Erneute Widersprüche bei Polizeibeamtem

Als erster Zeuge am heutigen, 42. Verhandlungstag, ist Rainer P. vor Ort. Ihm gehört ein Grundstück in der Nähe des Tatortes des Verbrechens gegen Stefan T.

Rainer P. hatte in der Tatzeit ein Fahrrad neben seinem Grundstück gesehen, dies erschien ihm ungewöhnlich, da er seit zehn Jahren dort wohnt und niemals ein Fahrrad dort bemerkt hatte.

Widersprüchliche Kritik eines Polizisten

Zehn Minuten später wird der zweite Zeuge aufgerufen, der uns mittlerweile gut bekannte Polizeioberkommissar Lutz B. Er war am 1. und am 18. Dezember 2014 schon einmal im Zeugenstand. Er ist der Beamte, der sich selbst und seine Vorgesetzten wegen verschiedener Delikte angezeigt hatte. Diese Anzeigen waren alle so inhaltslos, dass sie nicht weiter verfolgt worden waren. Auch bei seinen ersten Auftritten vor Gericht hat er viele unterschiedliche, teilweise sehr diffuse Aussagen getätigt. Alle seine haltlosen Vorwürfe gegenüber seiner Behörde und seinen Vorgesetzten wurden durch die Nebenklägervertreter sehr deutlich entkräftet.

Erneute Widersprüche bei Polizeibeamtem

Es ist spannend zu erwarten, welche Zeugenaussage Lutz B. heute tätigt und ob er bei seinen haltlosen Aussagen bleibt.

Die ersten zwei Vernehmungsstunden, die von der Befragung durch den Verteidiger Axel W. geprägt sind, stellen sich relativ ruhig dar. Der Zeuge beantwortet besonnen und sachlich die Fragen, die Axel W. stellt. Inhaltlich geht es hier insbesondere um den E-Mail-Verkehr zwischen dem Zeugen und dem Opfer Stefan T. Zwischen beiden Männern sind über 80 Mails hin und her gesendet worden. Die Frage von Axel W., ob der Zeuge Lutz B. mit dem Opfer Stefan T. über den E-Mail-Verkehr hinaus über den Inhalt der Ermittlungsverfahrens gesprochen hat, verneint der Zeuge.

Des Weiteren geht es um den Punkt, dass der Zeuge Lutz B. erzählte, sein Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar K., habe in einer morgendlichen Besprechung berichtet, mit dem Zeugen Christian P. per du und mit ihm essen gewesen zu sein. Dabei wurde auch eine Zigarre geraucht. Der Zeuge Lutz B. stört sich daran, dass sein Vorgesetzter einen Zeugen mit Vornamen anspricht und duzt. Zu dieser Aussage hält der Nebenklägervertreter Dr. Panos P. dem Zeugenim Folgenden seine eigenen E-Mails an Stefan T. vor.

Dr. Panos P. zitiert etliche Fundstellen, die auch ein sehr persönliches Annäherungsverhältnis von Lutz B. an das Opfer Stefan T. aufzeigen. Zum Beispiel beginnt die Anrede weder mit „Sehr geehrter“ oder „Hallo“, sondern mit „Lieber“. Und auch als Grußformel am Ende wird „Liebe Grüße“ geschrieben. Weiterhin finden sich Textzeilen mit „ganz, ganz lieben Dank“ oder „lieben, lieben Dank“, die ebenfalls eher auf ein persönlicheres Verhältnis hindeuten. Auch Weihnachts- und Neujahrsgrüße werden seitens des Zeugen Lutz B. mit dem Opfer ausgetauscht. Ebenso hat Lutz B. seine private Telefonnummer sowie seine Erreichbarkeitsbereitschaft rund um die Uhr angedient.

Die Frage, die sich mir stellt: warum kritisiert er ein Verhalten bei seinem Vorgesetzten, wenn er doch selbst ein Ähnliches an den Tag legt?

Weiterhin geht es um die Frage, ob zum Beispiel die Kollegen aus Cottbus und Neuruppin (die jeweils mit 7 Beamten zur SoKo abgeordnet waren) ebenso wie die Potsdamer Kollegen kritisch zu den Aussagen des Opfers Stefan T. standen. Diese Frage kann Lutz B. nur zurückhaltend und dahingehend beantworten, dass weitere Kollegen sich wohl nicht trauten, Kritik zu äußern. So nimmt Lutz B. an, der Kollege Sch. und die Kollegin B. wären auch kritisch gewesen, hätten aber Angst gehabt, sich zu äußern.

