Protokoll eines Albtraums: Stefan T. berichtet über Entführung und Flucht

Heute, am siebten Verhandlungstag, sind wesentlich mehr Zuschauer – über 20 – im Zuschauerraum und auch circa zehn Medienvertreter. Der Grund liegt mit Sicherheit in der für heute angekündigten Aussage von Entführungsopfer Stefan T., der am 5. Oktober 2012 aus seiner Ferienwohnung auf dramatische Weise entführt worden ist.

Alle Nebenkläger mit ihren Anwälten sowie der psychologische Gutachter sind heute ebenfalls anwesend, wie auch der Beklagte Mario K. und seine Anwälte. Wie gehabt betreten die drei Opfer Stefan T., Petra P. und Louise P. den Gerichtssaal erst, nachdem die TV-Kameras den Gerichtssaal verlassen haben. Stefan T. sucht sofort Blickkontakt zum Beklagten, den dieser jedoch nicht erwidert.

Protokoll eines Albtraums: Stefan T. berichtet über Entführung und Flucht

Nachtrag zum Vortag

Gleich zu Beginn gibt der Anwalt von Petra P. eine Stellungnahme ab, die sich als Antwort auf den Antrag des Beklagtenanwalts Axel W. vom letzten Prozesstag versteht. Dieser wollte ein Glaubwürdigkeitsgutachten über den Zeugen und das gleichzeitige Opfer Stefan T. erwirken. Der Rechtsvertreter von Petra P. lehnt den Antrag in Gänze ab und begründet dies insbesondere mit dem Opferschutz.

Axel W. wiederum entgegnet, dass er den Antrag noch nicht gestellt hätte. Vielmehr befände sich dieser noch in der Vorbereitung und wird eventuell später eingereicht. Dazu hätte er das entsprechende Material einer audiovisuellen Aufzeichnung gebraucht. Den direkten Hinweis auf den Opferschutz habe er ebenfalls verstanden und bestätigt seinerseits, dass der Opferschutz ein hohes Gut ist.

Anschließend nimmt auch der Vorsitzende Richter Stellung – und lehnt den Antrag auf ein Glaubwürdigkeitsgutachten des Zeugen Stefan T. ab. Insbesondere, weil es die ureigenste Aufgabe des Gerichts ist, die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu prüfen und festzustellen. Anschließend werden allerdings zwei DVDs der polizeilichen Zeugenvernehmungen des Stefan T. an die Parteien verteilt.

Entführungsopfer Stefan T. im Zeugenstand

Ab 9:57 Uhr beginnt die mit großer Spannung erwartete Hörung des Zeugen Stefan T. Er macht einen klar strukturierten und aufgeräumten Eindruck. Er erklärt, dass er seine Zeugenaussage in unterschiedliche Blöcke aufgeteilt hat, damit der gesamte Verlauf der Tat sehr gut nachvollziehbar ist.

Zuerst erklärt Stefan T., dass er einen normalen Bürotag hatte, aber den Arbeitstag früher beenden wollte, um mit seinem Sohn, der Ferien hatte, den späten Nachmittag gemeinsam im Ferienhaus in Storkow zu verbringen. Am Abend des Tattages saß man zusammen vor dem Fernseher und schaute einen Film. Seine Ehefrau wollte etwas eher zu Bett gehen und hat vorher wie üblich den Hund durch die Terrassentür in den Garten gelassen. Die Terrassentür blieb so lange geöffnet. Der Hund bellte ungewöhnlich laut. Seine Frau ging zur Tür und schaute nach draußen. Stefan T. selbst sah jemanden sehr schnell und dynamisch durch den Garten zur Terrassentür laufen, doch seine Frau konnte diese nicht mehr rechtzeitig verschließen.

Als der Täter im Türrahmen stand, rief Stefan T. „Was willst du?“, und er warf eine halbvolle Rotweinflasche nach ihm, der der Täter jedoch ausweichen konnte. Als Stefan T. ihn mit einem Stuhl attackieren wollte, zog der Täter plötzlich eine vorher versteckte Waffe und schoss einmal in die Decke. Nachdem der Schuss gefallen war, sah die Familie T., dass weiterer Widerstand sinnlos wäre und eher für mehr Gefahr sorgen würde.

Stefan T. erinnert sich, dass der Täter die Waffe vor dem Schuss nicht durchgeladen hat. Er musste sie also schon vorher schussbereit gemacht haben.

