Zehnter & Elfter Verhandlungstag | Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger

Im Prozess um die Entführung des Geschäftsmannes Heiko L. aus Leer wird gegen vier Angeklagte verhandelt, drei weitere Verdächtige sind flüchtig und der Haupttäter ist aufgrund einer Leukämieerkrankung nicht verhandlungsfähig. Dessen 91-jährige Mutter ist ebenso angeklagt und soll wegen Beihilfe zum erpresserischen Menschenraub und wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt werden, so die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer. Auch die Verteidiger der Angeklagten halten ihre Plädoyers.

Plädoyer der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft fordert drei Jahre Haft für die alte Frau aus dem nordrhein-westfälischen Iserlohn. Sie ist die Mutter des 67 Jahre alten, mutmaßlichen Drahtziehers der Entführung und die Lösegeldzahlungen sollen über ihr Konto gelaufen sein. Die 91jährige soll von Beginn an nicht nur in die Planung des Verbrechens eingeweiht, sondern selbst motiviert gewesen sein. Da ihr Sohn pleite war und von ihrem Geld lebte, hatte die Mutter ein großes Interesse, dass ihr Sohn an das Lösegeld kommt und sie nicht mehr für dessen Lebensunterhalt aufkommen muss, schlussfolgert die Staatsanwaltschaft.

Zehnter & Elfter Verhandlungstag | Plädoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger

Für die drei polnischen Mitangeklagten, fordert die Staatsanwaltschaft wegen versuchter Erpressung, erpresserischen Menschenraubs und Urkundenfälschung Freiheitsstrafen von drei Jahren und zehn Monaten, vier Jahre und sechs Monate und acht Jahre. Die Strafen fallen unterschiedlich hoch aus, da die jeweilige Tatbeteiligung unterschiedlich war.

Einer der Angeklagten – Thomas B. – war von Anfang an geständig und hat bei der Aufklärung des Verbrechens erheblich mitgeholfen. Dieser Aspekt führt dazu, dass er die geringste Strafe erhalten soll. Ein weiterer Angeklagter – Piotr M. – hat aktiv an der Entführung teilgenommen: beim Vortat-Verhalten d.h. bei der Ausspähung des Opfers, während der Entführung als einer der Wächter in der Gefangenschaft. Daher die Forderung von acht Jahren Freiheitsentzug.

Plädoyers der Verteidigung

Danach ist der Verteidiger der 91-jährigen Angeklagten Magdalena K. am Zug, der einen Freispruch und die Aufhebung des derzeit nur außer Vollzug gesetzten Haftbefehls. Der Verteidiger führt dazu weiter aus, dass die Entführung im ersten Teil sehr professionell vorbereitet worden ist. Die heftigsten Fehler seien dann bei der Übergabe des Geldes gemacht worden. Ihre Mittäterschaft sieht er allein darin, dass der Sohn seiner Mandantin deren Kontonummer als Lösegeld-Empfängerkonto angegeben habe. Seine Mandantin hätte außerdem keine Entführung gewollt, sondern sei von einem Inkassovorgang ausgegangen. Nur weil ihr Sohn von der Tätergruppe bedroht worden sei, ließ er die Entführung, die er nicht mehr umsetzen wollte, doch noch zu. Doch davon habe die Mutter nichts gewusst. Erst als sie bemerkte, dass ihr Konto involviert war, hätte sie etwas geahnt. Wie bereits erwähnt ging sie nicht von einer Entführung aus, sondern von einer Inkassomaßnahme. Der Verteidiger der Seniorin betont, sie sei bisher völlig straffrei. Es gäbe auch keinerlei Erklärung dafür, dass sie ein solches Verbrechen hätte unterstützen sollen. Da der Sachverhalt der Magdalena K. nicht bekannt gewesen sei, könne auch von Beihilfe keine Rede sein. Es gäbe keinerlei Beweise, dass sie etwas von der Tat gewusst hätte. Auch der zweite Verteidiger der Magdalena K. stellt in seinem Plädoyer heraus, dass sie nichts von der Tat gewusst haben kann und unter dem Verfahren sehr gelitten habe. Sie sei von einer berechtigten Forderung ihres Sohnes an das Opfer ausgegangen und stellte deshalb ihr Konto zur Verfügung. Auch dieser Anwalt beantragt einen Freispruch für seine 91-jährige Mandantin.

Die Verteidigerin des Angeklagten Jan I. moniert in ihrem Plädoyer, dass das psychologische Gutachten ergeben hat, dass ihr Mandant schuldfähig und nicht nur eingeschränkt schuldfähig sei. Daher hält sie das Gutachten für bedenklich und stellt ihn vielmehr als „armes Opfer“ dar. Aufgrund eines Hirnschadens, der von einem Kfz-Unfall herrührt, sei er geistig nämlich nicht in der Lage, eine solche Tat mit durchzuführen, geschweige denn, dem Prozess hier folgen zu können – eine Feststellung, die das Gutachten nicht hinreichend bestätigt.

