Die Beine des Täters
Am 49. Verhandlungstag, dem 10. März 2015, möchte als erstes der Nebenklägeranwalt Dr. Panos P. seine Stellungnahme zu den beiden Beweisanträgen der Verteidigung vom 6. März 2015 abgeben.
Zum ersten Beweisantrag bezüglich der Ladung des Zeugen Bastian M., einem Polizeitaucher, stellt er fest, dass allein schon die Behauptung der Verteidigung, sein Mandant Stefan T. hätte den Schlüssel vom Ufer aus in den See geworfen, als völlig abwegig und grotesk einzustufen ist. Selbst wenn sich sein Mandant bei der Wassertiefe verschätzt hätte, so ist das sicherlich verständlich, weil er diese Angaben in einer außerordentlichen Stresssituation, unmittelbar nach der Entführung, gemacht hat. Im Übrigen hat sich auch ein anderer Polizeitaucher, der Zeuge W., bei der Angabe der Wassertiefe geirrt und diese erst nach in Inaugenscheinnahme eines Fotos korrigiert. Daher sei dieser Antrag abzulehnen.
Der zweite Beweisantrag, den Prozessbeobachter, Blogger und öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Personenschutz Stefan Bisanz zu hören, ist ebenfalls abzulehnen, da der Zeuge in seinem Blog nur das wiedergegeben hat, was in dem Prozess gesagt worden ist. Er könne sich daher auch nur zu diesem Kontext äußern.
Über die Knie, Ober- und Unterschenkel des Beschuldigten
Hiernach wird der Zeuge Dr. H. aus Cottbus gehört. Er hatte den Auftrag, als Gutachter ein elektrophysiologisches Gutachten über die Beine des Beschuldigten zu erstellen. Hierzu hatte er zwei Termine mit dem Beschuldigten, einen ersten am 18. Februar 2015 in der JVA Cottbus, einen zweiten am 23. Februar 2015 in seiner Praxis im Klinikum Cottbus.
Doch vor der Befragung bittet der Richter noch einmal Petra P., die Laufbewegungen des Täters bei ihrem Tatkomplex vorzuführen. Hiervon verspricht der Richter sich, dass der Gutachter den Bewegungsablauf des Täters nachvollziehen kann. Petra P. erklärt sich dazu bereit.
Der Verteidiger Axel W. erhebt sofort heftigen Einspruch mit der Begründung, dass der Boden im Gerichtssaal viel zu glatt wäre, so dass Petra P. den Tätergang nicht nachvollziehen könnte.
Petra P. entgegnet ganz souverän, sie hätte heute rutschfestes Schuhwerk an, so dass die Vorführung des Täterganges durchgeführt werden könne.
Bei der Vorführung durch Petra P. ist zu beobachten, dass der Beschuldigte Mario K. dem Geschehen nicht einen einzigen Augenblick Aufmerksamkeit widmet. Er schaut nur auf die Tischplatte vor sich. Wie schon so häufig ist festzustellen, dass der Beschuldigte die Opfer nicht anschauen kann. Ich würde mir als unschuldig Beschuldigter die Vorführung ansehen, um vielleicht etwas Entlastendes für mich abzuleiten.
Der Gutachter stellt fest, dass der Beschuldigte Mario K. gelernt hat, mit den durch den Gang verursachten Schmerzen umzugehen. Er hat gelernt, bestimmte Bewegungen nicht mehr durchzuführen. Schwimmen und Radfahren wurden ihm von seinen früheren Ärzten als Reha-Maßnahmen empfohlen.
Das Knie rechts kann er nur bis zu einem Winkel von 90 Grad beugen. Diese Feststellung ist allerdings nicht absolut, da der Patient und Beschuldigte Mario K. von sich aus bei 90 Grad aufhört. Der Gutachter wollte, um das Knie nicht möglicherweise zu schädigen die 90 Grad von außen nicht überschreiten. Insofern kann man nur feststellen, dass der Beschuldigte Mario K. bei diesem Versuch bis 90 Grad gebeugt hat – ob es ihm möglich ist, darüber hinaus eine Beugung durchzuführen, kann nicht sicher gesagt werden.
Das rechte Bein von Mario K. ist etwas schlanker, circa zwei bis drei Zentimeter. Doch Mario K. hat gelernt, sich so zu bewegen, dass er schmerzfrei bleibt. Sein linkes Bein ist völlig schadlos.
Rechts hat er bei einer Übung vier von fünf Punkten erreicht und bei einer Übung zur Zehenbewegung drei von fünf. Bei Übungen zum Stand und Gang hat er von sich aus Übungen abgebrochen, da er Angst vor Schmerzen hatte.
Der Arzt hat bei einer Untersuchung außerdem festgestellt, dass ein einziger Nerv – und zwar der Ischias zum Schienbein – geschädigt ist. Alle anderen waren intakt, auch der rechte Nerv in der Wade.
Acht Muskeln hatten einen normalen Befund, doch auf der rechten Seite war nicht alles funktionstüchtig. Ob Mario K. nicht konnte oder nicht wollte, kann Dr. H. nicht beurteilen. Bei einer Übung hatte er jedoch den verstärkten Eindruck, dass Mario K. in bestimmter Absicht handelte.