Der Täter rief „Es geht nur um Geld. Sofort auf den Boden legen!“ Am Anfang hatte Stefan T. den Eindruck, dass der Täter etwas nervös war, später verhielt er sich dann jedoch sehr souverän.

Die Frau von Stefan T. musste ihren Mann fesseln. Da er ahnte, dass es nach draußen geht, bat er, sich vorher noch einen Pullover anziehen zu dürfen, was der Täter erlaubte. Als die Frau ihren Mann nun fesseln sollte, war sie zu nervös und zu entsetzt, um dies zu tun. Deswegen nahm der elfjährige Sohn die Fesselung vor. Beim Augenverbinden steckte der Junge die Brille seines Vaters in dessen linke Hosentasche. Kurz vor dem Gehen warnte der Täter Stefan T.s Frau, keine Polizei zu rufen, „sonst schieße ich deinen Mann zum Krüppel“.

Diese Aussage sollte besonders bewertet werden, da der Täter ja beim Anschlag auf Louisa P. etwa ein Jahr zuvor auf den Sicherheitsmitarbeiter schoss, der nun querschnittsgelähmt ist. War die Warnung also zugleich ein Hinweis und Bezug zu dieser vorangegangenen Tat?

Dazu passen würde auch folgende Äußerung des Täters: „Tun Sie, was ich Ihnen sage. Wenn das hier schief geht, kriege ich lebenslänglich.“

Danach wurde Stefan T. zum Abtransport an den See geführt, wobei er dankbar war, dass nicht sein Sohn oder seine Frau entführt worden waren. Er bemerkte, dass der Täter sich auf dem Grundstück sehr gut auskannte. Sie erreichten ein Kajak, an dessen äußerster Spitze er sich mit den gefesselten Händen einhängen musste. Der Täter ruderte mit ihm circa 15 bis 20 Minuten durch den See. Dann hielt das Kajak und der Täter begann – scheinbar ohne große Anstrengung – eine Luftmatratze aufzublasen. Das beeindruckte das Entführungsopfer sehr.

Zusätzlich musste Stefan T. sich einer sehr professionellen Leibesvisitation unterziehen, auch seine Genitalien wurden abgetastet. Er wurde nach Ortungsgeräten, die eventuell im Körper eingepflanzt waren, oder nach einem Herzschrittmacher gefragt. Nun wurde ein Seil um seinen Thorax geschlagen und er musste sich auf die Luftmatratze legen. Diese wurde sodann über ein Seil mit dem Kajak verbunden und hinter dem Boot hergezogen. Die Fahrt dauerte circa 30 Minuten.

Nach der Ankunft gingen sie durch den Sumpf, was sehr beschwerlich war. Stefan T. kroch mehr, als dass er ging. Der Täter dirigierte ihn mit einem GPS-Gerät. Am Ziel angekommen gab es zwei kleine Inseln. Eine, die so genannte Opferinsel, war circa zwei Quadratmeter groß, die andere Insel, Täterinsel genannt, vier Quadratmeter. Der Täter hatte die Opferinsel mit Plastikfolien, wahrscheinlich aus Müllbeuteln, abgedeckt. Stefan T. musste sich komplett ausziehen und bekam ein frisches neues Sweatshirt und zwei Jogginghosen sowie fünf Paar Socken. Auch hier empfand er Dankbarkeit, diesmal für die trockenen Sachen.

Der Täter fragte, wie intelligent seine Frau sei und ob sie den Anweisungen des Entführers folgen und nicht die Polizei rufen würde. Stefan T. antwortete, seine Frau sei intelligent, sie hätte Mathematik als Leistungskurs besucht und würde den Anweisungen folgen. Der Täter sagte daraufhin, dass er das Haus noch lange nach der Tat beobachtet hätte und er wäre sich sicher, dass keine Polizei mehr gerufen würde. Denn, wenn innerhalb der ersten Stunde keine Polizei gerufen wird, wird sie auch danach nicht mehr gerufen.

Danach befragte er den Entführten zu dessen Nettoverdienst und Vermögen. Zu letzterem antwortete er dem Täter, dass er eine Million Euro hätte. Der Täter zeigte sich sehr verwundert und sagte Stefan T., dass er ihn stärker eingeschätzt hätte, woraus man sicher schließen kann, dass der Entführer ursprünglich mehr als eine Million Lösegeld wollte.

Hier zeigt sich, dass es, um Opfer zu werden, nicht wichtig ist, was man tatsächlich an Vermögen besitzt. Entscheidendes Kriterium ist, was der Täter glaubt, wie viel Reichtum vorhanden ist. Das ist bei der Opferauswahl sehr wichtig.

