe der Schriftstücke Kenntnis darüber.

Axel W. erhebt Einspruch gegen das Selbstleseverfahren. Nach kurzer Beratung des Gerichts gibt der Vorsitzende Richter Dr. F. bekannt, dass das Selbstleseverfahren gemäß § 249 StPO dennoch angeordnet wird. Danach liest der Richter alle Vorgänge vor, die in diesem Verfahren enthalten sind.

Damit ist der heutige Verhandlungstag beendet, und ich bin gespannt auf die Stellungnahme der Verteidigung zu den Stellungnahmen der Nebenkläger wie oben beschrieben.

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

Gruselige Begegnung: Der Mann aus dem See

Am 30. Verhandlungstag, dem 6. Oktober 2014, beginnt der Prozess um 10:00 Uhr. Zuerst wird der Polizeibeamte Patrick H. als Zeuge gehört. Vor fast genau zwei Jahren, am 7. Oktober 2012, war er auf der Dienststelle in Frankfurt (Oder) eingesetzt und hat dort als einer der ersten Beamten das Opfer Stefan T. angetroffen. Patrick H. arbeitet für die Kriminaltechnische Untersuchung (KTU) und hat die Bekleidung von Stefan T. gesichert. Er berichtet, dass die Kleidung nass war, und das Opfer an einem Fuß fünf Socken, und am anderen vier Socken an hatte. Die Kleidung war verschmutzt, ansonsten machte das Opfer einen normalen Eindruck. Auf andere oder weitere Merkmale hat er nicht geachtet.

Den eingesteckten Erpresserbrief hat er nicht persönlich von Stefan T. entgegengenommen, diesen aber später in der KTU behandelt. An wen die Briefe von Stefan T. direkt übergeben wurden, weiß er nicht.

Gruselige Begegnung: Der Mann aus dem See

Der Ablageort des Entführungsopfers während der Entführung wurde noch am selben Tag von Patrick H. aufgesucht, sowohl von der See-, als auch von der Landseite aus. Das Anlegen von der Seeseite erwies sich als etwas schwieriger. Am Ablageort fand man noch eine Decke und auch die Dachkonstruktion aus blauen Müllbeuteln, die mit Klebeband an einigen Ästen befestigt war. Das Kajak lag in etwa 10 Metern Entfernung.

Der Weg vom Ablageort zum Knüppeldamm wurde wiederum erst am 8. Oktober 2012 durch die Polizei abgegangen. Die Beamten orientierten sich dabei an umgeknickten Ästen und abgetretenem Moos auf dem Boden. Am Knüppeldamm wurde dann ein weiteres Stück Klebeband gefunden.

Patrick H. war außerdem im Haus von Stefan T. im Einsatz. Dabei wurde eine Hülse gefunden und gesichert, ebenso wie das Projektil, das aus einem Dachbalken heraus sichergestellt worden ist. Der KTU-Spezialist war auch bei der Rekonstruktion der Tat durch die Polizei am 2. Juli 2014 eingesetzt.

Der Verteidiger des Beschuldigten, Axel W., führt ebenfalls eine Befragung des Zeugen durch. Ihn interessiert, welche Kollegen am 7. Oktober 2012 gemeinsam mit ihm auf das Opfer Stefan T. trafen. Weiterhin interessiert ihn die Kleidung, die das Opfer anhatte, und ob der Schmutz mit dem des Ablageortes übereinstimmte, was der Zeuge bestätigt.

Der Mann aus dem See

Nach der Mittagspause kommt das Ehepaar Beatrice und Matthias G. in den Zeugenstand, wird allerdings getrennt vernommen. Beide berichten über ein merkwürdiges Treffen mit dem möglichen Täter: Am 2. Oktober 2011 saßen sie an einer einsamen Stelle am See, um sich zwischen 15:30 Uhr und 17:00 Uhr den Sonnenuntergang anzuschauen. Sie bemerkten ein kleines Ein-Mann-Zelt und davor drei Feuerstellen. Sie wunderten sich, da zelten hier verboten ist. Nachdem sie einige Minuten saßen, kam von der Wasserseite her ein Mann aus dem See, der ein Kajak hinter sich herzog. Beide Parteien haben sich, nachdem sie sich jeweils gegenseitig bemerkt haben, erschrocken. Das Ehepaar G. grüßte freundlich mit einem „Hallo“, was durch ein zackiges Kopfnicken beantwortet wurde. Allerdings wurde ihnen bei dieser Begegnung unheimlich und sie beschlich ein sehr unbehagliches Gefühl. Das Ehepaar hat den Ort danach ziemlich schnell verlassen.

Beiden fiel die durchtrainierte Körperstatur auf und die kantige, fast kastenförmige Gesichts- und Kopfform. Allerdings können die Eheleute den Angeklagten nicht hundertprozentig als denjenigen identifizieren, der damals aus dem Wasser stieg. Frau Beatrice G. ist sich zwar ziemlich sicher, dass Mario K. identisch mit dem unheimlichen Kajakfahrer sein könnte, ihr Mann hat allerdings mehr Zweifel. Ähnlich sei durchaus das markante Gesicht, doch hinsichtlich der Körperlänge gibt es unterschiedliche Aussagen. Obgleich beide den Kajakfahrer früher als deutlich größer wahrgenommen haben, sagen beide nun, dass die Person eventuell doch rund fünf Zentimeter kleiner gewesen sein könnte.

Zum Ende des Verhandlungstages fragen nochmals die Anwälte der Nebenkläger nach und lassen sich die Ähnlichkeit des kastenförmigen Gesichts zwischen dem Mann am See und dem aktuell Beschuldigten bestätigen.

Bildquelle: Lutz Stallknecht / pixelio.de

Eine „Schmierenkomödie“ der Verteidigung

Der heutige Prozesstag, der 2. Oktober 2014, ist zugleich der dritte Jahrestag des feigen Anschlags auf Louisa P. Die Tochter der Familie P. sollte seinerzeit entführt werden. Der Versuch schlug fehl, allerdings wurde in diesem Zusammenhang tragischerweise der Sicherheitsmitarbeiter Thorsten H. durch eine Schussverletzung querschnittsgelähmt.

Die Verteidigung des mutmaßlichen Täters „glänzt“ während der heutigen Verhandlung mit einer Schmierenkomödie; so zumindest bezeichnet Nebenkläger Dr. Panos P. das Auftreten der Anwaltschaft.

Doch zunächst wird der Zeuge Fabian Detlef T. gehört.

Eine „Schmierenkomödie“ der Verteidigung

Äußerst fit und gut trainiert: Mario K. hält Vereinsrekord

Fabian Detlef T. war Boxtrainer in der Betriebssportgemeinschaft (BSG). In der BSG hatte der Beschuldigte Mario K. 2011 circa zwei bis drei Mal pro Woche trainiert. Neben allgemeinen Aussagen ist besonders hervorzuheben, dass der Trainer auch sagte, Mario K. habe einen sehr fitten Eindruck hinterlassen und er habe keinerlei körperliche Beeinträchtigungen festgestellt. Besonders ist hervorzuheben, dass Mario K. bis heute noch einen Vereinsrekord in einer speziellen Fitnessübung hält. Bei dieser Übung handelt es sich um Sit-ups, bei denen man sich zu zwei Dritteln zurückbeugen muss und beim Vorbeugen eine kurze Rechts-Links-Schlagkombination auf die Handpratzen des Boxtrainers abgeben muss. Der Rekord von Mario K. liegt bei 136 Wiederholungen in drei Minuten. Das bedeutet eine Wiederholung pro 1,32 Sekunde.

Das kann man durchaus einen extrem fitten körperlichen Zustand nennen. Doch nun kommt der Höhepunkt des Tages.

„Schmierenkomödie“ der Verteidigung

Der Verteidiger Axel W. bringt eine DVD mit einer Rekonstruktion des möglichen Tatablaufes in Sachen Stefan T. ein, und zwar den Teil, auf dem die Verbringung von Stefan T. mit dem Kajak vom Haus am Storkower See bis zum möglichen Ablageort zu sehen ist. Dazu erläutert der Verteidiger die Randbedingungen: Die Rekonstruktion wurde am 22. September 2014, um 13:10 Uhr durchgeführt. Die Luft hatte 17 Grad Celsius, das Wasser 18 Grad Celsius.

Die Rekonstruktion beginnt mit der Abfahrt am See. Der Ersatztäter sitzt bereits im Kajak. Das Ersatzopfer wird durch den Verteidiger Christian L. dargestellt. Die Fahrt beginnt am Ufer des Nachbaranwesens von Stefan T. Der Ersatztäter sitzt in Fahrtrichtung, abgewandt vom Ufer. Er wiegt 120 Kilo, ist 34 Jahre alt und trägt kurze Beinkleidung. Das Ersatzopfer ist mit einer Leinenhose sowie mit einem Hemd und einem leichten Wollpullover sowie normalen Socken bekleidet. Er ist an den Händen gefesselt und seine Augen sind mit Klebeband verbunden. Der Ersatztäter macht keinen durchtrainierten Eindruck, dies bemerkt man schon nach den ersten 200 Metern, die er das Ersatzopfer hinter seinem Kajak herzieht. Er macht kleine Schlagpausen mit dem Doppelpaddel. Die gesamte Strecke, die der Täter ursprünglich zurückgelegt hat, beträgt circa 1600 Meter. Die Rekonstruktion muss allerdings bereits nach der Hälfte abgebrochen werden, da der Ersatztäter nicht durchhält. Christian L. wird nun an Bord geholt und zittert sehr stark.

Ich kann mir vorstellen, dass es für die Opfer nur schwer zu ertragen ist, sich diese Show anzusehen. Petra P. und Louisa P. machen das in meinen Augen einzig Richtige und drehen sich bewusst vom Bildschirm weg.

