Entführungsopfer Stefan T. erneut im Zeugenstand

Der Richter eröffnet den achten Prozesstag um 9:33 Uhr. Heute sind wieder 20 Zuschauer und zehn Medienvertreter anwesend. Louisa P. ist nicht da, ihr Bruder Patrick P. sitzt im Zuschauersaal.

Zu Beginn gibt der Richter bekannt, dass alle Parteien zwei DVDs erhalten haben, auf denen jeweils die Rekonstruktion der Fesselung des Opfers Stefan T. sowie die Rekonstruktion der Fesselung von Sabine T. zu sehen ist.

Weiterhin teilt der Richter mit, dass durch das LKA ein Messer beschlagnahmt worden ist, welches bei einer Durchsuchung der Wohnung von Frau W. (Freundin / Bekannte des Angeklagten Mario K.) gefunden wurde. Dieses Messer wurde von Frau Sabine T. als ähnliches oder sogar als das gleiche Modell erkannt. Doch der Richter sagt auch, dass das LKA daran keine Spuren festgestellt hat.

Anschließend gibt Staatsanwalt W. noch eine Erläuterung zum Verbleib des Gutachtens der Frau G. ab.

Entführungsopfer Stefan T. erneut im Zeugenstand

Opfer Stefan T. über Folgeschäden und Einzelheiten der Entführung

Nun wird die Zeugenbefragung von Stefan T. durch den Staatsanwalt fortgesetzt. Er fragt nach einer psychologischen Behandlung des Zeugen. Dieser äußert sich dahingehend, dass er nach der Tat ein paar Sitzungen durchgeführt hat, davor aber niemals. Mental sei er soweit unbeschadet, die Lebensfreude habe jedoch abgenommen. Zusätzlich merkt er an, dass seine Fokussierung in seinem Leben auf andere Dinge zugenommen hat.

Nochmals wird Stefan T. zur Stimme und Sprechweise des Täters befragt, woraufhin er wiederholt, dass diese auffällig monoton, sehr rau und dominant war. Eine dunkle Männerstimme. In Stresssituationen (Flaschenwurf durch Stefan T.) war die Stimme jedoch eher hell. Ansonsten gab es keinerlei Melodie. Der Täter hat nur kurze Sätze gesprochen, keine Nebensätze. Die Grammatik hat gestimmt, der Inhalt war durchschnittlich gebildet.

Aus Stefan T.s Äußerung, wie der Täter in einer Stresssituation stimmlich reagiert, ist abzulesen, dass er nicht vermag, cool zu bleiben, sondern durchaus auch Nerven zeigt.

Stefan T. berichtet weiter, dass der Täter nicht sehr kommunikativ war, er selbst hingegen versuchte, über eine Unterhaltung persönlich zu werden, sich menschlich zu zeigen. Während der Gespräche mit dem Täter bot Stefan T. ihm sein Auto oder seine Uhr an. Der Täter sagte wörtlich: „Ich bin doch nicht blöd.“

Die Staatsanwaltschaft setzt ihre Befragung durch Abfragen kleiner Details fort.

Dann geht es um Umgebungsgeräusche, von denen es kaum welche gab. Stefan T. bemerkte nur, dass der Täter Müll verbrannt hat, und, dass es nach Kunststoff roch. Weiterhin hörte er immer wieder „Schnief-Geräusche“ des Täters.

Zu seinem Fitnesszustand befragt, sagt Stefan T., dass er in seinem Haus in Wannsee ein Schwimmbad im Keller hat, wo er fast täglich morgens und abends jeweils 30 bis 45 Minuten schwimmt. Auch im See in Storkow ist er geschwommen.

Befragt zu seiner Entfesselung, beziffert Stefan T. die Dauer dessen mit circa zweieinhalb Stunden. Verletzungen hatte er bis auf kleine Kratzer nicht, auch nicht an den Fußsohlen, da er drei Paar Socken anhatte.

Mir fällt auf, dass die Staatsanwältin den Angeklagten Mario K. während der Befragung des Zeugen durch den Staatsanwalt genau beobachtet. Immer wieder sind Reaktionen in Gestik und Mimik bei ihm zu bemerken.