Es wurden weitere Fragen vom Täter gestellt, unter anderem betreffend den Beruf, was er dort genau macht, aber auch, wie schnell Stefan T.s Frau das Geld beschaffen könnte. Der Entführte rechnete mit mindestens zwei Tagen. Außerdem wollte der Täter wissen, wie fit Stefan T. ist. Nach dieser Befragung ergab sich eine offene Unterhaltung, in der sich Stefan. T. dem Täter als Mensch zeigte und ein bisschen aus seinem Leben berichtete.

Natürlich wollte Stefan T. erfahren, warum er vom Täter als Opfer ausgesucht worden war. Der Täter entgegnete, dass er das Opfer über sechs Monate observiert und darüber genaueste Aufzeichnungen geführt hatte. Er wusste über jeden einzelnen Besucher Bescheid. Er kannte auch die Absicherungsmaßnahmen am Haus. Der Entführer eröffnete Stefan T. schließlich, dass er ihn auch ausgewählt hatte, weil es keine Sicherheitsmaßnahmen wie Zaun, Grundstücksalarmanlage oder Licht hab. Auch sind die Schlüssel der abschließbaren Fenstergriffe immer im Schloss.

Erst sollte die Entführung in der Zeit zwischen zwei und vier Uhr morgens stattfinden, das wäre die beste Zeit dafür. Doch nach einiger Zeit hatte der Täter klar erkannt, dass die größte Schwachstelle das Hinauslassen des Hundes und die dadurch offen gelassene Tür war. Als er das erkannte, entschied er sich für diese Variante.

Im weiteren Gespräch meinte der Entführer zu Stefan T., dass sich in dessen Haus hässliche Kunst befände. Dies war ein Thema, bei dem der Täter mitreden konnte, was eventuell daran lag, dass seine frühere Lebensgefährtin eine bekannte Künstlerin war. Stefan T. antwortete, dass der Künstler noch groß raus komme. Die Äußerung des Täters daraufhin ist auffällig und daher höchst interessant, er sagte: „Das glaubst auch nur du!“

Diese Wortwahl ist deshalb von Interesse, da der Täter am letzten Verhandlungstag in gleicher Diktion auf eine Äußerung des Zeugen Jan J. geantwortet hat. Ist das ein Zeichen für die tatsächliche Täterschaft Mario K.s?

Das Gespräch endete und Stefan T. blieb gefesselt. Er sollte den Täter auch nicht anschauen, dennoch hat er einmal kurz hochgeschaut. Dabei bemerkte er die kräftige Bein- und Gesäßmuskulatur des Entführers. Der Täter trug eine Neopren-Badehose.

Nun ging es an den Erpresserbrief mit der Lösegeldforderung, den Stefan T. selbst schreiben musste. Dafür bekam er Papierumschläge und einen Bleistift, mit dem sich beim damals feuchten Wetter allerdings nur schwer schreiben ließ. Der Täter diktierte ihm frei den Lösegeldbrief. Da der erste Brief zu zittrig geschrieben war, musste er einen neuen schreiben. Der Täter hatte die Befürchtung, dass der Polizei durch die zittrige Schrift aufgehen könnte, dass sich Opfer und Täter in freier Natur befanden. Stefan T. konnte sich den ersten Entwurf unbemerkt in seine Hose stecken, das sonstige Restmaterial musste er dem Täter zurückgeben.

Der Ablauf der Freilassung war vom Täter so gedacht, dass Stefan T.s Frau Briefe mit zehn Koordinaten bekommen sollte, wobei die letzte Koordinate diejenige war, wo sich Stefan T. nach erfolgreicher Übergabe des Lösegeldes befinden würde.

Nachdem alle Briefe geschrieben waren, wurde Stefan T. am frühen Samstagabend, dem 6. Oktober 2012, ein Silikonschlauch in den Mund geschoben und mit Klebeband fixiert. So konnte er Wasser aus dem Sumpf trinken. Der Grund sei, so sagte der Täter, dass er noch einige Erledigungen machen müsse und erst am Sonntagnachmittag wieder nach ihm, Stefan T., sehen könne. Er band das Entführungsopfer an zwei jungen Bäumen fest.

Stefan T. hatte Todesangst. Doch er lenkte sich damit ab, sich gedanklich eine DVD mit bewegenden Momenten aus seinem Leben anzusehen. Doch auch jede DVD hat einmal ein Ende und die Panikattacken setzten immer wieder ein. Daraufhin beschloss er, sich zu befreien.