Jan I. hat während des Prozesses immer wieder bewiesen, dass er folgen kann. Er hat sehr klar und eindeutig auf die Aussagen der beiden polnischen Mitangeklagten reagiert. An diesen Stellen war auch sein Blick immer wach. Ansonsten spielt er tatsächlich die Rolle des armen, schwachen Behinderten.

Nach Ansicht der Verteidigerin sei ihr Mandant gefährdet, auf chronisch krank zu sein und wäre wohl lebenslang auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie beantragt eine Bewährungsstrafe für ihn und die Aufhebung des Haftbefehls.

Zur rechtlichen Würdigung der Tatbeteiligung des Angeklagten Piotr M. sagt sein Verteidiger, dass hier ein klassischer Entführungsfall vorliege. Die Professionalität zeige sich durch die hinzugerufenen Polen, die immer noch auf der Flucht sind. Die Übergabe und die Geldbeschaffung allerdings seien nicht sehr professionell gewesen, da hier ein großes Entdeckungsrisiko bestanden hätte. Ebenfalls wäre zu beachten, dass die Absicht zur Erpressung infrage gestellt werden sollte. Die Täter waren der Meinung, dass die Forderung ihres Auftraggebers Michael K. berechtigt gewesen seien.

Der Verteidiger beantragt als Strafe für seinen Mandanten – Piotr M. – eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und die Aufhebung des Haftbefehls. Er sieht keine deutlichen Erkenntnisse für eine Erpressung, sondern nur für eine Entführung.

Außerdem sei Piotr M. reuig gewesen, was aber nicht anerkannt worden sei. Er habe an der Freilassung des Opfers erheblich mitgewirkt und auf seinen Teil des Lösegelds verzichtet.

Wo und wie der Verzicht auf das Geld zu erkennen sein soll, ist fraglich, da das Opfer freigelassen wurde, nachdem die Täter eine MMS mit einem Foto der Überweisung erhalten haben. Also mussten alle Täter davon ausgehen, dass das Geld bereits in ihrem Besitz ist.

Letzte Worte

Nach allen Plädoyers der Verteidiger zieht sich das Gericht zu einer kurzen Beratung zurück und gibt danach allen Angeklagten die Möglichkeit, noch ein paar letzte Worte zu sagen. Die 91-jährige Magdalena K. schließt sich den Aussagen ihrer Verteidiger an und teilt ihre Enttäuschung über den Staatsanwalt mit. Dieser habe an ihr keine positiven Aspekte gefunden. Außerdem wäre sie nicht so dumm, ihr Konto für das Lösegeld einer Entführung zur Verfügung zu stellen.

Danach entschuldigt sich Piotr M. nochmals bei allen betroffenen Menschen, insbesondere beim Opfer Heiko L. Er weiß, dass er schuldig ist und es tut ihm leid. Er habe die Tat nicht freiwillig getan, sondern befand sich damals in einer verzweifelten Situation mit vielen Problemen. Hinzu kam, dass nach der Entführung und der missglückten Lösegeldübergabe die anderen Mittäter von ihm 5.000 Euro forderten.

Er trägt seine Sätze sehr mitleidig vor und führt in seinen Worten sehr intensiv aus, dass es ihm persönlich sehr schlecht gehe, weil er seine Kinder nicht sehen kann.

Des Weiteren wird bekannt, dass Piotr M. auch noch eine offene Haftstrafe von dreieinhalb Jahren in Polen abzusitzen hat, die jederzeit auf fünf Jahre verlängert werden kann, da die neue Gesetzgebung den Schlaf von täglich acht Stunden im Gefängnis nicht als abgegoltene Strafe anrechnet. Daher teilt er dem Gericht mit, dass er seine Haftstrafe in einem deutschen Gefängnis absitzen möchte und nicht nach Polen ausgeliefert werden will. In Polen würde er außerdem keine Entzugstherapie wie in Deutschland machen können und auch keine leichteren Haftbedingungen bekommen. Im Gefängnis selbst werde er als Verräter angesehen und dementsprechend behandelt. Da er außerdem gegen einen der zehn gefährlichsten Mafiabosse Polens ausgesagt habe, fordert er Zeugenschutz für seine Familie. Er habe alles verloren und bittet nun um Berücksichtigung dieser Umstände.

Der Angeklagte Thomas B. teilte in seinen letzten Worten lediglich mit, ihm täte die Tat leid.

Danach ist der Verhandlungstag beendet. Die Urteilsverkündung wird für den 6. Februar 2017 erwartet.

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