Ein fragwürdiger Schießsportverein und ein unglaubwürdiger Zeuge

Der heutige Prozesstag – der 28. – beginnt ein wenig verspätet. Auf der A12, der Autobahn von Berlin nach Frankfurt (Oder) hatte es einen Unfall gegeben und nahezu alle Prozessbeteiligten waren Leidtragende. Um 9:55 Uhr beginnt der Richter die Verhandlung mit der Frage, ob auf den Sachverständigen, Herrn K., von allen Parteien verzichtet werden kann. Dies wurde von allen bejaht.

K. wurde am 25. Prozesstag anlässlich des ersten Gutachtens zu Dr. Bettina G. gehört. Da dieses Gutachten jedoch keinerlei Relevanz mehr hat, wurde K. lediglich als Zeuge gehört.

Fragwürdiges Verhalten im Schießsportverein

Der erste Zeuge des heutigen Tages ist Herr B., Vorsitzender des Schießsportvereins, in dem der Angeklagte trotz mehrerer Vorverurteilungen, unter anderem wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Mitglied war und schießen durfte.

Ein fragwürdiger Schießsportverein und ein unglaubwürdiger Zeuge

Der Angeklagte begrüßte Herrn B. lächelnd mit einem freundlichen Kopfnicken.

Herr B. gibt an, dass der Angeklagte im November 2010 auf Empfehlung der Kraftsportgruppe des Betriebssportvereins der Berliner Stadtreinigung als Gastschütze aufgenommen wurde. Im Januar 2011 wurde der Angeklagte dann sogar Mitglied des Schützenvereins. Diese Mitgliedschaft wurde 2013 beendet, weil der Angeklagte sich nicht mehr meldete und der Verein nicht in Vorkasse für die Vereinsgebühren treten wollte. Der Zeuge erinnert sich, dass der Angeklagte eine Auszeit ankündigte, und zwar von Frühjahr 2012 bis September 2012. Er werde sich in dieser Zeit in Griechenland aufhalten und deshalb nicht im Verein tätig sein können. Abweichend von den bereits gehörten Mitgliedern des Schützenvereins hält es Herr B. für unmöglich, Munition vom Schießstand zu entwenden. Zumal der Angeklagte immer so enge Sportkleidung getragen habe, dass man es gesehen hätte. Die weiteren Aussagen, Aussehen und Eindruck betreffend, sind deckungsgleich mit denen der anderen Mitglieder.

Schon bei den ersten Einlassungen des Zeugen hatte ich das Gefühl, er wolle sich und „seinen“ Verein verteidigen. Vor allem die Unmöglichkeit der Wegnahme von Munition erschien hilflos lächerlich für jeden, der schon einmal auf einem Schießstand war,

Der Staatsanwalt hat nun das Wort und stellt die zunächst belanglos erscheinende Frage, ob der Zeuge denn wisse, warum der Angeklagte von der Kraftsportgruppe zum Schützenverein gewechselt habe. Der Zeuge berichtet, der Angeklagte habe ihm erzählt, die Mitgliedschaft in der Kraftsportgruppe sei ihm zu teuer und er müsse zu weit fahren, um dort zu trainieren. Jedoch wurde dem Zeugen später klar, dass die Entfernung eher kürzer oder zumindest gleich ist und die Gebühren zu 100 Prozent identisch waren.

Anschließend stellt der Staatsanwalt die Frage, die auch mich brennend interessiert: Wusste der Zeuge, dass Mario K. vorbestraft war? Der Zeuge gibt an, es nicht gewusst zu haben und, dass dies erst bei der Erlangung der Waffenbesitzkarte (WBK) bekannt geworden wäre. Der Verein hat keine Kontrollmechanismen, die dies hätten erkennen können.

Bei den Einlassungen des Zeugen und den schon früher gehörten Schützenbrüdern war stets die Rede von Sportgeräten. Allerdings sind diese Sportgeräte Waffen. Es ist nicht hinnehmbar, dass unter dem Deckmantel des Sports auf unabdingbare Regularien für die Ausführenden verzichtet wird. Hierzu bedarf es meines Erachtens nicht der Anpassung des ohnehin sehr strengen Waffenrechts, sondern eindeutig der Verantwortung der Schützenvereine. Ein Vorfall wie dieser ist inakzeptabel und in der Sache ein Skandal. Es sollte allerdings noch schlimmer kommen.