Bevor ihm der Täter die Hände wie ein Boxer verklebt hatte, hatte er in die Handmulden je eine Klebekugel gelegt, so dass Stefan T. seine Hände kaum bewegen und mit den Fingern wenig greifen konnte. Die Hände selbst waren diagonal über Kreuz gefesselt. Doch wie sich herausstellte, war die Fessel nicht stark genug, Stefan T. konnte an einer Stelle das Band einreißen.

Nach wie vor konnte Stefan T. nichts sehen. Da er auch Stopfen in die Ohren bekommen hatte, war es unmöglich, zu hören. Stefan T. hatte Angst, dass der Täter noch in der Nähe war und ihn dabei erwischen könnte, wie er sich befreit. Doch nach und nach kam er voran, konnte die Fesselung etwas lösen und schließlich einen kleinen Stock greifen. Damit stach er ein Loch in das Klebeband am Ohr, um wieder hören zu können. Diese Errungenschaft feierte er innerlich. Nach und nach konnte er sich ganz befreien. Nun begann die Flucht durch den Sumpf, die wiederum sehr beschwerlich war.

Stefan T. bemerkte nach circa 30 Minuten einen Taschenlampenkegel hinter sich. Er nahm natürlich an, dass es sich hierbei um den Täter handelte, und so entschied er, sich dem Boden gleich zu machen und sich zu verstecken. Der Täter suchte ihn fast eine Stunde lang und kam ihm dreimal sehr, sehr nahe, auf etwa drei bis vier Meter.

Interessant war für Stefan T., wie sein Körper in dieser Situation reagierte. Da er sehr fror, klapperten seine Zähne sehr laut. Aber immer wenn der Täter nahe bei ihm war, hörte das Zähneklappern auf. Das war überlebenswichtig für Stefan T.

Stefan T. beschloss, nicht nach Hause zu laufen, da er Angst hatte, dass der Täter damit rechnen und ihm den Weg abschneiden würde. Und so lief er in die andere Richtung und kam nach einiger Zeit in eine kleine Ortschaft. Er klingelte am ersten Haus, wo noch Licht brannte. Eine ältere Dame, die ihn durch das Fenster ansah, öffnete die Tür nicht und wollte auch nicht die Polizei rufen. Er ging sofort zum nächsten Haus mit Licht. Dort wurde ihm geholfen und die Polizei gerufen. Diese benötigte allerdings eine Stunde, bis sie tatsächlich da war.

Stefan T. versuchte nun, seine Familie zu erreichen, was aber erfolglos blieb. Darüber ärgerte er sich sehr. Zusätzlich verfuhr sich die Polizeistreife auch noch auf dem Rückweg zum Kommissariat nach Frankfurt (Oder), was ebenfalls an den Nerven zerrte. Dort angekommen wurde er in einen Raum geführt, in dem circa 30 Polizeibeamte saßen. Hier wurde er zunächst ausschließlich nach dem Lösegeld gefragt (eine Million Euro).

Nach der ärztlichen Untersuchung und dem Duschen wurde er immer wieder kurz durch Beamte befragt. Danach wurde eine Ortsbesichtigung durchgeführt, da er in der Lage war, die Opferinsel wiederzufinden. Seine Familie konnte er erst um 21:30 Uhr wiedersehen, alle waren gekommen. Auch seine erwachsenen Kinder, die verteilt auf der ganzen Welt ihren Lebensmittelpunkt haben. Am Montag stand er der Polizei noch ganztägig zur Verfügung, danach begab sich die ganze Familie in den Urlaub. Hier schließt Stefan T. vorerst seine Ausführungen.

Nun beginnt der Vorsitzende Richter seine Befragung. Unter anderem will dieser erfahren, ob Stefan T. den Täter hat sehen können. Der Befragte entgegnet, dass er den Täter nur im Gegenlicht gesehen hat, als einen schwarzen Mann mit imkerartigem Netz, das bis auf die Schultern reichte, und einer Kopfbedeckung, die wie ein altmodischer Motorradhelm ausgesehen hat. Auf weitere Fragen des Richters, wann genau schossen worden ist, und ob es dem Täter nur ums Geld ging (Antwort: „Ja!“), antwortet Stefan T. unter anderem, dass direkt nach dem Flaschenwurf geschossen wurde und der Täter ihm später erzählte, er habe Stefan T. eigentlich ins Knie schießen wollen.

