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Reker-Prozess: Sechster Verhandlungstag | Attentäter verliert die Nerven

Heute haben sich die rabiaten Tendenzen in der Persönlichkeit des Angeklagten, die über die Dauer des bisherigen Prozessverlaufs immer wieder durchschimmerten, klar bestätigt.

Im Zeugenstand sind heute die Polizeibeamten, die Frank S. unmittelbar nach seiner Festnahme im Streifenwagen zum ersten Verhör ins Polizeipräsidium Köln gefahren haben.

Doch noch bevor die Zeugen aussagen können, versucht der Angeklagte über eine geschlagene Stunde lang dem Gericht zu erklären, warum er seine Anwälte Dr. Christoph M. und Jasper M. nicht mehr an seiner Seite haben möchte. Er wirft ihnen Lügen, mangelnden Einsatz, Alkoholprobleme sowie Verletzung der Schweigepflicht vor. Dieses in seiner altbekannten beleidigenden Art. Die Vorsitzende Richterin Barbara H. belehrt ihn immer wieder und bittet ihn, nicht so viel Unsinn zu reden. Auch der Bundesanwalt Dr. Lars O. wird deutlich und kontert gegenüber Frank S., dass hier nicht alle nach seiner Pfeife tanzen. Eine Entpflichtung der Anwälte hat an diesem Verhandlungstag im Übrigen nicht stattgefunden.

Reker-Prozess: Sechster Verhandlungstag | Attentäter verliert die Nerven

Alle drei Zeugen sagen danach gleichermaßen aus, der Beschuldigte habe freimütig, locker und entspannt gesprochen. Er habe herausgestellt und deutlich gesagt –das wird auch auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin nochmals durch die Zeugen bestätigt – dass er gerne die Bundeskanzlerin Angela Merkel getötet hätte. Es sei ihm aber zu schwierig gewesen, an sie heran zu kommen. Daraufhin habe er sich als Ziel die damalige Kölner Sozialdezernenten Henriette Reker ausgesucht, da sie ein leichteres Ziel zu sein schien. Er habe durch die Tötung Henriette Rekers ein Zeichen setzen wollen. Auch diese Aussage bestätigen alle drei Zeugen nochmals.

Weitere Äußerungen des Täters seien gewesen: „Ich habe sie gezielt in den Hals gestochen. Einmal. Ich war der Meinung, dass das gereicht hat.“ Und weiter: „Ich hoffe, dass sie stirbt.“

Diese Aussagen sind für den Angeklagten besonders prekär. Bisher hatte er immer angegeben, dass er sie nicht habe umbringen wollen. Doch mit diesen Zeugenaussagen ist diese Behauptung nun widerlegt. Er wird deshalb nun sicherlich wegen versuchten Mordes verurteilt, bei Urteilsbestätigung droht ihm lebenslange Haft.

Auf diese Aussagen hin beschimpft der ohnehin schon recht aufgebrachte Frank S. die Polizisten als „verlogene Schweinehunde“.

Dieser verbale Ausfall bleibt auch über das Ende des heutigen Prozesstages in Erinnerung.

Bildquelle: NicoLeHe / pixelio.de

Zweiter Verhandlungstag – Beschuldigter Norbert K. im Fokus

Zum heutigen Verhandlungstag am 3. Juni 2016 sind nur noch circa 15 Pressevertreter und etwa 40 Zuschauer vor Ort.

Es ist ein üblicher Effekt, dass das Interesse nach dem ersten Verhandlungstag eines Prozesses sinkt und weniger Zuschauer und Journalisten anwesend sind.

Zu Beginn ist wieder eine gewisse Unruhe im Saal zu spüren. Ramona und Annette R. sind wieder schwarz gekleidet. Fotografen stürzen sich auf sie, als sie den Gerichtssaal betreten. Später, als der Vater der Getöteten, Uwe R., sich auf seinen Platz gesetzt hat, stellt er einen Laptop vor sich auf den Tisch und klappt ihn auf. Auf dem Bildschirm sind zwei große Fotos seiner Tochter zu sehen. Auch seine Frau hat ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Anneli vor sich aufgestellt. Der Haupttäter Markus B. sitzt ihr genau gegenüber und muss nun, sobald er hochschaut, genau auf die Bilder von Anneli R. sehen.

Das Gericht gibt heute bekannt, dass nun auch der Bruder der getöteten Anneli als Kläger in das Verfahren eingetreten ist.

Antrag auf Beweisverwertungsverbot

Da die Verteidigung von Norbert K. am letzten Verhandlungstag ein Beweisverwertungsverbot für die zweite polizeiliche Vernehmung gestellt hat, wird nun die Stellungnahme der Staatsanwältin gehört. Sie erläutert ausführlich, dass der Beschuldigte damals genügend Pausen gehabt hätte, was sie minutiös belegen kann.

Während des Verlesens der Stellungnahme hebt der Angeklagte Norbert K. immer wieder den Kopf. Ramona R. wiederum schaut nur auf den Angeklagten Markus B., der auf den Tisch vor sich starrt. Nach der Verlesung weist das Gericht Uwe und Ramona R. an, die aufgestellten Fotos von Anneli wieder zu entfernen, da diese Demonstration aus Sicht des Gerichts keinerlei Sinn hat.

Auch der Nebenkläger-Vertreter von Ramona R. nimmt zum Beweisverwertungsverbot der Verteidiger Stellung. Er hält es für eine taktische Maßnahme, um eine Aussage des Beschuldigten, die dieser in einer Vernehmungspause getätigt hat, jetzt wieder zurückzunehmen. Das Brisante: Diese Aussage offenbart, dass seine Beteiligung am Tatgeschehen intensiver war, als er am ersten Verhandlungstag eingeräumt hat. Er wusste, dass Anneli getötet wurde und er wusste auch, wie. Zudem wurden bei der besagten zweiten Vernehmung ordnungsgemäße Pausen gewährt und mehrfache Belehrungen durchgeführt.

Der Verteidiger von Norbert K. beantragt jetzt einen Gerichtsbeschluss.

Befragung der Polizeibeamten

Nun wird der Kriminalhauptmeister Jörg M. (46) aus Dresden gehört. Er habe am Tag der Vernehmung Bereitschaft gehabt und sei um 03:30 Uhr zur Dienststelle gerufen worden, um dort mit der Vernehmung des Tatverdächtigen Norbert K zu beginnen. Die Vernehmung habe um 06:15 Uhr begonnen, wobei zunächst die offizielle Belehrung durchgeführt worden sei.

In der Vernehmung habe Norbert K. angegeben, Markus B. bereits seit circa drei Jahren zu kennen. Beide hätten eine Kumpel-Beziehung gepflegt, zudem habe Norbert K. Markus B. immer mal wieder ein wenig ausgeholfen. Zum Beispiel habe er dessen Hund ausgeführt und dafür Benzingeld erhalten.

Norbert K. habe eine Tatortbegehung abgelehnt und auch jegliche Anschuldigungen immer wieder bestritten. Er sei dabei sehr nervös gewesen, sodass die vernehmenden Beamten der Meinung gewesen seien, dass etwas nicht stimmen könne und Norbert K. ihnen etwas verheimliche.

Die Oberstaatsanwältin Karin D. fragt den Kriminalhauptmeister Jörg M. nun, ob der Beschuldigte alles verstanden habe, was der Beamte mit einem selbstbewussten Ja beantwortet. Die Nebenkläger-Anwälte von Uwe und Ramona R. fragen nach dem allgemeinen Zustand des Beschuldigten, wie lange er wach gewesen sei und ob er einen übermüdeten Eindruck hinterlassen habe. Letzteres wurde von Jörg M. verneint, allerdings habe Norbert K. einige Fragen blockiert. Nun stellt der Verteidiger von Norbert K. eine Suggestivfrage – die jedoch grundsätzlich nicht gestattet sind – und möchte wissen, was gewesen wäre, wenn der Beschuldigte geäußert hätte, dass er lange wach gewesen sei. Außerdem mahnt der Anwalt an, dass man seinem Mandanten während der damaligen Vernehmung gesagt hätte, sein Handy wäre am Tatort eingeloggt gewesen. Dies hatte Norbert K. schon während der Vernehmung abgestritten, völlig zurecht, denn Norbert K. hatte sein Handy in Lampersdorf gelassen.

Der nächste Zeuge ist der Kriminalhauptkommissar Alexander S. vom Landeskriminalamt Sachsen. Er war am 16. bzw. 17. August 2015 nach Bamberg gefahren, um dort den Beschuldigten Markus B. zu vernehmen. Als Alexander S. auf Markus B. traf, habe dieser geweint und kaum sprechen können, allerdings habe er sich schnell beruhigt. Anschließend habe Alexander S. die die offizielle Belehrung durchgeführt. Der Beschuldigte habe sich jedoch zum Tatvorwurf nicht eingelassen.

Später, als ein Bamberger Rechtsanwalt zur Vernehmung dazugestoßen war, habe Markus B. dem Beamten mitgeteilt, dass er die Familie R. gekannt habe, Uwe R. sogar persönlich von einem Unternehmer-Stammtisch. Er habe des Weiteren berichtet, dass er den Feldweg zur B 101, auf dem Anneli R. entführt worden war, selbst schon benutzt hatte, mit dem Fahrrad und zusammen mit seinem Hund. Er habe sogar angeboten, sich in der Szene (Rocker, Albaner, Russen) umzuhören. Zitat: „Die Szene weiß alles.“ Als die Polizisten schließlich gemeinsam mit Markus B. nach Dresden fuhren, sei der Beschuldigte nach wenigen Minuten tief und fest eingeschlafen.

Die Verteidiger von Markus B. möchten jetzt wissen, woher der LKA-Beamte Alexander S. die Aussagen von Norbert K. bekommen habe (diese hatte er von Kollegen auf dem Flur erhalten) und außerdem, ob es Spuren gab, von denen er bei bereits der Vernehmung gewusst habe. Alexander S. berichtet, er habe Kenntnis von einem Taschentuch gehabt, das am Tatort gefunden worden war und auf dem sich DNA-Spuren von Markus B. befunden haben.

Hiernach wird als Zeuge der Polizeidirektor Sven M. (55) befragt, Kommandoführer des SEK Sachsen, der mit einer klaren und dominanten Stimme spricht. Beamte seines Status haben eine nur eingeschränkte Aussagegenehmigung, was bedeutet, dass er nichts zum Materialeinsatz oder zum Ausbildungsstand der SEK sagen, und auch keine Personenangaben zum eingesetzten SEK-Team machen darf.

Er gibt zunächst an, dass er selbst nicht vor Ort gewesen sei, als Norbert K. festgenommen wurde, der Einsatz zur Festnahme habe wiederum keine 10 Minuten gedauert.

Die Verteidiger von Norbert K. möchten wissen, in welchem Zustand sich ihr Mandant bei Eintreffen der Einsatzkräfte am Festnahmeort befand. War er putzmunter oder verschlafen? Sven M. sagt aus, dass Norbert K. benommen gewirkt habe. Da dies zum aktuellen Zeitpunkt jedoch nicht eindeutig geklärt werden kann, legt das Gericht nun fest, dass der Zeuge an einem der nächsten Verhandlungstage nochmal vernommen und zu diesem Anlass auch der Einsatzfilm gezeigt wird.

Nach der Mittagspause wird nun Kriminalhauptmeister Rüdiger P. (48) vom Polizeipräsidium Dresden gehört. Er habe den Beschuldigten Norbert K. gegen Mittag erstmals gesehen und vernommen. Außerdem habe er eine offizielle Belehrung durchgeführt und vom Beschuldigten eine Bestätigung bekommen, dass er diese Belehrung verstanden habe. Norbert K. sei mit der Vernehmung einverstanden gewesen und habe zum damaligen Zeitpunkt auch keinen Anwalt gewollt, sondern erst bei Gericht. Bei der Vernehmung seien ausreichend Pausen gemacht worden.

Doch erst in einer Pause zwischen 16:05 Uhr und 16:25 Uhr habe sich Norbert K. darauf eingelassen, sich zur Entführung zu äußern. Er habe mitgeteilt, dass Anneli R. tot sei und wo sich der Ablageort ihrer Leiche befinde.

Während dieser Zeugenaussage schüttelt Norbert K. immer wieder den Kopf und bespricht sich mit seinem Anwalt.

Der Zeuge teilt weiter mit, es habe niemals Anzeichen einer Erschöpfung oder eines Schlafmangels bei Norbert K. gegeben. Die Vernehmung habe insgesamt bis 22:15 Uhr gedauert und es habe insgesamt vier Pausen und mehrere Belehrungen gegeben.

Der Verteidiger von Norbert K. möchte nun wissen, welche Kleidung der Beschuldigte anhatte, worauf der Zeuge Antwort weiß. Der Anwalt fragt anschließend weitere Fragen, die aber kein Zeuge beantworten kann und, die auch für das Verfahren juristisch nicht wichtig sind. Zum Beispiel, woher genau der Zeuge gewusst habe, dass Norbert K. ein Beschuldigter ist.

Schließlich werden am Richtertisch Fotos von Norbert K. in Augenschein genommen, die am Tag seiner Vernehmung gemacht wurden, wie der Verteidiger behauptet. Dadurch soll geklärt werden, ob Norbert K. am nämlichen Tag müde war. Die Vorsitzende Richterin kann jedoch keine Müdigkeit erkennen.

Aussage des Mithäftlings von Norbert K.

Nach den Polizisten kommt nun mit Daniel I. (37) ein verurteilter Strafgefangener zur Befragung, der mit Norbert K. circa drei Wochen in Görlitz in einer Zelle eingesessen hat. Er selbst ist vor über drei Jahren wegen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden und sitzt seitdem in der JVA Waldheim ein.

Daniel I. teilt dem Gericht mit, dass Norbert K. ihm erzählt habe, sie hätten das Mädchen entführt und eingesperrt. Später sei das Mädchen tot gewesen. Beide hätten die Leiche vergraben und sich noch über die Tiefe des Lochs gestritten. Norbert K. habe ein tieferes Loch als Markus B. gewollt, weil sonst der Verwesungsgeruch zu schnell bemerkt würde. Die Kleidung des Opfers hätten sie verbrannt. Weiter erzählte Norbert K. seinem Mitinsassen, dass er 400.000 Euro Anteil vom Lösegeld hätte erhalten sollen.

Norbert K. habe ihm des Weiteren berichtet, er sei von Markus B. angerufen worden und sofort zu ihm eilen müssen. Als Norbert K. vor Ort eintraf, habe Anneli R. schon nackt auf dem Boden gelegen und sei blau angelaufen gewesen. Der Grund der Tötung sei Norbert K. nicht klar gewesen. Er habe Daniel I. auch davon erzählt, dass Markus B. das Opfer so betäuben wollte, dass dieses sich an nichts mehr erinnern könnte.

Nun beschreibt Daniel I. recht genau, wie die Leiche nach Norbert K.s Bericht entsorgt worden ist.

In diesem Erzählmoment wendet sich die Familie R. vom Zeugen ab. Anett R. hält eine Hand vor das Gesicht, ihre Mutter schaut ihren Mann an.

Warum Norbert K. und Markus B. ausgerechnet Anneli R. entführt haben, erklärte Norbert K. damit, dass vorab mehrere Personen durch Markus B. ausspioniert worden seien. Dabei offenbarte sich für die beiden Täter letztlich, dass Familie R. viel Geld besitzte und sich eine Entführung samt Erpressung lohnen würde. Markus B. habe durch einen Hauskauf hohe Schulden gemacht und brauche nun entsprechend viel Geld.

Dass der Zeuge Daniel I. heute hier aussagt, ergab sich über die Postkontrolle in der Untersuchungshaft. Er hat in einem Brief an seine Mutter von den Berichten des Norbert K. geschrieben, insbesondere auch deshalb, weil dieser ihm gesagt hatte, dass Markus B. Lebensmittel im Supermarkt „Kaufland“ präparieren wollte, um das Unternehmen zu erpressen. Daher riet er seinen Angehörigen davon ab, dort einzukaufen. Des Weiteren habe Norbert K. ihn genau über den Einführungsablauf informiert. Auch habe Norbert K. erwähnt, dass sein Therapeut ihm geraten hätte, über die Straftat zu reden, weil ihm das psychisch helfen würde. Seine Kooperation mit der Polizei – noch bevor Markus B. dies ebenfalls täte – würde ihm Bonuspunkte einbringen, berichtete Norbert K. dem Mithäftling Daniel I.

Daniel I. weiter: Markus B. sei zu einhundert Prozent der Bestimmende in dem Entführungs- und Tötungsdelikt gewesen, er wäre schlau und gewieft. Außerdem sei Markus B. ein Rocker, wie Norbert K. erwähnte.

Die Nebenkläger-Anwälte befragen den Zeugen nun noch zu weiteren Details der Entführung. Sie wollen unter anderem erfahren, wie der Zugriff auf Anneli R. passierte. Daniel I. erklärt, dass Norbert K. ihm beschrieben habe, Markus B. wäre aus einem Gebüsch heraus auf Anneli R. zugesprungen und hätte sie vom Fahrrad gestoßen. Das Handy von Anneli sei später in die Talsperre geworfen worden.

Jetzt fragen die Verteidiger von Markus B. nach dem Grund der Inhaftierung von Daniel I. Er teilt mit, dass er wegen Handels mit Crystal in insgesamt sechs Fällen (650 bis 700 Gramm) verurteilt worden sei. Auf die Frage, ob er denn Vorteile durch seine Aussage zu erwarten hätte, antwortet Daniel I., dass er eher mit Nachteilen rechnen müsse. Der psychologische Sachverständige fragt den Zeugen nun, wie er denn Norbert K. erlebt habe? „Als einen ganz normalen Mann, dem ich das nicht zugetraut hätte.“, antwortet der Zeuge.

Damit endet der Verhandlungstag um 15:02 Uhr.


Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Fünfter Verhandlungstag

Am heutigen 17. Mai 2016 sitzen neben vier Justizbeamten auch acht Journalisten und zwei Zuschauer im Gerichtssaal.

Zu Beginn der Verhandlung betritt der Angeklagte Frank S. den Gerichtssaal und setzt sich erneut demonstrativ drei Plätze von seinen Verteidigern weg – dabei schaut er seine Anwälte regelrecht angewidert an. Als die Vorsitzende Richterin den Saal betritt und diese Situation bemerkt, fordert sie Frank S. auf, sich neben seine Verteidiger zu setzen, worauf er antwortet: „Das sind nicht meine Verteidiger.“ Doch die Richterin setzt sich nach Ermahnung des Beschuldigten durch.

Zeuge Nummer eins

Als erster Zeuge wird heute der Landwirt Matthias Peter K. (38) aus Wesseling gehört. Er betrieb auf dem Markt einen Verkaufsstand, der sich in Blickrichtung auf die Wahlkampfstände der Parteien befand.

Als er lautes Geschrei hörte, habe er sich zu den Wahlkampfständen umgedreht und Henriette Reker am Boden liegen und zwei Männer miteinander ringen sehen. Es seien der Attentäter mit einem Messer in der Hand und TaxiunternehmerMartin B. mit einer flexiblen Kunststoffstange gewesen. Dann habe Frank S. das Messer weggeworfen und nur noch still dagestanden. Anschließend habe Matthias Peter K. gehört, wie der Angeklagte vor sich hin sprach, er hätte das „für die Kinder gemacht“ und „ihr habt keine Ahnung, worauf ihr euch da eingelassen habt“. Den Gesichtsausdruck des Attentäters beschrieb der Zeuge als „Mission erfüllt“. Außerdem ist dem Zeugen während der Rangelei eine Besonderheit aufgefallen: Beim Attentäter hat er ein kleines Messer gesehen.

Reker-Prozess: Fünfter Verhandlungstag

Zeuge Nummer zwei

Als nächster Zeuge wird nun der ehemalige Polizeibeamte und jetzige Vertriebsmitarbeiter Florian K. (29) gehört. Er hat damals in Marktnähe gewohnt und wollte dort einkaufen.

Das Attentat habe er aus der Entfernung wahrgenommen. Als er den Markt erreicht und sich einen Überblick über die Situation verschafft hatte, habe er den Angeklagten Frank S. vorläufig festgenommen und ihn belehrt. Auch zu ihm habe Frank S. gesagt: „Das habe ich für euch alle getan. Das sind doch alles keine Politiker.“ Als die Polizei eingetroffen war, habe Florian K. den Attentäter an die Beamten übergeben.

Frank S. habe auf ihn ruhig, abgeklärt, berechnend und gefasst gewirkt. Der Täter schien zu wissen, was er tat. Sein Blick sei klar gewesen und habe nicht verrückt gewirkt. Des Weiteren teilt Florian K. eine Aussage vom Hörensagen mit, wonach Frank S. zu einem Polizeikollegen gesagt habe: “Heute Morgen bin ich als freier Mann aufgestanden, heute Abend bin ich als Mörder im Gefängnis.”

Der Generalbundesanwalt fragt noch einmal nach den Sätzen, die Frank S. vor Ort gesagt haben soll, unter anderem die Formulierung „das sind keine Politiker“. Dies wird durch den Zeugen bestätigt.

Die Verteidiger von Frank S. erkundigen sich anschließend nur danach, wo das große Messer gelegen hat.

Zeuge Nummer drei

Als dritter Zeuge des heutigen Tages wird Roland S. (57) aus Köln gehört. Er war für Die Grünen als Wahlkampfhelfer vor Ort. Vom Geschehen selbst hat er nichts gesehen, sondern nur die Unruhe mitbekommen.

Zunächst sei Frank S. mit einem großen Messer in seinem Blickfeld aufgetaucht, da dachte Roland S. noch an einen Scherz. Erst kurz darauf habe er die verletzte Henriette Reker gesehen. Er habe mitbekommen, dass Frank S. das große Messer wegwarf und ein kleines Messer aus der Hosentasche zog.

Aktenlektüre

Nach dieser Zeugenanhörung liest das Gericht einige Akteninhalte vor. Unter anderem die Asservatenliste und Angaben zum Auffindeort der Tatwaffe. Des Weiteren werden etliche Spuren an Spurenträgern, wie zum Beispiel dem Tatmesser, benannt, mit dem Ergebnis, dass dem Bowiemesser sowohl Blut von Henriette Reker als auch von Pascal S. und von Anette v. W. anhaftet. Weiter wird der Durchsuchungsbeschluss zur Privatwohnung von Frank S. und aus einigen Akten aus dem Job-Center vorgelesen.

Da der Angeklagte sich zwischendurch immer wieder ungefragt mündlich meldet, wird er lauthals und deutlich durch die Richterin ermahnt.

Zeugin Nummer vier

Als letzte Zeugin des heutigen Tages wird die Polizeioberkommissarin Katja K. (44) aus Köln vernommen. Sie war mit ihren Kollegen die erste Einsatzkraft vor Ort.

Der Zeuge Matthias B. habe ihr Zeichen gegeben, zum Attentäter Frank S. zu kommen. Dieser sei völlig ruhig gewesen und habe seine Hände in den Taschen gehabt. Er sei gefesselt, zum Streifenwagen geführt und dort belehrt worden. Hier habe er zu ihr gesagt: „Ich habe das für euch und eure Kinder getan. Und mehr sage ich nicht dazu.” Danach sei von ihm die als Frage formulierte Aufforderung gekommen: “Können wir dann jetzt fahren?!” Der Tonfall sei fordernd gewesen.

Fragen an den Angeklagten

Nach der Mittagspause gibt es noch ein paar Fragen der Vorsitzenden Richterin an den Angeklagten. Als Erstes geht es um eine Bestellung im Internet, bei der Aufkleber mit dem Abdruck „Dritter Weg“ bestellt worden sind. Frank S. erläutert dazu, dass er diese Aufkleber im Internet bestellt habe, um Antifa-Wahlplakate zu überkleben.

Weiterhin führt er aus, dass er etwa mit 16 Jahren schleichend in die rechte Szene hineingerutscht sei. Die Gruppenbezeichnung „Berserker“ sei erst aufgekommen, als er circa 20 Jahre alt war. Die Hauptaktion dieser Gruppe sei die Stellung einer Bürgerwehr gegen ausländische Gruppen gewesen, wodurch deutsche Bürger vermeintlich geschützt werden sollten.

Zur Tatmotivation sagt er nochmals, dass er Henriette Reker habe verletzen wollen, um ein Signal zu setzen. Der Stich in den Hals sei nicht explizit beabsichtigt gewesen, ebenso wenig ihr Tod. Auch sei er davon ausgegangen, dass Henriette Reker Leibwächter bei sich haben würde und er hätte erschossen werden können. Warum Blutspuren von mehreren Menschen an seinem Bowiemesser sind, obwohl er nur Henriette Reker attackiert habe, sei ihm nicht erklärlich.

Der Generalbundesanwalt konfrontiert Frank S. nun damit, dass es ja dessen Ziel gewesen sei zu verhindern, dass Henriette Reker Oberbürgermeisterin von Köln wird. Das Ziel habe er allerdings nicht erreicht, denn das wäre nur möglich gewesen, wenn er sie getötet hätte. Hierauf erhält er vom Attentäter allerdings keine entsprechende Antwort.

