Eine „Schmierenkomödie“ der Verteidigung
Der heutige Prozesstag, der 2. Oktober 2014, ist zugleich der dritte Jahrestag des feigen Anschlags auf Louisa P. Die Tochter der Familie P. sollte seinerzeit entführt werden. Der Versuch schlug fehl, allerdings wurde in diesem Zusammenhang tragischerweise der Sicherheitsmitarbeiter Thorsten H. durch eine Schussverletzung querschnittsgelähmt.
Die Verteidigung des mutmaßlichen Täters „glänzt“ während der heutigen Verhandlung mit einer Schmierenkomödie; so zumindest bezeichnet Nebenkläger Dr. Panos P. das Auftreten der Anwaltschaft.
Doch zunächst wird der Zeuge Fabian Detlef T. gehört.
Äußerst fit und gut trainiert: Mario K. hält Vereinsrekord
Fabian Detlef T. war Boxtrainer in der Betriebssportgemeinschaft (BSG). In der BSG hatte der Beschuldigte Mario K. 2011 circa zwei bis drei Mal pro Woche trainiert. Neben allgemeinen Aussagen ist besonders hervorzuheben, dass der Trainer auch sagte, Mario K. habe einen sehr fitten Eindruck hinterlassen und er habe keinerlei körperliche Beeinträchtigungen festgestellt. Besonders ist hervorzuheben, dass Mario K. bis heute noch einen Vereinsrekord in einer speziellen Fitnessübung hält. Bei dieser Übung handelt es sich um Sit-ups, bei denen man sich zu zwei Dritteln zurückbeugen muss und beim Vorbeugen eine kurze Rechts-Links-Schlagkombination auf die Handpratzen des Boxtrainers abgeben muss. Der Rekord von Mario K. liegt bei 136 Wiederholungen in drei Minuten. Das bedeutet eine Wiederholung pro 1,32 Sekunde.
Das kann man durchaus einen extrem fitten körperlichen Zustand nennen. Doch nun kommt der Höhepunkt des Tages.
„Schmierenkomödie“ der Verteidigung
Der Verteidiger Axel W. bringt eine DVD mit einer Rekonstruktion des möglichen Tatablaufes in Sachen Stefan T. ein, und zwar den Teil, auf dem die Verbringung von Stefan T. mit dem Kajak vom Haus am Storkower See bis zum möglichen Ablageort zu sehen ist. Dazu erläutert der Verteidiger die Randbedingungen: Die Rekonstruktion wurde am 22. September 2014, um 13:10 Uhr durchgeführt. Die Luft hatte 17 Grad Celsius, das Wasser 18 Grad Celsius.
Die Rekonstruktion beginnt mit der Abfahrt am See. Der Ersatztäter sitzt bereits im Kajak. Das Ersatzopfer wird durch den Verteidiger Christian L. dargestellt. Die Fahrt beginnt am Ufer des Nachbaranwesens von Stefan T. Der Ersatztäter sitzt in Fahrtrichtung, abgewandt vom Ufer. Er wiegt 120 Kilo, ist 34 Jahre alt und trägt kurze Beinkleidung. Das Ersatzopfer ist mit einer Leinenhose sowie mit einem Hemd und einem leichten Wollpullover sowie normalen Socken bekleidet. Er ist an den Händen gefesselt und seine Augen sind mit Klebeband verbunden. Der Ersatztäter macht keinen durchtrainierten Eindruck, dies bemerkt man schon nach den ersten 200 Metern, die er das Ersatzopfer hinter seinem Kajak herzieht. Er macht kleine Schlagpausen mit dem Doppelpaddel. Die gesamte Strecke, die der Täter ursprünglich zurückgelegt hat, beträgt circa 1600 Meter. Die Rekonstruktion muss allerdings bereits nach der Hälfte abgebrochen werden, da der Ersatztäter nicht durchhält. Christian L. wird nun an Bord geholt und zittert sehr stark.
Ich kann mir vorstellen, dass es für die Opfer nur schwer zu ertragen ist, sich diese Show anzusehen. Petra P. und Louisa P. machen das in meinen Augen einzig Richtige und drehen sich bewusst vom Bildschirm weg.
Nachdem die circa 15- bis 20-minütige Vorführung beendet ist und der Verteidiger Axel W. einen Beweisantrag einbringen möchte, gibt der Nebenklägervertreter von Stefan T., Dr. Panos P., eine Erklärung ab. Er betitelt die Vorführung als Schmierenkomödie, die „äußerst geschmacklos“ sei. Zusätzlich ist die Rekonstruktion mit dem geschilderten Tathergang von Stefan T. auch nicht identisch und somit nicht geeignet. Insbesondere scheint der Ersatztäter als Kajakfahrer nicht geübt zu sein, er macht einen unsportlichen Eindruck. Dr. Panos P. appelliert an die Verteidigung, doch etwas mehr auf den Opferschutz zu achten. Hierauf gibt Axel W. seine Meinung bekannt. Er stellt fest, dass es im Prozess nicht um Geschmacksfragen geht. Der Versuch wäre sogar zugunsten des Opfers Stefan T. verändert worden.
Hier sei die Frage erlaubt, warum der Verteidiger etwas zugunsten der Opfer einbringen möchte?
