Alle Artikel in Kategorie: Lübcke-Prozess: Rechtsterrorist erschießt …

Lübcke-Prozess: 15. Verhandlungstag

03.09.2020, Beginn 10:00 Uhr.

Heute wurde der Angeklagte Markus H. schon sehr früh in den Gerichtssaal geführt. Dort bespricht er sich intensiv mit seinen Verteidigern. Die Stimmung ist gut.

Anmerkung: Das Verhältnis mit seiner Verteidigerin ist sogar sehr gut, man lächelt sich an. Auch mit den Augen. Auch Stefan Ernst bespricht sich mit seinen Verteidigern. Auch die Nebenklage Lübcke hat Gesprächsbedarf und bespricht sich angeregt mit Oberstaatsanwalt Killmer von der Generalbundesanwalt.

Anmerkung: Der älteste Sohn Christoph Lübke ist heute, wie schon am 14. Verhandlungstag nicht anwesend.

Die Verteidigung von Markus H. gibt Anträge zur Zeugenaussage des letzten Verhandlungstages ab. Rechtsanwältin Nicole Schneiders hat Widersprüche in der Vernehmung des Zeugen A. festgestellt. Es geht um Gespräche in der U Haft mit dem Angeklagten Stephan Ernst und um Einträge in die Schießklatte des Schützenvereins. Auch Rechtsanwalt Mustafa Kaplan gibt eine Erklärung zu der Zeugin Anna E. des letzten Verhandlungstages ab. Er erklärt, dass sie die Einlassung seines Mandanten mehrfach durch ihre Zeugenaussage bestätigt hat. Auch der Zeuge A. hat in seiner Vernehmung bestätigt, dass es einen engeren Kontakt zwischen Stephan Ernst und Markus H. gab.

Um 10:24 Uhr wird der Zeuge E. in den Saal geführt. Da dieser Zeuge zur Zeit in der JVA Bruchsal sitzt, in Handschließen. Hasan E. sitzt wegen Steuerhinterziehung drei Jahre im Gefängnis. Gebürtig ist er Schweizer. Er ist heute als Zeuge geladen, weil er ein paar Monate zusammen mit dem Angeklagten Markus H. in der JVA Frankfurt eingesessen ist. Er hat zu berichten, dass Markus H. ihm erzählt hat, dass er Stephan Ernst eine Waffe gegeben hat auch, dass er am Tattag eine Motorradtour gemacht hätte und von der Tat an Dr. Lübcke erst danach im Fernsehen erfahren hat.

Anmerkung: Schon am letzten Verhandlungstag ist mir aufgefallen, dass gerade Zeugen die nicht Deutsch als Muttersprache haben, die Fragen des Gerichts und der Verteidiger, auf grund des gehobenen und gewählten Wortschatzes, oft missverstehen. Im Deutschen gibt es oft mehrere Worte für ein und die selbe Bedeutung. Der Wortschatz dieser Zeugen ist im Deutschen eher gering.

Der Zeuge wollte keine Aussage vor Gericht machen, weil er Angst hat, irgendwo hinein zu geraten. Er möchte keine Probleme bekommen. Von oder vor wem kann er nicht erklären. Inhaltlich gibt es nicht viel Neues zu erfahren. Über Politik hat er sich nie mit Markus H. unterhalten. H. hätte ihm gesagt, dass Stephan Ernst ein guter Junge ist und er hätte ihm den Mord an Dr. Lübcke nie zugetraut.

Anmerkung: Während Mustafa Kaplan seine Fragen an den Zeugen stellt, schüttelt die Rechtsanwältin Schneiders oft den Kopf.

Der zweite Zeuge des heutigen Verhandlungstages ist aus gleichem Grund hier. Es ist Yusef E. Er kommt ursprünglich aus Marokko, hat nun aber die niederländische Staatsbürgerschaft. Und da er nicht so gut Deutsch spricht ist ein Dolmetscher für Niederländisch an seiner Seite. Er sitzt in der JVA 1 Frankfurt wegen eines Drogendelikts. Während der ersten Fragen des Gerichts „eiert“ der Zeuge eher rum. Das verärgert den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel sehr. Er ermahnt den Zeugen und dieser ist deutlich gesprächsbereiter. Er hat sich damals auch handschriftliche Notizen zu den Aussagen von Markus H. gemacht. Diese werden nun auf der Leinwand gezeigt. Er hat sie angefertigt, weil er sich daraus Vorteile versprochen hat. Markus H. hat ihm gesagt, dass er Stephan Ernst die Waffe verkauft hat. Am Tattag war er auf Motorradtour und gegen 21:00 Uhr wieder zu Hause. Dafür hat Markus H. aber keine Zeugen. Die größte Befürchtung von Markus H. war, dass seine DNA an der Waffe oder an den Auto von Stephan Ernst gefunden werden konnte und dass Stephan Ernst ihn mit darein zieht. Markus H. hatte Angst, dass die Kommunikation von ihm und Stephan Ernst von der Polizei gefunden wird. Diese hatte er allerdings verschlüsselt über eine App geführt. Politisch war er sehr Rechts. Er ist ein Rechtsextremist.

Anmerkung: Nach einer kurzen Beratungspause stellt das Gericht seine Fragen gegenüber diesem Zeugen ein.

Der Oberstaatsanwalt möchte vom Zeugen wissen, ob er noch weiß wie Markus H. von der Tat erfahren hat. Das weiß dieser nicht. Markus H. hatte ihm auch gesagt, dass Stephan Ernst hm die Anschrift und eine Karte vom Wohnort von Dr. Lübcke gezeigt hat. Markus H. war voller Hass gegen Ausländer. Die Fragen von Mustafa Kaplan und Rechtsanwalt Harries bringen nichts Neues. Der Zeuge berichtet weiter, dass Markus H. nicht von seiner Festnahme überrascht gewesen sein.

Anmerkung: Oft fragen die unterschiedlichen Parteien, die gleichen Fragen und manchmal nervt es auch. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Zeugen die gleichen Fragen immer wieder mit anderen neuen Details beantworten. Diese Details sind oftmals wichtig.

Nach der Vernehmung dieser beiden Zeugen stellen die unterschiedlichen Parteien wiederrum Anträge zu den Aussagen. Naturgemäß hat jede Partei andere Widersprüche in den jeweiligen Zeugenaussagen herausgefunden. Am Nachmittag kommen zwei Zeugen der Polizei. Einer ist zur Zeit beim Bundeskriminalamt, der andere beim Hessischen Landeskriminalamt. Beide sind vorgeladen worden, weil sie der Tatortgruppe angehört haben. Ihre Aufgabe war es das Tatgeschehen als digitale interaktive Darstellung auszuarbeiten. Grundlage hierfür sind 3 D-Bilder die im Radius von 360° angefertigt worden sind. Danach erfolgt die Animation der Täter und des Opfers.

Anmerkung: Bevor dies alles geschieht, verlässt Frau Braun Lübcke den Gerichtssaal.

Die Animation ist aufgrund der Täteraussagen und der Spuren-Lage vor Ort erstellt worden. Die Animation, die aufgrund der Aussage von Stephan Ernst erstellt worden ist wird so in 3-D gezeigt, dass man als Zuschauer das Geschehen aus der Tätersicht erlebt.

Ende des Verhandlung 16:24 Uhr.


Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 14. Verhandlungstag

01.09.2020, Beginn 10:00 Uhr.

Der Verteidiger von Markus H., Dr. Clemens stellt einen Befangenheitsantrag gegen den gesamten Senat, da ihm als Verteidiger am letzten Verhandlungstag das Wort entzogen ist und er dadurch seine Tätigkeit als eingeschränkt ansehen musste.

Nachdem dieser Antrag vorgetragen wurde wird die erste Zeugin des Verhandlungstages in den Saal gebracht. Es ist die Ehefrau von Stephan Ernst. Sie ist eine kleine zierliche Frau, 45 Jahre alt, trägt eine Brille und erscheint in guter Freizeitkleidung. Sie trägt eine dünne graue Jacke, schwarze Schuhe und eine Jeans. Ihr Beruf ist Pharmazeutisch-Technische Assistentin und sie lebt in Kassel. Sie trägt ihren Ehering und ist in der Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehovas.

Anmerkung: Stephan Ernst schaut ständig seine Ehefrau an.

Anmerkung: Als Ehefrau hat sie ein Zeugnisverweigerungsrecht. Trotzdem erscheint sie vor Gericht, hat aber über den Verteidiger ihres Mannes Mustafa Kaplan eine Absprache mit dem Gericht ausgearbeitet, nach der sie nur eingeschränkt aussagt. Etliche Fragen zum Thema der Biografie ihrer Person oder der ihres Mannes oder des gemeinsamen Lebens werden ausgespart.

Zu Beginn berichtet sie von der Tatnacht und dass sie im Bad war um dort Zähne zu putzen. Sie hörte zuerst ein Kfz sehr schnell vorfahren, stark abbremsen und dann vor dem Haus parkend. 5-10 Sekunden später traf ein zweites Kfz vor dem Haus ein. Dieses fuhr relativ langsam vor. Ca 5 Minuten später betrat ihr Mann das Haus. Dass ihr Ehemann mit Markus H. befreundet war wußte sie nicht. Sie hat ihn auch nie gesehen.

Anmerkung: Auch Markus H. schaut Frau Ernst immer wieder an.

Der ehemalige Verteidiger ihres Mannes Herr Rechtsanwalt Waldschmidt hat Kontakt mit ihr aufgenommen und ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen. Dort hat er die Botschaft hinterlassen, dass sie sich keine Sorgen machen muss und die Kameraden helfen werden. Einmal war er auch bei ihr zu Hause und hat sich nach ihrer Aussage die sie gegenüber der Polizei getätigt hat, erkundigt. Erst später wusste sie, dass es sich bei Herrn Rechtsanwalt Waldschmidt um einen Rechts extremen handelt. Obwohl zwischen allen Parteien abgeklärt war, dass sich die Ehefrau von Stephan Ernst nicht zu familiären Themen äußern möchte, versucht es Frau Rechtsanwälten Nicole Schneiders natürlich trotzdem. Sie fragt nach gemeinsamen Urlauben und ob es Eheprobleme gab. Diese Fragen beantwortet die Zeugin alle nicht. Es gibt weitere Fragen zu dem zweiten Kfz welches sie an dem Abend gehört haben wollte. Dies ist auch ein wichtiges Detail, da es ein wichtiges Indiz zum Thema „ein oder zwei Täter“ sein könnte. Auf Befragen des Gerichts ob ihre Aussagen die sie bei der Polizei getätigt hat im Prozess eingeführt werden dürfen antwortet Frau Ernst mit Nein.

Der zweite Zeuge wird am Nachmittag vernommen. Es ist ein Freund von Stephan Ernst und heißt Habil H. Er ist 35 Jahre alt und Zerspanungsmechaniker. Er wohnt in Kassel und hat seit 2012 mit Stephan Ernst zusammen gearbeitet. Er ist im Iran geboren. Er wird heute verhört, weil er Stephan Ernst für den Tatzeitraum ein Alibi gegeben hat. Allerdings wusste er nicht, dass Stephan Ernst in dieser Zeit Dr. Walter Lücbke ermordet hat. Für ihn war Stephan Ernst immer ein großer Bruder, insbesondere war er sehr hilfsbereit. Er war ebenfalls im Schützenverein Sandershausen. Dort hat er Luftgewehr geschossen. Politisch hat er Stephan Ernst nie als Rechten oder Nazi gesehen. Auch über Dr. Lübcke haben sie nie gesprochen.

Anmerkung: Der Zeuge spricht frei weg. Stephan Ernst schaut ihn konzentriert an. Markus H. schreibt viel mit.

Er meint, dass Stephan Ernst und Markus H. gute Freunde waren. Die Rechte Neigung von Markus H war ihm sofort aufgefallen. Er hat Stephan Ernst auch 2 - 3 in der JVA besucht. Beim ersten Mal haben sie nur geweint. Er hat nicht geglaubt, dass Stephan Ernst solch eine Tat begangen hat. Außer Marcus H. hat er keine anderen Freunde bei Stephan Ernst kennengelernt. Stephan Ernst hat nur gearbeitet, war beim Schützenverein oder hat am Haus gehabt. Weitere Fragen vom Oberstaatsanwalt Killmer und Rechtsanwältin Schneiders bringen keine weiteren Details zu Tage. Auch die Fragen von Dr. Clemens sind wenig erhellend.Viele der Fragen kann der Zeuge gar nicht wissen und damit auch nicht beantworten.

Anmerkung: Wenn der Angeklagte Marcus H. einen schicken Anzug mit schwarzer Robe tragen würde, würde man denken, in dieser Bank würden drei Rechtsanwälte sitzen. Markus H. arbeitet richtig mit, durch sucht die Akten nach Hinweisen und gibt sie dann immer wieder Dr. Clemens, der mit diesen Hinweisen weitere Fragen an den Zeugen Habil A. stellt. Er berichtet von einer Situation, anlässlich eines Tag der offenen Tür im Schützenverein, zwischen Stephan Ernst und Markus H., die er beobachtet hat. Er hat nur einen Satz von Markus H. gehört: „Dem sollte man in den Kopf schießen.“ Er sagte den beiden daraufhin nur: „Das bringt doch nix.“ Markus H antwortete: „Dann würde es nicht so viele dich in diesem Land geben.“ Dann lachten beide. Er hat sich über diese Antwort sehr aufgeregt, aber später wieder beruhigt.

Anmerkung: Einen echten Erkenntniswert hatte diese Zeugenaussage auch nicht.

Ende der Verhandlung 17:20 Uhr


Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 13. Verhandlungstag

27.08.2020

Der 13. Verhandlungstag beginnt um 10:10 Uhr. Heute wird nur ein Zeuge gehört: Kriminaldirektor M. war Leiter der Sonderkommission Liemecke und durfte heute den Prozessbeteiligten Rede und Antwort zur Ermittlungsarbeit rund um den hier verhandelten Sachverhalt stehen. Auch heute werden, vor der eigentlichen zeugenschaftlichen Vernehmung, Beschlüsse verlesen und Organisatorisches abgearbeitet.

Zunächst wird verlesen, dass ein Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wird. Das Gericht wird den Zeugen daher nicht laden, geht aber auch davon aus, dass dies keinen Einfluss auf den zu klärenden Sachverhalt hat. Der Verteidiger von Stephan Ernst gibt zu Protokoll, dass der Angeklagte seine beiden früheren Verteidiger, Dirk Waldschmidt und Frank Hannig, eingeschränkt von der anwaltlichen Schweigepflicht entbindet. Anschließend verteilt das Gericht das 11-minütige Video der Veranstaltung in Lohfelden an alle Prozessbeteiligten. Danach wird Kriminaldirektor M. als Zeuge gehört.

Er schildert zuerst den allgemeinen Ablauf der Sonderkommission (SoKo). M., der 3 Tage nach der Tat mit der Leitung der SoKo betraut wurde, schilderte erst einmal die Widrigkeiten, die die Ermittlungsarbeiten zunächst erheblich erschwerten. Zum einen beeinträchtigte der Umstand, dass die Polizei erst am nächsten Morgen durch das Kreiskrankenhaus über einen männlichen Verstorbenen informiert wurde und erst dann bei der Leichenschau die eigentliche Schussverletzung festgestellt wurde. Zum anderen nannte er den Tatort, der sich als - so wörtlich - geputzte Platte präsentierte. Zu Beginn der SoKo wurde weder Suizid noch Unfall oder Fremdverschulden ausgeschlossen. Neben dem bereits gereinigten Tatort kam für die Ermittlungsarbeit erschwerend hinzu, dass es rund um den Tatort keine Videoüberwachung im urbanen Raum gibt (Tankstellen, Banken etc.) und, dass zum Tatzeitpunkt eine Kirmes mit ca. 1.000 Besuchern im Ort stattgefunden hat. In den Fokus geriet zunächst ein Freund der Familie, Florian A., der auch als Ersthelfer im Einsatz war. Dieser hatte bei seiner Ersteinlassung widersprüchliche Aussagen getroffen, und er war es auch, der den Tatort intensiv gereinigt hatte. Auch die Familie konnte, was eine Tatbeteiligung betrifft, zunächst nicht ausgeschlossen werden. Es wurden technische Maßnahmen eingeleitet, um diesen Verdacht zu erhärten oder zu entkräften.

Anmerkung: Bei Kapitalverbrechen und diffusem Ermittlungsansatz ist es normal und aufgrund der Statistik auch angezeigt, das persönliche Umfeld des Opfers in die Ermittlungen einzubeziehen. Sowohl gegen A., der zwischenzeitlich sogar festgenommen wurde, als auch gegen die Familie konnte der Tatverdacht durch Vernehmungen und die Ermittlungsarbeit entkräftet werden. Auch ein Suizid wurde zügig ausgeschlossen, da es keinerlei Schmauchspuren an den Händen des Opfers gab. Im Ergebnis sind also die ersten Ermittlungsansätze gescheitert, was eine gewisse Ernüchterung innerhalb der SoKo zur Folge hatte.

Deutlich schilderte der Zeuge M., dass es jetzt an ihm war, die Motivation hoch zu halten und klar zu machen, dass man sich nach Ausschluss eines jeden möglichen Tatmotivs auf andere mögliche Motive konzentrieren müsse. Da nach Angabe des Zeugen ein persönliches Tatmotiv höchst unwahrscheinlich war, wurde nun eine politisch motivierte Straftat in Betracht gezogen, wobei ein islamistischer Hintergrund schnell ausgeschlossen wurde. In den Mittelpunkt gerieten vielmehr Gegner von Windkraftanlagen, aber auch Täter aus dem rechten Spektrum.

Der Durchbruch erfolgte dann am 14. Juni als KD M. einen Anruf aus dem LKA Hessen erhielt. Man teilte ihm mit, dass an dem Hemd des Getöteten e i n e Hautschuppe gefunden worden war und die DNA-Analyse einen Treffer in der Datenbank ergeben hatte. Die DNA passte zu dem heute Angeklagten Stephan Ernst. Angewendet wurde hier die aufwändige Einzelschuppenanalyse, die nicht in allen Bundesländern angewendet wird, da der Aufwand sehr hoch ist. Problematisch an der Validität der Spur war, dass das Hemd nicht sofort als Spurenträger gesichert wurde. Es lag schon im Mülleimer des Zimmers im Kreiskrankenhaus, in dem man versucht hatte, das Opfer zu reanimieren. Es war also jetzt an den Ermittlern auszuschließen, dass diese Hautschuppe auf anderen Wegen auf das Hemd gekommen war; was nach Ansicht des Zeugen auch lücken- und zweifellos gelungen sei.

Als Leiter der SoKo hat er umgehend, nachdem die Spurenlage verifiziert war, die Festnahme von Stephan Ernst beantragt. Der Zugriff erfolgte noch in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni, der Haftrichter ordnete die Untersuchungshaft an. Am 23.06. orderte der Zeuge ein Vernehmungsteam in die JVA mit dem Auftrag, mit Stephan Ernst ins Gespräch zu kommen. PD M. begründete diese Entscheidung mit der Auswertung alter Fallakten des Angeklagten., aus denen hervorging, dass sich Ernst häufig zu seinen Taten eingelassen hat. An diesem 23.06. wollte Stephan Ernst allerdings nichts sagen. Der Zeuge sollte dennoch Recht behalten, da sich Stephan Ernst zwei Tage später, am 25.06., an einen JVA-Bediensteten gewendet hat und nun mitteilen ließ, er wolle reden. Er wurde umgehend in das Polizeipräsidium Nordhessen gebracht, wo dann eine Videovernehmung durchgeführt wurde. Ernst lehnte hierbei einen Rechtsbeistand ab.

Bei dieser Vernehmung belastete er den Mitangeklagten Markus H. als Mittäter. Außerdem erstellte er eine Skizze zu einem Waffenversteck auf dem Gelände der Firma seines Arbeitsplatzes. Die Beamten fanden auf Anhieb mit der Skizze die eingegrabene Kiste mit den Waffen. Die Kiste enthielt mehrere Waffen, welche hochprofessionell verpackt und eingeölt waren. Durchsuchungsmaßnahmen bei Ernst brachten unter anderem Bilder einer Dashcam zutage, auf dem der SUV der Familie des Opfers zu sehen war, außerdem die bereits thematisierten Bilder der Wärmebildkamera. Diverse Bilder handgeschriebener Zettel mit Gedanken zum perfekten Verbrechen und Daten, die seine rechte Gesinnung untermauern, wurden bei der digitalen Suche sichergestellt. Bei der Überprüfung der Finanzdaten fiel auf, dass Ernst Überweisungen an die GEZ mit nationalistischen Betreff-Texten versah; „Volksverräter“, „BRD-Zwangsabgabe“ oder „Hurensöhne“ waren nur einige Beispiele. Anschließend ging es im Rahmen der Befragung der Prozessbeteiligten zunächst um die Gemeinsamkeiten zum zweiten Angeklagten Markus H. Hier wurde zunächst ein Threema Chat thematisiert, der am 3.6. gelöscht wurde. Nachgewiesen wurde, dass ca. 250 Einträge gelöscht waren. Die Inhalte konnten jedoch nicht wiederhergestellt werden. Persönlich sollen sich die beiden Angeklagten am Arbeitsplatz des Stefan Ernst zwischen 2011 und 2014 immer wieder begegnet sein. Hier war Markus H. häufig über eine Zeitarbeitsfirma eingesetzt. Nach der Festnahme des H. wurden bei seiner Hausdurchsuchung Waffen, Waffenteile und rechtsradikale Devotionalien sichergestellt.

Im nächsten Komplex ging es um die mögliche direkte Tatbeteiligung des H. Hier wurde zunächst festgestellt, dass bei den Ausspähversuchen keine Handys der Angeklagten in Funkzellen eingeloggt waren, sie waren ausgeschaltet. Während der Tat war auch keines der Handys eingeloggt, allerdings wurde über das Handy des H. per WhatsApp gechattet. Die Ermittler gehen davon aus, dass dies über ein WLAN geschah, nachweisen können sie dies jedoch nicht.

Die Spurenlage am Tatort ließ nach Aussage des Zeugen nicht auf einen zweiten Täter schließen. Die Aussage des Stephan Ernst, was die Wege des Mitangeklagten H. bei der Tatbegehung betrifft, erscheinen durch die Spurenlage unwahrscheinlich. Der durch Ernst beschriebene Weg durch den Bereich, der durch Baustellenstrahler hell erleuchtet war, ist nach Meinung das Zeugen auszuschließen, da das Opfer H. gesehen haben müsste. Ohne es konkret auszusprechen macht der Zeuge den Eindruck, als bezweifle er eine direkte Tatbeteiligung des H. Dies veranlasste die Verteidiger zum Ende des Prozesstages auch eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung abzugeben. Der besagte Paragraf erlaubt der Verteidigung, eine Erklärung nach der Beweiserhebung (also der heutigen Zeugenvernehmung) abzugeben. Schnell wurde klar, dass die Verteidigung darauf aus war, die heutige Vernehmung entkräftend für die Tatbeteiligung des H. zu nutzen. Dem Richter allerdings ging die Ausführungen zu weit. Die Verteidigung darf hierbei nicht den Schlussvortrag (Plädoyer) vorwegnehmen. Dies geschah aber nach Auffassung des Richters, so dass er dem Verteidiger nach mehrmaliger Aufforderung am Ende das Wort entzog.

Im Ergebnis wird das zu einem Befangenheitsantrag gegen den Richter führen, welchen die Verteidigung am nächsten Prozesstag vorlegen wird.

