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Von Tätern lernen – Prozessbeobachtung eines Entführungsfalles

Mitte April 2016 entführten mehrere Männer einen Geschäftsmann aus Detern im Landkreis Leer, verschleppten ihn und hielten ihn fast zwei Tage in einem Ferienhaus in Hatzum gefangen. Das Opfer wurde geschlagen, gefoltert und mit Waffen bedroht. Nach der Zahlung eines Lösegelds in Höhe von einer Million Euro wurde der Entführte freigelassen.

Der initiierende Haupttäter, ein 67-jähriger Dortmunder und ehemaliger Geschäftspartner des Opfers, wurde von seiner 90-jährigen Mutter unterstützt sowie von mehreren polnischen Männern.

Nachdem alle Tatverdächtigen gefasst worden, wurden sie von der Staatsanwaltschaft wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung angeklagt sowie wegen erpresserischen Menschenraubs. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Haft. Die 90-jährige Mutter ist wegen Beihilfe angeklagt.

Von Tätern lernen – Prozessbeobachtung eines Entführungsfalles

In diesem wie in 99,9 Prozent aller Entführungsfälle liegt der Tat das Motiv „Bereicherung“ zugrunde. Vom Opfer, dessen Familie, Firma oder sonstigen Bezugspersonen sollen Werte – zumeist Geld – erpresst werden. Anders als bei Raubüberfällen geht es zumeist um immens hohe Beträge, deren Erbeutung aufwendiger vorbereitet wird. Zum Gelingen tragen ein entsprechend hohes Maß an krimineller Energie und Skrupellosigkeit bei ebenso wie verbrecherische Erfahrung und technische sowie organisatorische, aber auch geografische und psychologische Sachkenntnis bei. Derart hohe Intelligenz und Kaltschnäuzigkeit sind in dieser Kombination nicht oft vorhanden, zudem sind die Ermittlungsmethoden der Polizeibehörden auf so fortgeschrittenem Stand, dass erfolgreiche Entführungs- und Erpressungsfälle sehr selten sind. Ob erfolgreich oder nicht: Den zumeist irreparablen psychischen Schaden trägt immer das Opfer – den Rest seines Lebens.

Wohingegen krimineller Energie nur sehr schwer vorgebeugt werden kann, können potentielle Opfer jedoch durchaus Vorsorge treffen. Zunächst gilt es, den eigenen Status zu reflektieren und die Wahrscheinlichkeiten eines wie auch immer gearteten Angriffs auszuloten.

Parameter wie Bekanntheitsgrad, Reichtum, Familienstand, alltägliche Gewohnheiten, Feindschaften und Neider sind zuerst zu hinterfragen. Schon bei einigermaßen nach außen erkennbarem Wohlstand besteht die Gefahr einer Attacke auf Leib und Leben einer oder mehrerer Personen der Familie. Hier können erste Abschreckungsmaßnahmen bereits hilfreich sein, etwa der Einsatz von Kameras oder Alarmanlagen. Bei Personen, die in leitender Funktion mehr oder weniger im öffentlichen Leben stehen, ist die sicherheitsbezogene Analyse des Ist-Zustandes, Entwicklung eines Sicherheitskonzepts sowie die Etablierung eines solchen im Grunde notwendig und dringend angeraten. Zahlreiche Entführungs-, Erpressungs-, ja sogar Mordfälle belegen diesen Fakt.

Auch im Falle des entführten Unternehmers aus Leer ist von nicht vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen auszugehen, außerdem von erheblichem Vortatverhalten der Gangster. Diese haben ihre Tat offenbar weitestgehend geplant und vorbereitet. Sie observierten ihr Opfer und kundschafteten seine Gewohnheiten aus, sie konstruierten eine Entführungssituation, verkleideten sich dafür als Polizisten und gaben vor, eine Kontrolle durchführen zu wollen. Sie mieteten im Vorfeld ein Ferienhaus, in dem sie das Opfer ungestört festhalten konnten.

Aus Sicht eines Personenschützers sind genau diese Vorfeld-Aspekte spannend und interessant. Zudem: Welche Schutzmaßnahmen gab es oder wären zur Installation geeignet gewesen? Wie haben die Täter ihre Vorgehensweise aufgebaut, welche Schwerpunkte haben sie gesetzt, was wären Gefahren-Indikatoren für das Opfer oder sonstige Außenstehende gewesen?

Da sowohl jede Opfersituation als auch jedes Tätervorgehen aufgrund der jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen und aufgrund der jeweiligen strukturellen Gegebenheiten anders ist, lohnt sich immer eine intensive Analyse aller Vorkommnisse. Denn obwohl wesentliche Grundzüge verbrecherischen Handels je nach Tat-Genre zumeist gleich bleiben, lassen sich anhand derartiger Analysen die Wahrscheinlichkeiten von Täter-Verhalten weiter präzisieren und somit entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen bzw. Empfehlungen aussprechen.

Die Prozessbeobachtung inklusive des weitestgehend genauen Berichts von Vortatabläufen – soweit die Aussagen aller Prozessbeteiligten dies sachlich ermöglichen – ist daher ein wichtiges Instrument des Kenntnisgewinns. Allein die Aussagen direkt Beteiligter wie Opfer und Täter, aber auch indirekt Beteiligter oder ermittelnder Polizisten erlauben fast schon intime Einblicke in Opfer-Gefährdungspotentiale, aber auch und vor allem in die Verbrechensplanung.

Davon ausgehend wird nun auch der Prozess zum Fall des entführten Leerer Unternehmers weitere Erkenntnisse zutage fördern, die in diesem Blog Thema sein werden.

Der Prozess am Landgericht Aurich beginnt am 26. Oktober.


Bildquelle: Stefan Bisanz

14. Verhandlungstag | Die Urteile und die Begründung

Heute werden die Urteile verkündet. Im Saal befinden sich ca. 80 Zuschauer, eine große Zahl Interessierter wartet davor. Die Medien sind mit acht Kamerateams, zehn Fotografen und weiteren 30 Journalisten vertreten.

Die Familie betritt, komplett in Schwarz gekleidet, den Saal. Sie sehen alle sehr erschöpft und müde aus. Die Fotografen stürzen sich auf die Familie, diese wird regelrecht „abgeknipst“.

Dann betritt der Angeklagte Markus B. den Saal wie immer mit einem Ordner in der Hand. Auch hier geht ein regelrechtes Blitzlichtgewitter los. Seine beiden Anwälte stellen sich hinter ihm in Pose, so dass sie mit auf die Bilder kommen. Die Familie schaut mit verachtenden Blicken auf den Angeklagten. Beim Mitangeklagten Norbert K. läuft dasselbe Spiel.

Der Bruder der getöteten Anneli R. sitzt heute bei seiner Familie.

Die Urteile

Nun gibt die Vorsitzende Richterin das Urteil bekannt: Markus B. wird mit lebenslanger Haft bestraft, zudem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Norbert K. erhält eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten. Verurteilt wird Norbert K. wegen Mordes durch Unterlassung und erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge.

Als der Anwalt von Norbert K. das Urteil für seinen Mandanten hört, sieht man in seinem Gesicht ein kleines Grinsen.

Die Urteilsbegründung

Die Richterin kommt zur Urteilsbegründung und erklärt zuerst die Aufgaben des Gerichtes in einem Rechtsstaat und auch die Aufgabe der Verteidigung. An dieser Stelle nimmt sie die Verteidigung in Schutz und stellt fest, dass fair verhandelt worden sei. Des Weiteren geht sie auf die Bewältigungsstrategie der Familie ein und meint damit ihre aktive Rolle in diesem Prozess. Sie betont, beide Täter seien extrem feige gewesen und haben keinerlei Verantwortung gezeigt. Der persönliche Mut fehle den Angeklagten komplett. Sie führt mit der Vorgeschichte zur Tat weiter aus und erläutert, dass insbesondere die Lebensgeschichte des Markus B. sehr dünn gewesen sei. Aber auch alles, was bekannt geworden war, habe sich als erlogen herausgestellt, sowohl die Ausbildung als auch die beruflichen Stationen.

Markus B. habe früh mit seiner kriminellen Laufbahn begonnen, er habe betrogen und unterschlagen. Ehrlich sei das Leben von Markus B. nie gewesen. Die Richterin zählt nochmals alle Lügen in Bezug auf das Leben von Markus B. auf. Auch alle sogenannten Fakten zum Hauskauf in Burgebrach seien erfunden gewesen. Nur kurze Zeit vor der Tat an Anneli R. habe Markus B. noch versucht, den Großkonzern Lidl auf 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Er habe sich nicht getraut, sich seiner Ehefrau gegenüber bzgl. seiner finanziellen Schwierigkeiten zu offenbaren. Was besonders heraussticht, ist die Äußerung der Richterin, dass Markus B. ein besonders dummer Mensch sei.

Zu Norbert K. führt sie lediglich aus, er sei nicht vorbestraft gewesen, im Leben soweit zurechtgekommen und habe sehr angepasst gelebt. Finanziell sei er in der letzten Zeit allerdings nicht klargekommen, da er Hartz-IV-Empfänger gewesen sei. Angeblich habe er bei der Tat nicht mitmachen wollen, auch seine Beziehung zu Markus B. könne man sicherlich nicht Freundschaft nennen. Sein Anteil am Lösegeld habe 400.000 Euro betragen sollen. Seine Einlassung, das Geld nicht nehmen zu wollen, hält das Gericht für lachhaft. Zudem wurde nochmals festgestellt, dass seine Festnahme und Vernehmung rechtens gewesen seien.

Während der Urteilsverlesung schaut Markus B. nur stur auf die Tischplatte vor sich. Norbert K hat seinen Kopf auf seine Hand gestützt und klopft mit dem Zeigefinger seiner linken Hand nervös auf die Tischplatte.

Die Richterin schildert nun den Tatablauf und nimmt dabei immer wieder Bezug auf den jeweiligen Anteil der Täter.

Während dieses Vortrages der Richterin halten sich Uwe und Ramona R. an den Händen.

Der Entführungstag war im Übrigen ein Donnerstag! Wie so oft findet ein solches Verbrechen an einem Donnerstag oder an einem Freitag statt.

Am Tatort und am Abgreifort von Anneli R. wurden DNA-Spuren an zwei Papiertaschentüchern gefunden und eine DNA-Spur an einem Kopfhörer von Anneli R. sowie an einer der Folien. Auch hierin sieht das Gericht eine besonders hohe und ausgeprägte Dummheit des Angeklagten Markus B. Die – nicht weniger dümmliche –

Nicht-Maskierung der Täter bei der Entführung hatte für Opfer und Täter entsprechende Konsequenzen.

Interessant ist, dass die Richterin die Sichtweise zum Thema „Sicherheit der Familie R.“ erklärt und auch die Sichtweise vom Täter Markus B. zum Lebensstil der Familie.

Entscheidend für die Opferauswahl und die Durchführung eines solchen Verbrechens ist immer nur die Sichtweise des Täters.

Das Gericht unterstellt Norbert K., am Entführungstag gewusst zu haben, worum es ging. Auch er habe das Geld für seine Zukunft gewollt. Hörig gegenüber dem Mittäter Markus B. sei er zwar nicht gewesen, aber die Kammer sieht auch bei Norbert K. einen absoluten Täterwillen und eine Tatherrschaft. Norbert K. sei zumindest ein verlässlicher Mittäter gewesen. Markus B. hingegen habe der Tatablauf sowie die mögliche Lösegeldübergabe überfordert. Dilettantisch, dumm und unprofessionell stellt die Richterin deutlich fest.

Norbert K. hab bei seinen Aussagen immer wieder versucht, seinen Tatbeitrag zu minimieren. Zum großen Teil habe er auch unsinnige Aussagen getätigt, diese ausschließlich zum Selbstschutz. Ihm sei ganz bewusst gewesen, dass Anneli. R. getötet werden sollte, und zwar durch einen Kabelbinder.

Die genaue Todesursache habe zwar nicht festgestellt werden können, theoretisch denkbar seien als Täter allerdings sowohl nur einer von beiden, entweder Markus B. oder Norbert K., oder doch alle beide. Das Vortatverhalten und die Motivation weisen jedoch erheblich auf Markus B. als Täter hin. Auch die Persönlichkeitsmerkmale deuteten auf seine Haupttäterschaft. Das aktive Tun erfolgte durch Markus B., das ist die Überzeugung der Kammer. Auch Vorsatz sei gegeben gewesen. Allerdings sei die Tötungsabsicht erst aufgekommen, nachdem Markus B. bewusst geworden war, dass Anneli R. ihn hätte erkennen können. Hiermit sei die Verdeckungsabsicht als Mordmerkmal gegeben. Die Unterlassung sei wiederum bei Norbert K. gegeben, da auch er eine Verdeckungabsicht gehabt habe. Auch er wäre erkannt worden. Er habe auch gewusst, dass Anneli R. sterben wird.

Bei dieser Aussage schüttelt Norbert K. seinen Kopf.

Das Töten habe Norbert K. nicht aktiv unterstützt, aber er habe auch nichts aktiv dazu beigetragen, den Mord zu verhindern. Er habe Angst gehabt, entdeckt zu werden. Zum Nachtatverhalten sei zu sagen, dass beide Täter die Leiche verbracht haben.

Während des Vortrages der Richterin nimmt einer der Verteidiger (Rechtsanwalt S.) von Markus B. zwischenzeitlich eine Liegestellung in seinem Stuhl ein und schaut sich die Decke an. Auch dieses Verhalten zeigt die durchgängige Respektlosigkeit gegenüber dem Opfer, dessen Familie und in diesem Falle insbesondere auch gegenüber dem Gericht.

Die Richterin stellt fest, Norbert K. habe gegenüber Anneli R. eine Garantenpflicht gemäß § 13 Strafgesetzbuch innegehabt. Das pflichtwidrige Vortatverhalten sei die Entführung. Auch sei ein Einschreiten zum Wohle der Anneli R. zumutbar gewesen. Die Frage hiernach beantworte sich ausschließlich mit einem Ja und unbedingt. Die innere Haltung von Norbert K. entspreche somit einer Täterschaft durch Unterlassen.

Beurteilung von Strafmaß und Schuld

Wenn man die Schuld und das Strafmaß in Bezug auf den Täter Markus B. beurteilt, so könne festgestellt werden, dass es keinerlei pathologische Auffälligkeiten gab. Sicherlich habe Markus B. narzisstische Persönlichkeitsmerkmale. Daher sei eine Freistrafe von 15 Jahren unangemessen gewesen und insofern die Entscheidung auf lebenslange Freiheitsstrafe deutlich. Seine insgesamt über zwölf Vorstrafen beeinflussen das Gesamtbild zusätzlich negativ. Seine Tat habe eine Nähe zur Habgier. Das Leid des Opfers und der Opfer-Familie sei ausgesprochen groß und die Folgen der Tat besonders schlimm, da es hier viele Opfer gebe. Strafmildernd müsse man die Krebsdiagnose (inzwischen geheilt) bei Markus B. berücksichtigen.

Der Bruder von Anneli R. schüttelt bei dieser Aussage deutlich den Kopf.

Die Richterin stellt fest, dass das Schlimme und Schlechte bei Markus B. insgesamt überwiege.

Zu Schuld und Strafmaß bei Täter Norbert K. gibt das Gericht bekannt, dass es bereits entsprechende Urteile des BGH und des Verfassungsgerichts gebe, die in solchen Fällen zu berücksichtigen seien. Norbert K. sei weniger aktiv gewesen, dadurch gebe es eine sogenannte Strafrahmen-Verschiebung auf drei bis fünfzehn Jahre. Eine weitere Strafrahmenverschiebung erfolge, weil er Aufklärungsmithilfe zur Tat geleistet habe. Diese Verschiebung bedeute ein Strafmaß von sechs Monaten bis elf Jahren und drei Monaten. Damit habe das Gericht einen Ermessensspielraum von zwei Jahren bis elf Jahren und drei Monaten. Negativ zu bewerten sei, dass er an der Tat beteiligt war. Positiv zu bewerten sei, dass Norbert K. nicht vorbestraft ist. Er habe Reue gezeigt und ein Teilgeständnis abgegeben. Zusätzlich bedeute sein Alter von 62 Jahren, dass er eine gewisse Haftempfindlichkeit habe.

Für die Haft ist Norbert K. zu empfindlich, aber für eine solche grausame und brutale Ermordung nicht?

Das Ergebnis ist schlussendlich eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten.

Nach dem Verlesen der Urteilsbegründung wendet sich die Richterin noch mit ein paar persönlichen Worten an die Opferfamilie. Mit diesen Worten versucht sie, Trost zu spenden, doch leider wählt sie aus meiner Sicht die falschen Worte, sodass der Trost nicht bei der Familie ankommt. Die Richterin erklärt beiden Parteien, dass eine Revision innerhalb einer Woche möglich ist.

Der letzte Prozesstag endet um 16:03 Uhr.

Innerhalb der genannten Wochenfrist haben die Anwälte des Beschuldigten Markus B. Revision eingelegt. Des Weiteren hat die Staatsanwaltschaft Revision in Bezug auf beide Täter eingelegt.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

13. Verhandlungstag | Persönliche Erklärungen der Familie von Anneli R.

Den heutigen Verhandlungstag am 26. August 2016 prägen die persönlichen Erklärungen des Vaters und der Schwester des Opfers Anneli R. Des Weiteren halten heute die Verteidiger ihre Plädoyers. Der Zuschauersaal ist wieder mit etwas mehr (circa 40) Zuschauern gefüllt. Zusätzlich sind etliche Medienvertreter, darunter zwei Kamerateams, anwesend.

Erklärung der Schwester von Anneli R.

Zu Beginn des Prozesstages trägt die Schwester des Opfers, Anett R.-Sch., ihre sehr persönliche und emotionale Erklärung vor. Sie erläutert, wie oft sie während des Prozesses anhören musste, wie ihre Schwester Anneli gestorben bzw. ermordet worden ist.

Auf die enorme Belastung für die Familie habe ich auch in diesem Blog mehrfach hingewiesen

Anett R.-Sch. berichtet weiter, dass sie erschöpft sei und das letzte Jahr und die letzten Wochen gerne nicht mit der Ermordung ihrer Schwester und im Gerichtssaal verbracht hätte, sondern viel lieber mit Anneli. Sie sei gerne dabei gewesen, wenn ihre Schwester Anneli ihr Abitur gemacht hätte und hätte gerne mit ihr zusammen überlegt, welches Studium sie danach angehen möchte. Aber all das könne sie nicht tun, weil sie den Tätern und deren abscheulicher Tat ausgeliefert sei. Außerdem könne sie ihrer Familie und ihren Kindern nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit schenken, obwohl diese ganz bestimmt ein Recht darauf haben. Das Familienkonstrukt der gesamten Familie R. sei zerrissen und durch den Tod von Anneli verstümmelt. Diese Tat sei durch die beiden „Nichtsnutze“ auf der Anklagebank verübt worden. Anett R.-Sch. betont auch, dass die Familie „keine stinknormale reiche Familie“ sei. Sie spricht die beiden Täter direkt an und formuliert ganz klar, dass die Täter sowohl aktiv als auch passiv Schuld an dieser Tat seien.

Während dieser Rede, die mit Sicherheit sowohl die 100-prozentige Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Gerichtssaal, als auch absolut notwendigen Respekt verdient hat, muss ich leider feststellen, dass der Rechtsanwalt von Markus B. an seinem Laptop arbeitet und in den Büchern vor ihm liest. Dieses Verhalten ist absolut unangemessen und rücksichtslos gegenüber der Familie R.

Erklärung des Vaters von Anneli R.

Nach der Rede von Anett Sch.-R. spricht der Vater von Anneli, Uwe R. Auch er berichtet sehr eindrucksvoll und emotional von der Tat, insbesondere von den Erpressungsanrufen und vom letzten Schrei, den er von Anneli am Telefon gehört habe. Er berichtet über das Familienleben und über den Charakter und die Wesenszüge von Anneli.

Die entstandene Belastung durch dieses abscheuliche Verbrechen sei nicht auszuhalten, so Uwe R. Körperliche und psychische Schäden haben alle Familienmitglieder davongetragen. Es gebe kaum Aussicht auf Beendigung dieser Auffälligkeiten. Schlaflosigkeit und Vergesslichkeit seien normal geworden. Seine Frau Ramona R. sei in ihrer Trauer gefangen und nicht mehr arbeitsfähig. Auch er sei lange Zeit nicht arbeitsfähig gewesen und leide an Konzentrationsschwäche, habe keinen Antrieb mehr und inzwischen eine „dünne Haut“ bekommen. Auch habe er keine Lust mehr, seine Hobbys zu betreiben. Uwe R. fragt sich nicht nur nach dem Sinn des Lebens, sondern auch nach dem Anteil seiner Schuld.

Die Täter seien für ihn eine Ausgeburt der Hölle. Sie seien bösartig, brutal, grausam und gefühllos. Dann spricht er den Angeklagten Norbert K. direkt an und unterstellt ihm Lügen und Selbstmitleid. Auch er habe eine hohe Tatbeteiligung und sei schuldig durch Unterlassen. Er habe zugeguckt, wie Markus B. seine Tochter Anneli umbringt. Auch Markus B. spricht er direkt an und fordert ihn auf, eine Aussage zu machen. Die Familie möchte endlich Klarheit über den genauen Tötungsvorgang und die letzten Stunden von Anneli.

Uwe R. sagt, er und seine Familie haben durch dieses Verbrechen ebenfalls „lebenslänglich“.

Zum Schluss bedankt er sich beim Gericht, den Medien und allen, die die Familie in dieser schweren Zeit unterstützt haben. Sein Schlusswort lautet: „Gott beschütze uns.“

Der Rechtsanwalt von Markus B. fühlt sich durch das Zitat eines Briefes, den Uwe R. während des Prozesses von einem Zeugen erhalten und aus dem er zitiert hat, persönlich angegriffen, sodass er eine 30-minütige Pause beantragt. Vielleicht hat er kurzfristig vergessen, dass er nicht Opfer ist, sondern auf der Seite der Angeklagten und Täter sitzt.

Plädoyers der Verteidiger

Ab 10:16 Uhr hält die Verteidigung von Markus B. ihre Plädoyers. Rechtsanwalt F. stellt zunächst auch seine eigene Betroffenheit in diesem Fall fest. Danach erläutert er sehr genau die Aufgaben der Verteidigung. Dazu gehöre, Zweifel zu säen, Kritik zu üben und Fragen zu stellen, die sonst keiner stellt. Unter anderem spricht er Uwe R. direkt an. Er teilt auch mit, dass zu allererst die Unschuldsvermutung gelte, und die Aufgabe des Gerichts sei die Suche nach der Wahrheit.

Es klingt fast so, als wollte sich der Verteidiger bereits im Vorhinein für das entschuldigen, was gleich folgen wird. Außerdem sei an dieser Stelle konstatiert, dass auch die Familie R. sicherlich nicht die Institution einer korrekten Rechtsvertretung anzweifelt. Nur stellt sich doch immer auch die Frage nach dem „WIE“ einer Verteidigung.

Dann erzählt der Verteidiger ein bisschen aus der Vorgeschichte von Markus B. und stellt fest, dass dieser ein notorischer Lügner sei und immer mehr darstellen will als er tatsächlich ist. Der Anwalt stellt in den Raum, dass Markus B. sich so sehr in Lügen verstrickt habe, dass er im Grunde nur zwei Möglichkeiten hatte: Seiner Frau die Wahrheit zu sagen – doch das stuft der Verteidiger als die schwierigere Lösung ein – oder irgendwie an Geld zu kommen. Dies sei, nach Aussage des Anwalts, die leichtere Variante.