Der psychologische Sachverständige befragt den Angeklagten zu seiner Gewaltbereitschaft. Dieser sagt deutlich aus, dass er nicht gewalttätig sei, da er ja die letzten 25 Jahre gewaltfrei gelebt habe. Bei dem Anschlag auf Henriette Reker sei das etwas anderes gewesen, da er hier die Anwendung von Gewalt als letztes Mittel gesehen habe. Jetzt wisse er jedoch, dass es das falsche Mittel war. Das Gericht wiederum fragt den Beschuldigten an dieser Stelle, ob es denn auch Alternativen gegeben hätte. Dies verneint Frank S. klar mit „keine“.

Somit endet der fünfte Verhandlungstag gegen Attentäter Frank S. um 15:05 Uhr.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

Erster Verhandlungstag

Am ersten Verhandlungstag im Prozess gegen die Mörder von Anneli R. am 30. Mai 2016 sind über 40 Zuschauer und mehr als 30 Journalisten (sechs Kamerateams) anwesend. Während alle Beteiligten den Saal betreten und ihren Platz suchen, ist es etwas hektisch.

Es herrscht eine große Unruhe im Publikum, was vermutlich damit zusammenhängt, dass sich unter den Zuschauern eine große Zahl Angehöriger oder Freunde der Familie R. befindet, der Familie des Opfers.

Die Zugehörigen der Parteien betreten nach und nach den Verhandlungssaal und nehmen ihren Platz ein. Vorn rechts sitzt die Oberstaatsanwältin Karin D., neben ihr die Familie mit den Nebenklägern. Auch die beiden psychologischen Sachverständigen, pro Täter einer, haben vorn rechts ihren Platz. Ebenfalls ganz vorn, jedoch auf der linken Seite, sitzen die Verteidiger des Täters Markus B., rechts daneben die zwei Verteidiger von Norbert K.

Als die Eltern und die Schwester des Opfers den Saal betreten, bricht ein Blitzlichtgewitter los. Die Frauen sind komplett in schwarz gekleidet. Ihnen ist die Last ihres schweren Ganges auf ihre Plätze deutlich anzumerken. Sie zittern und ringen um Fassung. Der Vater des Opfers ist dunkelblau gekleidet und kaut in sehr schnellem Tempo Kaugummi. Die Familie braucht eine Weile, bis sie an ihrem Platz angekommen ist und sich ein wenig sortiert hat.

Nun wird der erste Täter in den Gerichtssaal geführt. Es handelt sich um Norbert K. (62), geboren in Berlin, eine Tochter (34). Er hat Forstwirt und Florist gelernt. Zurzeit sitzt er in der JVA Görlitz ein. Er trägt eine Jeans mit einem hellblauen Hemd, hat den Kopf leicht nach unten geneigt, diesen aber nicht bedeckt. Danach wird Markus B. (40) in den Saal geführt. Er hat zwei Söhne, acht und neun Jahre alt, und wurde in Pforzheim geboren. Er trägt eine Jacke mit hochstehendem Kragen, ein Basecap verdeckt seinen Kopf, ein Aktenordner verdeckt sein Gesicht.

Nachdem das Gericht ebenfalls Platz genommen und die Richterin Birgit W. eine allgemeine Begrüßung und Belehrung durchgeführt hat, ist die Oberstaatsanwältin Karin D. mit dem Verlesen der Anklage dran.

Die Anklage

Laut derselben haben sich die Täter sich Anfang 2014 kennengelernt. Norbert K. hat Hilfsdienste für Markus B. durchgeführt. Zu Beginn des Jahres 2015 wurde der Entschluss zur Erpressung und Entführung gefasst. Es konnte mithin nachgewiesen werden, dass der dabei verwendete Kabelbinder am 23. Mai 2015 in einem Baumarkt sowie eine 250 ml Flasche Ethanolam 23. Juni 2015 in einer Apotheke gekauft wurden. Nachgewiesen wurde auch, dass die Familie vorab im Internet und aktiv vor Ort über mehrere Wochen observiert worden war. Die Täter hatten sich auf ein Lösegeld von 1,2 Millionen Euro geeinigt, davon sollte Markus B. 800.000 Euro erhalten und Norbert K. 400.000 Euro.

Zur Observation hielten sie sich regelmäßig am Grundstück und an den Feldwegen um den Wohnort der Familie R. auf. So registrierten sie, dass das Opfer Anneli R. regelmäßig in den Abendstunden mit dem Familienhund Gassi ging. Nachdem Markus B. Anneli R. am Tattag, dem 13. August 2015, von ihrem Fahrrad gestoßen hatte, sollte sie mittels Kabelbindern an Händen und Füßen gefesselt und in den Kofferraum des Fluchtfahrzeugs, einem BMW, verbracht werden. Da dies nicht gelang, stießen sie Anneli R. auf die Rücksitzbank. Markus B. setzte sich dazu, um sie zu fixieren. Um 19:57 Uhr riefen die Täter über das Handy von Anneli R. ihren Vater Uwe R. an, bevor es später in eine naheliegende Talsperre geworfen wurde.

Da Markus B. bei dieser Entführung keine Maske trug, sprach Norbert K. ihn darauf an und fragte: „Bist du doof?“ Markus B. antwortete: „Da habe ich wohl einen Fehler gemacht.“ In diesem Moment wurde der Entschluss zur Tötung des Opfers gefasst.

Markus B. rief dann nochmals Uwe R. an und sprach mit etwas verstellter Stimme auf dessen Mailbox.

Norbert K. war nun klar, dass Markus B. Anneli R. töten wollte. Anneli R. wurde an einem Stuhl festgebunden. Zuerst versuchte B., sie mit Ethanolzu betäuben. Als das nicht gelang, stülpte er ihr eine Plastiktüte über den Kopf, um sie zu ersticken. Auch das schlug fehl, sodass er ihr einen Kabelbinder um den Hals legte und zuzog. Auch dieser Versuch misslang. Hiernach nahm Markus B. einen Spanngurt, womit er letztendlich den Tod von Anneli R. herbeiführte. Norbert K. hielt ihn nicht davon ab.

Hiernach wurde Uwe R. nochmals angerufen und aufgefordert, ohne die Polizei einzuschalten, 1,2 Millionen Euro auf ein maltesisches Konto zu überweisen. Auf die Frage von Uwe R. wie das funktionieren sollte, sagte Markus B., man solle sich eben entsprechend erkundigen.

Die Leiche von Anneli R. wurde komplett entkleidet und die Kleidung verbrannt. Man vergrub die Leiche von Anneli R. in einer Mulde und deckte diese mit Sand zu.

Die Obduktion ergab Tod durch Ersticken.

Markus B. wird gemäß § 211 Strafgesetzbuch wegen Mordes, nach § 239 wegen Freiheitsberaubung und nach § 253 wegen Erpressung angeklagt. Norbert K. wiederum wird nach § 239 a Strafgesetzbuch wegen erpresserischen Menschenraubs und nach § 253 wegen Erpressung angeklagt.

Markus B. und Norbert K. wurden am 17. August 2015 festgenommen und sind seit dem 18. August 2015 in Haft.

Anträge und Angaben der Angeklagten

Nach dem Verlesen der Anklage wird durch das Gericht bekannt gegeben, dass der Verteidiger von Markus B. einen Antrag gestellt hat, wonach die Verhandlungsunfähigkeit seines Mandanten festzustellen sei, der ein Schmerzsyndrom hat und an Neurodermitis und Hautkrebs erkrankt ist. Dieser Antrag wurde relativ kurzfristig vor Verhandlungsbeginn gestellt. Das Gericht hatte jedoch noch die Zeit, ein rechtsmedizinisches Gutachten erstellen zu lassen, was ergab, dass es keinerlei Anzeichen für irgendeinen Befund gibt. Der Hautkrebs wurde im Jahr 2007 erfolgreich operativ behandelt.

Unter anderem wird durch das Gericht darauf hingewiesen, dass für Markus B. eine Belastung von bis zu acht Stunden am Tag aushaltbar ist, da der Angeklagte ja auch in der Lage war, einen in der JVA belegten PC-Kurs, der täglich acht Stunden dauerte, zu besuchen.

Hiernach erfolgt zunächst die Belehrung der Angeklagten, anschließend sollen diese sich erstmals äußern. Das verweigert Markus B. komplett, weder zu seiner Person noch zur Sache macht er Angaben. Norbert K. hingegen lässt über seinen Anwalt Andrej K. zu seiner Person und zu einem Teil der Tat berichten. Dieser räumt das Fahren des Flucht- und Entführungsfahrzeuges durch Norbert K. ein. Ansonsten teilt er mit, dass sein Mandant von nichts gewusst habe, weder von der Erpressung, noch von der Tötung Anneli R.s. Zuvor habe er sich nur um den Hund von Markus B. gekümmert.

Des Weiteren stellt der Verteidiger einen Antrag auf ein Verwertungsverbot der Zeugenaussage während der zweiten polizeilichen Vernehmung mit der Begründung, Norbert K. sei zu diesem Zeitpunkt bereits 40 Stunden ohne Schlaf gewesen. Dadurch habe er eine seelische Entkräftigung erlitten und konnte der Vernehmung auch physisch nicht mehr folgen. Außerdem rügt Andrej K. die Fragestellung der Polizei. Ein weiterer Antrag bemängelt die vorläufige Festnahme nach § 127 der Strafprozessordnung (StPO); diese sei nicht berechtigt gewesen, da keine Gefahr im Verzug war. Norbert K. sei die komplette Zeit bereits observiert worden und es habe keinerlei Tatverdacht gegeben. Der Anwalt unterstellt den Ermittlern, dass sie die Vorschriften vorsätzlich umgangen haben, um so bewusst eine Haftrichter-Vorführung umgehen und Norbert K. weiter vernehmen zu können. Das Gericht wird über diesen Antrag entscheiden. Die Vorsitzende Richterin bemerkt allerdings, dass Norbert K. während der gesamten Vernehmung nicht einmal geäußert hätte, das er am Ende sei.

Da hierzu noch Polizei-Zeugen gehört werden, wird dieser Sachverhalt sicherlich zeitnah aufgeklärt werden.

Die anschließend abgefragten Angaben zu seiner Person gibt der Angeklagte Norbert K. der Richterin direkt.

Seine Mutter war Inhaberin eines Blumenladens, sein Vater Arbeiter, Norbert K. hat drei ältere Geschwister. Die Schule in Berlin besuchte er von 1960 bis 1969, bis 1972 durchlief er eine Försterlehre, ebenfalls in Berlin, danach arbeitete er 17 Jahre in diesem Beruf. Hiernach begann er eine Lehre als Florist im Blumenladen seiner Mutter. 1974 ist er aus dem Elternhaus ausgezogen. 1978 heiratete er das erste Mal, dem folgte 1982 die Geburt seiner Tochter. 1985 wurde die Ehe geschieden. 1990 zog er wegen einer neuen Frau nach Verden an der Aller und eröffnete dort einen eigenen Blumenladen. Die Trennung kam nach drei Jahren. Ein Jahr später lernte er eine neue Frau kennen, die er auch heiratete. Nun zog Norbert K. aus Verden nach Ruhpolding, doch nach sieben Jahren wurde auch die zweite Ehe getrennt.

Während all dieser Vorgänge im Gerichtssaal sitzt der Angeklagte Markus B. ganz ruhig auf seinem Stuhl, die Unterarme leicht auf dem Tisch aufgelegt und den Kopf tief nach unten geneigt. Den Angeklagten gegenüber sitzt die Mutter des Opfers und schaut ihn ständig an. Markus B. versucht, den Blickkontakt zu vermeiden.

Aussage des Vaters von Anneli R.

Nun wird der Vater von Anneli R. befragt.

Uwe R. berichtet, die Familie hätte zum Zeitpunkt der Tat keine Ahnung oder Vermutung gehabt, wer der Täter hätte sein können. Am Samstagmittag, dem 15. August 2015, habe sich die gesamte Familie versammelt, um das Geschehen zu besprechen. Das LKA habe ihnen versicherte, dass man Anneli lebend wiederhaben wolle.

Vater Uwe R. habe schon immer ein ungutes Gefühl gehabt, wenn Anneli mit dem Hund Gassi gegangen war, denn Anfeindungen aufgrund des gehobenen Lebensstandards der Familie gab es immer wieder mal. Anneli wiederum sei der Wohlstand aber eher peinlich gewesen. Die Geschäftszahlen seiner Firma seien im Internet problemlos zu recherchieren und „wer eins und eins zusammenzählen kann, weiß Bescheid“, so Uwe R. Er selbst ginge zur Jagd und sammle das eine oder andere Auto. Angst, dass seine Kinder entführt werden könnten, habe er nie gehabt, jedoch sei er sowohl privat als auch geschäftlich schon öfter bestohlen worden. Im Haus aber habe er keine Überwachungsanlage.

Befragt nach psychischen Problemen seit dem Mord an seiner Tochter antwortete Uwe R. der Richterin, dass sich sein Leben komplett verändert habe. Den Verlust lebenslang ertragen zu müssen, sei für ihn unerträglich. Die Familie habe ärztliche Hilfe (ambulante psychologische Beratung) in Anspruch genommen, er selbst funktioniere nur noch.

Zu diesem Zeitpunkt versagt seine Stimme, er weint.

Seine Leistungsfähigkeit sei nicht mehr vorhanden, allerdings wohnen sie noch im alten Haus. Die Oberstaatsanwältin fragt, ob es denn irgendwelche Auffälligkeiten am Haus gegeben hätte, was Uwe R. verneint.

Nachdem die offizielle Zeugenaussage beendet ist, steht Uwe R. auf, geht zuerst zum Angeklagten Norbert K. und fordert ihn auf, auszusagen. Danach geht er auch zu Markus B. und fordert auch ihn auf, endlich die Wahrheit zu sagen. Aus dem Publikum ist zu hören, wie jemand laut ruft „du Dreckschwein“.

Aussage von Anett R.

Nach der Pause geht es mit der Aussage der Schwester von Anneli R., Anett R., weiter. Sie ist 33 und arbeitet als Ingenieurin im Betrieb ihres Vaters. Sie sei von ihrer Schwester auf dem Handy angerufen worden und habe sich sofort zum Elternhaus begeben. Hier habe sie mit ihrer Mutter die Freunde von Anneli angerufen, um sich zu erkundigen wo sie sein könnte.

Den zweiten Anruf der Entführer habe sie per Diktiergerät aufnehmen wollen, da sie die Lage sehr ernst genommen habe. Dass Anneli mit dem Hund täglich Gassi ging, sei ihr bekannt gewesen. Irgendwelche mysteriösen Beobachtungen habe sie jedoch nicht mitbekommen.

Natürlich haben die Familienangehörigen keine Ausspionierung durch Verdächtige mitbekommen, denn offenbar hat nie eine Sicherheitsberatung oder eine Sensibilisierung stattgefunden.

Die Schwester berichtet, Anneli sei überall beliebt gewesen, ihr familiärer Hintergrund entsprechend bekannt gewesen. Anneli habe sich davon jedoch nicht beeindrucken lassen.

Das Geschäft im Betrieb sei trotz der Entführung weiter gelaufen, wesentliche Mitarbeiter seien entsprechend informiert worden. Auch sei über Facebook eine Botschaft an die Entführer geschickt worden; diese sei allerdings nicht wahrgenommen worden. Bei der Tätersuche sei ihr unangenehm gewesen, dass alle verdächtigt werden mussten, auch Freunde oder Familienangehörige.

Aufgrund psychischer Belastungen habe sie für zwei Wochen eine Arbeitspause eingelegt. „So wie es war, wird es nie wieder sein“, sagt Anett R., „es gibt nichts Grässlicheres.“ Sie mache sich Sorgen um die eigenen Eltern und um die Freunde von Anneli. Sie denkt, dass sie die Auswirkungen noch nicht komplett überstanden hat. Sie spüre jeden Tag das Elend, habe aber noch keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Auch ihre Kinder (neun und sieben Jahre) seien wahnsinnig mitgenommen.

Dass das Lösegeld von ihrem Vater bezahlt werden sollte, ist laut Anett R. zweifelsfrei. Die Oberstaatsanwältin Karin D. möchte wissen, wie lange die Hundespaziergänge von Anneli R. gedauert haben, was Anett R. mit „20 bis 30 Minuten“ beantwortet.

Zum Abschluss erklärt die Vorsitzende Richterin der Mutter von Anneli R., dass sie nicht als Zeugin gehört werden müsse, um sie nicht weiter zu belasten. Das nimmt Ramona R. dankbar an.

Damit endet der erste Verhandlungstag im Mordfall Anneli R. um 14:00 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Vierter Verhandlungstag | Zeugen und Ersthelfer über das Attentat auf Henriette Reker

Der vierte Verhandlungstag, dem 14 Medienvertreter beiwohnen, beginnt mit einem kleinen Eklat auf Seiten des Angeklagten: Frank S. setzt sich demonstrativ weg von seinem Anwalt und lässt drei Plätze zwischen sich und seiner Rechtsvertretung. Er hält einen Zettel in die Kamera, auf den er die Stellenbeschreibung für einen neuen Pflichtverteidiger geschrieben hat. Dieses Verhalten wird später durch die Vorsitzende Richterin gerügt.

Zeugenvernehmung: Der Hauptwahlkampfleiter

Der erste Zeuge ist der 32-jährige Hauptwahlkampfleiter Pascal S. Er richtet nur einen ganz kurzen Blick auf Frank S. Auf Aufforderung der Vorsitzenden Richterin beschreibt der Zeuge den Ablauf des Tages. Er berichtet sehr klar und deutlich.

Pascal S., der beim Attentat ebenfalls verletzt worden ist, erzählt, dass er sich zunächst am Stand der Partei Die Grünen aufgehalten habe. Dies hörend schließt der Angeklagte Frank S. die Augen und nickt zustimmend.

Diese Geste von Frank S. könnte gut dahingehend interpretiert werden, dass er sich in seiner Annahme, Henriette Reker sei nicht parteilos, durch die Aussage von Pascal S. bestätigt sieht.

Reker-Prozess: Vierter Verhandlungstag | Zeugen und Ersthelfer über das Attentat auf Henriette Reker

Von der Gesamtsituation habe Pascal S. nichts mitbekommen. Erst im Krankenwagen und später über die Medienberichte habe er realisiert, was geschehen war. Auch zur eigentlichen Tat könne Pascal S. nichts aussagen, da er mit dem Rücken zum Haupttatgeschehen stand. Er sei erst durch einen Schrei aufmerksam geworden und habe sich sofort umgedreht. Pascal S. beschreibt den Blick des Angeklagten bei der Tat, den er seitdem nicht mehr gesehen hat, als wahnsinnig, dominant und unberechenbar.

Mit dem großen Bowiemesser wurde Pascal S. dann verwundet. Er hat dadurch je eine Verletzung an seiner Schulter und am rechten Arm erlitten. Im rechten Arm hat er seitdem in einem Teil der oberen Handfläche immer noch einen tauben Bereich, Temperaturschwankungen zwischen warm und kalt empfindet er außerdem als extrem. Berührungen sind ebenfalls stark unangenehm, ansonsten hat er keine Einschränkung.

Da Pascal S. angibt, mit dem großen Messer verletzt worden zu sein, kann die Aussage des Angeklagten Frank S., wonach er sofort nach dem einmaligen Zustechen auf Henriette Reker das Messer weggeworfen hat, nicht korrekt sein.

Im Krankenhaus nahm der Hauptwahlkampfleiter zunächst den psychologischen Dienst in Anspruch. Nach dem Attentat sind jedoch keine Ängste oder Ähnliches zurückgeblieben, stattdessen hat er Positives aus dem Erlebten gezogen und an Entschlossenheit gewonnen.

Auf die Frage, ob die Tatwaffe ein großes oder ein kleines Messer gewesen sei, antwortet der Zeuge, es sei ein großes Messer gewesen, und er habe kein kleines Messer gesehen.

Posse um Pflichtverteidiger des Attentäters

Nachdem der Zeuge den Gerichtssaal verlassen hat, meldet sich der Angeklagte Frank S. zu Wort und teilt dem Gericht mit, dass er sich bei Pascal S. entschuldigen wolle, da er ja nur Henriette Reker verletzen wollte. Des Weiteren streitet er ab, ihn mit dem großen Messer verletzt zu haben, da er dieses ja unmittelbar nach dem Angriff auf Henriette Reker weggeworfen habe. Zudem entzieht er seinen Anwälten das Vertrauen, da diese mit der Presse gesprochen hätten, obwohl er ihnen dies untersagt habe.

Der Anwalt klärt daraufhin den Sachverhalt auf: Frank S. sei mit einem Artikel, der in der Zeitschrift Stern erschienen ist, nicht einverstanden. Das Gericht belehrt den Angeklagten und teilt ihm außerdem mit, dass das Gericht hier zunächst keinen Grund erkennen könne, den Advokaten zu wechseln. Da der Angeklagte immer wieder dazwischenspricht, wird es laut zwischen beiden Parteien. Am Ende gebietet die Vorsitzende Richterin Frank S. laut: „Sie halten jetzt den Mund!“

Danach folgt eine Beratungspause von circa 25 Minuten, nach der das Gericht den Antrag des Beschuldigten mit einem klaren Nein beantwortet, da keine erkennbaren Gründe vorliegen, seinen anwaltlichen Beistand zu wechseln.

Der Angeklagte beantragt nun außerdem, dass ein Sachverständigen-Gutachten erstellt werden soll hinsichtlich der Frage, ob nun ein großes oder ein kleines Messer für die Verletzungen verwendet wurde. Dabei legt Frank S. Wert darauf, dass es kein Fachmann aus Köln sein darf, der das Gutachten erstellt, da er mit der Justiz aus Köln schlechte Erfahrungen gemacht habe.

Zeugenaussagen: Wahlkämpfer und Ersthelfer berichten

Auch der Kommunikationstrainer Franz B., 55 Jahre, war Wahlkampfhelfer von Henriette Reker. Er beschreibt sein Erleben des Tatablaufs identisch zu dem von Wahlkampfleiter Pascal S. Auch er habe mit dem Rücken zum Tatgeschehen gestanden, sodass er den Ablauf nicht mitbekommen habe. Er habe Panik gehabt, als er Henriette Reker am Boden liegen sah und sei zuerst in Deckung gegangen. Den Täter habe er mit einem großen Messer wie eingefroren dastehen sehen. Franz B. selbst sei schockiert gewesen. Erst als der Täter das Messer in Richtung CDU-Stand warf, sei er zur verletzten Henriette Rieker gegangen, viele andere Personen ebenfalls. Henriette Reker habe ihn gebeten, ihren Mann zu informieren. Das sei ihm jedoch nicht möglich gewesen, da er dafür ihr Handy benötigt hätte, welches in einer Tasche in ihrem Auto gelegen habe.

Warum hat ein so wichtiger Wahlkampfhelfer nicht die Handynummer des Ehemanns der Oberbürgermeisterkandidatin in seinem eigenen Handy gespeichert?

Franz B. berichtet, dass Henriette Reker inzwischen von etwa vier Helfern umringt gewesen sei.

Wenn dem tatsächlich so war, hätte Frank S. nicht, wie von ihm behauptet, ein weiteres Mal zustechen können. Hier ist der genaue Zeitablauf sicherlich noch konkreter zu rekonstruieren.

Der Zeuge führt nun weiter aus, dass Frank S. zum Opfer gesagt habe: „Sie zerstören dieses Land.“ Das Messer habe er dabei zunächst noch in der Hand gehalten und es erst danach weggeworfen. Den Gesichtsausdruck des Täters beschreibt Franz B. als ausdruckslos und leer. Dann merkt er an, dass ihm noch viele Bilder in der Erinnerung fehlen würden.

Als weiterer Zeuge wird anschließend Martin B. (56), Taxi-Fahrer aus Köln, gehört. Er war als Wahlkampfhelfer für die Grünen vor Ort und berichtet nun auch vom Tathergang.

Frank S. guckt ihn sehr grimmig an. Das liegt vielleicht daran, dass der Zeuge Martin B. in den Medien unmittelbar nach dem Anschlag als Held gefeiert wurde, da er den Täter in Schach gehalten haben soll. Dies allerdings hat Frank S. an einem vorherigen Verhandlungstag schon abgestritten.

Auch Martin B. hat das Tatgeschehen nicht direkt gesehen, sondern ist ein sogenannter Knallzeuge. Nachdem er Schreie gehört hatte und Henriette Reker am Boden liegen sah, sei er auf den Täter zugegangen und habe ihn weggestoßen. Er habe ihm zugerufen, er solle das Messer wegwerfen, was Frank S. dann auch getan habe, um allerdings sofort ein Klappmesser aus der Tasche zu ziehen. Der Zeuge habe den Täter gefragt, warum er Henriette Reker töten wolle, woraufhin dieser geantwortet habe: „Weil sie mein Land verraten hat.“ Später habe er auch noch gesagt: „Ich ergebe mich.“

Kurze Zeit später sei die Polizei gekommen und habe sich um den Täter gekümmert. Martin B. sei wiederum nun zu Henriette Reker gegangen, habe seine Jacke auf sie gelegt und ihr Mut zugesprochen. Er habe nicht gesehen, in welcher Art und Weise sie verletzt worden war. Er sei ganz auf den Täter fixiert gewesen. Wenn er den Täter nicht vom zweiten Stich abgehalten hätte, sei Henriette Reker nun tot.