Ende der Verhandlung 16:30 Uhr


Bildquelle: Darwin Laganzon; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 12. Verhandlungstag

19.08.2020, Beginn 10:07 Uhr

Vor Beginn des Prozesses kann ich das übliche Treiben der Angehörigen der einzelnen Parteien beobachten. Inzwischen wirkt das alles routiniert. Die Verteidigerin von Markus H., Nicole Schneiders beantragt, weitere Zeugen in Bezug auf ihren Antrag vom 05. August zu laden. Es handelt sich um eine Psychologin, die den Angeklagten Stephan Ernst zu früheren Zeiten untersucht hat. Es geht um Erkenntnisse, die bei Stephan Ernst eine Borderline-Erkrankung diagnostiziert haben. Diese Untersuchungen stammen aus dem Jahr 1994.

Anmerkung: Wenn bewiesen würde, dass Stephan Ernst ein "Psycho" ist, hilft das ihrem Mandanten Markus H.

Danach stellt der Verteidiger Dr. Clemens einen Beweisantrag. Er möchte die ehemalige Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach aus Berlin vor Gericht vernehmen lassen. Sie hat im Januar 2019 das Lohfelden-Video über Dr. Lübcke scharf kritisiert. Dadurch bekam dieses Video einen neuen Bekanntheitsschub. Es gab viele Reaktionen in der Öffentlichkeit. Dr. Clemens möchte über diesen Beweisantrag herausfinden, ob dieser Vorgang für Stephan Ernst der Motivationsschub war, um den Mord an Dr. Lübcke zu begehen. Sein Verteidiger Mustafa Kaplan nimmt hierzu Stellung und teilt mit, dass die Frau mit der Einlassung seines Mandanten nichts zu tun hat.

Nun erhält der Nebenkläger der Familie Lübcke, Rechtsanwalt Prof. Dr. Holger Matt das Fragerecht an den Hauptangeklagten Stephan Ernst. Zuerst möchte er von ihm wissen, ob er wirklich bereit ist auf alle Fragen zu antworten und zur Wahrheitsfindung beizutragen. Antwort: ja. Prof. Dr. Matt wiederholt einige Teile aus dem schriftlichen Geständnis und lässt sie sich nochmals von Stephan Ernst bestätigen. Stephan Ernst wirkt bewegt. Vor der Tatausführung habe er sich keine Gedanken um das Leben von Dr. Lübcke oder seiner Familie gemacht. Prof. Dr. Matt möchte wissen, ob Stephan Ernst von Markus H. zur Tat manipuliert wurde und wie dies geschah. Stephan Ernst bezieht sich darauf, dass das schon mit dem Waffen-Thema angefangen hat. Markus H. hat ihn in dieses Thema eingeführt, so dass das Tragen einer Waffe für ihn normal wurde; auch, dass "man mal was machen müsste." Markus H. hat durch Diskussionen mit ihm wieder rechtsradikales Gedankengut hervorgeholt. Er wurde auch aufgehetzt. Der Nebenklägervertreter möchte wissen, woraus Stefan Ernst denn aussteigen möchte, wenn er seit Jahren nicht mehr in der Rechten Szene ist. Die Beantwortung dieser Frage wird durch den Verteidiger Mustafa Kaplan zurückgestellt. Auch möchte Prof. Dr. Matt wissen, ob Stephan Ernst sich und seine Familie durch seine Aussagen bei Gericht gefährdet sieht und ob es weitere Anschläge gegen ähnliche Persönlichkeiten wie Dr. Lübke geben kann. Hierauf gibt es keine Antwort. Das Entdeckungsrisiko während der Tatausführung war sehr hoch. Was passiert wäre, wenn zufällig eine weitere Person zum Geschehen gekommen wäre, war beiden vorher nicht klar. Hierzu gab es keinen Plan. Auch konnten sie nicht wissen, ob Dr. Lübcke an diesen Abend wirklich auf der Terrasse sitzt. Die Annahme war, das es so ist, da er fast immer dort gesessen hat. Sie wussten auch, dass mehrere Personen im Haus wohnen.

Anmerkung: Dr. Clemens beanstandet das Frage-Format von Prof. Dr. Matt, da es zu viele Wiederholungsfragen sind. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel teilt ihm mit, dass er das großzügig halten möchte.

Nun werden wieder Bilder vom Tatort auf der großen Leinwand gezeigt. Die Parteien begeben sich teilweise zum Richtertisch. Es gibt ein verändertes Foto von der Terrasse des Hauses, auf dem Blutspuren eingezeichnet sind und die Möbelpositionen bei Abgabe des Schusses durch Stephan Ernst. Der Vorsitzende Richter möchte wissen, warum Stephan Ernst und Markus H. Dr. Lübcke erst noch auf der Terrasse angesprochen haben und nicht direkt und schnell gehandelt haben. Die Antwort von Stephan Ernst ist, dass sie ihre Botschaften noch aussprechen wollten.

Anmerkung: In der Pause wird bekannt, dass Familie Lübcke über ihren Sprecher und Anwalt eine Mitteilung zum heutigen Vormittag abgegeben hat. Die Familie teilt mit, dass sie dem Angeklagten Stephan Ernst gemäß seiner schriftlichen Einlassung (3. Geständnis) glauben. Damit steht für sie fest, dass der Angeklagte Markus H. ebenfalls Tatbeteiligter vor Ort war. Woraus sie diesen Schluss ziehen geben sie nicht bekannt.

Anmerkung: Diese Einlassung ist verwunderlich. Schon während der Vernehmung habe ich mich gefragt, warum Prof. Dr. Matt so höflich mit dem Angeklagten umgeht. Gibt es hier Absprachen zur Wiedergutmachung?

Nach der Mittagspause werden drei Polizeibeamte vom LKA Hessen als Zeugen vernommen. Alle drei waren mit der digitalen Auswertung beauftragt. Hierbei ging es ausschließlich um Handys, Laptops und PC des Angeklagten Markus H.

Anmerkung: Insbesondere die erste Zeugin, eine 27-jährige Polizeikommissarin schaut Markus H. sehr konzentriert an und hört aufmerksam zu. Stephan Ernst etwas weniger.

An allen technischen Geräten wurde festgestellt, dass viele Dateien gelöscht worden sind. Die verbliebenen Dateien hatten in keiner Art und Weise eine Tatrelevanz. Viele der gelöschten Dateien konnten wiederhergestellt werden. Sie beinhalten eine große Anzahl von Dateien zum Thema "Drittes Reich", "Adolf Hitler", "Militär", "Waffen" usw., und auch Fotos, auf denen Markus H. in Uniform den Hitler Gruß zeigte. Markus H. fragt die Zeugin, ob die Daten auf seinem Betriebssystem oder auf der Festplatte waren. Dieses wurde nicht festgestellt.

Anmerkung: Er möchte hiermit suggerieren, dass die Dateien nicht von ihm, sondern vom Vorbesitzer stammen. Merkwürdig daran ist nur, dass der Vorbesitzer Fotos von ihm hinterlassen hat. Eine Kommunikation zwischen Stephan Ernst und Markus H. konnte anhand von Chat-Verläufen, Telefon-Verbindungsdaten und sonstigen Dateien nicht festgestellt werden.

Die Verteidiger von Markus H. stellen etliche Fragen technischer Natur zum PC und den Dateien, die alle durch diese Zeugen nicht beantwortet werden können. Sie sind keine EDV-Experten, sondern "Auswerter". Zum Tatzeitpunkt konnte das Handy in der Funkzelle des Tatortes nicht nachgewiesen werden. Auch das Lohfelden-Video zur Bürgerversammlung 2015 über Dr. Lübcke konnte gefunden werden. Dr. Clemens fragt nach, wieviel Datenvolumen denn insgesamt gefunden wurde und wieviel Prozent davon einen "rechten Anstrich" haben. Diese Feststellung wurde beim LKA nicht angestellt. Grundsätzlich sagt der Zeuge POK R. aus, dass thematisch nur "Rechte Dateien“ auf dem PC gefunden wurden.

Anmerkung: Heute diskutiert Nicole Schneiders immer wieder spitzfindig mit dem Vorsitzenden Richter.

Nach der Zeugenvernehmung gibt Dr. Clemens eine Erklärung zu den Aussagen ab. Er bewertet alle Aussagen als nicht tatrelevant. Zum Schluss des Verhandlungstages gibt der Verteidiger Mustafa Kaplan bekannt, dass sein Mandant Stephan Ernst bereit ist, seinen ehemaligen Verteidigern Waldschmidt und Hannig eine Teilbefreiung der Schweigepflicht zu geben. Aus diesem Entschluss heraus wird das Gericht die ehemaligen Verteidiger zur Vernehmung laden.

Ende der Verhandlung 15:49 Uhr

Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 11. Verhandlungstag

13.08.2020, Beginn 10:08 Uhr

Heute wird die Befragung des Angeklagten Stephan Ernst durch die Generalbundesanwaltschaft fortgesetzt. Wer heute fragt oder fragen darf, wird sich noch zeigen.

Anmerkung: Die Klimaanlage im Gerichtssaal funktioniert nicht; es ist stickig und heiß.

Der 5. Strafsenat beginnt mit einem Beschluss. Der Ablehnungsantrag vom 05.08.2020 von Dr. Clemens (Verteidiger von Markus H.) gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel wird abgelehnt. Dr. Clemens hatte angemahnt, dass Ausschnitte der Video-Vernehmung von Stephan Ernst öffentlich gemacht werden sollten.

Danach wird nochmals der Sohn, Jan-Henrik Lübcke, als Zeuge gehört. Er soll sich zur Beleuchtungssituation am Haus in der Tatnacht äußern. Hierzu werden Bilder des Hauses gezeigt. Zwischendurch wird Stephan Ernst gefragt, ob er Links- oder Rechtshänder ist. Stephan Ernst ist Rechtshänder. Die Laufwege der Täter am Haus werden besprochen, da die genommenen Wege gemäß der Aussage von Stephan Ernst. durch einen Lichtkegel und über eine kleine Mauer verliefen. Der Generalbundesanwalt möchte wissen warum nicht andere Laufwege genommen worden sind. Stephan Ernst begründet es damit, dass Markus H. es so geplant hatte, damit er aus seiner Position gucken konnte „ob die Luft rein ist“. Über das Tragen von Handschuhen haben beide nicht gesprochen. Es wundert den Oberstaatsanwalt Dieter Killmer sehr, warum auf Handschuhe verzichtet wurde. Ein Teil des Planes war ja, Dr. Lübcke zu schlagen. Dabei wären wahrscheinlich DNA-Spuren zurückgeblieben.

Seine These, dass sie nicht maskiert waren, ist, das von Anfang an klar war, dass Stephan Ernst Dr. Lübcke erschießen würde. Es wird ein Foto der Terrassensituation mit einer grün eingezeichneten menschlichen Figur, stellvertretend für Dr. Lübcke, in seinem Stuhl sitzend, gezeigt. Stephan Ernst sagt aus, dass er Dr. Lübcke in den Stuhl gedrückt hat, da dieser sich erheben wollte. Danach ist er 2-3 Schritte (circa 1,5 m) rückwärts gegangen und hat geschossen. Gemäß einer zweiten Zeichnung, in der der Schütze als rote menschliche Figur (stellvertretend für Stephan Ernst) eingezeichnet ist, hätte er, um diese Schussposition erreichen zu können, um einen Tisch und einen weiteren Stuhl gehen müssen. Stephan Ernst gibt an, dass er sich an Tisch und Stuhl nicht erinnern könne.

Anmerkung: Diese Schussposition, die sicher noch durch einen Gutachter näher erläutert wird, ist ein wichtiges Indiz. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Stephan Ernst rückwärts um Stuhl und Tisch gegangen ist, zumal er ausgesagt hat, dass er sich nicht umgedreht hat. Also spricht nach dieser Erkenntnis alles für die Annahme, dass Stephan Ernst Einzeltäter war und sich im Dunkeln an Dr. Lübcke herangeschlichen und ohne vorherige Kommunikation geschossen hat. Ein gezielter Kopfschuss. Die DNA-Spuren an der rechten Schulter von Dr. Lübcke sind durch die linke Hand von Stephan Ernst entstanden, als dieser nach dem Schuss Dr. Lübcke berührt hat, um zu prüfen, ob er auch wirklich tot ist. Trotzdem bleibt die Frage, insbesondere bei dieser Annahme des Tatgeschehens, wieso Stephan Ernst den Mitangeklagten Markus H. in die Tat mit hineinzieht.

Hiernach gibt es eine Pause, nach der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer die Befragung fortsetzt. Er möchte von Stephan Ernst wissen, warum zwischen dem Entschluss zur Tat und der Ausführung so lange gewartet wurde. Der Aufhänger für die Tat war die Rede von Dr. Lübcke 2015 bei einer Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlingspolitik in Lohfelden. Die Tat selbst war 2019. Stephan Ernst sagt aus, dass keine konkrete Planung vorlag, die unverzüglich hätte umgesetzt werden sollen. Das Thema, gegen Dr. Lübcke vorzugehen, kam immer wieder über aktuelle politische Themen auf und so schaukelte man sich hoch. Weiter möchte der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer einige Angaben zur Wärmebildkamera wissen. Die hatte Stephan Ernst gekauft, um sein Grundstück zu schützen, da vom Grundstück Wanderschuhe und ein Akku-Bohrschrauber gestohlen worden waren. Der Oberstaatsanwalt hält es für unlogisch, dass man eine Wärmebildkamera für 528€ kauft, wenn der Wert der gestohlenen Gegenstände lediglich 150€ beträgt. Dies würde nicht im Verhältnis stehen.

Anmerkung: Das nennt sich Prävention! Hier schließt der Oberstaatsanwalt von sich auf andere.

Auf der Wärmebildkamera wurde ein Foto gefunden, welches am 01.06.2019 um 01:05 Uhr gemacht worden ist. Also ca. 22 Stunden vor der Tat.

Anmerkung: Die Systemzeit auf der Wärmebildkamera war falsch, daher musste ein Sachverständiger die Zeit zurückrechnen. Ich hatte auf diesen Umstand bereits in einem vorherigen Blogeintrag hingewiesen.

Anmerkung: Markus H. schreibt wieder sehr konzentriert seitenweise mit.

Es folgt eine Pause von 12:35 Uhr bis 14:00 Uhr.

Anmerkung: Nach der Pause steht Familie Lübke hinter ihren Stühlen und wartet auf das Gericht. Sie wirken wie eine geschlossene, schweigende Wand. Ich empfinde großen Respekt für die Familie. Immer wieder treten Sie dem Täter oder den Tätern gegenüber.

Oberstaatsanwalt Kilmer hatte nach der Pause noch eine Frage zu durchgeführten Schießübungen mit Markus H. in Tschechien. Danach hat er alle seine Fragen gestellt.

Ab 14:20 Uhr beginnt die Verteidigung von Markus Hartmann zu fragen. Hierzu hatte der Verteidiger von Stephan Ernst, Mustafa Kaplan, schon mehrmals betont, dass sie Fragen der Verteidigung von Makus H. nicht beantworten. Die Verteidigerin Nicole Schneiders besteht auf ihr Recht, Fragen stellen zu dürfen. Das führt sie auch durch, aber nach neun unbeantworteten Fragen gibt sie dann doch auf.

Anmerkung: Mustafa Kaplan stellt nochmals klar, dass Stephan Ernst keine Fragen der beiden Verteidiger von Markus H beantworten wird. Stephan Ernst selbst zeigt während der Befragung keinerlei Regung und stiert vor sich hin.

Auch Dr. Clemens möchte seine Fragen stellen. Er gibt nicht auf und stellt alle seine 25 Fragen. Diese werden ebenfalls nicht beantwortet.

Ende der Verhandlung 15:15 Uhr

Bildquelle: Frank Röth / F.A.Z./ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 10. Verhandlungstag

10. August 2020, Beginn 10:06 Uhr

Um 10 Uhr wird Markus H. in den Saal geführt. Seinen Verteidiger, Dr. Björn Clemens, begrüßt er nur knapp. Seine Verteidigerin, Frau Nicole Schneiders, lächelt er schon aus der Entfernung an. Man begrüßt sich herzlich und lacht sich an. Eine vertraute Atmosphäre.

Nachdem der Vorsitzende Richter den Verhandlungstag eröffnet hat, führt die Richterin Miriam Adlhoch die Vernehmung des Hauptangeklagten Stephan Ernst weiter. Es geht um die Umstände die zur Teilnahme von Stephan Ernst an der Bürgerversammlung 2015 in Lohfelden geführt haben. Auf dieser hat der damalige Regierungspräsident Dr. Lübcke zur Flüchtlingsproblematik gesprochen. Stephan Ernst berichtet, dass ihn Markus H. auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht und ihn auch mit dort hingenommen hat. Markus H. hat einen Teil der Rede mit seinem Handy gefilmt. Dr. Lübcke hat die Werte der Gesellschaft verteidigt. Insbesondere hat er geäußert, dass es wichtig ist, sich um die Aufnahme der Flüchtlinge zu kümmern und "das diejenigen die damit nicht einverstanden sind, jederzeit das Land verlassen können." Dieser Ausspruch führte zu Buhrufen im Saal. Markus H. war überglücklich, dass er genau diese Stelle gefilmt hatte. Er wollte sie unverzüglich ins Netz stellen.

Anmerkung: Das Video von Markus H. wurde zurechtgeschnitten und hatte im Netz eine große Aufmerksamkeit. Der Videoausschnitt wurde im Gerichtssaal noch einmal gezeigt.

Nun führt die Vernehmung Richter Dr. Koller weiter. Er teilt mit, dass er etwas verwirrt ist über die Ausspähungstage von Stephan Ernst die er am Tatort verbracht hat Daher fragt er hier nochmal nach.

Anmerkung: Das Dr. Koller verwirrt ist, habe ich noch nicht erlebt.

Stephan Ernst teilt mit, dass er im Januar/Februar 2016 zusammen mit Markus H. vor Ort war und im März 2017 alleine. An diesem Tag hat er mit einer Dashcam die Umgebung aufgenommen. Auch im Sommer 2017 war er zur Zeit der Kirmes alleine in Istha. Er hat Markus H. von seinen Ausspähungsversuchen erzählt; dieser forderte ihn auf "dran zu bleiben." Auch im März/April 2018 war er vor Ort. Nun teilt Stephan Ernst mit, dass er nicht, wie vorher ausgesagt, vor der Haustür der Familie Lübcke gestanden hat. Bei seiner ersten Vernehmung hat er absichtlich übertrieben, um als Psycho-Nazi zu gelten. Stephan Ernst berichtet über seine Gespräche mit seinem ehemaligen Anwalt Waldschmidt. Dieser riet ihm zum Geständnis, da er auf jeden Fall zu Mord verurteilt würde, da seine DNA-Spuren an Dr. Lübcke`s Kleidung gefunden worden sind.

Anmerkung: Markus H. schreibt seitenweise mit.

Die BRD Eliten würden ihn im Gefängnis verrotten lassen. Deshalb ist es wichtig, Markus H. raus zu halten. Man verrät niemanden, trichtert ihm sein damaliger Anwalt waldschmidt ein. Einige Tage danach hat er dann mit der Polizei gesprochen und hat versucht, Markus H. rauszuhalten. In Bezug auf die Waffenbeschaffung konnte er Markus H. nicht raushalten. Nach seinem Geständnis hat er nochmals mit Rechtsanwalt Waldschmidt gesprochen. Dieser hatte ihm Hilfe über die "Gefangenenhilfe" zugesagt. Im letzten Gespräch ging es Stephan Ernst wieder um die Unterstützung seiner Familie. Herr Waldschmidt teilte ihm mit, dass er ihn nur weiter verteidigen würde, wenn der Rechtsanwalt Frank Hannig nicht sein Verteidiger ist. Frank Hannig kam nach dem Geständnis zu ihm ins Gefängnis. Er riet ihm, dass Geständnis zu widerrufen. Zu seinem "zweiten Geständnis" hatte Frank Hannig die Idee, Markus H. stärker zu belasten, damit Markus H. endlich aussagt. Frank Hannig meinte, dass es in den Akten viele Widersprüche gibt. Hiernach bittet Rechtsanwalt Dr. Clemens um eine fünfminütige Beratungspause, die gewährt wird.

Anmerkung: Stephan Ernst spricht in der Pause sehr konzentriert und angestrengt mit seinen Verteidigern. Ebenso Markus H. mit seinen. Diese Partei gibt sich entspannt und siegessicher. Ich bin sehr gespannt und interessiert, was von dieser Seite noch kommt.

Stephan Ernst berichtet, dass die erste Vernehmung am 25.06.2019 ohne Anwalt durchgeführt worden ist, obwohl er darum gebeten hatte. Er wollte Angaben zu den Waffen, die er vergraben hatte, machen. Die Kriminalpolizei hat ihm mitgeteilt, dass die beiden Anwälte, die er haben wollte, telefonisch nicht erreichbar sind. Daraufhin stellt Dr. Clemens den Antrag, die Aussage von Stephan Ernst: "Ich wollte schon, dass mein Rechtsanwalt Herr Waldschmidt bei der Vernehmung dabei ist, habe aber durch das zureden der Kripobeamten davon abgelassen." wörtlich protokolliert wird. Dieses lehnte der Senat ab. Es gibt eine Pause, da Dr. Clemens den Antrag schriftlich einreichen muss. Nach der Pause liest Dr. Clemens den schriftlichen Antrag vor. Richter Dr. Koller fragt weiter nach den Ausspähungsversuchen. Schon 2016 war klar, dass sie Dr. Lübcke auf seiner Terrasse schlagen könnten führt Stephan Ernst aus. Dr. Koller fragt nach der politischen Einstellung von Markus H. Stephan Ernst sagt, dass seine Einstellung in Richtung "Reichsbürger" geht.

Anmerkung: Als Markus H. das hört, lacht er still vor sich hin.

Es werden Fotos aus der Wohnung von Markus H. gezeigt. Wir sehen Bücher und kleine Figuren aus der Nazizeit. Weiterhin hatte Markus H. eine Original "Zyklon B Dose" auf dem Schreibtisch. Stephan Ernst hat auch an AfD-Stammtischen teilgenommen. Diese fanden einmal wöchentlich statt. Auch auf Kundgebungen und Demonstrationen war er dabei. Die Richterin Adlhoch möchte wissen, was es mit den Waffen auf sich hatte.

Anmerkung: Von fünf anwesenden Justizwachtmeistern, spielen drei an ihrem Handy, einer hat die Augen zu und einer passt auf.

Stephan Ernst berichtet, dass er einige Waffen besaß, aber auch etliche verkauft hatte. Zum Beispiel an seine Arbeitskollegen. (Die werden sicher hier noch als Zeugen zu hören sein). Insgesamt ging es um eine allgemeine Waffen-Aufrüstung, damit man wehrhaft ist. Richter Dr. Rohde möchte wissen, wann der Entschluss gefasst wurde, Dr. Lübcke zu erschießen. Stephan Ernst sagt, nach einer Beratung mit seinem Anwalt Mustafa Kaplan, aus, dass dieser Entschluss im April 2019 während eines Gespräches mit Markus H. auf dem Parkplatz der Firma SMA in Kassel gefasst wurde. Nun werden Bilder vom Firmengelände des damaligen Arbeitgebers von Stephan Ernst, der Firma Hü., gezeigt. Es geht um den genauen Platz der vergrabenen Waffen. Stephan Ernst erklärt die Fotos. Zuerst sehen wir eine umfangreiche Verpackung der einzelnen Waffen. Danach die einzelnen Schritte der Ausgrabung. Dann wird Stephan Ernst zu einem Vorfall am 6. Januar 2016 befragt. Hier hat er vor einem Edeka-Geschäft ein Wahlplakat der Grünen zertreten. Stephan Ernst macht hierzu keine Einlassung. Weiter fragt Richter Dr. Koller nach dem Threema-Chat mit Alexander SCH. Dieser Chat war nur technischer Art und hatte nichts mit Dr. Lübcke zu tun.