Nachdem die circa 15- bis 20-minütige Vorführung beendet ist und der Verteidiger Axel W. einen Beweisantrag einbringen möchte, gibt der Nebenklägervertreter von Stefan T., Dr. Panos P., eine Erklärung ab. Er betitelt die Vorführung als Schmierenkomödie, die „äußerst geschmacklos“ sei. Zusätzlich ist die Rekonstruktion mit dem geschilderten Tathergang von Stefan T. auch nicht identisch und somit nicht geeignet. Insbesondere scheint der Ersatztäter als Kajakfahrer nicht geübt zu sein, er macht einen unsportlichen Eindruck. Dr. Panos P. appelliert an die Verteidigung, doch etwas mehr auf den Opferschutz zu achten. Hierauf gibt Axel W. seine Meinung bekannt. Er stellt fest, dass es im Prozess nicht um Geschmacksfragen geht. Der Versuch wäre sogar zugunsten des Opfers Stefan T. verändert worden.

Hier sei die Frage erlaubt, warum der Verteidiger etwas zugunsten der Opfer einbringen möchte?

Auch die Nebenklägervertreter von Petra P., Dr. Jakob D., und die Anwältin von Thorsten H., Frau Evelyn R., erklären, dass sie die Vorführung dieser Rekonstruktion für geschmacklos und ungeeignet halten. Die Verteidigung versucht, sich durch Axel W. zu erklären; so ganz gelingt ihm das jedoch nicht. Insbesondere möchte er darauf aufmerksam machen, dass der Ersatztäter ein 34-jähriger Kanu-Polo-Spieler aus der Bundesliga ist. Damit möchte er untermauern, dass es sich hierbei um einen fitten Ersatztäter handelte.

Tatsächlich sollte man bei einer Rekonstruktion nahezu identische Randbedingungen schaffen. In diesem Fall sollte man die Gesamtstrecke der Kajakfahrt von 1600 Metern in Relation mit einem Kanu-Polo-Spiel stellen. Ein Kanu-Polo-Spielfeld hat die Größe von 35 × 25 Metern. Ein Team besteht aus acht Spielern, davon sind drei Auswechselspieler. Das Spiel dauert 2 × 10 Minuten, sodass jeder Spieler eine durchschnittliche Spielzeit von 12,5 Minuten hat. Das bedeutet: pro Halbzeit 6,25 Minuten. Man könnte also annehmen, dass bei einem Kanu-Polo-Spiel insbesondere Schnellkraft gefordert wird. Wenn ich aber eine Strecke von 1600 Meter mit Belastung hinter mich bringen möchte, ist wahrscheinlich eher Ausdauerkraft gefordert. Sollte ein vergleichbarer Fitnesszustand des Ersatztäters getestet werden, so haben wir soeben von dem Boxtrainer gehört, dass Mario K. einen Vereinsrekord in der Disziplin Sit-ups mit nachfolgender Schlagkombination aufgestellt hat. Dieser Test wäre also zum Fitnessvergleich geeignet.

Nachdem alle ihre Erklärungen zur Rekonstruktion vorgetragen haben, stellt Axel W. einen Beweisantrag. Er gibt an, dass der Tathergang, so wie Stefan T. ihn geschildert hat, nicht stattgefunden haben kann. Dies würde seine soeben gezeigte Rekonstruktion deutlich aufzeigen. Er beantragt mithin, dass das gesamte Gericht einen Ortstermin durchführen sollte. Hier möchte er den kompletten Tathergang – von der Verbringung vom Anwesen von Stefan T. bis zur Selbstbefreiung und dem Zurücklegen des Fluchtwegs bis zum Knüppeldamm – rekonstruiert haben. Auch die bereits durchgeführten Rekonstruktionen der Polizei seien nicht tauglich. Insbesondere bemängelt Axel W., dass der Weg vom Aussteigen aus dem Kajak zum Ablageort mit verbundenen Augen nicht entsprechend nachgestellt wurde.

Während der 15-minütigen DVD-Vorführung kommentierte Mario K. das Leinwandgeschehen gegenüber seinem Rechtsanwalt Christian L. Dieser wiederum teilte die Kommentare sofort Axel W. mit. Mario K. hat eine besondere Gestik: Beim Erzählen mit Armen und Händen hält er immer den Daumen senkrecht hoch. Auch wenn er seinen Kopf abstützt, ist auffällig, dass er das mit den Daumen macht, genauso kratzt er sich mit dem Daumen im Gesicht oder am Kopf.

Neun Messer

Anschließend wird der Zeuge Andreas W. gehört. Er ist der Lebensgefährte und Verlobte von Mario K.s Schwester. Er hat den Beschuldigten erstmalig nach dessen Gefängnisaufenthalt 2009 kennengelernt. Er wollte weder Kontakt zu ihm, noch, dass er die gemeinsame Wohnung betritt. Andreas W. weiß zu berichten, dass sich seine Verlobte gelegentlich zum Kaffee mit Mario K. außerhalb der Wohnung getroffen hat. Weiterhin erzählt er, dass Mario K.s Schwester aufgefordert wurde, ein Telefon für den Beschuldigten zu besorgen, welches nicht zurückverfolgt werden konnte. Er, Andreas W., hat davon erst im Nachhinein erfahren. Als Andreas W. in den Medien von der Tat gegen Stefan T. hörte, hatte er sofort ein komisches Gefühl und glaubte, dass Mario K. der Täter hätte sein können. All dies trägt der Zeuge frei und authentisch vor.

Nach der Vernehmung durch das Gericht, wird der Zeuge noch zu weiteren Punkten von Dr. Jakob D. befragt. Auch der Nebenklägervertreter Dr. Panos P. erhält Gelegenheit für Fragen. Insbesondere interessieren ihn einige Messer. Neun Stück wurden bei der Wohnungsdurchsuchung durch die Polizei festgestellt. Zwei der Messer waren in einem Tresor, der nicht abschließbar war, abgelegt, eines ist mit dem möglichen Tätermesser identisch. Dr. Panos P. möchte vom Zeugen wissen, warum gerade diese beiden im Tresor gelagert waren, und warum das „Tätermesser“ sauber ist und das andere nicht. Nun endet die freie authentische Rede des Zeugen, er beginnt mit ausweichenden und zögerlichen Antworten. Den Sachverhalt kann er nicht hinreichend erklären.

Bildquelle: I. Rasche / pixelio.de

Ein fragwürdiger Schießsportverein und ein unglaubwürdiger Zeuge

Der heutige Prozesstag – der 28. – beginnt ein wenig verspätet. Auf der A12, der Autobahn von Berlin nach Frankfurt (Oder) hatte es einen Unfall gegeben und nahezu alle Prozessbeteiligten waren Leidtragende. Um 9:55 Uhr beginnt der Richter die Verhandlung mit der Frage, ob auf den Sachverständigen, Herrn K., von allen Parteien verzichtet werden kann. Dies wurde von allen bejaht.

K. wurde am 25. Prozesstag anlässlich des ersten Gutachtens zu Dr. Bettina G. gehört. Da dieses Gutachten jedoch keinerlei Relevanz mehr hat, wurde K. lediglich als Zeuge gehört.

Fragwürdiges Verhalten im Schießsportverein

Der erste Zeuge des heutigen Tages ist Herr B., Vorsitzender des Schießsportvereins, in dem der Angeklagte trotz mehrerer Vorverurteilungen, unter anderem wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Mitglied war und schießen durfte.

Ein fragwürdiger Schießsportverein und ein unglaubwürdiger Zeuge

Der Angeklagte begrüßte Herrn B. lächelnd mit einem freundlichen Kopfnicken.

Herr B. gibt an, dass der Angeklagte im November 2010 auf Empfehlung der Kraftsportgruppe des Betriebssportvereins der Berliner Stadtreinigung als Gastschütze aufgenommen wurde. Im Januar 2011 wurde der Angeklagte dann sogar Mitglied des Schützenvereins. Diese Mitgliedschaft wurde 2013 beendet, weil der Angeklagte sich nicht mehr meldete und der Verein nicht in Vorkasse für die Vereinsgebühren treten wollte. Der Zeuge erinnert sich, dass der Angeklagte eine Auszeit ankündigte, und zwar von Frühjahr 2012 bis September 2012. Er werde sich in dieser Zeit in Griechenland aufhalten und deshalb nicht im Verein tätig sein können. Abweichend von den bereits gehörten Mitgliedern des Schützenvereins hält es Herr B. für unmöglich, Munition vom Schießstand zu entwenden. Zumal der Angeklagte immer so enge Sportkleidung getragen habe, dass man es gesehen hätte. Die weiteren Aussagen, Aussehen und Eindruck betreffend, sind deckungsgleich mit denen der anderen Mitglieder.

Schon bei den ersten Einlassungen des Zeugen hatte ich das Gefühl, er wolle sich und „seinen“ Verein verteidigen. Vor allem die Unmöglichkeit der Wegnahme von Munition erschien hilflos lächerlich für jeden, der schon einmal auf einem Schießstand war,

Der Staatsanwalt hat nun das Wort und stellt die zunächst belanglos erscheinende Frage, ob der Zeuge denn wisse, warum der Angeklagte von der Kraftsportgruppe zum Schützenverein gewechselt habe. Der Zeuge berichtet, der Angeklagte habe ihm erzählt, die Mitgliedschaft in der Kraftsportgruppe sei ihm zu teuer und er müsse zu weit fahren, um dort zu trainieren. Jedoch wurde dem Zeugen später klar, dass die Entfernung eher kürzer oder zumindest gleich ist und die Gebühren zu 100 Prozent identisch waren.