Bei der weiteren Befragung wird verlesen, wie viel Munition der Angeklagte wann verschossen hat. Es stellt sich heraus, dass das durch den Vorsitzenden übermittelte Protokoll aus den Prozessakten, aus dem diese Anzahl hervorgeht, von dem Zeugen auf Anforderung erstellt wurde und ein Mix aus drei Protokollen ist, welche beim Schießen geführt wurden. Um es abzukürzen: Der Zeuge hat keinerlei Unterlagen, aus denen hervorgeht, wann er wie viel Munition an den Angeklagten verkauft hat. Eventuell gibt es Aktennotizen in den Schießstandprotokollen. Der Zeuge weiß jedoch nicht, ob diese noch existieren. Es sei schon so lange her und es gebe keine Pflicht zur Archivierung.

Die Antworten und der Tonfall des Zeugen wurden nun schon fast patzig. Er war genervt von der vermeintlichen Nachweispflicht. Für mich ist es allerdings absolut unverständlich, wie jemand in einer solchen Verantwortung und im Besitz einer Waffenbesitzkarte, die ihm auch den Erwerb von Munition erlaubt, so fahrlässig mit der Weitergabe dieser umgehen kann. Im Bereich von gewerblichen Sicherheitsdienstleistungen hat lediglich der Geschäftsführer diese Erlaubnis. Hier würde ein derart fahrlässiger Umgang mit Munition den Bestand des Unternehmens gefährden.

Der Richter bittet den Zeugen, alle relevanten Unterlagen herauszusuchen und an das Gericht zu übersenden. Die Befragung dauerte 80 Minuten.

Verlängerung des Prozesses

Anschließend wird Frau B. gehört, die Vorsitzende der Betriebssportgemeinschaft der Berliner Stadtreinigung. Frau B. kann nichts Neues zum Prozess beitragen. Ihre Befragung dauert lediglich drei Minuten.

Jetzt warten alle Beteiligten auf den Zeugen Herrn W., der aber nicht erscheint, so dass der Richter die Mittagspause vorzieht, um Herrn W. im Anschluss zu hören. Noch vor der Pause bittet der Richter die Prozessbeteiligten, zu prüfen, ob diverse Termine im Januar und Februar 2015 in die Terminplanung passen würden. Es ist also klar, dass der Prozess verlängert wird, wobei 2015 nur noch ein Termin pro Woche vorgesehen ist.

Ein Zeuge mit Erinnerungslücken

Herr W. ist auch nach der Pause nicht anwesend, so dass das Gericht den nächsten Zeugen, Herrn H., aufruft.

Diese Befragung soll mit Unterbrechungen mehr als dreieinhalb Stunden dauern und sie gestaltet sich sehr schwierig, da der Zeuge zwar inhaltliche Angaben machen kann aber nicht in der Lage ist, diese zeitlich einzuordnen.

Aber zunächst zur Sache: Herr H. hat zum fraglichen Zeitraum am Scharmützelsee gewohnt und zwar, nach eigenen Angaben, gegenüber dem Anwesen der Familie P. Er habe (hier noch ohne Tagesangabe) auf dem Weg zur Arbeit zwischen 3:30 Uhr und 4:00 Uhr einen Mann auf die Straße treten sehen. H. selbst hatte das Fernlicht eingeschaltet und war erschrocken, weil da sonst nie jemand war, schon gar nicht um diese Uhrzeit. Außerdem waren in dem Gebiet, aus dem die Person kam, nur unbewohnte Finnhütten. Der Zeuge ist sich sicher, dass es der Angeklagte war, den er gesehen hat. Dabei blieb er auch nach mehrfacher Nachfrage des Gerichts. Außerdem habe er den Angeklagten über einen gewissen Zeitraum mehrfach gesehen und zwar in Diensdorf, Diensdorf-Radlow und in Diensdorf am Strand.

Diensdorf ist eine Gemeinde am Scharmützelsee, also im unmittelbaren räumlichen Umfeld aller drei Taten.

Bei einer der Begegnungen auf seinem Weg zur Arbeit habe er die Person sogar aus dem Auto heraus angesprochen. Hier allerdings hatte er den Eindruck, die Person hätte einen so genannten Tunnel im Ohr, also ein bewusst überdehntes Ohrloch.

