Aussagechaos und fehlende Akten
Nach den spektakulären Ereignissen der letzten Verhandlungsabschnitte verläuft der heutige 26. Prozesstag etwas ruhiger. So wird zunächst eine ehemalige Angestellte der Familie P. gehört. Sie war als Pferdepflegerin angestellt und hatte an beiden Tattagen Dienst. Zum Tatzeitpunkt allerdings war sie schon im Feierabend. Aufgrund dieser Tatsache kann die Zeugin nichts Erhellendes zum Tatverlauf beitragen und wird bereits nach acht Minuten mit Dank aus dem Zeugenstand entlassen.
Nächtliche Begegnung
Der nächste Zeuge schildert die Begegnung mit einer männlichen Person am 22. August 2011 (also am Tag der Tat gegen Petra P.), gegen 22:40 Uhr. Er war mit seinem Hund spazieren, als plötzlich eine männliche Person aus einem Waldweg kam. Der Ort dieser Begegnung liegt circa zwei Kilometer entfernt vom Wohnort der Familie P., dem Tatort. Beide erschraken ob der Begegnung; die männliche Person wandte sofort ihr Gesicht ab, zog sich eine Kapuze über den Kopf und ging schnellen Schrittes über die Straße. Anschließend verschwand er in einem Waldstück, wo er ein Paddel aufhob und tiefer in den Wald verschwand. Dabei ging er in Richtung eines Tümpels, der zu einem Vogelschutzgebiet gehört. Kurze Zeit später wurden aus Richtung des Tümpels Vögel aufgescheucht, so dass bei dem Zeugen der Eindruck entstand, die männliche Person setze ihren Weg über den Tümpel fort. Gesehen hat er das jedoch nicht. Gemeldet hat sich der Zeuge bei der Polizei allerdings erst nach der Tat gegen Stefan T., also mehr als ein Jahr nach seiner Beobachtung. Er habe vorher keinen Zusammenhang gesehen. Erst als er durch die Medien erfuhr, dass bei der Entführung ein Kajak verwendet wurde, meldete er sich bei der Polizei.
Der Zeuge beschreibt den Mann: Er sei circa 1,80 Meter groß gewesen und habe ein dunkles Oberteil mit Kapuze sowie eine dunkle, karierte Hose, eventuell Flecktarn, getragen. Bei der späteren Befragung durch die Prozessbeteiligten fügt er noch hinzu, dass die Person einen sportlichen Eindruck machte. Abweichend von den Vernehmungsprotokollen, in denen steht, dass die Person 20 bis 25 Meter von ihm entfernt war, besteht der Zeuge heute darauf, dass es nur zehn Meter waren.
Die Verteidigung will wiederholt vom Zeugen wissen, warum er sich erst nach der Tat gegen Stefan T. gemeldet hat, worauf der Zeuge wiederholt, er habe damals keinen Zusammenhang gesehen. Durch die Medienveröffentlichungen habe ihn dann aber seine Frau gedrängt, zur Polizei zu gehen.
Anschließend macht die Verteidigung noch einen „Schlenker“, wahrscheinlich aufgrund der Tatsache, dass der Zeuge nebenbei erwähnte, er lebe bereits seit mehr als 50 Jahren in Bad Saarow. Die Verteidigung will wissen, wie denn die Stimmung in der Bevölkerung war, als das Strandbad geschlossen wurde. Der Zeuge gibt an, dass die Stimmung in der Bevölkerung nicht gut war, was aber nach Schließung einer solch touristisch wichtigen Lokation normal sei.
Hintergrund ist hier, dass der Eigentümer des Strandbades Christian P. ist, Gatte und Vater der Opfer Petra P. und Louisa P., und die Verteidigung offensichtlich eine weitere Reihe möglicher Täter ins Spiel bringen möchte.
Kajak im Fokus
Anschließend werden Zeugen gehört, die Aussagen zum Themenkomplex Kajak machen sollen. Die ersten fünf Zeugen sind alle der Yacht-Akademie am Scharmützelsee zuzuordnen. Der Inhaber und vier seiner zum Tatzeitpunkt Angestellten werden gehört. In der Sache geht es darum, ob das bei der Tat zum Nachteil von Stefan T. verwendete Kajak aus der Yacht-Akademie stammen könnte. Alle Aussagen sind nahezu deckungsgleich.
