Lübcke-Prozess: 3. Verhandlungstag

30. Juni 2020, Beginn 10:09 Uhr

Das Interesse von Medienvertretern und Zuschauern ist gleichbleibend hoch geblieben. Die Rechtsanwältin Nicole Schneiders wird heute durch ihren Kollegen vertreten.

Um 9:56 Uhr betritt Familie Lübcke (wieder in Trauermarsch-Formation) hintereinander in Reihe den Gerichtssaal. Danach folgen die Rechtsanwälte Mustafa Kaplan und Frank Hannig. Nach und nach betreten alle weiteren Verfahrensbeteiligten den Gerichtssaal. Um 10:05 Uhr wird der Angeklagte Markus H. hereingeführt – begleitet von drei Justizwachtmeistern. Er trägt Handschließen auf dem Rücken. Seine Kleidung ist die gleiche, wie bei den vorherigen Verhandlungstagen. Er trägt das graue Poloshirt. H. schaut sich interessiert um und lässt sich ohne Maske fotografieren. Er spricht mit seinen Rechtsanwälten.

Um 10:07 Uhr wird der Hauptangeklagte Stephan Ernst hereingeführt; auch er trägt Handschließen auf dem Rücken und die gleiche Kleidung wie an den bisherigen Verhandlungstagen. Er wirkt konzentriert. Auch er spricht mit seinen Verteidigern. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel eröffnet den Verhandlungstag und stellt fest, dass Rechtsanwältin Nicole Schneiders durch ihren Rechtsanwaltskollegen vertreten wird. Hierzu befragt er den Angeklagten Markus H., ob er damit einverstanden ist. Die Antwort ist klar und deutlich: "Ich bin einverstanden". Danach teilte der Vorsitzende Richter mit, dass er einen Brief an Rechtsanwalt Mustafa Kaplan in den Händen hält der an das Oberlandesgericht geschickt wurde. Auch er hat einen solchen Brief erhalten, in dem „wirres Zeug“ steht. Der Brief wurde entsprechend sicherheitstechnisch untersucht, es gibt keine Gefährdung.Mustafa Kaplan übernimmt den Brief und scheint vom Inhalt amüsiert.

Nun werden die Ergebnisse der Beschlüsse der Verteidigung vom ersten und zweiten Verhandlungstag vorgetragen. Insbesondere die Ablehnungsbeschlüsse sind unzulässig, da sie unbegründet sind. Sie wurden nicht unverzüglich gestellt und auch nicht rechtzeitig eingereicht. Dies hatte der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer schon am zweiten Verhandlungstag angemerkt. Weitere Anträge der Verteidigung werden als unbegründet abgelehnt.

Anmerkung: Stephan Ernst hört aufmerksam zu. Ein Justizwachtmeister, der für die Sicherheit von Ernst eingeteilt ist, schläft fast ein und liegt mehr im Stuhl, als das er sitzt. Seine Augen fallen ihm immer wieder zu.

Die Verteidigerin von Markus H. - Nicole Schneiders - gibt eine Erklärung ab. Sie hat eindeutig festgestellt, dass Stephan Ernst weder durch Müdigkeit, noch Medikamenteneinnahme negativ beeinflusst war. Es beweist auch, dass zwischen Stephan Ernst und Markus H. keine besondere Freundschaft bestand. Markus H. wurde nicht durch Stephan Ernst belastet. Das Verhör hält sie für unzulässig, da Suggestivfragen an Stephan Ernst gestellt wurden.

Rechtsanwalt Dr. Björn Clemens gibt ebenfalls dazu eine Erklärung ab.

Er hält den Beweis des Videos für voll verwertbar. Allerdings gab es eine gelenkte Vernehmung durch die Polizei. Es seien Signalstichworte gegeben worden und nicht nur Fragen gestellt. Er ist der Meinung, dass es keine politischen Gründe zur Tat gab, sondern eher psychische Gründe, wie Depression oder Manie des Angeklagten Stephan Ernst. Dr. Clemens regt eine erneute Haftprüfung zu Markus H. an. Der Vorsitzende Richter fragt nach, ob er diesen Einwand für notwendig hält um den Senat daran zu erinnern. Dr. Clemens bejaht das.