Der Generalbundesanwalt möchte daraufhin wissen, ob er Frank S. immer im Blick gehabt habe, was der Zeuge bejaht. Er habe allerdings nicht gesehen, wie der Täter andere mit dem Klappmesser verletzt hat.

Die Richterin weißt auf den Widerspruch hin, woraufhin der Zeuge antwortet, dass er sich kurz umgedreht habe, um eine Fahnenstange zu holen. Weiterhin gibt er an, mit einer dünnen Kunststoffstange auf die Schulter von Frank S. geschlagen zu haben, sodass dieser das Messer hat fallen lassen.

Der Beschuldigte hält dies offenbar für lächerlich.

Bildquelle: Michael Grabscheit/pixelio.de

Reker-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Henriette Reker sagt aus

Der heutige Tag ist natürlich vom Zeugenauftritt des Hauptopfers, Oberbürgermeisterin Henriette Reker, geprägt. Sie stellte sich vor dem eigentlichen Prozessbeginn der Presse, die heute sehr stark vertreten ist, und gab circa ein bis zwei Statements ab, in denen sie erklärte, kein Problem hinsichtlich der Gegenüberstellung mit dem Täter im Gerichtssaal zu haben. Ihre Arbeit werde durch den Prozess nicht beeinträchtigt und sie freue sich, nach ihrer Aussage wieder an ihren Schreibtisch in Köln gehen zu können. Des Weiteren bedankte sie sich auch für die Unterstützung der Medien.

Heute sind etwa 70 Medienvertreter im Zuschauersaal zugegen. Neben den üblichen acht Justizangestellten ist zu Beginn des Verhandlungstages kurzzeitig auch noch ein uniformierter Polizist im Gerichtssaal.

Der Angeklagte Frank S. wird hineingeführt, er trägt schwarze Halbschuhe, eine schwarze Jacke, darunter ein blaues Oberhemd und eine olivfarbene Cargohose. Danach betritt Henriette Reker den Gerichtssaal. Sie wirkt sehr konzentriert und bewegt sich direkt zu ihrem Stuhl in der Mitte des Saals, gegenüber der Vorsitzenden Richterin. Sie trägt einen blauen Hosenanzug und wird durch das Gericht formal belehrt.

Reker-Prozess: Dritter Verhandlungstag | Henriette Reker sagt aus

Ein Augenkontakt zum Täter findet nicht statt.

Die Richterin möchte, dass Henriette Reker vom Tattag erzählt. Sie beginnt damit, dass sie um 6:30 Uhr aufgestanden sei und gefrühstückt habe. Um 8:45 Uhr sei sie abgeholt und zum Braunsfelder Markt gefahren worden. Dort habe sie die anwesenden Menschen begrüßt.

Der Angeklagte Frank S. sei dann auf sie zugekommen und habe sie freundlich nach einer Rose gefragt. In der gleichen Sekunde habe er mit einem großen Messer zugestochen. Sie sei sehr schnell zu Boden gegangen und habe sich selbst in eine stabile Seitenlage gebracht. Geistesgegenwärtig habe sie ein einen Finger in die klaffende Stichwunde am Hals gesteckt. Sie habe gemerkt, dass sie aus Nase und Mund blutete.

Der Angeklagte hört interessiert zu und schaut Henriette Reker ständig an.

Eine weitere Wahlkämpferin, so Henriette Reker weiter, habe sich um sie gekümmert und auf sie eingesprochen. Als sie im Krankenwagen abtransportiert werden sollte, habe sie noch gesehen, dass ihr Wahlkampfkoordinator Pascal S. ebenfalls in ärztlicher Behandlung war. Sie sei froh gewesen, ihn lebend gesehen zu haben. Ihr Bewusstsein habe sie erst im Krankenhaus verloren.

Den Ärzten habe sie aber vorher noch ihren Wunsch mitgeteilt, am nächsten Tag auf jeden Fall wählen gehen zu wollen. Sie habe Angst gehabt, aufgrund der Verletzung mit einer Lähmung rechnen zu müssen.

Henriette Rieker berichtet flüssig und klar.

Vor dem Moment der Tat habe sie sich mit Wahlkämpferinnen der anderen Parteien unterhalten. Den ihr unbekannten Angeklagten habe sie im Augenwinkel gesehen und wahrgenommen, wie er sich auf sie zubewegte. Es sei bei all ihren öffentlichen Auftritten auch ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, einen entsprechenden Bürgerkontakt wahrzunehmen – so auch in diesem Falle. Und der Gesichtsausdruck von Frank S. sei freundlich und ihr zugewandt gewesen. Für sie habe es keine Misstrauensanzeichen gegeben.

Dann habe sie kurz das Messer gesehen und wahrgenommen, dass Frank S. ihr durch den Hals gestochen hatte. Der Messerstich sei von oben herab und schnell durchgeführt worden und sehr, sehr schmerzhaft gewesen. Anschließend sei sie nach hinten gefallen. Den Täter habe sie danach nicht mehr wahrgenommen. Die Ärzte haben ihr im Nachhinein nur mitgeteilt, dass es einen glatten sauberen Schnitt gegeben hat, und daher das Messer sehr scharf gewesen sein muss.

Der Angeklagte hat an einem vorherigen Verhandlungstag ausgesagt, dass das Messer keine Mordwaffe sei, ja es sei nicht mal scharf genug, um Tomaten zu schneiden!

Im Krankenhaus war sie froh, so Henriette Reker, dass sie zwei der behandelnden Ärzte kannte, was sie beruhigte. Ihr Mann sei sehr schnell ins Krankenhaus geeilt. Nach der OP sei sie bis zum folgenden Mittwoch im künstlichen Koma gehalten worden. Zu ihren Verletzungen haben ihr die Ärzte gesagt, dass sie sehr großes Glück gehabt hätte.

Dass sie währenddessen die Kölner Bürgermeisterwahl gewonnen hatte, habe ihr wiederum ihr Mann mitgeteilt. Über einen Rücktritt habe sie nie nachgedacht.

Ihre Wirbelverletzung war nach zwei Monaten einigermaßen verheilt, ihre Luftröhre etwa 16 Tage nach dem Durchschnitt. Insgesamt war Henriette Reker zehn Tage im Krankenhaus. Danach musste sie wieder zu Kräften kommen, denn am 21. November wartete ihr offizieller Amtsantritt. Körperliche Folgeschäden wird es keine geben. Die psychologischen Belastungen hingegen waren da und sind immer noch ein wenig vorhanden. Insbesondere machen Henriette Reker schlimme Albträume zu schaffen. Sie sei aber nicht misstrauischer geworden und habe auch keine Angst vor Menschenmengen.

Die Richterin stellt ihre Fragen sehr rücksichtsvoll. Henriette Reker hingegen hat die Beine überkreuzt, der rechte Fuß wackelt.

Während der Wahlkampfzeit war sie noch die Sozialdezernentin der Stadt Köln und damit auch für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Das war auch in der Öffentlichkeit bekannt. Sie hat ihren Standpunkt zu Flüchtlingsunterbringungen bei öffentlichen Veranstaltungen und in Medieninterviews stets bekannt gemacht. Für diese Haltung ist sie auch schon mal beschimpft worden. Persönlich hat sie sich jedoch nie bedroht gefühlt.

Der Angeklagte oder sein Umfeld sind bisher nie an sie herangetreten, um sich zu entschuldigen.

Die Verteidiger von Frank S. fragen Henriette Reker, ob der Angeklagte Worte der Entschuldigung an sie richten dürfe. Dies lehnt sie mit der Bemerkung ab, dass dies noch nicht der richtige Zeitpunkt sei.

Henriette Reker würdigt den Täter keines Blickes. Insgesamt ein sehr starker Auftritt der Kölner Oberbürgermeisterin. Nach der Pause im Anschluss an die Aussage von Henriette Reker sind nun nur noch 20 Medienvertreter im Saal.

Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin möchte Frank S. nichts sagen, auch eine Entschuldigung kommt von ihm nicht.

Hiernach werden Lichtbilder in Augenschein genommen. Sowohl von Tatort und Täter, als auch von der Tatwaffe, mit dreißig Zentimeter Klingenlänge und fünfzehn Zentimeter Grifflänge, und dem Butterflymesser, mit neun Zentimeter Klingenlänge. Darüber hinaus kommen Bilder der weiteren Verletzten zur Ansicht. Auch die Täterbekleidung wird nochmals ausführlich besprochen. Hiernach wird auf einem großen Foto der handgeschriebene Zettel des Angeklagten mit den Wahlkampfterminen gezeigt. Darauf stehen sechs Termine. Vor dem ersten Termin steht die Ziffer 1, vor dem dritten Termin eine 2. Es gibt auch Anmerkungen bezüglich der Reisemöglichkeiten zu den möglichen Tatorten. Der Täter wollte den Ort der besten Tatausführungsgelegenheit auskundschaften.

Frank S. wird gefragt, wann ihm das erste Mal der Gedanke kam, dass Henriette Reker Symbolfigur seiner Tat, sein Opfer werden sollte. Hierzu sagt Frank S., dass die Idee aufgekommen sei, als er die ersten Wahlplakate für die Bürgermeisterwahl gesehen hatte. In seinen Augen ist die deutsche Flüchtlingspolitik falsch, und Henriette Reker war für ihn die deutschlandweite Symbolfigur dafür. Er wollte ein Zeichen setzen. Auch habe ihn die Parteilosigkeit von Henriette Reker wütend gemacht, da es sich hierbei nur um einen Beitrag der Grünen handeln könne. Deshalb hat er gezielt Henriette Reker angegriffen, denn die grüne Bundespolitik störte ihn sehr.

Zuerst habe er auch an ein friedliches Zeichen gedacht, die Gewalt sei für ihn dann nur das letzte Mittel gewesen. Hier fragt die Vorsitzende Richterin nach. Anfangs, so der Angeklagte daraufhin, habe er Antifa-Plakate abgerissen oder mit im Internet bestellten Aufklebern beklebt. Er habe jedoch nicht demonstrieren wollen, weil es für ihn keine Meinungsfreiheit in Deutschland gebe. In diesem Punkt widerspricht ihm die Richterin und hält ihm vor, dass er seine Meinung nie öffentlich geäußert habe. Friedliche Mittel hätten ihm nichts genutzt, also habe er direkt zur Gewalt gegriffen. Die Richterin fragt weiter nach seinen sozialen Kontakten. Hierzu möchte sich der Angeklagte nicht äußern, weil er niemanden mit hineinziehen möchte. Zu diesem Themenkomplex verweigert Frank S. nun die weitere Aussage, da es ihn nerve. Er habe mit dem Attentat einen Politikwechsel herbeiführen und Aufmerksamkeit erzeugen wollen.

Nach der Mittagspause sagt ein weiteres Opfer aus, die Wahlkampfhelferin Katrin H. aus Köln.

Ihr Mann, der ebenfalls Politiker ist, sitzt im Zuschauerraum. Die Zeugin wirkt etwas nervös und unsicher, Augenkontakt zum Täter nimmt sie ebenfalls nicht auf.

Sie wird formal belehrt und durch die Vorsitzende Richterin aufgefordert, vom Tattag zu erzählen. Sie beginnt damit, dass sie mit einer Bürgerin gesprochen habe und dabei von Henriette Reker begrüßt worden sei. Sie berichtet, dass jemand von links auf sie zugekommen sei und von Henriette Reker eine Rose wollte. Er habe dann die Rose mit der linken Hand angenommen, unvermittelt ein Messer gezogen und sofort mit Wucht zugestochen. Als der Angeklagte das Messer zurückzog, habe er die Zeugin an der Wange verletzt. Da sie kurz zuvor mit einer Ärztin gesprochen und gewusst habe, dass diese auf dem Markt einkaufen war, sei sie zum Markt gelaufen und habe nach der ihr bekannten Ärztin gefragt. Hierauf sei Henriette Reker erstversorgt worden. Die Zeugin sei bei ihr geblieben. Ihre körperliche Verletzung sei gering gewesen, erzählt die Zeugin. An der Wange ist kaum noch eine Narbe zu sehen.

Der Angeklagte habe nach seiner Tat etwas abseits gestanden und die Hände hochgehoben. Er habe gesagt: „Ich ergebe mich, ich ergebe mich.“ Die Zeugin wurde später ebenfalls zur Versorgung ihrer Wunde ins Krankenhaus gefahren.

Zum Gesichtsausdruck des Täters kann die Zeugin nichts sagen, da sie ihn nicht direkt angeschaut hat. Das Messerziehen und -stechen war für sie ein einzelner Vorgang.

Der Angeklagte hört interessiert zu und schaut die Zeugin von der Seite aus an.

Psychologisch muss die Zeugin das Tatgeschehen verarbeiten und hat hierzu professionelle Gespräche mit einer Psychologin geführt. Heute sei das nicht mehr notwendig, aber es gebe immer wieder Belastungsmomente. Wenn sie Menschen in ihrer Nähe hat, die ihre Hände in den Taschen verstecken, erzeuge das bei ihr Angst. Es gebe auch Momente, in denen sie plötzlich Angst habe, insbesondere bei Situation in ihrem Leben, die mit dem Attentat in Zusammenhang stehen. Auch unter Schlafstörungen leide sie.

Die Verteidiger befragen sie nochmals zur Messerführung. Sie bestätigt, dass das Messer gerade und mit voller Wucht geführt worden sei.

Beim Hinausgehen aus dem Gerichtssaal sucht sie mit ihren Augen ihren Mann und lächelt ihm zu. Sie ist offenbar sehr erleichtert, dass Sie diese Aussagesituation gemeistert hat.

Dann kommt ein weiteres Opfer als Zeugin, Annette V. W. aus Köln. Sie war ebenfalls im Wahlkampf aktiv. Sie erzählt, dass sie den Wahlstand für ihre Partei aufgebaut und die interessierten Menschen begrüßt habe. Sie habe in der Nähe von Henriette Reker gestanden und den Täter auf die Gruppe zukommen, unter seine Jacke greifen und unmittelbar zustechen sehen. Sie selbst wurde auch verletzt.

Beim Erzählen bemerkt man, dass sie immer noch sehr beeindruckt ist von dem, was geschehen ist. Ihre Stimme ist zwar kräftig, allerdings eher bewusst und sie zittert.

Sie erzählt, sie habe nach dem Attentat telefonieren wollen, sei aber nicht in der Lage gewesen, das Handy zu bedienen. Daraufhin habe sie sich in eine naheliegende Buchhandlung begeben, da sie auch befürchtet habe, dass ihr Kreislauf zusammenbricht.

Alle drei heute gehörten Zeugen sagen aus, dass der Täter das Messer aus dem Inneren der Jacke geholt hat, und nicht wie der Beklagte aussagte, von der rechten Beinseite her.

Die Zeugin erzählt weiter, dass sie das warme Blut am Körper gespürt und dann sehr starke Schmerzen gehabt habe. Das Bewusstsein habe sie nicht verloren. Verletzt worden sei bei ihr die Arterie und ein Muskel in Höhe des Rippenbogens. Sie sei ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert worden. Heute habe sie noch Ohrenschmerzen und Schmerzen an den Armen. Sie sei auch immer noch in psychologischer Behandlung, habe Albträume, Ängste und Schlafstörungen, sie sei kaum ausgegangen und misstrauischer und ängstlicher geworden. Der Aufenthalt in Menschenmengen sei für sie immer noch schlimm. Manchmal sei sie panisch und schreckhaft und nicht mehr so unbedarft wie früher.

Nach dieser Zeugenaussage verliest das Gericht die Festnahmeanzeigen. Des Weiteren wird ein Wert von 0,21 Promille Alkohol um 9:20 Uhr bekannt gegeben, eine weitere Blutprobe um 15:00 Uhr ergibt keine nachweisbaren Alkoholspuren. Zum Zeitpunkt der Tat war der Täter 93 Kilo schwer, 184 Zentimeter groß, hatte eine mittlere Körperstatur und war an Neurodermitis erkrankt. Seine Urinprobe ergab keine Auffälligkeiten bis auf nachweisbare Spuren von Cannabis. Diese Spuren waren allerdings so gering, dass sie auf die Tat keinen Einfluss hatten. Auf Befragen sagt der Beschuldigte aus, dass er zuletzt circa ein bis zwei Wochen vor der Tat Cannabis konsumiert habe.

Der Prozess endet um 15:38 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Heute sind circa 30 Journalisten, ein Kamerateam und drei Fotografen als Zuschauer anwesend. Sechs Justizbeamte begleiten den Beschuldigten Frank S. in den Saal. Zwei weitere sitzen bei den Zuschauern. Frank S. zeigt sein Gesicht der Presse, aber diese darf es trotzdem nicht so abdrucken. Er trägt drei Ohrringe am linken Ohr, weiterhin eine Bluejeans, ein langärmliges schwarzes Hemd und Turnschuhe. Auf seinem mitgebrachten DIN A4-Ordner ist ein Abdruck des Grundgesetzartikels § 5 zu erkennen. Die Verteidiger geben bekannt, dass nicht die Verteidigung eine Erklärung abgeben wird, sondern Frank S. das selbst machen will.

Auch an dieser Stelle wird wieder deutlich, wie der Beschuldigte charakterlich aufgestellt ist. Man hatte schon am ersten Verhandlungstag deutlich erkannt, dass er derjenige sein will, der das „Heft in die Hand“ nimmt. Auch dem Gericht macht er hin und wieder Vorschläge, wie das Verfahren geführt werden soll.

Reker-Prozess: Zweiter Verhandlungstag

Die Vorsitzende Richterin beginnt ihre erneute Befragung mit ungeklärten Auffälligkeiten aus dem ersten Verhandlungstag. Insbesondere möchte Sie noch Fragen zur großflächigen Tätowierung auf dem Rücken von Frank S. geklärt wissen, dass den Schriftzug BERSERKER zeigt. Frank S. erklärt, er habe dieses Tattoo in Bezug auf eine gleichnamige Hardrock-Band aus seiner Jugend ausgewählt. Des Weiteren habe er eine E-Mail-Anschrift gehabt, die ebenfalls Berserker hieß, doch zusätzlich die Zahlen 1488 enthielt. 1488 bedeutet „Auf Deutschland Heil Hitler“. Die jeweilige Zahl steht für den Anfangsbuchstaben. Die Richterin möchte von Frank S. wissen, warum er genau diese Kombination gewählt hat. Der Beschuldigte weicht dieser Fragestellung aus.

Überwiegend gibt der Beschuldigte klare Antworten. Wenn er so wie oben beschrieben ausweicht, zeigt das, dass ihm diese Fragen unangenehm sind, er lügt oder aber weiß, dass er speziell in diesem Fall in die rechte Ecke gestellt werden könnte. Es zeigt aber auch deutlich, dass der Beschuldigte nicht krank oder verrückt ist, sondern auf gewisse Fragen auch entsprechende Antworten hat.

Zu seinem Lebenslauf verweigert er danach jede weitere Aussage.

Nun befragt der psychologische Sachverständige, Prof. Dr. med. Norbert L., den Beschuldigten zu seinem Leben. Prof. Norbert L. interessieren unter anderem dessen Internetaktivitäten. Der Beschuldigte bestätigt, sich in Chats bewegt zu haben. Bei entsprechenden Kommunikationsdiensten wie Facebook oder ähnlichen war er nicht angemeldet, da dort seine Daten über zehn Jahre gespeichert werden. Weiterhin wollte der Sachverständige wissen, warum Frank S. von Bonn nach Köln gezogen ist. Dieses beantwortet Frank S. damit, dass er ein neues Leben beginnen wollte. Ob eine Suizidgefährdung vorlag, beantwortet Frank S. mit Nein.

Hiernach übernimmt das Gericht wieder die Befragung des Beschuldigten. Heute geht es um die eigentliche Tat. Frank S. erklärt, dass er sich nach wie vor noch nicht zur Motivation seiner Tat äußern wird. Er wird sich nur zum eigentlichen Tatgeschehen vom morgendlichen Aufstehen bis zur Festnahme und Verbringen auf die Polizeiwache äußern.

Diese Begrenzung wird über den ganzen Tag immer wieder Thema zwischen dem Gericht und dem Angeklagten sein, da die Fragen des Gerichts zu Tatgeschehen und Motivation nicht klar zu unterscheiden sind.

So erzählt der Beschuldigte, dass er sich am Abend vor der Tat, also am 16. Oktober 2015, die Wahlkampftermine von Henriette Reker im Internet angeschaut und sich diese auf einem Zettel notiert habe. Alle Termine habe er in Betracht gezogen und wollte erst prüfen, wie die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort sind. Er war sich nicht sicher, ob Polizisten oder Personenschutz für Henriette Reker vor Ort im Einsatz sein würden. Trotzdem war ihm klar, dass er, wenn er morgens die Wohnung verlässt, diese so schnell nicht wieder betreten würde. Auch hat er einkalkuliert, von der Polizei erschossen oder angeschossen zu werden.

Zunächst hatte Frank S. nur sein Butterflymesser als Tatwaffe in Erwägung gezogen, dann entschied er sich jedoch für sein Bowiemesser, mit einer circa 30 cm langen Klinge (auch bekannt aus den Rambo-Filmen). Er habe einen theatralischen Auftritt gewollt und fand, dass das Rambo-Messer martialischer wirke. Dieses Messer habe er vor einigen Jahren im Internet bestellt.

Frank S. meint, das Bowiemesser sei total stumpf und somit kein Mordwerkzeug. Daraufhin hält die Richterin das Tatmesser für alle sichtbar hoch und fragt den Beschuldigten nochmals, ob er dieses Messer meint. Dies wird von ihm bejaht.

Er teilt weiter mit, er habe ein Zeichen setzen, aber niemanden ernsthaft verletzen oder sogar töten wollen. Er habe die Nacht vor dem Tattag schlecht geschlafen, da er vorher ja noch niemals solch eine Tat begangen hatte. Er wusste außerdem noch nicht, ob er tatsächlich seine Hemmungen, insbesondere eine Frau zu verletzen, überwinden könne.

Am Tattag stand er zwischen 5:30 Uhr und 6:00 Uhr auf. Er zog sich extra eine weite Latzhose an, um darunter am rechten Bein das große Messer verdeckt tragen zu können. Die Lederscheide für das Messer befestigte er an seinem Bein. Das Butterflymesser steckte er in eine Hosentasche. Darüber zog er sich einen Pulli und eine Jeansjacke. Um seine Hemmungen etwas abzubauen, hat er zuhause noch ein Bier getrunken.

Am Tattag war der Angeklagte 1,85 m groß und 93 Kilo schwer.

Circa gegen 7:20 Uhr erreichte Frank S. die Tankstelle, die von seiner Wohnung fünf Minuten entfernt war, und kaufte dort zwei weitere Biere. Er begab sich zur Straßenbahn und fuhr zum Rudolfplatz. Während der Fahrt trank er ein Bier. In einem Einzelhandelsladen am Rudolfplatz hat er noch Geld gewechselt. Seinen Tatort, den Wahlkampfort in Köln-Braunsfeld, hat Frank S. dann doch noch etwas suchen müssen. Erst nach längerer Zeit fand er den Wochenmarkt mit den jeweiligen Ständen der CDU, der FDP und der Partei Die Grünen. Hier leerte er auch sein drittes Bier.

Frank S. verurteilt Frau Reker unter anderem dafür, dass sie ihren Wahlkampf nur in Nobelvierteln bei der „Schickeria“ durchgeführt hat, in Problemvierteln quasi nie. Da der Beschuldigte immer „die Reker“ sagt, wird er durch das Gericht belehrt, dass er dies unterlassen und Henriette Reker „Frau Reker“ nennen solle.

Frank S. hat die Szenerie an den Wahlkampfständen zunächst ein wenig beobachtet. Zuerst hat er Henriette Reker nicht gesehen, sie dann aber doch aus einer Entfernung von etwa 50 Metern erkannt. Er wusste, dass er seine Hemmschwelle überwinden musste, aber der Entschluss war klar gefasst. Die Motive hatte er im Kopf. Frank S. betont nochmals, dass alles, was er sagt, die Wahrheit ist.

Er steht nun auf und stellt die Tat nach. Es ist zu sehen, wie er an sein rechtes Bein greift, seinen Arm hochzieht und mit einer kurzen heftigen Bewegung nach vorne schnellt. Danach sieht es so aus, als ob er etwas nach rechts wegwirft. Er erzählt, dass er die Knöpfe an der rechten Beinseite schon kurz vorher geöffnet habe, um dann bei Henriette Reker nach einer Rose zu fragen. In diesem Moment hat er sein Messer gegriffen und ihr in den Hals gestochen (10 Zentimeter). Das Messer hat er danach sofort weggeworfen. Er war sich nicht bewusst darüber, dass er in den Hals gestochen hatte, er wollte nur ein Zeichen setzen, weil er das Motiv im Kopf hatte. Er erklärt weiter, dass er sich spontan für das große Rambomesser und nicht für das kleine Butterflymesser entschieden habe.

Diese Aussage ist aufgrund seiner umfangreichen Überlegungen zum Vortatverhalten unglaubwürdig.