Auch die Nebenklägervertreter von Petra P., Dr. Jakob D., und die Anwältin von Thorsten H., Frau Evelyn R., erklären, dass sie die Vorführung dieser Rekonstruktion für geschmacklos und ungeeignet halten. Die Verteidigung versucht, sich durch Axel W. zu erklären; so ganz gelingt ihm das jedoch nicht. Insbesondere möchte er darauf aufmerksam machen, dass der Ersatztäter ein 34-jähriger Kanu-Polo-Spieler aus der Bundesliga ist. Damit möchte er untermauern, dass es sich hierbei um einen fitten Ersatztäter handelte.
Tatsächlich sollte man bei einer Rekonstruktion nahezu identische Randbedingungen schaffen. In diesem Fall sollte man die Gesamtstrecke der Kajakfahrt von 1600 Metern in Relation mit einem Kanu-Polo-Spiel stellen. Ein Kanu-Polo-Spielfeld hat die Größe von 35 × 25 Metern. Ein Team besteht aus acht Spielern, davon sind drei Auswechselspieler. Das Spiel dauert 2 × 10 Minuten, sodass jeder Spieler eine durchschnittliche Spielzeit von 12,5 Minuten hat. Das bedeutet: pro Halbzeit 6,25 Minuten. Man könnte also annehmen, dass bei einem Kanu-Polo-Spiel insbesondere Schnellkraft gefordert wird. Wenn ich aber eine Strecke von 1600 Meter mit Belastung hinter mich bringen möchte, ist wahrscheinlich eher Ausdauerkraft gefordert. Sollte ein vergleichbarer Fitnesszustand des Ersatztäters getestet werden, so haben wir soeben von dem Boxtrainer gehört, dass Mario K. einen Vereinsrekord in der Disziplin Sit-ups mit nachfolgender Schlagkombination aufgestellt hat. Dieser Test wäre also zum Fitnessvergleich geeignet.
Nachdem alle ihre Erklärungen zur Rekonstruktion vorgetragen haben, stellt Axel W. einen Beweisantrag. Er gibt an, dass der Tathergang, so wie Stefan T. ihn geschildert hat, nicht stattgefunden haben kann. Dies würde seine soeben gezeigte Rekonstruktion deutlich aufzeigen. Er beantragt mithin, dass das gesamte Gericht einen Ortstermin durchführen sollte. Hier möchte er den kompletten Tathergang – von der Verbringung vom Anwesen von Stefan T. bis zur Selbstbefreiung und dem Zurücklegen des Fluchtwegs bis zum Knüppeldamm – rekonstruiert haben. Auch die bereits durchgeführten Rekonstruktionen der Polizei seien nicht tauglich. Insbesondere bemängelt Axel W., dass der Weg vom Aussteigen aus dem Kajak zum Ablageort mit verbundenen Augen nicht entsprechend nachgestellt wurde.
Während der 15-minütigen DVD-Vorführung kommentierte Mario K. das Leinwandgeschehen gegenüber seinem Rechtsanwalt Christian L. Dieser wiederum teilte die Kommentare sofort Axel W. mit. Mario K. hat eine besondere Gestik: Beim Erzählen mit Armen und Händen hält er immer den Daumen senkrecht hoch. Auch wenn er seinen Kopf abstützt, ist auffällig, dass er das mit den Daumen macht, genauso kratzt er sich mit dem Daumen im Gesicht oder am Kopf.
Neun Messer
Anschließend wird der Zeuge Andreas W. gehört. Er ist der Lebensgefährte und Verlobte von Mario K.s Schwester. Er hat den Beschuldigten erstmalig nach dessen Gefängnisaufenthalt 2009 kennengelernt. Er wollte weder Kontakt zu ihm, noch, dass er die gemeinsame Wohnung betritt. Andreas W. weiß zu berichten, dass sich seine Verlobte gelegentlich zum Kaffee mit Mario K. außerhalb der Wohnung getroffen hat. Weiterhin erzählt er, dass Mario K.s Schwester aufgefordert wurde, ein Telefon für den Beschuldigten zu besorgen, welches nicht zurückverfolgt werden konnte. Er, Andreas W., hat davon erst im Nachhinein erfahren. Als Andreas W. in den Medien von der Tat gegen Stefan T. hörte, hatte er sofort ein komisches Gefühl und glaubte, dass Mario K. der Täter hätte sein können. All dies trägt der Zeuge frei und authentisch vor.
Nach der Vernehmung durch das Gericht, wird der Zeuge noch zu weiteren Punkten von Dr. Jakob D. befragt. Auch der Nebenklägervertreter Dr. Panos P. erhält Gelegenheit für Fragen. Insbesondere interessieren ihn einige Messer. Neun Stück wurden bei der Wohnungsdurchsuchung durch die Polizei festgestellt. Zwei der Messer waren in einem Tresor, der nicht abschließbar war, abgelegt, eines ist mit dem möglichen Tätermesser identisch. Dr. Panos P. möchte vom Zeugen wissen, warum gerade diese beiden im Tresor gelagert waren, und warum das „Tätermesser“ sauber ist und das andere nicht. Nun endet die freie authentische Rede des Zeugen, er beginnt mit ausweichenden und zögerlichen Antworten. Den Sachverhalt kann er nicht hinreichend erklären.
Bildquelle: I. Rasche / pixelio.de
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