Duell im Gerichtssaal: Angeklagter reagiert auf Provokation
Nach einigen Tagen Pause beginnt am 5. Juni 2014 der nächste Verhandlungstag im „Maskenmann“-Prozess.
Eines kann diesem Bericht gleich vorweggenommen werden: Der sechste Prozesstag wird ungeahnte und ungewöhnliche Umstände und Ereignisse zu Tage bringen, die im nachfolgenden geschildert und kommentiert werden. Der besseren Lesbarkeit halber werde ich persönliche Einschätzungen kursiv setzen.
Routine. Routine?
Als um 9:15 Uhr der Saal aufgeschlossen wird, treten Zuschauer sowie Medienvertreter und ein TV-Team des RBB ein. Auch die Verhandlungsparteien kommen nach und nach in den Gerichtssaal. Man begrüßt sich höflich, aber mit entsprechender Distanz.
Ich erwische mich dabei, wie ich das gesamte Prozedere als Routine empfinde. Doch Routine heißt Normalität und an diesem Prozess ist nichts normal – für die Opfer erst recht nicht. Ihnen sollte jeglicher Respekt entgegengebracht werden, über die lange Zeit des Prozesses und darüber hinaus.
Kurz nach halb zehn wird der Angeklagte Mario K. in den Saal geführt. Er wird von drei Justizbeamten begleitet und hat wie immer seinen Laptop mit Verlängerungskabel dabei.
Die Anschlagsopfer Petra und Luisa P. wiederum warten in einem kleinen Raum hinter dem Zuschauerbereich, bis das TV-Team den Gerichtssaal verlassen hat. Petra P. macht einen strengeren Eindruck als sonst, doch vielleicht liegt das an ihrer veränderten Frisur oder an der dunkel umrandeten Brille. Sie schaut selbstbewusst zum Angeklagten. Ihre Tochter Louisa P. macht auch heute wieder einen etwas teilnahmslosen, abwesenden Eindruck. Trotzdem gehört Stärke dazu, sich immer wieder dem Angeklagten gegenüberzusetzen.
Dem Angeklagten auf der Fährte
Als erste Zeugin wird eine Nachbarin gehört, die zwar Petra P.s „gruselige Hilfeschreie“ hörte, sonst aber nichts zum Sachverhalt beitragen kann. Danach wird als Zeuge der Spürhundeführer der Polizei befragt. Am Tatort des Attentats auf Louisa P. begutachtete er zwei Hülsen und ein Projektil, was er ausführlich erläutert.
Während der Hundeführer und anschließend zwei weitere Polizeibeamte gehört werden – ohne Erhellendes beizutragen – kommt Torsten H. in den Saal, der angeschossen worden war. Wie auch Petra P. blickt er den Angeklagten fest an. Doch dieser würdigt die Opfer keines Blickes. Stattdessen lässt er seinen Blick im Saal kreisen, mustert verschiedene Personen. Nebenbei macht er sich Notizen oder liest in seinem Laptop.
Nun kommt der Polizist Sven S. in die Befragung. Er ist Führer eines Fährtenhundes und erläutert zunächst Grundsätzliches zur Arbeit mit derart speziell ausgebildeten Tieren. So klärt er auf, dass ein Hund einen Geruchsinn hat, der eine Million Mal intensiver und ausgeprägter ist, als der des Menschen. Die Hunde sind in der Lage, einen individuellen Geruchsstoff aufzunehmen. Sven S. erklärt, dass seine Hündin Spuren über Blut, Schweiß oder Adrenalin aufnimmt.
Die Anwälte von Mario K. fragen dezidiert und spitzfindig nach. Man möchte wissen, wie lange der Polizist schon Herr seiner Hündin ist, welche Ausbildung das Tier genossen hat, wie oft es eingesetzt wurde und zu welcher Art Einsätze. Wie schon bei den vergangenen Prozesstagen stellen die Verteidiger ihre Fragen immer und immer wieder, bedienen sich aber jedes Mal einer neuen Wortwahl, um den Befragten zu zermürben. Der Zeuge schlägt sich zwar tapfer, ist dem rhetorisch aber nicht gewachsen.