Um 10:56 Uhr gibt der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer eine Erklärung ab. Das Vernehmungsinterview wurde komplett korrekt geführt und nahezu Lehrbuch mäßig aufgebaut. Um 11:00 Uhr ist der Nebenträgervertreter Rechtsanwalt Ho. mit seiner Erklärung an der Reihe. Auch er befindet, dass es an der Vernehmung nichts auszusetzen gibt. Er hält Stephan Ernst für erfahren genug in solch einer Vernehmungssituation, da sich dieser schon mehrfach in solchen Situationen befunden habe. Er konnte erkennen, dass Stephan Ernst auch in dieser Vernehmung bewusst einige Schlüsselworte gesagt hat.

Rechtsanwalt Frank Hannig gibt für seinen Mandanten eine Erklärung ab. Er möchte mitteilen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich eine umfassende Einlassung abgeben wird. Einen genauen Zeitpunkt wollte er nicht festlegen. Der Vorsitzende Richter bittet um eine eher zeitnahe Einlassung.

Ab 11:08 Uhr wird die Videovernehmung vom Januar 2020 vor dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof Marc Wenske gezeigt.

Die Vernehmung beginnt mit der Belehrung des Stephan Ernst durch den Ermittlungsrichter. Auf befragen teilte Stephan Ernst mit, dass er Medikamente gegen Depressionen eingenommen hat. Er fühlt sich aber dennoch in der Lage voll und ganz der Vernehmung beizuwohnen. Stephan Ernst möchte nicht, dass der Nebenklägervertreter der Familie Lübcke, Professor Dr. Holger Matt persönlich an der Vernehmung teilnimmt. Er lässt es aber zu, dass der Professor der Vernehmung in einem Nebenraum, in den diese per Ton und Video übertragen wird, folgen darf.

Zu Anfang liest Stephan Ernst eine schriftliche Erklärung zum Tatkomplex Dr. Lübcke vor. Er beginnt seine Erklärung damit, dass er bereits seit September 2019 seinem Geständnis widersprechen wollte. Hiervon hat ihm Rechtsanwalt Hannig abgeraten.
Am 01.06.2019 war er gemeinsam mit Markus H. am Tatort bei Lübcke. Markus H. hat Dr. Lübcke versehentlich erschossen, glaubt Stephan Ernst. Sie sind mehrfach gemeinsam nach Istha gefahren. Immer in seinem Wagen. An einem dieser Tage sahen sie auch Dr. Lübcke auf der Terrasse eine Zigarette rauchen. Geparkt hatten sie den Wagen am Ende einer Nebenstraße.

Sie observierten alles ganz genau. Einmal parkten sie auch am Restaurant Kupferkanne in der Nähe der Tankstelle oder am Parkplatz "Fressnapf". Auch die Gegend um das Lübke Haus wurde entsprechend oft observiert. Das alles taten sie gemeinsam, aber angeführt von Markus H. Beim Planen der Tat war klar, dass Stephan Ernst die Waffe mitbringen soll. Eigentlich wollten sie ihn nur einschüchtern. Markus H. sollte ihm die Waffe vorhalten und er sollte ihm dann ins Gesicht schlagen. Am 1.6.2019 kamen sie gegen 22:30 Uhr in Istha an. Sie parkten das Kfz (weißer Caddy) am Ende der Turnplatzstraße. Die Kennzeichen waren manipuliert, da sie die Befürchtung hatten, dass man sie über das Kennzeichen identifizieren könnte. Sie sahen Dr. Lübcke auf der Terrasse sitzen, in der linken Hand hielt er sein iPhone. Sie kamen auf unterschiedlichen Wegen zur Terrasse. Markus H. sagte: "Wir machen das jetzt". Dr. Lübcke bemerkte sie. Markus H. hatte den Abzugshahn des Revolvers bereits vorgespannt. Markus H. sagte zu Dr. Lübcke: "Nun ist es Zeit auszuwandern". Dr. Lübcke wollte sich erheben. Stephan Ernst sagte: "Beweg Dich nicht" und berührte ihn an der Schulter, so dass dieser am Aufstehen gehindert war. Nochmals wollte sich Dr. Lübcke erheben und schrie: "Verschwinden Sie!". Daraufhin wichen beide ein paar Schritte zurück. Dabei löste sich unbeabsichtigt der Schuss und Dr. Lübcke. wurde in den Kopf getroffen. Beide waren geschockt und fuhren schnellstmöglich zurück nach Kassel. Stephan Ernst ließ die Waffe verschwinden. Hierzu hat er ein besonderes Versteck in seinem Büro. Auf die Frage des Ermittlungsrichters, warum er das erste Geständnis abgegeben habe, gab er an, dass ihm sein erster damaliger Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt dazu geraten habe. Die Behörden hätten seine DNA auf der Kleidung des Opfers gefunden ihm wäre nicht mehr zu helfen. Er solle die Schuld komplett auf sich nehmen und auf gar keinen Fall Markus H. erwähnen. Für seine Familie würde gesorgt.