Anschließend stellt der Staatsanwalt die Frage, die auch mich brennend interessiert: Wusste der Zeuge, dass Mario K. vorbestraft war? Der Zeuge gibt an, es nicht gewusst zu haben und, dass dies erst bei der Erlangung der Waffenbesitzkarte (WBK) bekannt geworden wäre. Der Verein hat keine Kontrollmechanismen, die dies hätten erkennen können.

Bei den Einlassungen des Zeugen und den schon früher gehörten Schützenbrüdern war stets die Rede von Sportgeräten. Allerdings sind diese Sportgeräte Waffen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unter dem Deckmantel des Sports auf unabdingbare Regularien für die Ausführenden verzichtet wird. Hierzu bedarf es meines Erachtens nicht der Anpassung des ohnehin sehr strengen Waffenrechts, sondern eindeutig der Verantwortung der Schützenvereine. Ein Vorfall wie dieser ist inakzeptabel und in der Sache ein Skandal. Es sollte allerdings noch schlimmer kommen.

Bei der weiteren Befragung wird verlesen, wie viel Munition der Angeklagte wann verschossen hat. Es stellt sich heraus, dass das durch den Vorsitzenden übermittelte Protokoll aus den Prozessakten, aus dem diese Anzahl hervorgeht, von dem Zeugen auf Anforderung erstellt wurde und ein Mix aus drei Protokollen ist, welche beim Schießen geführt wurden. Um es abzukürzen: Der Zeuge hat keinerlei Unterlagen, aus denen hervorgeht, wann er wie viel Munition an den Angeklagten verkauft hat. Eventuell gibt es Aktennotizen in den Schießstandprotokollen. Der Zeuge weiß jedoch nicht, ob diese noch existieren. Es sei schon so lange her und es gebe keine Pflicht zur Archivierung.

Die Antworten und der Tonfall des Zeugen wurden nun schon fast patzig. Er war genervt von der vermeintlichen Nachweispflicht. Für mich ist es allerdings absolut unverständlich, wie jemand in einer solchen Verantwortung und im Besitz einer Waffenbesitzkarte, die ihm auch den Erwerb von Munition erlaubt, so fahrlässig mit der Weitergabe dieser umgehen kann. Im Bereich von gewerblichen Sicherheitsdienstleistungen hat lediglich der Geschäftsführer diese Erlaubnis. Hier würde ein derart fahrlässiger Umgang mit Munition den Bestand des Unternehmens gefährden.

Der Richter bittet den Zeugen, alle relevanten Unterlagen herauszusuchen und an das Gericht zu übersenden. Die Befragung dauerte 80 Minuten.

Verlängerung des Prozesses

Anschließend wird Frau B. gehört, die Vorsitzende der Betriebssportgemeinschaft der Berliner Stadtreinigung. Frau B. kann nichts Neues zum Prozess beitragen. Ihre Befragung dauert lediglich drei Minuten.

Jetzt warten alle Beteiligten auf den Zeugen Herrn W., der aber nicht erscheint, so dass der Richter die Mittagspause vorzieht, um Herrn W. im Anschluss zu hören. Noch vor der Pause bittet der Richter die Prozessbeteiligten, zu prüfen, ob diverse Termine im Januar und Februar 2015 in die Terminplanung passen würden. Es ist also klar, dass der Prozess verlängert wird, wobei 2015 nur noch ein Termin pro Woche vorgesehen ist.

Ein Zeuge mit Erinnerungslücken

Herr W. ist auch nach der Pause nicht anwesend, so dass das Gericht den nächsten Zeugen, Herrn H., aufruft.

Diese Befragung soll mit Unterbrechungen mehr als dreieinhalb Stunden dauern und sie gestaltet sich sehr schwierig, da der Zeuge zwar inhaltliche Angaben machen kann aber nicht in der Lage ist, diese zeitlich einzuordnen.

Aber zunächst zur Sache: Herr H. hat zum fraglichen Zeitraum am Scharmützelsee gewohnt und zwar, nach eigenen Angaben, gegenüber dem Anwesen der Familie P. Er habe (hier noch ohne Tagesangabe) auf dem Weg zur Arbeit zwischen 3:30 Uhr und 4:00 Uhr einen Mann auf die Straße treten sehen. H. selbst hatte das Fernlicht eingeschaltet und war erschrocken, weil da sonst nie jemand war, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Außerdem waren in dem Gebiet, aus dem die Person kam, nur unbewohnte Finnhütten. Der Zeuge ist sich sicher, dass es der Angeklagte war, den er gesehen hat. Dabei blieb er auch nach mehrfacher Nachfrage des Gerichts. Außerdem habe er den Angeklagten über einen gewissen Zeitraum mehrfach gesehen und zwar in Diensdorf, Diensdorf-Radlow und in Diensdorf am Strand.

Diensdorf ist eine Gemeinde am Scharmützelsee, also im unmittelbaren räumlichen Umfeld aller drei Taten.

Bei einer der Begegnungen auf seinem Weg zur Arbeit habe er die Person sogar aus dem Auto heraus angesprochen. Hier allerdings hatte er den Eindruck, die Person hätte einen so genannten Tunnel im Ohr, also ein bewusst überdehntes Ohrloch.

Zu diesem Zeitpunkt wird bereits deutlich, dass der Zeuge nicht ausführen kann, wann er die Person wo gesehen hat. Er kann zwar den Ort benennen, aber eine zeitliche Reihenfolge kann er nicht angeben.

Des Weiteren gibt der Zeuge an, er habe die Polizei immer informiert, aber passiert sei daraufhin nichts. Beamte, welche ihn später vernahmen, sollen gesagt haben, wäre früher richtig ermittelt worden, wäre das alles nicht passiert.

Um es vorwegzunehmen: Aus der Aktenlage geht dies nicht hervor.

Der Zeuge wiederholt mehrfach und voller Überzeugung, den Angeklagten gesehen zu haben. Er könne sich Gesichter gut merken, Namen und Zeiten nicht.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein offen ausgetragener Konflikt zwischen dem Richter und dem Verteidiger, Axel W. Axel W. ist bei den Fragen des Richters etwas unklar und er interveniert, worauf der Richter erwidert, er sei jetzt dran. Axel W. lässt nicht locker, was den Richter zu dazu veranlasst, seine Stimme deutlich zu erheben und auf den Tisch zu hauen. Axel W. kommentiert auch dies, woraufhin der Richter eine zehnminütige Pause ansetzt.

Mir als neutralem Beobachter fiel schon in den letzten Prozesstagen auf, dass Axel W. seine Grenzen auslotete, was ihm als Verteidiger bedingt zusteht. Bisher hat er dies jedoch bei den Befragungen der Nebenklagevertreter getan, die sich hierbei nach Kräften wehrten, aber offensichtlich eine Mahnung des Richters erwarteten. Ich denke, heute ging der Verteidiger einen Schritt zu weit. Der Richter hat jedoch äußerst schnell bemerkt, dass die Situation hier aus dem Ruder lief und sie durch die anberaumte Pause souverän wieder eingefangen.

Grundsätzlich bringt die Befragung der Staatsanwaltschaft keine weiteren Erkenntnisse, was ausschließlich dem fehlenden Vermögen des Zeugen geschuldet ist, seine Schilderungen in einen zeitlichen Zusammenhang zu bringen.

Nun hat die Verteidigung die Möglichkeit, den Zeugen zu befragen. Auch Axel W., der Verteidiger, versucht wiederholt, die Aussagen des Zeugen in einen zeitlichen Zusammenhang zu bringen, was nur begrenzt gelingt und auch nur unter Vorhaltung der Vernehmungsprotokolle. Fast zufällig fragt Axel W. den Zeugen, ob er wegen anderer Sachverhalte bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft war. Nun stellt sich heraus, dass der Zeuge verschiedene Aussagen und acht bis neun Anzeigen wegen der vermeintlichen Misshandlung seiner Tochter durch den neuen Lebensgefährten der leiblichen Mutter zu Protokoll gegeben hat. Mittlerweile lebt die Tochter beim Zeugen. Allerdings steht der Zeuge aktuell selbst einer Anklage wegen falscher Verdächtigungen im Zusammenhang mit den Vorwürfen der Misshandlung gegenüber.

Der Sachverhalt an sich tut hier nichts zur Sache, spielt allerdings bezüglich der Glaubwürdigkeit des Zeugen der Verteidigung in die Hände.

Im Ergebnis bleibt nach dieser Befragung festzustellen, dass der Zeuge bezüglich einer Begegnung nicht mehr sicher ist, dass es sich bei der gesehenen Person um den Angeklagten handelte. Bei den anderen mindestens fünf Begegnungen ist er überzeugt, dass es der Angeklagte war.

Es wird nun ein Polizeibeamter gehört, der die von dem Zeugen Herrn H. geschilderten, leer stehenden Objekte auf den möglichen Aufenthalt des Täters observiert hat. Der Zeuge konnte keine Auffälligkeiten an den Objekten feststellen, die Befragung dauerte drei Minuten.

Als letzte Zeugin wird Frau W. befragt, die am 7. Oktober .2012 eine Beobachtung bei der Pilzsuche machte. Hierbei ist ihr eine Person aufgefallen, die durch den Wald rannte und erschrocken war, sie zu sehen. Frau W. ist sich weder sicher, dass es sich um den Angeklagten handelte, noch kann sie es ausschließen.

Das war es für heute, weiter geht es am kommenden Donnerstag.

Bildquelle: GG-Berlin / pixelio.de

Aus dem Gerichtssaal nichts Neues

Der 27. Verhandlungstag, am 25. September 2014, ist durch einige Zeugenaussagen und die Ansicht von Videos zur Tatrekonstruktion der Tat an Stefan T. geprägt.