Stefan T. berichtet, dass er den Täter gefragt hat, was dieser denn gemacht hätte, wenn Stefan T. bewaffnet gewesen wäre. Antwort des Täters: „Dann hätte ich das ganze Magazin leer geschossen!“

Diese Antwort deutet auf einige Aspekte hin: Erstens hatte der Täter wohl kein Ersatzmagazin dabei, war an dieser Stelle also offenbar schlecht vorbereitet. Zweitens spricht die Aussage, dass er das ganze Magazin verschossen hätte, deutlich vom entsprechenden Täterstress. Hieran ist, wie auch schon an anderen Stellen des Prozesses, die Feigheit des Täters abzulesen.

Während seiner Gefangenschaft, so berichtet Stefan T., gab es eine Situation, in der ein Flugkörper über sie hinweg flog, woraufhin der Täter sehr hektisch wurde und etwas Grünzeug auf seinem provisorischen Dach verteilte. Dieses bestand aus blauen Müllsäcken oder blauer Plastikfolie. Dies zu bedecken war laut Stefan T. auch absolut notwendig, weil die Farbe Blau in einem Sumpf nun einmal sehr auffällig ist.

Auch diese infrastrukturelle Maßnahme – blaue Plastikfolie als Schutzdach zu verwenden – ist eine schlechte Vorbereitung des Täters.

Nebenklägervertreter und Sachverständiger befragen Stefan T.

Nun bekommen die Nebenklägervertreter der Familie P. die Gelegenheit zur Nachfrage. Man will nun wissen, ob Stefan T. die Familie P. vor der Tat persönlich kannte. Er verneint dieses, gibt aber zu, schon von ihnen gehört zu haben. Gemeinsame Bekannte gibt es laut Stefan T. nicht. Doch nach der Tat gab es zwei Treffen mit der Familie P. Befragt zum örtlichen Schützenverein – wo er Christian P. auch hätte kennenlernen können –, antwortet Stefan T., dass er aus reiner Netzwerkpflege zu örtlichen Handwerkern eingetreten ist. Eine Waffe hatte er damals nicht, inzwischen jedoch besitzt er eine. Waffen waren ihm bis zu seiner Entführung zuwider.

Der psychologische Sachverständige befragt Stefan T. nach einer möglichen Alkoholisierung des Täters. Alkoholisiert sei dieser nicht gewesen, das hätte Stefan T. definitiv gerochen, entgegnet dieser. Darüber hinaus kann er zur Verfassung des Täters nur sagen, dass dieser eine sehr gute Outdoor-Erfahrung gehabt haben muss. Aggressiv hatte Stefan T. den Täter nur in der Situation der Schussabgabe empfunden. Ansonsten war der Täter sachlich, sehr zielgerichtet und rücksichtslos. Freude wiederum äußerte er nur, als es um die Lösegeldforderung von einer Million Euro ging.

Nun sind die juristischen Vertreterinnen von Torsten H. an der Reihe und befragen Stefan T. nochmals zu der Situation des Gesprächs über die Bilder in seinem Haus. Sie bitten Stefan T., nochmals den genauen Wortlaut der Antwort des Täters wiederzugeben: „Das glaubst aber auch nur du!“

Ich beobachte, wie der Beklagte Mario K. oft etwas mit den Kugelschreiber in der rechten Hand schreibt. Wenn er nicht schreibt, dreht er diesen Kugelschreiber wie einen Propeller in der Hand.

Harte Zeugenbefragung durch den Anwalt des mutmaßlichen Täters

Am späten Vormittag beginnt der Rechtsanwalt Axel W. seine Befragung. Da der Zeuge Stefan T. einen sehr guten Vortrag abgeliefert und viele detaillierte Kenntnisse vorgetragen hat, dürfte es eine interessante Anhörung werden.

Als Erstes fordert der Anwalt ihn auf, doch weiterhin so akkurat zu antworten. Unter anderem geht es dem Anwalt um die Besichtigung des Aufenthaltsorts von Opfer und Entführer. Der Anwalt wundert sich über das gute Erinnerungsvermögen des Zeugen und fragt, ob sich das inzwischen verbessert hat. Der Zeuge Stefan T. sagt, dass es sich erstaunlicherweise genauso verhalte. Rechtsanwalt Axel W. mutmaßt nun, dass sich das auch durch das Studium der Akten so ergeben haben könnte. Stefan T. entgegnet, dass das nicht auszuschließen ist. Es geht zwischen den Parteien ein bisschen hin und her, manchmal reden beide gleichzeitig.

Eine entscheidende Frage ist, wie Stefan T. den Ort seiner Gefangenschaft wiederfinden konnte, obwohl er das Versteck von der Seeseite aus doch nie gesehen hat. Stefan T. begründet das mit seiner Kenntnis des Sees, und dem insgesamt relativ kleinen Gelände.