Sein neuer und jetziger Rechtsanwalt Frank Hannig riet ihm davon ab und daher möchte er jetzt sein Geständnis widerrufen und die Wahrheit sagen, um damit auch der öffentlichen Vorverurteilung entgegen zu wirken. Im Video zeichnet Stephan Ernst die Positionen der Täter auf einem Satellitenfoto ein. Das Haus ist mit weißen Wänden und einem roten Dach zu sehen. Ernst erklärt den Fahrtweg zum Tatort. In Insta haben sie geparkt, sind über die Haupt- und Kasseler Straße dorthin gelangt und haben sich ca. 20 Minuten besprochen. Die Rückfahrt nach der Tat war um circa 23:25 Uhr. Sie sind den gleichen Weg wie auf der Hinfahrt zurück gefahren.

Anmerkung: Stephan Ernst ist während der Vernehmung mit einem Bauchgurt und Handschließen gefesselt. Rechtsanwalt Frank Hannig bittet darum diese abzunehmen. Dieser Bitte wird entsprochen.

Zum Tatgeschehen gibt Stephan Ernst an, dass sie sich von zwei Seiten der Terrasse genähert haben. Sie wollten Dr. Lübcke damit überraschen. Angekommen sind sie gleichzeitig. Er vorne, Markus H. direkt dahinter. Er kam von links, Markus H. von rechts. Markus H. hatte den Abzugshahn der Waffe vorgespannt und sagte: "Jetzt ist Zeit zum Ausreisen". Stephan Ernst sagte: "Für sowas wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten." Dr. Lübcke wollte sich aufrichten. Daraufhin sagte Ernst zu ihm: "Beweg Dich nicht“, berührte ihn mit der linken Hand an der Schulter und drückte ihn in den Stuhl zurück. Eigentlich wollte Ernst ihn am Oberkörper treten. Dr. Lübcke schrie: "Verschwinden Sie." Dann hörte Stephan Ernst den Schuss. Er stand etwas links von Dr. Lübcke, Markus H. stand weiter rechts vom Opfer - ca. 1 bis 1,5 m entfernt. Stephan Ernst bestätigt nochmals, dass er gesehen hat, dass der Abzugshahn der Waffe vorgespannt war. Im Video zeigt Ernst wie Markus H. mit vorgehaltener Waffe vor dem Opfer stand. Die Waffe ist auf den Kopf von Dr. Lübcke gerichtet. Stephan Ernst zeigt am Beispiel des Oberstaatsanwaltes Killmer, wie er Dr. Lübcke in den Stuhl gedrückt hat. Mit der ganzen Handfläche. Dann ist er zurückgegangen und wollte ihm mit dem Fuß gegen den Oberkörper treten. Dr. Lübcke schrie und Ernst und H. wichen beide etwas zurück; dabei löste sich der Schuss.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig teilt mit, dass sein Mandant die Ermittlungsakte kennt und weiß, dass der Schuss aus einer näheren Distanz, als der, die er gerade angezeigt hat, abgegeben wurde.

In der nun folgenden Pause im Gerichtssaal spricht Stephan Ernst angeregt mit seinem Verteidiger Frank Hannig und Markus H. mit seinen Verteidigern. Nach der Pause führt Stephan Ernst im Video weiter aus, das es keine Kommunikation auf der Terrasse zwischen ihm und Markus H. gegeben hat; weder mit Worten noch mit Blicken. Er war über den Schuss sehr schockiert und hat Markus H. gefragt, warum er denn geschossen habe. H. sagte nur, dass er das nicht wollte und der Schuss sich einfach gelöst hätte. Beide waren aufgeregt und in Panik.

Anmerkung: Rechtsanwalt Hannig versucht im Video zur Aufklärung der Tat beizutragen und fordert Stephan Ernst auf detaillierter zu antworten. Stephan E. antwortet dann auch etwas detaillierter.

Dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshofs Marc Wenske und dem Oberstaatsanwalt Dieter Killmer ist vieles unklar, insbesondere scheint die nicht vorhandene Kommunikation zwischen E. und H. nicht glaubhaft. Stephan Ernst erzählt, dass sich bei Schießübungen weder bei ihm, noch bei Markus H. versehentlich ein Schuss gelöst hätte. Marc Wenske möchte wissen, was genau die beiden vor der Tat miteinander verabredet haben. Beide hatten recherchiert, wann die Kirmes stattfinden würde. Daher stand der 1.6.2019 fest. Auch dass sie die Kennzeichen manipulieren müssen, war verabredet worden. Das haben sie im April 2019 organisiert. Markus H. hatte mehrere andere Kennzeichen auf seinem Grundstück liegen. Die unterschiedliche Aufgabenverteilung wurde besprochen. Mitte Mai wurden die Gespräche konkreter. Zum Beispiel wann trifft man sich wo, etc. Markus H. brachte die Kennzeichen mit und Stephan Ernst die Waffe und sein Fahrzeug.

Pause: 12:59 Uhr bis 14:04 Uhr.

Anmerkung: Nach der Pause (12:59 bis 14:04 Uhr) erscheint das Gericht, aber die Angeklagten sind noch nicht zugeführt worden. Erst ein paar Minuten später werden die Angeklagten in den Saal geführt. Das Ansehen der Videovernehmung setzt sich fort.

Kurz vor der Tat hatte Markus H. gesagt, dass Dr. Lübcke mit der Waffe bedroht werde und Stephan Ernst sollte ihn dann schlagen. Genau kann Stephan Ernst das Gespräch nicht mehr wiedergeben.

Anmerkung: Das ist natürlich sehr geschickt ausgesagt, da genau dieses Gespräch für die jeweilige Tatbeteiligung und auch das Strafmaß hätte entscheidend sein können.

Sie haben sich auch immer wieder über Politik unterhalten. Es wurde vorher besprochen, dass der Revolver mitgenommen werden soll, der galt als handlich und unauffällig. Gemeinsam wurde besprochen, dass Stephan Ernst Dr. Lübcke ins Gesicht schlägt oder ihn tritt. Genaue Einzelszenarien haben sie nicht besprochen. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer fragt, warum das Kennzeichen am Kfz zu Täuschungszwecken getauscht wurde, jedoch keine Masken getragen worden sind, damit man sie nicht identifizieren kann. Wenn Ernst Dr. Lübcke nur hätte schlagen wollen, hätte ihn dieser sicherlich später wiedererkannt. Diese Gefahr wäre doch sehr groß gewesen. Ernst erklärt, dass er geglaubt hatte, wenn Dr. Lübcke nur geschlagen werde, die Ermittlungen nicht so intensiv gewesen wären, dass man ihn hätte ausfindig machen können. Nach dem Schuss hatte er die Waffe ordentlich gereinigt, d.h. abgewischt und gefettet. Die Munition und auch die leere Hülse wurde in der Waffe gelassen. Erst am Sonntag, einen Tag später, hat er alle seine Waffen in den Keller gebracht. Erst dann wurde auch die Munition aus der Kammer genommen. Stephan Ernst sagt weiter aus, dass die Waffe bei ihm schon fertig geladen war und er sie so an Markus H. vor der Tat übergeben hat. Die Absicht war, Dr. Lübcke einzuschüchtern und ihm einen Denkzettel zu verpassen. Sie wollten ihn dafür verantwortlich machen, dass so viel Terror passiert. Der Ermittlungsrichter fragt warum sie die Waffen behalten haben und nicht direkt entsorgt hätten. Stephan Ernst sagt nur, dass er sie behalten wollte. Der Ermittlungsrichter erzählt nun, dass die Frau von Stephan E. in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 kurz vor dem zu Bett gehen, beim Zähneputzen, zwei schnell heranfahrende Fahrzeuge mit quietschenden Reifen bemerkte. Danach hat sie bemerkt, dass er das Haus betreten hat. Das kann sich Ernst auch nicht erklären, da er und H. nur mit einem Kfz vorgefahren sind. Er hatte seiner Frau vor der Tat gesagt, dass er zum Grillen geht, nach der Tat sagt er, dass er im Wald spazieren war. Nachdem sich Stephan Ernst nach der Tat zuerst ins Bett gelegt hat, ist er nochmals aufgestanden und hat sich ca. eine halbe Stunde in den Garten gesetzt. Er konnte nicht schlafen. Der Ermittlungsrichter möchte auch einige Dinge zu seinem Zweitwagen, dem Škoda Octavia, wissen. Stephan Ernst kann hierzu (noch nicht!) nichts erklären. Stephan Ernst wird unterstellt, dass er die Waffen und das Kfz behalten wollte, um weitere Straftaten zu begehen. Er hatte ja früher ausgesagt, dass er eine Bewegung lostreten möchte.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig stellt den Antrag, die Öffentlichkeit für die nächsten 5 Minuten, die im Video zu sehen sind, auszuschließen. Sie betreffen das Privatleben von Stephan Ernst und es soll vermieden werden, dass gewisse Details für die Öffentlichkeit sichtbar sind. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer plädiert auf Ablehnung des Antrages, da es ein schwerwiegender Eingriff wäre, die Öffentlichkeit auszuschließen und die ihm bekannten Gründe wären nicht schwerwiegend genug dafür. Es gehe nicht um die Befindlichkeit des Angeklagten, sondern um das Gut der Öffentlichkeit. Rechtsanwalt Frank Hannig gibt zu bedenken, dass es im Video nicht um Stephan Ernst geht, sondern um eine Person aus dem Umfeld. Diese möchte er schützen.