In dem zusammenfassenden Endbericht teilt er mit, dass er keine Kraftangaben in Kilojoule machen kann und somit im Ergebnis auch nichts beitragen kann.
Auch der Gutachter hat den möglichen Tätergang vorgeführt. Hierbei schaut Mario K. allerdings sehr interessiert zu, im Gegensatz zu der Vorführung von Petra P.
Das Gericht fragt den Gutachter nun, ob Mario K. gehen kann und, ob er so gehen kann, wie Petra P. das vorgeführt hat. Der Dr. antwortet auf die erste Frage mit einem Ja, auf die zweite Frage mit „Ja, könnte er, wahrscheinlich, allerdings mit Schmerzen.“.
Dr. Jakob D. hält dem Gutachter die Aussage des ehemaligen Boxtrainers des Beschuldigten, F., vor. Dieser hatte berichtet, dass er sowohl das Boxtraining, als auch die dazugehörige Gymnastik mit den anderen Trainierenden mitgemacht habe. Des Weiteren hält der Beschuldigte nach wie vor den Vereinsrekord bei der Übung „Sit-ups in Schräglage mit Schlagandeutungen links-rechts“. Hierbei steht sein Rekord bei 136 Mal in drei Minuten. Dieses findet Gutachter Dr. H. sehr erstaunlich, denn auch Steigungen könnte der Beschuldigte eigentlich nicht bewältigen.
Dann wird ihm ein Observationsfoto vorgelegt, worauf der Beschuldigte zu sehen ist, wie er einen Hang hinab geht. Hierzu sagt Dr. H., dass man diese Bewegungen am Hang bei einem Befund wie ihn Mario K. hatte, eher meiden würde. Auch bei der Festnahme des Beschuldigten am 19. März 2004 durch die Wasserschutzpolizei ist der Beschuldigte bei seiner Flucht vor der Festnahme eine Böschung herunter gelaufen.
Der Rechtsanwalt Manuel O. möchte vom Sachverständigen nochmals wissen, inwieweit er die mögliche Beugung von 90 Grad am rechten Bein des Beschuldigten festgestellt hat. Hierauf antwortet der Doktor, dass Mario K. bei 90 Grad einfach angehalten hat und er, als Arzt, den Probanden Mario K. nicht weiter zwingen wollte.
Der Verteidiger Axel W. stellt nun fest, dass der Boxtrainer F. den Boxstil seines Mandanten Mario K. eher als statisch bezeichnet hat. Hierzu fragt er den Sachverständigen nach verschiedenen möglichen Bewegungsabläufen seines Mandanten. Dr. H. teilt nun mit, dass vieles möglich sei, je nach Motivation des Menschen.
In den weiteren Ausführungen äußert der Sachverständige einen entscheidenden Gedanken: Wenn er sich die Bewegungen des Täters anschaut, fragt er sich, welcher Mensch bewegt sich überhaupt so und warum? Das ist dahingehend interessant, weil sie Bezug nimmt auf Ursache und Wirkung.
Der Täter muss also ein Mensch mit einer Beinverletzung sein, genauso wie sie der Angeklagte hat. Jeder gesunde Mensch wäre sonst gerade auf sein Opfer zugelaufen, und nicht schräg tänzelnd wie es Petra P. vorgeführt hat.
Weiter wurde der Sachverständige gefragt, ob eine Beugung über 90 Grad durch seinen Mandanten möglich sei. Dieses kann der Doktor nicht ausschließen. Zudem wird er gefragt, ob er bei der körperlichen Untersuchung eine Simulation festgestellt hätte. Grundsätzlich verneint er das; bei der elektrophysiologischen Untersuchung hat er jedoch gemerkt, dass der Beschuldigte bei seinem gesunden linken Bein aktiv mitgemacht hat, bei seinem kranken rechten Bein jedoch mit deutlicher „Handbremse“ agiert hat.
Gerichtsbeschlüsse
Damit ist der Zeuge entlassen und das Gericht gibt noch einen Beschluss zu den Beweisanträgen der Verteidigung bekannt. Der Zeuge Bastian M., Polizeitaucher, wird als Zeuge geladen. Der Zeuge Stefan Bisanz, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Personenschutz, wird nicht gehört, da das Gericht den Sachverhalt auch ohne Kenntnis des Blogs und der Zeugenaussage hinreichend beurteilen kann.
Eine weise Entscheidung, wie ich finde. Zwar wäre es sicherlich ein interessantes Rededuell zwischen uns dreien, den Verteidigern Axel W. und Christian L. sowie mir, geworden, allerdings bin ich der Meinung, dass ich keine Rolle in den „Festspielen“ von Axel W. auf der Bühne des Gerichtssaals innehaben sollte. In diesem Prozess geht es einzig und allein um die abscheulichen und brutalen Taten an den Opfern. Jedes Schauspiel oder weiteres Ablenkungsmanöver seitens der Verteidigung verbietet sich!
Bildquelle: Radka Schöne / pixelio.de
Comments are Disabled