Weiterhin ist Lutz B. auch der Meinung, dass die Festnahme des Beschuldigten Mario K. im September – drei Wochen vor den Tat-Jahrestagen am 2. und am 5. Oktober – zu früh erfolgt ist. Man hätte die Jahrestage abwarten sollen, um festzustellen, ob der Täter (und damit vielleicht gleichzeitig der Beschuldigte) an diesen Tagen wieder tätig wird. Lutz B. beschreibt seine Täter-Logik so, dass wenn es an diesen Tagen keine weitere Tat gegeben hätte, Mario K. nicht der Schuldige ist.

Diese Annahme ist kriminalistischer Unsinn, da es bei beiden Tatkomplexen ein hohes Maß an Vortatverhalten gegeben hat. Da Mario K. seit mehreren Wochen und Monaten unter Observation stand, wären diese Tatvorbereitungshandlungen den Observationskräften aufgefallen.

Nach all dieser Fragerei rückt Lutz B. nun mit einer Skandalantwort heraus. Er teilt mit, dass die Kriminalbeamtin, die den Schlussbericht für Staatsanwaltschaft abgefasst hat, von ihrem Vorgesetzten dem K-Leiter K., die Anweisung erhalten habe alle entlastenden Beweispunkte gegen den Beschuldigten aus dem Abschlussbericht herauszunehmen. Daraufhin habe sich die Beamtin B. geweigert, diesen Abschlussbericht zu unterschreiben.

Dieses wäre bei wahrheitsgemäßer Aussage wirklich der erste Skandal dieses Prozesses! Doch glauben kann ich die Aussage nicht. Insofern muss man sich die Frage stellen, worin die Motivation von Lutz B. liegt, diese Aussage zu tätigen? Oder wird er vielleicht fremdgesteuert? Wäre das der Fall – was ebenso skandalös wäre –, müsste überlegt werden, aus welchem Bereich diese Fremdsteuerung kommen kann. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass Lutz B. verwirrt ist, was wiederum zumindest weniger skandalös wäre.

Nach dieser heftigen Aussage beantragt die Verteidigung beim Vorsitzenden Richter eine Unterbrechung und Besprechung unter Ausschluss der Öffentlichkeit; dem Antrag wird stattgegeben.

Anschließend wird Zeugin B. gehört. Sie ist Polizeibeamtin der Polizeidienststelle Ost in Frankfurt (Oder) und gehörte zum Auswerteteam. Auf Befragen berichtet sie, dass sie am oben aufgeführten Schlussbericht nicht beteiligt war, denn zum Zeitpunkt der Erstellung desselben, am 13. Januar 2014, war sie nicht mehr in der SOKO. Ebenso wenig war sie für Spuren des Mario K. zuständig.

Der Aussage von Lutz B. widerspricht die Zeugin B. Sie kann sich nur an einen Zwischenbericht in tabellarischer Form erinnern, in dem eine Tabelle für belastendes Material und eine Tabelle für entlastendes Material erstellt werden sollte. Später wurde entschieden, dass nur die Tabelle für belastendes Material erstellt werden sollte. Doch, ob das tatsächlich so durchgeführt worden ist, kann sie nicht bestätigen.

Auf die Frage des Richters, ob sie Kenntnis von unkorrekten Ermittlungsmethoden innerhalb der SOKO hat, antwortet sie mit einem klaren Nein. Auch eine Aufforderung zum absichtlichen Weglassen irgendwelcher Punkte gab es ihr zufolge nicht. Die Zeugin schließt noch einmal deutlich aus, dass sie gesagt haben soll, sie wolle einen Bericht nicht unterschreiben, weil sie vorher aufgefordert worden sei, entlastendes Beweismaterial wegzulassen. Der Verteidiger Axel W. fragt in diesem Punkt mehrfach nach. Die Zeugin antwortet mehrfach dasselbe.

Die Staatsanwalt fragt die Zeugin dann zum abgelehnten Gutachten der ebenso abgelehnten Sachverständigen G. und wie mit diesem umgegangen wurde. Die Zeugin sagt aus, dass der Leiter der SOKO, Kriminalhauptkommissar K., bei einer Frühbesprechung darüber gesprochen hat. Bei weiterem Nachfragen, ob dieses Gutachten nicht in die Akten sollte, bestätigt die Zeugin, dass das bei einer Frühbesprechung nicht angeordnet wurde.

