Schießen leicht gemacht
Der heutige Prozesstag lässt sich in zwei große Themenblöcke teilen. Am Vormittag geht es rund um die Thematik der Mitgliedschaft des Angeklagten in einem Schützenverein und somit um dessen Möglichkeit, mit scharfen Waffen zu üben. Am Nachmittag wird eine Decke thematisiert, welche bei der Tatbegehung zum Nachteil von Herrn Stefan T. eine Rolle spielte.
Aber der Reihe nach.
Zunächst ist alles wie immer: Der Angeklagte verdeckt sein Gesicht beim Betreten des Saals, eine Kamera ist zugegen. Sobald diese aus dem Raum ist, betreten die Nebenkläger – heute ohne Herrn Stefan T. – den Saal und die Verhandlung kann fortgesetzt werden. Der Angeklagte hat sich den Bart gestutzt und lässt sich wohl die Haare länger wachsen.
Fragen zum Phantombild
Zunächst wird eine Polizeibeamtin befragt. Sie war neben dem Phantomzeichner die einzige Vertreterin der Behörde bei der Erstellung der Zeichnung. Sie befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer Anlernphase, beobachtete also lediglich. Eigentlich sollte sie schon am 15. Mai 2014 gehört werden, damals war sie aber krankgeschrieben. Bei der heutigen Befragung geht es nochmals um die Erstellung des Phantombilds, vor allem um die Aussagen von Frau Petra P., sie habe mehrfach auf das abstehende Ohr und die Kopfform hingewiesen.
Neue Erkenntnisse gibt es bei der Befragung nicht. Die Beamtin kann die Aussagen des Phantomzeichners insofern bestätigen, als dass auch sie sich nicht an Aussagen von Frau Petra P. das Ohr oder die Kopfform betreffend erinnert. Das Augenmerk von Frau Petra P. lag wohl vielmehr auf den Nähten der Maske. Darüber hinaus bestätigt sie die Aussage des Zeichners, dass es am fraglichen Tag sehr heiß war und dies an sich einen durchaus Stress auslösenden Faktor darstellte. Den Zeichner beschreibt die Zeugin als äußerst gewissenhaften Kollegen – sollte es also entsprechende Aussagen bezüglich Ohr oder Kopfform gegeben haben, hätte er sie gezeichnet oder notiert.
Die Nebenklagevertreter halten der Zeugin die Aussage des Zeichners vor, dass er auf Nachfrage erkannt habe, das Ohr in der Zeichnung hervorgehoben zu haben. Die Zeugin erwidert, dass sie sich die Zeichnung nicht angeschaut habe, allerdings stimmt sie ihrem Kollegen in der Sache grundsätzlich zu.
Der Vertreter des Angeklagten will nun (wie schon am 15. Mai 2014) wissen, wer die Beamtin über die Vorladung informiert hat. Die Beamtin verweist auf den Leiter der Sonderkommission, der bei dieser Gelegenheit erneut auch die Darstellung des Ohrs in der Zeichnung zur Sprache gebracht habe.
Abschließend meine ich jedoch, es gibt auf Grundlage dieser Befragung keine neuen Erkenntnisse.
Wahnsinniger Leichtsinn im Schützenverein
Jetzt werden elf Zeugen zu einem Themenblock gehört. Allen Zeugen werden im Wesentlichen die gleichen Fragen gestellt.
So kommt zutage, dass der Angeklagte Mario K. vor der Tat ab Ende 2010 in einem Schützenverein zunächst Gastschütze war und dann ab 2011 Mitglied. Der Verein gehörte zur Betriebssportgruppe der Berliner Stadtreinigung (BSR).
Auf die Frage nach Besonderheiten, sagen alle aus, dass Mario K. sehr durchtrainiert und sportlich war und immer (auch bei einer Temperatur von null Grad) mit dem Fahrrad und in Sportsachen kam. Die Personen, die das bezeugen, geben auch an, Mario K. sei ein eher mittelmäßiger Schütze gewesen – was ja auch dem Schießergebnis der Tat entsprechen würde –, der häufig, aber nicht regelmäßig auf dem Stand war.
