Verzögerungstaktik der Verteidigung

Das Gericht gibt am heutigen 51. Verhandlungstag, dem 23. März 2015, bekannt, dass ein neuer Vermerk der Polizei vorliegt. In diesem Vermerk teilt der Zeuge K. mit, dass er im Wald in der Nähe der Gemeinde Wendisch Rietz am Samstag nach der Entführung von Stefan T. Pilze gesammelt hat. Hier sah er einen Radfahrer mit gestylten gelben Haaren und einem gelben Rucksack. Er gibt an, er habe sich den Angeklagten im Gerichtssaal angesehen und meint, die Gesichtszüge des Angeklagten seien identisch mit denen des Unbekannten im Wald. Der Vorsitzende Richter gibt bekannt, dass er diesen Zeugen nicht hören möchte, da die Beschreibung zu abweichend ist und es die Aufklärungspflicht nicht gebietet.

Nach einer Pause führt erneut der Vorsitzender Richter das Wort: Da nun keine weiteren Beweisanträge vorliegen, möchte er die Beweisaufnahme schließen. Als er seinen Satz beginnt mit den Worten: “Hiermit schließe ich die Beweis…” unterbricht ihn der Verteidiger Axel W. und teilt mit, dass er noch zwei weitere Beweisanträge stellen möchte.

Verzögerungstaktik der Verteidigung

Alle Teilnehmer des Prozesses hatten inzwischen gehofft, dass die Beweisaufnahme geschlossen werden kann. Doch wundert es niemanden wirklich, dass die Verteidigung doch noch weitere Beweisanträge stellt.

Der erste Beweisantrag beinhaltet die Vernehmung des Zeugen Mohammed P. Auf der geblümten Decke von der Opferinsel, auf der Stefan T. festgehalten wurde, hat die Kriminaltechnik (KTU) DNA-Spuren festgestellt. Eine DNA-Spur gehört zu diesem Zeugen. Dass die Verteidigung wissen möchte, in welchem Zusammenhang der Zeuge mit der Decke steht, ist durchaus verständlich, und die Polizei hätte dies sicherlich schon eher ermitteln können.

Dieser Umstand war auch der Verteidigung schon lange bekannt. Daher hätte man den Beweisantrag natürlich schon früher stellen können, um nun eine weitere Verzögerung zu vermeiden. Der Zeuge war zur Tatzeit circa 15-16 Jahre alt, ist von schmächtiger Gestalt, gebürtiger Libanese und spricht kein Deutsch.

Pikant ist, dass die Verteidigung diesem Zeugen schon einmal eine mögliche Mittäterschaft unterstellt hat. Doch ich kann mir nicht vorstellen und halte es für unwahrscheinlich, dass ein libanesischer Jugendlicher, der die deutsche Sprache nicht beherrscht und zudem noch recht jung ist, zusammen mit einem Deutschen eine solche Tat durchgeführt hätte.

Es bleibt also der Schluss, dass der Zeuge der Verteidigung heute als Vorwand dient, der Polizei den Vorwurf machen zu können, nicht gegen alle Verdächtigen ermittelt, sondern sich ausschließlich auf Mario K., ihren Mandanten, konzentriert zu haben. Der Antrag soll weitere Zweifel säen und den Prozess verzögern.

Der zweite Beweisantrag beinhaltet die Vernehmung eines Nachbarn von Stefan T. als Zeugen. Dieser Nachbar, Henrich G., war in der Zeit der Entführung vom 5. bis zum 9. Oktober 2012 in seinem Wochenendhaus. Des Weiteren hat er sein Ruderboot mit Außenbordmotor an dem Steg festgemacht, an dem der Täter mit dem Entführungsopfer Stefan T. ins Wasser gegangen sein soll.