Hiernach wird wiederum der Zeuge Lutz B vernommen. Er wird von Verteidiger Axel W, mit der vorherigen Aussage der Zeugin B. konfrontiert. Er äußert, dass er darüber schockiert sei. Lutz B. wird danach gefragt, woher denn seine Erkenntnisse zu diesem Sachverhalt kommen. Hierauf antwortet er, dass ihm die Kriminaloberkommissarin B. erzählt hätte, dass sie diese Aussage von der Zeugin B. erhalten haben soll, die kurz vor ihm heute im Gericht gehört wurde. In der vorherigen Zeugenaussage der Kriminaloberkommissarin B. gab es keine Einlassung zu diesem heute erörterten Punkt.

Interessant ist, dass Lutz B. sich erst jetzt darauf einlässt, woher er diese Kenntnis erhalten hat. In der vorherigen Vernehmung sagte er noch, dass er diese Aussage direkt von der Zeugin B. erhalten hätte.

Hiernach beginnt der Nebenklägeranwalt Dr. Panos P. seine Befragung. Er möchte wissen, warum der Zeuge diesen Sachverhalt seiner sogenannten Selbstanzeige (22 Seiten) nicht beigefügt hat. Außerdem fragt er, warum Lutz B. in seiner Selbstanzeige oder bei seiner heutigen Aussage außerdem nicht erwähnt hat, dass er von dem Gutachten der Sachverständigen G. bereits am 26. Februar 2013 über den Kollegen Sch. erfahren hat. Auf beide Fragen antwortet der Zeuge, dass er nicht mehr weiß, warum sich beides so zugetragen hat.

Da der Zeuge gemutmaßt und behauptet hat, dass das Gutachten der Sachverständigen G. absichtlich aus den Fallakten ferngehalten wurde, zählt Dr. Panos P. auf, wer alles Kenntnis von diesem Gutachten hatte. Ohne nun eine genaue Aufzählung folgen zu lassen, kann hier valide wiedergegeben werden, dass alle in diesem Fall eingesetzten Leitungskräfte und deren Vorgesetzte – also insgesamt circa 20 Personen – vom Gutachten der Sachverständigen G. Kenntnis hatten.

Trotzdem bemängelt Zeuge Lutz B., dass dieses Gutachten geheim gehalten werden sollte, weil er davon ja nichts wusste.

Die Staatsanwältin befragt den Zeugen zu seiner Anzeige wegen Körperverletzung gegen seinen Vorgesetzten. Das wiederum begründet der Zeuge damit, dass er mit seinem Vorgesetzten ein lautes und hartes Gespräch hatte. Dies zeichnete sich auch durch unsachliche und diskriminierende Inhalte aus, woraufhin er, Lutz B., krank wurde, weswegen er seinen Vorgesetzten wegen Körperverletzung angezeigt hat.

Auch taucht noch einmal die Frage auf, warum der Zeuge Lutz B. nach seiner ersten Vernehmung des Zeugen Stefan T. am 8. Oktober 2012 in Berlin, keinen Vermerk geschrieben hat. Eine Antwort hierzu hat der Zeuge nicht.

Der Nebenklägeranwalt Jakob D. fragt den Zeugen nach dem Bericht, den er und sein Kollege Sch. nach ihrem Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt S. in Bezug auf die Widersprüche zum Tatkomplex Stefan T. erstellen sollten. Dieser Bericht wurde selbst nach fünf Monaten durch Lutz B. nicht angefertigt. Hierzu kann der Zeuge keine Erklärung abgeben. Anwalt Jakob D. hält dem Zeugen Lutz B. vor, dass dieser daran festhält, dass er das vom Gericht zurückgewiesene Gutachten der Sachverständigen G. hätte einsehen und danach handeln müssen; ganz unabhängig von der Kenntnis, dass die Gutachterin vom Gericht wegen Befangenheit abgelehnt wurde und daher ihre Fallanalysen unberücksichtigt bleiben.

Danach kommt es durch den Anwalt Jakob D. noch einmal zu einer Zusammenfassung der wichtigsten Aussagepunkte von Lutz B., etwa dass dieser vor Gericht gesagt hat, es gebe keine Widersprüche in der Aussage von Stefan T.. Zudem hat der Saal heute gehört, dass keine Beweise zur Entlastung des Beschuldigten unterschlagen worden sind. Trotz alldem bleibt Lutz B. unbelehrbar.

Aufgrund der heutigen Aussagen weist das Gericht an, dass zum nächsten Verhandlungstag erneut die Kriminaloberkommissarin B. und der Kriminaloberrat Sch. geladen werden.

Bildquelle: Stefan Bisanz

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