In der anschließenden Pause beobachte ich, wie Petra P. und Louisa P. ihren ehemaligen Personenschützer Torsten H. auf dem Weg zum Pausenraum sehr herzlich begrüßen. Die Mutter legt ihre eine Hand auf dessen Schulter, Louisa P. grinst sogar.
Zurück im Gerichtssaal wird der Prozess mit der Befragung des Zeugen Helmut Peter B.-C. weitergeführt. Dieser ist ein anerkannter Hundeführer im Bereich Mantrailing (Personensuche), seit 35 Jahren im Hundewesen tätig und seit 15 Jahren im Spezialgebiet Mantrailing. Die Tiere, mit denen der Zeuge arbeitet, sind besondere Hunde mit einem hervorragenden Geruchssinn. Sie sind in der Lage, verschiedene menschliche Gerüche voneinander zu unterscheiden. Sie richten sich nach den Duftmolekülen der Zielperson und nicht nach den Bodenspuren wie etwa normale Fährtenhunde.
Im Fall der Familie P. wurden drei Spürhund-Einsätze durchgeführt. Während die ersten beiden auf Kosten der Polizei erfolgten, hat den dritten die Familie P. finanziell übernommen, da die Polizei keine Kosten für diesen Bereich mehr zur Verfügung hatte. Der erste Einsatz wurde vier Wochen nach dem nächtlichen Attentat auf Mutter Petra P. durchgeführt.
Spurenträger der ersten Tat an Petra P. ist eine Kette von einem Handy, welche am Tatort. gefunden wurde. Vom zweiten Überfall dienen Patronen als Spurenträger. Mittels der eingesetzten Hunde konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass alle Objekte von einer Person stammen, es sich bei beiden Übergriffen also um ein und denselben Täter gehandelt hat.
Nach der erneut peinlich genauen Nachfragerunde der Angeklagtenanwälte bleibt diesen am Ende jedoch nur, festzustellen, dass der rhetorisch sehr versierte und selbstsichere Zeuge kein Kriminalist ist. Das ist zwar richtig, für den Prozess aber wohl völlig unerheblich.
Im Laufe des sehr interessanten Vormittags stelle ich fest, dass Louisa P. immer interessierter am Prozess teilnimmt. Sie schaut sich viel mehr um als bisher, das werte ich als ein gutes Zeichen.
Befragung des Bauunternehmers Christian P.
Der Nachmittag beginnt mit dem Zeugen Christian P., Bauunternehmer aus Berlin. Bereits zum Zeitpunkt des Angriffs auf Petra P. lebt er von ihr – seiner Frau – getrennt, was auch nach wie vor der Fall ist. Im Gerichtssaal macht er einen leicht unsicheren Eindruck. Christian P. schaut direkt zum Täter und versucht, Blickkontakt herzustellen. Doch Mario K. schaut – wie immer – nicht zurück.
Der Richter will von Christian P. wissen, welche möglichen Motive er für die Tat sieht. Doch Christian P. hat keine Erklärung. Auch keinen seiner Kontakte hält er für fähig, etwas solch Abscheuliches durchzuführen. Petra P. schaut ihren Mann erwartungsvoll und ernst an.
Christian P. berichtet, dass er sich zum Tatzeitpunkt in Amerika befand, zwei Tage später aber bei seiner Frau im Krankenhaus war. Zwischenzeitlich hat sein Sohn einen Wachschutz beauftragt und dabei besonders Wert darauf gelegt, dass das Unternehmen in der Nähe angesiedelt ist.
Anschließend geht es um die Mitgliedschaften von Christian P. in diversen Vereinen, vor allem die Schützenvereine sind von Interesse. So berichtet Christian P., dass er seinen Verein wechselte, weil sich im neuen Club die Trainingsmöglichkeiten besser ausnahmen. Zweimal hatte er außerdem in Schützenvereinen in Wannsee und Tempelhof geschossen.