Nach der Mittagspause bittet der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel den Psychologischen Sachverständigen Prof. Dr. Norbert Leygraf ein kurzes Gutachten zu der Aussagetüchtigkeit des Angeklagten Stephan Ernst zu geben. Dieser erklärt, dass er bei seiner Exploration keine psychischen Erkrankungen bei dem Angeklagten festgestellt hat. Angst- und Depressionzustände während der U-Haft und unter dem Eindruck einer Mordanklage sind keine Anzeichen auf eine psychische Krankheit. Es liegen auch keine Hirnschäden vor. Daher sieht er keine Begründung dafür, dass sich das Gericht eines Psychologen für Aussagefähigkeit bedienen sollte. Verteidigerin Nicole Schneiders, die diesen Antrag gestellt hatte, möchte eine Beratungspause. Nach der Pause stellt sie Fragen an den Zeugen Prof. Dr. Leygraf zur Borderlinestörung des Angeklagten Stephan Ernst. Dieser sagt aus, dass diese Störung niemals bei Stephan Ernst festgestellt worden ist und auch er hat keine Hinweise darauf gefunden. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer gibt eine Stellungnahme zu dem o.a. Antrag von Nicole Schneiders ab. Er plädiert für die Ablehnung des Antrages, da die Aussage von Prof. Dr. Leygraf keine Notwendigkeit eines speziellen Psychologen für Aussagefähigkeit vorgesehen hat. Grundsätzlich hat das Gericht die notwendige Sachkunde.

Gegen 14:00 Uhr beginnt Oberstaatsanwalt Dieter Killmer die Befragung des Angeklagten Stephan Ernst. Er möchte wissen, was Stephan Ernst mit der so genannten "Prapper-Szene" (Überlebenstraining) zu tun hatte. Im Großen und Ganzen nichts, er hat sich nur Filme dazu bei YouTube angeschaut. Zum Schießen war er mit Markus H. ca. zehn Mal im Wald und noch einige Male in Schützenvereinen (Sandershausen und Grevenstein Germania). Auch Frau D. war mehrmals mit dabei. Den Kontakt zu Alexander Sch. hat er über Markus H. erhalten. Auf die Frage, was die beiden denn miteinander verband, sagt er: „eigentlich nichts“. Alexander Sch. war ein Freund von Markus H. Er hat für Alexander Sch. ein paar Metallteile gefräst. Er war auch bei einigen Demos dabei. Auch der Oberstaatsanwalt möchte wissen, wie oft Stephan Ernst am Haus von Dr. Lübcke war. Stephan Ernst wiederholt seine Aussage von vorhin.

Nun geht es um die Wärmebildkamera. Oberstaatsanwalt Killmer möchte wissen, wo er die Kamera gekauft hat. Gekauft wurde sie bei Frankonia in Kassel; so die Antwort. Sie ist von der Kripo beschlagnahmt worden. Am Tatort selbst, hatte er sie für ca. 3-4 Minuten eingesetzt. Bevor sie Dr. Lübcke auf der Terrasse entdeckt hatten, standen sie ca. 30 Minuten vor dem Haus. Oberstaatsanwalt Killmer fragt nach, warum er in seinem ersten Geständnis auch zur Waffenmitnahme gelogen hat. Stephan Ernst teilt mit, dass er das heute auch nicht mehr rational nachvollziehen kann, warum er in seinem ersten Geständnis so übertrieben hat. Er wollte sein Geständnis damit glaubwürdiger machen. Der Entschluss gegen Dr. Lübcke vorzugehen, wurde schon im April 2016 getätigt. Weiter möchte er wissen, wie der Entwicklungsweg vom Vorhaben, Dr. Lübcke "zur Rede zu stellen", "Scheiben einwerfen", "schlagen" bis zum Mord war. Markus H. hatte den Mord als Erster vorgeschlagen. Stephan Ernst wird weiter nach der genauen Organisation der Tat gefragt und warum nicht beide bewaffnet waren, das wäre doch noch bedrohlicher gewesen.

Anmerkung: Bevor Stephan Ernst antwortet berät er sich mit seinen Anwalt Mustafa Kaplan.

Die Antwort ist, dass einer (Markus H.) Dr. Lübcke schlagen und der andere (Stephan Ernst) auf ihn schließen sollte. Warum das so nicht geschehen ist und Markus H. nicht auf Dr. Lübcke eingeschlagen hat, kann er sich nur damit erklären, dass Markus H. gehemmt war. Die Stimmung nach der Tat im Kfz war aufgedreht. Oberstaatsanwalt Killmer möchte, dass Stephan Ernst die Armbewegung von Markus H., die dieser kurz vor dem Angriff auf Dr. Lübcke als Zeichen zum Start gemacht hat, noch einmal wiederholt. Dazu steht Stephan Ernst auf und führt die Bewegung mehrmals vor.

Anmerkung: Hierzu dreht sich (erstmalig) Markus H. zu Stephan Ernst um und beobachtet ihn dabei.

Oberstaatsanwalt Killmer möchte wissen, warum es zwischen den beiden nach dem Mord an Dr. Lübcke keine Kommunikation gab. Stephan Ernst kann diesen Umstand nicht ausreichend erklären.

Anmerkung: Wir "Nicht-Täter" versuchen, uns solche Umstände immer rational zu erklären, da wir "Nicht-Täter" dies so machen würden. Täter sind schon deshalb nicht rational, weil sie Täter sind. Daher ist ein Vergleich unserer Verhaltensmuster hier nicht angesagt.

Oberstaatsanwalt Killmer fragt Stephan Ernst, warum er bei seiner letzten schriftlichen Einlassung ausgesagt hat, dass der Waffeneinsatz eine Alternative gewesen ist und dann später nach Befragung durch die Richter gesagt hat, dass schon seit April 2019 feststand, dass auf Dr. Lübcke geschossen werden soll. Stephan Ernst teilt mit, dass die schriftliche Einlassung nur eine Vorformulierung war und er es dann mündlich klargestellt hat.

Ende der Verhandlung 15:17 Uhr

Bildquelle: Frank Röth / F.A.Z./ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 9. Verhandlungstag

7. August 2020, Beginn 10:00 Uhr.

Nachdem Markus H. kurz vor Verhandlungsbeginn in den Saal geführt wird, spricht er unmittelbar mit seinen beiden Verteidigern. Sie unterhalten sich angeregt, die Stimmung ist gut und es wird gelacht. Auch Stephan Ernst spricht sofort mit seinem Verteidiger Mustafa Kaplan. Er macht allerdings, wie meistens, einen sehr angespannten Eindruck.

Zu Beginn meldet sich Mustafa Kaplan zu Wort und teilt mit, dass es möglicherweise dazu kommen könnte, dass es zu einer teilweisen Entbindung der Schweigepflicht für Rechtsanwalt Waldschmidt sowie Rechtsanwalt Frank Hannig kommen könnte. Stephan Ernst hatte in seinem gestrigen Geständnis darum gebeten in ein Aussteiger-Programm aufgenommen zu werden. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Stephan Ernst zuerst dem Bundeskriminalamt alles über seine Taten und Kenntnisse über die rechte Szene erzählen muss.

Richterin Adlhoch beginnt damit, die Befragung von gestern fortzusetzen. Sie fragt nach der Tatwaffe. Es war ein Rossi-Revolver, 38er Kaliber. Diese Waffe hat er 2017 von Johann W. erworben. Johann W. wurde er 2015 durch Markus H. auf dem Kassler Flohmarkt/Messehallen vorgestellt. Es ging den beiden Angeklagten darum sich zu bewaffnen, um für einen Bürgerkrieg vorbereitet zu sein. Mit dieser Waffe hatte er vorher in einem Wald nahe dem Rastplatz Kassel auf eine Merkel-Zielscheibe geschossen. Nun wird er nochmals zum Tatablauf befragt. Stephan Ernst sagt aus, dass man sich am 1.6.2019 in Kassel an der Waschstraße Woki getroffen hat. Diese liegt etwas abseits der Straße in einem Industriegebiet. Dort haben sie die Kennenzeichen an seinem Kfz gewechselt. Mitte Mai gab es konkrete Vorgespräche. Auf Nachfrage gibt Stephan Ernst bekannt, dass schon Mitte April das endgültige Gespräch mit Markus H. geführt worden war. In diesem Gespräch wurde beschlossen, dass Dr. Lübcke angegriffen werden sollte. Markus H. hat bestimmt, dass eine Waffe mitgenommen werden soll. Markus H. wollte Dr. Lübcke sagen, dass es "Zeit zum Auswandern sei" und zu Stephan Ernst sagte er, dass er schießen soll. Das Gericht interpretiert den Satz "Zeit zum auswandern" auch als "Zeit zu gehen/aus dem Leben treten". Stephan Ernst bestätigt das nicht, sondern sieht den Spruch als Anspielung zur Bürgerversammlung 2015 im Lohfelden. Dort hatte Dr. Lübcke in seiner Ansprache gesagt, dass diejenigen, die mit seiner Einwanderungspolitik nicht einverstanden wären, auswandern könnten. Das Auto von Markus H. wurde auf dem Parkplatz Fressnapf in Istha abgestellt. Dort haben sie weitere Details besprochen. Stephan Ernst beschreibt nochmals das Tatgeschehen. Dr. Lübcke hat sie vor dem Haus gesehen, aber nicht weiter beachtet. Markus H. sagte: "Los wir machen das jetzt und wenn er „auf blöd" macht, dann schießt Du." Der Vorsitzende Richter fragt Stephan Ernst, warum sie sich nicht maskiert hätten. Stephan Ernst sagt, dass Masken auffälliger gewesen wären. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel mutmaßt, dass die Masken nicht als notwendig erachtet worden waren, weil klar war, dass Dr. Lübcke erschossen werden sollte. Nach Beratung mit seinem Anwalt, bestätigt Stefan Ernst den Mordplan.

Anmerkung: Erstmalig schaut sich Markus H. nach Stephan Ernst um; dreht danach seinen Kopf wieder nach vorne und lächelt vor sich hin.

Stephan Ernst beschreibt nochmals die Schussabgabe. Beide sind getrennt auf die Terrasse gelaufen. Dr. Lübcke wurde gesagt er solle sich nicht bewegen. Markus H. sagte ihm, dass es nun "Zeit zum Auswandern sei". Danach wollte sich Dr. Lübcke aus dem Stuhl erheben und Stephan Ernst stieß ihn an der Schulter zurück.

Anmerkung: Durch diese Berührung sind DNA-Spuren von Stephan Ernst auf dem Pullover von Dr. Lübcke gefunden worden. Mit Handschuhen wäre das nicht passiert.

Daraufhin schrie Dr. Lübcke: "Verschwinden Sie!" Nun wollte er sich nochmals aus seinem Stuhl erheben. Daraufhin schoss Stephan Ernst auf Dr. Lübcke. Die Tatzeit wurde absichtlich parallel zum Zeitraum der Kirmes gewählt. Sie dachten, sie würden dadurch nicht auffallen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass Dr. Lübcke anzutreffen ist, war sehr hoch. Stephan Ernst meinte, dass er Dr. Lübcke in den Kopf geschossen hatte. Danach sind sie zurück zur Waschanlage gefahren und haben die Kennzeichen wieder abmontiert. Beide fuhren dann zum Haus von Stefan Ernst, da er dort noch ein Gewehr K 98 hatte. Dieses wollte Markus H. entsorgen. Er reinigte die Tatwaffe und versteckte sie in seinem Büro. Dort hatte er nach einem Umbau einen Schrank versteckt in eine Wand eingebaut. Hier lagerte ein weiterer Revolver, ein Kleinkalibergewehr, eine Schrotflinte, eine Uzi, eine 1911 Pistole und die jeweiligs passende Munition dazu. Er hat sich in seinem Büro umgezogen und die Sachen dort abgelegt. Dann hat er geduscht und wollte schlafen gehen. Dies gelang ihm nicht. Dass Dr. Lübcke tot ist, hat Stephan Ernst in der Nacht um ca. 3 Uhr über die Nachrichten in seinem Smartphone mitbekommen. Markus H. hatet ihm ebenfalls davon berichtet (über den Messenger-Dienst Threema). Wegen der Ortungsmöglichkeit der Telefon hatten sie besprochen, die Handys zu Hause zu lassen. Auch war es für ein Alibi besser so. Den Chatverlauf mit Markus H. hat er einen Tag später gelöscht; so wie es auf der Rückfahrt am Tattag abgesprochen war. Der Richter Dr. Koller fragt nach weiteren informierten Person. Hierauf greift Mustafa Kaplan in die Befragung ein und es gibt eine sofortige Pause.

Anmerkung: Dieses Eingreifen ist unbedingt notwendig gewesen, da das ein kritischer Befragungspunkt ist. Wenn noch mehr Personen in die Tat involviert gewesen sind, kann es sich auch um eine terroristische Vereinigung gehandelt haben.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass Stephan Ernst nach der Beratungspause mit seinem Verteidiger die Frage nach weitere beteiligten Personen verneint. Am Sonntag nach der Tat hat er sich um das Verbringen seiner Waffen gekümmert und am Vormittag war er im Schützenverein zum Bogenschießen. Die Waffen waren inzwischen in seinem Zweitwagen (Skoda) abgelegt. Mit diesem ist er zur Arbeit gefahren und hat dort die Waffen während einer Pause gegen 2 Uhr morgens auf dem Firmengelände vergraben. Sein Kollege L. hat für ihn "Schmiere gestanden“. Einen weiteren Kollegen und Freund hat er gebeten, ihm für diesen Tatabend ein Alibi zu verschaffen. Diesem sagte er, dass er Blödsinn gemacht hätte, weil er sich mit jemandem eingelassen hat. Als Alibi wollte man sagen, dass sie in Kassel waren, um dort ein Bier zu trinken. A. hat dem zugestimmt. Seine Kleidung der Tatnacht hat er später in einem Müllcontainer entsorgt. Er hatte vermutet, dass an dieser Kleidung Spuren gefunden werden könnten. Am Donnerstag nach der Tat wollte er sich ursprünglich mit Markus H. im Schützenverein treffen. Dort haben sie sich allerdings verpasst und er hat nicht mehr mit ihm gesprochen, bis zu seiner Verhaftung nicht. Markus H. lernte er 2003 auf einer Demonstration der rechten Szene kennen. Danach näherten sie sich an und waren kameradschaftlich verbunden. Sie haben sich viel über Politik unterhalten. Nach einer Demonstration 2009 in Dortmund hatte sich Stephan Ernst aus der rechten Szene losgesagt. 2014 hat er Markus H. über eine Fremdfirma an seinem Arbeitsplatz wieder getroffen. Sie freundeten sich wieder an. Über Markus H. kam er in den Schützenverein.

Anmerkung: Mustafa Kaplan gibt bekannt, dass sein Mandant müde ist und fragt nach einer Mittagspause. Das Gericht teilt daraufhin mit, dass noch ca. eine halbe Stunde verhandelt und gefragt werden soll, danach wird der heutige Verhandlungstag beendet.

Mit Markus H. traf er sich mindestens einmal pro Woche. Das Thema Schießen wurde immer intensiver. Markus H. war Waffen- und Militaryaffin. Johann W. wurde ihm von Markus H. vorgestellt. Bei W. kaufte er sich seine Waffen. Markus H. hatte ihn 2015 auch mit zur Bürgerversammlung nach Lohfelden genommen.

Ende der Verhandlung 13:02 Uhr

Bildquelle: unbekannt; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 8. Verhandlungstag

5. August 2020, Beginn 10:00 Uhr.

Heute ist vorgesehen, dass Stephan Ernst seine Einlassung zur Tat und weiteres abgibt. Ich denke nicht, dass er persönlich spricht, sondern dass sein Verteidiger vorlesen wird. Kurz vor 10:00 Uhr betreten die Parteiangehörigen nach und nach den Gerichtssaal. Auch der neue Pflichtverteidiger von Stephan Ernst ist dabei. Es ist ein Kanzleikollege von Mustafa Kaplan, Herr Jörg Hardies. Er ist komplett in schwarz gekleidet. Ebenso betritt Familie Lübcke den Gerichtssaal. Auch der Angeklagte Markus H. wird in den Saal geführt; 2 Minuten später der Angeklagte Stephan Ernst. Er hat zwei dicke Ordner dabei.

Anmerkung: Familie Lübcke steht jedes Mal wartend auf ihren Plätzen bis der Senat einzieht. Dabei müssen Sie automatisch den Angeklagten gegenüber stehen. Es ist sicher schwer auszuhalten, den oder die Mörder des Ehemannes und des Vaters ca. 8 bis 9 Meter vor sich zu sehen.

Der Verhandlungstag beginnt. Zuerst gestattet der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel dem Angeklagten Markus H. einen Laptop zu benutzen. Dieser möchte die Dateien zum Prozess mitlesen. Dieser Laptop ist speziell von der Generalbundesanwaltschaft präpariert, so dass man auf diesem Laptop nur abgespeicherte Dateien lesen kann. Es ist nicht möglich diese zu bearbeiten, zu verändern, mit dem LapTop Fotos aufzunehmen oder gar online zu gehen. Nun stellt Dr. Björn Clemens einen Ablehnungsantrag gegen den Vorsitzenden Richter. Er beanstandet, dass Auszüge aus der Video-Vernehmung mit Stefan Ernst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und bei YouTube zu sehen waren. Hierbei wurde gegen etliche Gesetze verstoßen, insbesondere gegen das Persönlichkeitsrecht von Stephan Ernst. Die Video-Ausschnitte können nur aus „Dienstvergehen“ stammen. Es ist auch kein Dokument der Zeitgeschichte und er befürchtet, dass zukünftige Zeugen, die dieses Video bereits gesehen haben, dadurch beeinflusst werden könnten. Er wirft dem Senat Untätigkeit vor und daher sei der Vorsitzende Richter abzulehnen. Weiter teilt er mit, dass sein Mandant Markus H. den Vorsitzenden Richter für voreingenommen hält. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer gibt hierzu eine Stellungnahme ab. Er bestätigt, dass er die Veröffentlichung von Ausschnitten der Vernehmung auch nicht gut findet. Allerdings stellt er fest, dass eine Befangenheit des Vorsitzenden Richters nicht vorliegt. Das Gericht ist nicht zuständig für mögliche Vergehen in diesem Zusammenhang. Es geht um Urheberrechte, die nicht beim Gericht liegen; daher ist der Antrag abzulehnen. Die Nebenkläger folgen dieser Stellungnahme. Der Verteidiger von Stephan Ernst, Herr Mustafa Kaplan möchte hierzu keine Stellungnahme abgeben.

Um 10:29 Uhr erfolgt die lang erwartete Einlassung des Angeklagten Stephan Ernst. Wie erwartet liest Mustafa Kaplan die Einlassung vor. Ob Stephan Ernst heute noch Fragen beantwortet, wird sich erst im Laufe des Tages ergeben. Die einzelnen Punkte der Einlassung werden wie folgt vorgelesen.

1. Stephan Ernst fällt es schwer hier zu sprechen. Er hat mit seiner Tat Menschen verletzt und will nun den Anspruch erfüllen, diesen Menschen zu berichten, was passiert ist.

2. Stephan Ernst teilt seine persönlichen Daten wie Geburtsdatum, Geburtsort, Eltern, Geschwister, Kinder, Güterstand, etc. mit.

3. Der Vater von Stephan Ernst war schwerer Alkoholiker und gewalttätig. Er hat bei ihm keine Fürsorge erhalten, sondern man hat sich in der Familie nur gestritten. Er wurde oft brutal von seinem Vater und geschlagen, die Mutter ebenso. Als er etwa 12 Jahre alt war, hat er ständig mit einem Messer im Bett geschlafen. Er hatte auch den Gedanken, seinen Vater umbringen zu wollen. Das Verhalten seines Vaters hat in ihm Todesängste ausgelöst. Er hat dadurch einen psychischen Schaden erlitten. Hauptsächlich wollte er seine Mutter schützen.

4. Mit 7 Jahren ist er in die Grundschule gekommen und hatte dort einen türkischen Schulfreund. Als sein Vater davon erfährt, hat er ihm den Kontakt verboten und er wurde dafür verprügelt.

Anmerkung: Markus H. hört bedächtig zu, Stephan Ernst weint.

5. Später fand Stephan Ernst keine Freunde mehr, er hatte auch kein Selbstvertrauen mehr. Weihnachten hasste er, weil sein Vater an Weihnachten immer alle zusammen schlug. Als er neun Jahre alt war, verletzte er sich immer selbst um überhaupt noch etwas zu spüren.

6. Früher provozierte er in seinem Freundes- und Bekanntenkreis immer Schlägerreien. Die Folge war, dass er keine Freunde mehr hatte.

7. Sein Vater hatte eine starke Abneigung gegen Ausländer. Diese übernahm er, damit er dem Vater näher war. Sein Vater war SPD-Wähler. In der Schule bekam er oft Prügel von Türken. Die erste Lehre als Maurer hat er abgebrochen. Die zweite Lehre als Holztechniker nicht. Später hatte er wieder einen türkischen Freund, bis dieser ihn bei der Polizei betreffend einiger Einbrüche verriet. Er war an einem Messer-Angriff und an einem Sprengstoff-Anschlag auf ein Kfz in einem Flüchtlingsheim beteiligt. Daraufhin musste er ins Gefängnis. Dort wurde er politisch radikalisiert. Später nahm er auch Drogen. Über die NPD bekam er Kontakt zu der Kameradschaft-Kassel und weiteren rechtsradikalen Gruppen. Er empfindet sich nicht als Nazi. Nachdem er Mitte 2009 an einer Demonstration in Dortmund teilgenommen hat, stieg er aus der rechten Szene aus. Danach machte er aufgrund seiner Angstzustände eine Therapie. Markus H. kannte er aus dieser Zeit.

8. 2006 starb sein Vater mit 55 Jahren an Leberzirrhose. Er selbst hat als Vater gegenüber seinen Kindern Selbstzweifel.

9. 2014 hatte er erneut Kontakt zu Markus H. Diesen hat er bei der Arbeit in seiner Firma wiedergetroffen. Sie freunden sich an. Markus H. bot ihm an, mit ihm zum Schützenverein zu gehen. Dort konnte man Bogenschießen. Markus H. wurde sein Mentor. Er lenkte die Gespräche. Diese wurden immer politischer. Sie sprachen auch über Waffen und dass es bald bürgerkriegsähnliche Zustände in Deutschland geben wird. Sie führten im Wald Schießübungen durch. Markus H. war dominant und der Wortführer.

Anmerkung: Markus H. verzieht zwischendurch immer wieder das Gesicht oder lächelt hämisch vor sich hin.

Er war emotional von Markus H. abhängig. Vieles drehte sich um Waffen und sie waren oft gemeinsam auf Flohmärkten. Markus H. brachte für weitere Schießübungen eine Zielscheibe mit dem Gesicht von Angela Merkel und dem von Dr. Walter Lübcke mit.

