Hohes Medieninteresse: Sohn des Entführungsopfers im Zeugenstand

Das Interesse der Medien am 21. Prozesstag, dem 4. September 2014, ist enorm. Es sind zwei Fernsehteams und acht Vertreter der Printmedien anwesend. All das hat nur einen einzigen Grund: Heute wird Ricardo T., der Sohn des Entführungsopfers Stefan T., gehört. Er musste am Tag der Entführung, dem 5. Oktober 2012, als damals erst Zehnjähriger seinem Vater auf Befehl des Täters die Hände auf dem Rücken fesseln.

Zwölfjähriger antwortet über Video aus dem Nebenraum

Er hat die gesamte Entführungsszenerie vor Ort miterlebt. Um der besonderen Situation des jetzt Zwölfjährigen gerecht zu werden, wird eine audiovisuelle Vernehmung durchgeführt. Ricardo T. sitzt im Beratungszimmer neben dem Gerichtssaal, und von dort aus wird eine Live-Kamera- und -Audiosequenz gesendet. Er erhält Beistand durch seinen Bruder Carlo T. Auch Frau Sabine T., die Mutter von Ricardo T., ist heute anwesend und sitzt im hinteren Teil des Zuschauerraums. Sie wird von zwei jungen Frauen begleitet, wahrscheinlich die Schwester des Zeugen und die Freundin des Bruders.

Hohes Medieninteresse: Sohn des Entführungsopfers im Zeugenstand

Als der Angeklagte Mario K. den Gerichtssaal betritt, schaue ich zu Frau Sabine T. Ihr Gesichtsausdruck verdunkelt sich und man kann eine Spur von Ekel ablesen. Ein Moment, indem sie, nach ihrer Wahrnehmung, die Anwesenheit des Täters erneut erdulden muss, diesmal im Gerichtssaal.

Bevor die audiovisuelle Vernehmung beginnen kann, besteht der Verteidigeranwalt Axel W. darauf, dass auch Carlo T. im Bild zu sehen ist. Er befürchtet, dass er auf die Antworten von Ricardo T. ansonsten ungesehen Einfluss nehmen könnte.

Es steht ja nach wie vor die Behauptung des Verteidigers Axel W. im Raum, dass die Entführung überhaupt nicht stattgefunden hat.

Der Vorsitzende Richter befragt Ricardo T. zum Tagesablauf vor der Tat sowie zum eigentlichen Tatablauf. Zusätzlich möchte das Gericht wissen, was der Vater, Stefan T., seinem Sohn von der Tat erzählt hat. Inhaltlich haben wir das nun zu Hörende auch schon von anderen Zeugen vernommen, sodass hier keine wesentlichen neuen Erkenntnisse gewonnen werden können.

Zwischendurch wird dem zwölfjährigen Ricardo T. ein Messer gezeigt, welches dem Tätermesser ähnlich sein soll. Ricardo T. nimmt das Messer in die Hand und beschreibt das Messer, welches er bei der Tat gesehen hat. Es bestätigt, dass das ihm vorgelegte Messer der Tatwaffe tatsächlich ähnlich ist.

Ich empfinde diese Szenerie als durchaus grenzwertig.

Nachdem das Gericht seine Vernehmung beendet hat, fragen die Staatsanwältin und der Rechtsanwalt des Vaters jeweils mit einer Frage noch mal nach. Danach ist die Verteidigung an der Reihe. Auch Axel W. möchte noch einige Details genauer erklärt bekommen. Er fragt den zwölfjährigen Zeugen 23 Fragen. Danach ist die Zeugenvernehmung von Ricardo T. um 10:31 Uhr beendet.

Schon vor der Vernehmung dieses Zeugen haben sich die Zuschauer die Frage gestellt, ob der Zeuge Ricardo T. glaubwürdig ist. Die Personen in den Reihen vor und hinter mir haben dies überwiegend positiv beantwortet. Auch ich habe diesen Aspekt für mich geprüft und glaube an die korrekte Aussage von Ricardo T. Gestik und Mimik sind hierzu eindeutig, seine Hände und Arme haben während seiner Aussage dasselbe gesprochen wie sein Mund, alles war zu 100 Prozent synchron. Das ist bei einer bewussten Falschaussage oder einer einstudierten Antwort kaum möglich.

Tätermotivation: Entführung und Erpressung als Altersvorsorge

Im weiteren Verlauf des Prozesstages werden als Zeugen der Kriminalhauptkommissar (KHK) Herbert L. und der KHK Gerald Sch. gehört, beide aus Frankfurt (Oder). Sie gehörten zur Führungsgruppe der SOKO Imker.

Die jeweiligen Anwaltsparteien stellen unter anderem Fragen zu den Einzelaufgaben der beiden Beamten, aber auch zu weiteren Ermittlungen und zu anderen möglichen Verdächtigen. Der Zeuge Gerald Sch. glaubt, dass Stefan T. tatsächlich zwei Tage entführt war. Maßgeblich waren für ihn dabei die Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Nachdenklichkeit. Zu einer möglichen Tätermotivation kann er berichten, dass Stefan T. ihm erzählt hat, der Täter habe ihm gesagt: „Früher hat Geld keine Rolle für mich gespielt, aber heute muss ich an Altersvorsorge und Familie denken.“

Bildquelle: Stefan Bisanz

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