Spannende Erkenntnisse: Personenschutz-Mitarbeiter sagen aus

Auch der fünfte Verhandlungstag am 19. Mai 2014 beginnt offiziell um 9:30 Uhr. Die Zuschauer kommen in den Saal und es begegnen sich einander mittlerweile bekannte Gesichter. Es sind die Stammgäste des Prozesses.

Nachdem auch die Prozessbeteiligten eingetroffen sind und sich eingerichtet haben, hört man auf dem Flur vor dem Gerichtssaal einen Justizbeamten laut rufen: „Wer kümmert sich um den Rolli?“. Gemeint ist Torsten H., der angeschossene und seitdem querschnittsgelähmte Sicherheitsmitarbeiter von Louisa P. Auch wenn es scheint, die Frage des Beamten sei despektierlich, so ist das der falsche Eindruck. Alle Justizbeamten behandeln den 33-Jährigen sehr respektvoll.

Spannende Erkenntnisse: Personenschutz-Mitarbeiter sagen aus

Als um 9:29 Uhr der Beschuldigte Mario K. vorgeführt wird, studieren die Opfer Petra und Louisa P. ihre Akten auf dem Tisch, weswegen es zunächst keinen Blickkontakt gibt. Kurze Zeit später schauen beide dann doch flüchtig und beinahe gleichzeitig zum Angeklagten. Und nachdem die Staatsanwaltschaft eine Erklärung verlesen hat, in der ein Missverständnis bezüglich der vermeintlich eingeschränkten Aussagegenehmigung eines Zeugen aufgeklärt wurde, wird ein unter Personenschutz-Aspekten sehr interessanter Zeuge aufgerufen.

Das Attentat aus Sicht des Bruders des Opfers

Es handelt sich um Matthias H., den Bruder des verletzten Sicherheitsmitarbeiters Torsten H. Dieser arbeitet ebenfalls in der Sicherheitsfirma, die von Familie P. beauftragt wurde. Insgesamt war Matthias H. in drei Nächten bei Familie P. im Einsatz. Am Tattag hatten die Brüder gemeinsam Dienst. Während Torsten H. Louisa P. vom Grundstück durch ein kleines Waldstück zur nahe liegenden Koppel begleitete, war Matthias H. am Haus verblieben.

Zur Tatzeit hörte er einen Schuss. Er nahm seinen Schlagstock und lief in die Richtung, aus der er den Schuss gehört hatte. Nach einer kurzen Strecke kam ihm Louisa P. entgegen und sagte ihm, dass sein Bruder verletzt sei und auf sie zweimal geschossen wurde. Er packte Louisa an der Schulter und verbrachte sie schnellstmöglich ins Haus. Dort sagte er ihr, sie solle sich in die Küche begeben, Türen und Fenster schließen, auch die Rollläden. So sollte vermieden werden, dass ein möglicher Täter, der sich vielleicht noch in der Umgebung aufhielt, Einblick ins Haus bekommen könnte.

Er benachrichtigte seinen Chef Björn B., der Matthias H. anwies, im Haus bei Louisa P. zu bleiben. Er selbst wolle sich um Torsten H. kümmern. Diese Order war sicherlich eine große Herausforderung für Matthias H.: Zu wissen, dass der eigene Bruder angeschossen und verletzt irgendwo liegt, er sich jedoch um die Schutzperson kümmern muss. Auch diese Vorgehensweise verdient Anerkennung. Währenddessen erreicht Björn B. als Erster den Tatort.

Matthias H. wird nach diesem Bericht durch den Richter zum weiteren Tatgeschehen, Täter und Motiv gefragt, kann hierzu jedoch keinerlei Angaben machen. Der Rechtsanwalt des Beschuldigten fragt nach Bewegungsmeldern am Grundstück, doch auch hierzu weiß der Zeuge keine näheren Angaben zu machen.

Chef der Sicherheitsfirma sagt aus – und überrascht

Um 10:05 Uhr kommt Zeuge Björn B. zur Befragung. Er ist Chef der Sicherheitsfirma THE Security Company GmbH & Co. KG, die den Auftrag zur Bewachung der Familie P. und ihres Grundstücks hatte. Der Auftrag war unbefristet angelegt.

Am Tattag war tagsüber für zwölf Stunden ein Sicherheitsmitarbeiter anwesend, in der Nacht waren es zwei. Die Einsatzzeiten waren immer gleich, das Personal hat jedoch gewechselt, wie Björn B. berichtet. Es gab keine Bewaffnung der Mitarbeiter und es wurden keine Schutzwesten getragen.

