Lübcke-Prozess: 13. Verhandlungstag
27.08.2020
Der 13. Verhandlungstag beginnt um 10:10 Uhr. Heute wird nur ein Zeuge gehört: Kriminaldirektor M. war Leiter der Sonderkommission Liemecke und durfte heute den Prozessbeteiligten Rede und Antwort zur Ermittlungsarbeit rund um den hier verhandelten Sachverhalt stehen. Auch heute werden, vor der eigentlichen zeugenschaftlichen Vernehmung, Beschlüsse verlesen und Organisatorisches abgearbeitet.
Zunächst wird verlesen, dass ein Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wird. Das Gericht wird den Zeugen daher nicht laden, geht aber auch davon aus, dass dies keinen Einfluss auf den zu klärenden Sachverhalt hat. Der Verteidiger von Stephan Ernst gibt zu Protokoll, dass der Angeklagte seine beiden früheren Verteidiger, Dirk Waldschmidt und Frank Hannig, eingeschränkt von der anwaltlichen Schweigepflicht entbindet. Anschließend verteilt das Gericht das 11-minütige Video der Veranstaltung in Lohfelden an alle Prozessbeteiligten. Danach wird Kriminaldirektor M. als Zeuge gehört.
Er schildert zuerst den allgemeinen Ablauf der Sonderkommission (SoKo). M., der 3 Tage nach der Tat mit der Leitung der SoKo betraut wurde, schilderte erst einmal die Widrigkeiten, die die Ermittlungsarbeiten zunächst erheblich erschwerten. Zum einen beeinträchtigte der Umstand, dass die Polizei erst am nächsten Morgen durch das Kreiskrankenhaus über einen männlichen Verstorbenen informiert wurde und erst dann bei der Leichenschau die eigentliche Schussverletzung festgestellt wurde. Zum anderen nannte er den Tatort, der sich als - so wörtlich - geputzte Platte präsentierte. Zu Beginn der SoKo wurde weder Suizid noch Unfall oder Fremdverschulden ausgeschlossen. Neben dem bereits gereinigten Tatort kam für die Ermittlungsarbeit erschwerend hinzu, dass es rund um den Tatort keine Videoüberwachung im urbanen Raum gibt (Tankstellen, Banken etc.) und, dass zum Tatzeitpunkt eine Kirmes mit ca. 1.000 Besuchern im Ort stattgefunden hat. In den Fokus geriet zunächst ein Freund der Familie, Florian A., der auch als Ersthelfer im Einsatz war. Dieser hatte bei seiner Ersteinlassung widersprüchliche Aussagen getroffen, und er war es auch, der den Tatort intensiv gereinigt hatte. Auch die Familie konnte, was eine Tatbeteiligung betrifft, zunächst nicht ausgeschlossen werden. Es wurden technische Maßnahmen eingeleitet, um diesen Verdacht zu erhärten oder zu entkräften.
Anmerkung: Bei Kapitalverbrechen und diffusem Ermittlungsansatz ist es normal und aufgrund der Statistik auch angezeigt, das persönliche Umfeld des Opfers in die Ermittlungen einzubeziehen. Sowohl gegen A., der zwischenzeitlich sogar festgenommen wurde, als auch gegen die Familie konnte der Tatverdacht durch Vernehmungen und die Ermittlungsarbeit entkräftet werden. Auch ein Suizid wurde zügig ausgeschlossen, da es keinerlei Schmauchspuren an den Händen des Opfers gab. Im Ergebnis sind also die ersten Ermittlungsansätze gescheitert, was eine gewisse Ernüchterung innerhalb der SoKo zur Folge hatte.
Deutlich schilderte der Zeuge M., dass es jetzt an ihm war, die Motivation hoch zu halten und klar zu machen, dass man sich nach Ausschluss eines jeden möglichen Tatmotivs auf andere mögliche Motive konzentrieren müsse. Da nach Angabe des Zeugen ein persönliches Tatmotiv höchst unwahrscheinlich war, wurde nun eine politisch motivierte Straftat in Betracht gezogen, wobei ein islamistischer Hintergrund schnell ausgeschlossen wurde. In den Mittelpunkt gerieten vielmehr Gegner von Windkraftanlagen, aber auch Täter aus dem rechten Spektrum.
Der Durchbruch erfolgte dann am 14. Juni als KD M. einen Anruf aus dem LKA Hessen erhielt. Man teilte ihm mit, dass an dem Hemd des Getöteten e i n e Hautschuppe gefunden worden war und die DNA-Analyse einen Treffer in der Datenbank ergeben hatte. Die DNA passte zu dem heute Angeklagten Stephan Ernst. Angewendet wurde hier die aufwändige Einzelschuppenanalyse, die nicht in allen Bundesländern angewendet wird, da der Aufwand sehr hoch ist. Problematisch an der Validität der Spur war, dass das Hemd nicht sofort als Spurenträger gesichert wurde. Es lag schon im Mülleimer des Zimmers im Kreiskrankenhaus, in dem man versucht hatte, das Opfer zu reanimieren. Es war also jetzt an den Ermittlern auszuschließen, dass diese Hautschuppe auf anderen Wegen auf das Hemd gekommen war; was nach Ansicht des Zeugen auch lücken- und zweifellos gelungen sei.