Die Vorsitzende Richterin hält ihm vor, dass DNA-Spuren von zwei weiteren Verletzten am Messer gefunden worden sind. Dieses könne ja nicht sein, wenn er das Messer sofort weggeworfen hat. Der Angeklagte bestreitet dies vehement und vermutet eine Manipulation der Sicherheitsbehörden. Nach dem Messerangriff ist Henriette Reker sofort zu Boden gegangen und nach hinten umgefallen. Er fühlte sich durch die Menschenmenge, die auf ihn zukam, bedroht und wollte sich nicht lynchen lassen, deshalb habe er sich mit dem Butterflymesser gewehrt. Er habe aber nicht vorgehabt, andere Menschen damit zu verletzen.

Nach einer kurzen Pause möchte das Gericht von dem Beschuldigten wissen, was er sich als Ergebnis seiner Tat vorgestellt hat. Frank S. antwortet, er habe einen Menschen verletzen, aber nicht töten wollen. Diesen Gedanken habe er nicht gehabt. Wenn er hätte töten wollen, so sagt er, hätte er es ja jederzeit machen können. Henriette Reker war ja wehrlos.

Das Ziel seiner Tat war im Übrigen, dass alle erfahren sollten, dass Henriette Reker ein U-Boot der Grünen sei. Ihre Kandidatur sei ein Wahlbetrug gewesen. Er habe sich genau über sie informiert, sie sei eine Marionette, dieser Partei. Dies klarzumachen sei sein Ziel gewesen.

Die Verletzung der anderen Menschen sei nicht beabsichtigt gewesen, er habe sich nur gegen den Mob wehren wollen. Am liebsten sei ihm auch ein ehrenhafter Kampf „Mann gegen Mann“ wie im Mittelalter gewesen. Nach der Tat wurde er durch einen Zivilpolizisten festgenommen und von diesem zum zwischenzeitlich eingetroffenen Polizeiwagen geführt.

Der Generalbundesanwalt möchte von dem Beschuldigten wissen, ob er mitbekommen hat, dass er Henriette Reker am Hals getroffen hatte, und inwieweit er sich vorher dazu Gedanken gemacht hatte, wohin er stechen wollte. Dies beantwortet der Angeklagte nur ausweichend. Er habe allerdings vor der Tat zuhause mehrfach probiert, wie er das Bowiemesser am besten aus der Lederscheide bekommt.

Hier ergibt sich ein großer Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage, dass er sich spontan für das Bowiemesser entschieden hätte und nicht für das wesentlich kleinere Butterflymesser. Diesen Widerspruch arbeitet der Generalbundesanwalt nochmal heraus und der Beschuldigte bestätigt ihn.

Ob er sich mit uniformierten Polizisten am Tatort noch unterhalten hat, weiß Frank S. nicht mehr.

Nun führt der psychologische Sachverständige Prof. Norbert L. die Vernehmung weiter. Er fragt nochmals nach der Motivation der Tat. Dieses möchte Frank S. in einem zukünftigen Verhandlungstag deutlich erläutern. Er lässt sich nur insoweit ein, als dass er ein Zeichen habe setzen wollen, um Schlimmeres zu verhindern. Für ihn sei es eine Notwehrsituation gewesen. Henriette Reker habe in seinen Augen Schuld auf sich geladen, wie er durch das Lesen und Studieren aller Reker-Interviews meinte, festgestellt zu haben. Henriette Reker war für ihn der Inbegriff einer „linksradikalen Schickeria-Ideologin“. Sie habe nicht nur fünf, sondern gleich zehn Jahre Bürgermeisterin sein wollen. Des Weiteren sei sie als Sozialdezernentin für die in seinem Verständnis verfehlte Flüchtlingspolitik verantwortlich gewesen. Sie sei nur für Die Grünen. Die Grünen wiederum unterstützen die Antifa. Henriette Reker sei eine verlogene Parteilose. Sie sei die Symbolfigur für falsche Flüchtlingspolitik und die herrschenden Politiksysteme. Frank S. glaubte, ein Signal setzen zu können, um das Volk wachzurütteln.

Interessant für den Generalbundesanwalt ist es auch, zu erfahren, warum der Beschuldigte Frank S. genau diesen Tag ausgesucht hat. Frank S. teilt dazu mit, die Bevölkerung habe unmittelbar vor dem Wahltag erfahren sollen, wer hier zur Wahl steht und, dass Henriette Reker die falsche Wahl sei.

Nach einer längeren Mittagspause berichtet der Beschuldigte von seinem Abtransport vom Tatort. Drei Polizeibeamte haben ihn zum Polizeipräsidium in einem Streifenwagen transportiert. Dort musste er sich komplett ausziehen und alle seine Sachen abgeben. Über diesen Transport haben die Polizeibeamten einen Vermerk erstellt. Den Inhalt dieses Vermerks streitet Frank S. komplett ab.

Danach wurde er der Gutachterin Dr. Constanze J. vorgestellt. Sie ist Psychiaterin und Neurologin und sollte beurteilen, ob Frank S. hafttauglich ist oder in einer geschlossenen Anstalt untergebracht werden muss. Frank S. beklagt, dass die Gutachterin ihm hundertprozentige Vertraulichkeit zugesagt hätte, und diese danach nicht gewahrt habe. Die Richterin erklärt ihm daraufhin, dass Sinn und Zweck des Gesprächs mit der Gutachterin die Beurteilung seines geistigen Zustands gewesen sei, und dass Inhalt und Ergebnis natürlich dem Haftrichter bekannt gegeben werden müssen.

Frank S. wechselt immer wieder zwischen Aussagen, die zu 100 Prozent stimmen und Aussagen, die zu 1000 Prozent nicht stimmen, wie etwa seine Einlassung. Man merkt deutlich, dass es für ihn keine Regeln gibt. Er bestimmt ausschließlich, und das nicht nur über sein Leben. Er möchte auch über das Leben aller anderen Menschen bestimmen.

Frank S. unterstellt der Gutachterin, dass sie ihr Gutachten absichtlich verfälscht habe, da ihre Arbeit- und Auftraggeber die Stadt Köln und die Universität Köln seien. Er hat ihr zu ihrem Gutachten einen Brief geschrieben, aus dem er nun vorliest. Hierin beklagt er in beleidigender Form ihr vermeintliches Falschverhalten.

Später habe er sich von zwei Verteidigern einen aussuchen können. Er entschied sich für den Rechtsanwalt B., da er den Nachnamen als bodenständiger empfand (der zweite Verteidiger hatte einen französisch klingenden Namen). Sein Anwalt habe ihm zwei Tage später eine schriftliche Erklärung zur Unterzeichnung vorgelegt, in der der Anwalt B. von seinem Mandanten verlangt habe, dass dieser vor Gericht ausschließlich schweigen solle. Zusätzlich wollte der Rechtsanwalt, dass er von Frank S. von seiner Schweigepflicht, auch gegenüber der Presse, entbunden werde. Frank S. habe nicht zugestimmt. Auf seinen jetzigen Anwalt sei er schließlich über einen Express-Artikel gestoßen.

Das Gericht arbeitet noch einen weiteren Widerspruch heraus: Einerseits wollte der Beschuldigte mit seinem Attentat eine Botschaft setzen. Andererseits hat er fest damit gerechnet, dass er auch erschossen werden könnte. Wenn dem so gewesen wäre, hält ihm das Gericht nun vor, hätte er seine Botschaft ja nicht so wie jetzt in einem öffentlichen Gerichtsverfahren transportieren können, da er vor der Tat kein Manifest oder Selbstbezichtigungsschreiben erstellt hat. Hierauf hat der Beschuldigte keine plausible Erklärung. Er führt nochmals aus, dass Henriette Reker für ihn die Symbolfigur für eine verfehlte Politik gewesen sei. Er habe darauf aufmerksam machen wollen, dass alles manipuliert werde und die Medien die Schlimmsten seien.

Der psychologische Sachverständige fragt Frank S. nochmals nach seiner Botschaft und warum er der Meinung sei, dass er seine Botschaft nur mit dieser Tat zur Sprache hat bringen können. Frank S. antwortet, dass er zum Zeitpunkt der Tat davon überzeugt gewesen sei.

Um 16.01 Uhr ist der heutige Verhandlungstag beendet.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Reker-Prozess: Erster Verhandlungstag | Aufsehen erregender Auftakt

Ich werde den Prozess, der von großem öffentlichen Interesse begleitet wird, beobachten, wobei mich besonders die Motivation und die Vita des Täters interessiert.

Worum geht es? Frank S. wird vorgeworfen, anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung am 17. Oktober 2015 die damalige Kandidatin für das Kölner Oberbürgermeisteramt Frau Henriette Reker heimtückisch, aus niedrigen Beweggründen und mit Mordabsicht mit einem Messer angegriffen zu haben. Frau Reker wurde durch den Angriff des Angeklagten lebensgefährlich verletzt. Die Anklage lautet daher auf versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung. Zusätzlich wurden weitere Beteiligte des Wahlkampfteams durch den Angeklagten durch Messerstiche verletzt.

Reker-Prozess: Erster Verhandlungstag | Aufsehen erregender Auftakt

Der Prozess in Düsseldorf – 1. Verhandlungstag

Ort: Das Gerichtsgebäude des Oberlandesgerichts in Düsseldorf – ein innen wie außen einfach gehaltener, grauer Betonbau, der speziell für Prozesse aus dem Bereich der Schwerstkriminalität oder des Terrorismus gebaut wurde .
Das Interesse der Medien vor Ort ist groß: Etwa 10 Fernsehteams und weitere 40 Journalisten sind anwesend.

Zivile Zuschauer kann ich hingegen nicht identifizieren. Mich interessiert neben der Tätermotivation und dessen Vita natürlich auch, wer die Sicherheitsmaßnahmen für die jetzige Oberbürgermeisterin Frau Henriette Reker geplant hat, und wie diese verantwortlich entschieden worden sind. Beide Aspekte sind wichtig für den Bereich des Personenschutzes.

Der Prozess wird durch den 6. Strafsenat, der für Staatsschutzverfahren zuständig ist, geführt. Neben der Vorsitzenden Richterin Frau H. nehmen vier weitere Richter als Beisitzer teil. Die Bundesanwaltschaft wird durch zwei Ankläger vertreten. Der Angeklagte wird ebenfalls durch zwei Rechtsanwälte, Dr. Christof M. aus Köln und Herrn M. aus Krefeld, vertreten. Des Weiteren sind drei Anwälte für die Nebenklage anwesend. Unter anderem Rechtsanwalt M. aus Köln für Frau Henriette Reker.

Der Angeklagte Frank S. betritt in Begleitung von vier Justizbeamten den Saal. Er ist weder an den Händen noch an den Füßen gefesselt.  Er trägt eine Bluejeans sowie ein langärmliges, blauweiß-kariertes Hemd und dazu Sportschuhe. Der Angeklagte, mit Glatze und einem Kinnbart, macht einen überwältigten und überforderten Eindruck. Er hört sehr aufmerksam zu, hat hektische Augenbewegungen und vermittelt den Eindruck, dass er glaubt, jederzeit angegriffen zu werden.

Nach der allgemeinen Begrüßung und grundsätzlichen Belehrung wird die Generalbundesanwaltschaft (GBA) zur Klageverlesung aufgefordert. Es wird kurz die heimtückische und niederträchtige Tat des Angeklagten erläutert. Für die GBA steht eindeutig fest, dass hier ein Mensch getötet werden sollte. Die Motive des Angeklagten lagen offenbar in der Einschätzung einer verfehlten Flüchtlingspolitik in Deutschland. Nach Recherchen im Internet hatte er sich Frau Henriette Reker ausgesucht, da diese zum Zeitpunkt der Tat Sozialdezernentin der Stadt Köln war – und somit zuständig für die Flüchtlinge. Er brachte ein 30 cm langes Buschmesser und ein 19 cm langes Butterflymesser zur Tat mit, die er verborgen bei sich trug. Als er Frau Reker nach einer Blume fragte und diese abgelenkt war, stach er ihr in den Hals. Die Klinge drang 10 cm in den Hals ein und die Luftröhre war verletzt: Frau Reker konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Zusätzlich wurden weitere Beteiligte durch Messerstiche verletzt.

Nun wird der Angeklagte Frank S. nochmals zu seinem Zeugnisverweigerungsrecht belehrt. Er spricht mit klarer und fester Stimme und will sich zur Tat äußern. Meine Einschätzung  nach dem bisherigem Auftritt: Frank S. ist eine Person, die sich ausdrückt. Er sitzt nicht still im Saal und lässt alles um sich herum geschehen.

Bevor die Beweisaufnahme beginnt, möchte sein Anwalt, Dr. M., eine kurze Erklärung abgeben. Er erklärt, dass dieser Fall eine sehr starke Pressepräsenz gehabt habe und dass eine objektive Aufklärung damit kaum gegeben gewesen sei. Zudem zweifelt er die Befragung durch die Polizei an, da es einige Gespräche ohne Anwesenheit der Verteidigung gegeben hat. Auch den Tötungsvorsatz seines Mandanten sieht er nicht. Er führt aus, dass der Täter ja durchaus ein zweites Mal hätte zustechen können und somit der Tod des Opfers sicher eingetreten wäre. Da er dieses aber nicht getan hat, sieht Anwalt Dr. M.  auch keine Tötungsabsicht, sondern nur den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung. Hierzu führt er einige Beispiele entsprechender Urteile an. Des Weiteren behauptet er, dass es sich hier um einen politischen Prozess handele. Wäre das Opfer ein nicht in der Öffentlichkeit stehender Mensch gewesen, wäre sein Mandant auch nur der gefährlichen Körperverletzung angeklagt worden. Hierzu erklärt die Vorsitzende Richterin, dass es sich keinesfalls um einen politischen Prozess handele, sondern der 6. Senat sich um Staatsschutzverfahren kümmere. Hiernach findet eine 20-minütige Pause statt.

Um 11:30 Uhr beginnt die Vernehmung von Frank S. Die Vorsitzende Richterin H. fordert ihn auf, zu erzählen. Frank S. bittet jedoch darum, dass er jeweils einzeln gefragt wird. Er macht einen nervösen Eindruck, beantwortet die Fragen allerdings normal. Zuerst kommt die Aufarbeitung seiner Vita. Frank S. ist im Juni 1971 in Düsseldorf geboren. Seine letzte Anschrift (vor der JVA)  war die Hohlbeinstraße 32 in Köln. Er ist nicht in einem Kindergarten gewesen und kam mit circa fünf Jahren in eine Pflegefamilie. Kontakt zu seinen leiblichen Eltern oder Geschwistern hatte er danach nicht mehr. In der Pflegefamilie waren sechs Pflegekinder und vier leibliche Kinder. Frank S. bringt die hohe Anzahl der Pflegekinder mit den entsprechenden Zahlungen der Behörden in Zusammenhang. Mit sechs Jahren wurde er in Bonn eingeschult und erreichte nach Abschluss der zehnten Klasse an der Gesamtschule in Bonn-Beuel seinen Hauptschulabschluss.

Seine schulischen Leistungen bezeichnet er selbst als normal. Als er sein 18. Lebensjahr erreicht hatte,  wurde er nach eigener Aussage durch seine Pflegeeltern aus dem Haus geworfen. Daher musste er mit Aushilfsjobs über die Runden kommen. In dieser Zeit war er auch zwölf Monate als Wehrpflichtiger bei der Bundeswehr, als Funker. Im Rückblick empfindet er diese Zeit als „nicht schlecht“, wollte sich aber auch nicht als Zeitsoldat verpflichten. Danach  durchlief er eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Die Abschlussprüfung konnte er nicht durchführen, da er zu dieser Zeit wegen mehrerer Delikte (körperliche Gewalt) eine 30-monatige Gefängnisstrafe in der JVA Rheinbach absaß. Hier arbeitete er in der Wäscherei, sortierte Müll oder lud Lkw ab. Kontakt zu seinen leiblichen Eltern oder Geschwistern hatte er nie. Seine Pflegeeltern seien schwierig gewesen und die Erziehungsmethoden aus dem Mittelalter, es gab viele Schläge. Nach der Zeit im Gefängnis wollte er mit seinem rechtsradikalen Umfeld in Bonn nichts mehr zu tun haben und zog deshalb nach Köln. Dort suchte und bekam er Arbeit als Maler und Lackierer und wurde auch von den unterschiedlichen Arbeitgebern als Geselle eingestellt.

Hinweis: der zweite Anwalt von Frank S., Herr M. aus Krefeld, scheint etwas müde zu sein. Er streckt sich, legt den Kopf weit zurück und schließt einige Zeit die Augen.

Die Vorsitzende Richterin möchte noch etwas zu dem Privatleben von Frank S. hören, insbesondere in welcher Art und Weise er liiert war. Frank S. berichtet, dass er zwischen 1988 und 1993 eine fünfjährige Beziehung hatte. Danach dauerten seine Beziehungen nicht mehr so lange, etwa ein bis zwei Jahre, und immer wieder habe er einige Affären gehabt. Da er ein sehr freiheitsliebender Mensch sei, wurden ihm die Beziehungen oftmals zu eng, so dass er sie gar nicht erst eingehen wollte oder beendete.

Weiterhin möchte die Richterin wissen, warum er eine Gefängnisstraße erhalten hatte. Frank S. begründet dies mit einigen Schlägereien, in der er der Gejagte war und sich immer wieder wehren musste. Er sei  immer sehr politisch interessiert gewesen, habe viel gelesen und sich auch in der rechten Szene aufgehalten. Deshalb habe er sehr viel Ärger mit der Antifa gehabt,  die ihm immer wieder auflauerten. Einer rechten Gruppierung gehörte er nicht an. Er war Mitglied einer Clique, die sich „Berserker“ nannte. Er selbst hat eine sehr große Tätowierung mit diesem Namen auf dem Rücken. Damit war er der einzige in dieser Gruppe. Er hat eine eigene Vorstellung zum rechten Gedankengut. Er hat einen Freiheitsgedanken für alle Menschen auf dieser Welt und bezeichnet sich selbst als „wertkonservativen Rebell“. Er sagt aus, dass er sich nichts vorschreiben lässt, sondern selbst entscheidet, was er macht. Er denke sehr logisch und informiere sich im rechten und linken Lager sowie im Mainstream. Danach entscheide er, was ihn am meisten überzeugt und handelt danach eigenständig und eigenverantwortlich.

Die Vorsitzende Richterin fragt sehr gut und auch viel nach. Der Angeklagte vermutet hinter jeder Frage eine Falle.

Nach der Mittagspause, die von 13:08 Uhr bis 14:15 Uhr  angesetzt war, kann die Verhandlung erst um 14:37 Uhr neu beginnen, da die Verteidiger des Angeklagten unentschuldigt zu spät kommen. Der Verteidiger M. aus Krefeld scheint sehr belustigt darüber zu sein. Beide erhalten eine deutliche Ermahnung des Gerichts. Nur noch etwa die Hälfte der zum Prozessauftakt anwesenden Journalisten kommt nach der Mittagspause zurück in den Saal. Der Angeklagte wird weiter durch die Vorsitzende Richterin befragt. Er selbst erzählt über sich, dass er ein sehr lebensfroher Mensch sei, er habe viel Zeit am PC verbracht und viel gelesen. Er sei gerne alleine und seine letzte feste Freundin habe er zwei Jahre vor der Tat gehabt. Er bilde sich immer eine eigene Meinung und ließe sich nicht vorschreiben, was er zu denken habe. Zu seiner Tatmotivation will er noch ausführlich aussagen. Dieses wolle er selber machen und nicht durch seine Verteidiger, von denen er sagt, dass sie „nix damit zu tun haben wollen“. Er gibt an, dass seine Motivation die verfehlte Politik und der nach eigener Einschätzung millionenfache Rechtsbruch gewesen sei. Hiernach ist zunächst die Befragung des Gerichts beendet.

Die GBA möchte nun noch etwas zu seiner nicht durchgeführten Gesellenprüfung wissen und, warum er sich nicht darum gekümmert habe. Dies beantwortet der Angeklagte damit, dass er sich nicht beschweren wollte und sehr frustriert war. Die Frage nach möglichen Krankheiten führt zu der Antwort, dass er keinerlei Krankheiten habe und gesund sei. Mögliche Fragen der Nebenkläger und des Gutachters werden heute nicht durch die Verteidigung beantwortet.

Um 16:09 Uhr ist der erste Verhandlungstag zu Ende.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Bodyguard-Prozess: Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Bevor das Gericht am letzten Verhandlungstag den Urteilsspruch fällen kann, hat die Nebenklage noch einige Fragen an zwei Sachverständige, die bereits gehört wurden. Anhand der Fragen selbst wird deutlich, dass sie eher aus psychologischen Gründen gestellt werden. Erhellendes für die Klage bringen sie nicht. Man merkt dem Bruder der Getöteten, einem der Nebenkläger, an, dass er nicht loslassen kann. Und nachdem nun wirklich auch die letzte Frage gestellt wurde, erkundigt sich der Richter bei ihm sehr fürsorglich, ob auch er keine mehr habe. Danach beginnt der Staatsanwalt sein Plädoyer.

Der Staatsanwalt stellt fest, dass der Angeklagte die Tötung eingeräumt hat. Doch wie sieht es mit den Mordmerkmalen aus? War seine Steuerungsfähigkeit wirklich eingeschränkt? Er wirft dem Angeklagten Jens H. vor, dass er sich erst am ersten Verhandlungstag eingelassen bzw. geäußert und auch keine weiteren Nachfragen zugelassen hat. Dieses Verhalten machte den Beschuldigten in den Augen des Staatsanwaltes unglaubwürdig.

Ex-Bodyguard von Verona Pooth zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt

Jens H. hört nicht zu und gähnt vor sich hin.

Der Staatsanwalt benennt einige Stolpersteine. Zuerst erwähnt er die Google-Suche des Angeklagten am Vortag der Tat zum Thema „Verabreichung von Lorazepam“. Da der Angeklagte dieses Medikament schon seit einigen Jahren einnimmt, sei eine weitere Erkundung des Themas eigentlich nicht notwendig gewesen. Diese Suche sei somit als ein Vortat-Verhalten zur Tötung seiner Frau zu bewerten.

Des Weiteren sei auch die Streit-Situation beim Frühstück, die der Angeklagte beschrieben hat, nicht bewiesen, denn Nachbarn haben vielmehr eine harmonische Paarsituation beobachtet.

Auch sein Motiv, dass er seine Frau nur schlafen schicken wollte, um Ruhe zu haben, mache überhaupt keinen Sinn, da der Ärger nach dem Aufwachen noch größer gewesen wäre.

Zum Zeitpunkt der Verabreichung des Medikaments war Jens H. auch noch nicht alkoholisiert.

Zudem sei die Aussage von Jens H., dass seine Frau bei einem kurzfristigen Aufwachen weiter mit ihm gestritten hätte, unglaubwürdig, da sie sich immer noch in einem Dämmerzustand befunden haben müsste und somit kaum streitfähig gewesen wäre.

Die Tatsache, dass der Angeklagte den von ihm an seiner Frau angeblich eingesetzten Würgegriff nicht nochmals demonstrieren wollte, führt beim Staatsanwalt zur Annahme, dass es diesen Würgegriff nie gegeben hat.

Zuletzt führt er noch die Erinnerungslücken zum Nachtatverhalten auf: Entkleiden der Leiche, Verbringen in die Badewanne, zehn Messerstiche zum Ausbluten, das Abschneiden von acht Fingern mit der Rosenschere. Hier gab Jens H. nur das zu, was schon bekannt gewesen war.

Auch eine Schuldunfähigkeit durch Alkoholeinnahme erkennt der Staatsanwalt nicht an, dafür habe der Täter Jens H. zu rational gehandelt. Auch waren seine motorischen Fähigkeiten noch vorhanden. Zum Beispiel konnte er mit einer kleinen Kneifzange die Enden der Kabelbinder abschneiden und die kleinen Piercings aus der Leiche entfernen.

Der Staatsanwalt stellt eine klare heimtückische Ermordung fest und fordert, den Beschuldigten wegen Mord zu verurteilen und eine lebenslange Haftstrafe auszusprechen.

Der Angeklagte merkt, dass es langsam eng für ihn wird, und auf einmal hört er interessiert zu.

Als Nächster hält Jens K., der Verteidiger der Nebenkläger (Bruder und Tochter von Ana H.), sein Plädoyer. Er beginnt mit einer Darstellung der besonderen Lebensumstände der Eheleute H.

Diese waren geprägt durch die Drogenexzesse des Angeklagten, durch sein Verhältnis zu seiner Ex-Frau und zu den gemeinsamen Kindern sowie durch die schlechte finanzielle und geschäftliche Situation. Jens H. hatte mehrere Insolvenzen hingelegt, und die getötete Ehefrau war von Sorgen geplagt. Zusätzlich betrog der Angeklagte seine Krankenkasse, weil er sich scheinheilig über mehrere Ärzte hatte krankschreiben lassen.

Rechtsanwalt Jens K. stellt heraus, dass es die Natur des Angeklagten Jens H. sei, sich immer wieder persönliche Vorteile zum Nachteil anderer zu verschaffen. So habe er auch am Tattag seine Frau ruhigstellen wollen und ihr dafür eine deutliche Überdosis von 2 × 7,5 Milligramm Lorazepam gegeben. Auch glaubt er, dass die Tötung der Ehefrau vorab geplant gewesen sei. Eine Dosis von sechs Tabletten habe Jens H. nicht heimlich zerstampfen und in ein Getränk geben können, das lasse die Wohnsituation nicht zu.