Unter anderem werden vier Polizeibeamte als Zeugen gehört. Der erste Zeuge war einer der ersten Einsatzkräfte nach dem Notruf von Frau T. unmittelbar nach der Tat, am 5. Oktober 2012, in Storkow. Begleitet hat ihn die Zeugin Christiane H., die als Erste mit Frau T. am Tatort gesprochen hat.

Beide sagen aus, dass Frau T. relativ gefasst gewirkt und auch ruhig gesprochen hat. Ob das ein normales Verhalten nach einer solchen Tat ist, wollten beide nicht beurteilen, weil jeder Mensch anders reagiert.

Aus dem Gerichtssaal nichts Neues

Weitere Zeugen sind der Polizeibeamte Ralf K., der bei Eintreffen am Tatort die Außensicherung durchgeführt hat, sowie der Hundeführer Heiko S.

Das Auftreten der Polizeibeamten vor Gericht war sehr unterschiedlich. Der eine ist gut vorbereitet und vertritt seinen Standpunkt selbstsicher. Andere sind eindeutig nicht vorbereitet und fühlen sich in ihrer Zeugenrolle sehr unwohl, sodass sie sich auch im Antwortverhalten entsprechend negativ darstellen.

Zudem wird ein Video angesehen. Es wurde am 30.Oktober 2012 erstellt und zeigt eine Tatrekonstruktion bezüglich der Fahrt mit dem Kajak unmittelbar nach der Entführung. Hier wurde durch Polizeibeamte dargestellt, wie das Opfer am Kajak hing und sich hinterherziehen lassen musste.

Ferner fand ein anonymer Vergleichstest mit unterschiedlichen Kajaks statt. Das Opfer Stefan T. konnte unter fünf verschiedenen Booten das richtige herausfinden.

In der zweiten Videorekonstruktion zeigte das Opfer Stefan T. wie er gefesselt war und wie er sich befreien konnte. Die Fesselung zeigte er anhand eines Dummys. Die Situation mit dem Silikonschlauch konnte nicht dargestellt werden, da kein solcher Silikonschlauch vorhanden war.

Auch die Frau des Opfers demonstrierte das Geschehen der Fesselung kurz vor der Entführung. Diese Demonstration fand ohne den Sohn statt.

Das war es für heute.

Bildquelle: Peter Hebgen  / pixelio.de

Aussagechaos und fehlende Akten

Nach den spektakulären Ereignissen der letzten Verhandlungsabschnitte verläuft der heutige 26. Prozesstag etwas ruhiger. So wird zunächst eine ehemalige Angestellte der Familie P. gehört. Sie war als Pferdepflegerin angestellt und hatte an beiden Tattagen Dienst. Zum Tatzeitpunkt allerdings war sie schon im Feierabend. Aufgrund dieser Tatsache kann die Zeugin nichts Erhellendes zum Tatverlauf beitragen und wird bereits nach acht Minuten mit Dank aus dem Zeugenstand entlassen.

Aussagechaos und fehlende Akten

Nächtliche Begegnung

Der nächste Zeuge schildert die Begegnung mit einer männlichen Person am 22. August 2011 (also am Tag der Tat gegen Petra P.), gegen 22:40 Uhr. Er war mit seinem Hund spazieren, als plötzlich eine männliche Person aus einem Waldweg kam. Der Ort dieser Begegnung liegt circa zwei Kilometer entfernt vom Wohnort der Familie P., dem Tatort. Beide erschraken ob der Begegnung; die männliche Person wandte sofort ihr Gesicht ab, zog sich eine Kapuze über den Kopf und ging schnellen Schrittes über die Straße. Anschließend verschwand er in einem Waldstück, wo er ein Paddel aufhob und tiefer in den Wald verschwand. Dabei ging er in Richtung eines Tümpels, der zu einem Vogelschutzgebiet gehört. Kurze Zeit später wurden aus Richtung des Tümpels Vögel aufgescheucht, so dass bei dem Zeugen der Eindruck entstand, die männliche Person setze ihren Weg über den Tümpel fort. Gesehen hat er das jedoch nicht. Gemeldet hat sich der Zeuge bei der Polizei allerdings erst nach der Tat gegen Stefan T., also mehr als ein Jahr nach seiner Beobachtung. Er habe vorher keinen Zusammenhang gesehen. Erst als er durch die Medien erfuhr, dass bei der Entführung ein Kajak verwendet wurde, meldete er sich bei der Polizei.

Der Zeuge beschreibt den Mann: Er sei circa 1,80 Meter groß gewesen und habe ein dunkles Oberteil mit Kapuze sowie eine dunkle, karierte Hose, eventuell Flecktarn, getragen. Bei der späteren Befragung durch die Prozessbeteiligten fügt er noch hinzu, dass die Person einen sportlichen Eindruck machte. Abweichend von den Vernehmungsprotokollen, in denen steht, dass die Person 20 bis 25 Meter von ihm entfernt war, besteht der Zeuge heute darauf, dass es nur zehn Meter waren.

Die Verteidigung will wiederholt vom Zeugen wissen, warum er sich erst nach der Tat gegen Stefan T. gemeldet hat, worauf der Zeuge wiederholt, er habe damals keinen Zusammenhang gesehen. Durch die Medienveröffentlichungen habe ihn dann aber seine Frau gedrängt, zur Polizei zu gehen.

Anschließend macht die Verteidigung noch einen „Schlenker“, wahrscheinlich aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge nebenbei erwähnte, er lebe bereits seit mehr als 50 Jahren in Bad Saarow. Die Verteidigung will wissen, wie denn die Stimmung in der Bevölkerung war, als das Strandbad geschlossen wurde. Der Zeuge gibt an, dass die Stimmung in der Bevölkerung nicht gut war, was aber nach Schließung einer solch touristisch wichtigen Lokation normal sei.

Hintergrund ist hier, dass der Eigentümer des Strandbades Christian P. ist, Gatte und Vater der Opfer Petra P. und Louisa P., und die Verteidigung offensichtlich eine weitere Reihe möglicher Täter ins Spiel bringen möchte.

Kajak im Fokus

Anschließend werden Zeugen gehört, die Aussagen zum Themenkomplex Kajak machen sollen. Die ersten fünf Zeugen sind alle der Yacht-Akademie am Scharmützelsee zuzuordnen. Der Inhaber und vier seiner zum Tatzeitpunkt Angestellten werden gehört. In der Sache geht es darum, ob das bei der Tat zum Nachteil von Stefan T. verwendete Kajak aus der Yacht-Akademie stammen könnte. Alle Aussagen sind nahezu deckungsgleich.

Es ist definitiv ein Kajak abhanden gekommen, allerdings wurde das erst bemerkt, als die Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ den Fall „Maskenmann“ thematisierte. Man wisse weder genau wo, noch wann es entwendet wurde. Das Kajak, welches im Gerichtssaal liegt, könne durchaus das entwendete sein, allerdings kann das keiner hundertprozentig bestätigen. Form und Farbe stimmen und ein Chargenstempel ist identisch mit dem der anderen Kajaks aus dem Club. Die Abklebungen mit Paketband und die Öffnung im Deckel stammen nicht von der Yacht-Akademie. Die jetzt graue Einfärbung könne entweder von einem Farbanstrich kommen, oder aber auch eine Art Patina sein, weil das Kajak zu lange im Wasser lag.

Im Rahmen der Befragung kommt es wiederholt zu kurzen Plänkeleien zwischen der Verteidigung und den Vertretern der Nebenklage, insbesondere Dr. Panos P., dem Vertreter von Stefan T. Jeden der Zeugen aus dem Yacht-Club fragt die Verteidigung mehr oder minder deutlich, ob es denn nach der Einschätzung des Zeugen möglich sei, jemanden hinter diesem Kajak herzuziehen; die Frage wird trotz der Tatsache, dass jeder einzelne der Befragten in seinen Ausführungen angab, dass er keine oder nur wenig Erfahrung mit Kajaks habe, gestellt.

Da die Zeugen weder Sachverständige sind, noch über einschlägige Erfahrung mit dem Kajak verfügen, ist die Nebenklage über diese Art der Fragen mehrfach empört und bringt dies zum Ausdruck.

Im Rahmen der Befragung kann außerdem festgestellt werden, dass die Zeugen Stefan T. kennen, da sein Unternehmen drei Firmen-Incentives durch die Yacht-Akademie hat ausrichten lassen. Darunter war auch ein Geocaching-Event mithilfe von GPS-Geräten. Stefan T. ist zudem Mitglied im Sporting Club Berlin, einem Golfclub am Scharmützelsee, der gute Beziehungen zur Yacht-Akademie unterhält. Auch die Familie P. ist bekannt, da Petra P. und ihre Tochter Louisa hier einen Segelkurs belegt haben.

Als nächstes wird ein Ehepaar getrennt voneinander gehört, welches das Kajak auf einem eingezäunten Freigelände mit Wasserzugang (Steg) gesehen haben will. Hier wurde das Boot so abgelegt, dass es von der Wasserseite nicht zu sehen war. Der Ehemann ist sich absolut sicher, dass es das Kajak war, welches heute im Gerichtssaal liegt. Allerdings hat er gegenüber der Polizei zu Protokoll gegeben, dass es sich bei dem Klebeband um silbergraues Panzertape handeln soll – an dem Kajak ist jedoch braunes Paketklebeband. Dennoch bleibt der Zeuge dabei: Er ist sich hundertprozentig sicher, das Kajak aus dem Gerichtssaal seinerzeit gesehen zu haben. Auch das Nachhaken der Verteidigung ändert an seiner Aussage nichts.