Während seiner Anhörung macht Christian P. einen sehr angestrengten Eindruck.
Auch die Verteidiger erhalten nun Gelegenheit, den Vater von Louisa P. zu befragen. Obwohl er und auch alle anderen Familienmitglieder immer wieder ausgesagt haben, dass sie vor den Taten keinen Kontakt mit dem dritten Opfer Stefan T. hatten, haken die Angeklagtenanwälte beim Vater – und später auch beim Sohn Patrick P. – besonders nach.
So kommt zutage, dass Stefan T. im gleichen Schützenverein wie Christian P. Mitglied war. Trotzdem kennen sich beide nicht, was tatsächlich der Fall sein kann, denn Christian P. hat nach eigener Aussage niemals an Meisterschaften oder Mitgliedsfeiern teilgenommen.
Worauf all diese Fragen zielen, ist unklar, auch Christian P. ist irritiert. Es scheint, als wollten die Anwälte von Mario K. Zweifel streuen, so auch bei der nächsten Frage. Darin geht es um Bernd W., Sohn des Halbbruders von Petra P. Dieser habe mal ein Event für das Opfer Stefan T. mit vorbereitet. Christian P. kann hierzu überhaupt nichts sagen.
Nun wird Christian P. zu seiner Lebensgefährtin Kirsten O. befragt. Mario K.s Anwalt, Axel W., möchte wissen, ob Christian P. Postkarten erhalten hat, die ihn vor Kirsten O. gewarnt haben. Der Befragte kann sich an nichts Derartiges erinnern und schaut bezeichnenderweise seine von ihm getrennt lebende Frau fragend an.
Nun will man wissen, ob Christian P. Motorrad fährt, was er mit der Aussage, zwei Harley-Davidsons zu besitzen, bestätigt. Es werden auch das Arbeitsumfeld und besondere Entlassungen aus diesem abgefragt. Anschließend geht es um Christian P.s Teilnahme an der Personensuche durch die Spürhunde, die er bestätigt – nicht zuletzt aus dem Grund, da er die dritte Suche aus eigener Tasche finanziert hat.
Je mehr Nachfragen seitens der Verteidigung kommen, umso mehr scheint Christian P. genervt zu sein. Seine Stimme drückt das deutlich aus.
Die Familie P. hat während der Fahndung nach dem Täter eine Belohnung von 50.000 Euro ausgesetzt. Hierzu wird bei Christian P. durch die Anwaltschaft nachgefasst. Die Frage, ob innerhalb der Familie auch über eine Erhöhung der Summe gesprochen wurde, beantwortet Christian P. nur zögerlich. Auch, warum die Summe von 50.000 Euro nicht auf 100.000 Euro oder gar 200.000 Euro erhöht wurde, lässt Christian P. im Dunkeln. Es folgen weitere Nachfragen, schließlich endet die Anhörung. Christian P. macht keinen zufriedenen Eindruck. Er setzt sich mit verschränkten Armen in die vorletzte Reihe.
Im Zeugenstand: Sohn und Bruder Patrick P.
Gegen 14:00 Uhr kommt Patrick P., Sohn von Petra und Christian P. und älterer Bruder von Louisa P. in den Zeugenstand. Er macht einen sehr gepflegten Eindruck und ist seinem Alter entsprechend schick gekleidet.
Schon bei der Beantwortung der ersten richterlichen Fragen wird deutlich, wie redegewandt und selbstsicher Patrick P. ist. Wenn ich intensiv zuhöre, spüre ich eine gewisse Überheblichkeit. Man darf gespannt sein, ob ihm diese erhalten bleibt, oder ihn im Laufe des Prozesses einholt.
Von dem Angriff auf seine Mutter erfuhr er erst am nächsten Tag, vormittags im Büro, durch eine Angestellte seiner Firma. Daraufhin fuhr er unverzüglich ins Krankenhaus. Patrick P. schildert den Tathergang, den seine Mutter ihm erzählt hat. Dieser unterscheidet sich kaum vom bereits Gehörten. Patrick P. beschreibt sehr detailliert und rhetorisch sehr sicher.
