Gerichtsbeschluss: Keine neue Tatortbegehung

Dieser Verhandlungstag ist geprägt durch die Stellungnahme des Verteidigers Axel W., durch die Zeugenaussage einer Polizeibeamtin, zweier Augenzeugen und einem Beschluss des Gerichts.

Stellungnahme der Verteidigung zur Ablehnung des Beweisantrages

Zunächst geht es um eine Stellungnahme von Axel W. Der Verteidiger reagiert damit auf die Ablehnung eines von ihm am 29. Prozesstag gestellten Antrags, eine Vor-Ort-Rekonstruktion der Tat gegen Stefan T. durchzuführen. Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch die Nebenklägervertreter der Opfer lehnten diesen Antrag am letzten Prozesstag deutlich ab.

Heute stellt Axel W. nun fest, dass die gegnerischen Parteien einen Ortstermin verhindern wollen, obwohl es die Aufklärungspflicht unbedingt gebietet. Weiterhin konstatiert er, dass die polizeiliche Rekonstruktion der Tat nicht so gut geeignet war, wie die der Verteidigung. Demnach würde bei einer erneuten Ortsbesichtigung festgestellt werden, dass das Ersatz-Opfer den Versuch unterbrechen müsste, weil es entsprechend unterkühlt sein würde und es weiterhin zu Verletzungen oder Schürfwunden am Ersatz-Opfer kommen würde. Dieses sei entscheidend für die Beweisführung.

Gerichtsbeschluss: Keine neue Tatortbegehung

Meine Hoffnung aus dem letzten Verhandlungstag, dass Axel W. ein paar einfühlende Worte an die Opfer richtet, wird leider nicht erfüllt. Mit keiner Silbe erwähnt er in seiner Stellungnahme die Opfer. Etwas Empathie gegenüber den Opfern hätte der Verteidigung im Hinblick auf ihre bisherige Prozessführung gut getan. Diese Chance bleibt leider ungenutzt.

Eine skeptische Kriminaloberkommissarin

Anschließend wird Kriminaloberkommissarin (KOKin) B. aus Frankfurt (Oder) als Zeugin gehört. Sie arbeitet seit 2006 in der Mordkommission in Frankfurt (Oder) und war vorher elf Jahre als Sachbearbeiterin beim Mobilen Einsatzkommando (MEK) in Potsdam eingesetzt. Sie war ebenfalls Mitglied der Soko Imker, die sich mit dem „Maskenmann“ beschäftigt hat. KOKin B. wohnte dabei einer Vernehmung im Fall der Familie P. bei, zum Tatgeschehen gegen Stefan T. begann ihr Einsatz am 8. Oktober 2012.

In ihren Antworten bezieht sich die Zeugin einerseits auf ihren eingeschränkten Aufgabenbereich – sie war Sachbearbeiterin in einer sehr komplexen Ermittlung –, andererseits äußert sie sich und mutmaßt zu umfangreichen Sachverhalten. Bei der Mordkommission hat sie ein paar Verdachtsfälle zu Entführungen bearbeitet. Bei ihrer vorherigen Tätigkeit als Sachbearbeiterin beim MEK in Potsdam hat sie Entführungen mitbearbeitet.

Die letzte Vernehmung im Fall Stefan T., die sie gelesen hat, stammte vom 18. Oktober 2012. Danach hatte sie keine Zeit mehr, ein entsprechendes Aktenstudium durchzuführen. Sie hatte Klärungsbedarf zu den Aussagen von Stefan T., insbesondere zu seinem Aufenthalt im Wasser und seiner Flucht vom Ablageort.

Sie hatte große Skepsis, dass man es so lange im Wasser aushalten kann und auch, dass man die Flucht ohne Verletzung überstehen kann. Sie persönlich hätte damit Probleme gehabt. Doch ihr Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar (KHK) K., teilte ihre Skepsis nicht und ordnete an, dass diese offenen Punkte mit dem Zeugen und Opfer Stefan T. nicht besprochen werden.

Auch hatte KOKin B. Zweifel an der Fesselung sowie der Durchführung der Rekonstruktion und teilte dies wiederum KHK K. mit. Dieser blockte die Diskussion erneut ab. Auch ein Kollege von ihr hatte mit den geschilderten Umständen erhebliche Schwierigkeiten und sich daher im weiteren Verlauf der Ermittlungen selbst angezeigt.

