Höchste Brutalität: Täter und Angeklagter
Der 40. Verhandlungstag am 16. Dezember 2014 beginnt mit der Vorführung einer DVD, die eine Tatrekonstruktion mit Torsten H. als Zeugen zeigt, aufgenommen am 1. August 2012. Thema ist das Tatgeschehen zum Nachteil von Louisa P. und Torsten H., zu sehen sind auch die Tatschauplätze.
„Der erste Schuss galt ganz klar mir“ – das Opfer Torsten H. in der Vernehmung
Torsten H. war als Sicherheitsmitarbeiter am Wohnort der Familie P. tätig. Er wurde nach dem Überfall auf Petra P. (22. August 2011) beauftragt.
In der Nacht vom 1. auf den 2. Oktober 2011, dem Tattag, waren Torsten H. und sein Bruder Matthias H. im Einsatz. Dieser Dienst dauerte jeweils von 20:00 Uhr abends bis 8:00 Uhr morgens und wurde regelmäßig mit zwei Mitarbeitern durchgeführt. Die Tagesschicht von morgens 8:00 Uhr bis abends 20:00 Uhr war jeweils mit einem Sicherheitsmitarbeiter besetzt.
Torsten H. berichtet auf Befragen der Polizeibeamten, dass der Dienst „bis der ganze Spaß begann“ normal verlief. Bevor sich Petra P. und Louisa P. zur Nachtruhe begaben, gab es noch eine gemeinsame Hunderunde. Auch das war ganz normal.
In der Nacht haben die beiden Brüder dann Rundgänge auf dem Objektgelände mit Taschenlampe durchgeführt. Ein entsprechendes Wach- oder Dienstbuch, in der diese Runden hätten eingetragen werden können, wurde nicht geführt.
Der Beschuldigte Mario K. schaut sich diese DVD sehr interessiert an, so wie er es bisher noch nicht getan hat. Man könnte meinen, er ergötzt sich an den Bildern.
Torsten H. berichtet in der Vernehmung weiter, dass beide Brüder keine Waffen getragen haben, weil es ja kein bewaffneter Personenschutzauftrag war. Mitunter habe er aber sein Pfefferspray mit sich geführt, berichtet Torsten H.
Ab 6:00 Uhr morgens kümmerte sich Louisa P. um die Versorgung der Pferde. Der Morgen verlief zunächst wie immer. Zwischen 7:00 Uhr und 7:30 Uhr wurden die Pferde von den Ställen auf die Koppel gebracht. Paul, der Hund, war am Morgen des 2. Oktobers 2011 nicht dabei; vielleicht hätte der etwas bemerkt, vermutet Torsten H.
Die Sicherheitsmitarbeiter sind immer mit Louisa P. mitgegangen, wenn sie die Pferde zur Koppel gebracht hat. An diesem Morgen war nichts auffällig; sie sind mit den Pferden denselben Weg wie immer gelaufen. Auf dem Rückweg dann, etwa auf der halben Strecke, hatte Thorsten H. „so ein Gefühl“ und drehte sich um. Plötzlich stand da ein Mann im Tarnanzug und mit einer Kopfmaske. „Mein erster Gedanke war: das ist so ein „Gotcha-Affe“, mit dem ich mich jetzt am frühen Morgen rumärgern muss“, so Torsten H. in der Vernehmung.
Der Angreifer war circa 180 Zentimeter groß, etwa 30-35 Jahre, hatte eine normale Figur und trug unter seinem Tarnanzug vermutlich eine Schutzweste. Und er machte klare Ansagen, denn ganz deutlich befahl er: „Mädel, leg dich hin!“. Doch Louisa P., die hinter Torsten H. stand, war wie zu einer Salzsäule erstarrt. Dann ging sie auf die Knie und Torsten H. sagte zu ihr, dass sie aufstehen solle, und dann: „Louisa, lauf los!“.
Louisa P. rannte los, während Torsten H. die Entfernung zum Angreifer verringerte. Dieser nimmt nun den gestreckten rechten Arm mit Waffe runter, lädt durch und schießt auf Torsten H. Der Sicherheitsmitarbeiter hatte plötzlich das Gefühl, von einem Starkstromschlag getroffen worden zu sein. Der Angreifer habe ihn regelrecht aus dem Weg geschossen.
„Der erste Schuss galt ganz klar mir.“, sagt Torsten H. Dann folgten zwei weitere Schüsse, die auf Louisa P. abgefeuert worden sind. „Mir war klar, ich war raus. Ich habe meine Mütze vom Kopf genommen, das Handy draufgelegt und telefoniert. Zuerst habe ich die Polizei angerufen, dann meinen Bruder, dann meinen Chef. Danach habe ich einen Freund angerufen, der auch in der Sicherheitsbranche arbeitet, und habe länger mit ihm gesprochen. Da ich kein Blut an den Händen hatte, habe ich Elektronen von einer Elektroschockpistole (Taser) gesucht. Später habe ich bemerkt, dass es „ein großer Schaden war“, berichtet Torsten H.
Vorher hatte der Angreifer noch zu ihm gesagt, „Leg dich hin oder ich schieß dir ’ne Kugel in den Kopf.“. Der Angreifer habe wohl aus Angst geschossen, weil er gemerkt hatte, dass die Situation nicht so läuft wie geplant. Torsten H.: „So hat sich das ganze Theater abgespielt.“
Seit diesem gemeinen und menschenverachtenden Angriff des Täters sitzt Torsten H. querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Als die Polizei sich bei ihm für seine Bereitschaft zur Durchführung dieser Tatrekonstruktion und für seine Aussage bedankt, sagt Torsten H. bemerkenswerterweise, dass es ja auch schlimmer hätte kommen können.