Alle werden auch nach der Waffe befragt, mit der Mario K. geschossen hat. Alle geben an, dass es sich um die Vereinswaffe CZ 75 Sport II handelte. Auch die Frage nach der Munition beantworten alle gleich: Mario K. verschoss Sellier & Bellot 9mm Luger Subsonic. Beides – Waffe und Munition – soll im Übrigen bei den Taten benutzt worden sein. Jeder der Zeugen berichtet zudem, dass es bei Vereinen durchaus üblich ist, die benannten Fabrikate zu verwenden. Schließlich waren sich auch alle einig, dass es eigentlich nicht möglich sei, diese Munition zu entwenden, aber mit erheblich krimineller Energie könne man ein bis zwei Patronen pro Trainingstag mitgehen lassen.
Da es auch Blogleser gibt, die nicht vom Fach sind, erlaube ich mir hier ergänzende Anmerkungen. Es ist durchaus möglich, als Gastschütze oder Mitglied in einem Schützenverein bei eben diesem Verein zu schießen, ohne selbst einen Waffenschein oder eine Waffenbesitzkarte zu haben. Man erhält hierfür die Vereinswaffe und kann die Munition zum sofortigen Verschießen auf dem Schießstand des Vereins erwerben. ABER: Der Angeklagte war zum Zeitpunkt seines Gastschützendaseins und damit auch während seiner Mitgliedschaft vorbestraft (!!!), unter anderem zwei Mal wegen unerlaubten Waffenbesitzes! Sie können sich also meine Verwunderung vorstellen, zumal dies vorerst kein Thema war. Doch glücklicherweise wurde ich bald von den Vertretern der Nebenklage erlöst.
Die Nebenklagevertreter befragen den Sportwart des Vereins, wie denn sichergestellt wird, dass keine Kriminellen oder gar vorbestrafte Gastschützen Mitglieder werden können.
Die Antwort verblüffte mich ein wenig:
Allein der Erste Vorsitzende des Vereins ist hierfür verantwortlich. Ob die Satzung dies regelt, weiß der Sportwart nicht. Auch ist dem Sportwart nicht bekannt, dass Mario K. zum Zeitpunkt der Schießübungen bereits zwei Mal wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt worden war.
Diese Aussage ist für mich ein regelrechter Wahnsinn! Es gibt beim Umgang mit Waffen immer eine unausweichliche Maxime: Das Vier-Augen-Prinzip. Sich beim Umgang mit Waffen auf nur eine Person zu verlassen, ist unhaltbar und nicht hinzunehmen!
Spätere Zeugenaussagen bestätigen die Aussagen des Sportwarts. Interessanterweise folgt sogar noch eine Begründung. So war Mario K. bereits vorher in der Betriebssportgruppe BSR, zunächst in der Abteilung Kraftsport, und kam dann auf Empfehlung zum Schützenverein, so dass hier nicht weiter geprüft wurde.
Unglücklicherweise gehörte zu den zahlreichen Zeugen nicht der Erste Vorsitzende des Vereins. Ich hoffe sehr, dass dieser noch gehört wird.
Die Schützen, die direkt mit Mario K. zu tun hatten, werden außerdem gefragt, ob er mal geäußert habe, eine Waffenbesitzkarte oder einen Waffenschein erlangen zu wollen. Die Antwort lautete immer „Nein“, wobei mal finanzielle, mal zeitliche Gründe wegen der Frauen genannt worden sein sollen.
Der wahre Grund liegt natürlich auf der Hand. Neben einer Sachkundeprüfung hätte sich Mario K. auch einer behördlichen Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen müssen. Da wäre er zu 100 Prozent durchgefallen, was wohl auch das Ende im Verein bedeutet hätte.