Auch eine Tötung im Vollrausch nimmt er dem Angeklagten nicht ab, da alle Zeugen, die Jens H. am Tattag gesehen haben, keine Bewegungseinschränkungen festgestellt hatten. Die am Tattag geschriebenen SMS habe er zudem fehlerfrei geschrieben und seiner Stieftochter sogar noch geschäftliche Anweisung klar und deutlich mitgeteilt.

Die Einlassung des Angeklagten sei so schwammig gewesen, dass Rechtsanwalt Jens K. diese für unglaubwürdig hält. Er unterstellt dem Beschuldigten daher Heimtücke und zitiert hierzu den Bundesgerichtshof mit einer Erläuterung zum Komplex „Tötungsvorsatz“.

Außerdem stellt der Anwalt fest, dass die Tat äußerst planvoll durchgeführt worden sei. Hierfür spreche auch das Nachtatverhalten: Der Beschuldigte entkleidete die Leiche seiner Ehefrau komplett, die Kleidung packte er in ein Müllbeutel, sodann legte er die Leiche in die Wanne und stach dort mit einem Messer zehnmal auf dieselbe ein, was zum späteren Ausbluten führen sollte. Weiterhin schnitt er der Getöteten mit einer Rosenschere acht Finger ab. Dieses Verhalten wertet der Nebenkläger als voraussichtliche Vertuschung der Tötung. Insbesondere wirft er dem Angeklagten vor, dass er bis heute keine Reue gezeigt und sich auch nicht bei der Tochter und dem Bruder der Toten entschuldigt habe.

Hier gibt es ein Zwischenruf des Bruders der Getöteten in Richtung des Angeklagten: „Er ist nicht in der Lage gewesen, sich zu entschuldigen, aber seine Unterwäsche aus der Wohnung konnte er einfordern.“

Der Antrag des Nebenkläger-Verteidigers lautet auf Mord mit einer Strafzumessung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Nur hilfsweise beantragt er Mord aus niedrigen Beweggründen oder Totschlag nach § 212 StGB.

Hiernach kommen nun die drei Verteidiger des Angeklagten Jens H. zu ihrem gemeinsamen Plädoyer.

Zuerst spricht der Verteidiger Wolf B. Er erläutert sofort, dass die Mordmerkmale nicht zutreffen. Da er die Plädoyers des Staatsanwalts und des Nebenkläger-Verteidigers gehört hat, hat er nun die Möglichkeit, diese einzeln zu widerlegen. Diese Chance nutzt er auch.

So erklärt er gleich zu Anfang, dass Jens H. sich im Sinne eines Totschlags für schuldig erklärt habe. Er geht insbesondere auf die Alkohol-, Drogen- und Tablettensucht von Jens H. ein. Jahrelang habe er hiermit Probleme im Beruf und in der Beziehung gehabt. Im Leben des Angeklagten habe es viele irrationale Momente gegeben. Immer wieder bezieht er die Aussagen der Tochter und des Bruders der Getöteten mit ein.

Dieses Vorgehen trifft die Angehörigen besonders schwer, da es den Eindruck vermittelt, sie hätten Fehler gemacht. Ein moralisch sehr bedenkenswertes Verhalten des Verteidigers.

Zusätzlich versucht der Verteidiger, die Belastung des Angeklagten in Bezug auf sein Verhältnis zu seiner Ex-Ehefrau und den Umgang mit seinen Kindern sowie der beruflichen Situation zu erläutern. Er spricht von einem deutlichen Streit am Tattag, der auch durch eine Ohrfeige der Getöteten für Jens H. geprägt gewesen sei. Die Tötung sei ein spontaner Gedanke gewesen, nachdem Jens H. seine Ehefrau bewusstlos gewürgt hatte, somit könne von heimtückischem Mord keine Rede sein. Der Angeklagte sei schuldig des Totschlags nach § 212 StGB, und damit sehe das Gesetz einen Strafrahmen von einer 5- bis 15-jährigen Freiheitsstrafe vor.

Der Anwalt erläutert, dass es weiterhin die Möglichkeit der verminderten Schuldfähigkeit gebe und damit eine Strafrahmenverschiebung möglich sei. Der Umgang des Angeklagten mit unterschiedlichen Suchtmitteln solle als Grundlage für eine Strafrahmenschiebung herangezogen werden. Das würde eine Reduzierung der Freiheitsstrafe bedeuten, unter anderem auch deshalb, weil Jens H. ein Geständnis abgelegt habe und die Tat bereue. Im Übrigen betitelt Wolf B. den Vorgang, dass der Angeklagte sich erst so spät zu seiner Tat geäußert hat, als ein legitimes Mittel der Verteidigung, was nicht vorwerfbar sei. Der Verteidiger stellt keinen konkreten Strafmaßantrag.

Nach ihm spricht die Verteidigerin Sarah Teresa B. Sie erläutert, warum die Tötung nicht geplant gewesen sei und zielt insbesondere auf die besonderen Belastungen, die Jens H. in seinem Leben gehabt habe. Auch sie stellt fehlende Heimtücke fest und sieht eher Argumente für einen Totschlag als gegeben. Aufgrund der Suchterkrankung des Angeklagten hält sie eine verminderte Schuldfähigkeit für angebracht und damit auch die Voraussetzung für eine Strafrahmenverschiebung. Daher beantragt sie eine Freiheitsstrafe von acht Jahren.

Als dritter Verteidiger des Angeklagten spricht Nicolai M., der in zwei kurzen Sätzen feststellt, dass er sich den Ausführungen seiner Kollegen anschließt.

Nun wird dem Angeklagten durch das Gericht das letzte Wort erteilt.

Jens H. spricht sehr leise und stockend: „Mir fällt es schwer, etwas zu sagen. Ich habe mir selbst das Wichtigste im Leben genommen. Ich bereue, was ich getan habe und möchte mich hiermit bei den Angehörigen meiner gestorbenen Frau entschuldigen und bitte Sie um Verzeihung.“

Danach zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.

Die Zuhörer und die Parteien begeben sich zur Kantine, ich setze mich vor das Beratungszimmer, weil ich wissen möchte wie lange die Beratung läuft. Schon 28 Minuten später kommt das Gericht aus dem Beratungszimmer und begibt sich ebenfalls zur Kantine.

Anschließend wird der Verhandlungstag fortgesetzt. Das Gericht teilt nun das Urteil mit: Totschlag nach § 212 StGB mit einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Demnach sieht das Gericht Heimtücke als nicht bewiesen an und glaubt zudem nicht, dass die Tötung geplant war. Für einen Mord sei der Tathergang auch nicht plausibel genug gewesen. Eine Schuldunfähigkeit hingegen könne ebenfalls nicht in Betracht gezogen werden, da die Sachverständigen eine entsprechende Leistungsfähigkeit nachgewiesen haben. Die Höchststrafe von 15 Jahren wurde nicht ausgesprochen, da der Angeklagte Jens H. ein Geständnis abgegeben hat und Ersttäter war.

Der Prozess endet am 31. März nach acht Verhandlungstagen um 14:28 Uhr.

Bildquelle: Stefan Bisanz

Gericht geht nicht von Heimtücke aus

Das Gericht hat in den weiteren Verhandlungstagen seine ersten Überlegungen zu einem möglichen Urteil bekannt gegeben. Doch bevor das Gericht diese genauer ausführt, werden noch einige Zeugen vernommen.

Unter diesen ist unter anderem ein Nachbar von Jens H., der im Erdgeschoss wohnhaft ist und sich des Öfteren auf seiner Terrasse aufhielt. So auch am Tattag, zwischen 20:00 Uhr und 20:30 Uhr. Er beobachtete, wie Jens H. ohne ihn zu grüßen an seiner Terrasse vorbeiging und eine Plastiktüte in den Müll warf. Es gab keinen Augenkontakt. Jens H. ging danach zu einem Taxi.

Ein weiterer Nachbar in einer gegenüberliegenden Wohnung konnte das Ehepaar beim Frühstück auf der Dachterrasse beobachten. Dabei wurden keinerlei Besonderheiten festgestellt.

Gericht geht nicht von Heimtücke aus

Der psychologische Sachverständige über den Jens H.

Auch der psychologische Sachverständige wird als Zeuge vernommen. Er hatte in der Justizvollzugsanstalt an vier Untersuchungstagen insgesamt 13 Stunden mit Jens H. gesprochen.

Er beschreibt seinen Gesprächspartner als freundlich und kooperativ, allerdings wenig spontan und wenig aktiv. Er stellte fest, dass Jens H. seit seinem 18. Lebensjahr alkohol- und drogenabhängig war. Er sei über die Partyszene in die Sucht hineingerutscht. Der Konsum führte unter anderem zu stationären Behandlungen in diversen Krankenhäusern. In der JVA jedoch hatte Jens H. keine Entzugsbehandlung gebraucht. Der Sachverständige beurteilt die Alkohol- und Medikamenteneinnahme daher nicht als Abhängigkeit, sondern vielmehr als Missbrauch. Jens H. war in den Jahren 2011 bis 2013 in Behandlung bei einer Kölner Psychologin gewesen. Die Belastungsfaktoren waren eindeutig Berufswechsel, Ex-Ehefrau und sein Umgang mit den Kindern. Er hatte Anpassungsschwierigkeiten und war depressiv. Als Ausgleich betrieb er Kraft- und Kampfsport, „um den Kopf frei zu bekommen“, wie er sagte. Dabei hat er sich intermuskulär Anabolika zugeführt. Als besondere Tätigkeiten nannte Jens H. seine V.I.P.-Einsätze bei Events und seine Sicherheitsaufgaben für Verona Pooth.

Der psychologische Sachverständige resümiert, dass bei Jens H. durchaus Aufmerksamkeit und Wachsamkeit vorhanden seien. Eine schwere Depression liege nicht vor, es gebe keine Auffälligkeiten, auch keine Gehirnschäden. Jens H. habe einen gewissen Grad an Intelligenz, sei ein geselliger Mensch gewesen mit einem sehr großen Selbstbewusstsein, allerdings teilweise aggressiv und mit einer Neigung zur Sucht ausgestattet.

Es liegen laut dem Sachverständigen somit keine krankheitsrelevanten Merkmale vor. Jens H. habe keine schwere psychologische Störung. Seine lange Krankschreibung sei nicht notwendig gewesen, da sein Verhalten völlig normal war und nicht der Krankschreibung entsprach. Eine Bewusstseinsstörung sei nicht vorhanden, auch während der Tat nicht, denn dafür sei sie zu konkret durchgeführt worden. Seine gute Erinnerung an die Tat spreche ebenfalls dafür. Zudem seien motorische Fähigkeiten zur Durchführung durchaus vorhanden gewesen. Selbst der starke Alkoholeinfluss von circa 3,0 Promille und die Einnahme von Lorezepam haben nicht zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt, dafür sei seine Leistungsfähigkeit während der Tat zu ausgeprägt gewesen. Der Gemütszustand von Jens H. beim Gedanken an die Tat sei im Gespräch eher nachdenklich, aber nicht betroffen oder weinerlich gewesen.

An dieser Stelle versucht die Verteidigung immer wieder, mit Zwischenfragen den Redefluss des Sachverständigen zu stören. Der Richter belehrt die Verteidigung und weist auf einen späteren Fragezeitpunkt hin.

Einschätzungen des Gerichts

Nach einer Beratungspause des Gerichts teilt das Gericht ihre Überlegungen zu einer möglichen Verurteilung mit.

Jetzt hört Jens H. erstmalig interessiert zu. Körperspannung ist vorhanden.

Das Gericht teilt nun mit, dass die Tötungsabsicht „Ruhe vor der Ehefrau“ als Motivation nicht plausibel erscheine. Auch eine langvorbereitete Tötungsabsicht sei nicht erkennbar. Das Vorhandensein der Kabelbinder könne deutlich erklärt werden und sei damit nicht im Tatzusammenhang zu sehen. Das Gericht glaubt nicht, dass Jens H. in der Lage gewesen wäre, eine Inszenierung durchzuführen. Er habe auch im Nachhinein nichts zur Verbergung der Tat unternommen. Daher glaubt das Gericht auch nicht, dass es ein lang geplantes Geschehen war.

Insofern sei es wahrscheinlicher, dass Jens H. eine spontane Tötungsabsicht verfolgte. Die Situation war durch die Streitereien aufgeladen. Sein Tötungsvorsatz wäre unmittelbar umgesetzt und nicht gestaffelt gewesen. Die Einlassung von Jens H. sei zurzeit nicht widerlegbar. Allerdings seien die Erinnerungslücken für sein Nachtatverhalten nicht plausibel. Als Ergebnis sei jedoch festzustellen, dass das Mordmerkmal „Heimtücke“ nicht gegeben sei.

Zur Erläuterung des möglichen Strafmaßes spricht der Richter Jens H. direkt an. Er teilt ihm mit, dass er nicht mit einer Strafe im unteren Bereich und auch nicht in mittleren Bereich rechnen dürfe, da das Gericht durchaus annimmt, dass er dicht an der „Heimtücke“ getötet hat. Damit bleibe es bei Totschlag und es laufe wahrscheinlich auf ein Strafmaß von etwa zehn Jahren hinaus.

Bildquelle: Thorben Wengert / pixelio.de

“Medien wollten Einfluss auf das Gericht nehmen”

So wie im Titel äußerte sich der Präsident des Oberlandesgerichts Brandenburg, Klaus-Christoph Clavée, anlässlich einer öffentlichen Veranstaltung mit Podiumsdiskussion am 16. März 2016 in Frankfurt (Oder). Veranstalter war die Juristische Gesellschaft Frankfurt (Oder) e. V.

Die Podiumsdiskussionen trug den Titel: „Der Maskenmannprozess – zum Verhältnis von Öffentlichkeit, Medien und Justiz.“ Als Gesprächsteilnehmer waren die Journalisten Beate Bias (Märkische Oderzeitung), Alexander Fröhlich (Potsdamer Neueste Nachrichten) und Andreas Oppermann vom rbb-Studio in Frankfurt (Oder) eingeladen. Weiterhin nahmen teil der Präsident des brandenburgischen Oberlandesgerichts sowie Prof. Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg. Die Moderation wurde von Frau Janine Nuyken, Vizepräsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) übernommen.

“Medien wollten Einfluss auf das Gericht nehmen”

Es waren über 300 Gäste und Zuhörer anwesend, unter ihnen viele mir bekannte Gesichter. An dieser großen Anzahl an Besuchern konnte man deutlich feststellen, dass der „Maskenmann“-Prozess insbesondere in Frankfurt (Oder) von hohem Interesse ist. Im Publikum waren auch sehr viele Behördenvertreter aus Staatsanwaltschaft und Polizei, unter anderem der Nebenkläger-Verteidiger von Louisa P. und der Bruder des durch den Maskenmann angeschossenen Sicherheitsmitarbeiters.

Da ich während meiner 59-tägigen Prozessbeobachtung auch hinreichend viel Erfahrung mit der Presse vor Ort bekommen habe, konnte ich mir diese Veranstaltung natürlich nicht entgehen lassen. Im Übrigen habe ich während des Prozesses nur Beate Bias des Öfteren im Saal gesehen, die beiden andern Journalisten waren nur zwei-, dreimal vor Ort.

Frau Nuyken führte in das Thema ein und forderte die Podiumsteilnehmer auf, doch in kurzen Worten ihre Ansicht zum Massenprozess mitzuteilen. Die Journalisten berichteten, dass sie über den geforderten Freispruch überrascht waren, und dass sie viele Zweifel hatten, insbesondere an der Polizeiarbeit. Der Präsident des brandenburgischen Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg hatten hingegen das spektakuläre Verbrechen, das dieser Prozess behandelt hat, im Fokus. Deren Eindruck war, dass die Journalisten Partei für den Angeklagten eingenommen haben und nur sie in der Lage wären, den wahren Täter zu präsentieren.

Die Diskussion über diese doch sehr gegensätzlichen Standpunkte ging eine Weile hin und her. Danach wurde das Wort den Zuhörern erteilt. Auch hier waren Wortmeldungen dabei, die die Berichtserstattung sehr einseitig empfunden haben. Unter anderem äußerte sich der Richter B. (Ehemann einer kritischen Polizeibeamtin). Ihm merkte man deutlich an, dass er eine betroffene Person ist. Als Erster sprach er die Namen der am Prozess Beteiligten mit Klarnamen aus. Auch klagte er die Polizeiarbeit – hier namentlich die der Beamten der Sonderkommission – an, die seiner Meinung nach schlechte Ermittlungsarbeit geleistet hatten. Dieser Beitrag war sehr persönlich gefärbt.

Um 18:00 Uhr hatte die Veranstaltung begonnen. Um 19:20 Uhr wurde mir das erste Mal das Wort erteilt. Zu Beginn meines Statements machte ich darauf aufmerksam, dass es eine Stunde und 20 Minuten gedauert hatte, bis wir erstmalig an die Opfer dachten. Das war eine Parallelität zum Prozess. Insbesondere auch durch die Verteidigung und die Journalisten wurde damals keine Rücksicht auf die Opfer genommen, ein Umstand, auf den ich in meinem Blog mehrmals hingewiesen habe.

Meine Fragen an die Journalisten gingen somit ebenfalls in diese Richtung. Mich interessierte zum einen, welche Wahrnehmung sie zu ihrer Berichterstattung hatten. Zum anderen wollte ich erfahren, was sie glauben, welche Folgen die Show des Beschuldigten-Verteidigers Axel W. für die Opfer gehabt haben könnte, denn jedem noch so abstrusen Zweifel der Verteidigung folgte die Presse. Sei es die Unterstellung, dass sich das Entführungsopfer selbst entführt hätte, oder dass die beiden Opferfamilien gemeinsame Sache gemacht hätten. Beide Storys nahm die Presse nahezu ungeprüft auf und verbreitete sie entsprechend. Wie also bewerten die Journalisten das im Nachhinein, mit einigem Abstand? Was glauben die Berichterstatter, hat das mit den Opfern gemacht, sich derartigen Anschuldigungen ausgesetzt sehen zu müssen?

Auf meine Frage antwortete nur Beate Bias mit einem einzigen Satz und sagte sinngemäß, die Opfer wären durch die Presse nicht unanständig behandelt worden.

Dass die Journalisten auf eine an sie gestellte Frage nicht antworten, ist für mich auch eine deutliche Antwort.

Ein im Publikum sitzender Journalist vom rbb trat hingegen erfrischend kritisch auf, stellte entsprechende Fragen an die Podiumsrunde und entwarf Thesen, die durchaus selbstkritisch waren.

Zum Ende der Podiumsdiskussion wartete der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg noch mit einer wichtigen, aber für mich nicht überraschenden Neuigkeit auf: Er hat die Revisionen der Verteidigung und einer Nebenklägerpartei geprüft und inzwischen beim Bundesgerichtshof beantragt, diese Revision vor dem Bundesgerichtshof zu verwerfen. Der Prozess in Frankfurt (Oder) sei korrekt abgelaufen. Diese Entscheidung wiederum obliegt letztendlich dem Bundesgerichtshof.

Auch diese Erklärung stellten einige Journalisten sofort in Frage. Sie avisierten mir, dass sie mich ja dann wieder im Gerichtsaal treffen werden – zur Revisionsverhandlung.

Ich bin gespannt (aber nur ein bisschen).

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.de

Das falsche Gesicht des Jens Christoph H.

Am dritten Verhandlungstag werden durch Zeugenaussagen zur Krankengeschichte des Angeklagten seine „betrügerischen“ Charakterzüge deutlich.

Nachdem alle Parteien in gleicher Besetzung wie in den Tagen zuvor im Gerichtssaal erschienen sind, beginnt die Verhandlung, der neben drei Medienvertretern auch 20 Zuschauer folgen

Der Angeklagte trägt dieselbe Kleidung wie immer und hat außerdem eine blaue Tragetasche mit weißem Werbeaufdruck dabei. In dieser Tasche führt er ein paar wenige Unterlagen mit sich.

Das falsche Gesicht des Jens Christoph H.

Zeugenaussage Kevin G., Freund des Beschuldigten

Der erste Zeuge ist Kevin G., 27 Jahre alt und arbeitslos. Er ist über zwei Meter groß und hat dicke, tätowierte Oberarme. Zu Beginn gibt er sich noch betont cool.

Kevin G. hat für die Firma des Beschuldigten gearbeitet und war im Sommer 2015 drei bis vier Monate mit der Tochter des Opfers, Anela M., liiert. Er kennt Jens H. seit circa fünf bis sechs Jahren und beschreibt ihn als einen lockeren Typ.

Bei dieser Aussage hält sich Anela die Hände vors Gesicht. Der Beschuldigte kann auch diesen Zeugen nicht direkt ansehen. Statt dessen schaut er auf den Tisch vor sich, blickt mal nach links, mal nach rechts und wirkt insgesamt sehr teilnahmslos.

Über den Drogen- und Alkoholkonsum von Jens H. war Kevin G. im Bilde, da er beides gemeinsam mit dem Beschuldigten konsumiert hatte. Auch über die Streitigkeiten in der Beziehung zwischen Jens H. und dem Mordopfer Ana H. hatte er Kenntnis.

Nach der Tat fuhr Jens H. zu Kevin G. und erzählte ihm von den Streitigkeiten mit Ana H. sowie von dem mit Schlafmittel versetzten Getränk, das ihr gegeben hatte. Kevin G. rief daraufhin die Tochter des Opfers, Anela M., an, die anschließend unmittelbar zu ihrer Mutter fuhr und diese vor Ort tot auffand. Kevin G. wusste zu keinem Zeitpunkt, dass Jens H. seine Frau Ana H. getötet hatte.

Kevin G. spricht in seinen Aussagen auch von Mutmaßungen. Dieses wird sofort durch den Verteidiger des Beschuldigten moniert, dessen Tonfall dabei etwas angestrengt wirkt. Weiterhin versucht der Anwalt, dem Zeugen durch geschickte Fragestellung zu entlocken, ob Jens H. seine Frau nicht doch im Affekt getötet haben könnte. Dazu legt der Verteidiger dem Zeugen Mutmaßungen in den Mund, die dieser dann bestätigt.

Der Verteidiger beginnt seine Vernehmung mit dem Hinweis, er hätte nur sechs bis sieben Fragen, doch schließlich wurden es 19. Diese Methodik wird gerne angewandt, um dem Zeugen ein kurzfristiges Ende vorzugaukeln.

Zusammengefasst geht es bei den Fragen der Staatsanwaltschaft, der Verteidigung und des Nebenklägeranwaltes an Kevin G. um die Lebensumstände von Jens H., wie etwa Freizeitverhalten, Alkohol- und Drogenkonsum, Firma, Ehestreitigkeiten.

Aussage des toxikologischen Experten

Danach trägt Prof. Dr. Thomas D. (65) sein Gutachten vor. Er ist Bereichsleiter für Forensische Toxikologie sowie Leiter des Alkohollabors in Düsseldorf und somit ein ausgewiesener toxikologischer Sachverständiger. Prof. Dr. Thomas D. beschreibt zunächst seine Daten zum Opfer Ana H.: Sie wog 62,2 Kilo und war 49 Jahre alt. Die Harnblase war ohne Urin, sie hatte keinen Alkohol konsumiert. Überprüft wurden Mageninhalt, Niere und Blut, wobei man 59 Milligramm Lorazepam pro Milliliter Blut feststellte. Das bedeutet, dass etwa zwölf Stunden vor dem Tod circa vier bis fünf Tabletten Tavor, so der Verkaufsname, zu 2,5 Milligramm verabreicht worden sind. Dieses hatte der Beschuldigte auch so angegeben. Diese Dosierung ist eine deutliche Überdosierung und hat eine zentral dämpfende Wirkung. Es ruft eine Störung des Kurzzeitgedächtnisses hervor, so wie man es von K.-o.-Tropfen kennt. Auch verschwinden Angst und Unruhe.

Auch wenn man unter dieser Dosierung zwischendurch, wie auch am Tattag geschehen, aufwacht, ist man nur zu kurzen Handlungen oder Gesprächen fähig, an die man sich später nicht mehr erinnern kann.

Weiter berichtet Prof. Dr. Thomas D., dass er drei Blutproben von Jens H. genommen hat. Die ersten zwei Proben von 0:58 Uhr ergaben eine Blutalkoholkonzentration von 1,66 Promille, die dritte Probe von 1:35 Uhr ergab 1,56 Promille, was eine Senkung um 0,1 Promille in 37 Minuten bedeutet und einen normalen Wert darstellt.

Als weitere berauschende Mittel hatte der Rechtsmediziner im Körper des Beschuldigten ebenfalls Lorazepam festgestellt, aber auch Amphetamine, Bluthochdruckmittel sowie MDMA, besser bekannt als Ecstasy. Die Mischung dieses Cocktails bedingt, dass sich Wirkkräfte der einzelnen Mittel gegenseitig aufheben.

Jens H. war am Tattag circa 1,78 Zentimeter groß und wog etwa 100 Kilo. Im Falle entsprechender Einnahmegewöhnung sind die Ausfallerscheinungen bei dieser Menge geringer als bei anderen Personen.