Die Zeugin B. betont in der Vernehmung des heutigen Tages noch einmal, dass sich ihre Skepsis auf den Ermittlungsstand bis einschließlich 18. Oktober 2012 bezieht.

Einige Fragen der Verteidigung darf die Zeugin aufgrund ihrer eingeschränkten Aussagegenehmigung nicht beantworten. Dies scheint vordergründig zu verwundern, ist jedoch ein ganz normaler Vorgang. Zum Beispiel dürfen über innerdienstliche Gegebenheiten oder Polizeitaktiken keine Aussagen getroffen werden. In ihrer Aussagegenehmigung steht des Weiteren, dass bei Verstoß ein Disziplinarverfahren droht, was die Zeugin kritisiert.

Dass sich gerade eine Polizeibeamtin, die für die Einhaltung von Recht und Ordnung zuständig ist, darüber beklagt, dass bestraft wird, wer gegen eine Anordnung verstößt, ist mehr als verwunderlich.

Des Weiteren fand es die Zeugin B. befremdend, dass sich der Polizeipräsident persönlich in die Ermittlungen eingebracht hat.

Bei einer Hochwasserkatastrophe erwartet man auch, dass der Ministerpräsident sich vor Ort blicken lässt. Dieser hier verhandelte Straftatkomplex ist außergewöhnlich und so noch nirgendwo verhandelt worden. Daher ist es eine ganz natürliche Pflicht des Polizeipräsidenten, sich besonders für diesen Fall zu interessieren.

Zeugin KOKin B. berichtet, dass sie am 13. März 2013 ein Gespräch mit ihren Vorgesetzten Kriminaldirektor (KD) K. und KHK K. führte. Darin wurde geklärt, welcher ihrer Kollegen mit den Zweifeln schließlich zur Staatsanwaltschaft gegangen ist. Es war der Kollege B., der sich im Nachhinein auch selbst angezeigt hat. Die Vorgesetzten missbilligten dieses Verhalten.

Bedenklich erscheint mir, dass die Zeugin nach eigener Aussage keine persönliche Tatortbesichtigung zum Tatgeschehens gegen Stefan T. durchgeführt hat. Weiterhin war sie auch die zuständige Opferbetreuerin von Stefan T., sagt jedoch hier im Prozess aus, dass sie nie einen persönlichen Kontakt zu Stefan T. hatte.

Zeugin KOKin B. brennt hier ein kleines Buschfeuer ab. Juristisch hat ihre Aussage allerdings keinen Wert. Sie hat sogenanntes „gefährliches Halbwissen“ gepaart mit einer übertriebenen Skepsis. Während ihrer Aussage lässt sie auch schon beantwortete Fragen nicht auf sich beruhen, und fügt immer wieder noch eigene Interpretationen hinzu. Sie äußert selbst, dass es sich um persönliche Meinungen und Mutmaßungen handelt. Ich würde mir allerdings doch ein verantwortungsvolleres Aussageverhalten wünschen, dass sich an Zahlen, Daten und Fakten hält.

Ihre Skepsis ergab sich unter anderem über Bekannte und Beamte, die sie zu dem Fall gefragt haben, aber keinerlei Einblicke in die Ermittlungsakten hatten.

Natürlich ergeben sich aus den einzelnen Punkten und der Gesamtschau der Aussage der Zeugin KOKin B. Nachfragen, sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft, als auch bei den Nebenklägern. So fragt der Staatsanwalt, ob denn die Androhung einer Disziplinarmaßnahme ganz explizit ausgesprochen worden ist, oder ob es sich um einen allgemeinen Hinweis handelte. KOKin B. antwortet, es handelte sich nur um einen allgemeinen Hinweis auf ihre Aussagegenehmigung. Auch diese ist nur eine ganz Allgemeine, bestätigt die Zeugin KOKin B.

Weiterhin wird die Zeugin gefragt, ob es denn ein üblicher Weg sei, bei Unstimmigkeiten in der Polizeiarbeit zur Staatsanwaltschaft zu gehen. Auch dieses wird verneint. Man würde sich zuerst an den nächsten Vorgesetzten wenden und kann die Antwort dann akzeptieren, oder man spricht mit Kollegen darüber. Warum ihr Kollege B, mit seinem Anliegen zum Oberstaatsanwalt S. gegangen ist, kann sie nicht beantworten. Auch nähere Inhalte des Gesprächs kennt sie nicht.