Er verweist unter anderem auf das abstehende Ohr des Täters und berichtet außerdem über den Termin beim Phantomzeichner. Dieser konnte die Angaben der Mutter Petra P. nicht genau umsetzen. Dass Patrick P. die Angaben seiner Mutter bestätigt, ist sehr wichtig, weil er der Erste ist, der deren Aussagen nochmals unterstützt.
Zum Anschlag auf seine Schwester Louisa P. berichtet Patrick P. ebenfalls sehr detailliert. Als er über die Tat und den Täter spricht, schaut der Angeklagte Mario K. auf sein Papier auf dem Tisch, blickt den Zeugen nur ganz kurz an.
Nach den Anschlägen auf seine Mutter und seine Schwester, entschloss sich Patrick P., Personenschutz zu beauftragen, da er Angst hatte, dass sich diese Vorfälle wiederholen. Insbesondere die massive Gewalt gegenüber seiner Mutter hat ihn sehr schockiert und verwundert.
Fragen, die mir an dieser Stelle wichtig erscheinen, sind: Was genau wurde beauftragt? Der Auftraggeber fordert Personenschutz, doch was bestätigen die Auftragnehmer? Die Antworten folgen dann tatsächlich im weiteren Verlauf des Tages.
Außerdem möchte das Gericht wissen, warum genau das am Ende beauftragte Unternehmen den Zuschlag bekommen habe. Patrick P. sagt daraufhin aus, dass ihm seine Assistentin drei Vorschläge gemacht hat. Bei der ersten Firma hat niemand das Telefon abgenommen, bei der zweiten überzeugte der Internetauftritt nicht, weswegen die Entscheidung klar auf das dritte Unternehmen gefallen ist. Mit den Chefs der Sicherheitsfirma, Anne L. und Björn B., wurde umgehend ein Gespräch geführt und anschließend gab es eine Soforthilfemaßnahme: Zwei Sicherheitsmitarbeiter für den Nachteinsatz und einen Sicherheitsmitarbeiter am Tag.
Später wird dieses Thema auch von den Angeklagtenanwälten aufgegriffen. Dabei erklärt Patrick P., dass er unbedingt ein Unternehmen vor Ort beauftragen wollte, keines aus Berlin. Wichtig sei ihm zudem gewesen, dass die Sicherheitsmitarbeiter „etwas mehr hermachten“ und abschreckend wirkten.
Die Beauftragung der Storkower Firma könnte auch dadurch zustande gekommen sein, dass Patrick P. dieses Unternehmen bereits aus seiner Jugendzeit kennt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Firma aus der Clubszene in Berlin bekannt war, da ihre Sicherheitsmitarbeiter auch dort eingesetzt werden. Logisch ist sein Entscheidungsverhalten allerdings nicht. Für den erfahrenen Auftraggeber war die Nähe zum Erfüllungsort sicherlich noch nie das entscheidende Kriterium gewesen. Man hätte auch einen Sicherheitsberater einbinden können.
Dann geht es um die Täterschaft, zu der Patrick P. zwar nichts sagen kann. Doch der Nebenklägervertreter Rechtsanwalt Dr. Panos P. befragt den Zeugen zum Termin beim Phantomzeichner, und, ob er sich erinnern könne, dass seine Mutter Petra P. dem Zeichner vom abstehenden linken Ohr berichtet hat. Dies bestätigt der Befragte. Der Anwalt des Angeklagten, Axel W., hakt in diesem Punkt ebenfalls genau nach und will wissen, ob die Zeichnung tatsächlich frei angefertigt worden ist, was Patrick P. bestätigt. Nach vielen weiteren Fragen hebt Verteidiger Axel W. schließlich hervor, es sei auffällig, dass sich sonst weder ein anderer Zeuge, noch irgendein Polizeibeamter an das abstehende Ohr erinnern kann.