Diese Einstufung verwundert mich schon sehr.

Der Anwalt ist des Weiteren der Meinung, dass bei Markus B. entgegen dem psychologischen Gutachten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliege. Zuerst habe Markus B. erwogen, das Mitglied einer Familie aus Grumbach zu entführen, dann habe er versucht, den Handelskonzern Lidl um 1,2 Millionen Euro zu erpressen. Erst danach sei er auf die Familie R. gekommen. Zudem gibt der Verteidiger auch dem Mitangeklagten Norbert K. Schuld an der Tat. Er ist der Meinung, dass beide die Tat gemeinsam geplant und durchgeführt haben. Das will der Anwalt unter anderem dadurch bewiesen sehen, dass beide ihr Handy während der Entführung in Lampersdorf gelassen haben. Somit könne die Entführung auch für Norbert K. nicht überraschend gewesen sein. Auch das Überwältigen des Opfers sei nicht allein zu bewerkstelligen gewesen. Am Ende stellt er die Frage, ob sein Mandant Markus B. Anneli R. alleine getötet habe – und streitet das zugleich ab, da es dafür keinen Beweis gebe, sondern der Mitangeklagte Norbert K. dies nur behauptet habe. Dieser wiederum habe ja aber schon genug gelogen. Für den Verteidiger von Markus B. sind somit drei Varianten möglich: erstens Tötung durch Markus B., zweitens Tötung durch Norbert K., drittens gemeinsame Tötung.

Durch diese unterschiedlichen Varianten will der Verteidiger erreichen, dass das Gericht alle Indizien und Fakten, die gegen Markus B. sprechen, ausblendet und so ausreichend Zweifel an der Schuld von Markus B. erwachsen.

Der Verteidiger pickt sich einige Indizien heraus und verliert auf diesem Wege natürlich den Gesamtzusammenhang. Somit stellt sich die Lage für seinen Mandanten positiver dar. Er argumentiert mit Logik und Sinnhaftigkeit, doch beides hat der Angeklagte Markus B. bisher in keiner Art und Weise gezeigt. Auch, dass Markus B. Anneli R. habe töten müssen, weil sie ihn hätte wiedererkennen können, hält er für unwahrscheinlich, da Markus B. ja umziehen wollte und insofern eine Entdeckung durch sie nicht möglich gewesen wäre.

Außerdem unterstellt er dem Mitangeklagten Norbert K., Anneli R. aus Panik getötet zu haben. Die vorliegenden Beweise ließen es nicht zu, festzustellen, wer der Mörder sei, so der Verteidiger. Als Strafmaß für seinen Mandanten fordert er zum Schluss eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren wegen erpresserischen Menschenraubs.

Hiernach hält der zweite Verteidiger von Markus B. sein Plädoyer und stellt ebenfalls fest, dass es keine Beweise dazu gebe, wer den Mord begangen hat. Auch er schiebt den Mord dem Mitangeklagten Norbert K. zu und begründet dies ausschweifend. Er kommt zu dem Schluss, dass man nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sagen kann, dass Markus B. der Mörder sei. Betreffend das Strafmaß schließt er sich seinem Kollegen an. Er teilt außerdem mit, dass Markus B. ein sogenanntes „Lügen-Gen“ habe. Er bezeichnet ihn des Weiteren als „dümmlich“ und „kopflos“. Markus B. sei nicht in der Lage, ein solches Verbrechen auszuführen. Zudem zweifelt der zweite Verteidiger die Fachlichkeit des Sachverständigen Prof. G. an. Und natürlich sieht er in dem Verbrechen keine „besondere Schwere der Schuld“.

Der Verteidiger führt immer wieder auch zu seiner eigenen Person aus. Er erzählt, wie viel Erfahrung er in welchen Arten von Prozessen schon gesammelt und auch, dass er sogar schon vor dem BGH verhandelt habe. Doch was bezweckt der Advokat damit? Will er das versammelte Publikum beeindrucken, was für ein toller Held er ist?

Am Ende fügt der Anwalt noch hinzu, dass, wenn das Gericht doch auf Mord urteilen sollte, sein vorgeschlagenes Strafmaß für diesen Fall lebenslänglich, ohne Feststellung einer „besonderen Schwere der Schuld“ sei.

Anschließend und ohne Pause plädiert nun der Rechtsanwalt von Norbert K., Andrej K. Er bedankt sich bei den Beteiligten für den fairen Prozess. Einleitend führt er zunächst zum Wesen der Nebenklage aus. Er sagt, als Anwalt müsse er rücksichtslos sein und betont, dass er „nur seinen Job“ mache. Er beklagt sich auch darüber, dass ein Blogger seine Anträge als kaltschnäuzig und menschenverachtend bezeichnet habe.

Damit kann er nur mich meinen.

Weiter führt er aus, dass er die objektive Ermittlungsarbeit der Polizei anzweifle und benennt angebliche Ungereimtheiten. Zum Beispiel habe es in den ersten Ermittlungsentwürfen Fehler bei Daten und Uhrzeiten gegeben.

Juristisch entscheidend ist das alles nicht, daher stufe ich diesen Einwand als Bemühung ein, Zweifel zu streuen.

Er mahnt weiter an, dass es niemals einen dringenden Tatverdacht gegen seinen Mandanten gegeben habe, und dass die vorläufige Festnahme ebenso rechtswidrig gewesen sei. Er sei auch sehr verwundert darüber, dass sowohl die Oberstaatsanwältin als auch die Vertreter der Nebenklage in ihren Plädoyers so viel zu seinem Mandanten Norbert K. vorgetragen haben. Er hält dies für einen Beitrag zur Verunsicherung, ob Norbert K. überhaupt als Täter in Frage kommt. Ein ehemaliger Gefängnis-Mitinsasse habe ja als Zeuge ausgesagt, sein Mandant habe ihm wiederum berichtet, dass Anneli R. tot gewesen sei, als Norbert K. von der Tankstelle, an der er Getränke gekauft hatte, zurückkam. Der Anwalt ist demnach der Meinung, dass am Ende nur Indizien vorliegen und keine Beweise.

Indizien sind gemäß BGH auch Beweise.

Der Verteidiger zweifelt darüber hinaus auch die Freundschaft zwischen den beiden Angeklagten an und schließt eine Mittäterschaft von Norbert K. beim Mord aus. Seine Tatbeteiligung an der Entführung sei nur dadurch entstanden, dass er unter Vortäuschung falscher Tatsachen zum Abfangort von Anneli R. geführt worden sei. Dass sein Handy auch in Lampersdorf verblieb, liege daran, dass er es dort nur vergessen habe.

Das „Unterlassen“ von Norbert K. begründet er mit der psychologischen Einschätzung, dass Norbert K. ein passiver Mensch sei. Bei der nun folgenden Beurteilung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens schließt der Anwalt eine Unterlassung seines Mandanten aus, da dessen Tatbeteiligung „zu minimal“ sei. Er habe weder am Vortatverhalten mitgewirkt, noch die Durchführungspläne gekannt. Die Tat sei von Markus B. auch ohne seinen Mandanten durchgeführt worden bzw. hätte ohne ihn durchgeführt werden können. Norbert K. habe keinerlei Veranlassung gehabt, zu glauben, dass Anneli R. getötet werden sollte, daher sei er nur wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub zu verurteilen. Und auch wenn er mehrmals die Möglichkeit gehabt habe, auszusteigen, hätte er dieses aufgrund seiner Passivität nicht tun können. Norbert K. bereue, nicht aktiv, beispielsweise durch einen Anruf bei der Poilizei, dagegen gesteuert zu haben. Eine Unterlassung treffe in diesem Fall juristisch jedenfalls nicht zu, da Norbert K. nicht gewusst habe, dass Markus B. Anneli R. töten wollte. Somit liege seitens Norbert K. auch keine Mittäterschaft am Mord vor. Zu berücksichtigen sei schließlich auch, dass Norbert K. ausgesagt und zur Aufklärung des Falls beigetragen habe. Als Strafmaß beantragt er vier Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe.

Wenn man die Plädoyers aller Verteidiger betrachtet, so lässt sich deren Absicht deutlich feststellen: Keiner der Angeklagten soll wegen Mordes verurteilt werden. Der eine nicht, weil man es ihm nicht beweisen kann, der andere nicht, weil er davon nichts wusste. Auch diese Erkenntnis wird für die Familie R. schwer zu ertragen sein, denn in der Konsequenz ist Anneli R. grausam und brutalst ermordet worden – und keiner hat Schuld.

Nun gibt das Gericht den Angeklagten noch Gelegenheit für letzte Worte. Markus B. nimmt diese Möglichkeit erwartungsgemäß nicht wahr. Norbert K. spricht seine letzten Worte. Er entschuldigt sich bei der Familie und teilt mit, dass es ihm Leid tue, was passiert ist. Er bereue die Tat und verstehe sein Verhalten nicht. Er unterstellt dem Mitangeklagten Markus B., dass dieser ihn für die Tat manipuliert habe.

Hiernach endet der Verhandlungstag bereits um 12:27 Uhr. Das Urteil wird am 5. oder 6. September 2016 verkündet.

Markus B. / Bildquelle: Stefan Bisanz

Zwölfter Verhandlungstag | Verteidiger missachten Absprachen

Zunächst sei vorangestellt, dass sich zum Schluss des heutigen Verhandlungstages, dem 24. August 2016, erneut das juristische, nüchtern berechnende Kalkül der Verteidigung Bahn bricht – zum Leidwesen der Opferfamilie. Denn beide Verteidiger-Parteien halten sich nicht an getroffene Absprachen des letzten Verhandlungstages und beantragen stattdessen, ihre Plädoyers, die für den morgigen Verhandlungstag angesetzt waren, erst am Freitag halten zu müssen. Diese Terminverschiebung wird wahrscheinlich auch den Prozess entsprechend verlängern, da er direkte Auswirkungen auf die weiteren Beratungstermine des Gerichts hat. All das geschieht auf Kosten der Familie R., weil diese erst entsprechend später mit dem Prozess abschließen kann.

An dieser Stelle hätte ich mir Anstand und Menschlichkeit gewünscht. Die fehlende Empathie und die Rücksichtslosigkeit aller Verteidiger gegenüber der Familie R. ist an diesem Verhalten erneut deutlich spürbar.

Schließung der Beweisaufnahme

Der Verhandlungstag beginnt mit der Bekanntgabe eines Beschlusses durch das Gericht, der sich auf einen Beweisantrag der Verteidiger von Markus B. bezieht. Diese hatten am 18. August gefordert, einen Sachverständigen zu hören, um Fragen bezüglich möglicher DNA-Spuren an dem Spanngurt zu klären, mit dem Anneli R. ermordet worden ist. Der Beweisantrag wird abgelehnt, da alle Fragen bereits am 19. August durch den Sachverständigen des Landeskriminalamtes Sachsen beantwortet wurden. Die Verteidigung akzeptiert diesen Beschluss. Daraufhin schließt das Gericht die Beweisaufnahme.

Plädoyer der Oberstaatsanwältin

Jetzt beginnt Oberstaatsanwältin Karin D. mit ihrem fast genau zweistündigen Plädoyer. Zunächst weist sie auf die Einmaligkeit dieser grausamen Tat hin, die besonders große Betroffenheit bei allen Beteiligten, insbesondere bei der Familie, aber auch bei Freunden, Verwandten, Bekannten und Klassenkameraden der getöteten Anneli R. hervorgerufen hat. Auch Polizisten, die der Ermittlungsgruppe und der SOKO angehört haben, waren selbst deutlich nach Abschluss der Ermittlungsarbeit äußerst berührt.

Der Angeklagte Norbert K. hört zu und hat die Augen geschlossen. Markus B. schaut, wie so oft, auf die Tischplatte vor sich.

Die Staatsanwältin führt nochmals zu den Lebensläufen der beiden Angeklagten aus. Insbesondere über die vielen Vorstrafen von Markus B. Beide Täter kennen sich seit 2012 und führen seitdem eine lockere Freundschaft. Sie weist darauf hin, Norbert K. sei für Markus B. sicherlich kein willenloses Subjekt gewesen, sondern habe durchaus selbstständig handeln können.

Des Weiteren erwähnt sie, dass die Tat durch die Schulden, die beide Täter hatten, motiviert gewesen sei. Markus B. sei stets davon getrieben worden, sich besser darzustellen als er ist. Er habe die Tat vorbereitet, sich im Internet nach Opfern erkundigt und diese ausgewählt. Beispielsweise sei eine Familie aus Grumbach in seinem Fokus gewesen, jedoch ließ er von ihr ab, weil deren Sicherheitsmaßnahmen Markus B. abgeschreckten.

In seinem persönlichen Umfeld habe Markus B. überall berichtet, er sei demnächst vermögend, weil er erben und Geld aus Auslandskonten erhalten werde. Der Angeklagte habe etliche Wochen, vielleicht sogar Monate vor der eigentlichen Entführung mit der Beschaffung der Tat-Infrastruktur begonnen. Er habe damit angefangen, Familie R. auszuspähen, unter anderem mit der Methode, mit seinem Hund am Wohnort der Familie R. seine Gassi-Runden zu drehen. Weiterhin habe er im Internet über die Familie recherchiert und Kabelbinder sowie den notwendigen Äther besorgt.

Die Tatdurchführung selbst sei aktiv durch beide Täter erfolgt, das heißt, beide haben die Tatherrschaft gehabt. Der Tötungsentschluss – „dann muss sie eben sterben“ – habe Markus B. nur wenige Stunden nach der Entführung gefällt. Diese schnelle Entscheidung sei aus seiner Sicht notwendig geworden, weil er vergessen hatte, sich bei der eigentlichen Entführung zu maskieren. Das Wiedererkennungsrisiko habe damit bei 100 Prozent gelegen.

Während des Plädoyer-Vortrages durch die Oberstaatsanwältin, schreibt Markus B. mit und gibt seinen Anwälten links und rechts immer wieder Hinweise und Anweisungen zu seinen Notizen.

Die Oberstaatsanwältin fährt damit fort, dass Norbert K. oftmals die Gelegenheit gehabt habe, das Verbrechen anzuhalten und aufzulösen. Es habe immer wieder Zeiträume gegeben, in denen auch er die absolute Tatherrschaft hatte. Besonders perfide erscheinen zum einen das Telefonat vom 16. August 2015 gegen 20:00 Uhr zwischen beiden Tätern, in dem sie über die Entführung sprechen, und zum anderen auch der Besuch eines Dresdner Stadtfestes in dem Zeitraum, in dem die Erpressung noch lief. Auch hieran sei das gefühlskalte und grausame Verbrechenspotenzial der Angeklagten zu erkennen. Die nachträgliche Reue, die der Angeklagte Norbert K. zeigte, sei ihm nur schwer abzunehmen. Mitleid habe er wohl nur in Bezug auf die ihm drohenden persönlichen Konsequenzen seiner Tat. Noch immer sei nicht ist ein einziges Wort der Entschuldigung an die Familie R. gerichtet worden.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. beantragt für den Angeklagten Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für den Angeklagten Norbert K. beantragt sie eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

Plädoyer des Nebenkläger-Vertreters

Nach der Mittagspause trägt der Nebenkläger-Vertreter der Eltern Uwe und Ramona R., Rechtsanwalt Kay E., vor. Er erläutert, dass das Ziel der Familie gewesen sei, die Tat aufzuklären und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die Eltern haben außerdem erfahren wollen, wie es ihrer Tochter Anneli in den letzten Stunden erging. Der Anwalt mahnt nochmals deutlich an, dass diese Erwartungshaltung durch die Angeklagten noch nicht erfüllt worden sei. Beide haben zur Aufklärung noch nichts beigetragen. Weiterhin stellt er nochmals die Grausamkeit dieser Tat heraus.

Der Anwalt trägt klar und deutlich vor und spricht die Angeklagten zeitweise auch direkt an. Markus B. schaut nach wie vor auf die Tischplatte vor sich. Norbert K. schaut an dem Verteidiger vorbei nach links unten.

Als Strafmaß fordert der Nebenkläger-Vertreter für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. fordert er ebenfalls eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bevor er mit seinem Plädoyer zum Ende kommt, spricht er den Angeklagten Norbert K. nochmals direkt an und fordert ihn auf, umfassend auszusagen. Er solle jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, die Tat aufzuklären.

Hiernach hält der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., Rechtsanwalt Stephan S., sein Plädoyer. Da schon vieles gesagt worden sei, spricht er über andere Inhalte und konzentriert sich vor allem auf das intensive Vortatverhalten des Angeklagten Markus B. Dieser habe im Internet nicht nur über reiche Menschen im Allgemeinen recherchiert, sondern im Speziellen auch über die Familie R. Außerdem habe er nicht nur Kabelbinder besorgt und umständlich Äther in einer Apotheke gekauft, sondern auch die Gewohnheiten der Familie R. und vor allem die seines späteren Opfers Anneli langwierig ausgespäht. Des Weiteren habe er ein besonderes, BitCoin-fähiges Konto angelegt – für eine erleichterte Lösegeldübergabe. Der Anwalt stellt außerdem fest, beide Täter seien an der Entführung beteiligt gewesen und haben sie gemeinsam durchgeführt. Zu Norbert K. konstatiert er, dass dieser fortlaufend seinen Tatbeitrag beschönige und klein halte. Dies sei jedoch eindeutig durch die Beweisaufnahme widerlegt. Er sei Mittäter gewesen und habe jederzeit den Tatverlauf beenden können.

Ich bin sehr froh, dass dieses prozess-taktische Vorgehen des Verteidigers von Norbert K. so eindeutig – und nicht nur durch die Nebenkläger-Vertreter, sondern auch durch die Staatsanwaltschaft – erkannt und bewertet wurde.

Jetzt berichtet Rechtsanwalt Stephan S. über die Auswirkungen der Tat auf die Familie. So gebe es massive gesundheitliche Beeinträchtigungen, die sich auch noch die nächsten Jahre hinziehen werden. Es liegen Nervenschäden vor sowie Belastungsstörungen, zum Beispiel Gehörverlust oder Rückenschmerzen. Insbesondere seien psychosomatische Auffälligkeiten vorhanden. Zudem gebe es ganz konkrete Anlässe, bei denen Familienangehörige direkt mit dieser schrecklichen und grausamen Tat in Bezug gebracht werden.

Es ist sehr anerkennenswert seitens der Familie R., dass sie mit diesen erheblichen Belastungen nicht hinter dem Berg hält, sondern dem Gericht, den Angeklagten, aber auch der Öffentlichkeit davon berichtet.

Als Strafmaß beantragt der Nebenkläger-Vertreter von Anett R., der Schwester des Opfers, für Markus B. eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Norbert K. wird eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt.

Nach diesen Plädoyers möchte das Gericht den heutigen Verhandlungstag beenden und teilt der Verteidigung der Angeklagten mit, dass sie absprachegemäß ihre Plädoyers am morgigen Donnerstag halten sollen. Daraufhin stellen die Verteidiger beider Angeklagten den ungeheuerlichen Antrag, dass sie den morgigen Verhandlungstag ausfallen lassen möchten, um erst am Freitag ihre Plädoyers zu halten. Sie führen an, den morgigen Tag zur Vorbereitung ihrer Plädoyers zu benötigen.

Da allerdings schon seit knapp einer Woche bekannt ist, dass die Plädoyers am morgigen Donnerstag gehalten werden sollen, ist dieser Antrag nur schwer zu verstehen und verursacht auch beim Gericht heftiges Kopfschütteln. Die Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger-Vertreter haben keine neuen Erkenntnisse und Überraschungen für die Verteidiger gebracht. Insofern kann es sich hier wieder nur um einen Schachzug handeln. Leider – und wie bisher schon öfter erlebt – geht dieses Verhalten komplett zulasten der Opferfamilie.

Die Familie R. wird am Freitag ebenfalls eine Erklärung abgeben.

Damit endet dieser Prozesstag um 14:44 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Elfter Verhandlungstag | Psychologische Gutachten

Zu Beginn des elften Verhandlungstages am 19. August stellt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen Antrag, der sich auf den Beweisantrag der Verteidigung von Markus B. bezieht, gestellt am letzten Prozesstag am 18. August. Der Anwalt fordert darin, den Beweisantrag abzulehnen, da es überhaupt kein Hinweis darauf gäbe, dass Markus B. ohne Handschuh gemordet hat. Auch habe der Mitangeklagte Markus B. keine Aussage gemacht, im Gegensatz zu seinem Mandanten, dem Angeklagten Norbert K. Dieser wiederum habe ausgesagt, dass er bei der Tötung nicht dabei war. Der Rechtsanwalt untermauert seinen eben gestellten Antrag mit einer Erläuterung zur Vortatbeteiligung von Markus B., wobei er insbesondere auf dessen Internet-Recherche zum Tötungsmodus eingeht. Hier gab es Recherche-Treffer zum Thema „Ersticken wie lange dauert es“ oder „Autogase ersticken“.

Wieder einmal muss sich die Familie R. die Details der Tötung und das entsprechende Vortatverhalten anhören; zum bereits x-ten Mal.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Uwe und Ramona R. nimmt Stellung zum nämlichen Beweisantrag des gestrigen Tages und fordert, diesen abzulehnen. Er erklärt, Norbert K. habe nie ausgesagt, dass Markus B. zu keinem Zeitpunkt Handschuhe getragen hat. Er habe lediglich zu Protokoll gegeben, dass Markus B. beim Transport der entführten Anneli R. keine Handschuhe angehabt hatte.

Vorstrafen Markus B.

Hiernach liest das Gericht die Vorstrafen von Markus B. vor:

– 17. Juli 1996: Erschleichung von Leistungen

– 3. Dezember 1996: Betrug, Strafe: 30 Tagessätze zu 20 DM

– 1. September 1998: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 80 Tagessätze zu 30 DM

– 17. September 1999: Betrug, Strafe: 50 Tagessätze zu 30 DM

– 24. Februar 2000: Betrug, Strafe: sieben Monate Freiheitsstrafe auf drei Jahre Bewährung

– 28. März 2000: Urkundenfälschung, Strafe: 60 Tagessätze zu 25 DM

– 18. Mai 2000: Betrug, Strafe: 70 Tagessätze zu 30 DM

– 21. Juni 2000: Betrug, Strafe: 60 Tagessätze zu 30 DM

– 26. Oktober 2000: Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis, Strafe: 90 Tagessätze zu 50 DM

– 24. April 2002: Betrug in 285 Fällen, Strafe: ein Jahr und zehn Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung

– 21. Mai 2002: Betrug: Strafe: fünf Monate Freiheitsstrafe

Mit diesem Eintrag endet das Zentralregister. Nun wird außerdem aus zwei Urteilsbegründungen zur Person Markus B. vorgelesen. Das ist erforderlich, da er selbst keine Angaben zu seiner Person gemacht hat. Darin wird er als uneinsichtig und rücksichtslos beschrieben. Es wird zudem deutlich, dass Markus B. die Schuld immer bei den anderen sucht und hochgradig egoistisch handelt. Insbesondere seine Rückfallgeschwindigkeit ist erstaunlich. In einem Fall ist es sehr auffällig: Nur einen Tag nach seiner Verurteilung beging er erneut eine Straftat.

Zu dem Angeklagten Norbert K. gibt es keine Einträge im Zentralregister.