Anmerkung: Während des Vorlesens lachen Markus H. und sein Verteidiger Dr. Clemens sich an. Auch dieses Verhalten ist eine große Geste der Respektverweigerung gegenüber der Familie Lübcke. Diese sitzt ihnen direkt gegenüber und bekommt das Verhalten natürlich unmittelbar mit.

Man hat sich überlegt die Merkel anzugreifen. Marcus H. sagte, dass Walter Lübcke leichter zu kriegen wäre. Immer wieder sagte er, dass Lübcke ein Volksverräter sei und man leicht an ihn „ran kommen“ könnte.

10. Am Tattag bereiteten sie sich entsprechend vor. Sie wechselten die Kfz-Kennzeichen an seinem Kfz. Dazu trafen sie sich gegen 21 Uhr in Kassel an der Waschanlage Woki. Die Waffe brachte er mit. Gegen 22:10 Uhr kamen sie in Istha an. Sie fuhren zuerst zu einem Parkplatz am Ortseingang und besprachen sich dort noch einmal etwa 20 Minuten. Sie hatten schon im April 2019 besprochen, dass sie entweder schlagen oder schießen werden. Gegen 22:30 Uhr parkten sie am Ende der Wohnstraße der Familie Lübcke und gingen zur Pferdekoppel. Er bemerkte eine Person auf der Terrasse und das Licht eines Smartphones. Markus H. hatte Dr. Lübcke ebenso erkannt. Sie gingen getrennt in Richtung Terrasse. Markus H. forderte ihn auf eventuell zu schießen. Markus H. war zuerst bei Dr. Lübcke. Er selbst spannte den Hahn am Revolver vor. Als Dr. Lübcke ein zweites Mal versuchte sich aus dem Stuhl zu erheben, schoss er. Dr. Lübcke sank in den Stuhl zurück. Danach liefen sie zum Auto und fuhren wieder zurück zur Waschanlage. Beide fuhren zum Haus von Stephan Ernst. Dort hatte er noch eine Langwaffe aufbewahrt, die Markus H. entsorgen wollte. Er selbst versteckte die Tatwaffe.

Anmerkung: Markus H. schreibt viel mit. Stephan Ernst hat sich inzwischen wieder gefangen.

11. Mit dem Messerangriff auf den irakischen Staatsbürger Esmail hat er nichts zu tun.

12. Er teilt der Familie Lübcke mit, dass sein Verhalten falsch war und es ihm leid tut. Dies wiederholt er dreimal. Niemand sollte seiner Meinung nach sterben, nur weil er eine andere Meinung hat. Sein Handeln war falsch.

13. Bei der Vernehmung am 25.6.2019 hat er ausschließlich auf den Rat seines damaligen Rechtsanwaltes Waldschmidt gehört. Dieser hatte ihm gesagt, dass er Marcus H. komplett raushalten muss. Bei den Vernehmungen am 8. Januar und am 5. Februar 2020 hat er ausschließlich auf seinen damaligen Verteidiger Frank Hannig gehört. Dieser hatte ihm geraten, Markus H. zu beschuldigen.

14. Er wendet sich an das Gericht und teilt mit, dass er an einem Aussteiger-Programm teilnehmen möchte.

15. Stephan Ernst beklagt, dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie hat. Seit seiner Festnahme möchte seine Tochter ihn nicht mehr sehen.

Anmerkung: Familie Lübke scheint gefasst zu sein. Auf Bitten der Verteidigung von Stephan Ernst folgt eine 30-minütige Pause. Beide Parteien sprechen miteinander. Die Verteidiger von Markus H. werden sicherlich mit ihm das erneute Geständnis durchsprechen um eventuelle Lügen zu entlarven.

Anmerkung: Ob sich die Angaben aus der Einlassung alle als wahr bestätigen, ist kaum zu glauben. Es fühlt sich noch wie ein taktisches Geständnis an. So etwas geht meistens „in die Hose“.

Nach der Pause gibt der Verteidiger Mustafa Kaplan bekannt, dass sich sein Mandant Stephan Ernst nicht in der Lage sieht, Fragen zu beantworten. Dies möchte er auf den nächsten Verhandlungstag verschoben wissen. Stephan Ernst möchte nur Fragen des Senats, der Generalbundesanwaltschaft und der Nebenklage der Familie Lübcke, sowie dem psychologischen Sachverständigen beantworten. Der Vorsitzende Richter möchte gerne den Rest des Tages nutzen, um den Angeklagten Stephan Ernst zu seiner Einlassung zu befragen. Er fragt den Verteidiger Mustafa Kaplan ob es möglich sei, dass sich sein Mandant heute zumindest zum Tatgeschehen und zum Ablauf vor Ort äußern könnte. Diesem Vorschlag stimmt Stephan Ernst zu. Fragen der Verteidiger von Markus H. möchte er ausdrücklich nicht beantworten.

Nach der Pause beginnt der Vorsitzende Richter, Stephan Ernst über die Ausspähungsphase zu befragen. Diese Fragen beantwortet Stephan Ernst persönlich. Die erste Ausspähung hat er bereits am 1. Februar 2016 mit Markus H. durchgeführt. Die nächste Ausspähung war dann im März oder April 2017. Die hat er alleine durchgeführt. Die Ausspähung 2017 hat er mit dem Kfz eines Kollegen durchgeführt. Zu dieser Zeit war Kirmes in Istha. Im April 2018 hat er eine weitere Ausspähung zusammen mit Markus H. durchgeführt. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel spricht ihn auf die Mitnahme einer Wärmebildkamera an und auf ein Foto, welches am 1.6.2019 aufgenommen wurde. Stephan Ernst berichtet, dass er dieses eine Foto versehentlich gemacht hat. Die Wärmebildkamera hat er nur zur Identifizierung von Personen, die im Dunkeln stehen, mitgeführt. Hiernach wird direkt am Richtertisch eine Inaugenscheinnahme von Fotos des Hauses und der Umgebung durchgeführt. Die Fotos zeigen unterschiedliche Perspektiven des Hauses der Familie Lübcke. Stephan Ernst begibt sich zum Richtertisch und erläutert alles ausführlich.

Anmerkung: Markus H. bleibt auf seinem Platz sitzen. Man kann über Mikrofon alles hören was Stephan Ernst erklärt und über Monitor auch die Fotos sehen.

Anmerkung: Dass Stephan Ernst bereits am 31. Mai 2019 am Tatort gewesen sein soll, wurde ihm in einer früheren Vernehmung schon einmal vorgeworfen. Die Frage ist, woher diese Erkenntnis kommt. Kann sie über das unbeabsichtigte Foto aus der Wärmebildkamera abgeleitet werden und ist dabei das Speicherdatum in der Kamera entsprechend beachtet worden?

Stephan Ernst schildert das Tatgeschehen mit eigenen Worten sehr genau. Das Anschleichen der beiden Täter, sowie die beiden Positionen der Täter auf der Terrasse und auch den Moment der Abgabe des Schusses. Diesen Moment führt Stephan Ernst vor. Er spielt die Rolle von Dr. Lübcke und nimmt dazu in einem Gerichtsstuhl Platz. Nur zweieinhalb Meter entfernt sitzt Familie Lübcke und muss sich diese Szene anschauen. Nach der Abgabe des Schusses hieß es: „Los, abhauen“ und beide sind weggerannt. Als ihnen auf dem Rückweg zu ihrem Kfz drei Personen entgegen kamen gingen sie nur noch schnellen Schrittes. Gesprochen haben sie nicht. Die Waffe hatte er in seine Hosentasche gesteckt. Sie wollten auch herauszufinden, welches Auto Dr. Lübcke fährt. Man hatte die Idee, das Auto zu beschädigen und mit einem Drohschreiben zu versehen. Das Gericht hat noch weitere Fragen zum Umfeld des Hauses und die jeweiligen Anfahrtswege der Täter. Richterin Adlhoch möchte noch mal alles ganz genau zu den einzelnen Ausspähungsfahrten wissen. Die Daten werden durcheinandergebracht und Stephan Ernst muss mehrmals alles wiederholen.

Anmerkung: Die Frage-Methode ist taktisch gut gewählt und natürlich sind die Daten alle bekannt. Das Durcheinanderbringen ist Absicht, um herauszufinden, ob Stephan Ernst immer wieder die gleiche Antwort gibt und damit vielleicht die Wahrheit sagt, oder ob er lügt.

Stephan Ernst sagt weiter aus, dass Markus H. auch mal alleine in Istha ausgespäht hat, um herauszufinden, welches Kfz Dr. Lübcke fährt. Hierzu war Stephan Ernst auch zum Regierungspräsidium nach Kassel gefahren und hat dort nachgeschaut. Auf Befragen der Richterin sagt Stephan Ernst, dass er am 01.06.2019 zum ersten Mal mit Waffe dort war. Sie sollte nur zur Einschüchterung dienen. Der Senat möchte genau wissen, wozu die Waffe gebraucht werden sollte. Eventuell sollte ein Warnschuss abgegeben werden und die Waffe hätte bedrohlich wirken sollen, antwortet Stephan Ernst. Ein gezielter Schuss sollte nicht abgegeben werden. Die Entscheidung, auf Dr. Lübcke zu schießen, hatte er letztendlich selbst getroffen. Auch Richter Dr. Koller möchte es nun genau wissen. Er möchte wissen, in welchem Ausmaß es vorab besprochen war, das auf Dr. Lübcke geschossen werden sollte. Nun bittet Mustafa Kaplan um eine kurze Beratungspause mit seinem Mandanten. Nach der Pause teilt Stephan Ernst mit, dass die Entscheidung, die Waffen gegen Dr. Lübcke einzusetzen, von beiden geplant war. „Auf jeden Fall.“ Danach geht es dem Gericht noch einmal um eine Armbewegung von Markus H., von der Stephan Ernst berichtet hatte. Kurz vor dem Laufen auf die Terrasse hat Markus H. eine Bewegung mit dem Arm gemacht. In der Art wie ein Zeichen: Los jetzt. Dies war das Zeichen zur Aufforderung zum Loslaufen. Stephan Ernst sagt aus, wenn Markus H. diese Armbewegung nicht gemacht hätte und danach nicht unverzüglich losgegangen wäre, wäre auch er nicht sofort losgegangen. Er hätte die Tat auch nicht alleine begangen. Der Vorsitzende Richter fragt Stephan Ernst, warum er geschossen hat und was er sich dabei gedacht hat. Stephan Ernst antwortet, dass er aufgrund der Situation, dass Dr. Lübcke keine Angst gezeigt hat, sehr aufgewühlt und wütend war. Weiterhin hatte er Angst, dass jemand kommt und sie entdecken würde. Deshalb hat er geschossen. Damit ist die richterliche Befragung für den heutigen Verhandlungstag beendet.

Die Verteidigerin von Markus H., Frau Nicole Schneiders stellt einen Antrag. Der psychologische Sachverständige möchte seine Begutachtung über Stephan Ernst um den Punkt der Aussagefähigkeit erweitern. Sie teilt mit, dass es keine objektiven Beweise für die Mittäterschaft ihres Mandanten gibt. Es gibt nur den Zeugenbeweis von Stephan Ernst. Seine Glaubwürdigkeit muss überprüft werden, um so ein Fehlurteil zu verhindern. Der Vorsitzende Richter stellt fest, dass die heutige Aussage von Stephan Ernst anders ist, als die erste und die zweite es waren. Er will von ihm wissen, ob sein ehemaliger Verteidiger Frank Hannig die heutige Aussage kennen würde. Stephan Ernst teilt mit, dass sich das zweite Geständnis Frank Hannig ausgedacht hat. Er wollte dadurch den Mitangeklagten Markus H. zu einer Aussage drängen.

Ende der Verhandlung 14:54 Uhr

Bildquelle: Jan Huebner / Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 7. Verhandlungstag

28. Juli 2020, Beginn 10:16 Uhr

Heute ist der Medien- und Zuschauerbereich wieder komplett voll besetzt. Alle warten sicherlich auf die Entscheidung des Gerichts zur Entpflichtung des Verteidigers Frank Hannig.

Der Angeklagte Markus H. wird in den Saal geführt und unterhält sich direkt mit seinen beiden Anwälten. Die Atmosphäre ist entspannt, es wird viel gelacht. Danach wird Stephan Ernst in den Saal geführt. Frank Hannig zeigt Stephan Ernst sofort eine Ausgabe der Bild Zeitung - wahrscheinlich die aktuelle Tagesausgabe mit dem Bericht zum Prozeß - und einen Eintrag auf seinem iPad. Er redet eindringlich auf Stephan Ernst ein. Stephan Ernst schaut skeptisch und nachdenklich. Als Mustapfa Kaplan plötzlich den Saal betritt bricht Frank Hannig sein Gespräch mit Stephan Ernst ab und versteckt die Bild Zeitung und sein iPad unter einer Akte. Mustafa Kaplan fordert ihn eindringlich auf nicht mehr mit Stephan Ernst zu sprechen. Frank Hannig geht daraufhin zum Rechtsanwalt Dr. Clemens (Verteidiger von Markus H.) und redet mit ihm. Hierfür erntet er Unverständnis und Kopfschütteln.

Der Verhandlungstag beginnt und der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel teilt einen Beschluss mit: die Bestellung von Rechtsanwalt Frank Hannig als Pflichtverteidiger von Stephan Ernst wird hiermit aufgehoben, da der Angeklagte kein Vertrauen mehr zu ihm hat. Stephan Ernst missbilligt die Anträge des letzten Verhandlungstages und gab bekannt, dass sie in keinster Weise mit ihm besprochen worden sind. Damit wird festgestellt, dass die Verteidigung durch Frank Hannig unsachlich ist und dem Angeklagten Stephan Ernst schadet. Es wird ein neuer Pflichtverteidiger bestellt. Um 10:22 Uhr ist Frank Hannig seiner Aufgabe entbunden und verlässt unverzüglich den Gerichtssaal.

Um 10:25 Uhr betritt der erste Zeuge des Prozesses den Zeugenstand. Es ist der jüngste Sohn von Dr. Walter Lübcke, Herr Jan-Hendrik Lübcke. Ordnungsgemäß wird er zur Wahrheitspflicht belehrt. Nachdem er seine persönlichen Daten wie Alter (30), Wohnort (Istha), etc. bekannt gegeben hat, spricht er über seine Lebenssituation. Er wohnt mit Frau und Kind im ersten OG des Elternhauses. Seine Mutter, und früher auch sein Vater, wohnen im Erdgeschoss. Der Keller und die Garagen werden gemeinsam genutzt. Seit 2009 ist er mit seinem Bruder und seinem Cousin Eigentümer der BLG Projekt GmbH, die sich mit Photovoltaikanlagen beschäftigt. Sein Vater hat zwischen Politik und Unternehmen immer strikt getrennt. Am Tattag selbst hat er am Kfz seiner Frau die Winterreifen gewechselt und war mit einem Freund Radfahren. Abends war er auf der Kirmes. Sein Bruder war mit seiner Frau ebenfalls dort. Die Eltern haben auf das Kind seines Bruders aufgepasst. Tagsüber arbeitete sein Vater im Garten und hat eine Probefahrt mit einem VW Tiguan durchgeführt. Am Sonntag wollten seine Eltern in einen Kurzurlaub fahren. Während der Dauer der Kirmes hängt er immer zwei große Strahler an die Vorderwand des Hauses. Das führt dazu, dass Besucher der Kirmes nicht aufs Grundstück laufen und dort ihren Unrat hinterlassen. Das Grundstück war bis zum Tattag noch nicht komplett eingezäunt, so dass es möglich war, sich ungehindert Zutritt zum Grundstück zu verschaffen.

Anmerkung: Schade, dass immer erst nach einem Verbrechen Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. Leider kommt dies immer wieder vor. Ich verstehe nicht, warum das so ist. Zumal Dr. Lübcke massiv bedroht wurde.

Die Terrasse selbst ist nur sehr schwach durch drei Wandleuchten beleuchtet. Bewegungsmelder gibt es keine.

Anmerkung: Es wird am Richtertisch eine „Inaugenscheinname“ einer Bildermappe vom Haus durchgeführt. Markus H. ist mit nach vorne getreten, um sich die Bilder anzuschauen. Stephan Ernst tat das nicht, schaut sich aber diese Szene interessiert an.

Jan-Hendrik Lübcke berichtet weiter, dass die Eltern üblicherweise im vorderen Bereich der Terrasse unter seinem Balkon saßen. Aus dieser Position konnten Sie auch den Straßenbereich einsehen. Er ist am 01.06.2019 um ca. 21:15 Uhr zur Kirmes gegangen und hatte sich vorgenommen keinen Alkohol zu trinken. Er trinkt schon länger keinen Alkohol. Am Sonntag war auch noch ein Ausflug geplant. Sein Vater saß wie üblich auf der Terrasse auf seinem Stammplatz und hatte Besuch. Auf der Kirmes hat er viele Bekannte und Freunde getroffen (Istha hat ca. 850 Einwohner); auch seinen Bruder und seine Schwägerin traf er dort. Der Geräuschpegel auf der Kirmes war hoch.

Anmerkung: Stephan Ernst und Markus H. schauen und hören Jan-Hendrik Lübcke interessiert und aufmerksam zu.

Gegen 0:23 Uhr ist er nach Haus gegangen. Für den Weg nach Hause benötigte er 2-3 Minuten. Am Haus angekommen hat er wahrgenommen, dass in der Küche noch Licht brannte. Alle anderen Fenster des Hauses waren mit Rollläden geschlossen. Die Küche hat eine Terrassentür nach außen, die oftmals nicht richtig verschlossen war. Das hat er seinen Eltern oft gesagt und sie gebeten doch darauf aufzupassen. Seinen Vater konnte er aus diesem Blickwinkel noch nicht sehen, u.a. wegen der hellen Strahler, in die er sehen musste. Er ging ins Haus, über den Flur in die Küche und von dort auf die Terrasse. Dann rechts um die Ecke zu den „Stammplätzen“ seiner Eltern. Dort sah er seinen Vater im Stuhl sitzend und dachte er würde schlafen. Der Kopf war nach hinten gekippt, an der Wand anglehnt, und der Mund war geöffnet. Die Hände waren beide nach außen liegend gerichtet. Links hielt er noch eine angezündete Zigarette in der Hand. Sein Vater sah für ihn ganz normal aus. Als er ihn wecken wollte, damit er ins Bett ging, berührte er ihn leicht und stellte fest, dass sein Vater sich kühl anfühlte. Sein Vater reagierte nicht. Er dachte sofort, dass sein Vater einen Herzinfarkt hatte und rief die 112 an. Über Telefon erklärte man ihm wie er seinen Vater reanimieren muss. Zunächst holte er ihn aus dem Stuhl und legte ihn vorsichtig auf dem Boden. Der Kontakt zur Rettungsstelle blieb ständig aufrecht. Nachdem die Rettungskräfte eintrafen, holte er seine Mutter und seine Frau dazu. Die Rettungskräfte brauchten etwas länger für die Anfahrt, da die Straße aufgrund der Kirmes zum Haus zugeparkt war. Seinen Bruder konnte er nicht erreichen. Über einen Freund, den er auf der Kirmes anrief, konnte sein Bruder verständigt werden. Dieser kam sofort nach Hause. Andere Familienangehörige kamen nach und nach dazu. Dass sein Vater blutete hatte er erst später bemerkt. Das Blut kam aus Nase und Mund. Auch das Blut an der Wand hatte er erst später gesehen. Das blutige Spritzmuster sah aus wie ein Tannenbaum. Etwa auf der Höhe von 60 cm. Die Reanimation durch den Notarzt dauerte ca. 40 Minuten. Auch der Notarzt konnte sich den Blutfluss nicht erklären: „Wo kommt denn das ganze Blut her?“ Dr. Walter Lübcke wurde ins Kreisklinikum nach Wolfhagen gefahren. Dort wurde der Tod festgestellt. Die Todesursache aber nicht. Da diese ungeklärt war, kamen zwei Kriminalpolizisten aus Kassel ins Krankenhaus. Einer der Polizisten rief ihn aus der Gruppe der Familie heraus und teilte ihm mit, dass ein Gegenstand im Kopf seines Vaters festgestellt worden war. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch nicht von einem Verbrechen gesprochen. Der Sohn berichtet weiter, dass sein Vater etwa 80-90 % der Abende auf seinem Stammplatz auf der Terrasse gesessen hat. Immer mit seinem iPad auf dem Schoß und einer Zigarette. Er beschreibt seinen Vater als gut, weltoffen, interessiert und motiviert. Die Aufgabe als Regierungspräsident war seine Erfüllung. Seine politische Einstellung war christlich konservativ - CDU. Er hat sich sehr für die Interessen von Flüchtlingen eingesetzt. Er hat die Familie über konkrete Drohungen nicht informiert. Ängstlich war er grundsätzlich nicht, aber nach dem Abend in Lohfelden (2015) war er beunruhigt. Im September 2019 wollte er in Rente gehen und sich der Familie widmen. Der Vorsitzende Richter fragt den Zeugen Jan-Hendrik Lübcke interessiert, was denn diese Tat mit der Familie gemacht hat. Die Familie wurde innerlich zerrissen. Der Mord an seinem Vater ist unbegreiflich, so die Aussage von Jan-Hendrik Lüdtke. „Wir werden das nie verarbeiten und sind noch weit entfernt von der Normalität. Arbeiten kann ich auch noch nicht wieder richtig.“ So erzählt Jan-Hendrik Lübke weiter. Unmittelbar nach dem Mord wollte er auch aus dem Haus ausziehen. Nun bleiben die Familien aber dort; sie glauben dass der Vater das so gewollt hätte. Hiernach gibt es eine 5-minütige Pause. Nach der Pause ist der Senat pünktlich im Saal zurück, allerdings die Familie Lübcke noch nicht. Der Nebenkläger Verteidiger Prof. Dr. Matterhält erhält vom Vorsitzenden Richter die dringende Bitte zur Pünktlichkeit. Die Zeugenvernehmung ist um 12:23 Uhr beendet. Hiernach folgt eine Mittagspause. Unmittelbar nach der Pause teilt der Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens mit, dass es sich nach Zeugenaussage von Jan-Hendrik Lübcke nur um einen Täter handeln kann. Prof. Dr. Matt teilt mit, dass er das Fehlen der Lübcke-Söhne nach der Pause dadurch erläutert, dass sie die nächste Zeugenaussage (Obduktionsbericht) nicht anhören möchten. Hierfür zeigt das Gericht Verständnis. Rechtsanwalt Mustafa Kaplan teilt auf Befragen des Vorsitzenden Richters mit, dass die Einlassung von Stephan Ernst für den 30. Juli nicht gewährleistet werden kann. Er schlägt hierfür den 5. August vor.

Nach einer Beratungspause wird um 13:04 Uhr Prof. Dr. Dr. R. B. Dettmeyer, Leiter Institut für Rechtsmedizin am Standort Gießen und Sachverständiger für Pathologie vernommen. Er hat die Obduktion von Dr. Walter Lübcke durchgeführt. Er teilt mit, dass er eine Wunde hinter dem rechten Ohr festgestellt hat. Das war eine Schussverletzung.

Anmerkung: Da Prof. Dr. Dr. Dettmeyer das Mikrofon nicht eingeschaltet hatte und dadurch die Zuschauer nicht alles hören konnten, müssen die ersten 10 Minuten der Vernehmung wiederholt werden. Wenn dies nicht geschehen würde, wäre damit die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden. Das darf nicht passieren. Stephan Ernst hört sich den Bericht des Zeugen zu den Verletzungen nahezu teilnahmslos an. Markus H. zeigt sich eher angewidert.