Ein weiteres kleines Detail kommt zudem ans Licht, als die Vertreter des Beklagten mit ihrer Befragung dran sind: Der Schützenverein nutzt die Anlage lediglich an zwei Tagen der Woche, grundsätzlich wird die Schießanlage vom Polizeisportverein Berlin betrieben.
Neun der elf Zeugen können keine Aussage machen, ob Mario K. Links- oder Rechtshänder ist. Zwei sind sich aber sicher, dass er Rechtshänder ist. Zwei beschreiben Situationen, in denen Mario K. aufbrausend war. Dies kann aber wohl als normal eingestuft werden.
Interessant ist allerdings, dass ein Zeuge Mario K. zwei Wochen vor seiner Festnahme in einem Einkaufszentrum traf. Mario K. war vorher lange nicht beim Verein gewesen und als Grund hierfür sprach sich herum, dass er wegen eines Jobs in Griechenland sei. Bei dem zufälligen Treffen fragte der Zeuge Mario K., wie es ihm in Griechenland erginge, worauf Mario K. antwortete: „Gut. Bin wieder zurück, hab Arbeit und wohne bei meiner Freundin. Vielleicht komme ich Anfang des nächsten Jahres (2014) wieder zum Schießen.“ Mario K. war allerdings nie in Griechenland gewesen.
Im Übrigen kennen nicht alle Zeugen Mario K. Einige werden daher lediglich zum Ablauf beim Schießen mit Gastschützen befragt. Auf die Aufforderung der Vertreter des Beklagten „ …zeigen Sie auf den Angeklagten.“ deutet der letzte Zeuge aus der Gruppe der Schützen sogar auf einen Justizbeamten.
Eine mysteriöse Decke
Am Nachmittag wird eine Decke thematisiert, welche während der Entführung von Stefan T. verwendet wurde. An der Decke wurden unter anderem DNA-Spuren sichergestellt, die die Polizei zu einem Mann arabischer Herkunft führte. Heute werden nun neben diesem Mann zahlreiche Familienangehörige gehört. Sie alle geben an, die Decke hätte sich zunächst in ihrem Besitz befunden, wäre dann aber in einen Container verbracht worden, welcher als Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter eines Reifenhandels genutzt wurde. Der Reifenhandel wiederum wurde von einem Verwandten des Mannes betrieben, dessen DNA-Spuren auf der Decke waren.
Die Befragungen verlaufen sehr schleppend, was vor allem dem notwendigen Einsatz eines Dolmetschers geschuldet ist. Die Aussagen sind allerdings nahezu deckungsgleich. Nach Aussage der Zeugen ist die Decke in dem Container verblieben, nachdem das Gelände des Reifenhandels verlassen werden musste (offensichtlich hat die Polizei das Gelände räumen lassen). Der spätere Verbleib der Decke kann heute nicht geklärt werden, zumal der Container nach Aussage der Zeugen nicht verschlossen war. Auf Nachfrage der Verteidigung sagen einige Familienmitglieder außerdem aus, dass auf dem Gelände ständig ein Wachmann mit Hunden unterwegs gewesen sei.
Offensichtlich wollte die Verteidigung darauf hinaus, dass die Beschreibung eben dieses Wachmannes der Täterbeschreibung sehr ähnelt, die von den Opfern zu Protokoll gegeben wurde. Hier sehe ich allerdings von einer genaueren Schilderung ab; der Rechtsbeistand des Angeklagten bat im Prozess alle Anwesenden darum, und selbstverständlich komme ich dieser Bitte nach. Ich bin außerdem davon überzeugt, dass der hier geschilderte Sachverhalt zu einem späteren Zeitpunkt noch vertieft werden wird.
Letztendlich können sämtliche heute getätigten Aussagen bezüglich der Decke nichts Erhellendes im Zusammenhang mit der Tat beitragen.
Weiter geht es im Gerichtssaal am 3. Juli.
Bildquelle: Lutz Stallknecht / pixelio.de
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