Die Schilderung der Ehefrau ist nahezu deckungsgleich, jedoch kann sie sich an das Klebeband nicht erinnern. Auf Nachfrage der Verteidigung gibt sie an, dass die Vernehmung bei der Polizei gemeinsam mit ihrem Ehemann durchgeführt wurde.

Diese Befragung durch die Polizei war eher unglücklich, da man davon ausgehen kann, dass die Zeugin nun die Schilderung ihres Mannes wiedergibt und nicht ihre eigene. Auch hier wäre es zielführender gewesen, die beiden einzeln zu befragen.

Ein Zeuge in Angst und fehlende Akten

Nun kommt der „Auftritt“ des letzten Zeugen. Auch dieser soll eigentlich etwas zu dem Kajak auf dem Freigelände erzählen. Eigentümer des Geländes ist sein Bruder. Hierüber berichtet er nur kurz, aber inhaltlich genau wie das vorher befragte Ehepaar. Plötzlich und ohne danach befragt zu werden, schilderte er allerdings die Begegnung mit einem Läufer. Der Zeuge ist sich absolut sicher, dass es der Angeklagte Mario K. war. Schon während der Schilderung steht er auf und setzt seine Ausführungen im Stehen fort, um allen Beteiligten zeigen zu können, wie der Läufer lief und wie er sich anschließend bewegte.

Der Zeuge verließ mit seinem Fahrzeug sein Grundstück und fuhr dafür über einen Feldweg zur Bundesstraße. Hier erblickte er den auf dem Radweg laufenden Mario K., der circa acht Meter vor ihm stehen blieb und dabei tänzelnde Bewegungen machte. In der Hand soll Mario K. ein GPS-Gerät gehalten haben, auf welches er ständig schaute. Die tänzelnden Bewegungen wurden im Rahmen der Befragung mehrfach vom Zeugen „vorgetanzt“, übrigens ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hatte. Nach dieser Begegnung habe er aus Angst „in der Hölle“ gelebt und um Polizeischutz gebeten (Erläuterndes dazu im weiteren Text).

Der Richter unterbricht vorerst die Ausführungen und will den Fokus wieder auf das Kajak lenken. Hier räumt der Zeuge ein, dass er die Farbe des Kajaks und des Klebebandes nicht erkannt habe, da es bereits dämmrig gewesen sei als er es sah. Wichtig ist dem Zeugen noch zu erwähnen, dass gegenüber dem Freigelände ein rostiges Damenfahrrad an eine Hauswand gelehnt war, welches da noch nie gestanden hatte.

Die Art der Beantwortung und das ständig völlig übermotivierte Aufstehen und Rumtänzeln des Zeugen könnte man zum Anlass nehmen, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Allerdings gilt es auch hier, durch eine sinnvolle Fragetaktik die Inhalte des Gesagten zu prüfen. Allein das Auftreten des Zeugen für eine Bewertung des Gesagten heranzuziehen, wäre fahrlässig.

Im Anschluss hieran fällt es sehr schwer, der Befragung zu folgen. Der Angeklagte springt wild in seinen Ausführungen und der Richter muss ihn immer wieder einfangen, was sich als sehr schwierig herausstellte.

Dennoch kommt im Zuge der Befragung heraus, dass es früher schon zu einer Befragung durch die Polizei gekommen war. Dies geschah, weil ein Jogger am Grundstück des Zeugen entlang lief, was wiederum sehr ungewöhnlich sei, da hier ein militärisches Sperrgebiet liegt (Truppenübungsplatz). Das daraufhin angefertigte Phantombild bezeichnet der Zeuge heute als wenig aussagekräftig, er sei damals schon zu müde gewesen und der Zeichner wollte auch schnell wieder nach Hause, weil es schon so spät war.

Danach schildert der Zeuge, wie er einen Radfahrer, der schnell an seinem Grundstück vorbeifuhr, mit seinem PKW verfolgte, um ein Foto zu machen. Dies gelang ihm nicht, trotz längerer Verfolgung. Er könne den Radfahrer auch nicht beschreiben, weil er immer nur durch die Linse seines iPhones geschaut habe. Auf die Frage des Richters, warum er denn den Radfahrer verfolgt habe, teilt er mit, er habe nach den Taten an Familie P. in ständiger Angst gelebt. Er fürchtete, dass er und sein Bruder auch Opfer einer Entführung sein könnten. Die Angst sei vor allem aufgekommen, als die Polizei bei beiden zuhause war und einen Zettel vorlegte, auf dem Stand: „Wir können für Ihre Sicherheit nicht garantieren; es wäre besser sie ziehen weg.“ Der Zettel sollte von beiden Personen unterschrieben werden.

Die oben genannten Schilderungen wiederholt der Zeuge mehrfach und springt hierbei auch immer wieder zwischen den Sachverhalten. Am Ende versucht der Richter diese anhand der Prozessakten nachzuvollziehen. Hierbei wird festgestellt, dass die letzte Vernehmung abgebrochen wurde und eine Fortsetzung aus den Akten nicht hervorgeht.

Darüber hinaus macht der Zeuge mehrfach auf eine E-Mail aufmerksam, in der er die Schilderung rund um den Läufer, der nach den heutigen Ausführungen Mario K. gewesen sein soll, zu Protokoll gegeben haben will. Auch diese E-Mail liegt nicht in den Prozessakten.

Die Fragen der Prozessbeteiligten bringen hier auch keine Ordnung in das Aussagechaos, allerdings wird nun geprüft, wo die fehlenden Unterlagen sind und der Richter behält sich vor, den Zeugen erneut zu laden.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Ein Täter im Profil

Als erster Zeuge am heutigen 24. Prozesstag wird Prof. Dr. Heubrock von der Universität in Bremen gehört, der dort beim Institut für Rechtspsychologie tätig ist. Der Leiter der SOKO Imker, Polizeihauptkommissar K. hatte ihn mit der Persönlichkeitseinschätzung bzgl. einer tatverdächtigen Person beauftragt. Zudem sollte eine Vernehmungstaktik ausgearbeitet werden. Es wurde eine Täteranalyse sowie ein Coaching der für die Vernehmung in Frage kommenden Polizisten durchgeführt.

Ein Täter im Profil

ie Tatgeschehen in der Analyse

Prof. Dr. Heubrock hat bei seinen Analysen einige Besonderheiten festgestellt: Bei den Angriffen auf Petra P. und Louisa P. ist der Täter sehr zügig, entschlossen und gewalttätig vorgegangen. Bei allen drei Tatgeschehen kam es jeweils zu einem unerwarteten Tatabbruch. Auch die Schussabgabe im Fall Louisa P. war nicht unbeabsichtigt, sondern ein reiner Kontrollgewinn, ebenso beim Tatgeschehen um Stefan T. Zudem unterstellt Prof. Dr. Heubrock neben einer Bereicherungsabsicht, die eher als Zweitmotiv zu sehen ist, auch die Abarbeitung eines bestimmten Traumas beim Täter.

Zusätzlich zum Kontrollgewinn durch die Schussabgabe im Tatgeschehen um Stefan T., sind während der Entführung des Opfers eindeutig Elemente der Demütigung festzustellen. Dazu zählen insbesondere das Hinterherziehen des Opfers im See, das Fesseln und Einwickeln in Folie, das Schreiben der Briefe und das Trinken des Seewassers. Weiterhin ist bei allen drei Taten des mutmaßlichen „Maskenmannes“ eine lange Vorbereitungszeit des Täters festzustellen.

Bei allen Tatkomplexen wurden hochpotente Tatmittel mit erheblicher Bedrohung eingesetzt. Zugleich ist bei aller Gewalttätigkeit bei den Überfällen und der Entführung auch eine mangelnde Durchführung zu ersehen.

Bezüglich der Auswahl der Opfer gab es bei allen einen erkennbaren Wohlstand und eine regionale Nähe zu den Tatorten.

Auch, dass das Opfer Stefan T. die Briefe zu seiner Lösegeldforderung selber schreiben musste, zeigt, dass nicht nur das Materielle eine Rolle spielt. Es gibt hier auch einen ideologischen Hintergrund, der den Täter zu diesem Verhalten veranlasst. In der Regel sind die Briefe bei Lösegeldforderungen schon sehr exakt vorbereitet.

Der Täter im Profil

Auch zum Täterprofil gibt es einige stichwortartige Bemerkungen von Prof. Dr. Heubrock:

  • hohes Dominanzstreben
  • die Vorläuferdelikte hatten ebenfalls eine Affinität zu Waffen
  • die Verletzbarkeit des Eigentums und der Körperlichkeit von Menschen spielten bei seinen früheren Taten absolut keine Rolle
  • das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn beruhte auf Hass

Hass ist eine der stärksten Emotionen, die wir empfinden können. Der Täter hatte ein ständiges und tiefes Misstrauen gegen staatliche Institutionen, war ein Querulant und Eigenbrötler. Sein Antwortverhalten ist vorsichtig und abwägend gewesen. Der Täter hält sich für einen besonderen Menschen. Es gibt keine Selbstreflektion, er hat nur Anforderungen an andere Menschen.

Darüber hinaus ist er etwas zwanghaft veranlagt. Das zeigt sich bei seiner präzisen und paranoiden, überpünktlichen Art. Er ist narzisstisch und entwickelte durch ein Mangelerleben von Liebe und Vertrauen Allmachtsfantasien. Diese Besonderheit des eigenen Erlebens hat er durch seine Taten in andere Familien getragen, nach dem Motto: „Was ich nicht hatte, sollen auch andere nicht haben.“

Weiterhin entwickelte Prof. Dr. Heubrock Vernehmungsstrategien, die dazu führen sollten, dass Polizeibeamte nach der Festnahme überhaupt eine tragbare Kommunikation mit dem Täter führen konnten.