Nun übernimmt Christian L., der zweite Verteidiger von Mario K. Er möchte sich erneut mit dem Komplex der Bekanntschaft zwischen den beiden Opferfamilien beschäftigen. Patrick P. wird sehr intensiv befragt zu überwachten Telefonaten mit Stefan T., was rasch dazu führt, dass dem Zeugen seine oben beschriebene Überheblichkeit nun doch völlig entgleitet und er nur noch sehr stockend und mit leiserer Stimme antwortet. Auf diese Art und Weise rüttelt die Verteidigung natürlich an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Dieser wird zunehmend unter Druck gesetzt, was der Rechtsbeistand von Stefan T. bemerkt und Patrick P. zur Seite springt.
Bei der weiteren Befragung stellt sich außerdem heraus, dass sich der Arbeitsplatz von Louisa P. in demselben Bürohaus befand wie auch der von Stefan T. Getroffen haben sie sich wohl jedoch nie. Nach dieser sehr intensiven Befragung, die eine knappe Stunde dauert, wird Patrick P. entlassen. Mario K. hat wieder keinen Blickkontakt zum Zeugen aufgenommen.
Widersprüche im Schutzauftrag
Der nächste Zeugenbefragungskomplex umfasst drei Sicherheitsmitarbeiter, die alle als selbstständige Subunternehmer für das Storkower Wachunternehmen im Auftrag Familie P. gearbeitet haben.
Um es gleich vorwegzunehmen: Es ist sehr auffällig und höchst interessant, dass alle drei Personen auf die Frage des Verteidigers Christian L., wie denn der konkrete Auftrag lautete, antworteten, dass es sich um Objektschutz bzw. Objektbewachung gehandelt habe. Interessant ist diese Aussage deshalb, da kurz zuvor Sohn und Bruder Patrick P. ausführte, dass er einen Personenschutzauftrag erteilt hat.
Dieser Widerspruch zieht sich durch den gesamten Fall. Die Zeugen Christian und Patrick P. sitzen in der vorletzten Reihe im Zuschauerraum und zeigen bei diesen Aussagen keinerlei Reaktion.
Später wird genau das nochmals in der Befragung eingehend thematisiert, wenn auf die neuerliche Frage, ob es denn nicht doch ein Personenschutzauftrag war, seitens der Befragten dagegengehalten wird: Es gab keine Waffen oder Schutzwesten, weil es kein Personenschutzauftrag war. Zudem wäre Personenschutz teurer abgerechnet worden, etwa zum doppelten Stundenverrechnungssatz. Allerdings haben die drei Zeugen mit der Familie P. nicht direkt über den Auftragsinhalt gesprochen, denn das hat der Chef der Storkower Sicherheitsfirma, Björn B., getan.
Nun fragt Anwalt Axel W. nach der Sinnhaftigkeit des Auftrages, wenn es nur ein Objektschutzauftrag gewesen sei. Immerhin wurde eine Person massiv angegriffen. Auf die nächste Frage, ob es eine Gefährdungsanalyse gab, wird einhellig mit Nein beantwortet.
Die weitere Befragung der Sicherheitskräfte ergibt wiederholt, dass der Einsatz von Torsten H. an diesem Tag Zufall war. Sie beschreiben, was auch schon früher im Prozess zur Sprache kam: Der normale Tagesablauf innerhalb der Familie P. – und auch am Tattag des Attentats auf Louisa P. – verlief dergestalt, dass Louisa P. sich regelmäßig morgens um die Pferde auf der Koppel kümmerte, wobei sie immer begleitet wurde.
An diesem Punkt stelle ich eine typische Schwachstelle fest: Die Regelmäßigkeit!
Zu den Tatmotiven oder dem Tathergang können alle drei Männer keine Sachverhaltsschilderung abgeben. Doch Zeuge Jan J. war am Freitag vor dem Tattag aufgefallen, dass der Hund Paul lange in eine Richtung gestarrt hat; jene Richtung, aus der am Tattag der Täter aus dem Wald kam. Es ist daher anzunehmen, dass der Täter schon zu dieser Zeit vor Ort war und seine Chancen entsprechend ausgelotet hat.