Klar ist auch, dass der Täter diese Tat mit hohem Aufwand vorbereitet hat, sowohl in der Infrastruktur, als auch im Zeitaufkommen (wochenlanges Ausspähen). Damit ist dem Täter auch zu unterstellen, dass er ganz bewusst eine scharfe Waffe mitgeführt hat, um die Sicherheitsmitarbeiter je nach Lage aus dem Weg zu räumen. Da der Täter nicht in die Beine geschossen hat, sondern gezielt auf den Oberkörper, ist ihm ebenfalls zu unterstellen, dass ihm das Leben von Torsten H. völlig egal war. In diesem Handeln ist die große Brutalität des Täters zu erkennen. Er handelte aus Habsucht und Mordabsicht, um Louisa P. entführen zu können. Diese besonders schwere Brutalität hat am letzten Verhandlungstag auch der Sachverständige H. dem Beschuldigten Mario K. deutlich zugeschrieben. Somit ist auch hier eine Deckungsgleichheit zu vielen anderen Indizien zu erkennen.
Enttäuschendes Verhalten der Verteidigung
Warum die Verteidigung unmittelbar nach dieser bedrückenden DVD-Vorführung unbedingt noch eigene DVDs abspielen musste, war für mich absolut nicht nachvollziehbar. Dieser Moment hätte dem Opfer Torsten H. gehört. Die Verteidigung hat schon mehrfach während des Prozesses ihr rücksichtsloses Verhalten gegenüber den Opfern gezeigt, so auch hier.
Zu sehen waren vier Sequenzen, die jeweils nicht länger als 15 bis 20 Sekunden dauerten. Die Clips zeigten die Verteidiger an der Villa von Stefan T., die Verteidiger auf der Opfer-Insel sowie den Verteidiger Christian L. in einem Wasserloch.
Was sollten die gezeigten Bilder, die weder irgendeinen Aussagewert haben, noch kommentiert oder in einen Zusammenhang gestellt wurden, in diesem Moment bewirken? Sollte der bedrückende Eindruck, den die DVD der Tatrekonstruktion mit Thorsten H. bei allen Parteien hinterlassen hat, sofort wieder verwischt werden?
Da man der hochprofessionellen Verteidigung durchaus unterstellen kann, dass sie sich genauestens auf jeden Verhandlungstag vorbereitet, muss sie sich auch in diesem Fall ein taktisches Verhalten vorhalten lassen – und das leider wieder einmal zulasten der Opfer.
Sachverständige berichten über Untersuchungsergebnisse
Hiernach wird es wieder etwas nüchterner und sachlicher. Es werden drei Sachverständige vom kriminaltechnischen Institut des LKA Brandenburg gehört.
So wurde von der Sachverständigen Dr. H. ein Taschentuch auf Spuren abgesucht und zugleich geprüft, ob diese Spuren mit einem weiß-braunen Pulver identisch ist, das in einer Metalldose im Bereich des Beschuldigten gefunden wurde. Dabei wurde festgestellt, dass die Anhaftungen am Taschentuch und das Pulver aus der Metalldose dieselbe Substanz sind. Des Weiteren wurden Ohrstöpsel, die im Besitz von Mario K. gefunden wurden, mit Ohrstöpseln vom Tatort der Tat gegen Stefan T. verglichen, ebenso Klebebänder vom Kajak. Auch kam ein Messer zur Untersuchung, das Kleberreste aufwies.
Das Fachgebiet der zweiten Sachverständigen, Petra M., sind Handschriften. Sie hatte die Aufgabe, fünf Briefumschläge, die im Tathergang gegen Stefan T. als Erpresserbriefe dienen sollten, zu untersuchen. Sie bestätigt, dass die Schrift auf den Umschlägen von jeweils demselben Schreiber stammt. Das Schriftbild war zitternd, es wurde ab- und neu angesetzt, die Verbiegungen der Schrift zeigen außerdem, dass der Schreiber nicht störungsfrei geschrieben hat. Der Schreiber war entweder von Einwirkungen von außen (Schreibhaltung, Schreibgerät, Lautstärke, Witterung) oder von innen (Alkohol oder Medikamente) beeinflusst.
Die dritte Zeugin, die Sachverständige Kirsten S., beschäftigt sich mit dem Gebiet Mineralien. Sie hat Anhaftungen an der Reisetasche und an den Gummistiefeln untersucht sowie einen Klappspaten und Arbeitshandschuhe, die dem Beschuldigten zugeordnet werden konnten. Hierzu hatte sie sich Vergleichsproben aus den Gebieten besorgt, von denen es Anzeichen gab, dass der Täter sich dort aufgehalten haben könnte. Eine Übereinstimmung konnte sie jedoch nicht feststellen.
Als Schreibmittel für die Erpresserbriefe bestätigt sie einen Graphitstift, allgemein als Bleistift bezeichnet. Sie ist der Meinung, dass dieser Bleistift mittelhart gewesen sein muss. Die Witterungsbedingungen, aufgrund derer die Briefumschläge einer gewissen Feuchtigkeit ausgesetzt waren, hatten keinen Einfluss auf das Schreibmittel, bestätigt die Sachverständige.
Bild: Steg zum Tatvorgang Stefan T. / Bildquelle: Stefan Bisanz
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