Beweisantrag DNA

Hiernach wird der bereits gestern angekündigte Sachverständige, Dr. Ralf N. vom LKA Sachsen, zum Thema DNA gehört. Er fasst zusammen, dass der Beweisantrag der Verteidigung von Markus B., betreffend möglicher DNA-Spuren am Spanngurt, abzulehnen sei. Denn auch wenn keine DNA-Spuren feststellbar seien, so bedeute dies nicht, dass es keinen Kontakt gegeben habe. Vielmehr könne ein Täter den Spanngurt angefasst haben, ohne dass Hautspuren hinterlassen worden sind. Selbst ein intensiver Kontakt führe nicht automatisch zum Hinterlassen von Hautspuren / DNA.

Nun gibt der Verteidiger des Angeklagten Norbert K. einen weiteren Beweisantrag ab, durch den er festgestellt wissen möchte, dass bei der Durchsuchung der Küche seines Mandanten Getränkeflaschen der Marke Volvic gefunden wurden. Dies diene als Beweis dafür, dass Norbert K. diese Flaschen gekauft hat. Durch den Kaufvorgang könne er seine Abwesenheit am Tatort nachweisen. Dieser Antrag wird durch das Gericht sofort erfüllt. Man nimmt daraufhin jene Fotos, die während der Durchsuchung der Küche angefertigt worden sind, durch Inaugenscheinnahme ins Verhandlungsprotokoll auf.

Psychologische Gutachten zu Markus B.

Die größte Erwartungshaltung am heutigen Verhandlungstag gilt sicherlich den psychologischen Gutachten zu beiden Angeklagten. Zuerst trägt Prof. Hans Ludwig G. zur Person und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten Markus B. vor. Er teilt vorab mit, dass Markus B. nicht am Gutachten habe mitwirken wollen, sondern sich auch hier verweigert habe.

Der Sachverständige habe bei Markus B. keine Antriebslosigkeit, zum Beispiel aus einer Depressionskrankheit, festgestellt, keine Demenz oder manischen oder schizophren-pathologischen und auch keine psychischen Auffälligkeiten. Markus B. sei mit einer normalen Intelligenz ausgestattet, nur halte er sich für schlauer als er ist. Ebenso seien keine krankhaften seelischen Störungen vorhanden, weder zur Tatzeit oder vorher sei eine solche erkennbar gewesen. Ebenso nicht erkennbar sei gewesen, dass er eventuell unter dem Einfluss bewusstseinsbeeinflussender Substanzen gestanden haben könnte. Auch sein 2013 festgestellter Hautkrebs habe keine Auffälligkeiten ergeben. Die dazu eingenommenen Medikamente haben keinen Einfluss auf seine Taten gehabt. Auch Alkoholmissbrauch habe man nicht feststellen können.

Markus B. sitzt still auf seinem Platz, der Kopf ist schräg nach unten geneigt.

Zur Persönlichkeitsstruktur und -veränderung gebe es keine pathologischen Erkenntnisse. Festzustellen sei eine leichte Diskrepanz zwischen seinen über sich selbst erzählten Legenden und seiner realen Lebensgeschichte. Seine Familienherkunft sei eine bescheidene gewesen. Es sei festzustellen, dass er sehr viele Einträge im Führungszeugnis hat, zusätzlich gab es noch Jugendstrafen wegen Betruges und Unterschlagung. Er habe extrem viele Arbeitsplatzwechsel gehabt. Sein Leben weise Inkonstanz auf.

Was den Psychologen verwundert ist, dass Markus B. nie begriffen habe, dass seine Verbrecherkarriere erfolglos ist. Markus B. habe immer ein reicher Mann sein wollen und versucht, ein solches Leben zu führen. Prof. Hans Ludwig G. fährt fort, dass Markus B. nicht stark minderbegabt sei. Während der Tat habe er allerdings unklug gehandelt.

Als Fazit stellt der Gutachter fest, dass es keine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit von Markus B. gebe.

Im Nachgang dieser Darlegung versuchen die Verteidiger von Markus B. nun, beim Gutachter doch noch eine schwere Diagnose als Begründung für eine mögliche Schuldunfähigkeit zu erfragen. Sie sind der Meinung, dass sein Wunsch, immer noch bedeutender bzw. wichtiger sein zu wollen, eine Störung der Ich-Wahrnehmung sei und damit pathologisch zu berücksichtigen wäre. Diesem Versuch der Verteidigung wird durch den Experten allerdings eine strikte Ablehnung erteilt. Doch die Verteidigung hakt nach, denn ihrer Meinung nach habe Markus B. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, da dieser sein Leben schon jahrelang geschönt habe. Auch diesem eher amateurhaften Versuch erteilt der psychologische Gutachter eine erneute Abfuhr. Er erläutert, dass das Verhalten einer besonders niederträchtigen Behandlung anderer Menschen ein dauerhaftes Verhalten sein und eine dauerhafte Auffälligkeit haben müsse. Diese Kriterien seien bei Markus B. jedoch nicht erfüllt.

Dieses Nachfragen der Verteidiger von Markus B. sollte nur den einen Sinn haben, hier doch noch eine geringfügige Schuldunfähigkeit ihres Mandanten herauszudiskutieren. Damit hätten sie gegenüber dem Gericht ein Argument für strafmildernde Gründe. Ihr Vorhaben scheiterte allerdings, denn der Gutachter hat dem Angeklagten eine hundertprozentige Schuldfähigkeit attestiert.

Psychologisches Gutachten zu Norbert K.

Hiernach erstattet Dr. Matthias L. sein Gutachten zur Person des Angeklagten Norbert K. Er teilt vorab mit, dass Norbert K. am Gutachten mitgewirkt habe und berichtet zur Vita des Angeklagten zunächst das, was vor Gericht bereits gehört worden ist.

Nun trägt Dr. Matthias L. vor, dass es bei Norbert K. nie psychiatrische Erkrankungen und auch keine sozialen Auffälligkeiten gegeben habe. Er sei nie straffällig oder drogen- oder alkoholabhängig gewesen. Er sei normal intelligent, habe sich allerdings passiv am Leben abgearbeitet. Es gebe keine Bewusstseinsstörung oder Intelligenzminderung. Ebenso liege keine abartige Persönlichkeitsstörung vor. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit sei voll gegeben. Er lebe zurückgezogen, eher als Einzelgänger. Der Gutachter stellt schließlich fest, dass bei Norbert K. volle Schuldfähigkeit gegeben sei.

Da während des Prozesses herausgearbeitet wurde, dass Norbert K. sich Markus B. untergeordnet habe, fragt das Gericht beim Sachverständigen daraufhin nach. Dieser wiederum bestätigt, Norbert K. habe zwar eine gewisse Passivität, diese sei aber nicht auf der pathologischen Ebene. Norbert K. habe jederzeit aktiv werden können. Dieses Vermögen liege durchaus in seiner Person. Er habe davon allerdings keinen Gebrauch gemacht, so der Spezialist. Auch eine Verlustangst hinsichtlich Markus B. gebe es nicht, da schon festgestanden habe, dass Markus B. demnächst umziehen würde. Norbert K. habe in den Gesprächen mit dem Sachverständigen zudem Reue und Betroffenheit gezeigt. Auch diese Einsicht zeige, dass er in der Lage gewesen wäre, anders zu handeln.

Während des Gutachterberichts ringt Norbert K. deutlich mit sich, sein Gesichtsausdruck wirkt weinerlich, er beißt sich ständig auf die Unterlippe, schluckt mehrfach und atmet tief durch. Der Angeklagte Markus B. wieder schaut immer noch vor sich auf die Tischplatte.

Die Staatsanwältin fragt nun, ob für Norbert K. Anerkennung wichtig sei. Dies verneint der Sachverständige. Norbert K. wolle nur unauffällig leben. Weiterhin möchte sie wissen, ob Norbert K. Reue bezüglich der Tat, Mitleid mit dem Opfer oder Mitleid mit sich selbst gezeigt habe. Dr. Matthias L. erläutert daraufhin, dass Norbert K. sehr betroffen gewesen sei.

Jetzt unternimmt der Verteidiger von Norbert K. den Versuch einer Erklärung der Persönlichkeitsstruktur seines Mandanten. Er stellt fest, dass Norbert K. über unzureichendes Selbstbewusstsein verfüge und willensschwach sei. Daraus müsse doch resultieren, dass er manipulierbar ist. Der Sachverständige entgegnet dieser These, dass Norbert K. sich nicht exponieren wolle.

Der Verteidiger von Markus B. wiederum stellt die Frage, ob sein Mandant hätte erkennen können, was er einem Opfer mit seinen Taten antut. Der psychologische Experte teilt dazu mit, dass er das durchaus könne. Allerdings versuche er immer, sich selbst zu schützen, indem er nicht zu seinen Taten stehe.

Wieder auf Norbert K. zurückkommend betont nun der Vater von Anneli R., dass dieser schon während der Vortat Gelegenheit gehabt habe, sich anders zu verhalten. Er verstehe daher nicht, warum Norbert K. es nicht getan hat. Der Sachverständige klärt hierzu auf, dass Norbert K. zu den Menschen gehöre, die in gewissen Lebenssituationen hängen und nicht daraus kommen, sondern einfach weitermachen. Das sei insgesamt als inkonsequentes Handeln zu beurteilen.

Nun spricht das Gericht in Richtung des Angeklagten Norbert K. noch zwei rechtliche Hinweise aus und teilt ihm mit, dass er gemäß § 13 StGB wegen Unterlassung angeklagt und die Anklage auch um § 27 StGB wegen Beihilfe erweitert werde.

Die nachfolgende Terminabstimmung zwischen dem Gericht und den Parteien ergibt als möglichen Urteilsverkündungstermin den 5. September 2016. Davor liegen jedoch noch drei weitere Verhandlungstage in der nächsten Woche.

Foto: Der Angeklagte Norbert K. / Bildquelle: Stefan Bisanz

Zehnter Verhandlungstag | Dummheit ist gefährlich

Am 18. August 2016 beginnt der zehnte Verhandlungstag um 9:10 Uhr, bei dem zehn Journalisten, zwei Fotografen und circa 15 Zuschauer anwesend sind, ebenso alle Parteien.

Ursprünglich war dieser Verhandlungstag für gestern angesetzt, wurde aber auf heute verschoben. Gestern jährte sich erstmals das Auffinden von Anneli R. Insofern ist es gut und löblich, dass das Gericht diese mögliche Pietätlosigkeit bemerkt und entsprechend reagiert hat.

Das Gericht gibt vorab bekannt, dass der Angeklagte Norbert K. nun in die JVA Dresden überführt worden sei.

Als erster Zeuge wird der Polizeibeamte Ralf B. aus Dresden gehört. Er berichtet über den Bereich der Funkzellen-Datenauswertung und hatte den Auftrag, ein entsprechendes Bewegungsbild der Angeklagten zu erstellen.

Der Angeklagte Norbert K. macht einen teilnahmslosen Eindruck. Ab und zu sieht er verstohlen auf die gegenüberliegende Seite, wo die Familie R. sitzt. Markus B. hingegen wirkt beschäftigt, er wälzt in den vor ihm liegenden Akten, macht sich Notizen und vermeidet den Augenkontakt mit der Opferfamilie.

Als nächste Zeugin sagt Sandra G. (33) aus, Büro-Servicekraft aus Klipphausen. Sie kennt Markus B. über die Kinder der Familien, die gemeinsam im Verein Fußball gespielt haben. Markus B. habe versucht, näheren Kontakt zu ihr aufzubauen. Er habe über Facebook und WhatsApp Kontakt mit ihr gehalten und einige Annäherungsversuche unternommen. Zu einem Körperkontakt sei es aber nicht gekommen.

Der Angeklagte Markus B. möchte nun mit seinem Anwalt rechts von ihm sprechen. Diesen Moment will er nutzen, um einen kurzen Augenkontakt mit der Zeugin aufzunehmen. Dies jedoch geht von der Zeugin unbemerkt an ihr vorbei.

Täter bei zwei Schwerverbrechen: Markus B.

Als nächster Zeuge wird Kriminaloberkommissar (KOK) Kurt H. von der Polizeidirektion Heilbronn vernommen. Er ermittelte in einem Erpressungsverfahren gegen die Firma Lidl vom 28. Juli 2015.

Der Erpresser forderte per Anruf über die Hotline der Lidl Stiftung 1,2 Millionen Euro, die auf ein Offshore-Konto auf Malta überwiesen werden sollten. Genau in diesem Umstand sah der ermittelnde Beamte eine Parallele zum Entführungsfall Anneli R., da Markus B. den zu erpressenden Betrag ebenfalls auf ein Offshore-Konto auf Malta überwiesen haben wollte. Daher beschäftigte sich KOK Kurt H. nun auch mit dem Fall Anneli R. Der Lidl-Erpresser wiederum drohte bei Nichtzahlung mit präparierten Produkten in mehreren Filialen. Des Weiteren kündigte er an, eine Äther-Bombe zu zünden, wobei der Einsatz von Äther eine weitere Parallele der beiden Fälle darstellt.

Nun wird ein zweiter Anruf des Lidl-Erpressers – mutmaßlich Markus B. – im Gericht vorgespielt, der deutlich zeigt, wie gefährlich Dummheit sein kann: Es ist zu hören, wie sich der mutmaßliche Erpresser Markus B. an eine Teamleiterin der Hotline der Lidl Stiftung weitervermittelt lässt, die tatsächlich allerdings eine gut ausgebildete Polizeibeamtin ist. Markus B. lässt sich auf ein Gespräch ein und beantwortet auch jegliche Nachfragen.

Dieses Gespräch vermittelt den Eindruck, dass der Anrufer wie ein Ochse mit einem Ring in der Nase in der Arena vorgeführt wird.

Akustikspezialist Dr. K. vom Bundeskriminalamt stellt nun im Nachhinein fest, dass es sich hinsichtlich der Anrufe bei der Lidl Stiftung sowie im Fall Anneli R. um ein und denselben Anrufer handelt: mutmaßlich Markus B.

Beweisantrag der Verteidigung

Nun stellt die Verteidigung von Markus B. einen erneuten Beweisantrag und fordert, zu ermitteln, auf welche Art und Weise DNA-Spuren an den Spanngurt, der um den Hals des Opfers gelegt worden war, gekommen sein könnten. Hintergrund dieses Antrags ist die Aktenlage, wonach auf dem Spanngurt nur DNA-Spuren von Anneli R. gefunden wurden. Da die Verteidigung nun davon überzeugt ist, dass Markus B. keine Handschuhe getragen hat, hätten dessen DNA-Spuren zu finden sein müssen, wäre er tatsächlich der Mörder. Da es laut Akten offenbar keine DNA-Spuren von Markus B. auf dem Spanngurt gibt, mutmaßt die Verteidigung, dass er auch nicht der Mörder sein kann.

Die Verteidiger des Angeklagten Norbert K. antworten sofort auf diesen Beweisantrag und halten ihn nicht für hilfreich. Der Spanngurt, von dem Norbert K. gesprochen hat, sei nicht schwarz-orange gewesen wie jener, der dem Opfer um den Hals gelegt wurde, sondern blau.

Aussage der Halbschwester von Markus B.

Hiernach sagt die Zeugin Carla Andrea H. (54) aus. Sie ist die Halbschwester von Markus B., eine von insgesamt fünf Geschwistern des Angeklagten. Als ihr Halbbruder geboren wurde, war die Zeugin 14 Jahre alt. Da sie mit 18 ausgezogen sei, habe sie nur vier gemeinsame Jahre mit dem Angeklagten unter einem Dach gelebt. Sie habe den Kontakt zu ihm schon lange komplett eingestellt, da Markus B. im Alter von 15 Jahren ein neunjähriges Mädchen aus der Verwandtschaft im Intimbereich angelangt habe. Da ihre gemeinsame, kürzlich verstorbene Mutter Markus B. in dieser Sache immer nur in Schutz genommen habe, habe sie den Kontakt von sich aus abgebrochen.

Es gibt zwischen den Halbgeschwistern keinen einzigen Blickkontakt.

Hiernach gibt das Gericht zwei Beschlüsse bekannt. Zuerst wird der Antrag der Verteidigung von Norbert K. abgelehnt, wonach es eine erneute Hörung der Sekretärin der Polizei geben sollte, die in einem Bericht das Wort „Beschuldigter“ in Anführungsstriche geschrieben hatte. Begründung: Das ist für die Urteilsfindung bedeutungslos.

Dem heutigen Antrag der Verteidigung von Markus B. bezüglich der DNA-Feststellung wiederum wird insofern stattgegeben, als dass zum morgigen Verhandlungstag ein DNA-Sachverständiger des LKA Sachsen gehört werden soll.

Somit endet der heutige Verhandlungstag um 14:50 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Neunter Verhandlungstag | Erklärung der Täteranwälte

Am heutigen neunten Verhandlungstag, dem 8. August 2016, sind 15 Zuschauer anwesend sowie ein TV-Team, zwei Fotografen und zehn Journalisten.

Die Überschrift des Tages verdient nur einen Titel: „Menschenverachtende Erklärung der Täter Anwälte!“

Zuerst gibt der Rechtsanwalt Rolf F. aus Dresden eine Verteidigererklärung für seinen Mandanten Markus B. ab. Er bezieht sich auf das Gutachten des Rechtsmediziners des letzten Verhandlungstages zum Obduktionsbericht der entführten und getöteten Anneli R.

Da der Rechtsmediziner den genauen Todeszeitpunkt nicht auf die genaue Stunde und Minute festlegen konnte und auch die Todesursache (Tod durch Ersticken) nicht zu 100 Prozent feststellen konnte, hinterfragt der Anwalt die Allein-Täterschaft oder überhaupt die Täterschaft seines Mandanten Markus B. Dahingegen stellt er zur Ermordung der Annelie R. er die These auf, dass auch der Mitangeklagte Norbert K. der alleinige Täter sein könnte.

Danach gibt auch der Verteidiger vom Mittäter Norbert K., Rechtsanwalt Andrej K. aus Dresden, eine Erklärung ab. Darin bezieht auch er sich auf die Gutachtenerstattung des Rechtsmediziners zur Todesursache der Anneli R. Erst spricht er über Erstickung oder Erdrosselung als Todesursache aus und erklärt noch einmal den Vorgang der Komprimierung des Halses von Anneli R. Ihr Hals hatte bei normalem Zustand einen Umfang von 31 Zentimetern. Durch das Anlegen von Kabelbindern und das gewalttätige Zuziehen derselben wurde der Hals auf brutalste Weise auf einen Umfang von 26 cm komprimiert. Letztlich stellt der Verteidiger die Täterschaft seines Mandanten Norbert K. in Abrede.

Auch diese Erklärungen der Verteidiger sind äußerst grenzwertig und menschenverachtend einzustufen. Die Eltern und die Schwester der getöteten Anneli sitzen mit im Saal und müssen sich diese ungeheuren Erklärungen mit anhören. Dabei haben diese nur einen einzigen Sinn: Sie sollen bei Gericht Zweifel streuen. Ich empfinde sie als äußerst unanständig und unmoralisch und es hat meiner Meinung nach auch nichts mit einer korrekten Mandantenverteidigung zu tun.

Des Weiteren ist bemerkenswert, dass der Anwalt von Markus B. in seiner Erklärung einen anderen, den als Mittäter angeklagten Norbert K., der Tat beschuldigt. Dies ist ihm nur erlaubt, wenn er durch seinen Mandanten nicht erfahren hat, wer der wirklich Schuldige ist. Denn wenn ein Verteidiger weiß, wer der Schuldige ist, darf er keinen anderen beschuldigen. Dass Verteidiger Rolf F. von seinem Mandanten nicht erfahren haben soll, wer der tatsächliche Mörder ist, kann ich, nach allem was ich in den bisherigen Verhandlungstagen gesehen und erlebt habe, nicht glauben.

Zudem muss man berücksichtigen, dass Mittäter Norbert K. zum Tatgeschehen des Mordes bereits eine Aussage getätigt hat und diese lässt nur die Täterschaft in Person des Angeklagten Markus B. zu. Markus B. hatte zudem jederzeit die Möglichkeit, sich zum Tatgeschehen zu äußern, was er jedoch nicht getan hat. Das ist zwar sicherlich sein Recht. Doch wäre er unschuldig, hätte er dies jederzeit tun können – und sollte es auch!

Nach den Verteidigererklärungen werden heute noch weitere Zeugen gehört. Unter anderem ein Handelsvertreter, der mit dem Angeklagten Markus B. zwei Bauprojekte realisieren wollte. Des Weiteren eine Maklerin, die für Markus B. einen Hauskauf realisiert hat, sowie ein Landschaftsgärtner, der zu diesem Haus die Außenanlagen gestaltet hat. Außerdem wird ein Handwerker befragt, der in dieses Haus eine Küche eingebaut hat. Ebenso wird ein Hausverkäufer als Zeuge vernommen, der dem Angeklagten Markus B. ein Haus im Wert von 350.000 Euro verkauft hat. Die genannten Zeugen beklagen eine Gesamtschadenssumme von über 530.000 Euro. Sie alle haben dem Angeklagten vorbehaltlos vertraut, da Markus B. ihnen schön klingende Geschichten, jedoch vermutlich auch gefälschte Dokumente aufgetischt hat. Insbesondere beeindruckte Markus B. wohl hinsichtlich seiner beruflichen Herkunft als Caterer, da er mit einer Jacke des Formel 1-Teams von Red Bull aufgetreten ist: Da diese im freien Handel nicht zu kaufen ist, schien er wohl Beziehungen zur Formel 1 zu haben, so die ungeprüften Vermutungen der Zeugen.

Hier fühlt man sich an die Geschichte des Soldaten Schweijk erinnert.

Auch ein Freund der Familie von Markus B., Mike W., ein Techniker aus Klipphausen, wurde als Zeuge vernommen. Durch den gemeinsamen Schulbesuch der Söhne der beiden Familien baute sich eine engere Bindung zum Angeklagten Markus B. auf. Man grillte zusammen, besuchte das Freibad gemeinsam und traf sich beim Fußball.

Die Spanngurte, mit denen Anneli R. getötet worden ist, kamen von Mike W. Von all den Umständen und Taten zum Nachteil der Familie R. habe der Zeuge angeblich nichts gewusst. Auch folgende Bemerkung von Markus B., die dieser beim Vorbeifahren am abgesicherten Haus eines reichen Unternehmers aus Grumbach äußerte, kam Mike W. nicht verdächtig vor: „Man müsste den mal entführen.“

Die Staatsanwältin konfrontiert Mike W. nach der Befragung damit, dass er doch näheren Kontakt zu Markus B. und damit Kenntnis seiner Lebenssituation gehabt haben müsse. Dazu weißt der Zeuge jedoch erhebliche Erinnerungslücken auf. Im Nachhinein habe er die große Befürchtung gehabt, dass er irgendwie mit in diese Tat hineingezogen werden könnte.

Nun stellt der Verteidiger von Norbert K. den Antrag, die Zeugenaussage des Polizeidirektors Detlef L., der als verantwortlicher Polizeiführer in den Nachtschichten vom 13. bis zum 16. August 2015 eingesetzt war, inhaltlich überprüfen zu lassen. Der Zeuge, so der Anwalt, habe sich mit anderen Zeugen vor ihm ausgetauscht und auf diese Weise informiert. Insbesondere zweifelt der Verteidiger immer noch die rechtmäßige Festnahme seines Mandanten an, da nicht nachweisbar sei, dass tatsächlich „Gefahr im Verzug“ war. Dies insbesondere deshalb, weil ein dringender Tatverdacht gegen Norbert K. seiner Meinung nach nicht vorlag.

Die Art und die Dauer der Nachfragen von Andrej K., dem Anwalt von Norbert K., nerven den Zeugen offenbar. Das wird deutlich, weil dessen Antworten vehementer und lauter ausfallen. An dieser Stelle wäre ein professionelleres Verhalten des Zeugen, der immerhin Polizeidirektor ist, angezeigt.