Anhand dieser Blutalkoholwerte rechnete der Sachverständige als mögliche Promillegrenze zum Tatzeitpunkt einen Wert von 3,0 Promille aus. Der Nebenklägeranwalt fragt daraufhin, ob die Einnahme von Anabolika, bei gleichzeitigem Konsum von entsprechenden Medikamenten und Drogen sowie Alkohol, einen möglichen Einfluss auf das Verhalten des Beschuldigten gehabt haben könnte. Prof. Dr. Thomas D. erläutert, hieraus ergäbe sich keine gegenseitige Auswirkung.

In diesem Zusammenhang wird durch das Gericht ein Bild gezeigt, auf dem man den geöffneten Kühlschrank des Beschuldigten sieht. Dieser ist voll mit unterschiedlichen Kartons mit der Beschriftung „Anabolika aus Indien“.

Nun entsteht ein Wortwechsel zwischen dem Staatsanwalt, der Verteidigung, dem Nebenklägeranwalt und Prof. Dr. Thomas D. Es wird darüber diskutiert, inwieweit es eine Wechselwirkung bei der Einnahme von Medikamenten bzw. Alkohol und vor allem eine Gewöhnung an diesen Konsum geben kann. Zudem wird erörtert, in welchem Bezug die Tathandlungen, insbesondere die Nachtathandlungen wie das Ausziehen der Leiche, deren Transport in die Wanne, das Entfernen des Strangulierungswerkzeugs vom Hals oder auch die Entfernung des Bauchnabelpiercings dazu stehen. Letztendlich kann der Sachverständige zu all diesen Fragen keine konkreten Antworten geben.

Vernehmung des Polizeiarztes

Anschließend wird der Polizeiarzt vernommen, der Jens H. unmittelbar nach der Festnahme untersucht und hierbei auch eine Blutprobe entnommen hat. Diese enthielt eine Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille. Weitere Tests, um eine Beurteilung seines Zustandes vorzunehmen, wie zum Beispiel den Finger-Nasen-Test oder das Gehen auf einem weißen Strich, hat der Beschuldigte abgelehnt. Er hat vielmehr einen aufnahmefähigen Eindruck hinterlassen, alles sehr gut wahrgenommen und sich beherrscht gegeben.

Die Aussage des Polizeiarztes, dass Jens H. beherrscht war, gefällt dem Verteidiger des Beschuldigten überhaupt nicht. Er gibt sich keine Mühe, seine Angespanntheit zu verbergen.

Des Weiteren, berichtet der Polizeiarzt nun, konnte Jens H. nach seiner Festnahme eine ganz genaue Auflistung seiner Medikamente geben, ganz so, als ob er einen Verordnungsplan dabei gehabt hätte. Dies verwundert sowohl den psychologischen als auch den toxikologischen Sachverständigen sichtlich.

Hausarzt Nummer 1

Nun wird Dr. Dimitri G. (46) aus Düsseldorf zur Aussage gebeten, von Beruf Allgemeinmediziner. Er war Hausarzt von Jens H., der wiederum gegenüber dem Richter die Freigabe der ärztlichen Schweigepflicht bestätigt hat. Dr. Dimitri G. erklärt, dass Jens H. mit einem Stress-Syndrom zu ihm kam. Sein Patient zeigte sich aufgrund seiner gescheiterten Ehe und des Kontakts zu seinen Kindern belastet. Immer wieder bot der Arzt Jens H. auch psychologische Hilfe an, doch dieses lehnte der Patient stets ab. Dr. Dimitri G. verschrieb ihm daher etwa ein Jahr lang das Schlafmittel Lorazepam zu 2,5 Milligramm mit der Maßgabe, jeweils nur eine halbe Tablette zu sich zu nehmen. Von einem weiteren Hausarzt wusste Dr. Dimitri G. nichts.

Hausarzt Nummer 2

Dem ersten folgt nun der zweite Hausarzt als Zeuge, Dr. Oliver Peter K. (52), Arzt in Hilden.

Auch dieser wurde von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden. Er war Hausarzt von Jens H. ab Sommer 2012. Er hatte dessen Depression und Belastung diagnostiziert und den Patienten kontinuierlich krankgeschrieben.

Einige Zeit vor der Tat hat die Krankenkasse die Krankschreibung aufgehoben, weil Jens H. verweigert hatte, sich dem Gutachter der Krankenkasse vorzustellen.

Dr. Oliver Peter K. hatte etwa alle 14 Tage Kontakt mit seinem Patienten, und auch er verschrieb ihm Lorazepam, 20 Stück zu 1 Milligramm, zur Einnahme insgesamt dreimal pro Tag. Der Arzt aus Hilden wusste von einem weiteren Hausarzt, dem er auch zweimal einen Brief geschrieben, allerdings nie eine Reaktion erhalten hatte.

Der erste Hausarzt hatte im Zeugenstand soeben ausgesagt, dass er den zweiten Hausarzt nicht kenne.

Dr. Oliver Peter K. ist sich im Nachhinein bewusst, dass er ausschließlich zur Medikamentenbeschaffung und zum Ausfüllen des Krankenscheins benutzt worden ist. Letzteres führte dazu, dass Jens H. ein Jahr lang Krankengeld von seiner privaten Krankenkasse erhalten hatte. Auch Angaben zu seinen privaten Umständen, etwa, dass er erneut geheiratet hatte, teilte Jens H. seinem zweiten Hausarzt nicht mit, obgleich Dr. Oliver Peter K. ihm vertraute.

An diesem Verhandlungstag wird deutlich, welche Charakterzüge der Beschuldigte Jens H. in sich trägt: Einerseits verschaffte er sich durch die Einnahme von Anabolika muskelbepackte Oberarme, ohne dafür zu trainieren, andererseits erschlich er sich Leistungen von seiner privaten Krankenkasse und erhielt über ein Jahr lang unberechtigt Krankengeld, weil er seinen zweiten Hausarzt hinsichtlich einer entsprechend passenden Krankengeschichte angelogen hatte.

Bildquelle: Rainer Sturm / pixelio.de

Erschütternde Aussagen von Tochter und Bruder des Opfers Ana H.

Am heutigen Verhandlungstag wird zuerst der Bruder des Opfers, Marjan J., als Zeuge vernommen. Er spricht klar und gefasst und schaut ein-, zweimal während seiner Vernehmung den Beschuldigten Jens H. an. Während seiner Aussage wird deutlich, dass er vernunftgelenkte An- und Einsichten zum Leben hat.

Bruder Marjan J. im Zeugenstand

Er möchte vor Gericht aussagen und erzählen. Er ist 43 Jahre alt, Gastronom in Düsseldorf und kam 1992 aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland. Er erzählt von seiner 49-jährigen Schwester und, dass er noch zwei weitere Brüder hat. Diese Leben in Frankreich und in Kroatien. Seine Mutter lebt noch, sein Vater ist 2002 gestorben.

Seine ermordete Schwester ist Ende der achtziger Jahre nach Deutschland gekommen und hat ihre erste Arbeit als Babysitterin in Mülheim an der Ruhr aufgenommen. Später ist sie nach Düsseldorf gezogen. Bei ihr war ihre Tochter Anela, die in Kroatien geboren ist und aus der ersten Ehe seiner Schwester stammt. Er hat sich mit seiner Schwester immer gut verstanden und hatte einen intensiven Kontakt zu ihr.

Erschütternde Aussagen von Tochter und Bruder des Opfers Ana H.

Seine Schwester hat den Beschuldigten Jens H. etwa 2008 über seinen Job als Türsteher kennengelernt. Marjan J. war von Jens H. nicht begeistert. Vor allem, dass Ana H. und Jens H. sehr schnell nach ihrem Kennenlernen geheiratet haben, weckte Unbehagen in Marjan J. Trotzdem hat er ihn letztlich als den neuen Partner seiner Schwester akzeptiert.

Da es den beiden finanziell nicht immer gut ging, lieh Marjan J. ihnen oft Geld, auch unübliche Summen wie zum Beispiel 3.500 Euro für eine neue Küche oder 10.000 Euro für eine Steuerschuld. Streit hatte er mit Jens H. nachdem er erfuhr, dass dieser seine Schwester in den Bauch geschlagen hatte. Seine Schwester erzählte ihrem Bruder sicherlich nicht alles, doch dass Jens H. ein Drogenproblem hat, teilte sie ihm mit. Sein Umgang mit Jens H. war höflich aber oberflächlich.

Bei einem Osterurlaub in Kroatien hat er jedoch ganz konkret einen Streit zwischen seiner Schwester und Jens H. mitbekommen. Dieser war stark und laut, denn Jens H. war betrunken und sehr aufbrausend. Beide hatten häufig Streitigkeiten über Geld, beispielsweise wegen Verträgen, großen Autos und ähnlichem. Mit den Kindern aus seiner ersten Ehe hatte Jens H. aus der Sicht von Marjan J. keinen aktiven Umgang, er war unemotional.

Jens H. sitzt während der Aussage seines ehemaligen Schwagers relativ teilnahmslos und ohne Regung auf seinem Platz, er kann keinen Blickkontakt zum Zeugen aufnehmen.

Das Verhältnis von Jens H. zur Nichte von Marjan J., Anela M., war aus dessen Sicht relativ normal. Zur Trennungsphase der beiden kann der Zeuge keine konkreten Angaben machen, außer dass er diese mitbekommen hat.

Die Verteidiger des Beschuldigten fragen nun noch einmal konkret zum Verhalten nach der Einnahme unterschiedlicher Drogen und inwieweit der Zeuge dieses mitbekommen hat. Hierzu kann der Zeuge nicht viel sagen, da er nicht über alles Kenntnis hatte. Auf die Frage, wie Jens H. nach der körperlichen Auseinandersetzung mit seiner damaligen Ehefrau reagierte, berichtet der Zeuge, dass Jens H. dies sehr bedauert hat.

In seiner polizeilichen Vernehmung hat Marian J. ausgesagt, dass er dem Beschuldigten zu 100 Prozent die Tötung seiner Schwester zutraue. Der Richter befragt den Zeugen nun, was er denn von diesem Prozess erwarte. Der Zeuge antwortet mit einer Gegenfrage: „Würden Sie diesen Menschen wieder auf die Menschheit loslassen?“ Diese Frage bleibt durch das Gericht unbeantwortet.

Der psychologische Sachverständige fragt nach dem Freizeitverhalten des Beschuldigten. Der Zeuge kann berichten, dass Jens H. sehr viel Sport getrieben hat. Unter anderem betrieb er Kampfsport und postete die in diesem Bereich erhaltenen Urkunden bei Facebook.

Der Verteidiger der Nebenklage fragt nach Alkoholverstecken beim Beschuldigten. Die ermordete Ehefrau hatte den Alkohol im Keller versteckt, sodass in der Wohnung selbst kein Alkohol war. Ob ihm bekannt sei, dass auch seine Schwester ein Drogen- oder Alkoholproblem hatte. Dies wird von Marjan J. mit einem klaren „Nein“ beantwortet, genauso wie die Frage nach ständiger Einnahme von Antidepressiva oder Schlafmitteln.

Bei den Streitereien ging es immer ums Geschäft und um Geld, da seine Schwester besorgt war, dass Jens H. die Firmen in die Insolvenz führen würde. Insbesondere das Kaufverhalten von Jens H. war sehr ausschweifend, er fuhr einen großen Mercedes S-Klasse AMG und wollte zusätzlich ein zweites, noch größeres Auto kaufen. Hier fragt die Verteidigung sofort nach und möchte vom Zeugen wissen, ob er denn wisse, was sein ehemaliger Schwager berufsmäßig gemacht hat. Das beantwortet Marjan J. mit dem allgemeinen Begriff „Sicherheit“. Die Verteidigung behauptet nun, dass es sich bei dem Mercedes S-Klasse AMG um das Fahrzeug handelt, mit welchen Verona Pooth gefahren worden sei. Hiernach ist der Zeuge entlassen.

Aussage der Tochter der Ermordeten, Anela M.

Anela M. ist nicht nur Zeugin, sondern auch Nebenklägerin. Bisher war sie nicht im Gerichtssaal. Doch nun betritt sie den Raum, abgeschirmt durch eine offizielle Zeugenbetreuerin und in Begleitung zweier Freundinnen. Zuvor sind ihr Fotografen auf dem Weg in den Gerichtssaal gefolgt, um Bilder der jungen Frau zu ergattern. Sie trägt einen großen schwarzen Mantel mit einer großen Kapuze, die sie tief ins Gesicht gezogen hat. Ihre Körperhaltung ist leicht nach vorne gebeugt und ihre Augen, die zwischendurch hin und wieder zu sehen sind, wandern hektisch. Wenn sie spricht, dann sehr zitternd, sie kann sich kaum äußern.

Sie wird gleich schildern, wie sie ihre tote Mutter aufgefunden hat. Eine grausame Vorstellung!

Anela M. ist 28 Jahre alt, wohnt in Düsseldorf und ist zurzeit nicht berufstätig. Bis zum Tattag hat sie in der Firma des Beschuldigten gearbeitet, fühlt sich seit dem Erlebten aber nicht mehr arbeitsfähig.

Wenn Sie über den Beschuldigten Jens H. spricht, spürt man eine große Verachtung sowie Wut und Zorn in ihrer Stimme. Sie erzählt, dass sie 19 Jahre alt war, als sie den Beschuldigten kennenlernte. Jens H. war immer aggressiv und oft völlig haltlos, wegen Nichtigkeiten. Er wollte immer bestimmen und hat ihre Mutter auch wegen seines Drogenkonsums geschlagen. Ihre Mutter und er hatten oft Streit deswegen, auch wegen Alkohol und der Firma. Anela M. selbst hat nie direkt gesehen, dass er Drogen zu sich genommen hat. In der gemeinsamen Wohnung hat er die Drogen immer auf der Toilette konsumiert und wenn er dann wieder kam, war er weiß um die Nase und hat dauernd geschnieft. Seine Augen waren dann sehr groß und seine Stimme hat geleiert. Wenn er nicht auf Drogen war, war Jens H. eher ruhig und schüchtern. Wegen seiner Drogenexzesse war er auch öfter im Krankenhaus. Anela M. ist circa 2008 aus der Wohnung ihrer Mutter ausgezogen.

Auch dieser Zeugin kann Jens H. nicht in die Augen schauen.

Nachdem der Trennung zwischen ihrer Mutter und Jens H., hatte er sofort eine neue Freundin. Aber Ana H. konnte sich nicht gänzlich trennen.

Anela M. wiederum wurde durch Jens H. ausgenutzt, indem er sie als Geschäftsführerin einer Einzelfirma einsetzte. Diese Firma hieß Hammann Services GmbH. Allerdings hatte Anela M. keinerlei Hintergrund, um diese Position auszufüllen, sodass letztlich Jens H. alles bestimmte. Er kaufte viel zu viel , plünderte die Konten und Anela M. musste Insolvenz anmelden.

Wenn ihre Mutter im Urlaub war, war Jens H. ständig voll mit Drogen und / oder Alkohol. Einmal sagte er zu ihr: „Ich werde das mit deiner Mutter beenden, ich halte das nicht mehr aus. Aber dann ist es endgültig beendet!“

Nun wird Anela M. zum Tattag, dem 23. August 2015, vernommen.

An diesem Tag wollte sie über WhatsApp Kontakt zu ihrer Mutter aufnehmen und hat auch versucht, sie telefonisch zu erreichen, was ihr aber nicht gelang. Das war schon sehr ungewöhnlich, da ihre Mutter sich spätestens nach einer Stunde gemeldet hätte. Hierauf rief sie Jens H. an. Er erklärte ihr, dass ihre Mutter müde und krank sei und deshalb schlafe. Er wolle nicht, dass sie geweckt wird. Da Anela M. aber am Nachmittag mit ihren Freundinnen losziehen wollte und hierfür Geld benötigte, fuhr sie zur Wohnung ihrer Mutter, um von Jens H. 50 Euro von dem Geld zu bekommen, das dort für sie deponiert war.

Ihre Mutter selbst sah sie bei dieser Gelegenheit nicht, sondern nur ihre Beine am Ende der Couch. Jens H. machte in diesem Moment keinen so „vollen“ Eindruck. Gegen 18:00 Uhr hatte sie erneut Kontakt mit Jens H., wobei es um einen Auftrag am Chemiepark Dormagen ging. Gegen etwa 22:30 Uhr wurde sie dann von einem gemeinsamen Bekannten angerufen, der mitteilte, dass Jens H. bei ihm sei und erzählt hätte, dass er ihrer Mutter etwas ins Glas getan hätte. Sie fuhr unvermittelt und sehr schnell zur Wohnung der Mutter.

Nun erzählt sie von der Auffinde-Situation. Nachdem sie ihre Mutter bereits in der Küche, im Wohnzimmer und im Schlafzimmer nicht gefunden hatte, ging sie ins Badezimmer und sah, dass der Duschvorhang vor die Wanne gezogen wurde. Es hing ein Arm über dem Wannenrand.

Eine detaillierte Beschreibung der genauen Auffinde-Situation wird Anela M. durch das Gericht erspart, denn allein die Vorstellung, wie ein Kind die eigene Mutter erschlagen und erdrosselt auffindet, mit zehn weiteren Einstichen in Rumpf und Bauch und acht mit einer Gartenschere abgeschnittenen Fingern in der Wanne, ist einfach nur grässlich.

Der Richter fragt Anela M. an dieser Stelle nach ihrem momentanen Befinden, das sie mit schlecht betitelt. Sie berichtet, dass sie immer noch in psychologischer Behandlung ist.

Der Staatsanwalt möchte nun erfahren, welche Kenntnis sie bezüglich der Handgreiflichkeiten zwischen Jens H. und ihrer Mutter hat. Diese habe sie nicht persönlich miterlebt, sondern davon von ihrer Mutter erfahren. Die Verteidiger des Beschuldigten fragen ihrerseits jetzt nach der Art des Alkohols, den Jens H. getrunken hat (Wein, Bier oder harter Alkohol). Da der Alkohol von ihrer Mutter immer versteckt worden war, kann Anela M. hierzu keine Angaben machen. Sie selbst hat ihm ab und zu mal eine Flasche Wein mitgebracht.

Der psychologische Sachverständige möchte wissen, welches Arbeitspensum Jens H. in der Firma wahrnahm. Anela M. berichtet, dass er selten da war und wenn, dann nur ein bis zwei Stunden. Ansonsten hat er viel Fitness und Kampfsport betrieben.

Der Nebenkläger-Anwalt arbeitet nochmal heraus, dass ein Insolvenzverfahren gegen Anela M. läuft, und dass Jens H. alles in der Firma bestimmte. Wo das Geld der Firma geblieben ist, kann Anela M. auch nicht beantworten. Hiernach ist die Vernehmung beendet.

Angesichts des Erlebten hat sich an Anela M. wirklich tapfer geschlagen.

Heute sitzt der Angeklagte mit seinen Verteidigern rechts vom Richtertisch und zwar gegenüber den Fenstern. Das liegt daran, dass es in Nordrhein-Westfalen eine Vorschrift gibt, die besagt, dass der Angeklagte immer gegenüber den Fenstern sitzen muss. So sitzt er im Hellen und es ist damit möglich, die Reaktionen in seinem Gesicht besser zu erkennen.

Vernehmung des Rechtsmediziners

Als nächster Zeuge ist nun der Düsseldorfer Rechtsmediziner Dr. M. (27 Jahre) geladen, der über das Tatgeschehen und über den Leichenfundort berichtet. Er fand die Leiche unbekleidet in Rückenlage in der Badewanne an. Das Fenster war gekippt und am Wannenrand lagen eine Gartenschere sowie ein Messer. An beiden Geräten hafteten rot-bräunliche Blutflecken. Am Kopf, im Halsbereich sah man deutlich zwei Strang-Marker, des Weiteren drei Messereinstiche im Rumpf und sieben im Bauchbereich. Acht Finger lagen neben der Leiche in der Badewanne. Die Körpertemperatur betrug 32,8 Grad Celsius, bei einer Umgebungstemperatur von 25 Grad Celsius. Der Todeszeitpunkt wird auf 17:55 Uhr bis 20:25 Uhr eingegrenzt. Die Todesursache ist Ersticken durch Erdrosseln, also eine massive Gewalteinwirkung auf den Körper. Weiterhin folgt ein kurzer medizinischer Bericht der Obduktion. Der Rechtsmediziner trägt klar und deutlich vor und zieht auch Grenzen seiner Sachverständigentätigkeit.

Der Angeklagte Jens H. hört dem Rechtsmediziner scheinbar teilnahmslos zu. Bemerkenswert ist, dass sich auch der Bruder und die Tochter der Toten diese detaillierte und grausame Schilderung anhören. Beide sind vorher zwar auf diese Aussage vorbereitet worden, trotzdem halte ich es für außergewöhnlich. Jens H. vermeidet weiterhin den Blickkontakt zu den Nebenklägern. Anela M. schaut ab und an zu ihm rüber – und schüttelt nur den Kopf.

Noch vor der eigentlichen Tötungstat hatte der Beschuldigte Jens H. das Opfer mit einem Halswürgegriff bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Der Staatsanwalt möchte, dass der Angeklagte diesen Griff noch einmal demonstriert. Dieses Ansinnen wird durch die Verteidigung abgelehnt.

Die Aussagen der Taxifahrer

Nun werden die beiden Taxifahrer als Zeugen gehört, die Jens H. am Tattag gefahren haben. Der eine hat den Beschuldigten von Düsseldorf nach Langenfeld zu seinem Freund gefahren. Stunden später fuhr der zweite Taxi-Fahrer Jens H. von Langenfeld wieder nach Düsseldorf. Beide Zeugen sind etwas nervös, berichten aber dennoch über die Fahrt. Insbesondere geht es um die Frage, inwieweit Merkmale von Alkoholeinfluss, wie lallende Sprache oder ein wankender Gang, beim Beschuldigten erkennbar waren. Beide Taxifahrer bestätigen, dass man keinerlei Anzeichen von Alkoholkonsum erkennen konnte.

Vernehmung des Beschuldigten-Freundes Mike K.

Als letzter Zeuge des heutigen Verhandlungstages wird Mike K., 41, vernommen, geboren in Düsseldorf und wohnhaft in Langenfeld. Er bezeichnet sich als Freund von Jens H. Diesen hat er vor etwa einem Jahr über einen gemeinsamen Bekannten kennengelernt. Sie haben sich öfter getroffen, sind ab und zu essen gegangen – auch gemeinsam mit der Getöteten – und haben täglich telefoniert.

Mike K. sagt aus, dass die Beziehung zwischen den beiden harmonisch war und er von Auseinandersetzungen nichts mitbekommen hat. Allerdings hat ihm die Getötete auch mitgeteilt, dass sie sich sehr viele Sorgen um die Firma mache, und dass sie Existenzängste hätte, insbesondere aufgrund der Unzuverlässigkeit und des Drogenkonsums von Jens H. Auch Mike K. hat mit Jens H. Kokain konsumiert.

Am Tattag hat Jens H. ihn per WhatsApp und telefonisch kontaktiert und gefragt, ob er Kokain besorgen könne. Dieses hat er zunächst abgelehnt.

Mike K. hat seit der Tat keinen Kontakt mehr mit Jens H. Er hat ihn auch nicht in der Vollzugsanstalt besucht. Er kommt mit der Tat, die Jens H. begangen hat, nicht zurecht.

Der psychologische Sachverständige fragt, ob der Zeuge beim Angeklagten im letzten Jahr eine Verhaltensveränderung festgestellt hat. Dies verneint Mike K. Er weiß aber zu berichten, dass der Beschuldigte in seiner Freizeit viel Sport getrieben und nie mit ihm über Probleme gesprochen hat. Er kannte ihn nur als denjenigen, der ein großes Auto besaß und sich immer viel leisten konnte.

Bildquelle: Paul Georg Meister / pixelio.de

Verhandlungsauftakt gegen den Ex-Bodyguard von Verona Pooth

Angeklagter Jens H. gesteht, seine elf Jahre ältere Ehefrau getötet zu haben

Den Prozessauftakt zu diesem brutalen Mordfall verfolgten im Landgericht Düsseldorf erwartungsgemäß viele Medienvertreter, darunter vier Kamerateams, sowie circa 20 weitere Zuschauer.

Neben den Richtern waren der Staatsanwalt und ein psychologischer Sachverständiger anwesend, außerdem ein Nebenklägeranwalt, der den Bruder des Opfers vertritt. Zwar ist auch die Tochter des Opfers als Nebenklägerin bei der Kammer gemeldet, sie war zum morgendlichen Prozessbeginn allerdings noch nicht anwesend. Jens H. hingegen wird von seinen drei Verteidigern umgeben.

Anklageverlesung

Nach einer allgemeinen Einführung durch den Vorsitzenden Richter erhält der Staatsanwalt das Wort zur Verlesung der Anklageschrift. Er schildert, dass der Angeklagte seiner Ehefrau eine hohe Dosis Schlafmittel (15 mg) verabreicht und ihr dann mit Kabelbindern den Hals zugezogen hat, so dass sie erdrosselt wurde. Die Leiche trug er ins Badezimmer, legte sie dort in die Badewanne und stach zehnmal mit einem Messer in ihren Körper, sodass sie ausblutete. Danach schnitt er ihr acht Finger mit einer Rosenschere ab. Der Staatsanwalt betonte die besondere Heimtücke der Tat, da der Angeklagte sein Opfer vor dem Mord mutmaßlich betäubte.