Der Zeuge teilt weiter mit, dass es einen horizontalen Schusskanal gab und keine Ausschusswunde. Das Projektil steckte noch im Kopf, ein sogenannter Kopfsteckschuss. Es war ein relativer Nahschuss ( Entfernung zwischen 0,3 und 2 m ). Die Zeugenvernehmung endet um 14:05 Uhr.

Dr. Björn Clemens weist noch mal daraufhin, dass es sich aufgrund des horizontalen Schusskanals nicht um mehrere Täter handeln kann, sondern um einen gezielten Einzelschuss.

Anmerkung: Auch wenn es ein Einzelschuss war, heißt das nicht, dass Markus H. nicht auch vor Ort war.

Ende des Verhandlungstages um 14:28 Uhr.

Bildquelle: Frank Röth / F.A.Z./ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 6. Verhandlungstag

27. Juli 2020, Beginn 11:15 Uhr

Gemäß Vorabinformationen der Pressesprecherin wurde mir mitgeteilt, dass heute ausschließlich Urkunden verlesen werden sollen. Bei diesen Urkunden handelt es sich um Briefe, Schul- und Arbeitszeugnisse, Beurteilungen, Lehrgangsbescheinigungen, etc. Das ist in der Regel eher langweilig und bietet wenig Informationsinhalt. Daher war das heutige Interesse von Medienvertretern und Zuschauern eher gering.

Anmerkung: Erlebt haben wir heute etwas ganz anderes. Ein regelrechter „Showdown“ hat stattgefunden. Der Verteidiger von Stephan Ernst, Herrn Frank Hannig, gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel, sowie gegen seinen Co-Verteidiger Kollege Mustafa Kaplan.

Beide Angeklagten werden nacheinander im Minutenabstand in den Saal geführt. Stephan Ernst trägt ein weißes T-Shirt unter seinem weißen Hemd und wirkt sehr nachdenklich. Seine Gesichtsfarbe ist blass. Bei Markus H. ist alles wie immer. Mit Beginn der Verhandlung teilt der Vorsitzende Richter mit, dass durch den Rechtsanwalt Frank Hannig fünf Anträge eingereicht worden sind. Es handelt sich um Beweis-Ermittlungsanträge. Die Anträge beinhalten z.B. einen Einbruch in Kassel, bei dem Akten gestohlen wurden. Der Rechtsanwalt möchte wissen, ob es sich bei diesen Akten um Firmenakten der Familie Lübcke gehandelt hat. Weiterhin geht es um die Beschaffung der Tatwaffe und um eine Auswertung der Funkzellen (24 Stunden vor und 24 Stunden nach der Tat) am Tatort. Des Weiteren möchte er einen Zeugen C. vorladen lassen, damit dieser über das Verhältnis zwischen den beiden Angeklagten Ernst und H. aussagen kann. Der Vorsitzende Richter teilt mit, dass er nahezu sprachlos ist, weil er die Anträge für „gequirlten Unsinn“ hält; da keiner dieser Anträge Aussicht auf Erfolg hat und diese nicht korrekt eingereicht wurden. Der Vorsitzende Richter hält in Bezug auf die Verteidigung von Stephan Ernst die anwaltschaftliche Vertretung durch Frank Hannig für nicht tauglich. Im Gerichtssaal herrscht allgemeine Aufregung. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer ist verwundert, dass der Angeklagte Stephan Ernst nichts von den Anträgen wusste, obwohl sie in seinem Namen gestellt wurden. Der Nebenkläger Vertreter der Familie Lübke, Prof. Dr. Matt, hält sie insgesamt für untauglich. Mustafa Kaplan erklärt, dass er und der Angeklagte Stephan Ernst sich von diesen Anträgen deutlich distanzieren. Weiter teilt er mit, dass Stephan Ernst keinerlei Interesse hat, die Familie Lübke durch diese Anträge in irgendeiner Art und Weise zu beschmutzen. Nach diesem „Showdown“ unterbricht das Gericht für eine Pause.

Anmerkung: Mustafa Kaplan ist verärgert und spricht mit ausgestrecktem Finger auf Frank Hannig ein. Sie verlassen den Saal, sind aber relativ schnell wieder zurück. Mustafa Kaplan ist immer noch verärgert. Er bezeichnet das Verhalten von Frank Hannig mehrfach als beschämend. Beide Verteidiger reden intensiv auf Stephan Ernst ein. Beide sind unterschiedlicher Meinung. Wie kann Stephan Ernst jetzt wissen, welcher Rat für ihn der bessere ist. Frank Hannig versucht Stepfan Ernst zu überreden. Die Verteidiger von Markus H. sind auch einigermaßen angetan von dem Verhalten von Frank Hannig. Sicher werden sie versuchen hieraus ihren Vorteil zu ziehen.

Um 12:12 Uhr ist die Pause beendet. Frank Hannig meldet sich zu Wort und teilt mit, dass er die Anträge komplett zurückzieht. Zusätzlich teilt er mit, dass sowohl der Angeklagte und auch der zweite Verteidiger über die Anträge informiert waren. Mustafa Kaplan beantragt, dass sein Co-Verteidiger Frank Hannig als Pflichtverteidiger für Stephan Ernst entpflichtet wird. Stephan Ernst ist mit dieser Strategie nicht einverstanden. Dadurch, dass Frank Hannig diese Anträge ohne sein Wissen gestellt hat, ist das Vertrauensverhältnis auf Dauer gestört. Frank Hannig beantragt daraufhin den Abberufungsantrag von Mustafa Kaplan abzulehnen, da es keine Gründe dafür gibt. Der Vorsitzende Richter fragt Stephan Ernst direkt, ob dieser weiterhin Frank Hannig als Verteidiger haben möchte? Dieser verneint und folgt damit dem Entpflichtungsantrag seines Verteidigers Mustafa Kaplan. Die Anwältin Nicole Schneiders stellt den Antrag einen bestimmten YouTube-Film von und über Frank Hannig in den Prozess einzuführen und anzuschauen. In diesem Film sei zu sehen und zu hören in welcher Art und Weise Frank Hannig die Verteidigung von Stephan Ernst gefährdet. Dr. Björn Clemens stellt den Antrag auf eine Unterbrechung. Dieser wird unverzüglich abgelehnt. Weiterhin gibt die Verteidigerin Nicole Schneiders eine Erklärung zur Videovernehmung von Stephan Ernst ab. Sie beklagt, dass sich der Verteidiger Frank Hannig über Gebühr in die Vernehmung und die Antworten von Stephan Ernst eingemischt hat. Dadurch hat er die Vernehmung behindert. Stephan Ernst hat einen Hang zur Unwahrheit. Auch wird der Vermutung nachgegangen, dass ihr Mandant Marcus H. ein V-Mann sein soll. Oberstaatsanwalt Killmer teilt mit, dass er die Entpflichtung des Verteidigers Frank Hannig befürwortet.

Anmerkung: Frank Hannig wird hier gerade demontiert. Es wird darauf hinauslaufen, dass er tatsächlich seines Amtes und seiner Verteidigung enthoben wird. Dies ist ein schwerwiegender Eingriff und für ihn auch blamabel. Ich frage mich, ob er wirklich so blauäugig war, dass er nicht erkannt hat, dass seine Anträge - ohne die vorherige Ab- und Zustimmung seines Mandanten und des Co-Verteidigers zu dem Ergebnis der Entpflichtung führen muss. Oder hat er das alles aus unbekannten Gründen mit Absicht inszeniert?

Erst jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Tagesordnungspunkt dieses Verhandlungstages. Es werden Urkunden verlesen. Als erstes wird der Lebenslauf bekannt gegeben. Danach gibt es Angaben zu Schule und Ausbildung (Maurer) und Arbeitsverhältnissen. Es werden Bewerbungsschreiben, Arbeitszeugnisse, etc. vorgelesen.

Anmerkung: Die Corona-Plexiglas-Trennungsscheiben zwischen den einzelnen Parteizugehörigen wirken aus meiner Sitz-Position wie kleine Käfige. Stephan Ernst sitzt grundsätzlich zwischen Frank Hannig (links) und Mustafa Kaplan (rechts). Nun ist er ganz nach rechts gerückt. Das bedeutet, er ist nur 30 cm von seinem Verteidiger Mustafa Kaplan entfernt aber über 2 Meter von Frank Hannig.

Während der Verlesung der Urkunden zeigt Frank Hannig dem Angeklagten Stephan Ernst einen Chat-Verlauf auf WhatsApp und spricht auf ihn ein. Richter Dr. Köhler bemerkt das und teilt den Sachverhalt dem Vorsitzenden Richter mit. Dieser schreitet zunächst nicht ein.

Anmerkung: Im späteren Verlauf ermahnt der Vorsitzende Richter alle Verteidiger, sich doch bitte auf die Verlesung zu konzentrieren und auf interne Unterhaltungen zu verzichten.

Nach der Mittagspause wird Mustafa Kaplan vom Richter vorsorglich gefragt, ob er einen möglichen Pflichtverteidiger zur Übernahme kenne. Dieser bestätigt das. Stephan Ernst lässt über ihn bekannt geben, dass er alle Vollmachten gegenüber Frank Hannig entbunden wissen möchte. Von seiner Schweigepflicht entbindet er ihn ausdrücklich nicht. Frank Hannig möchte noch einen Schriftsatz betreffend seiner Abberufung einreichen. Dieser Schriftsatz wird zugelassen. Nicole Schneiders beantragt, dass Angaben aus dem Selbstleserverfahren auch der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden sollen. Den Antrag von Frau Schneiders, ein YouTube-Video von und über Frank Hannig in den Prozess einzuführen, nimmt das Gericht an. In diesem Video äußert sich Frank Hannig über den letzten Verhandlungstag. Seine Äußerungen sind nicht immer moderat.

Verhandlungsende: 13:10 Uhr.

Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 5. Verhandlungstag

3. Juli 2020, Beginn 10:00 Uhr

Um 10:08 Uhr wird Markus H. in den Saal geführt. Alles ist wie immer. Er trägt am linken Arm eine silberne Armbanduhr und einen Ring am Ringfinger. Um 10:09 Uhr wird Stephan Ernst in den Saal geführt, auch hier ist alles wie immer.

Anmerkung:
Rechtsanwälten Nicole Schneiders ist fürsorglich und entfernt einen Fussel an Markus H´s Hemd.

Stephan Ernst und Markus H. unterhalten sich mit ihren Anwälten. Familie Lübcke ist heute nicht anwesend; ebenso der psychologische Sachverständige und der Nebenkläger Esmail. Das Anschauen der Videovernehmung wird fortgesetzt. Stephan Ernst berichtet von seinen Gesprächen mit Markus H. Dadurch wurde er zunehmend mehr und mehr radikalisiert. In die Kameradschaft wollte er aber dennoch nicht wieder eintreten. Zu diesem Thema hatte er auch immer wieder schwierige Gespräche mit seiner Frau. Sie war dagegen. Mit seinen Kindern sprach er eher beiläufig über seine Gesinnung. Mit seiner Mutter intensiver und mit seinen Schwiegereltern überhaupt nicht .Ausländerfeindlich schätzt er sich selbst nicht ein. Bei Markus H. wäre das anders, er hatte oft über Ausländer gelästert.

Anmerkung: Markus H. lächelt verschmitzt beim Zuhören dieser Aussage.

Auf die Frage, ob Stephan Ernst Herrn Karl-Heinz Hoffmann (Wehrsportgruppe Hoffmann) persönlich kenne, verneint er. Er habe ihm nur einmal geschrieben. Ingo Block kennt er. Ihn hat er zuletzt auf dem Flohmarkt in Kassel (Messehallen) getroffen. Es gab einige Menschen aus dem rechten Spektrum, die ihm während seiner bisherigen Haftzeit geschrieben hätten. Zwei rechtsgesinnte Frauen aus einem anderen Gefängnis hätten ihm auch geschrieben. Gärtner und Temme kennt Stephan Ernst auch. Kontakte zur Terrorgruppe NSU hatte er jedoch nicht. Die Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) befragen ihn zu einem Einbruch in einem Steinbruch im Jahr 2003. Hierzu verweigert Stefan Ernst die Aussage.

Anmerkung: Aus einem Steinbruch wird oftmals ausschließlich Sprengstoff gestohlen!

Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer gibt eine Zusammenfassung zu dem bisher gehörten ab. Ihm ist vieles unklar und er weiß, dass Stephan Ernst gelernt hat, Straftaten zu planen und durchzuführen. Er weiß, wie er verhindern kann, dass er erwischt wird. Er hat viele Ausspähungen durchgeführt und viele Informationen, auch zu seinen politischen Gegnern gesammelt. Er legendiert seine Taten. Sein Verhalten passt nicht zu seiner Einlassung in dieser Vernehmung. Die Generalbundesanwaltschaft hat diese Spuren alle feststellen können; schriftlich und im Internet. Er hat Dateien gesammelt, ein perfektes Verbrechen angelegt, wie das jetzige auf Dr. Walter Lübcke. Stephan Ernst versteht die Fragen des Oberstaatsanwaltes Killmer nicht wirklich. Er versucht es nochmal zu erklären. Stephan Ernst begründet das mit seiner kriminellen Vergangenheit, insbesondere im Gefängnis von Wiesbaden. Hier verbüßte er eine Jugendstrafe aufgrund eines Sprengstoffanschlages. In dieser Zeit hat er überlegt, wie er sich an einigen Leuten rächen kann und hat dazu überall Informationen gesammelt und sich überlegt, wie er seinen politischen Kampf führen könnte. Er deklariert das heute nicht als echten Durchführungsplan, sondern als psychologische Verarbeitung seiner Erlebnisse. Er hat diesen Plan nie umgesetzt. Die gesammelten Unterlagen hat er zu Hause aufbewahrt und sich ab und zu angesehen. Er wusste nicht, dass er diese Dateien noch besitzt. Auch zur Antifa hat er Informationen gesammelt. Es wurde auch eine Personenliste erstellt. Die Antifa-Bewegung war sehr gut organisiert. Das wollten sie mit ihrer Anti-Antifa-Bewegung auch. Oberstaatsanwalt Killmer hält Stephan Ernst vor, dass es Hinweise darauf gibt, dass Stefan Ernst einen Tag vor der Tat mit einer Wärmebildkamera am Haus von Dr. Walter Lübcke war. Hierzu sagt er nichts.

Anmerkung: So eine "Generalprobe" direkt vor der eigentlichen Tat ist ein ganz typisches Vorgehen dieser und anderer Tätertypen. Eine große Unsicherheit und die Angst, erwischt zu werden treibt die Täter dahin. Für Personenschutz-Aufklärungskräfte ist das immer wieder eine gute Gelegenheit diesen Tätern entgegenzutreten.

Der Oberstaatsanwalt weist Stephan Ernst nochmals daraufhin, dass er diesen Vernehmungstermin wollte, um sich mitzuteilen. Leider tut er das aus seiner Sicht nicht. Zu weiteren Kontaktnamen möchte Stephan Ernst nichts sagen. Er möchte sich, vor der offiziellen Beendigung der Vernehmung nochmals mit seinem Rechtsanwalt Frank Hannig besprechen. Das Ergebnis ist, dass es keine weiteren Erklärungen gibt. Der Generalbundesanwalt geht nach wie vor von einem politischen Attentat aus, welches Stephan Ernst alleine begangen hat.

Rechtsanwalt Frank Hannig fragt nach Angeboten für seinen Mandanten Stephan Ernst, wenn dieser neue Informationen zur rechten Szene preisgeben würde. Der Oberstaatsanwalt sieht sich für diese Anfragen nicht als richtigen Ansprechpartner. Rechtsanwalt Frank Hannig gibt für Stephan Ernst eine Erklärung ab. Stephan Ernst versichert nicht, dass er heute alles gesagt hat. Er belehrt seinen Mandanten nochmals, nicht mit der Polizei zu sprechen.

Damit ist die Videovernehmung zu Ende.

Der Verteidiger von Markus H., Dr. Clemens, ergreift das Wort und widerspricht zügig der Verwertung dieser Videovernehmung.

Ende des 5. Verhandlungstages.


Bildquelle: Video-Bildausschnitt – ZDF Mediathek; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 4. Verhandlungstag

02. Juli 2020, Beginn 10:00 Uhr

Die Anzahl an Zuschauern und Medienvertreter nimmt ab. Heute ist die Verteidigerin von Markus H. Nicole Schneiders wieder mit dabei.

Anmerkung: Ihr Lippenstift ist heute, im Gegensatz zu den vorherigen Verhandlungstagen, ein knalliges Rot. Dr. Clemens richtet seine Kleidung. Er steckt sein Hemd in die Hose und auch sein Hemdkragen sitzt noch schief.

Der irakische Staatsbürger und Nebenkläger Esmail ist nicht anwesend.

Um 9:53 Uhr wird der Angeklagte Markus H. in Begleitung von drei Justizwachtmeistern in den Gerichtssaal geführt. Er trägt, wie an den vorherigen Verhandlungstagen, die selbe Kleidung – heute ohne Hoodie. Er macht einen entspannten Eindruck und spricht direkt angeregt mit seinen beiden Verteidigern. Während dieses Gesprächs lächelt er sehr oft. Familie Lübcke betritt den Saal und wird heute durch den Rechtsanwalt Klengel vertreten.

Anmerkung: Frau Braun-Lübcke trägt erstmals ein wenig Farbe – eine apricotfarbene, lange Strickjacke. Christoph Lübke trägt heute zum ersten Mal keine Krawatte.

Um 10:58 Uhr wird der Angeklagte Stephan Ernst zugeführt. Auch er trägt wie immer die selbe Kleidung. Seine beiden Verteidiger sind noch nicht im Saal. Es wirkt blass und schaut sich fast ängstlich im Gerichtssaal um.
Nachdem seine Verteidiger eingetroffen sind unterhält er sich intensiv mit beiden.

Anmerkung: In diesem Augenblick bemerke ich zum ersten Mal, dass er ganz bewusst zum Mitangeklagten Markus H. schaut. Dieser bemerkt es aber nicht.

Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel eröffnet den Verhandlungstag und gibt die Ergebnisse mehrerer Beschlüsse bekannt. Der Antrag von Dr. Björn Clemens den Haftbefehl seines Mandanten Marcus H. aufzuheben und die Anklage damit faktisch zurückzunehmen wird abgelehnt. Verfahrenshindernisse sind nicht festgestellt worden. Auch ist Markus H. nicht vorverurteilt worden. Auch der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens, gestellt von Rechtsanwalt Frank Hannig, wegen "Corona" wird abgelehnt. Es sind ausreichende Schutzmaßnahmen getroffen worden. Auch Rechtsanwältin Nicole Schneiders hat einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt, da sie keine genügende Akteneinsicht hatte. Auch dieser Antrag wird abgelehnt. Der Vorsitzende Richter teilt mit, dass der Rechtsanwalt Frank Hannig mehrere Terminverschiebungen beantragt hatte. Dies geht leider nicht. Das Gericht plant für den 27. Juli eine Urkundenverlesung; am 28. Juli wird ein Sohn des Opfers gehört und eventuell ein Sachverständiger für Waffen. Am 30. Juli und Anfang August könnte dann die Einlassung des Angeklagten Stephan Ernst erfolgen. Mitte August werden ca. zehn Polizisten als Zeugen gehört.

Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens begründet einen Verwertungsanspruch gegen den Videobeweis vom 30.06.2020. Er bezieht sich auf die Aussage von Stephan Ernst, dass sein früherer Rechtsanwalt Waldschmidt ihn zum ersten Geständnis verleitet habe. Dieses wäre eine Straftat. Rechtsanwalt Waldschmidt hat dies bestritten und Strafanzeige gegen Stephan Ernst gestellt.
Hiernach erfolgt nun die Besichtigung der Videovernehmung von Stephan Ernst vom 5. Februar 2020 (Landeskriminalamt Hessen). Die technische Qualität ist sehr schlecht. Dass diese Vernehmung durchgeführt werden soll wurde bereits am 08.01 2020 besprochen. Stephan Ernst berichtet einen ähnlichen Sachverhalt wie bereits am 08.01.2020. Grundsätzlich hat Markus H. fast alles geplant und recherchiert. Die ersten Ausspähungen wurden bereits Anfang 2016 durchgeführt. An diesen Tagen wollten sie insbesondere die Sicherheitsmaßnahmen, z. B. Kameras am Haus überprüfen. Man hatte bereits festgestellt, dass Dr. Lübcke sich immer wieder auf der Terrasse aufhält und dort eine Zigarette raucht sowie das Smartphone bedient. So ist bei Markus H. die Idee entstanden, dass man Dr. Lübcke dort erwischen könnte.

Anmerkung: Solche sich wiederholenden Angewohnheiten, zumal in einem ungeschützten und nicht überwachten Raum, führen sehr oft zu Anschlägen. Täter lassen sich solche Gelegenheiten nicht entgehen, werden dadurch sogar noch ermutigt!

Am Tatabend war der vordere Teil des Hauses durch Lichtstrahler hell erleuchtet. Grundsätzlich war es dämmerig. Zunächst hatten sie Dr. Lübcke gar nicht auf der Terrasse wahrgenommen. Auch dort waren Strahler angebracht. Dann haben sie ihn doch entdeckt und entfernten sich vom Haus, um sich zu besprechen. Dieses Gespräch dauerte etwa 20-25 Minuten.

Anmerkung: Während der Vernehmung zeichnet Stephan Ernst diesen Sachverhalt auf eine Fotografie des Hauses ein.

Der Entschluss wurde gefasst: "Wir machen das jetzt." Zum Tatgeschehen selbst möchte sich Stephan Ernst, auf Anraten seines Verteidigers Frank Hannig, nicht äußern. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer möchte wissen, was Ernst und H. denn als Reaktion auf ihren Angriff von Dr. Lübcke erhofft hätten. Dass er dadurch seine Politik verändert, war die Antwort. Der Umgang mit einer Waffe war für Stephan Ernst und Markus H. völlig normal. Der Schuss hat sich unbeabsichtigt gelöst. Die Handys hatten sie aufgrund der Ortungsmöglichkeit nicht mitgenommen, aber Masken für das Gesicht hatten sie nicht dabei.

Pause von 11:38 Uhr bis 12:03 Uhr.

Stephan Ernst ist der Meinung, wenn sie Dr. Lübcke nur geschlagen hätten, hätte er sie danach nicht wiedererkannt, aber eine Telefonortung wäre möglich gewesen. Warum er keine Handschuhe getragen hat weiß er nicht.

Es ging nicht um erschießen, sondern um schlagen oder treten. Das man etwas gegen Dr. Lübcke unternehmen musste stand lange fest. Es war aber nicht so, dass sie ständig daran geplant oder darüber gesprochen hätten. Der Entschluss, Dr. Lübcke etwas anzutun, kam eher von Markus H. Er drängte öfter darauf. Die Ermittler möchten wissen, wie oft sie observierten. Es begann ca. Januar/ Februar 2016. Zu 2017 verweigert Stephan Ernst die Aussage. 2018 haben sie im März und April ausgespäht. Es wurden genaue Erkundungen durchgeführt. Damals haben sie auch Dr. Lübcke angetroffen. Er schaute ihnen intensiv nach, als sie an seinem Grundstück vorbeigingen.

Anmerkung: Dr. Lübcke wurde seit 2015 massiv bedroht. War Dr. Lübcke in dieser Zeit in einer Schutzmaßnahme der Polizei? Wurde diese Information der o.a. Begegnung von Dr. Lübcke an die Polizei weitergegeben oder wurde er in einem üblichen Sicherheitsgespräch nach solchen Gegebenheiten befragt? Welche Versäumnisse der Sicherheitsbehörden lagen vor?

