Aussagen eines Kommissars auf dem Prüfstand

Der 41. Verhandlungstag am 18. Dezember 2014 ist der letzte vor der Weihnachtspause in diesem Jahr und er erregt noch einmal erhöhte Aufmerksamkeit. Einige Medienvertreter und viele Zuschauer, insbesondere Polizeibeamte, sind heute anwesend.

Heute ist zur weiteren Vernehmung der Kriminaloberkommissar (KOK) Lutz B. bei Gericht. Er war bereits am 1. Dezember 2014 zur Zeugenvernehmung anwesend. Lutz B. hatte öffentlichkeitswirksam erhöhte Aufmerksamkeit erregt, da er sich in seiner Ermittlungsarbeit derartig durch seinen Vorgesetzten behindert gefühlt hatte, dass er sowohl den Vorgesetzten als auch sich selbst angezeigt hat. Heute erklärt er vor Beginn der eigentlichen Vernehmung, dass er diese Anzeige absichtlich bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin gestellt hat, weil er nicht wollte, dass diese Anzeige Einfluss auf den „Maskenmann–Prozess“ in Frankfurt (Oder) hat. Diese Einlassung von einem erfahrenen, seit 34 Jahren im Dienst befindlichen Polizeibeamten zu hören ist verwunderlich.

Aussagen eines Kommissars auf dem Prüfstand

Als Erster befragt der Nebenklägervertreter von Petra P., Anwalt Jakob D., den Zeugen, ob er denn mit jemandem über den Prozess gesprochen hätte. Dies beantwortet Lutz B. mit „Nein“. Ob er denn Anlass zur Annahme der Vortäuschung einer Straftat im Tatgeschehen Stefan T. gehabt hätte. „Nein“ antwortet der Zeuge Lutz B auch hier.

Danach liest der Nebenklägervertreter einen Passus aus der 20-seitigen Selbstanzeige vor, der im direkten Widerspruch zu seiner eben gemachten Aussage steht. Weiter wird die Frage gestellt, ob der Zeuge Lutz B. angenommen hatte, dass Stefan T. auch der Täter ist?

Noch sitzt der Zeuge selbstsicher in seinem Stuhl. Er gibt an, dass er sich auf den heutigen Vernehmungstag bei Gericht vorbereitet, noch ein intensives Aktenstudium betrieben und sich verschiedene DVDs der Zeugenaussagen von Stefan T. angeschaut hätte. Insbesondere betont er nochmals die Aussage, dass es eine klare Aussage von Stefan T. gibt, in der dieser sagt, dass er seine Brille mit verbundenen Augen in eine Astgabel gehängt hätte. Auch auf weiteres und sehr direktes Nachfragen durch Anwalt Jakob D. bestätigt der Zeuge, Lutz B., die eben gemachte Aussage.

Im weiteren Verlauf thematisiert ein weiterer Nebenklägervertreter, Manuel O., das besagte Video. Er hält dem Zeugen Lutz B. die auf dem Video zu sehende Aussage entsprechend mündlich vor. Stefan T. sagt aus, er habe die Brille in den Ast gehängt, weil er sie ja mit verbundenen Augen nicht brauchte. Daraus hat der Zeuge Lutz B. abgeleitet, dass Stefan T. tatsächlich verbundene Augen gehabt hatte; allerdings stand das tatsächliche Verkleben der Augen erst kurz bevor. Tragisch an dieser falschen Interpretation durch den Zeugen und erfahrenen Ermittler Lutz B. ist, dass hieraus sein Verdacht der Vortäuschung einer Straftat der Entführung des Opfers Stefan T. begründet wurde. Da diese unterschiedlichen Aussagen eine so hohe Diskrepanz aufweisen, besteht der Verteidiger des Beschuldigten, Axel W., auf einer Vorführung der Original-DVD dieser Aussage.

Wir alle sehen im Gericht die Videoaussage von Stefan T. Zu diesem Zeitpunkt müssen wir sehen, dass sich der Zeuge Lutz B. dramatisch geirrt hat – und die Aussage so richtig ist, wie die Nebenkläger sie vorgetragen haben.

Auch an diesem Beispiel bemerken wir die besondere Tragik des KOK Lutz B. Wie sehr er sich in einem Tunnelblick befindet und klare Aussagen nur so auswertet, wie es seiner Zeugenaussage zugutekommt.

Auf die Frage des Nebenklägers, wie sich denn ein Opfer fühlen müsste, wenn es bei der eigenen Entführung der Vortäuschung einer Straftat belastet wird, antwortet der Zeuge: „beschissen“.

Ein weiterer Punkt, an dem der Zeuge Lutz B. seinen Verdacht der Vortäuschung einer Straftat festgemacht hat, war, dass der Täter dem Opfer Stefan T. vor der Augenverklebung Ohropax in die Ohren gesteckt hat. Und zwar aus dem Grund, weil die Ohropax-Variante des Verbrechers, die gleiche ist, wie Stefan T. sie beim Schwimmen im Süßwasser benutzt.