Verhandlungsauftakt gegen den Ex-Bodyguard von Verona Pooth

Der Angeklagte im Profil

Hiernach lässt sich der Angeklagte, der von kleiner, gedrungener Statur und ganz in schwarz gekleidet ist, eine schwarz umrandete Brille und einen dünnen schmalen Bart trägt, darauf ein, die Angaben zu seinen persönlichen Daten selbst vorzutragen. Seine Äußerungen zur Tat wiederum werden durch einen seiner Verteidiger vorgelesen.

Jens H. teilt mit, dass er drei Geschwister hat und seine Eltern (der Vater ist Kaufmann) noch leben. Er hat die Schule in Velbert 1993 mit der Fachoberschulreife abgeschlossen. Danach besuchte er die höhere Handelsschule, Fachrichtung Wirtschaft. 1995 ging er als Wehrpflichtiger zur Bundeswehr, wo er sich zeitnah zum Zeitsoldaten auf zwölf Jahre verpflichte. Er beendete die Bundeswehrzeit mit dem Dienstgrad eines Oberfeldwebels. Während der Bundeswehrzeit absolvierte er eine Ausbildung zum Bürokaufmann. Nach seiner Bundeswehrzeit besuchte er eine Personenschutzausbildung und machte sich im Bereich der Sicherheit als Einzelfirma selbstständig. Zunächst war sein Unternehmen in Schwelm, danach bis zum Tattag am 23. August 2015 in Düsseldorf.

Der Beschuldigte führte zwei Firmen: Hammann Security, die im Sicherheitsgewerbe, unter anderem in der Personensicherheit, tätig war und als bekannteste Kundin Verona Pooth betreut hat. Die zweite Firma, A & J Dienstleistungen, beschäftigte sich mit der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, insbesondere für den Chemiepark in Dormagen.

Jens H. hat zwei Töchter aus erster Ehe. Diese Ehe wurde 2008 geschieden, inzwischen hat der neue Ehemann seiner Ex-Frau seine Töchter adoptiert. Diese Adoption wurde während seiner jetzigen Inhaftierung vollzogen. Mit seiner Ex-Frau hatte er laufend Ärger.

Am 17. Juli 2009 begann die Ehe mit Ana H., seinem Opfer – am heutigen Tag fällt u. a. auf, dass er am Ringfinger der rechten Hand einen Ring trägt. Sie brachte die 20-jährige Tochter (Anela M.) mit in die Ehe. Sie wohnten alle drei zusammen.

Seine Einkommensverhältnisse beschrieb der Angeklagte mit durchschnittlich circa 1.500 Euro netto pro Monat, bei einem Gesamteinkommen der Familie von circa 3.000 bis 5.000 Euro.

Die Tat aus Sicht der Verteidigung

Anschließend verliest einer seiner Verteidiger eine schriftliche Erklärung zum Tatgeschehen.

Darin wird zunächst ausführlich das Sucht- und Krankheitsbild des Angeklagten beschrieben. So war Jens H. seit seinem 18. Lebensjahr immer wieder intervallmäßig drogen- und alkoholabhängig. Oftmals führten diese Exzesse zu einem Krankenhausaufenthalt. Auch Kokain nahm Jens H. zu sich, insbesondere wenn er in seiner Aufgabe als Türsteher Kontakt zur entsprechenden Szene hatte. Diesbezüglich hatte er immer wieder heftige Streitigkeiten mit seiner Ehefrau, die auch zu einer Teiltrennung führten. Und immer, wenn seine Frau im Urlaub war, gab es die heftigsten Abstürze. Der Angeklagte leidet seit mindestens 2012 unter Depressionen, Angstzuständen und Schlafstörungen. Schlafmittel nimmt er seit Januar 2012 jeden Tag, des Weiteren auch Antidepressiva, die er sich teilweise illegal besorgte. Auch die entsprechenden Rezepte wurden durch ihn illegal beschafft.

Schon am ersten Verhandlungstag offenbart sich angesichts der langjährigen Alkohol- und Drogenabhängigkeit des Beschuldigten, dass bei der Personenschutzausbildung, die Jens H. durchlaufen hat, offenbar keine Tauglichkeitsprüfung stattgefunden hat. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie professionell, glaub- und vertrauenswürdig ein derart suchtabhängiger Mensch auf sein Umfeld wirken kann, sodass man ihm sein Leben oder das seiner Kinder anvertraut. Konnte sich der Angeklagte so gut verstellen? Oder mangelte es seinem Umfeld und seinen Kunden an Menschenkenntnis? Konstante psychische und physische Stärke sind die wichtigsten Grundeigenschaften eines Personenschützers, und nicht gegeben bei durch Drogen und Alkohol geschwächten „Bodyguards“.

Das eigentliche Geschehen am 23. August 2015 wird durch den Anwalt derart geschildert, dass Jens H. und Ana H. zunächst gemeinsam und harmonisch auf dem Balkon frühstückten. Allerdings brach später ein Streit über seinen Drogenkonsum und weitere berufliche sowie private Probleme aus. Auch eine körperliche Auseinandersetzung gab es, so wie häufig, wenn der Angeklagte seine Frau, mitunter auch heftigst, geschlagen hat. Um sich zu beruhigen, nahm er am Tattag die entsprechenden Tabletten ein und wollte dann auch seine Frau beruhigen. Dazu zerstampfte er ein paar Pillen und mischte diese in ein Getränk, welches er seiner Frau reichte. Sie wurde auch sehr schnell müde und legte sich auf die Couch, um zu schlafen.

Als seine Frau kurz aufwachte, gingen die Streitigkeiten sofort weiter. Es gab zusätzlich eine weitere handfeste Auseinandersetzung, bei der er sie bis zur Bewusstlosigkeit würgte. Zufällig lagen Kabelbinder auf dem Wohnzimmertisch, die er ursprünglich für das Anbringen eines Kabelkanals für den Fernseher besorgt hatte. Damit erdrosselte er seine Frau. Obwohl der Angeklagte aufgrund sehr hohen Alkoholkonsums kaum noch Erinnerungen an diesen Nachmittag hat, kann er sich doch daran erinnern, dass er die Schlinge zu groß gewählt hatte, sodass er die Schlinge etwas in sich verdrehen musste. Als seine Frau dann tot war, entkleidete er sie und legte sie in die Badewanne. Dort stach er mit einem Messer zehnmal in ihren Körper und schnitt acht Finger mit einer Rosenschere ab.

Wichtig sei ihm, so der Anwalt, dass bei ihm zum Zeitpunkt der Verabreichung des Schlafmittels noch keinerlei Tötungsabsicht bestand.

Dies ist schon der erste taktische Schritt, um mit diesem Argument den Vorwurf der schwerwiegenden Heimtücke zu entkräften. Dahingegen lässt die Entdeckung, dass er genau einen Tag vor dem Tattag, nämlich am 22. August, im Internet nach dem Begriff Antidepressiva suchte, anderes vermuten, auch wenn der Angeklagte daraufhin zu antworten weiß, dass er sich einfach nur genauer darüber informieren wollte.

Nach Verlesung seiner schriftlichen Einlassung wird durch den Richter gefragt, ob er das so bestätigt. Hierauf antwortet Jens H.: „Ja, das ist so.“ Er wirkt stets ruhig und ohne Reue, wenn er spricht.

Der nächste Prozesstag ist für den 22. Februar angesetzt.

Bildquelle: Lutz Stallknecht / pixelio.de

Brutaler Mord an Ehefrau: Prozess gegen Ex-Bodyguard von Verona Pooth beginnt

Am Donnerstag, 18. Februar 2016, beginnt im Landgericht Düsseldorf der Prozess gegen den ehemaligen Bodyguard und Chauffeur von Verona Pooth, Jens Christoph H.

Der 39-jährige soll am 23. August 2015 seine zweite Ehefrau Ana H. heimtückisch zu Tode gebracht haben, indem er sie zunächst mit einem Schlafmittel sediert und dann mit einem Kabelbinder erwürgt hatte. Schließlich hatte er ihren Körper martialisch mit Messer und Rosenschere malträtiert.

Wie das Landgericht mitteilte, sei der Tötung zwar kein Streit oder irgendeine andere Feindseligkeit vorausgegangen, allerdings scheint der Angeklagte den Mord geplant zu haben, da er Tage zuvor bei seinem Hausarzt das Schlafmittel und im Baumarkt Kabelbinder in verschiedenen Ausführungen erstanden hatte.

Brutaler Mord an Ehefrau: Prozess gegen Ex-Bodyguard von Verona Pooth beginnt

Der Angeklagte

Jens Christoph H. war nach Angaben des Gerichts „bis 2006 Zeitsoldat und machte sich dann im Sicherheitsgewerbe selbständig. Zur Tatzeit leitete er die Firmen „Hammann Security“ sowie „A&J Dienstleistungen“, wobei die letztere auf den Namen der Ana H. eingetragen war“.

Zudem soll Jens Christoph H. zumindest „im Monat vor der Tat Schwierigkeiten gehabt haben, die Löhne seiner Angestellten auszubezahlen“. Er soll sich daher des Weiteren um ein privates Darlehen in Höhe von 15.000 Euro bemüht haben.

Darüber hinaus soll beim Angeklagten schon 2012 erstmals eine depressive Symptomatik diagnostiziert worden sein, die zunächst medikamentös behandelt wurde. Am 28. August 2015 sollte eine psychiatrische Behandlung beginnen.

Der Prozess im Blog

Auch diesen Prozess werde ich als Sachverständiger für Personenschutz verfolgen und darüber in diesem Blog berichten. Obwohl die Beweislage klar zu sein scheint – allerdings liegt noch kein Geständnis vor – ist der verhandelte Fall ein besonderer: Denn entgegen der nachvollziehbaren Annahme, dass der Schutz von Leib und Leben die erste Aufgabe eines Personenschützers sein sollte, scheint diesmal der „Bodyguard“ der Mörder zu sein.

Und das ist zugleich das Stichwort, das mir als IHK-Sachverständigem für Personenschutz Anlass ist, diesen Prozess zu verfolgen: Denn ein muskelbepackter „Bodyguard“ ist nicht gleichzusetzen mit einem qualifizierten Personenschützer. Allem Anschein nach hat der ehemalige Zeitsoldat Jens Christoph H. neben einer Kampfausbildung (außerdem war der Angeklagte wohl auch Boxer) keine Personenschutz-Schulung oder eine ähnliche Ausbildung absolviert. Es stellt sich die Frage, mit welcher Qualifikation er mithin die Gründung seines Unternehmens begründet und nach welchen Kriterien er seine Mitarbeiter ausgesucht hat.

Mindestens ebenso fraglich ist, wie eine in der Öffentlichkeit stehende Person wie Verona Pooth ihren Schutzstatus einschätzt und als Folge daraus ihre Personenschützer auswählt.

Neben der Hoffnung, dass diese Entscheidung keine beliebige, auf rascher Internetrecherche beruhende war, bleibt nach dem grauenvollen Mord des mutmaßlichen Täters Jens Christoph H. vor allem die Erkenntnis, dass Personenschutz mehr umfasst, als bärbeißige Optik und Chauffeur-Dienste. Ihr liegt vor allem eine umfassende und vertrauliche Analyse der Lebensumstände, Gewohnheiten und Zukunftsplanungen der Schutzpersonen und aller möglichen Gefahrenpotentiale zugrunde, gefolgt von Vorbeugungs- und Handlungsstrategien. Diese komplexen Planungen zu erarbeiten und umzusetzen erfordert oftmals die universellen Fähigkeiten erfahrener Projektorganisatoren – natürlich auch verbunden mit höchster körperlicher und psychischer Fitness und vor allem einer moralisch einwandfreien Einstellung.

All dies sei einem Quereinsteiger – wie es auch Jens Christoph H. gewesen zu sein scheint – natürlich nicht per se abgesprochen; es ist aber eher unwahrscheinlich bzw. nicht zu erwarten. Langjährige Erfahrung und permanente Aus- und Weiterbildung sind Notwendigkeiten, die viele „Bodyguards“ im Gegensatz zu ausgebildeten Personenschützern nicht vorweisen können. Dass darunter in Notfallsituationen nicht nur die „Bodyguards“ – die ich in Abhebung zu qualifizierten Personenschützern bewusst so bezeichne – leiden, sondern vor allem ihre Schutzpersonen, sollte Anlass genug sein, diese leider oft gängige Praxis zu ändern.

Da mir die Ausbildung von Nachwuchs im Personenschutz mit dem Ziel eines geprüften Abschlusses ein Anliegen in meiner Funktion als Sachverständiger ist, sehe ich die Prozessbeobachtung als besondere Notwendigkeit. Hierüber lässt sich optimal herausarbeiten, welche beruflichen und menschlichen Qualifikationen ein Personenschützer haben muss – die der Angeklagte offenbar nicht hatte –, und welche Entscheidungskriterien Schutzpersonen der Auswahl ihrer Sicherheitsexperten zugrunde legen sollten.

Bildquelle: GG-Berlin / pixelio.de

Anklageerhebung im Fall des Attentats auf Henriette Reker

Die Bundesanwaltschaft hat jetzt gegen den 44-jährigen Attentäter Frank S. Anklage wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung erhoben.

Am Morgen des 17. Oktober 2015 hatte der Beschuldigte auf einem Wochenmarkt in Köln-Braunsfeld versucht, die damalige Kandidatin für das Kölner Oberbürgermeisteramt heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten. Mit der Tötung von Henriette Reker wollte der Angeschuldigte ein Zeichen setzen und ihre Wahl zur Oberbürgermeisterin verhindern. Bei der Tat verletzte er vier weitere Menschen zum Teil schwer.

Der Fall ging bundesweit durch die Medien und erzeugte ebenso im Ausland ein großes Echo. Auch aufgrund der politischen Brisanz der Tat bzw. wegen ihres „spezifischen staatsgefährdenden Charakters“ ging die Ermittlungsarbeit von der Staatsanwaltschaft Köln auf die Bundesanwaltschaft über, die nun auch die Anklage erhoben hat.

Anklageerhebung im Fall des Attentats auf Henriette Reker

In meiner Funktion als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Personenschutz werde ich auch diesem Prozess als Beobachter beiwohnen und darüber hier im Blog berichten, sobald das Verfahren offiziell eröffnet wird. Insbesondere gilt es, die spezielle Tätermotivation, das Vortatverhalten des Täters, Opferauswahl und auch ein mögliches Versäumnis der Staatsschutzbehörden durch Verzicht auf Schutzmaßnahmen zu beleuchten.

Anklageerhebung gegen die mutmaßlichen Entführer und Mörder von Anneli R.

Im August 2015 wurde die 17-jährige Anneli zunächst entführt, ihr Vater erfolglos erpresst und das Mädchen dann gewaltsam zu Tode gebracht.

Nun hat in diesem tragischen Fall die Staatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen zwei Beschuldigte erhoben und wirft diesen Mord und erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge vor.

Diesen Fall werde ich als Prozessbeobachter begleiten und hier im Blog aktuell kommentieren.

Was ist passiert?

Dazu teilt die Staatsanwaltschaft in ihrer Presseerklärung mit: „Den beiden Beschuldigten liegt nach den Ermittlungen zur Last, in den späten Nachmittagsstunden des 13.08.2015 die 17-jährige Anneli R. auf einem Feldweg in der Nähe von Luga gewaltsam entführt zu haben. Anschließend sollen sie vom Vater des Opfers 1,2 Millionen Euro Lösegeld für deren Freilassung gefordert haben. Am 15.08.2015 soll der 40-jährige Beschuldigte das Opfer getötet haben. Die Leiche wurde durch die Polizei am 17.08.2015 gegen 18:00 Uhr aufgefunden. Die beiden Beschuldigten befinden sich nach wie vor in Untersuchungshaft.“

Anklageerhebung gegen die mutmaßlichen Entführer und Mörder von Anneli R.

Der Prozess im Blog

Sobald die Schwurgerichtskammer die Zulassung der Anklage bestätigt hat, werden die Termine zur Hauptverhandlung durch das Landgericht bekanntgegeben.

Bei der Beobachtung des Prozesses geht es mir als Sachverständigem für Personenschutz vor allem darum, die genauen Umstände der Tat und die Motivation sowie die Vorgehensweise (Vortatverhalten) der Täter zu erfahren und anhand der getroffenen Aussagen zu analysieren.

Wie in jedem Fall eines Verbrechens liegt ein besonderes Augenmerk auf den Opfern und deren Angehörigen. Und so ist die Analyse eines so grausamen Verbrechens wie dem hier zu behandelnden mit entsprechender Sensibilität hinsichtlich der hinterbliebenen Familienangehörigen anzugehen. Vor diesem Hintergrund steht mir eine besonders anspruchsvolle Aufgabe hier im Blog bevor.

Zugleich soll das Ziel sein, aufzuzeigen, wie es überhaupt zu solch einer Tat kommen konnte. Vielleicht lässt sich mithin – zumindest in Ansätzen – beantworten, wie ähnliche Verbrechen durch hohe Hemmschwellen eventuell sogar verhindert werden können.


Bildquelle: Michael Grabscheit/pixelio.de

Das Urteil

Am 59. Verhandlungstag (12. Juni 2015) erfolgt nun endlich die Urteilsverkündung, der fünf Kamerateams und 25 Medienvertreter beiwohnen. Weiterhin sind circa 35 Zuschauer anwesend, sodass der Saal bis auf den letzten Sitzplatz belegt ist.

Der Vorsitzende Richter gibt das Urteil bekannt: Lebenslange Haftstrafe und 250.000 Euro Schmerzensgeld. Das ist die Strafe, zu der der Angeklagte Mario K. verurteilt wird.

Der Richter erläutert detailliert die einzelnen Tatgeschehnisse und die jeweilige individuelle Beteiligung des Verurteilten. Auch hat das Gericht die Prüfung unternommen, ob die Ereignisse tatsächlich so hätten stattfinden können.

Das Urteil

Beim ersten Tatgeschehen zum Nachteil von Petra P. bestehen seitens des Gerichts keinerlei Zweifel. Die Aussagen sind glaubhaft und passen ausnahmslos zum Spurenbild. Hinsichtlich des zweiten und dritten Tatgeschehens, zum Nachteil von Louisa P. und von Torsten H., verhält es sich gleichermaßen: Hier passen alle Aussagen zu den Spuren am Tatort. Auch beim vierten Tatgeschehen, zum Nachteil von Stefan T., sind alle Aspekte stimmig.

Die Mutmaßungen der Verteidigung, dass Stefan T. lügt, sind völlig unsinnig, so der Vorsitzende Richter. Es ist nicht anzunehmen, dass Stefan T. sich selbst entführt oder die gesamte Geschichte gar erfunden hätte. Es liegt auch keinerlei Motiv für diese Variante des Geschehens vor. Stefan T. brauchte weder Geld, noch ist er so veranlagt, dass er sich in der Öffentlichkeit oder in den Medien präsentieren wollte oder möchte. Ebenso gab es keinerlei Probleme in der Familie oder im Arbeitsumfeld. Des Weiteren hat sich durch die Tat das Leben des Opfers Stefan T. und das seiner Familie negativ verändert, die Folgeschäden sind gravierend.

Auch die forensische Analyse der Aussagen von Stefan T. hat klar ergeben, dass er die Wahrheit gesagt hat und die Aussagen stimmig waren. Der Richter erklärt nochmals, dass die Realkennzeichen in den Aussagen von Stefan T. in sich stimmig waren und es keine Brüche oder Widersprüche gab. Alles fasste sich logisch und es gab lebensnahe Ungewöhnlichkeiten. So etwa die Interaktion zwischen Stefan T. und Mario K., ein wichtiges Realkennzeichen, war nachvollziehbar.

Stefan T. hatte alle Sachverhalte sprunghaft geschildert. Lügengeschichten hingegen werden linear erzählt. Er hat auch keine Übertreibungen eingeflochten, stattdessen aber von Komplikationen bei seiner Entführung gesprochen, was bei einer Lügengeschichte nicht der Fall wäre. Auch die Originalität der Einzelerlebnisse spricht für die Glaubhaftigkeit der Aussagen, ebenso wie die geschilderten Emotionen zum jeweils Erlebten. Und selbst Erinnerungslücken hat Stefan T. eingestanden, auch dies ein wichtiges Realkennzeichen. Auch die überwachten Telefonate von Stefan T. haben untetstützt, was hier im Gericht geschildert worden ist. Nicht zuletzt wurde durch die Rekonstruktionen der Polizeibehörden der geschilderte Sachverhalt bestätigt, ebenso wie durch die Aussagen von Ehefrau, Sohn und den Sachverständigen Dr. V., der ausgesagt hatte, dass das Geschehen ungewöhnlich aber möglich und denkbar ist. Schließlich untermauerte auch Familie E., zu der Stefan T. unmittelbar nach seiner Flucht gekommen war, dass dieser schmutzig, nass und zitternd in ihrer Tür stand. All dies zusammengenommen schenkte das Gericht letztlich dem Zeugen Stefan T. uneingeschränkt Glauben.

Während der Verurteilung und der Erläuterung durch den Richter gibt es auf Seiten der Verteidigung, aber auch auf Seiten der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger unterschiedliche Reaktionen. Der Verurteilte rührt sich nur sehr wenig, er hält weiter seinen Stift in der rechten Hand, schreibt nun aber nicht mehr seitenweise mit, sondern bewegt sich mit seinem Stift nur am oberen Rand des vor ihm liegenden Blattes Papier. Die Verteidigung, die heute mit allen drei Verteidigern anwesend ist, wirkt zunehmend resigniert infolge des Gehörten, macht aber auch einen leicht angesäuerten Eindruck. Bei den Opfern, so sollte man meinen, müsste Zufriedenheit erkennbar sein. Doch bei diesem Tatkomplex und der Tortur bis zum heutigen Tag stellt sich eine Zufriedenheit natürlich nicht so schnell ein.

Das Gericht führt weiter aus, man sei überzeugt, dass bei allen Taten derselbe Täter am Werk war, denn das Schema war bei allen Taten ähnlich. Dafür sprechen mehrere Aspekte, unter anderem der Fakt, dass immer dieselben Geschosse an den Tatorten gefunden worden sind, aber auch, dass bei den Täterbeschreibungen unterschiedlicher Zeugen immer wieder markante Ähnlichkeiten ein und desselben Täters festgestellt wurden: Der Täter war immer maskiert und hatte Tarnkleidung an. Zudem fanden die Taten immer im Radius des gleichen Gebietes statt, allesamt innerhalb eines Jahres, und auch die Opfer kamen alle aus ähnlichen Verhältnissen. Das Motiv war Geldbeschaffung und Reichenhass.

Die Täterschaft von Mario K. ist über die Gesamtschau der Indizien eindeutig. Opfer und Zeugin Petra P. hat klar die besondere Kopfform von Mario K. erkannt und ebenso sein abstehendes linkes Ohr. Weiterhin hat sie die eigenartige Bewegung des Täters beschrieben, die aufgrund seines lädierten Beins besonders hervorstach.

Opfer und Zeuge Stefan T. wiederum hat in einem Audiovergleich die Stimme von Mario K. als die Stimme des Täters klar erkannt, wobei ihm sowohl Stimmlage als auch Stimmklang vertraut waren.

Viele Zeugen haben Mario K. gesehen: Einer im Juni 2012 im Tatortbereich, eine andere Zeugin am Tattag, gegen 17:00 Uhr, mit einem Kajak. Weitere Zeugen haben Mario K. in Ortsnähe wiedererkannt.

Ein zusätzliches wichtiges Indiz sind die ähnlich gelagerten Vorstrafen des früher schon mehrfach Verurteilten Mario K. Insbesondere bei seinen Verbrechen im Jahr 2004 lässt sich die Ähnlichkeit zu den heute verhandelten Straftaten erkennen. Wie zuletzt hat Mario K. auch 2004 wild in einem Sumpfgelände gelebt, ein Kajak sowie eine Luftmatratze, Frischhaltedosen, Schminke und eine LED-Lampe verwendet. Schon 2004 hat er eine Pistole benutzt wie sie auch bei den jüngsten Taten zum Einsatz kam, obgleich er seinerzeit während der Tatzeiträume nicht beim Schießtraining war.

Des Weiteren traut ihm auch sein soziales Umfeld die Tat zu und mehrere Widersprüche und Auffälligkeiten sprechen gegen die Unschuld des Verurteilten. So etwa, dass er sich für die Tatzeiten ein Alibi verschaffte, indem er angab, nach Griechenland auswandern zu wollen. Er besorgte sich im Juni 2011 auch einen Reisepass, so dass er ins außereuropäische Ausland reisen konnte. Allerdings gab es während dieser Zeit auf seinem Konto nur Abhebungen, die in Deutschland getätigt wurden.

Auf dem Grundstück der Familie K., den Eltern seiner Ex-Freundin, hatte er einen Container als Lager stehen. Dort fand sich Einsatzmaterial für eine Entführung, zum Beispiel ein Fernglas, ein Pistolenholster und eine Magazintasche sowie ein originalverpackter, billiger Jogginganzug in einer Grüße, die dem verurteilten Mario K. nicht passte.