Sie wollten am Spielplatz eine Kamera installieren, um damit ständig die Gegend zu beobachten. Auch dieser Vorschlag kam von Markus H. Zu weiteren Observationsterminen möchte sich Stephan Ernst nicht mehr äußern. Es gibt weitere Fragen zum Tatgeschehen, diese werden weitestgehend nicht beantwortet. Sein Zweitwagen - ein Škoda Octavia - war an dieser Tat nicht beteiligt. Zum Themenkomplex Ludwig möchte sich Stephan Ernst zunächst mit Rechtsanwalt Frank Hannig besprechen. Ludwig wusste davon, dass Stephan Ernst Waffen bei seinem Arbeitgeber (Firma Hü.) vergräbt. Ludwig hat dabei „Schmiere“ gehalten. Stephan Ernst möchte Ludwig nicht belasten und verweigert die weitere Aussage dazu. Auch das ist ein weiteres eingegangenes Risiko (Mitwisser Ludwig). Markus H. hatte mehrere Waffen, aber auch diesbezüglich Ärger mit seiner Freundin. H. hatte dazu Depots im Wald angelegt. Er besitzt folgende Waffen: zwei Weltkriegswaffen, einen 38er Revolver, ein Maschinengewehr (ähnlich dem G3) und diverse Munition: 9 mm, Schrot, Kleinkaliber.

Pause von 13 bis 14:00 Uhr

Anmerkung: Stefan Ernst wollte dieser weiteren Vernehmung und damit seinem Geständnis widersprechen. Er trägt aber nichts zur Wahrheitsfindung bei. Er ist kontrolliert und bei den entscheidenden Fragen verweigert er die Aussage (was sein Recht ist). Sein Verteidiger spricht seit Ende der Pause durchgehend auf Stefan Ernst ein.

Die Ermittler stellen die Frage, warum er die Tatwaffe nur vergraben und einen Mitwisser eingebunden hat. Man hätte die Waffe auch endgültig entsorgen können. Nach dem Verständnis von Stephan Ernst war die Waffe durch diese Vergrabungsaktion verschwunden.

Anmerkung: Es ist sehr schwer in diesem Raum der Vernehmung zu folgen. Die Gespräche in der Videoaufzeichnung sind schwer zu verstehen, insbesondere weil das Klicken der Tastatur durch die Protokollführerin auf dem PC sehr laut sind. Die Konzentration auf den Bildschirm in diesem hell beleuchteten Saal ist ebenfalls anstrengend. Drei von fünf Justizwachtmeistern im Saal betätigen gleichzeitig ihr Handy und spielen darauf herum.

Am Tattag, dem 01.06.2019 trafen sie gegen 21:35 Uhr an der Waschanlage in Kassel ein. Die Kennzeichen waren bereits gewechselt. Gegen 22:20 Uhr trafen sie in Istha ein, sie stellten das Fahrzeug ab. Die eigentliche Tatzeit war gegen 23:20 Uhr - 23:25 Uhr. Um 23:30 Uhr fuhren sie in Istha wieder los. Markus H. war nicht sein Freund. Er hatte ein gutes Wissen und war grundsätzlich versierter als er selbst.

Pause von 14:55 Uhr bis 15:05 Uhr.

Anmerkung: Das Gericht ist pünktlich nach der Pause wieder im Saal. Es fehlt allerdings die Generalbundesanwaltschaft und der Nebenkläger Vertreter der Familie Lübcke. Sie kommen verspätet.

Immer wieder geht jetzt die Vernehmungsrichtung in die Intention, dass Markus H. treibende Kraft war. Stephan Ernst bestätigt dies auch immer wieder. Markus H. hat ihn zur Tat radikalisiert. In seinem Geständnis hat er absichtlich darauf hingezielt, dass er als Psychopath angesehen wird. Stephan Ernst entbindet in dieser Vernehmung ganz formell, seine ersten Rechtsanwälte von deren anwaltschaftlichen Schweigepflicht. Zu seinem Alibigeber möchte er ebenfalls nichts aussagen, außer, dass dieser ihm freundschaftlich verbunden ist. Gelöscht hat Stephan Ernst nach der Tat alle Chatverläufe mit Markus H. auf Treema und mit seiner „Bekannten“ auf WhatsApp.

Anmerkung: Markus H. reagiert auf die Anschuldigung von Stephan Ernst nicht sichtbar. Er ist ruhig und liest die Vernehmung in den Akten mit.

In der Gruppe 18 (rechtsradikale Vereinigung) war er nicht Mitglied. Außer in der NPD und im Schützenverein war er in keinem anderen Verein aktiv. Kontakt zu anderen Größen der rechtsradikalen Schiene, wie z.B. Herrn Bernd Töter hatte er nur einmal auf einer Demonstration in Leipzig. 2018 hat er an AfD-Treffen teilgenommen und er hat auch mal an die AfD gespendet. Ab 2009 war er aus der Kameradschaftsszene ausgetreten. Die Inhalte dieser Kameradschaft waren ihm zu extrem und nicht mehr nachvollziehbar.

Ende des Verhandlungstages 15:39 Uhr
Anmerkung: Markus H. spricht sehr angeregt aber gut gelaunt mit seinen Anwälten.


Bildquelle: Video-Bildausschnitt – ARD Mediathek; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 3. Verhandlungstag

30. Juni 2020, Beginn 10:09 Uhr

Das Interesse von Medienvertretern und Zuschauern ist gleichbleibend hoch geblieben. Die Rechtsanwältin Nicole Schneiders wird heute durch ihren Kollegen vertreten.

Um 9:56 Uhr betritt Familie Lübcke (wieder in Trauermarsch-Formation) hintereinander in Reihe den Gerichtssaal. Danach folgen die Rechtsanwälte Mustafa Kaplan und Frank Hannig. Nach und nach betreten alle weiteren Verfahrensbeteiligten den Gerichtssaal. Um 10:05 Uhr wird der Angeklagte Markus H. hereingeführt – begleitet von drei Justizwachtmeistern. Er trägt Handschließen auf dem Rücken. Seine Kleidung ist die gleiche, wie bei den vorherigen Verhandlungstagen. Er trägt das graue Poloshirt. H. schaut sich interessiert um und lässt sich ohne Maske fotografieren. Er spricht mit seinen Rechtsanwälten.

Um 10:07 Uhr wird der Hauptangeklagte Stephan Ernst hereingeführt; auch er trägt Handschließen auf dem Rücken und die gleiche Kleidung wie an den bisherigen Verhandlungstagen. Er wirkt konzentriert. Auch er spricht mit seinen Verteidigern. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel eröffnet den Verhandlungstag und stellt fest, dass Rechtsanwältin Nicole Schneiders durch ihren Rechtsanwaltskollegen vertreten wird. Hierzu befragt er den Angeklagten Markus H., ob er damit einverstanden ist. Die Antwort ist klar und deutlich: "Ich bin einverstanden". Danach teilte der Vorsitzende Richter mit, dass er einen Brief an Rechtsanwalt Mustafa Kaplan in den Händen hält der an das Oberlandesgericht geschickt wurde. Auch er hat einen solchen Brief erhalten, in dem „wirres Zeug“ steht. Der Brief wurde entsprechend sicherheitstechnisch untersucht, es gibt keine Gefährdung.Mustafa Kaplan übernimmt den Brief und scheint vom Inhalt amüsiert.

Nun werden die Ergebnisse der Beschlüsse der Verteidigung vom ersten und zweiten Verhandlungstag vorgetragen. Insbesondere die Ablehnungsbeschlüsse sind unzulässig, da sie unbegründet sind. Sie wurden nicht unverzüglich gestellt und auch nicht rechtzeitig eingereicht. Dies hatte der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer schon am zweiten Verhandlungstag angemerkt. Weitere Anträge der Verteidigung werden als unbegründet abgelehnt.

Anmerkung: Stephan Ernst hört aufmerksam zu. Ein Justizwachtmeister, der für die Sicherheit von Ernst eingeteilt ist, schläft fast ein und liegt mehr im Stuhl, als das er sitzt. Seine Augen fallen ihm immer wieder zu.

Die Verteidigerin von Markus H. - Nicole Schneiders - gibt eine Erklärung ab. Sie hat eindeutig festgestellt, dass Stephan Ernst weder durch Müdigkeit, noch Medikamenteneinnahme negativ beeinflusst war. Es beweist auch, dass zwischen Stephan Ernst und Markus H. keine besondere Freundschaft bestand. Markus H. wurde nicht durch Stephan Ernst belastet. Das Verhör hält sie für unzulässig, da Suggestivfragen an Stephan Ernst gestellt wurden.

Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens gibt ebenfalls dazu eine Erklärung ab.

Er hält den Beweis des Videos für voll verwertbar. Allerdings gab es eine gelenkte Vernehmung durch die Polizei. Es seien Signalstichworte gegeben worden und nicht nur Fragen gestellt. Er ist der Meinung, dass es keine politischen Gründe zur Tat gab, sondern eher psychische Gründe, wie Depression oder Manie des Angeklagten Stephan Ernst. Dr. Clemens regt eine erneute Haftprüfung zu Markus H. an. Der Vorsitzende Richter fragt nach, ob er diesen Einwand für notwendig hält um den Senat daran zu erinnern. Dr. Clemens bejaht das.

Um 10:56 Uhr gibt der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer eine Erklärung ab. Das Vernehmungsinterview wurde komplett korrekt geführt und nahezu Lehrbuch mäßig aufgebaut. Um 11:00 Uhr ist der Nebenträgervertreter Rechtsanwalt Ho. mit seiner Erklärung an der Reihe. Auch er befindet, dass es an der Vernehmung nichts auszusetzen gibt. Er hält Stephan Ernst für erfahren genug in solch einer Vernehmungssituation, da sich dieser schon mehrfach in solchen Situationen befunden habe. Er konnte erkennen, dass Stephan Ernst auch in dieser Vernehmung bewusst einige Schlüsselworte gesagt hat.

Rechtsanwalt Frank Hannig gibt für seinen Mandanten eine Erklärung ab. Er möchte mitteilen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eine umfassende Einlassung abgeben wird. Einen genauen Zeitpunkt wollte er nicht festlegen. Der Vorsitzende Richter bittet um eine eher zeitnahe Einlassung.

Ab 11:08 Uhr wird die Videovernehmung vom Januar 2020 vor dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Marc Wenske gezeigt.

Die Vernehmung beginnt mit der Belehrung des Stephan Ernst durch den Ermittlungsrichter. Auf befragen teilte Stephan Ernst mit, dass er Medikamente gegen Depressionen eingenommen hat. Er fühlt sich aber dennoch in der Lage voll und ganz der Vernehmung beizuwohnen. Stephan Ernst möchte nicht, dass der Nebenklägervertreter der Familie Lübcke, Professor Dr. Holger Matt persönlich an der Vernehmung teilnimmt. Er lässt es aber zu, dass der Professor der Vernehmung in einem Nebenraum, in den diese per Ton und Video übertragen wird, folgen darf.

Zu Anfang liest Stephan Ernst eine schriftliche Erklärung zum Tatkomplex Dr. Lübcke vor. Er beginnt seine Erklärung damit, dass er bereits seit September 2019 seinem Geständnis widersprechen wollte. Hiervon hat ihm Rechtsanwalt Hannig abgeraten.
Am 01.06.2019 war er gemeinsam mit Markus H. am Tatort bei Lübcke. Markus H. hat Dr. Lübcke versehentlich erschossen, glaubt Stephan Ernst. Sie sind mehrfach gemeinsam nach Istha gefahren. Immer in seinem Wagen. An einem dieser Tage sahen sie auch Dr. Lübcke auf der Terrasse eine Zigarette rauchen. Geparkt hatten sie den Wagen am Ende einer Nebenstraße.

Sie observierten alles ganz genau. Einmal parkten sie auch am Restaurant Kupferkanne in der Nähe der Tankstelle oder am Parkplatz "Fressnapf". Auch die Gegend um das Lübke Haus wurde entsprechend oft observiert. Das alles taten sie gemeinsam, aber angeführt von Markus H. Beim Planen der Tat war klar, dass Stephan Ernst die Waffe mitbringen soll. Eigentlich wollten sie ihn nur einschüchtern. Markus H. sollte ihm die Waffe vorhalten und er sollte ihm dann ins Gesicht schlagen. Am 1.6.2019 kamen sie gegen 22:30 Uhr in Istha an. Sie parkten das Kfz (weißer Caddy) am Ende der Turnplatzstraße. Die Kennzeichen waren manipuliert, da sie die Befürchtung hatten, dass man sie über das Kennzeichen identifizieren könnte. Sie sahen Dr. Lübcke auf der Terrasse sitzen, in der linken Hand hielt er sein iPhone. Sie kamen auf unterschiedlichen Wegen zur Terrasse. Markus H. sagte: "Wir machen das jetzt". Dr. Lübcke bemerkte sie. Markus H. hatte den Abzugshahn des Revolvers bereits vorgespannt. Markus H. sagte zu Dr. Lübcke: "Nun ist es Zeit auszuwandern". Dr. Lübcke wollte sich erheben. Stephan Ernst sagte: "Beweg Dich nicht" und berührte ihn an der Schulter, so dass dieser am Aufstehen gehindert war. Nochmals wollte sich Dr. Lübcke erheben und schrie: "Verschwinden Sie!". Daraufhin wichen beide ein paar Schritte zurück. Dabei löste sich unbeabsichtigt der Schuss und Dr. Lübcke. wurde in den Kopf getroffen. Beide waren geschockt und fuhren schnellstmöglich zurück nach Kassel. Stephan Ernst ließ die Waffe verschwinden. Hierzu hat er ein besonderes Versteck in seinem Büro. Auf die Frage des Ermittlungsrichters, warum er das erste Geständnis abgegeben habe, gab er an, dass ihm sein erster damaliger Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt dazu geraten habe. Die Behörden hätten seine DNA auf der Kleidung des Opfers gefunden ihm wäre nicht mehr zu helfen. Er solle die Schuld komplett auf sich nehmen und auf gar keinen Fall Markus H. erwähnen. Für seine Familie würde gesorgt.

Sein neuer und jetziger Rechtsanwalt Frank Hannig riet ihm davon ab und daher möchte er jetzt sein Geständnis widerrufen und die Wahrheit sagen, um damit auch der öffentlichen Vorverurteilung entgegen zu wirken. Im Video zeichnet Stephan Ernst die Positionen der Täter auf einem Satellitenfoto ein. Das Haus ist mit weißen Wänden und einem roten Dach zu sehen. Ernst erklärt den Fahrtweg zum Tatort. In Insta haben sie geparkt, sind über die Haupt- und Kasseler Straße dorthin gelangt und haben sich ca. 20 Minuten besprochen. Die Rückfahrt nach der Tat war um circa 23:25 Uhr. Sie sind den gleichen Weg wie auf der Hinfahrt zurück gefahren.

Anmerkung: Stephan Ernst ist während der Vernehmung mit einem Bauchgurt und Handschließen gefesselt. Rechtsanwalt Frank Hannig bittet darum diese abzunehmen. Dieser Bitte wird entsprochen.

Zum Tatgeschehen gibt Stephan Ernst an, dass sie sich von zwei Seiten der Terrasse genähert haben. Sie wollten Dr. Lübcke damit überraschen. Angekommen sind sie gleichzeitig. Er vorne, Markus H. direkt dahinter. Er kam von links, Markus H. von rechts. Markus H. hatte den Abzugshahn der Waffe vorgespannt und sagte: "Jetzt ist Zeit zum Ausreisen". Stephan Ernst sagte: "Für sowas wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten." Dr. Lübcke wollte sich aufrichten. Daraufhin sagte Ernst zu ihm: "Beweg Dich nicht“, berührte ihn mit der linken Hand an der Schulter und drückte ihn in den Stuhl zurück. Eigentlich wollte Ernst ihn am Oberkörper treten. Dr. Lübcke schrie: "Verschwinden Sie." Dann hörte Stephan Ernst den Schuss. Er stand etwas links von Dr. Lübcke, Markus H. stand weiter rechts vom Opfer - ca. 1 bis 1,5 m entfernt. Stephan Ernst bestätigt nochmals, dass er gesehen hat, dass der Abzugshahn der Waffe vorgespannt war. Im Video zeigt Ernst wie Markus H. mit vorgehaltener Waffe vor dem Opfer stand. Die Waffe ist auf den Kopf von Dr. Lübcke gerichtet. Stephan Ernst zeigt am Beispiel des Oberstaatsanwaltes Killmer, wie er Dr. Lübcke in den Stuhl gedrückt hat. Mit der ganzen Handfläche. Dann ist er zurückgegangen und wollte ihm mit dem Fuß gegen den Oberkörper treten. Dr. Lübcke schrie und Ernst und H. wichen beide etwas zurück; dabei löste sich der Schuss.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig teilt mit, dass sein Mandant die Ermittlungsakte kennt und weiß, dass der Schuss aus einer näheren Distanz, als der, die er gerade angezeigt hat, abgegeben wurde.

In der nun folgenden Pause im Gerichtssaal spricht Stephan Ernst angeregt mit seinem Verteidiger Frank Hannig und Markus H. mit seinen Verteidigern. Nach der Pause führt Stephan Ernst im Video weiter aus, das es keine Kommunikation auf der Terrasse zwischen ihm und Markus H. gegeben hat; weder mit Worten noch mit Blicken. Er war über den Schuss sehr schockiert und hat Markus H. gefragt, warum er denn geschossen habe. H. sagte nur, dass er das nicht wollte und der Schuss sich einfach gelöst hätte. Beide waren aufgeregt und in Panik.

Anmerkung: Rechtsanwalt Hannig versucht im Video zur Aufklärung der Tat beizutragen und fordert Stephan Ernst auf detaillierter zu antworten. Stephan E. antwortet dann auch etwas detaillierter.

Dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshofs Marc Wenske und dem Oberstaatsanwalt Dieter Killmer ist vieles unklar, insbesondere scheint die nicht vorhandene Kommunikation zwischen E. und H. nicht glaubhaft. Stephan Ernst erzählt, dass sich bei Schießübungen weder bei ihm, noch bei Markus H. versehentlich ein Schuss gelöst hätte. Marc Wenske möchte wissen, was genau die beiden vor der Tat miteinander verabredet haben. Beide hatten recherchiert, wann die Kirmes stattfinden würde. Daher stand der 1.6.2019 fest. Auch dass sie die Kennzeichen manipulieren müssen, war verabredet worden. Das haben sie im April 2019 organisiert. Markus H. hatte mehrere andere Kennzeichen auf seinem Grundstück liegen. Die unterschiedliche Aufgabenverteilung wurde besprochen. Mitte Mai wurden die Gespräche konkreter. Zum Beispiel wann trifft man sich wo, etc. Markus H. brachte die Kennzeichen mit und Stephan Ernst die Waffe und sein Fahrzeug.

Pause: 12:59 Uhr bis 14:04 Uhr.

Anmerkung: Nach der Pause (12:59 bis 14:04 Uhr) erscheint das Gericht, aber die Angeklagten sind noch nicht zugeführt worden. Erst ein paar Minuten später werden die Angeklagten in den Saal geführt. Das Ansehen der Videovernehmung setzt sich fort.

Kurz vor der Tat hatte Markus H. gesagt, dass Dr. Lübcke mit der Waffe bedroht werde und Stephan Ernst sollte ihn dann schlagen. Genau kann Stephan Ernst das Gespräch nicht mehr wiedergeben.

Anmerkung: Das ist natürlich sehr geschickt ausgesagt, da genau dieses Gespräch für die jeweilige Tatbeteiligung und auch das Strafmaß hätte entscheidend sein können.

Sie haben sich auch immer wieder über Politik unterhalten. Es wurde vorher besprochen, dass der Revolver mitgenommen werden soll, der galt als handlich und unauffällig. Gemeinsam wurde besprochen, dass Stephan Ernst Dr. Lübcke ins Gesicht schlägt oder ihn tritt. Genaue Einzelszenarien haben sie nicht besprochen. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer fragt, warum das Kennzeichen am Kfz zu Täuschungszwecken getauscht wurde, jedoch keine Masken getragen worden sind, damit man sie nicht identifizieren kann. Wenn Ernst Dr. Lübcke nur hätte schlagen wollen, hätte ihn dieser sicherlich später wiedererkannt. Diese Gefahr wäre doch sehr groß gewesen. Ernst erklärt, dass er geglaubt hatte, wenn Dr. Lübcke nur geschlagen werde, die Ermittlungen nicht so intensiv gewesen wären, dass man ihn hätte ausfindig machen können. Nach dem Schuss hatte er die Waffe ordentlich gereinigt, d.h. abgewischt und gefettet. Die Munition und auch die leere Hülse wurde in der Waffe gelassen. Erst am Sonntag, einen Tag später, hat er alle seine Waffen in den Keller gebracht. Erst dann wurde auch die Munition aus der Kammer genommen. Stephan Ernst sagt weiter aus, dass die Waffe bei ihm schon fertig geladen war und er sie so an Markus H. vor der Tat übergeben hat. Die Absicht war, Dr. Lübcke einzuschüchtern und ihm einen Denkzettel zu verpassen. Sie wollten ihn dafür verantwortlich machen, dass so viel Terror passiert. Der Ermittlungsrichter fragt warum sie die Waffen behalten haben und nicht direkt entsorgt hätten. Stephan Ernst sagt nur, dass er sie behalten wollte. Der Ermittlungsrichter erzählt nun, dass die Frau von Stephan E. in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 kurz vor dem zu Bett gehen, beim Zähneputzen, zwei schnell heranfahrende Fahrzeuge mit quietschenden Reifen bemerkte. Danach hat sie bemerkt, dass er das Haus betreten hat. Das kann sich Ernst auch nicht erklären, da er und H. nur mit einem Kfz vorgefahren sind. Er hatte seiner Frau vor der Tat gesagt, dass er zum Grillen geht, nach der Tat sagt er, dass er im Wald spazieren war. Nachdem sich Stephan Ernst nach der Tat zuerst ins Bett gelegt hat, ist er nochmals aufgestanden und hat sich ca. eine halbe Stunde in den Garten gesetzt. Er konnte nicht schlafen. Der Ermittlungsrichter möchte auch einige Dinge zu seinem Zweitwagen, dem Škoda Octavia, wissen. Stephan Ernst kann hierzu (noch nicht!) nichts erklären. Stephan Ernst wird unterstellt, dass er die Waffen und das Kfz behalten wollte, um weitere Straftaten zu begehen. Er hatte ja früher ausgesagt, dass er eine Bewegung lostreten möchte.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig stellt den Antrag, die Öffentlichkeit für die nächsten 5 Minuten, die im Video zu sehen sind, auszuschließen. Sie betreffen das Privatleben von Stephan Ernst und es soll vermieden werden, dass gewisse Details für die Öffentlichkeit sichtbar sind. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer plädiert auf Ablehnung des Antrages, da es ein schwerwiegender Eingriff wäre, die Öffentlichkeit auszuschließen und die ihm bekannten Gründe wären nicht schwerwiegend genug dafür. Es gehe nicht um die Befindlichkeit des Angeklagten, sondern um das Gut der Öffentlichkeit. Rechtsanwalt Frank Hannig gibt zu bedenken, dass es im Video nicht um Stephan Ernst geht, sondern um eine Person aus dem Umfeld. Diese möchte er schützen.