Zu diesem Zeitpunkt wird bereits deutlich, dass der Zeuge nicht ausführen kann, wann er die Person wo gesehen hat. Er kann zwar den Ort benennen, aber eine zeitliche Reihenfolge kann er nicht angeben.

Des Weiteren gibt der Zeuge an, er habe die Polizei immer informiert, aber passiert sei daraufhin nichts. Beamte, welche ihn später vernahmen, sollen gesagt haben, wäre früher richtig ermittelt worden, wäre das alles nicht passiert.

Um es vorwegzunehmen: Aus der Aktenlage geht dies nicht hervor.

Der Zeuge wiederholt mehrfach und voller Überzeugung, den Angeklagten gesehen zu haben. Er könne sich Gesichter gut merken, Namen und Zeiten nicht.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein offen ausgetragener Konflikt zwischen dem Richter und dem Verteidiger, Axel W. Axel W. ist bei den Fragen des Richters etwas unklar und er interveniert, worauf der Richter erwidert, er sei jetzt dran. Axel W. lässt nicht locker, was den Richter zu dazu veranlasst, seine Stimme deutlich zu erheben und auf den Tisch zu hauen. Axel W. kommentiert auch dies, woraufhin der Richter eine zehnminütige Pause ansetzt.

Mir als neutralem Beobachter fiel schon in den letzten Prozesstagen auf, dass Axel W. seine Grenzen auslotete, was ihm als Verteidiger bedingt zusteht. Bisher hat er dies jedoch bei den Befragungen der Nebenklagevertreter getan, die sich hierbei nach Kräften wehrten, aber offensichtlich eine Mahnung des Richters erwarteten. Ich denke, heute ging der Verteidiger einen Schritt zu weit. Der Richter hat jedoch äußerst schnell bemerkt, dass die Situation hier aus dem Ruder lief und sie durch die anberaumte Pause souverän wieder eingefangen.

Grundsätzlich bringt die Befragung der Staatsanwaltschaft keine weiteren Erkenntnisse, was ausschließlich dem fehlenden Vermögen des Zeugen geschuldet ist, seine Schilderungen in einen zeitlichen Zusammenhang zu bringen.

Nun hat die Verteidigung die Möglichkeit, den Zeugen zu befragen. Auch Axel W., der Verteidiger, versucht wiederholt, die Aussagen des Zeugen in einen zeitlichen Zusammenhang zu bringen, was nur begrenzt gelingt und auch nur unter Vorhaltung der Vernehmungsprotokolle. Fast zufällig fragt Axel W. den Zeugen, ob er wegen anderer Sachverhalte bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft war. Nun stellt sich heraus, dass der Zeuge verschiedene Aussagen und acht bis neun Anzeigen wegen der vermeintlichen Misshandlung seiner Tochter durch den neuen Lebensgefährten der leiblichen Mutter zu Protokoll gegeben hat. Mittlerweile lebt die Tochter beim Zeugen. Allerdings steht der Zeuge aktuell selbst einer Anklage wegen falscher Verdächtigungen im Zusammenhang mit den Vorwürfen der Misshandlung gegenüber.

Der Sachverhalt an sich tut hier nichts zur Sache, spielt allerdings bezüglich der Glaubwürdigkeit des Zeugen der Verteidigung in die Hände.

Im Ergebnis bleibt nach dieser Befragung festzustellen, dass der Zeuge bezüglich einer Begegnung nicht mehr sicher ist, dass es sich bei der gesehenen Person um den Angeklagten handelte. Bei den anderen mindestens fünf Begegnungen ist er überzeugt, dass es der Angeklagte war.

Es wird nun ein Polizeibeamter gehört, der die von dem Zeugen Herrn H. geschilderten, leer stehenden Objekte auf den möglichen Aufenthalt des Täters observiert hat. Der Zeuge konnte keine Auffälligkeiten an den Objekten feststellen, die Befragung dauerte drei Minuten.

Als letzte Zeugin wird Frau W. befragt, die am 7. Oktober .2012 eine Beobachtung bei der Pilzsuche machte. Hierbei ist ihr eine Person aufgefallen, die durch den Wald rannte und erschrocken war, sie zu sehen. Frau W. ist sich weder sicher, dass es sich um den Angeklagten handelte, noch kann sie es ausschließen.

Das war es für heute, weiter geht es am kommenden Donnerstag.

Bildquelle: GG-Berlin / pixelio.de

Comments are Disabled