Zweifel am Gutachten

Kurz nachdem der Vorsitzende Richter den elften Verhandlungstag eröffnet und damit den Prozess fortsetzt, stellt die Rechtsanwältin von Torsten H., den Antrag, eine weitere Zeugin zu laden. Diese Zeugin hat den Angeklagten Mario K. in Storkow gesehen. Es gab auch einen Ortstermin, aber bis heute hat sie keine Ladung zu Gericht erhalten. Das ist insofern wichtig, als dass der Angeklagte Mario K. ausgesagt hat, er wäre noch nie in Storkow gewesen.

Rechtsanwälte zerpflücken Sachverständigen-Gutachten

Danach gibt der Rechtsanwalt von Stefan T., Dr. Panos P., eine Erklärung zum Gutachten des Sachverständigen, dem Rechtsmediziner Dr. V., ab, welches dieser am letzten Verhandlungstag vorgetragen hat.

Zweifel am Gutachten

Dr. Panos P. zweifelt im besten Fall das Gutachten an, unter anderem deshalb, weil die darin angegebenen Temperaturen von 12 bis 14 Grad Celsius tiefer liegen, als die Daten des zuständigen Wasser- und Schifffahrtsamts, die für den besagten Zeitraum Temperaturen von 14,3 bis 14,5 Grad Celsius belegen.

Auch bemängelt Dr. Panos P. die Angabe, dass das Opfer Stefan T. eineinhalb bis zwei Stunden im Wasser gewesen sein soll. Dies war Bemessungsgrundlage des Sachverständigen Dr. V. in Bezug auf die Unterkühlung. Doch tatsächlich war Stefan T. nur 15 bis 20 Minuten im Wasser, nämlich, als er die erste Strecke vom Ufer bis zur ersten Anlandung zurücklegen musste. Danach, auf der zweiten Strecke Richtung Opferinsel, lag er auf einer circa 20 Zentimeter dicken Luftmatratze, wobei sein Kopf ebenfalls über dem Wasser war.

Damit liegen wesentliche Differenzen in Hinsicht auf eine korrekte Einschätzung einer möglichen Unterkühlung vor.

Außerdem, so Dr. Panos P. weiter, habe der Gutachter nicht hinreichend berücksichtigt, dass das Opfer kurz vor der Entführung Nudeln gegessen hat, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Stefan T. nach Ankunft auf der Opferinsel seine nasse Kleidung unverzüglich gegen trockene Kleider tauschen konnte.

Des Weiteren ging der Sachverständige bei seiner Behauptung, es sei unwahrscheinlich, dass Stefan T. bei seiner Flucht unverletzt blieb, von der Annahme aus, dass er zwar drei Paar Socken anhatte, aber eben nur sehr dünne. Die Sockenpaare jedoch, die der Flüchtende trug, waren wesentlich dicker, als vermutet. Zudem umfasst die Flora vor Ort einerseits keine Nadelbäume und andererseits zeigten sich Geäst und Sträucher durch die vorherrschende Luftfeuchtigkeit eher elastisch. Das heißt, es gab kaum eine Möglichkeit, sich tatsächlich an den Händen zu verletzen.

Nach Dr. Panos P. gibt nun auch der Rechtsanwalt von Petra P. eine Erklärung zum Gutachten ab und moniert darin zuvorderst den Umstand, dass der Sachverständige sich bei seiner eigenen Ortsbesichtigung keine Verletzung zugezogen hat. Zugleich ist dieser aber der unbedingten Meinung, dass das Opfer Stefan T. sich auf jeden Fall hätte verletzen müssen.

Weiter, so der Rechtsanwalt, sei die Berechnung des Gutachters zur Unterkühlung falsch, da die verbrachte Zeit im Wasser wesentlich geringer war, als der Sachverständige im Gutachten angegeben hat. Auch ist die Annahme inkorrekt, dass es für eine Unterkühlung unerheblich ist, ob man sich im Wasser befindet oder aber mit nasser Kleidung außerhalb des Wassers aufhält.

Hier hakt nun der Strafverteidiger Axel W. ein und widerspricht den Anwälten. Diese hätten ihrerseits nicht deutlich genug darauf hingewiesen, dass Stefan T. auch auf dem Hinweg zum letztendlichen Versteck verbundene Augen hatte. Zusätzlich hätte er sich gewünscht, dass die heute vorgetragenen Einwände schon am letzten Verhandlungstag vorgetragen worden wären. Daher wird nun angeregt, doch eine gemeinsame Ortsbegehung mit dem Gutachter durchzuführen, um so genau festzustellen, wo und wie man sich hätte verletzen können.

Der Vorsitzende Richter teilt daraufhin mit, dass er dem Chefermittler zwischenzeitlich den Auftrag erteilt habe, vor Ort festzustellen, wie das Gelände beschaffen und wie hoch die Verletzungsgefahr tatsächlich ist. Dies sei mit einer Videokamera aufzunehmen, so dass die Erkenntnisse bei Gericht gezeigt werden können.

Beim Ausspähen erwischt? Zeuge erkennt Angeklagten wieder

Nun folgen die mehrstündigen Aussagen zweier, miteinander befreundete Rentnerehepaare. Insbesondere einer der Rentner, Herr K., berichtet in einer sehr langen Anhörung ausgiebig. Er habe den Angeklagten an einem Nachbarsee mit seinem Kajak gesehen. Ein paar Wochen später sei er ihm, etwa an selber Stelle, wieder begegnet, diesmal mit dem Fahrrad. Da nur Herr K. derartige Beobachtungen machte, können seine Frau und das befreundete Paar nur wiedergeben, was er ihnen erzählt hat.

Inwieweit all diese Aussagen erhellend sein könnten – vielleicht zur Frage, ob der Angeklagte sein Opfer ausgespäht hat –, kann zum heutigen Tage noch nicht beurteilt werden. Was mir in diesem Zusammenhang jedoch auffällt, ist, dass alle vier Rentner ganz bestimmt eine altersgemäße Aussage treffen. Allerdings liegt der Altersunterschied zu allen Beteiligten der Parteien und des Gerichts zwischen 25 und 50 Jahren, worin der Grund zu einer tatsächlich festzustellenden Verständnislücke zwischen den Generationen liegen könnte. Denn teilweise brachten die Aussagen einige Beteiligte zum Schmunzeln, andere waren eher verwirrt oder sogar richtiggehend irritiert. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Wie geht man mit Zeugenaussagen dieser Art um? Sind sie weniger wahr, nur weil man als jüngerer Mensch einem solchen Vortrag nicht gut folgen oder ihn gar verstehen kann?

Die Nebenklägeranwälte versuchen im Verfolg der Anhörung die umfangreiche Aussage zusammenzuführen, aber auch, den Zeugen K. zu kurzen Antworten zu bewegen, was leider nicht gelingt. Letztlich ist festzuhalten: Stimmt die Aussage, so wie der Zeuge es hier vorbringt, ist der Inhalt sicherlich brisant.

Eine Notiz zum Schluss: Die Ehefrau von Herrn K., ebenfalls als Zeugin geladen, berichtet, dass sie sich am gestrigen Tage Zeitungsartikel zum Fall durchlesen wollte, um für ihre heutige Zeugenaussage gut vorbereitet zu sein. Zwar hat sie diese Artikel nicht mehr gefunden. Doch wichtig in einem Prozess sollte sein, dass man die Geschehnisse aus der Erinnerung berichten kann und nicht das nacherzählt, was eventuell in einem Zeitungsartikel gestanden hat.

Der nächste Prozesstag ist der 30. Juni.

Bildquelle: Rainer Sturm  / pixelio.de

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