Die genannten Einschätzungsmerkmale hat der Zeuge Prof. Dr. Heubrock vor Festnahme des Täters getätigt, zu diesem Zeitpunkt war der Beklagte noch Tatverdächtiger. Es gibt allerdings eine große Deckungsgleichheit zwischen dem, was Prof. Dr. Heubrock vor der Festnahme des Beschuldigten Mario K. herausgefunden hat, und dem jetzt tatsächlich Erlebten.

Insbesondere die Einschätzung, der Täter würde gerne hören, dass er ein besonderer Mensch ist und die Taten genial geplant und durchgeführt wurden, stimmen mit der Aussage des ersten Vernehmungspolizisten, unmittelbar nach der Festnahme des Beschuldigten Mario K., zu 100 Prozent überein.

Auch die Verteidigung, der Rechtsanwalt Axel W., hat noch einige Fragen an den Zeugen. Da die Aussage sehr fundiert und kompetent vorgetragen wurde, beschränkt sich der Verteidiger jedoch auf die Fragen zur Qualifikation von Prof. Dr. Heubrock. Des Weiteren interessiert ihn die formelle Aufbereitung des Gutachtens. Seine Versuche, die gleichen Fragen in anderer Formulierung zu stellen, beeindrucken Prof. Dr. Heubrock nicht.

Als Resümee kann man feststellen, dass der Täter sein Familientrauma durch die Zerstörung der Opferfamilien inszeniert hat.

Des Täters letzte Freundin im Verhör

Gegen Mittag kommt die Zeugin Susan-Antje H. in den Zeugenstand. Sie war vor der Festnahme die Freundin des mutmaßlichen Täters.

Jetzt sieht man den Beschuldigten Mario K. das erste Mal lächeln.

Sie wird begleitet durch ihren Ehemann Andreas K. Dieser kann der Verhandlung inhaltlich nicht immer folgen, wird während der Vernehmung zweimal durch den Richter belehrt und verlässt später auch den Zuhörerraum.

Susan-Antje H. erzählt von der Kennenlernphase mit dem Beschuldigten: Man hat sich zufällig auf dem Fahrrad kennengelernt und am nächsten Tag ein Bier getrunken. Danach ist man gemeinsam ausgegangen. Nachdem sie zwei Wochenenden zusammen verbracht haben, folgte der Entschluss, dass Mario K. doch bei ihr einziehen könnte. Da sie noch ein Zimmer frei hatte, in dem vorher ihr Ehemann gewohnt hat, war dies möglich. Der Zeitraum der Gemeinsamkeit erstreckte sich nur auf die sechs Wochen vor der Festnahme.

Der Vorsitzende Richter wollte auch etwas über die Wesenszüge des Beschuldigten oder etwaige Gesprächsinhalte wissen. Darauf konnte Susan-Antje H. allerdings nicht antworten und meinte, man habe mehr Körperkontakt gehabt, als dass man Gespräche geführt hätte. Auf sie wirkte er sensibel und weichherzig, aber auch misstrauisch und geizig. Er hat seine Wut durch cholerische Anfälle ausgedrückt. Das Schlimmste für ihn war seine frühere Beinoperation und der damit verbundene körperliche Schmerz.

Die Durchsuchung ihrer Wohnung durch die Polizei nach der erfolgten Festnahme des Beschuldigten war für sie ein traumatisches Erlebnis. Er hätte ihr zwar erzählt, dass er ein Verbrecher sei, aber über die begangenen Taten habe er nicht gesprochen.

Die Nebenklägervertreter möchten anschließend von der Zeugin wissen, in welcher Art und Weise sie vor ihrer Vernehmung bei Gericht Kontakt zu den Verteidigeranwälten hatte. Ist in einem Termin mit der Verteidigung über die Protokolle ihrer Vernehmung und ihr Verhalten bei Gericht gesprochen worden? Sie berichtet daraufhin, dass die Verteidiger ihr ihre Aussage bei der Polizei in Teilen vorgelesen hätten. Zu einigen Punkten sei sie gefragt worden, wie sie das genau gemeint habe. Sie gibt dann bekannt, dass Mario K. der Mann ist, den sie liebt und dem sie inzwischen auch vertraut, obwohl er sie in der sechswöchigen Beziehung eigentlich täglich belogen hat.

Der Rechtsanwalt des Beschuldigten, Axel W., konstatiert in seiner Befragung der Zeugin, dass es der Wunsch der Zeugin war, einen Termin in seiner Kanzlei durchzuführen. Ursprüngliches Thema war eine mögliche Wohnraumabhörung. Erst danach ging es um die mögliche Vernehmungssituation bei Gericht.

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Vorwurf ans Opfer: Eigene Entführung vorgetäuscht?

Den heutigen 23. Prozesstag beginnt der Richter mit Formalitäten. Zum einen teilt er diverse Umladungen von Zeugen mit, zum anderen informiert er die Prozessbeteiligten, dass eine DVD mit Mitschnitten der Telefonüberwachung wegen technischer Probleme bei der Polizei noch nicht vorliegt und nachgereicht wird.

DNA-Ergebnisse

Der erste Zeuge des heutigen Tages ist der Sachverständige für Abstammungsbegutachtung, Prof. Dr. Klaus O. Dieser war mit einem Gutachten bezüglich der Jacke, welche Petra P. zum Zeitpunkt der Tat trug, beauftragt. Das Beweisstück sollte insbesondere auf DNA-Spuren geprüft werden. Die Begutachtung ergab eine Reihe von Spuren, darunter Haare von Tieren (Hund, Katze, Pferd), vom Menschen sowie so genannte Wischspuren, also Anhaftungen, in denen verwertbares Material gefunden wurde.

Vorwurf ans Opfer: Eigene Entführung vorgetäuscht?

Das Auffinden der Tierhaare überraschte nicht; dies ist vielmehr auf die Wohnsituation und den Umgang mit den Tieren des Hauses von Familie P. zurückzuführen. Allerdings regte der Gutachter an, auch diese Haare genauer zu untersuchen, weil es durchaus möglich sei, dass diese vom Täter übertragen wurden. Es gibt Verfahren, die übertragene Tierhaare von denen, die aus dem Hause der Familie stammen, unterscheiden können. Mit dieser erweiterten Begutachtung wurde Prof. Dr. Klaus O. nicht beauftragt.

Bei einer der Wischspuren wurde Material entdeckt, welches weder Frau Petra P., noch der Tochter zuzuordnen war. Auch dies wurde im Rahmen dieses Gutachtens nicht weiter untersucht, weil der Auftrag hier endete. Warum eigentlich?

Schließlich wurden noch Anhaftungen von Haaren gefunden, die mit Hilfe einer STR-Analyse (short tandem repeats: DNA-Extraktion) einen genetischen Fingerabdruck ergaben. Das bei der Untersuchung gewonnene Extrakt mit der DNA wurde an das LKA Brandenburg weitergegeben. Was damit weiter geschah, weiß der Sachverständige nicht.

Da es nach den oben benannten Ergebnissen keine weiteren Beauftragungen durch das LKA gegeben hat, ist der Gutachter davon ausgegangen, der Fall sei abgeschlossen.

Der Angeklagte als Zeuge

Der zweite Zeuge ist ein Polizeibeamter der Polizeidirektion Frankfurt (Oder). Dieser hat den Angeklagten am 22. Oktober 2012, im Rahmen einer Zeugenbefragung vernommen. Der Angeklagte hatte seinerzeit eine polizeiliche Zeugenvorladung erhalten, welcher er nicht gefolgt war. Er reagierte erst auf die staatsanwaltliche Vorladung.

Bei der Zeugenbefragung wurden dem heute Angeklagten diverse Fragen rund um die Sachverhalte gestellt, die ihm heute zur Last gelegt werden. Zu diesem Zeitpunkt war er „nur“ Zeuge, weil keine belastenden Beweise gegen ihn vorlagen und er lediglich in ein Raster passte. So hatte der heute Angeklagte bereits zuvor eine Straftat mit dem Waffentyp begangen, der auch bei den Straftaten zum Nachteil der Familie P. und Herrn T. verwendet wurde.

Im Übrigen war Mario K. nicht der einzige, der zu diesem Zeitpunkt in dem benannten Raster hängen blieb, auch andere wurden als Zeugen befragt.

Neue Erkenntnisse werden durch die Befragung des Polizeibeamten nicht gewonnen. Doch nach diesen eher unspektakulären Befragungen folgt nun eine Sachverständige, deren Anhörung sehr hohe Emotionalität im Gerichtssaal hervorruft.

Gewagte These der Sachverständigen: Entführung von Stefan T. vorgetäuscht?

Gehört wurde Dr. Bettina G., eine sachverständige Kriminologin aus Magdeburg. Dr. Bettina G. hatte nach eigenen Angaben den telefonischen Auftrag, die Ermittlungen zu unterstützen, indem Sie eine Fallanalyse zu den Ermittlungen im Fall des Herrn Stefan T. erstellt. Hierzu wurden ihr zwei Vernehmungsprotokolle, DVDs mit Videos von Befragungen sowie die Briefe, welche Herr Stefan T. im Auftrag des Täters schreiben musste, zur Verfügung gestellt.