Hieraus hat der Zeuge den Zweifel entnommen, woher denn der Täter wissen könne, dass Stefan T. diese Ohropax-Sorte beim Schwimmen benutze. Dass der Täter dem Opfer Stefan T. diese Ohropax nicht direkt beim Betreten des Sees und beim Transport über das Wasser gegeben hat, sondern erst kurz vor der Verklebung, lässt den Schluss eindeutig zu, dass es hierbei nicht um das Vermeiden einer Ohrenkrankheit ging, sondern ausschließlich darum, die Wahrnehmung auf akustische Geräusche deutlich einzuschränken. Auch dieser Umstand muss einem erfahrenen Ermittler unbedingt auffallen.

Hiernach beginnt die Verteidigung mit Axel W. ihre Befragung des Zeugen. Einleitend wird nach dem Werdegang von Lutz B. gefragt, der seit 2002 in der Mordkommission tätig ist und vorher unter anderem in den Kommissariaten Raub, Erpressung und Bandenkriminalität eingesetzt war. Lutz B. erzählt, dass er am 8. Oktober 2012, einem Montag, ganz normal zum Dienst ging; vorher befand er sich im Urlaub. Er fuhr mit zwei Kollegen zur Vernehmung von Stefan T. Sein Kollege Willmar F. hat die Vernehmung geführt, er selbst hat zugehört.

Einen üblichen Eindrucksvermerk zu dieser Vernehmung hat Lutz B. nicht geschrieben. Während dieser Vernehmung hat sich der zuständige Polizeipräsident telefonisch bei Stefan T. gemeldet und ein circa acht- bis zehnminütiges Telefonat geführt. Nochmals wird er nach dem „sogenannten Urlaub“ der Familie T. befragt. Hier hatte er deutliche Bedenken, die er allerdings niemals gegenüber seinen Kollegen, Vorgesetzten und der Familie geäußert hat. Es wird festgestellt, dass niemand der Polizei Einwände gegen diese Reise hatte. Die eingeteilten Personenschützer vom LKA Brandenburg befürworteten diese Abstandsreise sogar. Eine Erreichbarkeit war gegeben.

Der Beschuldigte Mario K. ist immens gelangweilt von der Befragung seiner Verteidiger und starrt Löcher in die Luft.

In der weiteren Vernehmung durch den Verteidiger Axel W. stellt sich heraus, dass der Zeuge Lutz B. einen Selbstversuch durchgeführt hat. Er hat sich mit einem Panzerband so gefesselt, wie er es den Aussagen von Stefan T. in seinen Vernehmungen entnehmen konnte. Im Weiteren hat er auch versucht, sich einen Silikonschlauch in den Mund und durch das Panzerband zu stecken. Dieser Versuch ist gescheitert. Nach zwei Stunden mit umklebtem Kopf hielt er es nicht mehr aus. Es war ihm einfach zu schmerzhaft und auch beim Abreißen des Panzerbandes sind ihm einige Haare und Augenbrauen mit ausgerissen worden.

Diese Experimente und Selbstversuche helfen einem Ermittler sicherlich, sich einen besseren Eindruck zu verschaffen. Dass der Zeuge Lutz B. aussagt, dass er diesen Selbstversuch erst vor einigen Wochen, das heißt über zwei Jahre nach der Tat durchgeführt hat, ist mehr als verwunderlich und auch ärgerlich. Wenn er dieses Experiment zeitnah nach dem Tatgeschehen durchgeführt hätte, hätte es in beiderlei Richtungen Erkenntnisse daraus geben können. Dadurch, dass er ihn erst jetzt durchgeführt hat, kann seine Motivation für diesen Selbstversuch nur die Rettung seiner eigenen Aussage bedeuten.

Der Zeuge hat in seinen beiden Vernehmungstagen versucht, seinen ungeheuerlichen Vorwurf gegenüber dem Opfer Stefan T., die Vortäuschung einer Straftat, mit vielen Beispielen zu rechtfertigen. An beiden Tagen haben ihm die Vertreter der Nebenkläger mehrfach und eindeutig bewiesen, dass er im Unrecht war:

Im weiteren Verlauf der Befragung durch den Verteidiger Axel W. geht es wieder einmal um das Gutachten der Sachverständigen Frau G. aus Magdeburg. Hier wird danach gefragt, in welcher Art und Weise der Zeuge Lutz B. davon wusste und in welchem Maße er auf dieses Zugriff hatte. Hierzu antwortet Lutz B., dass er von diesem Gutachten lange Zeit nichts wusste und er es später im Büro seines Vorgesetzten lesen durfte.

Warum diese Fragen wichtig sind, da dieses Gutachten aufgrund eines Befangenheitsbeschlusses gegen die Sachverständige durch das Gericht keinerlei Einfluss im Prozess hat, ist mir wieder einmal schleierhaft.

Ablehnung des Beweisantrags zur Stimmerkennung

Am Ende dieses letzten Verhandlungstages des Jahres 2014 gibt das Gericht noch einen Beschluss bekannt: Der bedingte Beweisantrag der Verteidigung zum Schriftgutachten im Tatgeschehen Stefan T. durch das LKA Brandenburg (das Experiment zur Stimmerkennung), wird abgelehnt. Das Gericht gibt bekannt, dass es sich hierbei um kein rechtswidriges Experiment gehandelt hat. Die Wertung und Beurteilung dieses Gutachtens bleibt ausschließlich dem Gericht vorbehalten.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

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