Als letzter Zeuge des heutigen Verhandlungstages erscheint der Erste Polizeihauptkommissar (EPHK) Jens N. von der Bereitschaftspolizei des Landes Sachsen. Er ist Einheitsführer einer taktischen Einheit und hatte den Auftrag, den Dreiseitenhof des Hauptangeklagten Markus B. zu durchsuchen. Zwischen der Durchsuchung im Inneren und auf dem Außengelände begab er sich in den Außenbereich, um dort für seine Mannschaft einzelne Suchbereiche einzuteilen. Hier fiel ihm ein frischer Erdhaufen an einer Mauer zwischen zwei Seiten des Hofes auf. Er schob circa zehn Zentimeter Erdreich weg und entdeckte dort die Leiche von Anneli.

Mit dieser Aussage endet der heutige Verhandlungstag um 15:01 Uhr. Die Verhandlung wird am 18. August 2016 fortgesetzt.

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

Achter Verhandlungstag

Der achte Verhandlungstag beginnt 9:07 Uhr, es sind zwei Kamerateams vor Ort, etwa zehn weitere Journalisten, zwei Fotografen sowie rund 30 Zuschauer.

Die drei Zeugen des Vormittags sind Polizeibeamte der Polizeidirektion Dresden, die der SOKO Marie angehörten. Sie waren insbesondere mit der Auswertung der Verbindungsdaten der jeweiligen Telefonanschlüsse beschäftigt und darüber hinaus mit der Recherche der persönlichen Verhältnisse und Finanzen der Angeklagten betraut.

Bei den Familienverhältnissen ging es auch um die Vita der Angeklagten und Informationen über deren Familie und Freunde. Hierbei wurde festgestellt, dass der Angeklagte Markus B. ein Prepaid-Handy auf den Namen Helmut Meyer in seinem Eigentum hatte und mit diesem auch zum Tatgeschehen telefonierte. Im Rahmen eines früheren Verhandlungstages wurde bereits über ein Telefonat zwischen den beiden Angeklagten berichtet. Bei diesem Telefonat unterhielten sich die beiden über die Entführung so, als ob sie es als unbeteiligte Dritte betrachten würden. Eine Zeugin teilt mit, dass sie sich sehr zynisch und sarkastisch über die Entführung unterhalten hätten und dass genau dieses Verhalten sie bei der Polizei äußerst verdächtig gemacht habe. Es wurde ebenfalls festgestellt, dass am 11. August bereits der erste Versuch einer Entführung der Anneli R. stattgefunden hat.

Es ist durchaus ‚üblich‘, dass es bei Entführungsfällen mehrere Versuche oder Generalproben seitens der Täter gibt.

Bei der Überprüfung der Festplatten wurde festgestellt, dass sich Markus B. in den letzten Wochen vor der Tat insbesondere mit den folgenden Themen beschäftigte: Betäubungsmittel, Entführung, Auslandskonto, Anneli R., Ramona R., Ersticken, Ersticken durch Plastiktüte, Äther-Betäubung, Polizei Dresden, Rattengift, Nachrichten MDR.  Ebenfalls gab es am 27. Juli einen Anrufversuch bei Ramona R. Am gleichen Tag wurde die Facebook-Seite von Uwe R. durch den Angeklagten Markus B. gelikt. Außerdem schickte Markus B. am 27. Juli ein Foto an seine Mutter, auf dem ein Reh und im Hintergrund das Hausdach der Familie R. zu sehen ist.

Darüber hinaus wurde eine Polizeipanne der Verhandlungsgruppe durch die TKÜ bekannt: Am 14. August wurde Uwe R. auf seinem Handy von Markus B. angerufen. Dieses Handy war zur Verhandlungsgruppe des LKA umgeleitet – allerdings wurde dieser Anruf nicht entgegengenommen. Warum, konnte nicht ermittelt werden.

Bei der Befragung wurden insbesondere bei vielen Zeugen zunächst Fragen des Angeklagten Norbert K. durch den Anwalt K. gestellt, die die Zeugen zuständigkeitshalber nicht beantworten konnten. Eine natürliche Reaktion des Menschen ist es, sich in die Defensive gedrängt zu fühlen. Nach zwei bis drei Fragen dieser Kategorie stellt der Anwalt dann eine Frage, die ihn wirklich interessiert und die von den Zeugen auch beantwortet werden kann. Da der jeweilige Zeuge dann froh darüber ist, eine Antwort geben zu können, beantwortet er diese Fragen dann intensiver als es eigentlich notwendig oder gewollt war. Dadurch erfährt der Anwalt mehr, als wenn er die Frage direkt am Anfang gestellt hätte.

Zu den persönlichen Verhältnissen und Finanzen des Angeklagten Norbert K.: Er hatte drei Gewerbe angemeldet – eines für Finanzen und Versicherungen, eines als Handelsvertreter und das Dritte zum Themenbereich Edelmetalle. Insgesamt hatte er Schulden von circa 40.000 Euro. In den Jahren vor der Tat hat er Leistungen von der Arbeitsagentur erhalten, die inklusive Mietzuschuss monatlich 801 Euro ausmachten. Der Angeklagte Norbert K. wurde dreimal geschieden, hat drei Geschwister und eine Ausbildung zum Floristen abgeschlossen.

Bei dem Angeklagten Markus B. war die Recherche komplizierter, da es sehr viele falsche Angaben gab. Diese falschen Angaben wurden insbesondere durch Markus B. selbst gemacht. Er habe sowohl eine Ausbildung zum Fleischer wie auch zum Dachdecker gemacht, diese aber beide nicht abgeschlossen. Anfang der 2000er Jahre war er für ein Jahr wegen Betruges in der JVA Stuttgart. Ab 2005 hatte er ein Gewerbe als Koch, Caterer und Eventmanager angemeldet. Zwischen 2009 und 2012 musste er keine Steuererklärung beim Finanzamt abgeben, weil er mitteilte, dass er in der JVA Stammheim eingesessen habe. Dies entsprach nicht den Tatsachen, wurde aber seitens des Finanzamtes nicht überprüft. Dem Arbeitsamt gegenüber machte Markus B. glaubhaft, dass er einen Abschluss als Bachelor of Arts gemacht habe. Daraufhin wurde er in die Qualitätsstufe 1 eingestuft und bekam so den höchsten Satz von Euro 1.300 Euro. Seine Schulden betrugen 571.000 Euro, die auf folgende Ausgaben zurückzuführen sind:  Hauskauf über 350.000 Euro, Gartengestaltung 77.000 Euro, Malerarbeiten 10.000 Euro, neue Küche 24.000 Euro sowie Maklerkosten in Höhe von 11.000 Euro. Markus B. wurde 1976 geboren, war verheiratet, hatte zwei Kinder und die Mittlere Reife. Alle weiteren Angaben seines Lebenslaufes waren falsch. Er erzählte, dass er dem Rocker Club MC Gremium angehört habe und wegen Zuhälterei und illegalen Waffenbesitzes zehn Jahre im Gefängnis gewesen habe. Auch diese Story ist gelogen.

Als letzte Zeugin vor der Pause erscheint Frau Katrin K., die dritte geschiedene Frau von Norbert K. Die 55-jährige Lehrerin aus Dresden verweigert jedoch die Aussage.

Nach der Mittagspause erstattet der sachverständige Rechtsmediziner Dr. Schmidt sein Gutachten zur Obduktion der Leiche von Anneli R.

Die Eltern von Anneli sind nun nicht mehr im Saal, und der Zeuge spricht auch die Schwester Annett R. an, ob sie weiter anwesend sein möchte, was diese bejaht. Diese zweieinhalb Stunden andauernde Zeugenaussage über jedes Detail möchte ich hier den Lesern ersparen und aus Respekt vor der Familie nicht detailliert darlegen. Eine genaue Wiedergabe des Sektionsprotokolls und weitere Angaben halte ich nicht für angebracht.

Ich höre nicht zum ersten Mal einen Obduktionsbericht. Dieser hier ist allerdings sehr, sehr schwer zu ertragen. Wie die Schwester von Anneli R. das alles so verkraften kann, kann ich mir kaum erklären.

Zum Ende des Verhandlungstages gibt das Gericht bekannt, dass alle weiteren Zeugen des Prozesses bis zum 18. August vernommen werden und die Beweisaufnahme durch das Gericht dann geschlossen werden soll. Falls die Parteien noch weitere Zeugen hören wollten, so sollen sie diese zeitnah benennen.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

Siebter Verhandlungstag

Dieser Verhandlungstag am 18. Juli 2016 beginnt um 9:42 Uhr, nachdem wieder alle bekannten Parteien eingetroffen sind. Auch die Medien sind erneut vertreten, diesmal mit einem Kamerateam, vier Fotografen und circa 20 Journalisten. Des Weiteren sind über 30 Zuschauer im Saal.

Allerdings beginnt die Verhandlung heute später, da es zu Überschneidungen mit einem anderen Prozess und Terminverschiebungen gekommen ist. Hinzu kam die Krankmeldung einer Zeugin, sodass der erste Zeuge, Kriminalhauptkommissar M., schließlich gegen 11:30 Uhr gehört werden kann.

Die bis dahin verfügbare Zeit wird durch das Gericht zunächst dafür verwendet, mitzuteilen, dass sich der Stiefbruder des Täters Markus B. bei der Polizei gemeldet hat. Er habe von Markus B. ständig SMS aus der JVA erhalten. Die Polizei hat daraufhin sofort veranlasst, eine Durchsuchung der Zelle durchzuführen, wobei das entsprechende Handy gefunden wurde. Zudem hat der Stiefbruder mitgeteilt, dass es eine Silke B. gebe, die zu den Zuständen der Familie Markus B. aussagen könne. Er selbst könne über die Familie jedoch nur berichten, dass diese untereinander zerstritten sei. Der Stiefbruder wird in den kommenden Verhandlungstagen als Zeuge gehört werden.

Darüber hinaus, so das Gericht, werde auch eine Sandra K. als Zeugin in den Gerichtssaal kommen, denn sie habe am 14. August 2015 per E-Mail oder SMS mit dem Angeklagten Markus B. in Kontakt gestanden, dies jedoch zu diesem Zeitpunkt zum letzten Mal.

Als der Angeklagte Markus B. seinen Aktenordner hochhebt, kann man seine Hände sehen. An beiden Händen sind die Fingerkuppen mit Heftpflastern umklebt.

Antrag auf Erweiterung der Anklage gegen Norbert K.

Bevor das Gericht nun in die Pause bis zum nächsten Zeugen gehen kann, stellt der Nebenkläger-Anwalt von Uwe und Ramona R. noch einen Antrag und fordert, dem Angeklagten Norbert K. einen rechtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen. Diese soll sich auf die Erweiterung der Anklage beziehen, da Norbert K. auch des Mordes durch Unterlassen angeklagt werden kann. Das habe die bisherige Beweisaufnahme ergeben. Norbert K. habe die Mordtat mit angesehen sei nicht eingeschritten, sondern habe die Scheune verlassen. Seine Aussage habe Inhalte von Täterwissen gezeigt. Dieses habe Norbert K. nur durch mindestens teilweise Teilnahme erlangen können.

Nun wird in Anwesenheit der Familie R. die Tötungshandlung erneut detailliert beschrieben. Der Verteidiger von Norbert K. ist nicht begeistert und verzieht sorgenvoll sein Gesicht, er verschränkt die Arme, die Augen schärfen sich und die Lippen werden schmal. Tiefe Sorgenfurchen durchziehen seine Stirn. Der Angeklagte Norbert K. hingegen schüttelt hin und wieder den Kopf. Es gibt die starke Befürchtung, dass der Verteidiger von Norbert K. auf diesen Antrag ebenfalls mit einem Antrag reagieren wird. Das wäre das bisher bekannte typische Reaktionsverhalten.

Der Nebenkläger-Anwalt führt weiter aus, dass der Angeklagte Norbert K. versucht habe, seine Tatbeteiligung zu verdecken und Spuren zu vermeiden. Des Weiteren habe er Markus B. den entscheidenden Hinweis gegeben, dass das Opfer ihn möglicherweise identifizieren könne, da Markus B. bei der Tatausführung seine Maske vergessen hatte. Diese Umstände sprechen deutlich für eine hohe kriminelle Energie von Norbert K.

3-D-Präsentation des Tat- und Auffindeorts

Zwischenzeitlich ist es 11:36 Uhr und an der Zeit, Kriminalhauptkommissar Peter M. (57) vom LKA Sachsen als Zeugen zu hören. Er hatte am 17. August 2015 Bereitschaftsdienst und wurde um 17:21 Uhr angerufen. Er begab sich zum Auffindeort der Leiche; vor Ort waren weitere Kollegen der Polizeidirektion Dresden. Man hat den Fundort mit einem Laserscanner aufgenommen, sodass dem Gericht und den Parteien nun eine 3-D-Simulation von Tatort und Auffindeort gezeigt werden kann.

Die Eltern verlassen den Saal, die Schwester bleibt trotz Ansprache durch die Vorsitzende Richterin im Raum. Man merkt ihr an, wie sie zu kämpfen hat. Der Angeklagte Markus B. betrachtet die Bilder sehr interessiert. Der Angeklagte Norbert K. schaut inhaltslos geradeaus, sieht sich die Bilder nicht einmal flüchtig an.

Der Fundort befand sich auf einem Dreiseitenhof zwischen Stall und Scheune. Beide Gebäude sind mit einer kurzen Mauer verbunden, hinter der die Leiche von Anneli R., außerhalb des Dreiseitenhofs, vergraben wurde.

Zu all dem wird nun unter anderem auch ein Bild der Leiche gezeigt – ein Moment, der auch für die Zuschauer nur schwer zu ertragen ist. Detailliertere Bilder werden jedoch am Richtertisch in Augenschein genommen und somit der Öffentlichkeit vorenthalten. Es sind nur noch die mündlichen Erklärungen des Zeugen zu den einzelnen Bildern zu hören. Norbert K. verharrt in seiner Körperhaltung. Marcus B. bespricht sich angeregt mit seinen Anwälten und schaut sich die Bilder auf dem Laptop seines Anwalts an.

Auf den Bildern, die in der Scheune erstellt worden sind, sieht man einen grünen Kunststoffstuhl auf dem Anneli R. gefesselt worden war, des Weiteren sind Kabelbinder, Spanngurte und graues Klebeband zu sehen. Im Außenbereich befinden sich sowohl eine Feuerstelle als auch eine Metalltonne (Ölfass). Hier wie da finden sich Brandrückstände, unter anderem von Kabelbindern und einem BH-Bügel. Um 12:55 Uhr wird der Zeuge entlassen.

Nach der Mittagspause wird eine weitere Zeugin, die Kriminalhauptkommissarin Katrin S. von der Polizeidirektion Dresden, gehört. Sie war in dem Fall von Anfang an dabei und im Führungsstab tätig. Unter anderem wurde sie bei der Leichenbergung eingesetzt. Ihre Zeugenaussage beinhaltet den gesamten Verlauf des Auffindens, der Freilegung, der Bergung und des Abtransports der Leiche von Anneli R. durch ein Bestattungsunternehmen. Man merkt der Beamtin an, dass ihr das Sprechen sehr schwer fällt. Sie teilt mit, dass die Leiche durch einen aufmerksamen Polizeibeamten der Bereitschaftspolizei bei der Gesamtdurchsuchung des Dreiseitenhofs und der weiteren Umgebung gefunden worden sei. Den genauen Fundort hatte der Angeklagte Norbert K. allerdings parallel in seiner Aussage mitgeteilt.

Gegenantrag von Norbert K.

Nach der Kriminalhauptkommissarin kommt das Unausweichliche und Erwartete: Der Verteidiger von Norbert K. meldet sich bei Gericht zur Abgabe eines Antrages. Auch verlangt er, seinem Mandanten einen rechtlichen Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen, nachdem ihm ausschließlich mitgeteilt wird, dass er nur zur Beihilfe eines erpresserischen Menschenraubes angeklagt werden könne. Eine Beteiligung von Norbert K. an der Entführung und Ermordung von Anneli R. sei nicht gegeben. Er habe ausschließlich und nachweisbar nur am Transport von Anneli R. vom Entführungsort bis zum Verwahrort mitgewirkt. Alles andere sei das Werk von Markus B. gewesen. Norbert K. habe weder töten noch entführen wollen. Ebenso habe er kein Lösegeld gewollt.

Dieser Antrag war vorherzusehen. Natürlich ist dem Anwalt von Norbert K. nicht entgangen, wie hoch der Anteil von Norbert K. an der Tatbeteiligung ist. Das lässt er in seinem Antrag natürlich außen vor. Ein nachvollziehbares Verhalten, denn seine Aufgabe ist es, seinen Mandanten bestmöglich zu vertreten. Daher kann er eine Nebelbombe nach der anderen werfen. Sein Hauptinteresse wird sein, beim Gericht Zweifel an der Schuld seines Mandanten zu säen.

Nach dem Antrag endet der Verhandlungstag um 14:23 Uhr.

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Reker-Prozess: Zwölfter Verhandlungstag | Das Urteil: 14 Jahre Haft

Der zwölfte und letzte Verhandlungstag findet am 1. Juli 2016 statt. Beginn ist um 14:00 Uhr. Heute wird ausschließlich das Urteil bekannt gegeben, daher sind fünf TV-Teams, zehn Fotografen und über fünfzig Journalisten bei Gericht.

Am Anfang gibt die Vorsitzende bekannt, dass der Beschuldigte Frank S. zu 14 Jahren Haftstrafe wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wird. Danach erklärt sie außerdem, dass es bei diesem Prozess keinerlei Versuche politischer Einflussnahme gegeben hat. Hintergrund der Erklärung: Der Prozess wurde beim Staatsschutzsenat verhandelt, weil der Täter eine politische Motivation angegeben hat und durch sein Attentat auf eine politische Mandatsträgerin eine politische Willensbeeinflussung herbeiführen wollte. Aufgrund dessen musste eine Gefährdung der Inneren Sicherheit in Betracht gezogen werden.

Wie ich bereits nach dem sechsten Verhandlungstag feststellte, macht diese Tatmotivation deutlich, dass Frank S. dem Täter-Typ „Terrorist“ entspricht.

Die Vorsitzende Richterin schildet nun, die vorgenommene rechtliche Beurteilung habe zum einen ergeben, dass mit der Haupttat von Frank S. ein Mordversuch vorlag. Zum anderen war zu prüfen, ob die Gesamtheit seiner Taten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe führen müsse.

Reker-Prozess: Zwölfter Verhandlungstag | Das Urteil: 14 Jahre Haft

Der Täter und sein Vortat-Verhalten

Danach werden nochmals die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten detailliert geschildert. Es wird auf seine Kindheit, seinen beruflichen Werdegang, seine Zeit bei der Bundeswehr sowie seine Wohnsituation und sein Freizeitverhalten eingegangen. Zum Thema Persönlichkeitsstörung wird erneut festgestellt, dass diese als schwerwiegend einzuschätzen sei. Es liege eine paranoide und narzisstische Störungen vor. Frank S. sei immer angespannt, misstrauisch und rechthaberisch.

Bezüglich des Vortat-Verhaltens und der Tatausführung erklärt die Vorsitzende Richterin, Frank S. habe über die lange Zeit von zwei Jahren vor der Tat im Internet viel über das Thema Flüchtlinge gelesen. Dies habe Frank S. auf die Idee gebracht, auf Henriette Reker, als politische Symbolfigur im Wahlkampf, ein Attentat zu verüben. Der konkrete Entschluss zur Durchführung sei spätestens am Vortag der Tat entstanden. Frank S. habe Henriette Reker töten wollen und hierfür gezielt den 17. Oktober 2015, den Tag vor der Wahl, ausgesucht. Am 16. Oktober habe sich der Täter im Internet nochmals über die Wahlkampftermine der Bürgermeisterkandidatin informiert.

Er habe keinen Fluchtplan gehabt und gewusst, dass er nicht in seine Wohnung zurückkehren würde. Deshalb habe er seinem Vermieter den Zweitschlüssel zur Wohnung auf den Tisch gelegt, die Festplatte seines Computers entsorgt und zur Renovierung der Wohnung einen großen Eimer Farbe bereitgestellt.

Die Tatwaffe war ein sogenanntes Bowie- oder Rambomesser mit einer Gesamtlänge von 46 Zentimetern. Die Messerklinge war 30 Zentimeter lang bei einer Breite von 6 Zentimetern. Er habe getestet, wie er das Messer in einer Lederscheide am rechten Bein befestigen könnte und außerdem das schnelle Ziehen des Messers trainiert.

Am Morgen des 17. Oktober habe er noch drei Bier à 0,5 Liter getrunken, um seine Hemmungen loszuwerden. Er habe einen Overall angezogen und darüber ein schwarzes Kapuzenshirt. Danach habe er sich mit der Bahn zum Tatort begeben, Aachener Straße Nummer 456.

Der Tötungsvorsatz sei alleine durch die Wahl des großen Rambomessers belegt. Er sei auch dadurch deutlich geworden, dass er einen gezielten Stich in den Hals von Henriette Reker ausführte. Dieser Stich durchstach die Luftröhre vorn und hinten und traf mit der Spitze des Messers auf den zweiten Brustwirbelkörper. Der Stich war so heftig, dass an diesem Wirbelkörper kleine Knochenteile abgesprengt wurden.

Es wurden außerdem noch zwei weitere Wahlkampfhelfer mit dem Rambomesser verletzt. In diesen Fällen habe der Senat jedoch keine Tötungsabsicht feststellen können. Zwei andere Wahlkampfhelfer wurden von Frank S. durch sein zweites mitgebrachtes Messer, ein Butterflymesser, ebenfalls schwer verletzt.

Sein Ziel, dass Henriette Reker nicht Oberbürgermeisterin der Stadt Köln wird, hat er durch die Tat nicht erreicht. Teilweise hat Frank S. zum objektiven Tatgeschehen ein Geständnis abgegeben.

Frank S. schüttelt zwischendurch immer wieder mal den Kopf, insbesondere bei dem Vorhalt, das Bowiemesser auch bei anderen Menschen benutzt zu haben, und auch bezüglich seiner Einlassung zur Tötungsabsicht gegenüber der Polizei.

Bewertung der Taten

Eine verminderte Schuldfähigkeit könne Frank S. keinesfalls zuerkannt werden. Er habe zwar eine Persönlichkeitsstörung, diese beeinträchtige jedoch nicht seine Fähigkeit zur Einsicht von Unrecht.

Die Tat werde rechtlich als versuchter Mord gemäß § 211 StGB eingestuft. Sie sei heimtückisch gewesen, aber es lägen keine niedrigen Beweggründe vor, insbesondere deshalb, weil Frank S. nicht aus egoistischen Gründen wie Mordlust oder Habgier gehandelt habe. Betreffend des Opfers Henriette Reker sei das Motiv dadurch entstanden, dass sie die Repräsentantin der Flüchtlingspolitik in Köln war und, weil sie seiner Meinung nach vorgetäuscht hat, parteilos zu sein. Beeinflusst worden seien seine Gedanken durch seine Internetrecherchen und die nicht vorhandenen Sozialkontakte. Einen Rücktritt vom Versuch könne Frank S. ebenfalls nicht nachweisen, insofern habe er rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.

Bei den Taten zum Nachteil der anderen Verletzten liege eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB vor. Bei der Strafzumessung bezüglich des versuchten Mordes werde die Gefährlichkeit des Vorgehens (Einsatz des großen Rambomessers), die hohe kriminelle Energie (Planung und Vortat-Verhalten) sowie die Nähe der Vollendung (Lebensgefährlichkeit der Verletzung) in die Bewertung einbezogen.