Auch hier kann ich typisches Täterverhalten erkennen. Alle Täter führen (meist mehrere) Generalproben durch. Der sachliche Beweggrund scheint die professionelle Vorbereitung zu sein. Der wahre Grund ist Feigheit!
High Noon im Gerichtssaal: Der Täter rührt sich und spricht erstmals
Der Staatsanwalt fragt den Zeugen Jan J. nun, ob er den Angeklagten kennen würde, was dieser verneint. Diese Nachfrage begründet der Staatsanwalt damit, dass ihm ein intensiver Blickkontakt zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen aufgefallen sei. Sicherheitsmann Jan J. erklärt allerdings, er wolle sich den Täter nur genau anschauen, „der so einen Scheiß“ gemacht hat. Dem folgt eine Premiere: Erstmals lässt sich der Angeklagte am sechsten Verhandlungstag zu einer Äußerung hinreißen: „Das denkst auch nur du!“
Beide Männer starren sich lange an es, scheinbar minutenlang. Doch Christian L., der Anwalt des Angeklagten, versucht seinen Mandanten Mario K. zu beruhigen. Auch der Vorsitzende Richter greift in die Situation ein. Er wendet sich direkt an den Zeugen Jan J. und bittet diesen, den Blick von Mario K. abzuwenden und ihn, den Richter, anzuschauen.
Der Angeklagte Mario K. hat erstmals reagiert und sogar gesprochen. Die letzten fünfeinhalb Verhandlungstage saß er absolut still, nahezu regungslos und teilnahmslos auf seinem Stuhl. Warum reagiert er nur in dieser Situation?
Bis zum Verlassen des Gerichtssaals knistert es zwischen Jan J. und Mario K. Beide schauen sich fest und finster an.
Gewissensbisse: Wichtiger Zeuge zeigt sich unsicher
Nach diesem heißen Duell wird nun die ehemalige Freundin des Opfers Torsten H. befragt, jedoch ohne wesentlichen Wissensgewinn. Hiernach wird am Nachmittag ein Zeuge des Tatabends des Attentats auf Petra P. in den Zeugenstand gerufen. Es ist Michael S., ein älterer Mann, der regelmäßig in Storkow spazieren ging. Er hatte sich an diesem Tag schon mit seiner Frau vom Parkplatz entfernt, um seinen Spaziergang zu beginnen. Doch eine dringende Notdurft führte ihn auf einem anderen Wege zum Parkplatz zurück.
Im Gebüsch stehend blickte er kurz hoch und sah etwa zweieinhalb Meter vor ihm einen Mann im Tarnanzug stehen. Dessen Gesicht war kurzzeitig unbedeckt, doch der Mann zog sofort einen Schleier oder eine Maske vor das Gesicht. Der Zeuge lief sofort davon. Auf seinem nun folgenden Spaziergang sah er diesen Mann nochmals, und zwar ohne Tarnanzug.
Es folgt eine in Augenscheinname der Phantomzeichnungen am Richtertisch. Dabei möchte der Vorsitzende Richter wissen, ob Michael S. den Angeklagten als Täter identifizieren kann. Der Zeuge windet sich, da er niemandem etwas Unrechtes tun will. Einerseits erkenne er ihn nicht definitiv. Andererseits ist er der Meinung, dass es viele Ähnlichkeiten zu dem Mann im Tarnanzug gibt.
Der Nebenklägervertreter von Stefan T., Anwalt Dr. Panos P., fragt den Zeugen nach der Statur des Täters, woraufhin der Beklagte aufgefordert wird, sich hinzustellen, so dass ihn der Zeuge genau mustern kann. Erneut sagt der Zeuge nun, dass die Person Mario K. im Gerichtssaal mehr Ähnlichkeit mit dem Mann im Tarnanzug vom Parkplatz hat, als es die Phantomzeichnung zeige.
Verteidiger Axel W. beanstandet diese Aussage von Michael S., da der Zeuge sich zu diesem Sachverhalt schon geäußert habe, allerdings anderslautend. Doch der Richter greift umgehend ein und stellt richtig.