Nach einer Beratungspause des Senats gibt der Vorsitzende Richter den Beschluss bekannt: der Antrag wird zurückgewiesen, da es keine Passagen zur Intimsphäre gibt, sondern nur zur Privatsphäre des Angeklagten und damit wiegt das Interesse der Öffentlichkeit mehr.

Anmerkung: Rechtsanwalt Frank Hannig ist deutlich anzusehen, dass er mit diesem Beschluss nicht einverstanden ist. Sein Kopf ist dunkelrot.

In der Videovernehmung geht es weiter um die Frage, was sich Stephan Ernst dabei gedacht hat Dr. Lübcke anzugreifen. Ihm ging es dabei um eine Bestrafung. Hinsichtlich der Munition möchte er sich nicht weiter äußern. Dass er das zweite Auto behalten hat, begründet er damit, dass er mit diesem Wagen immer zu einer Bekannten gefahren ist, und seine Frau es nicht bemerken sollte, da sein eigenes Auto ja noch vor dem Haus stand. Stephan Ernst erzählt nochmal von seinem 2. Besuch in Istha; dieser war etwa März oder April 2017. Da hat er Dr. Lübcke ganz aus der Nähe gesehen, da sich dieser mit einem Nachbarn unterhalten hatte. Durch diese Begegnung war er aufgebracht. An diesem Tag haben sie als weiteren Fluchtweg einen Waldweg ausgekundschaftet. Dieser konnte aber nicht befahren werden. Selbst hat er sich mit keiner anderen Person über die Tat unterhalten. Der Ermittlungsrichter berichtet, dass Markus H. bei der Eröffnung des Haftbefehls, fragte ob er nur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt sei und nicht wegen einer möglichen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Diese Frage hat Marc Wenske damals ziemlich nachdenklich gemacht. Danach erzählt Stephan Ernst von seiner ersten Begegnung mit Rechtsanwalt Waldschmidt. Dieser fragte ihn direkt, ob er wüsste mit wem er sich hier angelegt hätte. Er solle ein Geständnis abgeben und die Schuld alleine auf sich nehmen. Markus H. muss außen vor bleiben. Man würde man sich auch um seine Familie kümmern. Am Schluss sagte er, dass Odin in schützen sollte. Daraufhin entschloss er sich zu dem Geständnis. Die Gesamtsituation zog ihn herunter und er hatte Angst um seine Familie.

Marc Wenske macht ihn auf die unterschiedlichen Aussagen der zwei Einlassungen aufmerksam. Er sagt, er hat die unterschiedlichen Sachverhalte nicht trennen können. Er hält ihm vor, dass er in seinem Geständnis einen Mord zugegeben hat und seine jetzige Wahrheit doch für ihn viel wichtiger gewesen wäre. Stephan Ernst begründet es damit, dass er zu dieser Zeit im Ausnahmezustand gewesen wäre. Nun ist der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer mit seinen Fragen an der Reihe. Er glaubt ihm nicht, weil Stephan E. in seinem Geständnis den Sachverhalt mit vielen Details und mit viel Gefühl geschildert hat. Stephan Ernst erklärt, er hätte sich sein Geständnis aus mehreren Stücken ausgedacht; zum Beispiel die Motive, wie die Kölner Silvesternacht oder der Nizza-Anschlag. Dies sei nur ausgedacht gewesen. Der Ermittlungsrichter teilt ihm nochmals mit, dass er ihm nicht glaubt und dass dann seine Einlassung auch nichts bringt. Auch Rechtsanwalt Frank Hannig spricht ihn nochmal auf die Punkte an.