Daraus ergebe sich folgende kumulierte Haftstrafe: für den versuchten Mord an Henriette Reker zwölf Jahre, für die gefährliche Körperverletzung an der Gruppe von Wahlkampfhelfern fünf Jahre und für die gefährliche Körperverletzung bei der Wahlkampfhelferin B. drei Jahre. Schlussendlich erhält Frank S. die Gesamtstrafe von 14 Jahren Haft.

Hiernach teilt das Gericht noch den Beschluss mit, dass die U-Haft zunächst fortdauert. Der verurteilte Frank S. wird des Weiteren zum Thema Revision belehrt, woraufhin er sofort bekanntgibt, dass er auf jeden Fall in das Revisionsverfahren einsteigen wird, dann jedoch mit einem „richtigen“ Anwalt.

Der letzte Prozesstag wird um 15:26 Uhr geschlossen.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

Sechster Verhandlungstag | Erneute Schilderung des Grauenhaften

Der heutige sechste Verhandlungstag beginnt um 9:10 Uhr. Neben zehn Zuhörern sind sechs Pressevertreter, ein Kamerateam sowie vier Fotografen anwesend.

Zu Beginn gibt die Vorsitzende Richterin die heutige Abwesenheit von Professor G. bekannt, der als Gutachter den Prozess begleitet. Anschließend gibt der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung ab.

Hierbei bezieht er sich auf die gestrige Zeugenaussage der Kriminalhauptmeisterin W. und bemängelt, diverse Zeiten in den Protokollen würden nicht stimmen bzw. seien nachträglich verändert worden. So beispielsweise die durch Kriminalhauptmeisterin W. eingeräumte Änderung des Vernehmungsprotokolls. Die Beamtin hatte das Protokoll erst lange nach der Vernehmung geprüft und verändert. Sie begründete dies damit, dass es Fehler in der Mitschrift gegeben habe, die ihr unlogisch erschienen und die sie deshalb habe ändern wollen. Außerdem geht es dem Verteidiger in seiner Erklärung um die seines Erachtens fehlende Grundlage der vorläufigen Festnahme des Norbert K. bzw. um die fehlende Dokumentation der Grundlage. Gefahr im Verzug habe seiner Ansicht nach nicht vorgelegen. Auch die Fortführung der Vernehmung sei einer rechtswidrigen Beugehaft nahe gekommen. Sein Mandant hätte vorher einem Haftrichter vorgeführt werden müssen. Dass die Gründe für die Fortführung nur auf dem Gefühl der Kriminalhauptmeisterin W. beruhten, Norbert K. „kippe gleich“, reiche nicht aus.

Maskenmann-Prozess

Während der Erklärung gibt es diverse „Kopfschüttler“ bei den Prozessbeteiligten.

Zeugenbefragungen

Um 9:20 Uhr wird der erste Zeuge aufgerufen. Wolfgang H. war der Nachbar des Angeklagten Markus B. Der einzig tatrelevante Fakt der Befragung ist, dass Wolfgang H. Markus B. am 14. August 2015 sehr früh auf dem Grundstück gesehen hatte, was wohl sehr ungewöhnlich war.

Um 9:52 Uhr wird der Polizeihauptmeister S. in den Zeugenstand gerufen. Dieser war am Tag der Entführung der diensthabende Kriminaltechniker und als solcher als erster Ermittler am Auffindeort des Fahrrades. Polizeihauptmeister S. lässt sich bei seiner Aussage klar und allumfassend ein. Fragen beantwortet er gewissenhaft und ohne zu zögern. Inhaltlich wird das meiste am Richtertisch, bei der Inaugenscheinnahme der Fotomappe erörtert.

Um 10:55 Uhr wird Dr. L. als Zeuge belehrt und befragt. Dr. L. sitzt dem Prozess auch als Gutachter bei, soll aber jetzt nicht als Gutachter, sondern als Zeuge zur Einlassung des Angeklagten Norbert K. anlässlich der Erstellung des psychologischen Gutachtens aussagen. Dr. L. interviewte Norbert K. für dieses Gutachten am 28. November 2015; namentlich hat Norbert K. seinen Kumpel Markus B. – den zweiten Angeklagten – nicht erwähnt. Er sprach immer von „dem Typen“ oder „der“.

Die dann folgenden Passagen des Interviews stellen wieder alle Zuhörer auf eine harte Probe, für mich unvorstellbar, wie schwer dies für die anwesende Familie des Opfers sein muss.

Zeugenbericht des Gutachters von Norbert K.

Dr. L. berichtet weiter, dass die beiden Angeklagten sich 2012 kennenlernten. Norbert K. sei bei einem Autodiscounter angestellt gewesen und Markus B. dort Kunde. Beide seien sauer auf den Geschäftsführer gewesen, Norbert K. wegen ausstehender Lohnzahlungen, Markus B. wegen einer falschen Reparatur. So sei man sich nähergekommen. Norbert K. habe es als lockeren Kontakt beschrieben, eine enge Freundschaft sei es nicht gewesen. Im Jahr 2014 sei der Kontakt enger geworden, weil Norbert K. Markus B. chauffierte. Markus B. sei wegen der Krebsmedikamente fahruntüchtig gewesen.

Circa eine Woche vor der Entführung habe Markus B. Norbert K. erzählt, dass er eine Millionärsfamilie kenne, in der sowohl der Mann als auch die Frau Millionäre seien und er wisse, wo die Tochter immer mit dem Hund lang gehe. Diese solle man entführen. Norbert K. soll hierauf gesagt haben „da mache ich nicht mit“. Zwei Tage vor der Entführung habe Norbert K. wieder Fahrdienste geleistet, wobei Markus B. ihn in den Feldweg (späterer Tatort) und zum Haus der Familie gelotst habe. Wieder will K. abgelehnt haben. Auch am Tattag habe Markus B. einen Vorwand erfunden und sich von Norbert K. fahren lassen.

Erneut sei Norbert K. in den Weg gelotst worden und ihm sei klar gewesen, dass es dann passieren sollte. Auch zu diesem Zeitpunkt will er mehrfach gesagt haben, er mache nicht mit. Als er das Opfer sah, habe er abhauen wollen, habe dies dann doch nicht getan und sei im Auto sitzengeblieben. Markus B. soll Anneli R. alleine überwältigt und mit Kabelbindern an den Händen gefesselt haben. Anneli R. habe nicht geschrien. Zuerst habe Markus B. Anneli R. in den Kofferraum gelegt, sie habe sich dann aber selber auf die Rückbank gesetzt. Norbert K. sei gefahren, während Markus B. ihm die Richtung gewiesen habe.

Es sei zu einem ersten Halt gekommen, bei dem Markus B. vom Handy des Opfers den Vater angerufen habe. Hierfür sei Markus B. aus dem Fahrzeug ausgestiegen, aber zurückgekommen, um Anneli R. anzuweisen, einen Laut von sich zu geben. Bei der Weiterfahrt habe Markus B. das Handy in eine Talsperre geworfen. Anschließend seien sie im Zickzack zum Hof von Markus B. gefahren, wobei es vor Erreichen einen weiteren Halt gegeben habe und Anneli R. in den Kofferraum habe steigen müssen.

Norbert K. habe angegeben, er habe nicht fassen können, was passiert und völlig neben sich gestanden. Nach Ankunft sei Anneli R. in der Scheune auf einem Gartenstuhl gefesselt worden. Norbert K. sei dann nach Hause gefahren. Er habe überlegt, die Polizei anzurufen, es aber nicht getan. Um 2:30 Uhr habe ihn Markus B. angerufen, er solle sofort kommen, Markus B. schaffe das alles nicht alleine. Erneut habe sich Norbert K. überreden lassen. Als er auf dem Hof auf einen gesunden Markus B. getroffen sei, habe er wieder fahren wollen. Markus B. habe ihm noch gesagt, „das Mädel“ mache Probleme und sei wieder im Kofferraum. Norbert K. will nur 15 Minuten da gewesen sein. Am nächsten Morgen sei er abermals nach einem Anruf von Markus B. hingefahren und um 10:00 Uhr angekommen. Anneli R. sei noch im Kofferraum gewesen. Gegen 11:00 Uhr habe Markus B. weggemusst und Norbert K. habe auf die nun wieder am Gartenstuhl gefesselte Anneli R. aufpassen sollen. Das habe Norbert K. nicht gewollt, es aber trotzdem getan. Als Markus B. um 12:00 Uhr zurückgekommen sei, habe er Anneli R. gesagt, das alles gut werde und ihr Vater zahlen werde. Er müsse sie allerdings bewusstlos vor der Übergabe machen, dies sei mit dem Vater so abgesprochen. Anneli R. soll dem zugestimmt haben. Allerdings ging der Versuch mit dem Äther schief, weil Anneli R. sich gewehrt habe. Daraufhin soll Markus B. dem Opfer vorgeschlagen haben, es mit einer Plastiktüte zu versuchen, aber auch das habe nicht geklappt. Danach soll Markus B. Norbert K. zum Einkaufen geschickt haben. Als er 40 Minuten später zurückgekommen sei, habe das tote Mädchen nackt auf dem Boden gelegen.

Norbert K. habe das alles nicht verstanden, worauf Markus B. gesagt habe, der Vater zahle nicht. Die Sachen habe Markus B. in einer Tonne verbrannt. Auch dann habe sich Norbert K. von Markus B. überreden lassen, ihm bei der Verbringung des Leichnams in die Grube zu helfen. Zugeschüttet haben soll diese Markus B. alleine, Norbert K. sei nach Hause gefahren. Er habe das alles jedoch alleine nicht verarbeiten können.

Die Entführung habe am 13. August 2015 stattgefunden und am 14. August 2015 will er gegen 12:45 Uhr die tote Anneli gesehen haben. Am 15. August 2015 sei Norbert K. trotz allem wieder zum Grundstück gefahren, um sich um den Hund zu kümmern. Es sei ihm alles wie im Film vorgekommen und er habe immer wieder an der Ablagestelle nachsehen müssen. Markus B. sei auch vor Ort gewesen und habe den Hof mit Makler und Kaufinteressenten begangen.

Auch am 16. August 2015 habe sich Norbert K. wieder um den Hund gekümmert. Am 17. August 2015 sei er dann gegen 4:00 Uhr festgenommen worden. Er habe sich nicht erklären können, warum er nicht eingeschritten sei. Des Weiteren habe er weder etwas mit der Konzeption der Entführung noch mit der Erpressung oder der Tötung zu tun gehabt.

Dr. L. stellte hiernach fest, dass es sich bei der Befragung nicht um eine Ermittlungsmaßnahme gehandelt habe, sondern um ein Interview im Rahmen der Schuldfähigkeitsbegutachtung. Im Wesentlichen habe Norbert K. die Angaben ausführlich und ruhig gemacht, ohne dass der Eindruck entstanden sei, er rede nach einem vorgefertigten Konzept. Norbert K. sei in einer bilanzierenden Verfassung gewesen. Die Aussage von Dr. L. dauert bis 11:30 Uhr, womit der Prozesstag endet.

Bildquelle: Lutz Stallknecht / pixelio.de

Fünfter Verhandlungstag | Ehefrau des Mörders gibt Einblicke in dessen Persönlichkeit

Der heutige Prozesstag (23. Juni) beginnt um 9:10 Uhr. Anwesend sind zwei Kamerateams, zehn Journalisten, fünf Fotografen und 22 Zuhörer. Es wird wie immer beim Zugang des Gerichtssaals überprüft, ob mitgebrachte Mobiltelefone ausgeschaltet sind.

Zu Beginn überreicht die Oberstaatsanwältin ein Gutachten des LKA Sachsen. Danach kündigt die Vorsitzende Richterin an, dass im Zuge der Prozesspause verschiedene Akten im Rahmen des Selbstleseverfahrens übergeben werden. Die genauen Akten wird sie am Ende des Prozesstages benennen. Nun will die Richterin den ersten Zeugen aufrufen, doch bevor dies geschieht, bittet der Vater der Getöteten um die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu verlesen.

Der Vater bezieht darin auf den gestrigen 18. Geburtstag seiner Tochter. Er spricht die vermeintlichen Täter direkt an, nennt ihren Auftritt feige und erbärmlich. „Stehen Sie zu Ihrer Tat“, fordert er Norbert K. und Markus B. auf. Auf die Anmerkung der Richterin „Ich nehme an, Sie wollen dazu nichts sagen“, schweigen die Angeklagten.

Anschließend ruft die Richterin den ersten Zeugen, Christoph A., auf. Christoph A. war einen Tag nach der Entführung auf dem Dreiseitenhof, den Markus B. verkaufen wollte, um sich denselben als Interessent anzuschauen. Vor Ort waren ein Makler, vier weitere Parteien und die Täter. Der Dreiseitenhof war damals auf 230.000 Euro taxiert worden.

Erhellendes zu Norbert K. sowie Markus B. kann der Zeuge nicht beitragen. Interessanterweise wird jedoch nicht erwähnt, dass nicht Markus B. Eigentümer des Hofs war, sondern die Schwiegermutter. Darüber hinaus kann Christoph A. – selbst auf Nachfragen der Prozessbeteiligten – keinerlei Angaben dazu machen, ob ihm der Zugang zu verschiedenen Bereichen des Hofs verweigert wurde. Auch zum Verhältnis der beiden Angeklagten untereinander kann er keinen Beitrag leisten.

Noch-Ehefrau über den Lügner und Mörder Markus B.

Die nun aufgerufene Zeugin ist die Noch-Ehefrau des Angeklagten Markus B., Anne B. Sie ist 33 Jahre alt und nur deshalb noch mit dem Ehemann verheiratet, da eine eingereichte Härtefall-Scheidung aufgrund des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten nicht anerkannt wurde.

Die Zeugin und der Angeklagte haben sich 2004 in Heidelberg kennengelernt und kurz darauf ihre Rückkehr nach Sachsen beschlossen. 2006 kam das erste gemeinsame Kind zur Welt, 2007 folgte das zweite. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt als Koch tätig, ging dann in die Selbstständigkeit und hatte anschließend diverse verschiedene Jobs.

Der Angeklagte habe damals Lügenmärchen erzählt. Er sei, so Markus B., studierter Diplom-Gastronom, habe keinen Kontakt zu seiner Familie, aber fünf Geschwister, die die Ehefrau jedoch nie kennenlernte. Sein Vater sei Großunternehmer und die Mutter Hausfrau. Der Vater wiederum sei sehr vermögend und hätte für alle seine Kinder ein Konto angelegt mit einem Vermögen von jeweils einer Million Euro. Das Vermögen würde nach dem Tod des Vaters zugeteilt. Der Vater sei angeblich 2007 oder 2008 verstorben, doch beide Eheleute waren nicht bei der Beerdigung. Die Legende über die Auszahlung des väterlichen Vermögens sei nur im Hinblick darauf korrigiert worden, dass das Erbe erst zugeteilt würde, wenn auch die Mutter verstorben sei. Zudem habe der Angeklagte seiner Ehefrau erzählt, er sei vier Jahre wegen eines kleineren Betrugs im Gefängnis gewesen und er wolle mit ihr ein neues Leben anfangen. Mit dem noch nicht zugeteilten Vermögen seines Vaters seien verschiedene Häuser in der Planung gewesen. Diese Häuser seien mit diversen Hausbau-Unternehmen sogar bereits geplant worden, und es habe schon von ihm unterzeichnete Verträge gegeben.

Generell sei es in der Ehe klar geregelt gewesen, dass er sich um alle Finanzen kümmere. So habe sie keinerlei Überblick über Finanzen, Versicherungen, Lohn oder Steuer gehabt. Diese Dinge habe sich der Angeklagte Markus B. zu Eigen gemacht und ihr außerdem verboten, die Post, die an ihn gerichtet war, zu öffnen.

Im September 2014 habe sie eine neue Anstellung in Erlangen in Bayern angenommen. Von da an habe die Familie eine Wochenendbeziehung geführt. Die Kinder seien vorerst bei ihrem Vater gewesen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt das Familieneinkommen verdient, zumal er an Hautkrebs erkrankt sei. Man sei sich schnell einig geworden, in Erlangen eine gemeinsame Bleibe zu suchen. Die Suche nach der Immobilie habe der Angeklagte übernommen. Letztendlich habe man sich für eine Immobilie im Wert von 350.000 Euro entschieden. Hinzu sollten Kosten für Umbau, Renovierung und Küche kommen. Insgesamt habe der Angeklagte hierfür nach Aussage der Zeugin, seiner Ehefrau, 800.000 Euro eingerechnet. Sämtliche Aufträge für die oben genannten Leistungen habe der Angeklagte beauftragt. Keine dieser Leistungen und das Haus seien je bezahlt worden. Für die Zeugin habe dies bedeutet, dass sie das Haus Hals über Kopf verlassen musste. Sie lebe heute mit den Kindern und ihrer Mutter in einer Mietwohnung bei Erlangen. Dies alles sei noch vor seiner Festnahme geschehen. Nach seiner Festnahme habe sie jedoch die Möglichkeit eingeräumt bekommen, die Unterlagen, welche sich noch im Haushalt befanden, zu sichten.

Ab diesem Zeitpunkt sei für sie eine Welt zusammengebrochen. Neben den finanziellen Schwierigkeiten und der damit verbundenen wirtschaftlichen Schieflage, habe sich herausgestellt, dass alles, was die Zeugin mit dem Angeklagten bisher erlebt hatte, auf einem Lügengerüst aufgebaut gewesen sei. Das Studium sowie sämtliche Einkommen, die er von seinem Vater zu haben schien, seien erlogen gewesen. Außerdem habe er sie während der Ehe mit verschiedenen Frauen betrogen. Die Kinder habe er bei den Tête-à-Têtes mit den benannten Frauen dabei gehabt. Er habe diese vor den Fernseher im Wohnzimmer gesetzt, während er sich mit den Frauen im Schlafzimmer vergnügte. Den Kindern habe er danach mit dem Entzug des Spielzeugs oder mit der Scheidung von der Mutter und dem alleinigen Sorgerecht gedroht. Die Zeugin Anne B. gibt an, er habe den Kindern sogar mit einem Messer gedroht, sollten sie der Mutter sagen, dass er fremdgeht. Nach eigener Aussage ist der Ehefrau danach der „Boden unter den Füßen“ weggezogen worden. Sie wisse nicht, wie das Leben weitergehen solle. Auch die Kinder seien aktuell mit Hilfe des Jugendamtes in psychologischer Betreuung.

Die komplette Aussage der Ehefrau ist schwer zu ertragen. Zu beachten ist hierbei, dass sie diese Aussage aufgrund des aktuellen Status der Ehefrau nicht hätte tätigen müssen, da sie dem Zeugnisverweigerungsrecht unterliegt. Zu hinterfragen bleibt, welche Bank den Kredit über 350.000 Euro für das Haus gewährt hat, zumal Anne B. zum Zeitpunkt des Immobilienkaufes über ein Einkommen von 1.500 Euro netto, und er über ein Einkommen von 1.300 Euro netto verfügte.

Die Staatsanwältin bringt noch weitere zwielichtige Details ans Tageslicht, von denen die Zeugin keine Kenntnis hatte. So habe der Angeklagte angeboten, in der Kindertagesstätte für die Kinder zu kochen und hierbei lediglich den Aufwand der Zutaten in Rechnung zu stellen. Die Rechnung habe sich anschließend auf 15.000 Euro belaufen. Nach den Befragungen der Nebenklage und der Verteidiger, welche keine neuen Erkenntnisse bringen, wird die Verhandlung für 15 Minuten unterbrochen.

Nach dieser Unterbrechung wird die Zeugin nicht weiter zur Person des Angeklagten befragt, sondern jetzt konkret zum Tattag. Anne B. gibt zu Protokoll, der Angeklagte habe nach seiner Rückkehr aus Sachsen, also am Samstag nach der Entführung, direkt nach seiner Ankunft in der Familie gefragt: „Habt ihr schon gehört: bei uns hat es eine Entführung gegeben, es ist die Anneli.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte es allerdings keinerlei öffentliche Berichterstattung über eine vermeintliche Entführung gegeben. Darüber hinaus gibt Anne B. zu Protokoll, sie habe ihn am 13. August 2015 über einen längeren Zeitraum gar nicht erreicht. Sein Handy sei ausgeschaltet gewesen, dies sei für den Angeklagten sehr ungewöhnlich. Am Tag der Durchsuchung des Dreiseitenhofs durch das Sondereinsatzkommando in Sachsen habe die Mutter von einem Nachbarn darüber Bescheid bekommen. Als sie daraufhin die Familie informierte, sei der Angeklagte äußerst nervös gewesen. Er habe sofort gesagt, er würde seinen Anwalt kontaktieren, „was das denn alles solle“ und er würde sich umgehend ins Auto setzen und dahinfahren.

Die Zeugin wird über zwei Stunden gehört. Anschließend wird ihre Mutter, die Schwiegermutter des Angeklagten, befragt, deren Aussage deckungsgleich mit der ihrer Tochter ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie zu Protokoll gibt, Markus B. habe noch heute diverse Vorhaltungen und Briefe an die Kinder geschrieben, in denen er behauptet, dass sowohl seine Schwiegermutter als auch seine Ehefrau die Kinder gegen ihn aufhetzen würden. Nach Vernehmung der Schwiegermutter setzt die Richterin die Mittagspause bis 14:00 Uhr an.

Erstvernehmende Beamtin sagt aus zum Verhör von Norbert K.

Nach der Mittagspause betritt Kriminalhauptmeisterin W. den Zeugenstand. Sie soll zu den Umständen der Festnahme aussagen und wird um eine freie Rede gebeten. Die Kriminalhauptmeisterin W. sei am Tag der Festnahme des Angeklagten Norbert K. in die Behörde einberufen worden, um die erste Beschuldigtenvernehmung durchzuführen. Zum Zeitpunkt der Vernehmung sei das vorrangige Ziel die Rettung des Entführungsopfers gewesen.

Mit dieser Einleitung beginnt die Aussage der Kriminalhauptmeisterin und schon hier bricht ihre Stimme. Sie muss eine längere Pause einlegen, da sie ihre Aussage unter Tränen macht.

Die komplette erste Vernehmung habe sich sehr schwierig gestaltet, zumal die Zeugin habe feststellen müssen, dass der Angeklagte Norbert K. während der gesamten Vernehmung unter einer erheblichen Anspannung stand. Sie habe immer das Gefühl gehabt, nach der nächsten Frage würde er „kippen”.

Die Zeugin räumt anfängliche Probleme mit der digitalisierten Mitschrift ein. Es habe sich als sehr ungünstig herausgestellt, dass ein Beamter die Befragung durchführte und der andere mitschrieb. Entgegen dem Protokoll habe die Vernehmung nicht um 6:13 Uhr, wie protokolliert, sondern erst später begonnen. Das habe daran gelegen, dass der Rechner zwar um 6:13 Uhr gestartet und die Vernehmung mit Öffnung des Protokolls vorbereitet worden sei, die Vernehmung selber habe jedoch um 06:30 Uhr begonnen. Nach der Feststellung, dass die Mitschrift nicht funktionierte, habe man entschieden, die Vernehmung mit Diktiergeräten fortzusetzen. Die übliche Korrektur der Vernehmungsprotokolle habe die Zeugin erst am 27. August durchführen können. Dies sei der Tatsache geschuldet gewesen, dass sie im Anschluss an die Vernehmung in die einberufene BAO (Besondere Aufbauorganisation) stark eingebunden war.