Sie wird außerdem gefragt, warum sie zum oben aufgeführten Gespräch mit ihrem Vorgesetzten geladen wurde. Das weiß sie nicht mehr, ebenso wenig, warum sie sich zu Sachverhalten äußern würde, zu denen sie einen Ermittlungsstand hat, der nur bis zum 18. Oktober 2012 reicht. Der Staatsanwalt fragt weiter, warum sie sich äußert, ohne sich parallel sachkundig zu machen. Auch die Rekonstruktion der Fesselung von Stefan T. hat sie als zweifelhaft angesprochen, obwohl sie ebenfalls nicht vollständig in diesen Vorgang eingebunden war. Weiterhin hat sie sich auf das Gutachten der Sachverständigen Bettina G. aus Magdeburg bezogen, obwohl sie inzwischen weiß, dass diese als Sachverständige durch das Gericht abgelehnt wurde. Damit hat dieses Gutachten keinerlei Relevanz in diesem Prozess.

Auf weitere Nachfragen des Verteidigers Axel W. sagt sie aus, dass sie die Aussagegenehmigungserteilung schon als ungewöhnlich empfand und ihre Zeugenaussage vor Gericht für sie eine Gratwanderung ist. Darüber hinaus kann sie sich nicht erinnern, dass sie auch Videoaufnahmen zu den Vernehmungen von Stefan T. gesehen hat.

Wiedererkennungsmerkmal „abstehendes Ohr“

Nach der Mittagspause wird das Ehepaar Harry und Christiane J. aus Berlin gehört. Der Mann ist seit 1974 Polizist, unter anderem sehr lange Zeit in Berlin-Marzahn, spricht aber heute nicht in dieser Funktion. Beide können berichten, dass sie den Beschuldigten an einer Edeka-Filiale in der Nähe ihres Campingplatzes am Storkower See gesehen haben. Sie können leider keine Zeitangaben machen. Der Mann sagt aus, dass er sich sehr gut Gesichter merken kann und damit bei der Polizei viele Festnahmeerfolge hatte. Allerdings kann er sich keine Daten merken. Das Gesicht des Beschuldigten hat er definitiv schon zweimal gesehen. Die Frau kann sich insbesondere an die markante Augenpartie erinnern. Weiterhin erinnert sie sich, dass ein Ohr umgeknickt war und abstand. Auch Petra P. hat als Zeugin schon ausgesagt, dass sie den Täter am umgeknickten, abstehenden Ohr wiedererkannt hat.

Gerichtsentscheidung zum Beweisantrag der Verteidigung

Zum Ende des Verhandlungstages gibt das Gericht noch einen mit Spannung erwarteten Beschluss bekannt: Der Beweisantrag der Verteidigung vom 2. Oktober 2014, dem 29. Prozesstag, wird abgelehnt.

Eine erneute Inaugenscheinnahme ist nicht erforderlich, da es bereits schon zahlreiche Fotos, Videos und Ähnliches von den Tatorten gibt. Außerdem gab es viele Polizeibeamte, die bei Gericht als Zeugen ausgesagt haben. Damit liegen sehr umfangreiche Erkenntnisse vor. Durch diese Erkenntnisse ist die Kammer durchaus in der Lage, die Situation hinreichend beurteilen zu können. Ein erneuter Ortstermin würde keine entscheidende Aufklärung erbringen. Auch ist eine exakte Rekonstruktion nicht mehr möglich, da viele Angaben nicht bekannt sind oder aber originalgetreu nachgestellt werden könnten.

Die Verteidigung behält sich vor, auf diesen Beschluss entsprechend zu antworten. Ferner stellt der Klagevertreter von Stefan T., Dr. Panos P., einen Beweisantrag. Er beantragt das Abspielen von Audio- und Videoaufzeichnungen des Beschuldigten. Darauf sei das von Stefan T. angesprochene Schniefen des Täters zu hören.

Der Prozess endet um 14:18 Uhr.

Bildquelle: Gerhard Frassa / pixelio.de

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