Weiter erzählt das Entführungsopfer auf Nachfragen des Richters, dass er seine Brille behalten durfte. Er vermutet, der Täter hätte dies zugelassen, weil auch er selbst Brillenträger ist und daher wüsste, dass Stefan T. seine Brille zum Schreiben des Erpresserbriefes benötigen würde. Die Brille verblieb am Ort seiner Gefangenschaft in einer Astgabel hängen. Doch nachdem er sich befreien konnte, nahm er sie wieder an sich.

Zum Abtransport aus dem Ferienhaus wählte der Täter nicht den Steg von Stefan T., sondern jenen des Nachbarn. Dieser war von keiner Seite einsehbar, und so konnte der Täter dort sein Kajak gut verstecken.

Bei einer Rekonstruktion der Tat musste Stefan T. unter anderem mit verbundenen Augen unter vier Modellen das richtige Kajak erfühlen – dies gelang ihm auf Anhieb. Auch wurden an diesem Kajak blaue Kaschmirfasern vom Pullover Stefan T.s gefunden.

Während der ganzen Zeit der Wiedergabe der Ereignisse durch Stefan T. gab es im Übrigen wieder keinen Blickkontakt zwischen Beklagtem und Opfer im Zeugenstand, wie schon die Tage zuvor. Zugleich fällt auf, dass der Richter Stefan T. besonders detailliert befragt. Hängt es damit zusammen, dass er vorbeugen möchte, weil der Anwalt des Beklagten, Axel W., ein Glaubwürdigkeitsgutachten beantragen möchte?

Eine der vielen weiteren Fragen des Richters ist, ob Stefan T. in seiner Unterhaltung mit dem Täter Details über diesen und sein Leben herausbekommen hat. Stefan T. erzählt daraufhin, dass der Täter extrem viel über ihn wusste, über seine Frau, sein Vermögen, sein Auto, sein Ferienhaus und über das Leben der Familie. Er wusste, dass sie gerne Wein trinken, viele Besucher haben und hatte sie als “feierndes Völkchen” wahrgenommen.

Die Lösegeldübergabe sollte ebenfalls durch Stefan T.s Ehefrau durchgeführt werden, zusammen mit einer zweiten Person, die während den letzten sechs Monaten bei Familie T. zu Besuch gewesen war. Diese und andere Personen kennt der Täter durch seine genaue Observation. Dafür habe er sich viele Nächte um die Ohren geschlagen. Auch über die Situation am Tatort wusste der Täter genau Bescheid. Und er hat speziell Stefan T. als Entführungsopfer und nicht das Kind oder die Frau gewählt, weil „Kinder einen Schaden bekommen können und Frauen zu irrational sind“.

Als Stefan T. auf die Frage des Richters nach Details zum Entführer genauer eingeht, beschreibt er den Täter als sehr konzeptionell: er habe ausschließlich das Überraschungsmoment für seine Tat als entscheidend empfunden und danach gehandelt. Im Grunde sei er eher rational, nicht emotional. Doch zuweilen sei er auch sehr schnell ungehalten und aggressiv geworden.

In dieser Beschreibung der Persönlichkeit des Täters meine ich die aufbrausende Reaktion des Beklagten während der Zeugenaussage von Jan J. wiederzuerkennen.

Stefan T. glaubt des Weiteren, der Täter habe einen Bildungskomplex. Beispiel: Als Stefan T. das Wort Klaustrophobie mit dem Wort Platzangst erklärte, wurde der Täter sofort laut und sagte, er wüsste was Klaustrophobie ist.

Auch zur Stimme des Täters kann der Zeuge Erhellendes beitragen. Sie habe einen sehr hohen Wiedererkennungswert. Er hat sie bei einem Vergleichstest bei der Polizei unter sieben Stimmen sehr leicht und sehr genau erkannt. Stefan T. beschreibt sie als sehr monoton und rauchig, sie wurde vermutlich auf natürliche Art verstellt. Auch bemerkte Stefan T. einen leichten brandenburgischen Dialekt. Der Täter sei außerdem zynisch und ironisch.

Nun geht es dem Richter nochmals um das Lösegeld und die Übergabe. Dazu berichtet Stefan T., dass er den Text der Lösegeldforderung mit einem Bleistift auf die Außenseite von Briefumschlägen schreiben musste. Stefan T. hatte in dem Brief ganz leicht Buchstaben unterstrichen, die die Worte Sumpf und Ufer ergaben, in der Hoffnung, dass die Polizei dies erkennen und damit einen deutlichen Hinweis auf den Ort seiner Gefangenschaft erhalten würde.