Anmerkung: Stephan Ernst scheint komplett blockiert zu sein. Er stiert nur noch seinen Verteidiger an.

Stephan Ernst meint, er hätte doch alle Fragen beantwortet. Auch der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer belehrt ihn nochmals. Stephan Ernst unternimmt nochmals den Versuch sich zu erklären. Er fühlte sich überfordert und am Anfang der Haft ging es ihm schlecht. Jetzt, nach sechs Monaten, geht es ihm besser. Der Ermittlungsrichter möchte erneut von ihm wissen, warum er in seinem Geständnis einen Mord zugegeben hat. Dies beantwortet Stephan E. damit, dass ihm sein damaliger Rechtsanwalt Waldschmidt gesagt hat, dass ihm die Schuld zugeschoben wird, da seine DNA am Opfer gefunden wurde. Zusätzlich fühlte er sich durch den Ehrenkodex verpflichtet niemanden - auch nicht Markus H. - zu verraten. Er wollte ein Märtyrer sein. Er dachte auch, dass seine Kameraden ihn vorzeitig aus dem Knast holen. Nach dem zweiten Gespräch mit seinem damaligen Rechtsanwalt Waldschmidt glaubte er ihm nicht mehr. Er fühlte sich verarscht. Auf Befragen teilt er mit, dass er bei der Tat keine Handschuhe getragen hat, ob Markus H. welche getragen hat, weiß er nicht.

Anmerkung: Frage: Sind die Angeklagte bei ihrer Festnahme nicht auf Schmauchspuren untersucht worden?

Marc Wenske belehrt ihn nochmals, die Wahrheit zu sagen. Er glaubt ihm nicht. Und damit würde es beim dringendem Tatverdacht des Mordes an Dr. Lübcke bleiben. Es wird allseits besprochen, das Stephan Ernst sich mit seinem Rechtsanwalt Frank Hannig am nächsten Tag nochmals bespricht. Damit ist das Ende der Videovernehmung erreicht.

Der Verteidiger von Markus H., Dr. Björn Clemens widerspricht sofort dem Videobeweis. Das wird zu Protokoll genommen. Der Nebenklägerrechtsanwalt Ho. gibt bekannt, dass in den Abschriften an einer Stelle "Krankenhilfe" steht, gesagt wurde aber "Gefangenenhilfe". Dies würde auch Sinn machen, da die Gefangenenhilfe eine rechtsextreme Vereinigung ist. Rechtsanwalt Frank Hannig gibt zu dem Video eine Erklärung ab. Ihm war die Fragestellung für Stephan Ernst zu komplex. Er war schlicht überfordert. Er bittet diesen Umstand auch während der Befragung im Prozess zu berücksichtigen. Prof. Dr. Matt hält das Widerrufene für komplett falsch. Es erscheint ihm zu gekünstelt. Das damalige Geständnis war authentisch und es klang auch ehrlich. Weitere Fragen bleiben offen. Der Oberstaatsanwalt Dieter Killmer erklärt, dass die Vernehmung sehr seicht geführt wurde. Stephan E. war nicht bereit, Details zu schildern. Er war bemüht Antworten zu finden, aber nicht zu geben.

Dr. Björn Clemens beklagt die Fessellung des Beschuldigten während der Vernehmung und wie die Vernehmung gelenkt worden sei. Er hat viele Widersprüche festgestellt. Er unterstellt den Ermittlern, dass sie wollten, dass sein Mandant Markus H. im Verfahren bleibt; er sollte belastet werden. Er unterstellt weiter, dass Stephan E. Geschichten erzählt hat. Danach diskutiert er mit dem Vorsitzenden Richter, warum sein Mandant in Haft sitzt. Rechtsanwalt Mustafa Kaplan gibt ebenfalls eine Erklärung ab, dass man erst am Anfang der Beweisaufnahme ist.

Ende des Verhandlungstages 16:44 Uhr.


Bildquelle: Jan Huebner/ Pool; Bericht: Stefan Bisanz

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