Seiner jetzigen Lebensgefährtin H. gegenüber hat er verlauten lassen „wenn Du wüsstest, was ich gemacht habe“ und „das ist noch nicht verjährt“. Weiterhin äußerte er gegenüber dem Entführungsopfer, dass er ihm ins Knie schießen würde, eine sehr ungewöhnliche Formulierung; intuitiv hätte man wohl gesagt „ich schieß dir in die Beine“. Doch Mario K. wurde 1998 ins Knie geschossen, er hatte also speziell diesen Sachverhalt vor Augen.

Zusätzlich führte er täglich Spuren vernichtendes Verhalten durch und verhielt sich konspirativ. Auch am Festnahmetag zeigte er sich merkwürdig: er stellte sein Handy aus und wollte nach der Arbeit nicht nach Hause. Stattdessen fuhr er zu seiner Bank und räumte sein Konto leer.

Bei der Erläuterung der einzelnen Strafzumessung zu den jeweiligen Taten führt der Richter zum Tatkomplex Petra P. aus, dass hier eine gefährliche Körperverletzung vorliegt. Das Gericht hat keine Entführungs- oder Tötungsabsicht erkannt, daher wird diese Tat mit vier Jahren Freiheitsstrafe bemessen. Bei der Betrachtung des Tatkomplexes zu Louisa P. liegt eine geplante Entführung und versuchter erpresserischer Menschenraub vor, aber kein versuchter Mord. Der Tatkomplex zu Torsten H. hingegen ist ein versuchter Mord. Als Mordmerkmal nennt das Gericht die Ermöglichkeitsabsicht. Der versuchte Mord an Torsten H. wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bemessen. Der erpresserische Menschenraub zulasten des Opfers Stefan T. wird mit zehn Jahren Freiheitsstrafe aufgeführt.

So ergibt sich folgende Gesamtstrafe: lebenslange Freiheitsstrafe, die Sicherungsverwahrung wird nicht angeordnet. Die Parteien wurden belehrt, dass sie eine Woche Zeit haben, um eine Revision zu beantragen.

In den kommenden Tagen folgen in diesem Blog noch weitere Einträge, in denen Bewertungen und Stimmungen im Mittelpunkt stehen werden.

Bildquelle: I. Rasche / pixelio.de

Verteidigung offenbart den Einsatz von Taschenspielertricks

Heute, am 8. Juni, dem mittlerweile 58. Verhandlungstag, hat der zweite Anwalt der Verteidigung, Christian L., seinen großen Tag und hält sein Plädoyer.

Anfangs macht er einen aufgeregten Eindruck, seine Stimme zittert.

In seinem Vortrag arbeitet der Anwalt alle Indizien durch, die durch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter bereits dezidiert vorgetragen worden sind. Einzeln analysiert Christian L. die Verdachtsmomente und dividiert sie voneinander.

Anschließend jedoch trägt der Verteidiger wiederum ganze Indizienblöcke vor, beschreibt zu jedem von diesen allerdings nur ein einziges Verdachtsmoment – was natürlich immer ein positives ist, sodass es der Strategie der Verteidigung dient. Alle anderen Indizien, wie z. B. die angedachte Auswanderung nach Griechenland genau zu den Tatzeiten zum Erhalt eines vorgetäuschten Alibis, oder die unbedingte Beschaffung eines nicht nachverfolgbaren Handys über seine Verwandten, oder auch den Besitz sämtlicher Tatgegenstände in unterschiedlichen Lagern, die ebenfalls von Staatsanwaltschaft oder Nebenklägervertretern genannt worden sind, ersetzt Christian L. durch diverse, recht fantasiereiche Möglichkeiten, die er ungeprüft in den Raum stellt.

Verteidigung offenbart den Einsatz von Taschenspielertricks

Zum Beispiel stellt der Verteidiger erneut die These auf, dass bei der Tat gegen Petra P. zwei Täter vor Ort waren. Begründung: Beim nachträglichen Spürhundeeinsatz hat einer der Hunde auch eine Spur in eine andere Richtung verfolgt.

Der Staatsanwaltschaft hält er nun pauschal vor, nur Bruchstücke von Zeugenaussagen bewertet zu haben.

Kurios, dass die Verteidigung der Staatsanwaltschaft nun genau den Lapsus vorwirft, den sie sich selbst über den kompletten Prozessverlauf immer wieder geleistet hat: nur gewählte, vermeintlich geeignete Aspekte in den Mittelpunkt zu rücken.

Auch zum Schießtraining und zur Mitgliedschaft des Angeklagten in der Betriebssportgemeinschaft äußert sich Christian L. Er behauptet nämlich, dass es Mario K. niemals möglich war, über seinen Schießsportverein unberechtigterweise Munition zu beschaffen. Auch teilt er mit, dass Mario K. ja ein Anfängerschütze gewesen sei, was an dessen Fußstellung beim Schießen ersichtlich gewesen wäre: ein Fuß stand etwas weiter vorn, der andere schräg dahinter. Dies sei eine typische Anfängerposition, denn beim Schießen stünden beide Beine immer parallel.

Diese Aussage ist in vielerlei Hinsicht falsch, denn nur Sportschützen stehen so. Duellschützen etwa stehen genauso, wie Mario K. als er geschossen hat. Insofern wäre sein Training auch als eine mögliche Tatvorbereitungshandlung zu sehen.

Weiter führt Christian L. aus, bei den Verbrechen sei zwar dieselbe Waffe eingesetzt worden, aber es könne durchaus auch sein, dass diese zwischen den Taten den Besitzer gewechselt hat. Der Beschuldigte habe niemals eine Waffe besessen.

Der Verteidiger äußert sich des Weiteren zum Audio-Experiment, in dem Stefan T. die Stimme des Täters aus sieben Stimmenproben herausgehört hat. Stefan T. habe die Stimme nicht wirklich erkannt, das Experiment sei nicht geeignet gewesen und auch ein Erkennen des Täters anhand seiner nonverbalen Kommunikation stellt Christian L. in Abrede. Natürlich zweifelt der Anwalt auch die Sachkunde der Spezialisten des Landeskriminalamtes an.

Christian L. beschuldigt außerdem die gesamte Familie P., vor Gericht unwahre Aussagen getätigt zu haben. Auch habe die Entführung von Stefan T. nie stattgefunden, wiederholt er eine der Thesen der Verteidigung.

Die Reaktion der anwesenden Opfer ist dementsprechend.

Der Anwalt macht das unter anderem an der Einschätzung der Körpergröße des Täters fest, welche die Opfer vornehmen sollten. Hierzu berichtet er, dass er am Wochenende eine Ausgabe von Men’s Health gelesen hat. Er zitiert nun einen Artikel zum Thema Waffen und Männer, in dem auch der Kriminalpsychologe Prof. Dr. Heubrock mit diversen Aussagen erwähnt wird, der wiederum in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls als Zeuge im „Maskenmann“-Prozess auftrat.

Den Artikel vor Augen zitiert Christian L. nun Prof. Dr. Heubrock zum Thema Waffen-Fokussierung mit der Aussage, dass ein Täter, der einen Überfall mit einer Waffe durchführt, auf die Opfer oft größer wirkt und in den anschließenden Aussagen oft auch größer beschrieben wird.

Was der Verteidiger bei dieser Ausführung jedoch unterschlägt, ist, dass sich das Zitat von Prof. Dr. Heubrock auf eine Pumpgun bezieht, die bekanntermaßen deutlich größer ist, als eine Pistole. Christian L. verschweigt ebenfalls die in diesem Artikel von Prof. Dr. Heubrock getätigten Aussagen, wonach Menschen die Benutzung einer Waffe mit Macht, Einfluss und Dominanz assoziieren, und, dass Waffen auf Fetischisten eine Art erotische Faszination ausüben können. Alle vier Attribute passen auf den Angeklagten.

Es ist nicht verwunderlich – denn wir haben es schon an sämtlichen vorherigen Verhandlungstagen so erlebt –, dass die Verteidigung nur einen Teil der vorhandenen Informationen auf den Tisch legt.

Des Weiteren beklagt Rechtsanwalt Christian L. eine schlechte Arbeit der Staatsanwaltschaft, auch die Polizei habe eklatant schlechte Ermittlungsarbeit geleistet.

Der Staatsanwaltschaft unterstellt der Verteidiger, dass die handelnden Personen aufgrund der exponierten Stellung der Opfer hohem Druck ausgesetzt gewesen wären, was deren Leistung erkläre.

Hiernach zählt Christian L. diverse Zeugen auf und geht deren Aussagen durch, die er allesamt mit einem „Beweiswert gleich Null“ einschätzt. Diese Zeugen – die zum Nachteil des Angeklagten ausgesagt haben – beschimpft Christian L. als „Wichtigmacher“, „Hilfssheriffs“ und „Hobbyzeugen“.

Nun aber geschieht schier Unglaubliches: Während der Anwalt sich ereifert, entfährt Christian L. eine sehr unbedachte und fahrlässige Einlassung: Er gibt nämlich offen zu, dass die Verteidigung die Zeugen mit Taschenspielertricks beeinflusst hat, um auf diese Weise ihre Glaubwürdigkeit in Abrede zu stellen.

Nach diesem Offenbarungseid geht der Anwalt ebenso offenherzig auf einen zentralen Vorwurf der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter ein, wonach die Verteidigung nichts zur Entlastung des Angeklagten beigetragen habe. Christian L.: „Die Verteidigung weiß nichts Entlastendes und der Angeklagte Mario K. kann sich an nichts erinnern.“

Den Spieß nun einfach umdrehend fragt Christian L.: „Was ist entlastend?“ und gibt umgehend die Antwort: „Es gibt nichts Belastendes.“

Insgesamt ist der der Vortrag von Christian L. nichts anderes als ein mehr oder weniger geschicktes Wechselspiel, das aus dem Weglassen wichtiger Teile des Sachverhalts und dem Hinzufügen möglicher, aber ungeprüfter Varianten besteht.

Der Verteidiger teilt im Gerichtssaal nun mit, dass er einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn habe und ihn daher die Ignoranz der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter erheblich störe. Zum Ende seines Plädoyers, das er rhetorisch besser und engagierter als sein Anwaltskollege Axel W. vorgetragen hat, stellt er einen Antrag auf Freispruch seines Mandanten.

Im Anschluss gibt der Verteidiger Axel W. eine kurze Zusammenfassung, wobei er heute wesentlich besser auf seinen Beitrag vorbereitet wirkt als bei seinem Plädoyer.

Axel W. betont, dass nicht er für glaubhaft befinden muss, ob die Entführung von Stefan T. stattgefunden hat oder nicht. Er ermahnt das Gericht allerdings dazu, die Entführung von Stefan T. zumindest in Frage zu stellen. Er müsse auch nicht darüber befinden, ob es andere Täter in diesem Verbrechenskomplex gegeben haben könnte. All dies muss einzig und allein das Gericht für sich prüfen.

Doch nun streut der Verteidiger erneut heftige Zweifel, in dem er wiederum ausschließlich ausgewählte Aspekte aus Zeugenaussagen oder aus den Tatgeschehen hervorhebt. Schlussendlich, gibt er zu, sei sein Mandant Mario K. zwar ein schwieriger Typ, der aber unschuldig sei.

Wäre ich nicht an jedem einzelnen Verhandlungstag bei Gericht gewesen, könnte ich anhand dieser „Weichzeichnung“ des Beschuldigten durch seine Verteidiger tatsächlich annehmen, hier säße ein komplett Unschuldiger.

Am Ende hat die Verteidigung zumindest in einem Punkt recht: allein das Gericht muss die endgültige Entscheidung treffen und zwar am nächsten Freitag, den 12. Juni 2015.

Das Gericht schließt diesen Verhandlungstag bereits um 11:30 Uhr, nachdem zuletzt auch der Beschuldigte Mario K. gefragt wurde, ob er sich äußern möchte. Wir hören vom Angeklagten ein kaum wahrnehmbares Nein. Auch an dieser letzten Stelle hat der Beschuldigte die Möglichkeit nicht wahrgenommen, etwas Entlastendes zu den Vorwürfen zu äußern oder sich den Opfern zuzuwenden.

Bildquelle: Michael Grabscheit / pixelio.de

Heiß erwartet und enttäuschend: Das erste Plädoyer der Maskenmann-Verteidigung

Am 57. Verhandlungstag, dem 4. Juni, haben 14 Medienvertreter und 15 Zuschauer den Weg in den Gerichtssaal gefunden, wo an diesem Tag erneut das Plädoyer der Verteidigung erwartet wird, welches eigentlich schon am letzten Verhandlungstag gehört werden sollte.

Und warten ist auch wieder das richtige Stichwort: Wiederum kommt die Verteidigung zehn Minuten zu spät. So beginnt der Prozess erst um 9:42 Uhr.

Da Verteidigeranwalt Christian L. heute nicht zum Prozess erscheinen kann, hat Axel W. die Drittverteidigerin Naila W. mitgebracht. Sie trägt neben ihrer Umhängetasche einen leeren Karton mit sich, der üblicherweise für Kopier- oder Druckerpapier genutzt wird. Die Leere dieses Kartons wird uns über den gesamten Prozesstag hin begleiten. Was das Stück Pappe jedoch über die Taktik der Verteidigung erzählen kann und zu welchem Zweck es heute benötigt wird, offenbart es uns erst gegen Ende dieses Prozesstages.

Heiß erwartet und enttäuschend: Das erste Plädoyer der Maskenmann-Verteidigung

Weitere Verzögerungsversuche der Verteidigung

Doch zu Beginn teilt das Gericht zunächst einen Beschluss mit, dass dem Antrag der Verteidigung vom 56. Verhandlungstag stattgegeben wird. Danach wird nun das DNA-Profil des neuen Verdächtigen Andreas K. (nachzulesen im letzten Blogbeitrag) und das seiner Frau, Margret K., mit den Spuren abgeglichen, die sich insbesondere auf der Decke vom Ablageort des Entführungsopfers Stefan T. sowie am Projektil der Geschosshülse befunden haben. Damit wird für diesen kleinen Ausschnitt der Verhandlung wieder in die Beweisaufnahme eingetreten. Hierzu hatte das Gericht der Polizei den Auftrag erteilt, bei Andreas und Margret K. DNA-Proben einzuholen.

Zu diesem Vorgang hat die Polizei einen Vermerk geschrieben, den das Gericht verlesen will. Doch bevor dies geschehen kann, erhebt die Verteidigerin Naila W. Einspruch. Die Verteidigung gibt bekannt, dass sie mit der Verlesung nicht einverstanden ist, sondern darauf drängt, die Personen Andreas K. und Margret K. sowie die zuständigen Polizeibeamten als Zeugen hören zu wollen. Dieser Einspruch bezieht sich nicht nur auf die Notizen aus der DNA-Beschaffung. Breit gefächert und ausschweifend werden außerdem viele andere Themen auf den Tisch gebracht.

Der Richter liest den polizeilichen Vermerk bzgl. der DNA-Beschaffung anschließend dennoch vor, wenn auch in Auszügen. Daraufhin wird deutlich, dass beide Personen freiwillig eine DNA-Probe abgegeben haben und außerdem eine Übereinstimmung mit einer offenen Spur völlig auszuschließen ist. Ein Fakt, den die nun zu hörende Zeugin bestätigen wird. Denn nach dem Widerspruch und der Verlesung der polizeilichen Notiz wird um 10:14 Uhr die Sachverständige Sabine S. vom Kriminaltechnischen Institut des LKA Brandenburg, Eberswalde gehört. Sie hat die DNA-Proben als Vergleichsmaterial mit den offenen Spuren abgeglichen und teilt nun nochmals mit, dass beide Personen als Täter auszuschließen sind. Das Gericht, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter haben bei dieser Eindeutigkeit keine weiteren Fragen an die Zeugin. Nicht so die Verteidigung.

Die Anwesenden im Gerichtssaal erleben nun letztmalig die allseits bekannte Fragestunde. Die Rechtsanwältin Naila W. stellt Fragen zu Formalien rund um die Spurenüberprüfung und möchte Diverses zum Verfahren erfahren. Die Eindeutigkeit des Ausschlusses von Andreas und Margret K. wird jedoch nicht thematisiert.

Nach der Befragung teilt die Verteidigung mit, dass sie ihren Einspruch gegen das Verlesen des Vermerks weiterhin aufrecht erhält. Dazu nimmt nun der Nebenklägeranwalt Dr. Panos P. Stellung. Insbesondere hebt er hervor, dass die Verteidigung wohl vergessen hätte, dass in diesem Vermerk auch die Mitteilung von Margret K. steht, dass die Zeitung „Tagesspiegel“ ihre Aussage völlig falsch wiedergegeben hat.

Das ist natürlich ein brisantes Detail, weil ja gerade der „Tagesspiegel“ mit seiner Story vom 16. Mai 2015 einen erheblichen Wirbel veranstaltet und somit indirekt Einfluss auf die Verzögerung, ja Verschleppung des Prozesses genommen hat.

Ich bin auf die Durchführung und den Umfang der Richtigstellung im „Tagesspiegel“ gespannt.

Nach einer Beratung gibt das Gericht seinen Beschluss bekannt, dass dem Widerspruch nicht stattgegeben wird. Auch Zeugen werden nicht mehr gehört, weil dies für die Beweisführung unerheblich ist.

Doch auch hierzu äußert die Verteidigung eine Widerspruchsbemerkung und fordert, dass die DNA der jetzigen Lebensgefährtin von Andreas K., Johanna M., und von deren Vater, Klaus H., eingeholt werden solle, um diese mit den Spuren zu vergleichen.

Der Nebenklägervertreter Dr. Panos P. erwidert, dass dieser Antrag ebenfalls abzulehnen sei, denn eine Überprüfung dieser Personen sei für die Beweiserhebung unbedeutend. Wieder einmal stelle die Verteidigung Anträge „ins Blaue“. Eine Einschätzung, die auch Nebenklägervertreter Dr. Jakob D. teilt und unterstreicht, dass sich die Verteidigung ausschließlich im „luftleeren Raum“ bewege.

Weil das Gericht dies offenbar ähnlich sieht, wird nun auch dieser Antrag der Verteidigung abgelehnt, denn es sei keinerlei Tatzusammenhang zur jetzigen Freundin von Andreas K., mit der er seit Mitte 2013 liiert ist, zu erkennen. Auch aus diesem Grund sind die Persönlichkeitsrechte der jetzigen Lebensgefährtin und die ihres Vaters zu schützen. Es sei nicht hinnehmbar, so das Gericht, dass die Verteidigung verlangt, gegen jede beliebige Person solle ermittelt werden. Damit wird die Beweisaufnahme erneut geschlossen.

Das Plädoyer des Verteidigers Axel W.

Nach der Mittagspause ist es dann tatsächlich soweit, die Verteidigung in Person von Rechtsanwalt Axel W. beginnt ihr Plädoyer. Nun kommt auch der leere Pappkarton zum Einsatz – als Unterlage für das ausgedruckte Plädoyer.

Interessant ist, dass Axel W. diesen Karton am letzten Verhandlungstag nicht bei sich hatte, und das, obwohl die Verteidigung bereits an diesem Tag ihr Plädoyer hätte halten sollen. Damit scheint nun auch klar, dass Axel W. zuletzt tatsächlich nicht vorhatte, sein Plädoyer zu halten. Stattdessen provozierte er eine Verzögerung – erfolgreich, wie sich zeigte. Auch die plötzlichen Kopfschmerzen seines Mandanten erscheinen in diesem Zusammenhang als Farce.

Gleich zu Beginn seines Vortrages stellt der Verteidiger fest, dass Mario K. unschuldig sei, da kein Fingerabdruck und auch keine DNA-Spur als Direkt-Beweis gegen ihn vorlägen. Auch Zeugen hätten ihn nicht erkannt.

Dass unter anderem die Zeugin Petra P. den Beschuldigten Mario K. erkannt hat, und, dass auch das Entführungsopfer Stefan T. bei einem Audio-Experiment den Beschuldigten klar erkannt hat, wird nicht erwähnt.

Bevor Axel W. weiter sein Plädoyer ausführt, möchte er nun jedoch einige persönliche Bemerkungen machen.

Zunächst spricht er den Opfern Petra P., Louisa P. und Torsten H. sein Bedauern aus. Ausgeschlossen davon ist Stefan T., da Axel W. immer noch die Meinung vertritt, dass dessen Entführung nicht stattgefunden hat.

An dieser Stelle stellt sich mir die Frage, warum wir dann den gesamten Vormittag damit verbracht haben, DNA-Spuren von Andreas K. und Personen aus dessen Umfeld zu analysieren, um sie als mögliche Täter oder Tatbeteiligte zu entlarven? Warum hat die Verteidigung hierzu unzählige Anträge gestellt, wenn doch die Entführung nach Meinung von Axel W. gar nicht stattgefunden hat? Absolut unschlüssig.

Interessant ist auch, dass Axel W. zwar die verschiedenen Taten bedauert, er aber keinerlei Bedauern zeigt, was sein persönliches Verhalten gegenüber den Opfern während des Prozesses anbelangt. Mehrfach wurde seine mangelnde, nahezu nicht vorhandene Empathie angesprochen. Nun hatte er letztmalig die Chance sich für dieses Verhalten demütig zu zeigen. Genutzt hat Axel W. sie nicht!

Nach seinen Eingangsworten greift er unmittelbar die Arbeit der Staatsanwaltschaft an. Ihm erschien die Vollständigkeit der Akten und die Zuarbeit der Staatsanwaltschaft als nicht optimal. Unmittelbar danach nimmt er die Medien in Schutz, um wiederum sofort danach die Staatsanwaltschaft anzugreifen und ihr vorzuwerfen, Dinge weggelassen oder hinzugefügt zu haben. Anschließend lobt Axel W. wieder die Arbeit der kritischen Journalisten, die ihm in seiner Argumentation gefolgt sind.

Kritik ernten bei Axel W. auch die Polizeibeamten und deren Aussagen, denn diese hätten der Verteidigung geschadet. Wiederum erhalten die vier oppositionellen Polizisten (vier von siebzig Beamten) ausdrückliches Lob.

Dass diese vier Beamten jedoch einige Dienstvergehen begangen haben und dank ihres inkompetenten und unfachlichen Handelns vor Gericht eher dazu beigetragen haben, dass polizeiinterne Grabenkämpfe in aller Öffentlichkeit ausgetragen wurden, lässt Axel W. unerwähnt. Einen nennenswerten Beitrag zur Erhellung der Sachlage haben die vier Polizisten jedenfalls nicht geleistet.

Im nächsten Komplex stehen nun die Nebenklägervertreter im Fokus.

Der Verteidiger versucht, sich anhand der Indizien, die alle ausschließlich durch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägervertreter vorgetragen worden sind, durch sein Plädoyer zu hangeln. Das führt dazu, dass der Vortrag kein in sich geschlossener wird. Stattdessen greift Axel W. immer nur einzelne Indizien heraus und ereifert sich dann in der Wortklauberei hinsichtlich einzelner Sätze oder gar Wörter, die entweder von Staatsanwaltschaft oder Nebenklägervertreter verwendet worden sind. Alles wirkt wie aus dem Zusammenhang gerissen, unvollständig und einseitig.

Natürlich hält er auch sämtliche Rekonstruktionen der Polizei für unzureichend und stellt noch mal heraus, wie toll seine eigenen Rekonstruktionen waren, und dass er damit auch die Unmöglichkeit der Entführung von Stefan T. bewiesen hat. Allerdings: Dass seine Rekonstruktion des Wassertransportes des Entführungsopfers Stefan T. schon nach zehn Minuten abgebrochen werden musste, da sein Kajakfahrer – ein Kanu-Polo-Bundesligaspieler – erschöpft aufgeben musste, erwähnte Axel W. tunlichst nicht.

Immer wieder verwendet Axel W. Worte wie „wäre“, „wenn“ und „aber“. Und wie schon im gesamten Prozess trägt der Verteidiger auch in seinem Plädoyer nichts zur Entlastung des Beschuldigten Mario K. vor. Stattdessen folgt er weiterhin ausschließlich seiner bisherigen Strategie, Zweifel zu streuen. Viele seiner vorgetragenen Logiken erweisen sich zudem als absolut lebensfremd und können nur in seiner Fantasie funktionieren.

Drückte Axel W. noch zu Beginn seines Plädoyers Bedauern gegenüber den Opfern aus, stellt er nun am Ende sämtliche Aussagen aller vier Opfer komplett infrage.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Verteidigung hier einen schwachen Vortrag hält. Dass Plädoyer ist in sich unschlüssig und es werden nur aus dem Zusammenhang gerissene Details, die zudem die Sachverhalte nur lückenhaft oder falsch darstellen, vorgetragen.

Am Ende spricht Axel W. sowohl Gericht als auch Schöffen direkt an und erklärt insbesondere der Schöffengruppe, dass bei ihrer aktuellen Besetzung ein Stimmenverhältnis von vier zu eins erreicht werden muss, will man den Angeklagten schuldig sprechen. Man solle sich im Klaren darüber sein, dass zwei Stimmen für einen Freispruch genügen würden.

Hier nutzt Verteidiger Axel W. nun die einzige Möglichkeit, auf die Schöffen manipulativ einzuwirken, indem er die „Mitleidsnummer“ spielt.

Am Montag, den 8. Juni wird der Verteidiger Christian L. sein Plädoyer vortragen.

Bildquelle: Stefan Bisanz