Nach einer Beratungspause des Senats gibt der Vorsitzende Richter den Beschluss bekannt: der Antrag wird zurückgewiesen, da es keine Passagen zur Intimsphäre gibt, sondern nur zur Privatsphäre des Angeklagten und damit wiegt das Interesse der Öffentlichkeit mehr.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig ist deutlich anzusehen, dass er mit diesem Beschluss nicht einverstanden ist. Sein Kopf ist dunkelrot.

In der Videovernehmung geht es weiter um die Frage, was sich Stephan Ernst dabei gedacht hat Dr. Lübcke anzugreifen. Ihm ging es dabei um eine Bestrafung. Hinsichtlich der Munition möchte er sich nicht weiter äußern. Dass er das zweite Auto behalten hat, begründet er damit, dass er mit diesem Wagen immer zu einer Bekannten gefahren ist, und seine Frau es nicht bemerken sollte, da sein eigenes Auto ja noch vor dem Haus stand. Stephan Ernst erzählt nochmal von seinem 2. Besuch in Istha; dieser war etwa März oder April 2017. Da hat er Dr. Lübcke ganz aus der Nähe gesehen, da sich dieser mit einem Nachbarn unterhalten hatte. Durch diese Begegnung war er aufgebracht. An diesem Tag haben sie als weiteren Fluchtweg einen Waldweg ausgekundschaftet. Dieser konnte aber nicht befahren werden. Selbst hat er sich mit keiner anderen Person über die Tat unterhalten. Der Ermittlungsrichter berichtet, dass Markus H. bei der Eröffnung des Haftbefehls, fragte ob er nur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt sei und nicht wegen einer möglichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Diese Frage hat Marc Wenske damals ziemlich nachdenklich gemacht. Danach erzählt Stephan Ernst von seiner ersten Begegnung mit Rechtsanwalt Waldschmidt. Dieser fragte ihn direkt, ob er wüsste mit wem er sich hier angelegt hätte. Er solle ein Geständnis abgeben und die Schuld alleine auf sich nehmen. Markus H. muss außen vor bleiben. Man würde man sich auch um seine Familie kümmern. Am Schluss sagte er, dass Odin in schützen sollte. Daraufhin entschloss er sich zu dem Geständnis. Die Gesamtsituation zog ihn herunter und er hatte Angst um seine Familie.

Marc Wenske macht ihn auf die unterschiedlichen Aussagen der zwei Einlassungen aufmerksam. Er sagt, er hat die unterschiedlichen Sachverhalte nicht trennen können. Er hält ihm vor, dass er in seinem Geständnis einen Mord zugegeben hat und seine jetzige Wahrheit doch für ihn viel wichtiger gewesen wäre. Stephan Ernst begründet es damit, dass er zu dieser Zeit im Ausnahmezustand gewesen wäre. Nun ist der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer mit seinen Fragen an der Reihe. Er glaubt ihm nicht, weil Stephan E. in seinem Geständnis den Sachverhalt mit vielen Details und mit viel Gefühl geschildert hat. Stephan Ernst erklärt, er hätte sich sein Geständnis aus mehreren Stücken ausgedacht; zum Beispiel die Motive, wie die Kölner Silvesternacht oder der Nizza-Anschlag. Dies sei nur ausgedacht gewesen. Der Ermittlungsrichter teilt ihm nochmals mit, dass er ihm nicht glaubt und dass dann seine Einlassung auch nichts bringt. Auch Rechtsanwalt Frank Hannig spricht ihn nochmal auf die Punkte an.

Anmerkung: Stephan Ernst scheint komplett blockiert zu sein. Er stiert nur noch seinen Verteidiger an.

Stephan Ernst meint, er hätte doch alle Fragen beantwortet. Auch der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer belehrt ihn nochmals. Stephan Ernst unternimmt nochmals den Versuch sich zu erklären. Er fühlte sich überfordert und am Anfang der Haft ging es ihm schlecht. Jetzt, nach sechs Monaten, geht es ihm besser. Der Ermittlungsrichter möchte erneut von ihm wissen, warum er in seinem Geständnis einen Mord zugegeben hat. Dies beantwortet Stephan E. damit, dass ihm sein damaliger Rechtsanwalt Waldschmidt gesagt hat, dass ihm die Schuld zugeschoben wird, da seine DNA am Opfer gefunden wurde. Zusätzlich fühlte er sich durch den Ehrenkodex verpflichtet niemanden - auch nicht Markus H. - zu verraten. Er wollte ein Märtyrer sein. Er dachte auch, dass seine Kameraden ihn vorzeitig aus dem Knast holen. Nach dem zweiten Gespräch mit seinem damaligen Rechtsanwalt Waldschmidt glaubte er ihm nicht mehr. Er fühlte sich verarscht. Auf Befragen teilt er mit, dass er bei der Tat keine Handschuhe getragen hat, ob Markus H. welche getragen hat, weiß er nicht.

Anmerkung: Frage: Sind die Angeklagte bei ihrer Festnahme nicht auf Schmauchspuren untersucht worden?

Marc Wenske belehrt ihn nochmals, die Wahrheit zu sagen. Er glaubt ihm nicht. Und damit würde es beim dringendem Tatverdacht des Mordes an Dr. Lübcke bleiben. Es wird allseits besprochen, das Stephan Ernst sich mit seinem Rechtsanwalt Frank Hannig am nächsten Tag nochmals bespricht. Damit ist das Ende der Videovernehmung erreicht.

Der Verteidiger von Markus H., Dr. Björn Clemens widerspricht sofort dem Videobeweis. Das wird zu Protokoll genommen. Der Nebenklägerrechtsanwalt Ho. gibt bekannt, dass in den Abschriften an einer Stelle "Krankenhilfe" steht, gesagt wurde aber "Gefangenenhilfe". Dies würde auch Sinn machen, da die Gefangenenhilfe eine rechtsextreme Vereinigung ist. Rechtsanwalt Frank Hannig gibt zu dem Video eine Erklärung ab. Ihm war die Fragestellung für Stephan Ernst zu komplex. Er war schlicht überfordert. Er bittet diesen Umstand auch während der Befragung im Prozess zu berücksichtigen. Prof. Dr. Matt hält das Widerrufene für komplett falsch. Es erscheint ihm zu gekünstelt. Das damalige Geständnis war authentisch und es klang auch ehrlich. Weitere Fragen bleiben offen. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer erklärt, dass die Vernehmung sehr seicht geführt wurde. Stephan E. war nicht bereit, Details zu schildern. Er war bemüht Antworten zu finden, aber nicht zu geben.

Dr. Björn Clemens beklagt die Fessellung des Beschuldigten während der Vernehmung und wie die Vernehmung gelenkt worden sei. Er hat viele Widersprüche festgestellt. Er unterstellt den Ermittlern, dass sie wollten, dass sein Mandant Markus H. im Verfahren bleibt; er sollte belastet werden. Er unterstellt weiter, dass Stephan E. Geschichten erzählt hat. Danach diskutiert er mit dem Vorsitzenden Richter, warum sein Mandant in Haft sitzt. Rechtsanwalt Mustafa Kaplan gibt ebenfalls eine Erklärung ab, dass man erst am Anfang der Beweisaufnahme ist.

Ende des Verhandlungstages 16:44 Uhr.


Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 2. Verhandlungstag – Videovernehmung von Stephan E.

18. Juni 2020, Beginn 10:09 Uhr.
Auch heute betritt der psychologische Gutachter wieder als erstes den Verhandlungssaal. Kurze Zeit später kommen nach und nach die anderen Verfahrensbeteiligten. Die Familie Lübcke betritt wieder im Trauermarsch den Saal. Um 10:03 Uhr wird der Angeklagte Markus H. zugeführt und bis auf das Waldgrüne Hemd, trägt er dieselbe Kleidung wie am ersten Verhandlungstag. Nur heute hat er die Kapuze nicht tief ins Gesicht gezogen. Nachdem er sich an seinen Platz begeben hat, lässt er sich frei fotografieren. Neu ist seine Frisur er trägt nun kein Haupthaar mehr sondern nahezu eine Glatze. Der Angeklagte Stephan E. wird 2 Minuten später zugeführt. Er trägt auch dieselbe Kleidung wie am 1. Verhandlungstag. E. sieht sehr müde und blass aus. Der Bereich der Zuschauer und der Journalisten ist voll besetzt. Die Angeklagten würdigen sich keines Blickes.

Der Rechtsanwalt K. erhält als Erster das Wort. Er stellt erneut den Antrag, dass sein Mandant den Vorsitzenden Richter S. ablehnt. Als Begründung nennt er Befangenheit, da der Vorsitzende Richter S. E. am ersten Verhandlungstag aufgefordert hat ein Geständnis abzugeben, da das Vorteile für ihn hätte. Rechtsanwalt K. gibt an, dass E. leicht beeinflussbar ist. Der Oberstaatsanwalt der Generalbundesanwaltschaft stellt fest, dass der Antrag von Rechtsanwalt K. nicht unverzüglich gestellt worden ist und daher abzulehnen ist. Der Nebenkläger Verteidiger Prof. Dr. M. schließt sich ausdrücklich dem Antrag der Generalbundesanwaltschaft an. Rechtsanwalt K. beantragt daraufhin eine Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zur Entscheidung des Befangenheitsantrages. Diesen Antrag lehnt das Gericht ab. Dazu möchte K. eine Verfügung mit Beschluss. Es gibt eine fünfminütige Pause.

In der Pause spricht E. mit seinen Anwälten, H. liest und schaut sich nebenbei um. Er sitzt mit verschränkten Armen und lacht ab und zu vor sich hin.

Nach der Pause gibt das Gericht bekannt, dass der Antrag abgelehnt wird. Auch Rechtsanwältin SCH. hat Ablehnungsanträge gegenüber drei weiteren Richtern gestellt. Es erfolgt eine weitere Pause von ca. 5 Minuten. Rechtsanwalt K. möchte den Antrag von der Rechtsanwältin SCH. auch erhalten und zu diesen Stellung nehmen. Der Vorsitzende Richter teilt ihm mit, dass das unzulässig sei. Der Senat möchte nun in die Beweisaufnahme gehen und möchte hierzu ein Video vom Geständnis des E. vom 25. Juni 2019 zeigen. Hierzu widersetzt sich Rechtsanwalt K. vehement. Er gibt an, dass er davon nichts wusste. Der Vorsitzende Richter weisst darauf hin, dass der Fernseher und die Leinwand schon am 1. Verhandlungstag im Saal standen, so dass auch der Rechtsanwalt K. damit rechnen konnte, dass es die Videovernehmung seines Mandanten zu sehen gibt. Hierzu möchte der Rechtsanwalt K. einen weiteren Beschluss. Auch jetzt gibt es eine 5 Minuten Pause.

Nach der Pause beklagt die Rechtsanwältin SCH. die Position des Fernsehers. Sie kann das Gesicht von einem Richter nicht komplett sehen. Sie meint, sie hätte einen Anspruch darauf, dass sie Gestik und Mimik aller Verfahrensbeteiligter beobachten kann. Das Gericht und auch der Oberstaatsanwalt stellen fest, dass es diesen Anspruch nicht gibt. SCH. möchte, dass dieser Sachverhalt ins Protokoll aufgenommen wird. Das lehnt der Vorsitzende Richter wegen Unwichtigkeit ab. Daraufhin beantragte SCH. eine zehnminütige Pause zur Beratung mit ihren Mandanten. Diese Pause wird durchgeführt.

Anmerkung: in der Pause spricht Rechtsanwälten SCH. kein einziges Wort mit ihrem Mandanten. Während dieser Pause verlässt der irakische Nebenkläger E. den Gerichtssaal. Dazu muss er an dem Angeklagten H. vorbei. Dieser verfolgt ihn mit verächtlichem Blick.

Nach der Pause beantragt SCH. weiter, dass ihre Beanstandung nicht ins Protokoll genommen wurde, hierzu möchte sie einen Beschluss haben. Wiederum erfolgt eine circa 5 Minuten Pause. Der Angeklagte H. erfreut sich über dieses Kasper Theater. Das Gericht beschließt dass der Antrag von SCH abgelehnt wird. Nun meldet sich Rechtsanwalt H (Verteidiger von E.) zur Sache. Er hält das Video für nicht Vortragbar, da Belehrungsregeln gegenüber seinem Mandanten nicht eingehalten worden sind. Desweiteren sind Vernehmungsmethoden angewandt worden, die so nicht korrekt waren. Die Willenskraft des E. war durch Übermüdung und Einnahme von Medikamenten eingeschränkt.

Rechtsanwalt H. drängt darauf zuerst das Geständnis des Angeklagten E. vom 8. Januar 2020 vorm Ermittlungsrichter in den Prozess einzuführen. Bei dieser Vernehmung hat E. zugegeben am Tat Tag am Tatort gewesen zu sein, aber nicht gemordet zu haben. Rechtsanwalt H. beanstandet, dass die Reihenfolge durch den Senat andersherum vorgenommen wird. Der Senat begründet das mit der chronologischen Abfolge der Vernehmungen. H. ist damit nicht einverstanden und möchte dazu einen Beschluss. Auch dieser erfordert wiederum eine Pause von circa 5 Minuten.

Anmerkung: E. ist in sich gekehrt und ruhig. H. ist eher pro aktiv, macht auf schlau und lustig.

Nach der Pause erfolgt der Beschluss des Senats, dass die Reihenfolge wie vorgesehen bleibt. Nun wird das Video gezeigt. Gleich zu Anfang wird E. durch die anwesenden beiden Polizeibeamten ordnungsgemäß belehrt. Er wird auch darauf hingewiesen, dass er schon bei der Festnahme, als auch in der Justizvollzugsanstalt belehrt worden ist. Am Anfang gibt der Angeklagte E. seine Personalien an. Dies ist der volle Vor- und Zunahme, das Geburtsdatum, der Geburtsort sowie der Wohnort. Weiterhin sein ausgeübter Beruf vor der Festnahme, der Arbeitgeber und sein Familienstand, sowie Kinder. Der Tatvorwurf lautet auf Tötung des Dr. Walter Lübcke. E. wird aufgefordert seine Geschichte von Anfang an zu erzählen. E. beginnt im Jahr 2010.Er berichtet über seine Gruppen Erlebnisse in den Gruppen der Reichsbürger, der Nationalisten, der Freien Kameradschaft Kassel und der NPD.

Anmerkung: E. ist vorbestraft wegen versuchter Tötung aus Ausländerfeindlichen Gründen.

Er berichtet weiter dass er auch die Gruppe 18 (die 18 steht für Adolf Hitler, der 1. und 8. Buchstabe vom Alphabet) kannte. Mit denen wollte er aber nichts zu tun haben. E. drückt sich teilweise sehr gewählt aus und heult zwischendurch. Die Polizisten geben ihm ein Papiertaschentuch und loben seine gute Mitarbeit. Nach 2010, insbesondere nach einer Demonstration in Dortmund, wo es zu heftigen Ausschreitungen kam und er wiederum verurteilt wurde, wollte er sich 2011 zurückziehen und von der Rechten Szene lossagen.

Anmerkung: E. macht während der Vernehmung keinesfalls einen betäubten oder übermüdeten Eindruck. Er wirkt angestrengt und konzentriert. Auf Hinweise der Polizei oder Fragen reagiert er unverzüglich. Seine Gestik und Mimik ist nahezu parallel zu dem was er jeweils sagt. Ein Wasser welches ihm gereicht wird, öffnet er behutsam und kontrolliert damit nichts raus sprudelt.

Anmerkung: der Angeklagte H. hört sehr konzentriert und interessiert zu.

Anmerkung: Nachdem E. die ersten Minuten des Videos gesehen hat, reagiert er stark emotional und aufgewühlt. Daher beantragt der Rechtsanwalt K. eine Pause für E. Der Vorsitzende Richter S. fragt E direkt. Dieser lehnt eine Pause ab. Der Oberstaatsanwalt reicht dem Angeklagten E. Papiertaschentücher, da dieser geweint hat.

Bei der Vernehmung gibt E. niemanden Schuld, sondern nur sich selbst. Den Angeklagten H. hat er erst nach einigen Jahren bei seinem Arbeitgeber wieder getroffen. Dieser wurde dort durch eine Zeitarbeitsfirma eingesetzt. H. forderte E. auf bei ihm im Schützenverein in Sandershausen einzutreten. Hier hat er H. oft in seiner Freizeit wieder getroffen und sie haben wieder angefangen über politische Themen zu sprechen und so wurde E. durch H. wieder radikalisiert. Man war der Meinung, man muss sich als Deutscher vor den Einwanderern mit Waffen schützen. H. teilte E. mit, dass er wüsste wo man illegal Waffen besorgen kann. Entweder in Tschechien oder Frankreich oder auch auf einem Flohmarkt in den Messehallen in Kassel. H. hielt die Gespräche mit E. immer wieder am laufen. 2014 wurde es dann konkret. H. rief E. an und teilte ihm mit, es gebe eine Gelegenheit zum Kauf einer belgischen Schrotflinte. Das tat E. und bezahlte €800 für diese Flinte. Er legte sie dann zu Hause im Keller ab. Später hat er sie weiter verkauft. Er weiß, dass H. auch Waffen zu Hause hat, sowohl voll funktionsfähige, als auch Deko-Waffen. H. hat ihm auch die Munition besorgt Teilweise hat er diese auch selbst hergestellt. Später hat man sich auch mit einem Elmar getroffen, dieser Kontakt wurde über H. hergestellt. Elmar wohnt bei Höxter in einem großen Haus, inklusive Gaststätte, direkt an einer Bushaltestelle. Elmar besorgte H. Waffen. Unter anderem ein Gewehr Hornet, später auch eine 38-iger mit Munition. Für das Gewehr wurden € 850 bezahlt.

Danach bekam E. Kontakt zu Jens L. und Timo A. Die waren ebenfalls Arbeitskollegen von ihm bei der Firma Hü. Denen verkaufte er mehrere Waffen. Einerseits wollte er daran verdienen, andererseits wollte er, dass mehrere Kameraden bewaffnet sind. Der Angeklagte H. hatte Mitte 2015 aufgrund seines Zeitarbeitsvertrages bei der Firma Hü. wieder aufgehört.

Pause von 13:00 Uhr bis 14:11 Uhr.

Anmerkung: In der Pause scherzt H. mit seinem Anwalt Dr. C.

2015 hat E. mit H. eine Veranstaltung in Lohfelden besucht. Hier hat Dr. Walter Lübcke zum Thema der Flüchtlingsproblematik gesprochen. H. hat zeitweise mit seinem Handy gefilmt. Dr. Lübcke hat u.a. gesagt: " Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen." Diese Aussage hat E. ungemein wütend gemacht. Hiernach hat er sich näher mit Dr. Lübcke befasst. Er hat über das Internet seine Privat Anschrift sowie seine Telefonnummer herausgefunden. Ab da hatte er ihn auf dem Schirm. E. teilte H. mit, dass man was (mit Lübcke) machen muss. Auch die Silvesternacht in Köln war für ihn eine große Initialzündung. Danach eine weitere; der LKW Anschlag in Nizza. (E. weint im Video). Zitat im Video: "Ich hätte es nicht tun dürfen." Die Videos zu dem Nizza-Anschlag, mit den Leichen und den Schreien musste er sich immer wieder angesehen, immer wieder. Zu diesem Zeitpunkt hat er den Entschluss gefasst dem Herrn Lübcke etwas an zu tun. Etwas mit Waffen oder anschreien oder einfach nur schlagen. E. gesteht, dass er viele Male am Privathaus war. Immer mit seinem Privat-Kfz, einem weißen Caddy und oftmals am Wochenende. Es hat ihn nicht mehr losgelassen. Es war für ihn fast manisch, so dass er dort immer wieder hin fuhr. Für alle Anschläge die auf der Welt passiert sind, hat er Dr. Lübcke verantwortlich gemacht. Die Observation hat er so durchgeführt, dass er sein Auto in der Nähe des Kindergarten abgestellt hat und dann einen Feldweg entlang gegangen ist. Einmal ist er auch nahezu an Herrn Lübke vorbeigegangen, als der gerade mit einem Nachbar am Gartenzaun sich unterhalten hatte. Daraufhin ging er den Berg hinauf und blieb über 3-4 Stunden dort oben, weil er so voller Hass war. Manchmal war er auch nachts da und hat direkt vor der Haustür von der Familie Lübcke gestanden.

Anmerkung: Warum es bei dieser gefährdete Person keine ordentlichen Sicherheitsmaßnahmen gab, wie zum Beispiel Kameras am Wohnhaus, ist mir schleierhaft.

E. war so oft da war, dass er auch um sein Haus gelaufen ist. E. wusste genau wo sein Garten ist und wo die Stühle stehen. 2017 war er zu einem Zeitpunkt, an einem Samstag Nachmittag da, diesmal mit einem anderen Kfz, einem weißen BMW, als er feststellte, dass Kirmes auf dem Turnplatz war. Seine Waffe ein 38-er Revolver hatte er dabei. Dr. Lübcke saß auf der Terrasse, er wollte aussteigen, schießen und weg. Da kam ihm die Idee ihn während der Kirmestage zu erschießen, weil dann die feinen "Leute" merken, dass auch um sie herum die Leute sterben und das sie das gleiche erleben wie bei Terroranschlägen. Zu diesem Zeitpunkt fasste er diesen Entschluss noch fester. 2018 fuhr er auch während der Kirmestage zum Haus der Familie L. Er hat sich so positioniert, dass er die Terrasse einsehen konnte und hat gewartet bis Dr. Walter Lübke auf die Terrasse kam. Er kam, hat ihn aber nicht gesehen, obwohl er nur 3 m von ihm entfernt war. Dr. Lübcke hat dort gesessen. Warum er nicht geschossen hat, kann er heute nicht sagen. Bis das Jahr zur Kirmes 2019 verstrich, war er ab und zu noch mal da, auch unter der Woche. Auch Anfang des Jahres 2019. Zu welchem genauen Datum die Kirmes stattfinden würde hat er sehr leicht raus gefunden. Das letzte Mal vor der Tat war er Anfang Mai 2019 vor Ort. Der definitive Entschluss für seine Tat waren die zwei Rucksacktouristen in Marokko. (E. weint im Video immer wieder) Diesen Touristen wurde der Kopf abgeschnitten und die Schreie hat er nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Damit war die Tatausführung für ihn klar. E. ging in die konkrete Tat-Vorbereitung.

Pause: 15:20 bis 15:54 Uhr.