Die Befragung habe kurz und knapp erfolgen müssen, zumal der Angeklagte Norbert K., der zu diesem Zeitpunkt Beschuldigter war, noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten sei. Das bedeute, man habe keinerlei Spurenmaterial, wie die DNA oder anderes, zur Verfügung gehabt. Man habe daher beschlossen, die Vernehmung für die erkennungsdienstliche Behandlung zu unterbrechen und sie danach fortzusetzen. Anschließend habe sich auch die zweite Vernehmung sehr schwierig gestaltet. Nach wie vor habe die Zeugin den Eindruck gehabt, der Beschuldigte Norbert K. verhalte sich wie das sprichwörtliche „schlechte Gewissen auf zwei Beinen“.

Dann sei die Befragung für eine Raucherpause unterbrochen worden. Währenddessen habe der vernehmende Beamte in Anwesenheit der Zeugin gefragt, ob das Mädchen noch lebe. Daraufhin habe der Angeklagte mit „Nein“ geantwortet, er habe sie umgebracht. Die Zeugin weint bei dieser Aussage. Dann gibt sie an, Markus B. habe Geld gebraucht und diverse Millionäre ausgekundschaftet. Dabei sei er auf die Familie R. gekommen. Daraufhin sei die Vernehmung, in der der Beschuldigte Norbert K. den Tathergang detailliert erzählte, fortgesetzt worden, wie schon mit der Anklageschrift verlesen wurde.

Ich erspare mir an dieser Stelle die Wiederholung der Details. Im Gerichtssaal muss es für die Angehörigen von Anneli unerträglich gewesen sein, diese Details wieder und wieder zu hören. Bei der Schilderung der Umstände flossen auch bei dem einen oder anderen Zuhörer die Tränen.

Bei der zweiten Vernehmung gibt Norbert K. an, versucht zu haben, den Angeklagten Markus B. von dem Opfer wegzustoßen. Aber, so wörtlich, „das Schwein war zu schwer“. Er habe ihn auch verbal an der Tötung zu hindern versucht, es sei ihm nicht gelungen. Die gesamte Tötungshandlung habe er nicht gesehen, weil er immer wieder rausgegangen sei.

Die Zeugin beschreibt grausame Details, deren Schilderung ich hier nicht wiedergeben möchte.

Nach der Tötung habe der Angeklagte Markus B. ihn angewiesen, Getränke kaufen zu fahren. Bei seiner Rückkehr habe er die nun unbekleidete Anneli gesehen. Markus B. habe ihn anschließend aufgefordert, ihn bei der Verbringung des Leichnams zu unterstützen.

Auch dies muss für die Angehörigen der Anneli unerträglich sein, mit anzuhören.

Nun haben die Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreter die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Allerdings muss diese Vernehmung kurz unterbrochen werden, weil die Zeugin (eine erfahrene, durchaus belastbare Kriminalbeamte, welche seit 15 Jahren in der Mordkommission tätig ist) um diese Unterbrechung bittet.

Die Fragen der Nebenklagevertreter erbringen keine erhellenden Erkenntnisse, somit ist nun die Verteidigung an der Reihe. Im Kern geht es bei der Befragung der Verteidiger um Widersprüche oder Fehlleistungen in den Vernehmungsprotokollen. So sei der Beginn der Vernehmung in einem Zeugenprotokoll, nicht aber in einem Protokoll für einen Beschuldigten niedergeschrieben worden. Darüber hinaus sei die Aussage des Beschuldigten Norbert K. zum einen sinngemäß, dann wiederum wörtlich wiedergegeben worden.

Die Art der Befragung der Verteidigung und auch deren Inhalt sind aus meiner Sicht erschreckend und ein Hohn für die Opfer, zumal die Zeugin mehrfach eingelassen hat, dass es der Polizei zum Zeitpunkt der Befragung nicht in erster Linie um die Überführung des Täters ging, sondern vielmehr darum, das Opfer der Entführung lebend wiederzufinden. Sicherlich ist es nun im Nachhinein sehr leicht, die geschriebenen Protokolle zu verreißen, doch es ist deutlich, dass dies an der Sache nichts ändert. Das Ansinnen der Polizei, das Entführungsopfer lebend wiederzufinden, ist mehr als nachvollziehbar. Eine Einlassung der Verteidigung im Nachhinein mag rechtlich relevant sein, die Art und Weise jedoch ist mehr als fragwürdig.

Die Verteidigung des Norbert K. beginnt ihre Einlassungen mit der Bemerkung, dass die Zeugin in den vergangenen Minuten keinerlei Blickkontakt zur Verteidigung gehabt habe. Damit bezieht man sich auf eine Aussage der Zeugin, wonach sie das Verhalten des Angeklagten seltsam fand, weil er nie den Blickkontakt gesucht habe.

Dieser Vergleich ist so lächerlich wie er in einem Gerichtsprozess nur sein kann. Ich bin mir absolut sicher, dass auch die Verteidigung weiß, dass dieser Vergleich nur der Versuch ist, Nebelbomben zu zünden. Auch die folgenden Fragen rund um die Festnahme des Norbert K. sind überflüssig und dienen lediglich der Verunsicherung der Zeugin, vor allem, da von vornherein klar war, dass sie lediglich die erstvernehmende Beamte war. Mit der Festnahme hatte die Zeugin nichts zu tun, so dass man sich gern fragen darf, was bitte der Sinn dieser Fragen sein soll.

Zur Erleichterung aller ist die Befragung der Zeugin hiermit beendet. Die Richterin gibt vor Beendigung beziehungsweise Unterbrechung des Prozesses noch bekannt, dass sie im Rahmen der Prozesspause nach dem morgigen Prozesstag diverse Unterlagen zum Selbstleseverfahren freigeben wird, hierzu gehören fünf Berichte der Polizeidirektion, drei Protokolle der kriminaltechnischen Untersuchung, zwei DNA-Gutachten, zwei Untersuchungsberichte des LKA Sachsen sowie ein kriminaltechnischer Bericht des LKA Berlin.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Elfter Verhandlungstag | Die letzten Worte von Frank S.

Heute wird das Plädoyer der Verteidigung erwartet und der Angeklagte Frank S. hat das sogenannte „letzte Wort“, daher sind auch wieder Kamerateams und circa 15-20 Journalisten vor Ort.

Nach der Begrüßung fordert die Vorsitzende Richterin den Verteidiger Jasper M. zu seinem Plädoyer auf. Der Verteidiger sagt, dass er in seiner fast 20-jährigen Berufszeit noch niemals durch seinen Mandanten derartig beleidigt oder derart behandelt worden sei. Weiterhin berichtet er von einem Gespräch am gestrigen Abend, in dem die Einlassung zur Beweislage von ihm und dem Angeklagten unterschiedlich beurteilt worden seien. Frank S. habe ihm daher untersagt, sich zur Beweislage zu äußern. Nun würde er sich einzig zur Straftatbemessung äußern.

Er führt dahingehend an, dass der Angeklagte eine sehr schlechte Kindheit gehabt habe und es einen nur grausen könne, wenn man die ersten Lebensjahre von Frank S. betrachtet. Folglich beantrage er auch eine Strafmaßverschiebung aufgrund einer psychischen Erkrankung. Als Strafmaß fordert Jasper M. eine zeitlich begrenzte Haftstrafe, die 15 Jahre Haft nicht überschreiten dürfe. Damit ist sein Plädoyer beendet.

Reker-Prozess: Elfter Verhandlungstag | Die letzten Worte von Frank S.

Danach beginnt, auf Aufforderung der Vorsitzenden Richterin, Frank S. mit seinem letzten Wort. In der bereits bekannten Art und Weise fällt sein Vortrag thematisch sehr sprunghaft aus. Zuerst beklagt er sich über seine beiden Anwälte, die nach seiner Sicht stümperhaft und ein Totalausfall seien. Anschließend geht er auf Fotos vom Tatort ein, die er aus der Akte erhalten habe, und zeigt diese in die Kameras. Darauf kann man sehen, dass ein Teil der Messerscheide mit einem Edding schwarz übermalt wurde. Es gebe auch andere Fotos, auf denen diese Schwarzfärbung nicht zu sehen sei, sondern Blutspuren auf dem Messer. Daher ist Frank S. überzeugt, dass das Blut nachträglich aufgetragen wurde, um so das DNA-Gutachten zu manipulieren.

Weiterhin ist ihm wichtig, dass er nicht als psychisch krank angesehen werde, sondern, dass er bei gesundem Menschenverstand sei. Er unterstellt den Polizisten massive Manipulationen ihrer Aussagen sowie alle möglichen Straftaten. Er besteht auch darauf, dass er Henriette Reker nicht töten, sondern sie nur verletzen wollte. Auch alle anderen Personen habe er nicht verletzen wollen. Politische Motive hätten ihn angetrieben. „Die Herrschaftskaste sollte wieder den Volkssturm fürchten.“ Er habe sich seinem Gewissen gegenüber verpflichtet gesehen, „ein Zeichen zu setzen“, ein Zeichen gegen Die Grünen und gegen „die Kriegstreiber“ in Bezug auf Russland. Es würde ein millionenfacher Rechtsbruch geschehen. Und er habe Henriette Reker als Oberbürgermeisterin verhindern wollen, da sie nicht parteilos sei, sondern von den Grünen gesteuert werde.

Insgesamt wird in seinem letzten Wort sehr viel wiederholt und es werden auch keine neuen Aspekte aufgezeigt. Er zitiert aus vielen Zeitungsartikeln und Gesetzestexten, um so ein Meinungsbild herauszuarbeiten.

Das Gericht hört sich den Vortrag von Frank S. geduldig an, nur an der Gesichtsmimik lässt sich die jeweilige persönliche Stimmungslage ablesen.

Frank S. führt weiter aus, dass er einen Tag vor Prozessbeginn ein Entschuldigungsschreiben an Henriette Reker geschrieben habe. Dieses Schreiben habe er seinem Anwalt Dr. Christoph M. mitgegeben, damit er dies an Henriette Reker übergeben könne. Dies habe er nicht getan und er habe ihm dieses Schreiben auch nicht wieder zurückgegeben. Er beklagt sich weiter über das Verhalten seines Anwalts, da dieser den Klarnamen seiner Bekannten an die Medien weiter gegeben habe. Auch Informationen, die sonst keiner wisse, zum Beispiel, dass seine Bekannte halb Schwedin und halb Französin sei.

Frank S. glaubt, dass Henriette Reker gegen ihn einen Rachefeldzug führe. Er hofft auf ein Urteil, welches auf Fakten und Beweisen basiere.

Da sich Frank S. zwischendurch auch ungebührlich benimmt und seinen Anwalt beleidigt, wird er von der Vorsitzenden Richterin zur Ordnung gerufen. Auch unter Androhung eines Ordnungsgeldes oder von Ordnungshaft.

Frank S. führt nochmals aus, dass er keine Tötungsabsicht gehabt habe. Unter anderem will er das dadurch beweisen, dass er das Attentat einem Ort durchgeführt habe, wo mehrere Leute in unmittelbarer Nähe haben helfen können und auch entsprechende Rettungskräfte schnell hätten kommen können. Immer wieder pocht er darauf, dass er die Wahrheit sage.

Zum Schluss entschuldigt sich Frank S. pauschal bei allen Opfern und teilt nochmals mit, er habe ein Zeichen setzen und Henriette Reker nicht töten wollen. Er sehe ein, dass er einen großen Fehler gemacht habe. Er habe wie mit Tunnelblick gehandelt und „mit etwas Schlimmen etwas Schlimmeres verhindern“ wollen, so die letzten Worte des Angeklagten Frank S.

Der heutige Verhandlungstag endet bereits um 10:35 Uhr. Am 01. Juli 2016, um 14:00 Uhr wird das Urteil gesprochen.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Vierter Verhandlungstag

Beim vierten Verhandlungstag, am 20. Juni 2016, sind 25 Zuschauer, 10 Medienvertreter sowie ein TV-Team von RTL anwesend.

Kurz vor Verhandlungsbeginn wird Norbert K. von zwei Justizbeamten in den Saal geführt. Nachdem er Platz genommen hat, führt er sofort ein intensives Gespräch mit seinen Anwälten. Markus B. hingegen hält wieder einen DIN A4-Ordner vor sein Gesicht. Als die beiden Angeklagten den Saal betreten, verdüstern sich umgehend die Minen der gesamten Familie, Mutter Ramona R, Vater Uwe R. und Tochter Anett R.

Zu Beginn möchte der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung abgeben. Er bezieht sich darin auf die Zeugenaussagen des Kriminalhauptmeisters Rüdiger P. Anhand von dessen Aussage vor Gericht, aber auch insbesondere der polizeilichen Vernehmung und den dort getätigten Aussagen von Norbert K., spielt der Verteidiger die Tatbeteiligung seines Mandanten herunter.

Diese Stellungnahme ist nur aufgrund des unprofessionellen Aussageverhaltens des Polizisten am letzten Verhandlungstag möglich. Der Beamte Rüdiger P. hat extrem viel interpretiert und in seiner Aussage Vermutungen angestellt, nur dadurch ist diese Stellungnahme überhaupt möglich. Der Verteidiger versucht nun, Schuld von Norbert K. zu nehmen und Markus B. anzulasten. Da Letzterer jedoch keine größere Schuld haben kann, als er ohnehin schon hat, hilft dieses Vorgehen alles in allem nur dem Angeklagten Norbert K.

Nun wird die erste Zeugin vernommen, die Apothekerin Irene S. Sie identifiziert den Angeklagten als Kunden ihrer Apotheke. Markus B. sei regelmäßiger und langjähriger Kunde gewesen. Er habe sich im Grunde immer korrekt verhalten, nur manchmal war er auch fordernd. Am 22. Juni 2015 habe er versucht, 250 Milliliter Äther zu kaufen. Als Begründung habe er angegeben, Hühner auf seinem Hof töten zu müssen, wofür die Tiere vorher betäubt werden sollten, gemäß Tierschutz. Erst nach Recherche durch die Apothekerin und mithilfe des Rezepts eines Tierarztes wurde dem Beschuldigten diese Menge am 29. Juni 2015 verkauft.

Vater Uwe R. nimmt sein Recht wahr, Fragen zu stellen und möchte nun von der Zeugin erfahren, wie oft in ihrer Apotheke nach Äther gefragt werde. “Selten“ antwortet diese und wirkt in diesem Moment emotional ziemlich ergriffen.

Hiernach kommt ein weiterer Zeuge zu Gehör, Dr. Albrecht L. Er war der Hausarzt des Angeklagten Markus B. und soll nun die Frage der Verhandlungsfähigkeit seines früheren Patienten beantworten. Hierzu ist er von der Schweigepflicht entbunden. Die Verteidigung besteht darauf, dass er zu keinen weiteren Punkten Stellung nimmt.

Jedoch äußert sich Dr. Albrecht L. nicht zur Verhandlungsfähigkeit von Markus B., sondern teilt nur mit, dass sich sein Patient auch bei ihm über die Verschreibung von Äther zur Betäubung von Hühnern erkundigt habe. Da der Doktor kein Tierarzt sei, habe er kein Rezept ausgestellt.

Danach wird ein Telefonat vorgespielt, das am 13. August 2015, um 21:00 Uhr, zwischen beiden Angeklagten geführt wurde. Beide Angeklagten tun darin so, als ob sie ein ganz normales Gespräch über Gott und die Welt führten. Es geht ganz teilnahmslos um Verkehrsprobleme, die Kinder des Angeklagten Markus B. und weitere Themen. Unter anderem wird darüber gesprochen, dass zu hören gewesen sei, ein Mädchen aus der sei Gegend entführt worden. Beide Männer äußern, die betroffene Familie nicht zu kennen. Norbert K. aber meint, dass die Eltern sich erst so spät in der Öffentlichkeit gemeldet hätten, sei eine schwache Leistung.

Immer wieder versucht Markus B., den Angeklagten Norbert K. versteckt zu beruhigen. Er baut vermehrt Halbsätze wie „es gibt keine Bewegung hier“ oder „alles wird gut“ in die Unterhaltung ein.

Dieses Gespräch scheint absichtlich geführt worden zu sein, weil die Täter wahrscheinlich dachten, sie würden einer Telefonüberwachung unterliegen. Um sich nun unverdächtig zu machen, führten sie ein normales Gespräch. Doch für einen gelungenen Fake ist das geführte Gespräch nicht gut genug. Norbert K. klopft während des Abspielens des Gesprächs mit den Fingern nervös auf der Tischplatte.

Hiernach kommt als Zeugin eine ambulante Altenpflegerin aus Dresden. Die 27-jährige kennt den Angeklagten Markus B., weil ihre Eltern direkt neben ihm wohnten. Am 14. August 2015 habe sie eine ungewöhnliche Begegnung mit Markus B. gehabt, als dieser ihr um 12:00 Uhr, gerade als sie vom Haus ihrer Eltern wegfuhr, mit hohem Tempo in seinem BMW entgegen gekommen sei.

Nach ihr sagt Kriminalhauptkommissar Georg B. (40) aus Dresden aus. Er stieg erst zwei Wochen nach der Entführung in den Fall ein, da er bis dahin im Urlaub war. Er war für die Zusammenfassung der ermittelten Ergebnisse zuständig und auch mit der Auswertung beauftragt.

Unter anderem hat der Beamte festgestellt, dass die Strecke zwischen dem Elternhaus von Anneli und dem Entführungsort 1,7 Kilometer lang ist, Luftlinie etwa 900 Meter. Uwe R. möchte vom Zeugen erfahren, ob der Entführungsort zufällig oder absichtlich gewählt worden sei. Der Zeuge ist der Meinung, dass dieser Ort absichtlich ausgesucht worden sei, da man sich in dem dort zu findenden Gebüsch, gut verstecken könne und somit nicht zu entdecken sei.

Des Weiteren ist sich der Zeuge sicher, dass Anneli diesen Weg oft gegangen sei, da man in der Auswertung ihrer Mobilfunkdaten festgestellt habe, dass ihr Handy nahezu täglich um die gleiche Uhrzeit in die dortige Mobilfunkzelle eingeloggt gewesen sei.

Auch gebe es Aufschluss über die Bilder, die der Vater von Anneli unmittelbar nach der Entführung von Annelis Fahrrad und dem Hund gemacht habe. Der Polizeibeamte ist der Ansicht, dass der Hund am Gepäckträger mit der Leine befestigt worden sei, gleichzeitig hat es vermutlich den Angriff auf Anneli gegeben, daher müsse es um zwei Täter gehandelt haben.

An den zu diesen Fragen stattfindenden Betrachtungen einiger Bilder am Richtertisch nimmt Uwe R. jedes Mal teil. Aus dieser Position kommt er den Angeklagten etwas näher und taxiert diese. Seine Gestik und Mimik wirken drohend, insbesondere gegenüber Norbert K. Norbert K. leidet offenbar sehr und macht auf Mitleid. Ab und zu schaut er verstohlen zu Familie R. Wie die Opfer wird auch er lebenslang mit den Folgen des Verbrechens zu kämpfen haben, er wird sein Mitwirken an der Tat niemals überwinden.

Als nächster Zeuge des heutigen Verhandlungstages erscheint der 52-jährige Auktionator und Immobilienmakler Brian H. bei Gericht. Er hatte den Maklerauftrag des Angeklagten Markus B. zum Verkauf des mütterlichen Dreiseitenhofs übernommen.

Er teilt mit, dass die erste Verkaufsphase vor circa eineinhalb bis zwei Jahren gewesen sei. Das Unterfangen sei jedoch kaum umsetzbar gewesen, da Markus B. sehr unzuverlässig gewesen sei und somit keine Besichtigungstermine stattgefunden hätten. Im Mai 2015 habe er einen neuerlichen Versuch unternommen, sich den Hof persönlich angeschaut und den zu erlösenden Kaufpreis von circa 150.000 bis 200.000 Euro als akzeptabel eingeschätzt. Auch Norbert K. habe er manchmal dort gesehen.

Ramona und Anett R. schauen ständig Markus B. an. Dieser hat den Kopf nach links abgewandt.

Auch am 14. August 2015 habe der Makler von circa 16:00 Uhr bis circa 17:00 Uhr eine Besichtigung auf dem Hof durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat noch in vollem Gange. Es habe mehrere Besichtigungsparteien gegeben, sodass man die Interessierten in zwei Gruppen aufgeteilt habe. Eine Gruppe sei durch den Makler geführt worden, die andere Gruppe durch Markus B. Der Makler habe da noch nichts von einer Entführung gewusst, davon habe er erst durch die Presse bzw. einen Tag später durch die Polizei erfahren.

Besonderheiten seien ihm bei der Besichtigung nicht aufgefallen, auch das Verhalten von Markus B. sei nicht ungewöhnlich gewesen.

Als letzter Zeuge am heutigen Verhandlungstag kommt Marcel P. in den Saal. Er war einer der Interessenten beim Besichtigungstermin. Auch ihm seien keine Besonderheiten aufgefallen, außer, dass er der Meinung gewesen wäre, die Immobilie sei ihren Preis nicht wert und in einem katastrophalen Zustand. Als er jedoch am Montag bei der Arbeit von der Entführung gehört habe, hätte er sich umgehend bei der Polizei gemeldet.

Damit endet dieser Verhandlungstag.

Bildquelle: NicoLeHe / pixelio.de

Reker-Prozess: Zehnter Verhandlungstag | Die Plädoyers der Anklage

Am heutigen 10. Verhandlungstag werden die Generalbundesanwaltschaft und die Nebenklagevertreter ihre Plädoyers verlesen. Anwesend sind 15 Pressevertreter, zwei Fotografen und zwei Besucher. Nach Beginn der Verhandlung um 09:34 Uhr verliest die Richterin zunächst drei Beschlüsse der Kammer.

Anträge des Angeklagten: das Gericht beschließt

Zunächst wird der Antrag des Angeklagten, ein weiteres rechtmedizinisches Gutachten einzuholen, abgelehnt. Der Angeklagte unterstellt der Gutachterin, dass sie ihm gegenüber befangen sei, weil sie aus Köln kommt. Doch die Kammer zweifelt nicht am Sachverstand der Gutachterin, auch ihre Kölner Herkunft ändert daran nichts.

Der zweite Beschluss bezieht sich auf den Antrag des Angeklagten, Sara S. als Zeugin zu vernehmen. Sara S. hat in ihrer polizeilichen Vernehmung ausgesagt, sie hätte Henriette Reker röcheln gehört. Der Angeklagte wollte festgestellt wissen, dass er dies dann auch gehört habe, und daraufhin seine Tat nicht weiter ausgeführte, womit feststehen würde, dass er Henriette Reker nicht töten wollte. Das Gericht lehnt jedoch auch diesen Antrag ab, weil es sich durch die Vernehmung der Zeugin keinerlei neue Erkenntnisse erwartet, zumal der Angeklagte sich selbst darauf eingelassen hat, dass er sich direkt nach der Tat einem Mob gegenüber sah, dem er sich erwehren musste.

Reker-Prozess: Zehnter Verhandlungstag | Die Plädoyers der Anklage

Der dritte Beschluss bezieht sich auf den Antrag des Angeklagten, die Zeugen Roland S. und Mathias K. erneut zu befragen. Auch diesen Antrag lehnte das Gericht ab, da die relevante Fragestellung bereits am fünften Verhandlungstag ausreichend erörtert worden sei und der Angeklagte selbst Fragen hätte stellen können. Die Einlassung des Angeklagten, er habe nicht gewusst, dass er Fragen stellen kann, wies das Gericht mit dem Hinweis ab, er habe vor dem fünften Verhandlungstag schon rege von diesem Recht Gebrauch gemacht.