Bei der Beantwortung der Fragen von Axel W. wird Stefan T. oft durch den Anwalt unterbrochen. Will er ihn damit verunsichern? Doch dann wiederum zeigt sich der Anwalt an manchen Stellen auch verständnisvoll.

Ein weiterer Fragenkomplex des Beklagtenanwalts betrifft hiernach das geschäftliche Umfeld von Stefan T. Danach werden unterschiedliche Situationen der Entführung und Eindrücke vom Täter abgefragt. Hierzu hören wir vom Zeugen Stefan T. das bereits Gesagte.

Eine Besonderheit fällt auf: Der Täter hat penibel darauf geachtet, dass das Opfer keine nassen Füße bekommt. Stefan T. bekam während der Gefangenschaft zwei Mal einen „Anpfiff“. Auch dieses zeugt von einer hohen Outdoor-Erfahrung. Denn nasse Füße bedeuten, dass die Gefahr einer Krankheit groß ist und mit einem kranken Opfer ist schwieriger umzugehen.

Des Weiteren erklärt der Zeuge dem Anwalt noch einmal sehr ausführlich, warum er beim Briefeschreiben nicht hoch geschaut hat, um den Täter zu sehen. Das war begründet durch die Angst, getötet zu werden, sollte der Täter bemerken, dass sein Opfer ihn ohne Maske sieht.

Nun thematisiert Anwalt Axel W. eine Zeugenaussage Stefan T.s während einer Befragung durch die Polizei am 7. Oktober 2012. Dabei ging es um die Täterbeschreibung, wobei die von Stefan T. geäußerte Körperlänge des Täters von der tatsächlichen Körperlänge des Beklagten deutlich abweicht. Der Beklagtenanwalt hat hierfür einen Zollstock mit in den Gerichtssaal gebracht. Er fordert nun den Beklagten auf, vor den Richtertisch zu treten, um ihn zu vermessen. Es findet eine richterliche Abnahme statt, die eine Körperlänge von 185 Zentimetern ergibt. In seiner polizeilichen Befragung hat Stefan T. eine Länge von circa 170 bis 175 Zentimetern angegeben. Bei der Messung zeigt der Beklagte im Übrigen wieder einmal keine Reaktion. Er zeigt nur in Richtung des Zeugen mit Zeigefinger und Daumen die Höhe seiner Absätze (1 cm) an.

Nach circa zwei Stunden Befragung scheint es nun so, dass Axel W. eine vermeintliche Trumpfkarte gespielt hat. Doch der Zeuge erklärt hingegen den festgestellten Längenunterschied mit der gebückten Körperhaltung des Täters. Denn dieser stand da wie ein Boxer oder wie eine schussbereite Person, die sich leicht gekrümmt hält und dadurch nicht die normale Größe mit einem gestreckten Körper erreicht.

Anschließend erzählt Stefan T. noch, dass er nach der Rückkehr aus seinem Kurzurlaub, den er unmittelbar nach der Tat antrat, Personenschutzmaßnahmen durch die Polizei erhalten hat. Hierfür fand mit ihm und mit der Familie ein Gefährdungsgespräch samt Analyse statt, aufgrund dessen die Familie hinsichtlich der zu ergreifenden Sicherheitsmaßnahmen entsprechend eingestuft worden ist.

Zum Kurzurlaub hatte sich die Familie T. unmittelbar am Tag nach der Befreiung entschlossen. Es wurde eine kleine Reise in ein warmes Gebiet. Hier wollte die Familie die Ereignisse besprechen und verdauen. Vor dem Hotel war eine uniformierte Polizeistreife des Gastgeberlandes eingesetzt. Die Familie war der Überzeugung, dass diese Maßnahme durch die deutschen Polizeibehörden ausgelöst worden war.

Wenn dem so war, dann ist diese Maßnahme bei diesem Tätertyp sicherlich sinnfrei gewesen. Doch leider einsatztypisch.

Jetzt geht es dem Rechtsvertreter Axel W. um die verschiedenen Vernehmungen des Zeugen Stefan T. durch die Polizeibehörden. Er fragt nach allen möglichen Details, beispielsweise zur Dauer der Termine, deren Zustandekommen oder nach teilnehmenden Personen.