Bevor ich zu dem Verlauf der Befragung komme, eine kleine Rückblende: Bereits am ersten Prozesstag war die heute befragte Sachverständige Thema. Der Verteidiger Axel W. hatte direkt nach Anklageverlesung eine Niederschrift verlesen, in der er unter anderem der Staatsanwaltschaft die Zurückhaltung des Gutachtens vorwarf, um welches es heute gehen wird. Vertieft hat er dies in einem Fernsehbeitrag für den Sender rbb. Auch hier hat er, neben der Selbstanzeige eines Beamten der Soko Imker, auf eben dieses Gutachten verwiesen, welches Widersprüche bei der Schilderung des Stefan T. seine Entführung betreffend aufzeigen solle. Der rbb hatte es sich in dem Beitrag nicht nehmen lassen, die heute erschienene Sachverständige hierzu um Stellungnahme zu bitten, was diese dann auch schriftlich tat. In Summe und ohne den Verlauf der heutigen Befragung vorwegzunehmen bleibt zu hoffen, dass sich der Verteidiger Axel W. bei seiner These, Stefan T. hätte die Entführung vorgetäuscht, nicht nur auf dieses „Gutachten“ stützt. Ob der Angeklagte die vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht – hiermit wird die Tat an sich in Frage gestellt.

Wie bei jedem Zeugen oder Sachverständigen erteilt der Richter nach Belehrung und Nennung der Personalien der Sachverständigen das Wort. Diese beschreibt kurz den Auftrag und resümiert dann vor den weiteren Ausführungen sehr deutlich, dass es sich nicht um ein Gutachten handelt, sondern um eine Einschätzung ihrerseits, welche der Polizei weitere Ermittlungsansätze aufzeigen sollte. Nach ihrer Einschätzung und Prüfung der vorliegenden Daten lässt der Sachverhalt Zweifel an den Aussagen von Stefan T. zu.

Sie begründet diese Zweifel mit verschiedenen Punkten, die ihr aufgefallen sind. So fragte Stefan T. sofort nachdem der Täter im Haus war, ob er sich einen Pullover anziehen dürfe. Dies erscheint der Sachverständigen unlogisch. Wie konnte Stefan T. zu diesem Zeitpunkt schon wissen, dass er das Haus verlassen würde. Anschließend fragte sie sich, warum der Täter das Opfer an einem Kajak, auf einer Luftmatratze durch den See zieht. Das sei völlig unlogisch: zu langsam, zu auffällig und vor allem zu anstrengend. Der nächste Punkt, den die Sachverständige anführt, ist die Aussage des Täters, er müsse Stefan T. durchsuchen, was er mit folgendem Satz unterstrich: „Vielleicht hast Du ja ein Ortungsgerät im Arsch.“ Diese Angaben hält sie für „völligen Schwachsinn“. Warum sollte der Täter so etwas fragen? Stefan T. wusste ja nicht, dass er entführt wird, und 99,9 Prozent der Deutschen tragen wohl nicht ständig ein Ortungsgerät. Darüber hinaus hat sie in den Vernehmungen bei der Schilderung des Tatablaufs nicht einmal die Sorge um Frau und Kind gehört. Auch Kälte und Nässe wurden nie erwähnt, was nach Meinung der Sachverständigen absolut untypisch ist. Im Gegenteil: Opfer von Straftaten erinnern sich genau an die widrigen Begleitumstände.

Es gab noch weitere Beispiele, welche ich hier bewusst auslasse. Auffällig ist jedoch, dass die Sachverständige immer ihre persönliche Meinung wiedergibt: „Ich hätte das so nicht gemacht.“, „Ich trage ja auch kein Ortungsgerät.“ usw. Das ist äußerst ungewöhnlich. Auch wenn es hier nicht um ein Gutachten geht, so ist sie hier dennoch als Sachverständige geladen. Es geht also um ihre sachverständige Einschätzung, nicht um ihre persönliche Meinung.

Alle angeführten Beispiele lassen nach Meinung von Dr. Bettina G. nur zwei Interpretationen zu: Entweder das Opfer lügt, oder der Täter ist naiv.

Der Richter führt nun die Befragung durch und befragt die Sachverständige nach ihren Qualifikationen. Sie gab an, sie habe einen Master in Kriminologie und einen Magister in Soziologie, wobei sie Psychologie im Nebenfach studiert habe. Auf Nachfrage des Richters teilte sie mit, noch keine Entführungsfälle bearbeitet zu haben.

Anschließend stellt der Richter vertiefende Fragen zu den Eingangsausführungen der Sachverständigen und greift hierbei das Wort „schwachsinnig“ auf. Die Sachverständige erwidert, dass die Tatausführung nach den Schilderungen von Stefan T. unsinnig sei und die geschilderten Abläufe schwachsinnig.

Auf die Frage des Richters, warum sie denn daraus schließe, dass Stefan T. unglaubwürdig sei und, ob es nicht sein könne, dass der Täter die Tat unsinnig plante, reagiert die Sachverständige: es fehle dann immer noch die Sorge um Frau und Kind und die Schilderung von Kälte und Nässe.

Abschließend fragt der Richter nach dem Fazit. Die Sachverständige gibt an, sie habe erhebliche Zweifel an der Schilderung und sagt dann wörtlich: „Bewusst erwähne ich das Wort ‘Vortäuschung’.“

Der Saalaufteilung geschuldet sitzt Stefan T. ca. fünf Meter von der Sachverständigen entfernt. Neben häufigem Kopfschütteln erkenne ich bei einigen Ausführungen von Dr. Bettina G. blankes Entsetzen in seinem Gesicht. Petra P. hat während der gesamten Ausführungen der Sachverständigen den Stuhl zu dieser gedreht und betrachtet sie mit festen Blick. Allerdings ist auch ihr bei der Einlassung von Dr. Bettina G. sehr häufig schieres Unverständnis anzumerken.

Nun hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit der Befragung. Insgesamt werden mehr als 50 Fragen gestellt, so dass ich hier nur die Essenzen wiedergebe. Nach Fragen zur Qualifikation der Sachverständigen fragt die Staatsanwaltschaft nach dem konkreten Auftrag.

Die Sachverständige gibt an, sie sollte eine Einschätzung über das ihr zur Verfügung gestellte Material abgeben. Die Staatsanwaltschaft erwidert, dass nach ihrer Erinnerung der Auftrag gewesen sei, harte Fakten von weichen zu trennen. Also: Was hat Herr Stefan T. wirklich erlebt? Und was wurde aufgrund der Stressfaktoren hinzugefügt? Dr. Bettina G. fragt die Staatsanwaltschaft nun wiederum, wo denn der schriftliche Auftrag sei, es hätte doch nur einen Anruf gegeben.

Viel dreht sich um die Frage, ob Dr. Bettina G. alle zur Verfügung gestellten Unterlagen gesichtet hat, bevor sie die Einschätzung erstellte, was sie bejaht. Allerdings liegt der Staatsanwaltschaft ein Schriftstück vor, aus dem hervorgeht, dass dies nicht der Fall war. Die Sachverständige beharrt jedoch auf ihrem Ja. Wann sie die Einschätzung übersendet hat, wisse sie jetzt nicht, dazu müsse sie zuhause in ihre Unterlagen schauen. Im Übrigen habe sie das Ergebnis per E-Mail übermittelt.

Auch fragt die Staatsanwaltschaft, ob ihr bekannt sei, dass das Ergebnis zurückgehalten wurde. Darüber habe sie erst aus der Presse erfahren. Bei diesem Sachverhalt wird es ein wenig hitziger: Es werden Fragen und Gegenfragen gestellt, doch der Staatsanwalt betont, er stelle nun die Fragen. Darauf reagiert die Sachverständige schroff, andere Prozessbeteiligte schalten sich ein, so dass im Ergebnis durch eine Rückkopplung der Mikrofonanlage nur noch ein Pfeifen im Saal zu hören ist.

Dann geht es um konkrete Aussagen in der Fallanalyse. So fragt die Staatsanwaltschaft nach folgenden, konkret in der Analyse benannten Punkten und der entsprechenden Begründung der Sachverständigen:

  • Stefan T. ist überdurchschnittlich intelligent.
  • Er ist überheblich.
  • Er ist ein Kontrollfreak.
  • Er zeigt wenige Emotionen, jedoch ist kein Verdrängungsmuster erkennbar.
  • Das Schriftbild der Briefe lässt nicht auf Druckausübung durch den Täter schließen.
  • Die Körpersprache ist überlegend und ruhig.
  • Stefan T. verschränkte während der Befragung häufig die Arme über dem Kopf, obschon er in dieser Position gefesselt war. Das macht kein Opfer.
  • Er strich mit der Zunge sehr häufig über die Oberlippe, was ein Indikator für Lügen ist.
  • Er gab an, um vier Uhr in einen Dämmerschlaf verfallen zu sein, was bei so viel Adrenalin im Körper nicht möglich ist.
  • Die Schilderung des Trinkens aus dem Wasserschlauch ist technisch nur schwer möglich.
  • Stefan T. trug zum Zeitpunkt des Eindringens des Täters Absatzschuhe, obwohl er mit seiner Familie auf der Couch saß.
  • Stefan T. leidet an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung.

Auch hier greife ich zwei Begründungen heraus, die aber deutlich die Ausrichtung der Sachverständigen aufzeigen.

Erstens setzt sie beispielsweise voraus, dass man zuhause keine Straßenschuhe trägt, erst recht nicht, bei einem Videoabend mit der Familie. Sie trägt zuhause Hausschuhe, und wenn sie bei Freunden ist, tragen da auch alle Hausschuhe.

Zweitens führt sie die narzisstische Persönlichkeitsstörung auf die Aussage von Stefan T. während einer Befragung zurück, der Hund sei bei Züchtern aufgewachsen, die in einfachen Verhältnissen leben.

Der Nebenklagevertreter Dr. Panos P. weißt die Sachverständige sehr energisch darauf hin, dass diese Aussage ehrenrührig sei. Sie habe als Sachverständige eine gewisse Verantwortung für das Gesagte. Die Sachverständige ist hiervon zunächst unbeeindruckt und gibt sinngemäß an, dass hundertprozentig alle Merkmale eines Lügners erfüllt seien.