Am Freitag vor der Tat hatte er Urlaub, da der Donnerstag davor ein Feiertag war. Am Samstag war ihm klar, ich fahre hin, nicht mit der Absicht ihn zu erschießen. Damit hatte er sich aber selbst belogen. E. nahm sich die Waffe und fuhr zum Wohnort der Familie L. wollte mal schauen was dort so passiert. An diesem Tag ist er um 07:00 Uhr aufgestanden, hat gefrühstückt und dann am Haus gearbeitet (Bad Renovierung). Gegen 14/ 15:00 Uhr hat er sich auf die Terrasse gesetzt. Es stand für ihn fest, ich fahre hin. Die Waffe, eine 38-er Taurus, 2 Zoll Lauf, ein schwarzer Revolver mit fünf Schuss, war in seinem Büro. Seine Frau ist mit seiner Tochter gegen 18:00 Uhr aus dem Haus gegangen um an einer Veranstaltung ihrer Glaubensgemeinschaft teilzunehmen. So gegen 19:30 Uhr hat er das Haus verlassen. E. trug eine schwarze Cargohose, ein schwarz weißes Sweatshirt und schwarz rote Arbeitsschuhe (Größe 46), eine Umhängetasche aus Nylon mit Klettverschluss. Handschuhe trug er nicht. Sein Handy ließ er wegen der Ortungsmöglichkeit zu Hause. Gegen 20:30 Uhr ist er im Wohnort der Familie Lübcke angekommen. Bis ca. 23:00 Uhr hat er in der Nähe des Hauses gewartet. Gegen 23:05 Uhr ist er in Richtung Haus gegangen. Das Haus war mit zwei Strahlern hell beleuchtet. Er hat 20 Minuten vor Ort gewartet und sich gewünscht, dass Dr. Lübcke nicht erscheint. Dann hat er plötzlich doch Dr. Lübcke auf der Terrasse sitzen gesehen. Erkannt hat er ihn nur, weil er den Schein vom Display des Smartphones gesehen hat. Er ist auf dem Schotterweg von der Pferdekoppel bis zum Grundstück gegangen. E. ist der Meinung, dass Dr. Lübcke ihn nicht gesehen hat. E. hat kurz gezögert, doch dann ging alles sehr schnell. Er ist die Wiese links lang gelaufen, die Mauer hoch und hielt die Waffe in der rechten Hand. Der Hammer war vorgespannt und hat Dr. Lübcke aus 1,5 m direkt in den Kopf geschossen. Es ging so schnell, dass Dr. Lübcke vielleicht noch seinen Schatten gesehen hat, aber seinen Kopf nicht mehr zu ihm drehen konnte. Danach ist E. denselben Weg zurück gelaufen. Er ist gerannt, als ihm auf dem Weg zurück drei Personen (zwei weiblich, eins männlich) entgegengekommen sind, ist der kurz gegangen, danach aber wieder gelaufen. Bis zu seinem Auto. Mit seinem Auto ist er dann über einen Weg der nur für Forstwirtschaftliche Zwecke erlaubt war, zurück gefahren. Er fuhr ziemlich zügig. Zu Hause hat er das Auto vor dem Haus abgestellt und ist hoch um die Waffe wieder in seinem Schrank im Büro zu legen. E. hat sich ausgezogen und dann geduscht und sich schlafen gelegt. Davon ist seine Frau wach geworden. Am nächsten Tag hat er über sein Smartphone erfahren, dass Dr. Lübcke gestorben ist. Sein erster Gedanke war: "Hättest Du es doch nie gemacht." "Was hast du getan?". "Du kannst es nicht rückgängig machen." Am Sonntag war er zwischen 10:00 und 12:00 Uhr mit seinem Sohn zum Bogenschießen, danach sind sie einen Hamburger essen gegangen.

Anmerkung: Familie Lübcke schaut sich das Video komplett mit an. Sie zeigen kaum sichtbare Reaktionen. Das kann auch daran liegen, dass sie das Video schon vorher mehrmals, auch zur Vorbereitung für den Prozess, gesehen haben.

Irgendwie kam es E. am Tag nach Tat so wie vor wie immer. Er ist ganz normal zur Arbeit gegangen. Seine Waffen hatte er alle ins Auto gepackt und hat sie während einer Nachtschicht (20:30 Uhr bis 6:00 Uhr) bei seinem Arbeitgeber Hü. auf dem Grundstück vergraben. Er hatte gegen 2:00 Uhr eine Pause, so dass er mit einer Schaufel zu der Stelle gegangen ist, die er vorher ausgesucht hatte. Er schaufelte etwa ein Loch 1 m mal 50 cm und ca. 60-70 cm tiefes Loch.

Pause von 16:52 Uhr bis 16:07 Uhr.

Seine sonstigen Tatutensilien, die Tasche usw. hat er in den Wagen seines Schwiegervaters (Škoda Octavia) gelegt und das Auto auf einem Parkplatz abgestellt. Seine Tatkleidung hat er zerrissen und in einem blauen Sack gesteckt, den er dann in einen Müllcontainer auf dem Gelände seines Arbeitgebers Hü. geworfen hat. Er hat sich schuldig gefühlt. Die Tatwaffe hatte er von Elmar 2016 gekauft. Entweder bei ihm zu Hause oder auf dem Flohmarkt. Für € 1100,00, inklusive 50 Schuss Hohlspitzmunition. Mit dieser Waffe hat er zwei Probeschießen durchgeführt.

Anmerkung: Die vernehmenden Polizeibeamten möchten von E. genau wissen, wie er die Tathandlung und die Schussszene durchgeführt hat. Hierzu begibt. sich E. außerhalb des Filmbereichs der Kamera, so dass man es nicht sehen kann.

Auch ein Alibi hat er sich besorgt, er hat seinen Kollegen H. angestiftet, damit der ihm für die Zeit Samstag von 21:30 Uhr bis 0:00 Uhr ein Alibi gibt. Man hätte sich auf ein Bier am Aue Bad getroffen. H. wusste nichts von seinem Vorhaben. E. hatte H. nur Andeutungen zu seiner Tat gemacht. Einer Partei gehörte er zu dieser Zeit nicht an. Früher war er bei der NPD. Als Messenger hat er WhatsApp und Threema genutzt. Sein Passwort auf dem PC im Büro lautet German. Der Angeklagte H. hatte ihm Threema als Messenger empfohlen. H. war sehr auf Sicherheit bedacht. Auf dem PC ist noch ein besonders gesicherten Bereich, hierzu möchte die Polizei ebenfalls das Passwort haben. E. erklärt aufwändig wie es sich damit verhält. E. gibt an, dass sich auf diesen Dateien nichts besonderes befindet.

Anmerkung: Rechtsanwalt K. spielt ausschließlich an seinem Handy rum und macht einen sehr desinteressierten Eindruck. H. spricht während des Ablaufs ab und zu mit seinem Verteidiger.

E. teilt im Video mit, dass es ihm unendlich leid tut was er getan hat, er bereut es. Dass ein Mensch sterben muss nur weil er die falschen Worte gewählt hat (dazu bezieht er sich auf die Rede von 2015 zur Flüchtlingsproblematik in Deutschland). Es tut ihm leid, dass er der Familie Lübcke einen lieben Menschen genommen hat. Es ist unverzeihlich, sagt er. Niemand sollte für die Worte die er gesagt hat sterben müssen. E. wurde als Beschuldigter vernommen. Die Vernehmungsdauer gemäß Video dauerte ca. 4 Stunden.

Nach Beendigung der Sichtung des Videos möchte die Verteidigung erst am nächsten Hauptverhandlungstag ihre Stellungnahmen hierzu abgeben. Der Nebenkläger Vertreter der Familie Lübcke Prof. Dr. M. möchte jetzt eine Stellungnahme abgeben. Er betont, dass er das Video als Beweis für glaubwürdig hält und bedauert, dass E. seit Januar/ Februar 2020 eine Lügengeschichte der Wahrheit vorzieht. Er hat hier zu drei Fragen:
1. Wie kam die DNA von E. an das Hemd von Dr. Lübke und warum berührte E. ihn noch kurz?
2. Wie erklärt sich E., dass es Zeugen gibt, die zwei Autos am Tatort gesehen haben?
3. Wie erklärt. E. die gleichzeitige Daten-Löschung bei beiden Angeklagten ?

Zum Schluss dieses Verhandlungstages wird der Antrag des Verteidigers Dr. C. auf Unterbrechung der Hauptverhandlung, weil seine Sicherheit nicht gewährleistet ist, durch den Senat abgelehnt.

Die Verhandlung wird vertagt auf den 30.6.2020 10:00 Uhr.
Ende der Verhandlung 18:24 Uhr


Bildquelle: Frank Röth / F.A.Z./ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

Lübcke-Prozess: 1. Verhandlungstag – Befangenheitsanträge usw.

Angesichts der Corona-Schutzmaßnahmen können bei weitem nicht alle Journalisten, die über den Prozess berichten wollen, einen Platz auf der Pressetribüne finden. Es gab ein ausführliches Akkreditierungsverfahren für die Medienvertreter. 200 Journalisten haben sich angemeldet. 19 davon haben einen Platz im Gerichtssaal erhalten! Sie sitzen auf einer Empore oberhalb des Gerichtssaals und der Öffentlichkeit. Für Medienvertreter, die keinen Platz auf der Pressetribüne bekommen haben, steht ein Raum mit insgesamt 41 Plätzen zur Verfügung. Dort können sie dank einer Tonübertragung der Verhandlung folgen.

Das Foto zeigt den Gerichtssaal. Im hinteren Bereich - an der Wand sitzen die fünf Richter des 5. Strafsenats (Staatsschutz), links davon die zwei Vertretungsrichter, rechts außen sitzt der Protokollführer.

In der ersten Reihe sitzen – von links nach rechts: der Angeklagte Stephan E. mit seinen beiden Verteidigern K. und H. und zusätzlich ein Justizwachtmeister. Die zweite Reihe von links ist leer. Die dritte Reihe wird belegt durch den Angeklagten Markus H. mit seinen beiden Verteidigern Sch. und Dr. C. und einem Angestellten der Justizwachtmeisterei. In der Mitte befindet sich der Zeugentisch. In der zweiten Reihe von rechts sitzt Familie Lübcke (die Ehefrau mit den beiden Söhnen) und der Nebenklägerverteidiger Prof Dr. M., zusätzlich sitzt dort der psychologische Sachverständige. Ganz rechts sitzen vorne die beiden Staatsanwälte der Bundesgeneralstaatsanwaltschaft, daneben der Nebenklägerverteidiger und der irakische Nebenkläger E., sowie der Dolmetscher.

Zuerst betritt der psychologische Sachverständige den Saal. Es folgen die beiden Staatsanwälte der Generalbundesanwaltschaft. Beide tragen ihre karmesinroten Roben. Dann betritt den Saal der Verteidiger K. des Angeklagten Stephan E., danach kommt Familie Lübcke mit ihrem Nebenklägeranwalt Prof. Dr. M. Die Familie ist fast komplett in schwarz gekleidet. Sie schreitet bedächtig wie bei einem Trauermarsch mit ernstem Gesichtsausdruck durch den Saal. Die Richter betreten den Gerichtssaal um sich an ihrem Arbeitsplatz einzurichten. Zunächst werden Bücher ausgepackt und Laptops eingerichtet.

Um 10:08 Uhr betritt Markus H. in Handschellen den Saal - begleitet durch zwei Justizwachtmeister. Markus H. ist ca. 178 cm groß, glatzköpfig, trägt einen Kinnbart, hat eine bullige Gestalt und macht einen übergewichtigen Eindruck. Er trägt eine braune Cordhose und ein graues Poloshirt (welches schon mehrfach getragen worden ist) sowie einen Hoodie. Die Kapuze ist über den Kopf gezogen. Später nimmt er die Kapuze ab, so dass seine helle Hautfarbe zu sehen ist. Zum Schutz vor den Fotografen hält er sich einen DIN-A4-Ordner vor das Gesicht. Die Handschellen werden ihm kurz vor Prozessbeginn abgenommen. 2 Minuten später betritt Stephan E. den Saal. Er ist eine stattliche Gestalt, trägt einen schwarzen Blazer, welcher am untersten Knopf zugeknöpft ist; ein weißes Hemd ohne Krawatte, schwarze Hose, schwarze Schuhe. Seine Haare sind kurz und gepflegt. Er versteckt sein Gesicht nicht und auch bei ihm ist die helle Hautfarbe zu sehen. Die Kleidung wirkt insgesamt eine Nummer zu groß; entweder hat er in Untersuchungshaft abgenommen oder in der Anstaltskleiderkammer ist etwas bei der Bestellung schief gelaufen.

Nachdem der Vorsitzende Richter S. den Prozess eröffnet hat werden zuallererst die Personalien der beiden Angeklagten aufgenommen. Danach möchte der Senat den Prozess beginnen. Dies wird unterbrochen weil der Rechtsanwalt K. von Stefan E. Anträge stellt. Der erste Antrag ist ein Ablehnungsantrag des Vorsitzenden Richters S. wegen Befangenheit. Im zweiten beantragt er, das die Rechtsanwältin Sch. des Angeklagten H. als Pflichtverteidigerin auszuschließen ist. Ebenso ist der zweite Verteidiger Dr. C. auszuschließen. Im vierten Antrag fordert er eine Aussetzung der Hauptverhandlung.

Sein Mandant E. hegt Zweifel am Vorsitzenden Richter S., weil er die Rechtsanwältin Sch. als Verteidigerin des Angeklagten H. zugelassen hat. Die Verteidigerin war schon vorher in diesen Fall involviert und hätte deshalb nicht als Pflichtverteidigerin bestellt werden dürfen. Er hält den Vorsitzenden Richter für voreingenommen. Als weiteren Grund gibt er an, dass nur 32 Hauptverhandlungstage angesetzt sind. Dies hält die Verteidigung und der Angeklagte E. für zu wenig. H. beantragt, dass ihm ein dritter Pflichtverteidiger zur Seite gestellt wird. Der Generalbundesanwalt hatte diesen Antrag bereits abgelehnt. Das Gericht hat hier das Ermessen wie viele Pflichtverteidiger dem Angeklagten beigestellt werden. Auch diesen Antrag hat das Gericht bereits am 4.6.2020 abgelehnt.

Anmerkung: Familie L. hört bedächtig zu. Der Angeklagte H. versucht zu folgen, der Angeklagte E. ist konzentriert.

Die vorläufige Festnahme von Stephan E. war am 15. Juni 2020.

Anmerkung: Der Strafsenat ist von der Fülle der Anträge nicht begeistert, die Gesichtsausdrücke zeigen dies deutlich, es hören aber alle konzentriert zu.

Um 10:43 Uhr stellt Rechtsanwalt H. (Verteidiger von E.) einen weiteren Aussetzungsantrag der Hauptverhandlung. Er begründet diesen mit dem ungenügenden Infektionsschutz vor und während der Hauptverhandlung. Hierzu schlägt er die Auswahl eines größeren Raumes vor. Er hält die Behandlung der Presse und der Zuschauer für eine Teilnahme an diesem Prozess für unwürdig. (Während der Ausführungen hustet der Anwalt plakativ) Weiterhin beantragt er bei Gericht die Einsetzung einer Hilfsperson zur Aktendurchsicht, auch während des laufenden Verhandlungstages. Auch dieser Antrag wurde schon einmal wegen Corona abgelehnt. Desweiteren bemängelt er die Weitergabe von Informationen. Seine Erkenntnisse erhält er überwiegend von den Medien und nicht vom Gericht.

Pause: 10:59 Uhr bis 11:16 Uhr. Familie L. verlässt den Saal, die Angeklagten nicht. E. bespricht sich, wie auch H., mit seinen Anwälten.

Anmerkung: H. missbilligt die o.a. Anträge von E..

Nach der Pause stellt die Verteidigerin Sch. den Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung oder auf eine dreiwöchige Pause, weil ihr eine komplette Akteneinsicht erst ab 20. Mai möglich war. Sie wurde erst am 14. Mai beigeordnet. In der Kürze der Zeit war es ihr nicht möglich sich vorzubereiten. Rechtsanwalt Dr. C. schließt sich ihrem Antrag an. Auch ihm war es nicht möglich sich ordentlich vorzubereiten. Desweiteren teilt er mit, dass es in der Nacht vor diesem Prozesstag einen Farbanschlag mit Bezug auf diesen Prozess auf sein Büro gegeben hat. Er beantragt, dass er vor jedem Prozesstag von Mitternacht bis 6:00 Uhr durch das Polizeipräsidium Düsseldorf geschützt wird. Er hält es für ausgeschlossen, dass das Verfahren unter diesen Umständen fortgesetzt werden kann. Verteidigerin Sch. beantragt weiter, dass das gesamte Verfahren in Ton und Bild aufgezeichnet wird. Sie möchte mindestens ein wörtliches Protokoll. Rechtsanwalt Dr. C. beantragt das Verfahren gegen H. einzustellen und daher erst gar nicht die Anklage gegen seinen Mandanten zu verlesen. Der Haftbefehl ist unverzüglich auszusetzen. Es kann kein faires Verfahren geben, da es suggestive Ermittlungen, zum Beispiel Fragen an E. in Bezug auf H., gegeben hat. Die Presse habe seinen Angeklagten schon vorab verurteilt. Weiterhin sind Teile der Akten durch die Generalbundesanwaltschaft öffentlich gemacht worden.

Anmerkung: Die Anklageschrift beinhaltet ca. 322 Seiten, das gesamte Volumen beläuft sich auf ca. 90.000 Seiten/232 Aktenordner.

Unter anderem wurde ebenfalls bekannt dass Frau D., die Mutter der gemeinsamen Tochter des Angeklagten E. ihn politisch schwer belastet. Sie bezeichnet ihn als "gefühlslosen Nazi". Um die Tochter gibt es einen Kinderrechtsstreit. Der Verteidiger bemängelt auch, dass der Haftbeschluss der Generalbundesanwaltschaft auf deren Internetseite eingesehen werden konnte. Dort gibt es eine Entscheidungsdatenbank. Es waren ca. 30 Seiten einsehbar.

Anmerkung: Bei der Beobachtung der beiden Angeklagten stellt sich mir die Frage: Wer ist wer? Es mutet an, dass nicht E. der Haupttäter ist, sondern eher H. Er scheint der "radikale Denker" und der "geistige Vater" der Tat zu sein. Das wird im Laufe des Prozesses sicher noch ausführlich beleuchtet. Klar ist, dass mutmaßlich E. geschossen haben soll. Weiterhin bedenklich ist, dass diese lang geplante Tat über mehrere Jahre, ohne dass es die Sicherheitsbehörden bemerkt haben, durchgeführt werden konnte. Im Prozess selbst macht H. den entspannteren Eindruck. E. ist hoch konzentriert und angestrengt. H. hat seine Gewieftheit schon bei der Verlängerung seiner Waffenbesitzkarte bewiesen.

Pause: 12:35 Uhr bis 12:49 Uhr. Familie L. verlässt den Saal. E. sitzt ohne seine Anwälte auf dem Stuhl. H. spricht entspannt mit seiner Verteidigerin Sch. E. macht das Verfahren zu schaffen. Er wirkt unentspannt und stiert nachdenklich und orientierungslos in den Saal.

11:50 Uhr Nach der Pause gibt Oberstaatsanwalt K. eine Stellungnahme zu den gestellten Anträgen der Verteidigung ab. Alle Anträge werden abzulehnen. Er führt dazu weiter aus (Prof. Dr. M. Nebenklägervertreter der Familie Lübcke nickt zustimmend). Der Oberstaatsanwalt stellt fest, dass die vorliegende Aktenfülle bei einem Staatsschutzverfahren nicht ungewöhnlich ist. Auch das Corona-Argument zählt nicht, da Maßnahmen getroffen wurden, die einen höheren Schutz erwirken und er festgestellt hat, dass die Verteidigerpartei selber Vorsichtsmaßnahmen außerhalb des Gerichts außer Acht lässt. Eine Vorverurteilung sieht er nicht, da der Senat damit professionell umgehen kann. Zumal dem Senat jegliche Inhalte auch über die Akten vorliegen. Auch der Nebenklägerverteidiger Rechtsanwalt H. lehnt die Anträge ab, obwohl er sich einen größeren Saal gewünscht hätte. Der Nebenklägerverteidiger Prof. Dr. M. für die Familie L., erklärt, dass es für die Familienangehörigen schwer zu ertragen ist, in dieser Situation solch haltlose Anträge hören zu müssen. Sie sind alle abzulehnen und das wüßten die Verteidiger auch. Er unterstellt ihnen Absicht.

Anmerkung: E. folgt dem emotionslos, H. folgt aufmerksam und verzieht mehrfach das Gesicht. Rechtsanwältin Sch. ebenfalls.

Pause: 13:12 Uhr - 14:38 Uhr.

Nach der Pause gibt der Vorsitzende Richter S. bekannt, dass der Befangenheitsantrag gegen ihn später entschieden wird. Andere Anträge wurden abgelehnt oder die Entscheidung dazu vertagt. Gegen 15:05 Uhr kann nun endlich die Anklage durch die Generalbundesanwaltschaft verlesen werden.

E. wird wegen Verstoß gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz, sowie Mord und versuchten Mordes angeklagt. Ihm wird eine rassistische Grundhaltung unterstellt. Er zeigt eine Bereitschaft zur schweren Gewalt. E. hat seine Waffen, unter anderem die Lübcke Waffe, von H. gekauft.

H. wird wegen Verstoß gegen das Waffengesetz und Beihilfe zum Mord, hier psychische Beihilfe zum Mord angeklagt.

Anmerkung: H. liest die Anklage mit und reagiert je nach Lage. E. ist quasi bewegungslos. Es gibt keinerlei Kontakt zwischen den beiden, nicht einmal Augenkontakt.

Der Tatort war in Wolfhagen–Istha. Die Ausspähung des Tatortes erfolgte ab 2017, unter anderem mit einer Wärmebildkamera. Der Tag der Tat war Samstag der 1. Juni 2019 zwischen 22:30 Uhr und 22:50 Uhr. Das Opfer Dr. Walter Lübcke saß, eine Zigarette rauchend, auf seiner Terrasse. Er hantierte mit seinem Handy. Der Täter wollte schon gehen, da er dachte Dr. Lübcke würde an diesem Abend nicht auf die Terrasse kommen, sah aber dann doch noch den Lichtschein vom Display des Handys. Er benutzte einem 38er Revolver Rossi und schoss dem Opfer mit einem Schuss in den Kopf. Der Todeszeitpunkt war am 2. Juni 2019 um 2:45 Uhr. Bevor E. den Tatort verließ berührte er Dr. Lübcke noch kurz. Zu Hause löschte er alle Computerdateien die einen Zusammenhang zum Opfer belegen konnten, duschte und legte sich schlafen. E. informierte H. nicht konkret über die Tat, ließ ihn aber wissen, dass etwas gegen Dr. Lübcke getan werden müsse. H. nahm das billigend in Kauf und bestärkte E. in seinem Vorhaben mit Zuspruch. Beide besuchten gemeinsam rechtsorientierte Veranstaltungen. Auch gingen sie mehrfach gemeinsam zum Schießtraining. E. trat auf Geheiß von H. in dessen Schützenverein ein.

Die Generalbundesanwaltschaft gibt bekannt, dass alle Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung von E. vorliegen.

Der Vorsitzende Richter S. teilt mit, dass die Anklageschrift zugelassen wurde. Verständigungsgespräche haben nicht stattgefunden. E. wurde am 15. Juni 2019 festgenommen und ist seit dem 16.6.2019 in Untersuchungshaft. H. wurde am 26. Juni 2019 festgenommen und befindet sich seit dem 27.6.2019 in Untersuchungshaft. Der Vorsitzende Richter S. belehrt beide Angeklagten, das sich ein in Reue geprägtes Geständnis immer positiv auswirkt und sie in dieser Sache nicht auf ihre Anwälte, sondern auf ihn hören sollten.

Um 15:25 Uhr gibt Rechtsanwalt Dr. C. ein Eingangsstatement ab. Er missbilligt die Formulierungen der Generalbundesanwaltschaft in der Anklageschrift, insbesondere, dass die politische Einstellung von H. erwähnt wird. Das psychologische Gutachten hat ergeben, dass H. für E. eher ein Kollege ist und dass E. ein Einzelgänger sei.

Ende des 1. Verhandlungstages um 15:45 Uhr.


Bildquelle: OLG Frankfurt am Main; Bericht: Stefan Bisanz