Der Zeuge wird aussagen, so Axel W., dass das Boot mit zwei Tauen an zwei Pfosten angeleint war. Das Opfer Stefan T. hätte also über die Taue hinwegsteigen oder sogar darüber stolpern müssen, als er ins Wasser gehen musste. Wäre dem so gewesen, hätte Stefan T. dies sicherlich auch ausgesagt, doch letztlich ist nie etwas darüber berichtet worden. Da Stefan T. dieses Detail nicht erwähnt hatte, so argumentiert nun die Verteidigung, wäre die Zeugenaussage von Henrich G. ein objektiver Beweis, womit sich die Zeugenaussage von Stefan T. anzweifeln ließe.

Grundsätzlich unterstellt die Verteidigung dem Opfer Stefan T., dass seine Entführung gar nicht stattgefunden und er sie selbst inszeniert habe; ungeachtet der Tatsache, dass im Fall Louisa P. und Thorsten H. dieselbe Tatwaffe zum Einsatz kam und die Verteidigung die Verbindung von Stefan T. zu dieser Tat noch nicht erklären konnte.

Zu diesem Antrag muss man weiter bemerken, dass selbst die Verteidigung dem Opfer Stefan T. an einem früheren Verhandlungstag unterstellt hat, er habe seinen Hausschlüssel, der später durch Polizeitaucher gefunden wurde, nicht im Wasser fallen lassen, sondern vom Steg aus ins Wasser geworfen. Das beinhaltet wiederum die Annahme, dass Stefan T. das Ruderboot des Nachbarn, inklusive der Vertäuung, nicht bemerkt und sich dadurch ein Fehler in seinem, von Axel W. unterstellten, „Drehbuch“ geschlichen hat.

Wir haben hier insgesamt drei hochkomplexe Tatvorgänge über einen Zeitraum von eineinhalb bis zwei Jahren, inklusive Vortatverhalten. Der Täter hat sich nachweislich sehr pedantisch vorbereitet und eine mehrmonatige (mindestens fünf bis sechs Monate) Observation seiner jeweiligen Opfer durchgeführt. Genau diesem Täter traut die Verteidigung nun nicht zu, für den Zeitraum der Entführung von Stefan T. zwei einfache Taue von zwei Holzstangen abzunehmen und, nachdem das Opfer hier durchgeführt worden ist, wieder entsprechend an den Holzstangen anzubringen?

Ist es nicht eher so, dass es vom Täter sehr geschickt ist, sich einen Steg zu suchen, der von der Seeseite her schon als belegt (Boot des Nachbarn) anzusehen ist? Denn so ist gewährleistet, dass auch während der Zeit der Entführung kein Boot unbeabsichtigt an diesem Steg anlegt, was den Fortgang der Entführung erheblich stören würde.

Es bleibt am Ende festzustellen, dass die Verteidigung auch bei diesen Anträgen mal wieder versucht, Zweifel zu streuen, indem sie Beispiele anbringt, die jeder normale „Nicht-Täter“ einzeln zwar als selbstverständlich ansehen würde, die aber in diesem Kontext abwegig sind und sich selbst widersprechen.

Zu diesen Anträgen dürfen die Nebenklägervertreter natürlich eine Stellungnahme abgeben. Dr. Panos P. teilt hierzu mit, dass beide Anträge abzulehnen sind, weil sie beide ins Blaue zielen. Der erste Beweisantrag erfüllt seiner Meinung nach auch nicht die formalen Anforderungen. Der zweite Beweisantrag hingegen ist nicht nachvollziehbar, insbesondere deshalb, weil auch die Polizeitaucher das vorhandene Boot des Nachbarn und die entsprechende Vertäuung nicht bezeugt haben. Auch auf Fotos des Ortes ist dieses nicht zu sehen.

Der Nebenklägervertreter möchte noch wissen, warum dieser Beweisantrag erst jetzt gestellt wird. Daraufhin antwortet der Verteidiger Axel W., dass er jetzt erst neue Informationen zu dem Zeugen im ersten Beweisantrag erhalten hat. Welche das im Einzelnen sind, gibt er nicht Preis. Nach einer Beratungspause des Gerichts teilte der Vorsitzende Richter mit, dass beiden Beweisanträgen stattgegeben wird.

Bildquelle: Stefan Bisanz

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