Der Staatsanwalt fragt anschießend nach Fachbegriffen wie Baseline (Verhaltensgrundlinie), Realkennzeichen (Auswertung der Körpersprache) oder der Undeutsch-Hypothese (Udo Undeutsch – Auswertung der Aussagen). Alle drei Begriffe sagen der Sachverständigen nichts, was für Verwirrung im Saal sorgt; sind dies doch Grundlagen im Bereich Aussagepsychologie.

Nun sah sich selbst der Richter genötigt, die Sachverständige darauf hinzuweisen, dass es für sie als Sachverständige besser sei, sie würde auf Fragen aus der Psychologie mit folgendem Passus antworten: „Hier habe ich keinen medizinischen Sachverstand.“

Bemerkenswert ist außerdem, dass die Analyse unentgeltlich erstellt wurde, was für die Tätigkeit eines Sachverständigen nicht nur unüblich ist, sondern auch immer einen Beigeschmack von Gefälligkeit hinterlässt.

Nun dürfen die Nebenklagevertreter Dr. Bettina G. befragen, wobei Rechtsanwalt Dr. Panos P. den Anfang macht. Der Rechtsbeistand von Stefan T. vertieft verschiedene vorherige Fragestellungen, allerdings hatt die Art der Fragestellung jetzt durchaus bemerkenswerte Ergebnisse zur Folge.

So räumt Frau Dr. Bettina G. nun doch ein, nicht alle DVDs gesehen zu haben. Im weiteren Verlauf der Befragung nimmt sie gar die Aussage der narzisstischen Persönlichkeitsstörung zurück.

Allerdings bleibt auch festzustellen, dass sie – trotz aller Argumente von Dr. Panos P. – nicht von ihrer These abweicht, die Entführung könne vorgetäuscht sein. Selbst das Verlesen der Protokolle der Telefonüberwachung, bei der Stefan T. seinem Vater und engen Freunden nach der Tat sagt, dass Leben würde sich nun ändern, er werde Storkow verkaufen, er werde die Autos verkaufen usw., bringt sie hiervon nicht ab.

An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Dr. Bettina G. im Rahmen der Analyse der Polizei einen Test vorgeschlagen hat. Sinngemäß regte sie an: Sagt Stefan T., er muss aus Sicherheitsgründen das Haus verlassen und ihr werdet sehen, er wird sich winden, dann sagen, es sei doch alles nicht so schlimm, und bleiben.

Rechtsanwalt Dr. Panos P. versucht anschließend, verschiedene Punkte der Analyse durch weitere Ermittlungsergebnisse zu entkräften und fragt Dr. Bettina G. nach ihrer jetzigen Einschätzung. Die Antwort ist, man müsse das große Ganze sehen und sie könne nicht ausschließen, dass das alles vorgetäuscht war.

Sowohl bei allen Vertretern der Nebenklage, den Opfern, als auch im Zuschauerraum ist nur noch Kopfschütteln zu sehen. Den Opfern und Nebenklägern fällt es sichtlich schwer, die Fassung zu wahren. Auch im Zuschauerbereich fallen Äußerungen, die ich hier nicht wiedergeben werde.

Schließlich darf der Vertreter von Petra P., Dr. Jakob D. noch einige Fragen stellen. Der Richter weist schon zu Beginn daraufhin, dass er in 20 Minuten die Verhandlung unterbrechen wird.

Auch diese Befragung wird sehr emotional geführt, was vor allem dem geschuldet ist, dass Dr. Bettina G. in ihrer Analyse auch einen Bezug zum Fall der Familie P. herstellt. So gibt sie an, dass es sich dabei nie um eine geplante Entführung gehandelt haben könne, sondern es nur um willkürliche Schikaneaktionen gegangen sei. Der abgegebene Schuss sei außerplanmäßig gewesen, es hätte niemand verletzt werden sollen. Familie P. habe einen klaren persönlichen Feind und es müsse der Familie möglich sein, diesen zu benennen.

Auf die Fragen des Nebenklagevertreters, woher sie diese Erkenntnisse habe, ob sie beispielsweise Akteneinsicht hatte, gibt Dr. Bettina G. an, sie habe den Fall gegoogelt und „Aktenzeichen XY … ungelöst“ geschaut. Jetzt geht der Rechtsanwalt die Sachverständige Dr. Bettina G. schließlich deutlich an und bezichtigt sie ebenfalls der Lüge. Der Richter beruhigt die Situation und gibt bekannt, dass er Dr. Bettina G. erneut vorladen werde, da die Befragung noch nicht beendet sei. Die Prozessbeteiligten bitten um möglichst zeitnahe Vorladung, damit keine zu große Lücke zu der erneuten Befragung entsteht.

Weiter geht es am kommenden Donnerstag.

Bildquelle: I. Rasche / pixelio.de

Eine Sachverständige unter Beschuss

Am Anfang der heutigen Verhandlung, am 25. Prozesstag bekommen alle Verfahrensbeteiligte zunächst sieben DVDs der Telefonüberwachung (TKÜ = Telefonkommunikationsüberwachung).

Aus für die Sachverständige Dr. Bettina G.

Danach stellt der Staatsanwalt gemäß Strafprozessordnung den Antrag auf Ablehnung der Sachverständigen Dr. Bettina G. wegen Befangenheit. Er führt ihre inkompetente, nicht-neutrale Einschätzung im Glaubwürdigkeitsgutachten zum Opfer Stefan T. an.

Eine Sachverständige unter Beschuss

Der schriftliche Antrag der Staatsanwaltschaft wird kopiert und an alle Verfahrensbeteiligten – auch an Dr. Bettina G., die draußen auf den Wartestühlen Platz genommen hat – ausgeteilt. Nach einer kurzen Pause wird sie hineingebeten und kann zu diesem Antrag Stellung nehmen. Als sie den Saal betritt, wird sie vonseiten der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter teilweise mitleidig angeschaut. Die Verteidigung hingegen sucht keinen Augenkontakt.

Sie nimmt dahingehend Stellung, dass sie den Auftrag hatte, zum Sachverhalt der möglichen Entführung von Stefan T. neue Ermittlungsansätze zu erörtern. Es sei auch kein Gutachten gewesen, sondern eine Einschätzung.

Hiernach zieht sich das Gericht zur Beratung zurück. Nach einer Pause gibt das Gericht bekannt, dass dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben wird. Insbesondere sei ihr Gutachten ehrverletzend gewesen und überschreitet deutlich ihre Fachkompetenz. Zusätzlich hat sie keine Kenntnis im Bereich der Körpersprache und maßt sich weitere Kompetenz im medizinischen Bereich an. Ihre Erkenntnisse hätten jedoch keine fundierten wissenschaftlichen Hintergründe gehabt. Auch ihre Quellen (Internet & die TV-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“) seien nicht standesgemäß. Sie sei voreingenommen und nicht neutral gegenüber dem Opfer Stefan T. gewesen.

Kopfschütteln und Stirnrunzeln

Es folgt eine zehnminütige Pause. Danach wird die Sachverständige Dr. Bettina G. – nun als Zeugin – vernommen, die in Magdeburg als Kriminologin und Soziologin angestellt ist. Jetzt ist es im Interesse aller Parteien, herauszufinden, wie sie zu diesem Auftrag kam, wie genau er gelautet hat und wie sie ihn erfüllt hat. Des Weiteren wird gefragt, mit wem sie dazu telefoniert hat. Auf all diese Fragen antwortet die Zeugin entsprechend.

Insbesondere geht es um einen Kontakt zum Sachverständigen K. vom LKA Eberswalde, der sie zu ihrer Einschätzung / ihrem Gutachten telefonisch befragt hat. Hierzu teilt sie mit, dass er ihr gesagt habe, ihre Einschätzung könne eine Gefährdung der Verurteilung bedeuten.

Viele ihrer Antworten erzeugen Kopfschütteln und Stirnrunzeln seitens der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger. Teilweise sind ihre Aussagen sehr schwankend und das Erinnerungsvermögen lückenhaft.

Der nächste Zeuge ist der nämliche Sachverständige, Jan-Gerrit K., Psychologe und Fallanalytiker beim LKA Eberswalde. Er hatte den Auftrag, ein zweites Gutachten anlässlich des ersten Gutachtens der Dr. Bettina G. zu erstellen. Da dieses erste Gutachten nun nicht mehr bei Gericht eingeführt wird, ist auch die Einschätzung des Zeugen K. für diesen Teil nicht mehr notwendig.

Daher wird er fortan nicht mehr als Sachverständiger, sondern vielmehr als Zeuge vernommen. Für alle Parteien ist es wichtig zu erfahren, wie er zu seinem Auftrag kam und wie er das Gutachten erstellt hat. Dies wird souverän durch den Zeugen beantwortet. Nun geht es im Weiteren darum, in welcher Art und Weise er mit der vorherigen Zeugin Dr. Bettina G. gesprochen hat. K. bestätigt, dass er Frau G. in einem Anruf auf die möglichen Konsequenzen hingewiesen hat, die für sie persönlich, aber auch für die Arbeit der Polizei und des Gerichts aus ihrer vorliegenden Einschätzung erwachsen können.

K. selbst akzeptiert ihr Gutachten nicht als solches, da ein Glaubwürdigkeitsgutachten gemäß Gerichtsurteil nur durch einen gelernten Psychologen erstellt werden darf. Da Frau Dr. Bettina G. keine Psychologin ist, ist dieses Gutachten als nichtig anzusehen. Der Zeuge K. hat die Zeugin Dr. Bettina G. beim Bundesverband für Psychologen angezeigt mit der Begründung, dass er ihre vorgelegten Arbeiten unter ethischen Gesichtspunkten nicht gutheißen kann.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de