Es ist definitiv ein Kajak abhanden gekommen, allerdings wurde das erst bemerkt, als die Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ den Fall „Maskenmann“ thematisierte. Man wisse weder genau wo, noch wann es entwendet wurde. Das Kajak, welches im Gerichtssaal liegt, könne durchaus das entwendete sein, allerdings kann das keiner hundertprozentig bestätigen. Form und Farbe stimmen und ein Chargenstempel ist identisch mit dem der anderen Kajaks aus dem Club. Die Abklebungen mit Paketband und die Öffnung im Deckel stammen nicht von der Yacht-Akademie. Die jetzt graue Einfärbung könne entweder von einem Farbanstrich kommen, oder aber auch eine Art Patina sein, weil das Kajak zu lange im Wasser lag.
Im Rahmen der Befragung kommt es wiederholt zu kurzen Plänkeleien zwischen der Verteidigung und den Vertretern der Nebenklage, insbesondere Dr. Panos P., dem Vertreter von Stefan T. Jeden der Zeugen aus dem Yacht-Club fragt die Verteidigung mehr oder minder deutlich, ob es denn nach der Einschätzung des Zeugen möglich sei, jemanden hinter diesem Kajak herzuziehen; die Frage wird trotz der Tatsache, dass jeder einzelne der Befragten in seinen Ausführungen angab, dass er keine oder nur wenig Erfahrung mit Kajaks habe, gestellt.
Da die Zeugen weder Sachverständige sind, noch über einschlägige Erfahrung mit dem Kajak verfügen, ist die Nebenklage über diese Art der Fragen mehrfach empört und bringt dies zum Ausdruck.
Im Rahmen der Befragung kann außerdem festgestellt werden, dass die Zeugen Stefan T. kennen, da sein Unternehmen drei Firmen-Incentives durch die Yacht-Akademie hat ausrichten lassen. Darunter war auch ein Geocaching-Event mithilfe von GPS-Geräten. Stefan T. ist zudem Mitglied im Sporting Club Berlin, einem Golfclub am Scharmützelsee, der gute Beziehungen zur Yacht-Akademie unterhält. Auch die Familie P. ist bekannt, da Petra P. und ihre Tochter Louisa hier einen Segelkurs belegt haben.
Als nächstes wird ein Ehepaar getrennt voneinander gehört, welches das Kajak auf einem eingezäunten Freigelände mit Wasserzugang (Steg) gesehen haben will. Hier wurde das Boot so abgelegt, dass es von der Wasserseite nicht zu sehen war. Der Ehemann ist sich absolut sicher, dass es das Kajak war, welches heute im Gerichtssaal liegt. Allerdings hat er gegenüber der Polizei zu Protokoll gegeben, dass es sich bei dem Klebeband um silbergraues Panzertape handeln soll – an dem Kajak ist jedoch braunes Paketklebeband. Dennoch bleibt der Zeuge dabei: Er ist sich hundertprozentig sicher, das Kajak aus dem Gerichtssaal seinerzeit gesehen zu haben. Auch das Nachhaken der Verteidigung ändert an seiner Aussage nichts.
Die Schilderung der Ehefrau ist nahezu deckungsgleich, jedoch kann sie sich an das Klebeband nicht erinnern. Auf Nachfrage der Verteidigung gibt sie an, dass die Vernehmung bei der Polizei gemeinsam mit ihrem Ehemann durchgeführt wurde.
Diese Befragung durch die Polizei war eher unglücklich, da man davon ausgehen kann, dass die Zeugin nun die Schilderung ihres Mannes wiedergibt und nicht ihre eigene. Auch hier wäre es zielführender gewesen, die beiden einzeln zu befragen.
Ein Zeuge in Angst und fehlende Akten
Nun kommt der „Auftritt“ des letzten Zeugen. Auch dieser soll eigentlich etwas zu dem Kajak auf dem Freigelände erzählen. Eigentümer des Geländes ist sein Bruder. Hierüber berichtet er nur kurz, aber inhaltlich genau wie das vorher befragte Ehepaar. Plötzlich und ohne danach befragt zu werden, schilderte er allerdings die Begegnung mit einem Läufer. Der Zeuge ist sich absolut sicher, dass es der Angeklagte Mario K. war. Schon während der Schilderung steht er auf und setzt seine Ausführungen im Stehen fort, um allen Beteiligten zeigen zu können, wie der Läufer lief und wie er sich anschließend bewegte.