Als Leiter der SoKo hat er umgehend, nachdem die Spurenlage verifiziert war, die Festnahme von Stephan Ernst beantragt. Der Zugriff erfolgte noch in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni, der Haftrichter ordnete die Untersuchungshaft an. Am 23.06. orderte der Zeuge ein Vernehmungsteam in die JVA mit dem Auftrag, mit Stephan Ernst ins Gespräch zu kommen. PD M. begründete diese Entscheidung mit der Auswertung alter Fallakten des Angeklagten., aus denen hervorging, dass sich Ernst häufig zu seinen Taten eingelassen hat. An diesem 23.06. wollte Stephan Ernst allerdings nichts sagen. Der Zeuge sollte dennoch Recht behalten, da sich Stephan Ernst zwei Tage später, am 25.06., an einen JVA-Bediensteten gewendet hat und nun mitteilen ließ, er wolle reden. Er wurde umgehend in das Polizeipräsidium Nordhessen gebracht, wo dann eine Videovernehmung durchgeführt wurde. Ernst lehnte hierbei einen Rechtsbeistand ab.
Bei dieser Vernehmung belastete er den Mitangeklagten Markus H. als Mittäter. Außerdem erstellte er eine Skizze zu einem Waffenversteck auf dem Gelände der Firma seines Arbeitsplatzes. Die Beamten fanden auf Anhieb mit der Skizze die eingegrabene Kiste mit den Waffen. Die Kiste enthielt mehrere Waffen, welche hochprofessionell verpackt und eingeölt waren. Durchsuchungsmaßnahmen bei Ernst brachten unter anderem Bilder einer Dashcam zutage, auf dem der SUV der Familie des Opfers zu sehen war, außerdem die bereits thematisierten Bilder der Wärmebildkamera. Diverse Bilder handgeschriebener Zettel mit Gedanken zum perfekten Verbrechen und Daten, die seine rechte Gesinnung untermauern, wurden bei der digitalen Suche sichergestellt. Bei der Überprüfung der Finanzdaten fiel auf, dass Ernst Überweisungen an die GEZ mit nationalistischen Betreff-Texten versah; „Volksverräter“, „BRD-Zwangsabgabe“ oder „Hurensöhne“ waren nur einige Beispiele. Anschließend ging es im Rahmen der Befragung der Prozessbeteiligten zunächst um die Gemeinsamkeiten zum zweiten Angeklagten Markus H. Hier wurde zunächst ein Threema Chat thematisiert, der am 3.6. gelöscht wurde. Nachgewiesen wurde, dass ca. 250 Einträge gelöscht waren. Die Inhalte konnten jedoch nicht wiederhergestellt werden. Persönlich sollen sich die beiden Angeklagten am Arbeitsplatz des Stefan Ernst zwischen 2011 und 2014 immer wieder begegnet sein. Hier war Markus H. häufig über eine Zeitarbeitsfirma eingesetzt. Nach der Festnahme des H. wurden bei seiner Hausdurchsuchung Waffen, Waffenteile und rechtsradikale Devotionalien sichergestellt.
Im nächsten Komplex ging es um die mögliche direkte Tatbeteiligung des H. Hier wurde zunächst festgestellt, dass bei den Ausspähversuchen keine Handys der Angeklagten in Funkzellen eingeloggt waren, sie waren ausgeschaltet. Während der Tat war auch keines der Handys eingeloggt, allerdings wurde über das Handy des H. per WhatsApp gechattet. Die Ermittler gehen davon aus, dass dies über ein WLAN geschah, nachweisen können sie dies jedoch nicht.
Die Spurenlage am Tatort ließ nach Aussage des Zeugen nicht auf einen zweiten Täter schließen. Die Aussage des Stephan Ernst, was die Wege des Mitangeklagten H. bei der Tatbegehung betrifft, erscheinen durch die Spurenlage unwahrscheinlich. Der durch Ernst beschriebene Weg durch den Bereich, der durch Baustellenstrahler hell erleuchtet war, ist nach Meinung das Zeugen auszuschließen, da das Opfer H. gesehen haben müsste. Ohne es konkret auszusprechen macht der Zeuge den Eindruck, als bezweifle er eine direkte Tatbeteiligung des H. Dies veranlasste die Verteidiger zum Ende des Prozesstages auch eine Erklärung nach § 257 der Strafprozessordnung abzugeben. Der besagte Paragraf erlaubt der Verteidigung, eine Erklärung nach der Beweiserhebung (also der heutigen Zeugenvernehmung) abzugeben. Schnell wurde klar, dass die Verteidigung darauf aus war, die heutige Vernehmung entkräftend für die Tatbeteiligung des H. zu nutzen. Dem Richter allerdings ging die Ausführungen zu weit. Die Verteidigung darf hierbei nicht den Schlussvortrag (Plädoyer) vorwegnehmen. Dies geschah aber nach Auffassung des Richters, so dass er dem Verteidiger nach mehrmaliger Aufforderung am Ende das Wort entzog.
Im Ergebnis wird das zu einem Befangenheitsantrag gegen den Richter führen, welchen die Verteidigung am nächsten Prozesstag vorlegen wird.
Ende der Verhandlung 16:30 Uhr
Bildquelle: Darwin Laganzon; Bericht: Stefan Bisanz
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