Natürlich fragen nun beide Beklagtenanwälte beim Zeugen intensiv nach, um ihn zu verstricken. Doch nach 50 Minuten wird er entlassen und man merkt ihm den Gewissenskonflikt an; er hat sich schwer getan, mit hundertprozentiger Sicherheit einen Schuldigen zu benennen.
Skandalverdächtig: Verteidiger düpieren Opfer
Der Prozesstag ist seinem Ende nahe, als die Verteidigung ein weiteres Ausrufezeichen setzt, ganz so, als ob der Tag nicht schon spannend genug gewesen wäre. Axel W. stellt den Antrag, ein Glaubwürdigkeitsgutachten über das Opfer Stefan T. erstellen zu lassen.
Da das Entführungsopfer allerdings bereits am nächsten Prozesstag erstmals aussagen wird, und ein Gutachter so schnell vermutlich nicht zu bestellen ist, sollen die Schilderungen von Stefan T. audio-visuell aufgezeichnet werden. So kann ein Gutachter im Nachhinein die Äußerungen beurteilen.
Angesichts der Tatsache, dass Stefan T. und seine Familie Todesängste haben ausstehen müssen, ist dieser Antrag auf ein Glaubwürdigkeitsgutachten ein echter, fast unverschämter Kracher.
Auf den Antrag reagiert auch die Anwaltschaft von Stefan T. prompt und stellt diesen in Abrede. Man hätte auch die heutige Äußerung des Beklagten Mario K. audio-visuell aufzeichnen sollen. Damit hätte diese ebenfalls gutachterlich auf die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Täters analysiert werden können.
Mit dieser Aktion wird der sechste Prozesstag beendet, die Fortsetzung folgt am 12. Juni.
Ein Prozesstag, der es in sich hat: Widersprüche und Emotionen
Gleich mehrere bedeutungsvolle Punkte können resümiert werden:
Erstens bestätigt Patrick P., Sohn des ersten Attentatopfers Petra P., deren Aussage, der Täter hätte ein abstehendes linkes Ohr.
Zweitens fördert seine Aussage einen krassen Widerspruch zutage: Patrick gibt eindeutig an, einen Personenschutzauftrag erteilt zu haben. Die Sicherheitsmitarbeiter hingegen teilen in ihrer heutigen Aussage ebenso eindeutig mit, dass sie ausschließlich einen Objektschutzauftrag hatten.
Drittens ging aus den Schilderungen des Tages erneut hervor, dass eine Regelmäßigkeit im Verhalten der Schutzperson Louisa P. als Schwachstelle durch den Täter ausgenutzt worden ist: Das morgendliche Versorgen der Pferde auf der Koppel gegenüber dem Haus. Hierin zeigt sich eine fast schon grobe Fahrlässigkeit innerhalb der Schutzmaßnahmen, die wiederum durch die widersprüchliche Auftragsdefinition zustande gekommen sein kann.
Viertens hat sich nun endlich auch einmal der mutmaßliche Täter hinreißen lassen, zu sprechen. Vom Zeugen Jan J. hat er sich derartig provozieren lassen, dass er sich erstmals äußerte und dabei emotionale Regungen zeigte.
Fünftens kann sich Zeuge Michael S. nicht zu einer eindeutigen Aussage durchringen. Er scheint den Täter zu kennen, bleibt eine klare Antwort aber schuldig.
Sechstens leistet sich die Verteidigung eine fast schon dreist zu nennende Aktion und fordert ein Glaubwürdigkeitsgutachten über Opfer und Zeuge Stefan T.
Festzuhalten ist außerdem, dass dieser sechste Verhandlungstag aus Sicht des Personenschützers spannende Erkenntnisse hinsichtlich einer konstruktiven Fehleranalyse erbracht hat (siehe zweitens und drittens). Bleibt abzuwarten, wie erhellend und vielleicht auch spektakulär die kommenden Prozesstage verlaufen werden.
Bildquelle: Peter Hebgen / pixelio.de
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