Die Befreiung des Opfers und die Übergabe des Lösegeldes sollten wiederum über ein Wortspiel mit anschließender Schnitzeljagd über sieben bis acht Koordinaten laufen. Die letzte Koordinate wäre dann der Auffindeort Stefan T.s gewesen.

Die Stückelung des Lösegeldes bestand aus sehr vielen Zwanzigern und der Rest nur aus 500-Euro-Scheinen. Über diese Stückelung hat sich interessanterweise auch Stefan T. Gedanken gemacht. Er nimmt an, die vielen Zwanziger entspringen dem Umstand, dass der Täter mit nur 20 Euro pro Tag auskommen könnte.

Stefan T. erzählt, dass er den Täter fragte, was denn passiert wäre, wenn er ihn am Tag des 05. Oktober 2012 nicht hätte entführen können. Darauf entgegnete der Täter salopp, er hätte ihn dann an einem späteren Tag entführt.

Letztlich sei klar, so Stefan T., dass, wenn es mit ihm als Entführungsopfer nicht gelungen wäre, der Täter sich ein anderes Opfer gesucht hätte-, da sei der Täter sehr zielstrebig. Dessen logistischer Aufwand sei sicherlich sehr hoch, sein materieller und finanzieller allerdings nicht.

Diese Aussage weist eindeutig auf die stark ausgeprägte Zielorientierung des Täters hin. Andererseits macht sie deutlich, dass Täter es immer mehrmals versuchen, ganz nach dem alten, zynischen Spruch der IRA: „Wir haben 1.000 Chancen, Euch zu entführen, aber Ihr habt nur eine, uns abzuwehren.“

Anschließend fragt der Richter noch nach Folgen der Entführung für ihn, Stefan T., und seine Familie. Stefan T. führt aus, dass er seine Häuser in Storkow und am Wannsee verkauft und seine Segelyacht verschenkt hat. Seine Bilder hat er inzwischen dem Künstler zurückgegeben und Spaß an seinem Auto hat er auch nicht mehr. Sein Sohn hat nach wie vor Konzentrationsschwierigkeiten und kann immer noch nicht alleine schlafen. An seinem neuen Wohnort sind entsprechende Sicherheitsmaßnahmen eingerichtet.

Eine der letzten Fragen des Richters lautet, warum sich Stefan T. am ersten Verhandlungstag so dicht vor den Beklagten Mario K. gestellt hat. Stefan T. antwortet, dass er die Aura spüren wollte, und er sei sich nun absolut sicher, Mario K. als Täter identifizieren zu können. Er führt weiter aus, Mario K. sei ein Verwandlungskünstler, wie ein Chamäleon. Jetzt würde er nicht mehr trainieren und gleichzeitig zunehmen, sodass er etwas dicker wirkt und nicht mehr so leicht zu erkennen ist.

Danach liest der Richter das Lösegeldschreiben vor. Hier sind sehr detaillierte und komplizierte Angaben gemacht.

Ich nehme an, dass betroffene Personen, wie zum Beispiel die Ehefrau von Stefan T., diese einzelnen Bedingungen nicht hätten durchführen können. Dadurch wäre eventuell eine Lösegeldübergabe gescheitert.

Nachdem der Richter seine Befragung beendet hat, darf nun die Staatsanwaltschaft Antworten einholen. Der Staatsanwalt fragt nochmal nach dem Berufsbild von Stefan T., was dieser ausführlich erläutert. Des Weiteren sagt Stefan T., er sei nach der Tat noch nicht wieder der Alte. Im Weiteren geht es um Sicherheitsmaßnahmen. Von denen weiß Stefan T. zu sagen, dass er vor der Tat keine ergriffen hatte, dies nachher aber umgehend in Angriff nahm.

Befremdlicherweise findet es der Staatsanwalt in seiner Befragung lustig, dass Stefan T. während seiner Gefangenschaft in ein Marmeladenglas urinieren musste. Was an dieser Opferrolle lustig sein soll, erschließt sich mir nicht.

Eine der letzten interessanten Informationen des heutigen Verhandlungstages ist die Äußerung des Täters gegenüber Stefan T., dass er ihn eigentlich schon zwei bis drei Wochen früher hatte einführen wollen. Was dies verhinderte, wurde allerdings nicht bekannt.

Damit endet der heutige Prozesstag, am 16. Juni geht es im Gerichtssaal weiter.

Bildquelle: I. Rasche / pixelio.de

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