Einlassung des Angeklagten

Nun meldete sich der Verteidiger zu Wort, um zu verkünden, dass der Angeklagte sich zum Gutachten vom neunten Verhandlungstag sowie zu eben genannten Beschlüssen erklären wolle. Die Richterin fordert daraufhin, dass sich der Angeklagte sofort zum Gutachten erklärt, er hätte ja bis heute Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Der Angeklagte erwidert, dass er nach der gestrigen Verhandlung gestresst gewesen sei und Kopfschmerzen gehabt habe, somit habe er sich nicht vorbereiten können. Es folgt eine halbstündige Unterbrechung.

Mit der Fortsetzung der Verhandlung lässt der Angeklagte abermals zwischen sich und seinem Verteidiger einen Platz frei. Der Anklagte begründet das auf Nachfrage der Richterin damit, dass der Anwalt nicht seine Interessen vertrete. Wörtlich bezeichnet er seinen Anwalt als „linksradikalen Speichellecker und Kriminellen“ und ergänzt: „das Ganze hier ist eh alles eine Volksverdummung“. Er möchte mit diesem „Typen“ nichts zu tun haben. Die Richterin ermahnt den Angeklagten daraufhin und fordert ihn auf, die gesprochenen Worte so nicht mehr in diesem Saal zu wiederholen. Anschließend gewährt sie dem Angeklagten Raum für seine gewünschte Einlassung.

Nun nimmt der Angeklagte nervös und mit schneller Sprache – und offensichtlich Stichpunkte vom Zettel ablesend – Stellung zu diversen Themen. Dabei springt er thematisch hin und her.

Zunächst bezeichnet er das Gutachten vom neunten Verhandlungstag als Gefälligkeitsgutachten, welches auf Falschaussagen beruhe. Die Zeugenbefragungen betreffend räumt er ein, er habe sich darauf nicht vorbereitet, weil er annahm, seine Anwälte würden das tun. Er habe nicht wissen können, dass diese „ein Totalausfall“ seien. Abschließend gab er zu verstehen, dass er von einer Revision ausgehe und in diesem Fall auf gute Anwälte hoffe, die die Wahrheit herausfinden werden. Da das Gericht, so Frank S., alle seine Anträge ablehne, stünde das Urteil ohnehin schon fest. Das Gutachten sei ein Fake, alle wüssten das. Es solle ein Exempel an ihm statuiert werden.

Auf Nachfrage der Richterin, was er am Ende des Prozesses erwarte, etwa eine Belobigung, antwortet Frank S., er habe eine Strafe verdient, weil er eine Straftat begangen hat. Aber alles, was hier passiere, sei schlimmer als in der DDR oder in Nordkorea. Von der Verhaftung bis heute hätten alle gelogen, Gutachten und Zeugenaussagen seien falsch, das ganze System sei total korrupt.

Die Richterin bittet den Angeklagten, mit seiner Einlassung fortzufahren die derselbe jedoch abbricht, mit der Begründung, „es bringt ja eh nichts“. Danach schließt die Richterin die Beweisaufnahme.

Plädoyer der Generalbundesanwaltschaft

In dem nun folgendem Plädoyer stellt die Generalbundesanwaltschaft zunächst in direkter Ansprache an den Angeklagten fest, dass nicht er das Opfer sei, sondern die Geschädigten, vor allem Henriette Reker. Anschließend gibt es einen kurzen Exkurs zum Thema „freie Meinungsäußerung“, um dann in die reine Sachverhaltsfeststellung einzutreten.

Wichtig wird nun, ob die Generalbundesanwaltschaft auf versuchten Mord plädiert oder nur auf gefährliche Körperverletzung.

Die Generalbundesanwaltschaft stellt im Ergebnis der Beweisaufnahme Folgendes fest:

Erstens: Der Entschluss zur Tat habe spätestens am Vorabend festgestanden. Der Beschuldigte habe sich nach den Wahlkampfterminen von Henriette Reker erkundigt und Testläufe mit dem verdeckten Tragen und schnellen Ziehen des Bowiemessers gemacht.

Zweitens: Am Tattag habe der Beschuldigte vor der Tatbegehung drei halbe Liter Bier getrunken, um – wie er selbst eingelassen hat – seine Hemmschwelle zu senken.

Drittens: Vor der direkten Tatausführung habe er Henriette Reker um eine Rose gebeten, um seine eigentliche Tatabsicht zu verdecken.

Anschließend werden die bereits bekannten Tatabläufe wiederholt, wobei laut Generalbundesanwaltschaft klar ist, dass bei den Taten gegen Henriette Reker und drei weitere Opfer das Bowiemesser zum Einsatz kam, und bei der Tat zum Nachteil eines weiteren Opfers das Butterflymesser.

Bei der Tat gegen Henriette Reker habe der Angeklagte schon durch die Nutzung des Bowiemessers – und unabhängig von den gemachten Aussagen – in Tötungsabsicht gehandelt. Somit sei das Tatbestandmerksmal für Mord erfüllt. Da Tötungsabsicht unterstellt wird, spricht man juristisch hier von Mord ersten Grades. Da die Tötung glücklicherweise nicht vollendet wurde, wird dem Angeklagten der versuchte Mord zur Last gelegt. Bei der Straftat gegen Henriette Frau Reker kommt außerdem gefährliche Körperverletzung in Tateinheit hinzu. Auch die Mordmerkmale Heimtücke sowie niedere Beweggründe (politische Motive) sind nach Ansicht der Staatsanwälte erfüllt.

Da die Angriffe mit dem Bowiemesser auf weitere Personen unmittelbar im Anschluss an die Tat gegen Henriette Reker stattgefunden haben und mit dem gleichen Tatwerkzeug durchgeführt wurden, sieht die Generalbundesanwaltschaft hier eine Tateinheit. Allerdings unterstellt man hier keine Tötungsabsicht.

Da der Angeklagte nach dieser Tatkette das Bowiemesser abgelegt und den Angriff auf das letzte Opfer mit dem Butterflymesser und in keinem direkten zeitlichen Zusammenhang ausgeführt habe, sei diese gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit zu sehen.

Um das Strafmaß festzulegen, stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass der zugrundeliegende § 211 des Strafgesetzbuchs (Mord) eine lebenslange Haft fordere. Eine Milderung, etwa durch einen strafbefreienden Rücktritt, liege entgegen der Wahrnehmung des Angeklagten nicht vor.

Zugute hält die Generalbundesanwaltschaft dem Angeklagten das Ablegen des Teilgeständnisses, seine Lebensgeschichte, seine dissoziale Persönlichkeitsstörung, seine schwierige Lebenssituation zum Tatzeitpunkt und, dass er juristisch nicht vorbestraft ist.

Der letztgenannte Punkt bedeutet, dass seine vorherigen Straftaten nicht mehr in den Akten stehen.

Gegen den Angeklagten spricht laut Generalbundesanwaltschaft die Anzahl der Taten (ein versuchter Mord und fünf gefährliche Körperverletzungen), die Folgen für die Opfer und die Gefährlichkeit der Tat. Es sei nur ein glücklicher Zufall, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Die kriminelle Energie bei der Tatausübung war extrem hoch, was sowohl die Planung als auch die Auswahl des Tatwerkzeugs beweisen.

Die benannten Punkte lassen laut Generalbundesanwaltschaft keine Milderung des Strafmaßes zu. Ergo beantragt die Staatsanwaltschaft, wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit vier gefährlichen Körperverletzungen und in Tatmehrheit mit einer gefährlichen Körperverletzung, eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen sowie die Fortsetzung der U-Haft.

Damit verlassen schlagartig alle anwesenden Journalisten den Saal.

Anträge der Nebenklagevertreter

Das Wort hat nun der Rechtsbeistand von Henriette Reker. Der Nebenklagevertreter unterstreicht den Kern des Plädoyers der Generalbundesanwaltschaft, allerdings in deutlich schärferem Ton. Darüber hinaus verlangt er neben der bereits geforderten lebenslangen Freiheitsstrafe die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und begründet dies vor allem mit dem Nachtatverhalten. So zeige der Angeklagte bis heute keinerlei glaubhafte Reue oder Einsehen. Er sei nach wie vor nicht bereit, seine Verschwörungstheroien in Frage zu stellen. Er nutze den Prozess, um sich als politischer Täter darzustellen und habe laut dem Gutachten seine dissoziale Persönlichkeit betreffend keine positive Prognose.

Die Nebenklagevertreterin eines der weiteren Opfer des Bowiemesser-Angriffs ist in ihrem Plädoyer der Ansicht, dass es sich bei der Tat gegen ihre Mandantin sehr wohl um einen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung handele. Auch sie will die besondere Schwere der Schuld festgestellt wissen.

Die letzte Nebenklagevertreterin konstatiert, dass es sich entgegen der Ansicht der Generalbundesanwaltschaft auch bei den Taten gegen die weiteren Bowiemesser-Opfer um neue Taten handele. Somit sei eine Tatmehrheit gegeben. Darüber hinaus fordert sie, den Angeklagten neben dem versuchten Mord an Henriette Reker auch hinsichtlich der anderen Taten wegen versuchten Totschlags zu verurteilen. Auch sie möchte die besondere Schwere der Schuld festgestellt wissen.

Alle drei Nebenklagevertreter stellten entsprechende Anträge.

Nach Abschluss der Plädoyers beendet die Richterin den Verhandlungstag, der Prozess wird am Mittwoch, 22.06.2016 fortgesetzt.

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.de

Reker-Prozess: Neunter Verhandlungstag | Angeklagter ist voll schuldfähig

Am heutigen 15. Juni 2016 sind zwei Fotografen und sieben Medienvertreter anwesend.

Direkt zu Beginn fällt auf, dass fünf Justizbeamte einen engen, taktisch gut besetzen Ring um den Angeklagten Frank S. bilden. Das hat sicherlich mit der Hörung des psychologischen Sachverständigen zu tun und der Annahme, dass der Angeklagte bei diesem Vortrag eventuell überreagieren könnte.

Der Angeklagte wird weiterhin nur durch einen Anwalt vertreten. Ein weiterer, sogenannter TV-Anwalt hat sich zwar ein Besuchsrecht einräumen lassen, dieses jedoch nicht wahrgenommen.

Das Gericht teilt anfangs mit, dass die Urteilsverkündung wahrscheinlich am Freitag, den 1. Juli 2016 erfolgen wird. Anschließend möchte Frank S. weitere Anträge stellen. Unter anderem beantragt er, die heutige Beweisaufnahme mit den Zeugen zu verschieben, damit er Zeit hat, sich einen neuen zweiten Anwalt zu suchen und dieser sich entsprechend einarbeiten kann. Hierzu wird ein Gerichtsbeschluss gefasst und der Antrag abgelehnt. Des Weiteren stellt Frank S. Anträge, um neue Zeugen zu laden sowie, um ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten durch einen Gutachter außerhalb Kölns erstellen zu lassen.

Reker-Prozess: Neunter Verhandlungstag | Angeklagter ist voll schuldfähig

Zeugenanhörung

Als erste Zeugin wird heute die Rentnerin Gisela K. (74) aus Köln gehört. Sie war ebenfalls auf dem Braunsfelder Markt und hat einen Teil des Tatgeschehens mitbekommen. Sie hat gesehen, wie der Angeklagte auf einen jungen Mann (Pascal S.) eingestochen hat, kann allerdings auch nach der Betrachtung des kleinen Butterflymessers und des großen Jagdmessers nicht genau sagen, welches verwendet wurde. Auf Nachfragen der Verteidigung tendiert sie dann jedoch zum Butterflymesser. Auch beantwortet sie die Frage, ob Frank S. das Messer freiwillig weggeworfen habe, mit einem Ja.

Nun möchte sich das Gericht von dem Schätzvermögen der Zeugin ein Bild machen. Bei einem Test mit Angaben in Metern verschätzt sich die Zeugin jedoch um mehr als das Doppelte. Hierzu stellt Frank S. daher fest, dass es widersprüchliche Aussagen zwischen Pascal S. und der eben gehörten Zeugin gebe.

Als nächste Zeugin wird Maria-Elisabeth B. (70) gehört. Die ehemalige Lehrerin kommt aus Köln und war Wahlhelferin für die CDU auf dem Braunsfelder Markt. Sie ist ebenfalls verletzt worden. Das Tatgeschehen hat zunächst hinter ihrem Rücken stattgefunden. Doch als sie sich umdrehte und Frank S. noch bei Henriette Reker stehen sah, habe sie geglaubt, er würde weiter angreifen und habe ihn deshalb angeschrien. Daraufhin habe Frank S. aus der linken Hosentasche ein Butterflymesser gezogen und ihr damit in die linke Bauchseite gestochen. Danach habe sie unter Schock gestanden und sei lief ziellos umhergelaufen. Die Zeugin berichtet, dass die Verletzungen der anderen Opfer diesen vor der ihren zugefügt worden seien, dass also alle Verletzungen davor mit dem großen Jagdmesser herbeigeführt worden seien, alle danach mit dem kleineren Butterflymesser. Folgen der Verletzung seien der Zeugin nicht zurückgeblieben.

Der Verteidiger von Frank S. zeigt sich verwundert über den zeitlichen Ablauf der Tat, respektive über die einzelnen Verletzungen: Erst soll Frank S. noch bei Henriette Reker gestanden und danach Maria-Elisabeth B. verletzt haben – dazwischen allerdings sollen ja auch noch zwei weitere Personen verletzt worden sein.

In seiner Stellungnahme zu dieser Zeugin teilt Frank S. mit, dass das DNA-Gutachten zu den Blutspuren an den jeweiligen Messern manipuliert worden sein müsse. Dann verlautbart Frank S., dass er gern alle Gründe für die Entpflichtung seines Anwalts Dr. Christoph M. öffentlich werden lassen möchte. Das rechtsmedizinische Gutachten bezeichnet er des Weiteren als „Gesinnungsgutachten“, denn er habe nicht von oben nach unten zugestochen, sondern geradeaus, wie auch die zwei Zeugen, unter anderem Henriette Reker, ausgesagt haben. Auch, dass das medizinische Gutachten als Grundlage für das Textilgutachten dient, findet Frank S. merkwürdig. Er stellt nun außerdem nochmals fest, dass er Henriette Reker nicht habe töten wollen.

Der Generalbundesanwalt gibt seinerseits eine Stellungnahme ab, in der er ein weiteres rechtsmedizinisches Gutachten ablehnt, auch weitere Zeugen würden keine neue Beweiskraft ergeben. Die Verteidigung widerspricht dem. Weiterhin sieht der Generalbundesanwalt keinen Anlass für einen rechtlichen Hinweis bezüglich des Vorwurfs der mehrheitlichen Tötung an Frank S. Das sei nicht nachweisbar, auch wenn eine gefährliche Körperverletzung hätte tödlich sein können. Die Verteidigung schließt sich dieser Aussage an. Das Gericht verkündet daraufhin einen rechtlichen Hinweis nach § 265 der Strafprozessordnung zur mehrheitlichen Tateinheit. Bei einer Verletzten sieht das Gericht keine gefährliche, sondern nur eine einfache Körperverletzung, weitere Verletzungen zweier anderer Personen hätten keinen Tatzusammenhang. Ebenso sei die Verletzung eines vierten Opfers eine eigenständige Tat gewesen. Insofern ergeben sich drei Taten: Die an Henriette Reker und einem weiteren Opfer, eine zweite an zwei Personen und eine dritte an einer Person.

Psychologisches Gutachten zu Frank S.: Voll schuldfähig

Im zweiten Teil des Verhandlungstages erstattet der psychologische Sachverständige, Prof. Dr. Leygraf, sein Gutachten. Er teilt mit, dass er den Angeklagten Frank S. am 22. Februar 2016 und am 03. März 2016 in der Justizvollzugsanstalt Köln aufgesucht habe. Frank S. habe in den Gesprächen einen hohen Erklärungsbedarf gezeigt und sich regelrecht hineingesteigert. Der Angeklagte habe die Furcht geäußert, aufgrund seiner Kindheit in ein typisches Schema gepresst zu werden, wonach Menschen mit ähnlichen Erlebnissen automatisch als rechtsradikal betrachtet würden. Der Gutachter berichtet, Frank S. stehe sehr gerne im Mittelpunkt, verhalte sich aber auch kooperativ. Er wirke oft wie ein vorlautes Kind, welches belohnt werden möchte. Zwar seien nicht alle Angaben seitens Frank S. realitätsbasierend, doch überwiegend stimmig.

Die ersten vier bis fünf Lebensjahre sind auch für einen Sachverständigen eine Blackbox, weil es hierzu einfach keine Angaben gibt. Für Frank S. sei es jedoch sehr kränkend gewesen, dass seine leiblichen Eltern ihn verlassen haben. Dieses Verlassenwordensein sei für ihn nach wie vor prägend. Er habe die Tendenz zum Schwarz-Weiß-Denken, über viele Dinge sage er, sei er sich 100- oder 1000-prozentig sicher. Stets habe Frank S. jedoch das Gefühl, zu kurz zu kommen, Geld sei ihm besonders wichtig. Schon als Kleinkind habe er die Welt als feindselig erlebt, so sei er ein typischer Einzelkämpfer geworden. Seine Pflegefamilie sei sehr konflikt- und gewaltträchtig gewesen. Weitere Stationen in seinem Leben seien Schule, Bundeswehr, Malerlehre und Haft gewesen.

Frank S. hört interessiert zu, schüttelt den Kopf und schreibt mit.

Der Sachverständige erklärt weiter, dass Frank S. ein aggressives und dissoziales Verhalten habe, er sei ein Meister des Ausweichens. Es gebe zudem mehrere Körperverletzungsverfahren, darunter zwei, nach denen er die aktuellen Freunde seiner Ex-Partnerin verprügelt habe. Frank S. vermeide es, sich von Externen steuern zu lassen. Er habe einen eigensinnigen und halsstarrigen Charakter, Beharrlichkeit zeichne ihn aus.

Nach dem ersten Gefängnisaufenthalt habe Frank S. eigenverantwortlich seinen Umzug von Bonn nach Köln durchgeführt und sei daraufhin 15 Jahre ohne Straftat gewesen. Sein beruflicher Werdegang sei lückenhaft, insgesamt sei er jedoch vier Jahre arbeitslos gewesen – von November 2012 durchgängig bis zur Begehung des Attentats auf die damals künftige Oberbürgermeisterin. Ein depressiver Zusammenhang sei jedoch nicht erkennbar.

Die letzten drei Jahre habe Frank S. fast ohne sozialen Außenkontakt gelebt, in seiner Wohnung haben die Polizisten ausschließlich Fingerabdrücke von Frank S. feststellen können. Einige Mieter in dem Haus, in dem Frank S. wohnte, hätten nicht einmal gewusst, ob in der Wohnung ein Mann oder eine Frau wohnte. Durch diese Einsamkeit habe sich Frank S. auf seine eigenen Gedanken fokussiert und keinerlei Austausch mit anderen gehabt. Seine Gedanken hätten ihm daher als die einzig richtigen geschienen. Sein Hauptthema seien Ausländer gewesen.

Insgesamt habe Frank S. bis zuletzt ein trostloses Leben geführt und sei dabei immer der Überzeugung gewesen, stets zu kurz gekommen zu sein. Die Gründe dafür lägen in der Welt draußen, insbesondere die Politik habe Schuld.

Die Diagnose des Gutachters besagt, dass keine psychiatrische Krankheit vorliegt, ebenso keine schizophrene oder manisch-depressive Krankheit. Auch sein kognitives Handlungsvermögen sei nicht gestört. Ebenso sei er nicht wahnhaft, glaube also beispielsweise nicht, dass er Auserwählter sei. Auch seine immer wieder vorgetragenen Verschwörungstheorien seien nicht einzigartig, sondern würden von vielen anderen Menschen geteilt. Der Psychologe konnte überhaupt nichts Krankhaftes an Frank S. feststellen und hält ihn damit voll schuldfähig.

Eine tief greifende Bewusstseinsstörung sei nicht vorhanden, eine paranoide Persönlichkeitsstörung in einer notwendigen Schwere ebenfalls nicht, ebenso wenig wie eine seelische Abartigkeit. Auch die Unrechtseinsichtsfähigkeit ist nicht herabgesetzt, denn eine Hemmschwelle bei der Tatvorbereitung sei durchaus vorhanden gewesen.

Frank S. habe eine festgefahrene Lebenssituation durchlebt und diese mit einer heroischen Tat verändern wollen. Warum er auch gegen andere vorgegangen ist, sei nicht erklärlich. Mit seinen bei Gericht vorgetragenen Darstellungen der Tat schütze er sich gegen die objektive Spurenlage (z. B. DNA-Spuren am großen Jagdmesser).

Eine verminderte oder ausgesetzte Schuldfähigkeit gibt es aus psychologischer Sicht laut Gutachter nicht.

Nun fragt die Vorsitzende Richterin den Sachverständigen, ob eine Therapie dem Angeklagten helfen könne. Dieser erklärt dazu, dass Frank S. hierzu eine Bereitschaft zur Mithilfe aufbringen müsse. Dies hält er aber für nicht wahrscheinlich, da Frank S. sein ausgeprägter Narzissmus im Wege stehe.

Alle anderen Parteien, auch die Verteidigung und der Angeklagte selbst, haben keinerlei Fragen an den psychologischen Sachverständigen. Das finde ich extrem erstaunlich!

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Reker-Prozess: Achter Verhandlungstag | Frank S. widerspricht und leugnet

Am 10. Juni 2016 sind 14 Journalisten anwesend, ebenso alle Parteien bis auf den psychologischen Gutachter.

Als erste Zeugin wird Dr. Sibylle B., Rechtsmedizinerin der Uniklinik Köln, gehört. Sie war beauftragt, die Verletzungen der Verwundeten des Attentats zu beurteilen. Insbesondere galt es, festzustellen, bei welchem Verletzten welches Messer eingesetzt worden ist.

Frank S. hat von Anfang an behauptet, dass er das große Jagdmesser nur gegen Henriette Reker gerichtet hat. Einige DNA-Spuren am selbigen Messer stammten jedoch von zwei weiteren Verletzten. Bei einer Verletzten ist höchstwahrscheinlich das große Messer eingesetzt worden und nicht das kleine Butterfly-Messer, was insbesondere an der 5 Zentimeter großen Einstichwunde festzustellen war. Lebensgefahr bestand für diese Verletzte nicht. Bei einer weiteren verletzten Frau ließ sich nicht genau feststellen, welches Messer zum Einsatz gekommen ist. Auch hier bestand keine Lebensgefahr, aber sie hatte sehr großes Gück, dass ihr Darm nicht verletzt wurde. Auch im Fall einer dritten verletzten Frau gab es keine lebensgefährlichen Verletzungen, wobei hier ebenfalls jedes der beiden Messer Tatwerkzeug hätte sein können. Der verletzte Pascal S. wurde am rechten Ober- und Unterarm erheblich verletzt, hier ist es sehr wahrscheinlich, dass das große Messer zum Einsatz kam. Er war potentiell lebensbedrohlich verletzt.

Achter Verhandlungstag | Frank S. widerspricht und leugnet

Ebenso ist es auch angesichts ihrer Verletzungen unstrittig, dass Henriette Reker durch das große Messer verletzt worden ist, bei ihr bestand akute Lebensgefahr, da der Stich die Halsschlagader nur um wenige Millimeter verfehlte. Auch hätte jederzeit die Speiseröhre ganz abreißen können, da sie beidseitig durchstoßen wurde. Die Klinge war bis zu zehn Zentimeter tief in ihren Hals gestochen worden, der Stichkanal führte von oben nach unten. Der Stich wurde so wuchtig ausgeführt, dass die Klinge an einem Brustwirbel Wirbelstücke abgesprengt hat.