Am 2. Oktober 2011 (Tattag) bekam er einen Anruf, dass auf Torsten H. geschossen worden und dieser verletzt sei. Da er als Ablösung für Torsten H. ohnehin auf dem Weg zum Einsatzort war, konnte er schnell vor Ort sein. Mittels des Anrufs von Torsten H. konnte Björn B. diesen schnell lokalisieren und sich mit taktischer Eigensicherung zu ihm bewegen. Dort als Erster angekommen, konnte Torsten H. ihm den Tathergang sehr klar wiedergeben.

Während der Schilderung von Björn B. beobachte ich den Beschuldigten Mario K., der diese Zeugenaussagen und die Situation im Gerichtssaal völlig teilnahmslos hinzunehmen scheint. Louisa P. & Torsten H. hingegen sind sehr interessiert und hören genau zu.

Die Aussagen von Björn B. sind sehr klar und fest formuliert. Er spricht in klaren, knappen Sätzen, faktisch sind seine Aussagen alle nachvollziehbar. Auch bei der in Inaugenscheinnahme einer Gebäude- oder Geländeskizze am Richtertisch gibt er einen klaren, sachlich fundierten Lagevortrag ab.

Die Frage, die sich mir persönlich nun stellt, ist: Würde ein Vorgesetzter, der vor Gericht so klar, sachlich und korrekt formuliert und dem man abnimmt, dass er weiß, wovon und worüber er spricht, seine Mitarbeiter so schlecht in einen Einsatz führen? Hier gibt es einen deutlichen Widerspruch, den ich so nicht erwartet habe, und der noch aufzuklären ist. Dass er seine Kollegen unzureichend vorbereitet hat, ist mit meinem jetzigen Kenntnisstand am Nachmittag des 5. Verhandlungstages schwer nachzuvollziehen. Denn beobachtet man den Umgang der Mitarbeiter untereinander, so spürt man die fraglos freundschaftliche Fürsorge. Allen merkt man deutlich an, dass sie Torsten H. großen Respekt zollen. Und das sicherlich mit Recht.

Tatmotiv: Streit unter Rockern?

Nach Björn B. sagt ein weiterer Mitarbeiter der Sicherheitsfirma aus, Timo H., der auch zum Einsatzteam bei Familie P. gehörte. Er berichtet jedoch, am Tattag bei einem Auftrag in Berlin gewesen zu sein und sich auf der Rückfahrt nach Storkow befunden zu haben, als ihn der Anruf des verletzten Torsten H. auf seinem Handy erreichte. Torsten H. berichtete ihm das Geschehene. Timo H. war bestürzt und versuchte Torsten H. durch viel Reden wach zu halten. Das Telefonat selbst dauerte etwa zehn Minuten.

Der Richter fragt detaillierter nach:

Richter: Gab es eine Handlungsanweisung zum Verhalten bei Angriff?

Zeuge Timo H.: Nein, denn damit hatten wir nicht gerechnet.

Richter: Torsten H. ist auf den Täter zugegangen, ist das eine Anweisung gewesen?

Zeuge Timo H.: Nein, eher eine spontane Reaktion.

Richter: Gab es eine Anweisung zum Tragen von Schutzwesten?

Zeuge Timo H.: Nein.

Anschließend erhält der Anwalt des Beschuldigten, Axel W., Gelegenheit, Fragen zu stellen. Er will Details zu verschiedenen Rockergruppen wissen, in denen der Zeuge Timo H. eventuell Mitglied war. Unter anderem fragt Axel W. nach der Brigade 81 und ob Timo H. erklären könne, wofür die Acht und die Eins stehen. Der Verteidiger will zudem erfahren, ob es Stress zwischen den Vereinigungen geben hätte oder ob insbesondere Torsten H. mit einem Mitglied der Brigade 81 in Konflikt geraten sei. Auf all diese Fragen antwortet der Zeuge Timo H. zurückhaltend.

Dem Widerspruch auf den Grund gehen

Aus der Sicht des Personenschützers ist der fünfte Prozesstag äußerst interessant verlaufen, was vor allem den Aussagen der Sicherheitsmitarbeiter zuzuschreiben ist. Denn bisher herrschte in der Öffentlichkeit und insbesondere in Fachkreisen des Personenschutzes der starke Eindruck vor, dass die Auftragsdurchführung der Sicherheitsfirma bei Familie P. dilettantisch vonstattengegangen ist. Genau dieser Eindruck muss nach dem professionellen Auftritt von Zeuge Björn B. deutlich hinterfragt werden und kann nicht unreflektiert stehen bleiben. Mein Wunsch an den weiteren Prozessverlauf wäre dahingehend, dass nähere Details zur Auftragsvergabe an die Sicherheitsfirma und zu den Absprachen der konkreten Auftragsdurchführung bekannt würden.

twinlili  / pixelio.de

Comments are Disabled