An dieser Stelle der Befragung übt Stefan T. Kritik zu den Vernehmungen dahingehend, dass diese in seinen Augen oft unprofessionell durchgeführt worden sind. Oft waren sie vorher nicht terminlich angekündigt, sondern wurden sehr spontan angesetzt. Zeitweise konnten die Beamten außerdem die ihnen zur Verfügung gestellte EDV-Technik nicht hinreichend bedienen, so dass eine Befragung nur zögerlich und Stück für Stück durchgeführt werden konnte. Bei seiner ersten Vernehmung am Montagvormittag wurde er zwischenzeitlich auch vom Polizeipräsidenten angerufen. Das Gespräch dauerte keine Minute.

Stefan T. berichtet zu allen Fragen sehr viel und auch ausschweifend, er wirkt sehr authentisch. Rechtsanwalt Axel W. hingegen wartet, den linken Arm auf der Tischplatte und seinen Kopf stützend, nur auf Schlüsselworte in den Antworten von Stefan T. mit denen er dann wieder weiter nachfragen kann. Das funktioniert fortlaufend. Es dreht sich dabei unter anderem viel um den Chefermittler der Polizei.

Am Nachmittag führt der zweite Anwalt des Beklagten, Christian L., die Befragung weiter. Er fragt wieder das berufliche Umfeld des Zeugen Stefan T. ab. So werden folgende Fakten bekannt: Die Gesellschaftsform des Betriebs von Stefan T. ist eine Aktiengesellschaft mit 20 Mitarbeitern und verschiedenen Gremien wie Vorstand, Aufsichtsrat, Investmentkomitee, und internem Komitee.

Weiter wird unter anderem nach dem Umgang mit den Mitarbeitern gefragt, zusätzlich auch nach dem Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Stefan T. soll auch noch einmal das Geschäftsmodell der Firma erklären, woraufhin dieser erläutert, dass sein Credo laute: zwischen allen Parteien stets ein faires Verhältnis schaffen. Er wolle niemanden zum Feind haben, und das sei ihm bis heute auch gelungen. Ob es kritische Entlassungen bei den Firmenbeteiligungen gab, kann er ad hoc nicht beantworten.

Anwalt Christian L. fragt anschließend, ob sich der Zeuge denn nicht überlegt hätte, wer der Täter gewesen sein könnte. Stefan T. entgegnet, dass er sich natürlich einige Gedanken dazu gemacht hat, doch er sei auf niemanden gekommen, dem er diese Tat zutrauen würde. Daraufhin legt Christian L. dem Zeugen ein Protokoll einer Telefonüberwachung (TKÜ) vor, aus dem ein Gespräch mit einem Aufsichtsrat über einen Auftrag möglicherweise Aufschluss erbringen könnte. Darin wurden zwei Personen genannt, die eventuell in Betracht kommen könnten. Hierzu gab es allerdings keinerlei verdichtende Hinweise oder sonstige Umstände, die einen berechtigten Verdacht oder eine Nähe zu dem Verbrechen ergeben.

Auf die nächste Frage des Anwalts, ob er denn während der Entführung Angst gehabt hätte, antwortet Stefan T., dass er Todesangst ausgestanden hat. Auch hierzu zieht der Anwalt ein Protokoll einer Telefonüberwachung (TKÜ) vor, aus dem hervorgeht, dass Stefan T. gegenüber seinem Vater sagte, dass er niemals ängstlich war.

Mit diesen anwaltlichen Kniffen endet die Befragung des Zeugen und die weitere Vernehmung von Stefan T. wird auf den nächsten Verhandlungstag verlegt.

„Ausklang“ des Prozesstages

Eine knappe Stunde lang werden am späteren Nachmittag noch zwei weitere Zeuginnen gehört, die zu den Fällen der Familie P. aussagen sollen. Neues ist aus den Aussagen allerdings nicht zu hören. Doch insbesondere die Zeugin Birgit B. bringt durch ihre erfrischende lebensnahe Art Unterhaltung und Stimmung in den Gerichtssaal. Sie selbst hat zwar weder etwas gesehen noch gehört, sich aber aus ihrem Bekanntenkreis und in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ über den Fall der Familie P. informiert.

Hiernach unterbricht der Vorsitzende Richter den Verhandlungstag bis zum nächsten Tag. Auch der nächste Verhandlungstag dürfte wiederum Spannung und interessante Erkenntnisse bringen, da die Frau des Zeugen und Entführungsopfers Stefan T. aussagen wird.

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.

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