Dass sein Hieb gegen Henriette Reker von oben nach unten geführt haben muss, wie Dr. Sibylle B. erläutert, bestreitet Frank S. in seiner Stellungnahme. Er beantragt daher, dass ein zweiter Sachverständiger, der nicht aus Köln kommen bzw. dort tätig sein soll, zur Analyse der Verletzungen beauftragt werden soll.

Der Nebenkläger-Vertreter von Henriette Reker wiederum beantragt in Bezug auf die Verletzungen weiterer Personen, die Anklage auf mehrheitliche Tötungsabsicht zu erweitern; ein Ersuchen, das der Generalbundesanwalt ablehnt mit der Erläuterung, dass das Gutachten Bestätigung in den Aussagen der Verletzten und in den DNA-Spuren am großen Messer findet.

Frank S. weist nun nochmals darauf hin, dass es ja auch zwei Zeugen geben soll, die seine Aussage, dass er das Messer unmittelbar nach dem Stich auf Henriette Reker sofort weggeworfen hat, bestätigen können.

Der nächste Zeuge des heutigen Verhandlungstages ist ein Sachverständiger vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen für Werkzeugspuren. Er hatte seitens des Gerichts den Auftrag, anhand der Kleidung festzustellen, welches Messer jeweils benutzt worden ist. Er beschreibt nochmals das große Jagdmesser, das 56 Millimeter breit ist und 460 Millimeter lang, wovon 300 Millimeter auf die Klingel entfallen. Das Butterfly-Messer wiederum hatte eine Gesamtlänge von 225 Millimetern und eine Klingenlänge von 85 Millimeter bei einer Breite von 16 Millimetern. Die Ergebnisse des Experten ergeben, dass eine der Verletzten durch das Jagdmesser verletzt worden ist, Pascal S. wiederum durch das Butterfly-Messer zu Schaden gekommen sein könnte, aber auch das große Jagdmesser nicht auszuschließen sei. Er führt weiter aus, dass das Butterfly-Messer weniger scharf ist als das Jagdmesser.

In seiner Stellungnahme zu diesem Thema gibt Frank S. zu bedenken, dass das große Jagdmesser nur ein Deko-Messer sei und völlig stumpf ist.

Als nächste Zeugin wird Stella G. aus Köln gehört, die bei einem Beschäftigungsträger der Stadt Köln als Vermittlerin angestellt ist. Ihre Aufgabe war die Betreuung von Frank S. während seiner Arbeitslosigkeit. Sie musste die Akte Frank S. übernehmen, da Ihre Kollegen Probleme mit ihm hatten. In dieser Phase lehnte Frank S. eine Stelle in einem DRK-Flüchtlingsheim als Hausmeistergehilfe mit dem Verweis auf seine rechtsradikalen Einstellungen ab. Frank S. hatte zudem keine Lust auf weitere Qualifikationen und benahm sich unverschämt. Hierzu gab es ernste Gespräche, die nicht selten mit Aggressivität endeten. Nach einer Drohung („wir sehen uns bestimmt noch mal“) seitens Frank S. hat Stella G. ihn aber nicht mehr wiedergesehen.

Wiederum streitet Frank S. die gesamte Aussage der Zeugin ab.

Nun kommen drei Zeugen, die schon mal gehört worden sind, aber jetzt nochmals aussagen müssen, da der nunmehr alleinige Anwalt von Frank S., Jasper M. bei der ersten Vernehmung dieser drei Zeugen nicht anwesend war. Der Inhalt der Aussagen ist nahezu identisch mit dem ihrer ersten Vernehmung bei Gericht.

Schließlich verliest das Gericht noch die Angaben zum Haftbefehl gegen Frank S., der durch das Amtsgericht Köln ausgestellt wurde. Darin wurden für seine Tat niedrige Beweggründe und Heimtücke festgestellt. Ebenso sei Frank S. dringend tatverdächtig gewesen, Fluchtgefahr habe ebenfalls bestanden.

Bildquelle: Gerhard Frassa / pixelio.de

Anneli-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Ausspähen: Wie Täter ihre Opfer finden

Am 9. Juni, dem dritten Verhandlungstag im Anneli-Prozess, sind circa 25 Zuschauer im Saal und 15 Journalisten.

Ich bin heute befördert worden, von Platz 25 in der dritten Reihe auf Platz drei in der ersten Reihe.

Dann kommen die Parteien in den Saal. Ramona R. ist wie zuletzt auch in Schwarz gekleidet, Uwe R. in Schwarz-Grau, Anett R. hingegen in Creme-Weiß.

Vor Beginn der Verhandlung wird ein bisschen gelächelt und auch ein bisschen gelacht, das ist ein gutes Zeichen und absolut erlaubt.

Doch als die Beschuldigten den Raum betreten, schauen die Familienangehörigen nicht hin.

Antrag auf Beweisverwertungsverbot

Zu Beginn des Verhandlungstages verliest der Verteidiger von Norbert K. eine Erklärung gemäß Paragraf 257, Absatz 1 der Strafprozessordnung. Er wiederholt seinen Antrag zum Verwertungsverbot der Aussagen seines Mandanten während der zweiten polizeilichen Vernehmung, und stellt ebenfalls die Rechtswegwidrigkeit der vorläufigen Festnahme fest. Er stellt damit die gesamte Beweiskraft in Frage.

Wahrscheinlich rechnet der Verteidiger mit der Ablehnung seines Antrages und möchte sicherlich schon zu einem frühen Zeitpunkt des Gesamtprozesses einen möglichen Revisionsgrund schaffen.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. nimmt hierzu nur ganz kurz Stellung und empfiehlt der Verteidigung, doch nochmals die 16 Aktenbände zu lesen. Dort würde alles Notwendige zu dem Antrag stehen. Die Nebenkläger-Vertreter schließen sich dieser Erklärung an.

Zeugenaussagen

Nun kommt der erste Zeuge des heutigen Tages zur Befragung. Es ist der Student Lukas S. (23). Er war am Entführungstag als Jäger in dem Gebiet unterwegs, im dem die Entführung stattgefunden hat. Dort hat er das Täter-Fahrzeug, einen grauen BMW-Kombi, gesehen. Zu den Personen, die im Kfz saßen, kann er nichts sagen, weil er zu weit entfernt war.

Danach wird die nächste Zeugin befragt, Julie B. (16). Da die Schülerin sehr große Angst vor den Tätern hat, kommt sie in Begleitung ihrer Mutter. Beide sind komplett in Schwarz gekleidet. Julie B. kannte Anneli R. und ihre Familie persönlich. Sie erzählt, dass sie am Tattag auf dem Feldweg gefahren ist, direkt am stehenden BMW vorbei, und nun Markus B. eindeutig identifizieren kann. Er hat auf dem Beifahrersitz gesessen. Das Fenster war heruntergelassen, ein Arm hing heraus. Auch bei einer Bildervorlage erkennt sie Markus B. sofort. Nach ihrer Aussage gibt Julie B. noch eine persönliche Erklärung ab, die ihrer Trauer um Anneli Ausdruck verleiht. Auch ihre Mutter wird noch spontan vernommen und bestätigt die Angaben ihrer Tochter.

Anett R. ist durch die Aussage der Schülerin sehr mitgenommen. Auch die Zeugin selbst ringt sehr um Fassung.

Danach kommt der 37-jährige angestellte Landwirt Thomas H. als Zeuge. Er berichtet über ungewöhnliche Treffen mit Markus B. in der Nähe und am Haus der Familie R. Er kennt Markus B. persönlich und ist mit dessen Bruder zusammen zur Schule gegangen. Da das Haus der Familie R. vom Wohnort des Markus B. sehr weit entfernt ist, hat er sich gewundert, was Markus B. denn da wohl zu tun hätte. Allerdings hatte er kein großes Interesse an Markus B., da er – wie auch viele andere in dem Dorf – der Meinung war, Markus B. sei ein Spinner, der sehr viel Falsches erzählt.

Die Familie von Markus B. wohnte im Haus seiner Schwiegermutter. Dieses sollte verkauft werden, da die Ehefrau von Markus B. in einer anderen deutschen Stadt eine Anstellung gefunden hatte.

Die Körpersprache der beiden Angeklagten ist eindeutig die von Schuldigen.

Erneute Befragung der Polizeibeamten

Nun wird nochmals der Zeuge Sven M. vom Landeskriminalamt Sachsen gehört. Hierbei geht es um entsprechende Berichte des eingesetzten SEK-Kommandos und um den Umstand, ob der Angeklagte Norbert K. bei seiner Festnahme müde und verschlafen angetroffen worden ist oder putzmunter. Es werden zur Klärung dieses Sachverhalts circa zwei Minuten vom Einsatzfilm gezeigt. In diesem ist zu sehen, dass der Angeklagte liegend auf der Couch mit einer Decke angetroffen worden ist. Natürlich ist er durch das Aufbrechen der Haustür geweckt worden, er macht aber immer noch einen sehr verschlafenen Eindruck. Er kann den Anweisungen der SEK-Beamten nur nach mehrmaligem Nachfragen folgen.

Die Verteidigung von Norbert K. versucht nun nochmals, wie schon am vorangegangenen Verhandlungstag, durch Fragen, die nicht zu beantworten sind, die Zeugenaussage des SEK-Beamten zu durchlöchern. Dieses gelingt nicht, denn das Gericht verliest nun das rechtsmedizinische Gutachten bezüglich der körperlichen Untersuchung von Norbert K. vom Festnahmetag. Norbert K. war damals 61 Jahre alt, 96 Kilo schwer bei einer Körperlänge von 1, 80 Meter. Er wies keine Anzeichen einer Einnahme von Rauschmittel auf und war bei der ärztlichen Untersuchung wach.

Nach der Mittagspause nimmt das Gericht zum Verwertungsverbot auf Antrag der Verteidigung Stellung. Der Antrag wird abgelehnt, weil es keine Beeinträchtigung der Vernehmungsfähigkeit von Norbert K. gab. Auch die Festnahme war rechtens, da Gefahr im Verzug bestand.

Zeugen über das Vortat-Verhalten der Täter: Ausspähen und Auswahl der Opferfamilie

Als nächster Zeuge wird nochmals der Kriminalhauptmeister Rüdiger P. gehört. Er ist derjenige, der auch zwei Berichte beim SEK angefordert hatte und gibt hierzu Aufklärung.

Bei der Vernehmung von Norbert K. hat dieser auf den vorgeworfenen Sachverhalt mit Ausweichen reagiert, auf das Bild von Anneli R. mit einer verzögerten Reaktion. Der Zeuge beschreibt die Tatbeteiligung von Norbert K. eher als Beihilfe, so sein Eindruck. Markus B. habe alles umgesetzt und bestimmt. Norbert K. wiederum wollte nie den Tod von Anneli R. Rüdiger P. vermutet, dass auch Norbert K. durch Markus B. hätte getötet werden sollen. Er stellt allerdings heraus, dass dies ist nur eine Vermutung ist.

Laut Rüdiger P. gab Norbert K. an, dass er erst ungefähr eine Woche vor der Tat von der Entführung erfahren hat. Neben der Familie R. seien auch andere Familien ausspioniert worden, insbesondere ein Millionär aus der Gemeinde Grumbach. Dieser Unternehmer hatte allerdings entsprechende Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmanlagen am Haus, ein sondergeschütztes Fahrzeug und Personenschutz. Deswegen hat Markus B. hier eine Entführung samt Erpressung ausgeschlossen.

Norbert K. hat dem Ermittler Rüdiger P. die Entführungssituation sehr ausführlich beschrieben. Danach hat sich Markus B. in einem Gebüsch versteckt mit einem mit Ethanol getränkten Tuch. Er selber saß im Auto und hat die Situation abgewartet. Aus dem Gebüsch heraus hat sich Markus B. dann auf die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende Anneli R. gestürzt. Sie hatte keine Chance, da sie den Angriff nicht hätte vermuten können. Dann hat Markus B. versucht, sie mit Kabelbinder an Armen und Beinen zu fixieren, um sie sodann in den Kofferraum des grauen BMW-Kombis zu legen. Da dies nicht gelang, weil Anneli R. sich heftig wehrte, wurde sie auf die Rückbank gelegt und dort von Markus B festgehalten.

Das Gericht befragt den Zeugen nun, in welcher Art und Weise die Tatbeteiligung von Norbert K. im Zusammenhang mit der Tötung von Anneli R. stand. Doch da der Todeszeitpunkt nicht genau bekannt ist, ist diese Frage nicht zu beantworten. Allerdings ist fraglich, warum Norbert K. überhaupt mitgemacht hat, wenn er doch all dies nicht wollte.

Markus B. scheint von dieser Aussage unbeeindruckt zu sein, er schaut mal nach links, mal nach rechts zu seinen Anwälten.

Die Zeugenaussage von Rüdiger P. suggeriert, dass Norbert K. Markus B. hörig gewesen sein könnte und daher nichts für sein Verhalten kann. Doch diese Schlussfolgerung wäre wohl zu weit gegriffen.

Emotionale Eskalationen im Gerichtssaal

Hiernach erfolgt eine in Augenscheinnahme am Richtertisch. In dieser Situation, da alle Beteiligten der Parteien mit dem Rücken zum Gerichtssaal stehen, nutzt Ramona R. die Gelegenheit, die Beschuldigten direkt anzusprechen. Sie fordert beide auf, doch endlich ihre Aussagen zu machen und beschimpft die Täter. Die Oberstaatsanwälten Karin D. zieht Ramona R. von den Beschuldigten weg. Norbert K. wiederum läuft nach dieser direkten Ansprache der Mutter von Anneli R. rot an. Auch der Verteidiger geht dazwischen.

Da der aktuell befragte Zeuge Rüdiger P. in seinen Antworten sehr viel interpretiert und sich nicht so sehr an die Fakten hält, fordert ihn der Nebenkläger-Anwalt von Uwe und Ramona R. auf, Vermutungen künftig sein zu lassen und sich nur noch an die Fakten zu halten. Auch der Verteidiger von Norbert K. geht auf die übersteigerte Interpretationsdarstellung des Zeugen ein. In diesen findet der Verteidiger natürlich genügend Ansätze, die Aussage des Zeugen zu hinterfragen. Beispielsweise fragt der Anwalt Rüdiger P. nach der Logik der Entführung – die es natürlich nicht gibt, da Verbrechen nie logisch sind.

Unter anderem teilt der Zeuge mit, dass auch der Präsident der Polizei gesagt hätte, die Entführung sei „grottig schlecht“ gewesen.

Das ist natürlich eine ganz schlimme und schwer auszuhaltende Aussage im Hinblick auf die Ermordung von Anneli R. Ihre Eltern und ihre Schwester reagieren entsprechend.


Bildquelle: Martin-Schemm / pixelio.de

Sonderbeitrag zum Reker-Prozess | Täter-Typ: Terrorist

Nach dem 6. Verhandlungstag steht meine Einschätzung zum Täter-Typ nun endgültig fest. Wohingegen viele Beobachter Frank S. einfach für verrückt oder schwachsinnig halten, trifft aus meiner Sicht die in Sicherheitskreisen übliche Definition „Terrorist“ voll und ganz zu.

Danach ist ein Terrorist jemand, der durch Gewaltaktionen (MESSER-ATTENTAT) gegen eine politische Ordnung (SOZIALDEZERNENTIN und potentielle OBERBÜRGERMEISTERIN HENRIETTE REKER) vorgeht. Er will unter anderem Unterstützungsbereitschaft erzeugen und das Denken besetzen, um dadurch Veränderungsprozesse (WÄHLT NICHT HENRIETTE REKER UND IHRE POLITIK) zu erzwingen. Ein weiteres typisches Merkmal ist die Inkaufnahme des eigenen Tods (MIT DEM FRANK S. LAUT AUSSAGE RECHNETE).

Sonderbeitrag zum Reker-Prozess | Täter-Typ: Terrorist

Das Geschehen um Henriette Reker zeigt, dass nicht nur eine Gefahr von IS-Terrorzellen ausgeht. Vielmehr sind wir in Deutschland auch von deutschen Terroristen bedroht, egal welcher politischen oder religiösen Weltsicht.

Gravierend in diesem Zusammenhang ist, dass die Sicherheitsbehörden, dies weder auf dem Schirm haben, noch etwas dafür tun, dass seitens dieser Gefährder keine Gewalt ausgeübt werden kann. Daher ist es von größter Bedeutung für die Sicherheit der Bevölkerung, dass durch die Sicherheitsbehörden von Stadt, Land und Bund eine effektive Prävention eingerichtet wird. Speziell im Fall Henriette Reker hätte die besondere Konstellation Sozialdezernentin / Flüchtlingspolitik / Oberbürgermeister-Kandidatin vom Staatsschutz der Polizei Köln im Vorfeld analysiert und hinsichtlich der Schutzmaßnahmen besser vorbereitet werden müssen.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Siebter Verhandlungstag | Paukenschlag: Anwalt entpflichtet!

Am siebten Verhandlungstag am 6. Juni 2016 sind lediglich zehn Journalisten anwesend – und das, obwohl Herausragendes geschieht: Einer der zwei Rechtsanwälte des Angeklagten Frank S., Dr. Christof M. wird von seinem Mandant entpflichtet. Dies ist ein außergewöhnlicher Vorfall.

Als der Angeklagte den Gerichtssaal betritt, ist nur sein Anwalt Jasper M. vor Ort. Der Stuhl auf dem sonst sein zweiter Anwalt saß, ist frei geblieben und nun von Frank S. besetzt. Nachdem die Vorsitzende Richterin Barbara H. das mitbekommen hat, fordert sie ihn auf, sich einen anderen Platz zu nehmen.

In der heutigen Verhandlung wird sodann im Zusammenhang mit der Entpflichtung berichtet, dass eine Bekannte, von Frank S., die er vor etwa zehn Jahren kennengelernt und die nun wieder Kontakt mit ihm aufgenommen hat, auch in regem E-Mail-Kontakt mit seinem zweiten Anwalt Dr. Christof M. stand. Die Bekannte hat diesen E-Mail-Verkehr dem Gericht offengelegt, dessen Inhalt den Angeklagten aufregt und den er „schweinisch“ nennt.

Reker-Prozess: Siebter Verhandlungstag | Paukenschlag: Anwalt entpflichtet!

Frank S. erweiterte seinen Antrag auf Entpflichtung des Anwalts und möchte zusätzlich auch seinen zweiten Anwalt Jasper M. entpflichten lassen, weil dieser von den „Machenschaften“ von Dr. Christof M. wusste und Frank S. für „verblödet“ hält. Zusätzlich wirft der Angeklagte seinem Ex-Anwalt Dr. Christof M. Alkoholmissbrauch während der Gerichtspausen vor. Sein zweiter Anwalt Jasper M. wiederum hätte keine Ideale.

Hierzu nimmt auf Aufforderung des Gerichts auch der Generalbundesanwalt Stellung. Eine Entpflichtung von Jasper M. hält dieser für nicht relevant. Einer Entpflichtung von Christof M. in Bezug auf die E-Mails mit der Bekannten von Frank S. stimmt er jedoch zu. Daraufhin gibt es eine Beratungspause für das Gericht.

Nach dieser Pause liest das Gericht einen Antrag des Rechtsanwalts Dr Christof M. vor, indem er selbst um Entpflichtung von seinem Mandanten Frank S. bittet, da sowohl das Vertrauensverhältnis gestört sei, als auch die Kommunikation nicht mehr stattfindet. Danach teilt das Gericht seinen Beschluss mit: Dr. Christof M. wird entpflichtet, Rechtsanwalt Jasper M. jedoch nicht, da hierfür keine Gründe vorliegen. Des Weiteren wird durch das Gericht festgestellt, dass nun einige Zeugen nochmals gehört werden müssen, da der verbleibende Anwalt Jasper M. teilweise nicht am Prozess teilgenommen habe und somit einige Zeugen nicht persönlich erlebt hat.

Nun wird die erste Zeugin des heutigen Tages vernommen, Dr. Konstanze J. (60), Psychiaterin aus Köln. Sie hatte den ersten ärztlichen Kontakt zum Beschuldigten nach dem Attentat. Hierzu wurden sie von der Polizei angerufen und beauftragt. Es galt, die Frage zu klären, ob der Beschuldigte in einen normalen Strafvollzug und gebracht werden kann, oder ob er in eine entsprechende Anstalt eingeliefert werden muss. Zur Aufsicht war eine Polizeibeamtin beim Gespräch anwesend.

Dr. Konstanze J. teilt mit, dass Frank S. kooperativ war und alles verstanden hat. Er sagte ihr, dass er ein politisch motivierter Straftäter sei, aber nicht geistesgestört. Seine politische Richtung sei rechts. Er mache sich Sorgen wegen der Flüchtlingskrise. Die Flüchtlinge seien die neuen „Sklavenkräfte“. An Henriette Reker hat ihn die „extreme Verlogenheit“ gestört. Auch sei er „arbeitslos aus Überzeugung“.

Während dieser Aussage schüttelt Frank S. immer wieder den Kopf.

Zum Befund äußerte Dr. Konstanze J., dass eine wahnhafte Störung nicht zu erkennen sei. Im Gespräch war Frank S. bewusstseinsklar. Sein Denken war etwas ausufernd und eingeengt. Er war nicht paranoid. Es gab keinen pathologischen Befund und auch Suizidgefahr bestand nicht. Seine Stimmungslage während des Gesprächs war zuerst zurückhaltend, danach geriet er in gute Stimmung. Er war weder betroffen noch nachdenklich, eher etwas stolz.

Nun stellt Frank S. selbst auch eine Frage und möchte wissen, ob die Zeugin unabhängig sei, was wiederum bejaht wird. In seiner nachfolgenden Stellungnahme streitet Frank S. die gesamte Aussage der Zeugin ab.

Hiernach wird als Zeugin die Kriminaloberkommissarin gehört, die beim Gespräch mit der Psychologin anwesend war. Sie teilt mit, dass Frank S. schockiert war, als er gehört hat, dass es mehrere Verletzte gab. Sie fand diese Aussage allerdings nicht glaubhaft, sie wirkte sehr aufgesetzt. Weiterhin teilte Frank S. im Gespräch mit Dr. Konstanze J. mit, dass er Henriette Reker nicht töten, sondern nur verletzen wollte. Er habe diese Tat für die Zukunft unserer Kinder und für Deutschland getan. Er hätte im Vorfeld länger über das Attentat nachgedacht und festgestellt, dass diese Handlung notwendig sei. Frank S. hat der Kriminaloberkommissarin gegenüber einen klaren Eindruck hinterlassen und war sehr redselig.

In seiner anschließenden Stellungnahme äußert Frank S. seine Verwunderung darüber, dass er im Streifenwagen etwas anderes gesagt haben soll als nur zwei Stunden später bei seiner Vernehmung. Denn im Streifenwagen, so sei ihm unterstellt worden, habe er noch ausgesagt, dass er Henriette Reker hat töten wollen.

Im weiteren Verlauf des Verhandlungstages fordert Frank S. sein zweiten Anwalt Jasper M. dazu auf, sich wie sein Rechtsanwaltskollege Dr. Christof M. entpflichten zu lassen und sein Mandant Mandat abzulegen. Jasper M. erklärt, dass er das nicht machen wird, woraufhin Frank S. einen erneuten Antrag zur Entflichtung seines Anwalts stellt. Das Gericht wiederum gibt als Beschluss bekannt, diesem Antrag nicht statt zu geben. Auch wird keine Beiordnung eines weiteren Anwalts angewiesen.

Bildquelle: I-vista  / pixelio.de