Der Zeuge verließ mit seinem Fahrzeug sein Grundstück und fuhr dafür über einen Feldweg zur Bundesstraße. Hier erblickte er den auf dem Radweg laufenden Mario K., der circa acht Meter vor ihm stehen blieb und dabei tänzelnde Bewegungen machte. In der Hand soll Mario K. ein GPS-Gerät gehalten haben, auf welches er ständig schaute. Die tänzelnden Bewegungen wurden im Rahmen der Befragung mehrfach vom Zeugen „vorgetanzt“, übrigens ohne dass ihn jemand dazu aufgefordert hatte. Nach dieser Begegnung habe er aus Angst „in der Hölle“ gelebt und um Polizeischutz gebeten (Erläuterndes dazu im weiteren Text).
Der Richter unterbricht vorerst die Ausführungen und will den Fokus wieder auf das Kajak lenken. Hier räumt der Zeuge ein, dass er die Farbe des Kajaks und des Klebebandes nicht erkannt habe, da es bereits dämmrig gewesen sei als er es sah. Wichtig ist dem Zeugen noch zu erwähnen, dass gegenüber dem Freigelände ein rostiges Damenfahrrad an eine Hauswand gelehnt war, welches da noch nie gestanden hatte.
Die Art der Beantwortung und das ständig völlig übermotivierte Aufstehen und Rumtänzeln des Zeugen könnte man zum Anlass nehmen, an seiner Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Allerdings gilt es auch hier, durch eine sinnvolle Fragetaktik die Inhalte des Gesagten zu prüfen. Allein das Auftreten des Zeugen für eine Bewertung des Gesagten heranzuziehen, wäre fahrlässig.
Im Anschluss hieran fällt es sehr schwer, der Befragung zu folgen. Der Angeklagte springt wild in seinen Ausführungen und der Richter muss ihn immer wieder einfangen, was sich als sehr schwierig herausstellte.
Dennoch kommt im Zuge der Befragung heraus, dass es früher schon zu einer Befragung durch die Polizei gekommen war. Dies geschah, weil ein Jogger am Grundstück des Zeugen entlang lief, was wiederum sehr ungewöhnlich sei, da hier ein militärisches Sperrgebiet liegt (Truppenübungsplatz). Das daraufhin angefertigte Phantombild bezeichnet der Zeuge heute als wenig aussagekräftig, er sei damals schon zu müde gewesen und der Zeichner wollte auch schnell wieder nach Hause, weil es schon so spät war.
Danach schildert der Zeuge, wie er einen Radfahrer, der schnell an seinem Grundstück vorbeifuhr, mit seinem PKW verfolgte, um ein Foto zu machen. Dies gelang ihm nicht, trotz längerer Verfolgung. Er könne den Radfahrer auch nicht beschreiben, weil er immer nur durch die Linse seines iPhones geschaut habe. Auf die Frage des Richters, warum er denn den Radfahrer verfolgt habe, teilt er mit, er habe nach den Taten an Familie P. in ständiger Angst gelebt. Er fürchtete, dass er und sein Bruder auch Opfer einer Entführung sein könnten. Die Angst sei vor allem aufgekommen, als die Polizei bei beiden zuhause war und einen Zettel vorlegte, auf dem Stand: „Wir können für Ihre Sicherheit nicht garantieren; es wäre besser sie ziehen weg.“ Der Zettel sollte von beiden Personen unterschrieben werden.
Die oben genannten Schilderungen wiederholt der Zeuge mehrfach und springt hierbei auch immer wieder zwischen den Sachverhalten. Am Ende versucht der Richter diese anhand der Prozessakten nachzuvollziehen. Hierbei wird festgestellt, dass die letzte Vernehmung abgebrochen wurde und eine Fortsetzung aus den Akten nicht hervorgeht.
Darüber hinaus macht der Zeuge mehrfach auf eine E-Mail aufmerksam, in der er die Schilderung rund um den Läufer, der nach den heutigen Ausführungen Mario K. gewesen sein soll, zu Protokoll gegeben haben will. Auch diese E-Mail liegt nicht in den Prozessakten.
Die Fragen der Prozessbeteiligten bringen hier auch keine Ordnung in das Aussagechaos, allerdings wird nun geprüft, wo die fehlenden Unterlagen sind und der Richter behält sich vor, den Zeugen erneut zu laden.
Bildquelle: Stefan Bisanz
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