Das Attentat auf Tochter Louisa P. und Personenschützer Torsten H.

Auch am vierten Prozesstag, am 15. Mai 2014, ist der Medienandrang verhältnismäßig hoch, wobei sich die Medienvertreter vor allem vor dem Saal aufhalten. Grund ist das Erscheinen des Zeugen Torsten H., der Opfer der Schussattacke des „Maskenmannes“ wurde und heute querschnittsgelähmt ist. Die Journalisten versuchen, noch vor Prozessbeginn Statements von ihm zu bekommen.

Torsten H. ist davon unbeeindruckt und wirkt insgesamt erstaunlich gefasst. Er versteckt sich weder bei seiner Ankunft noch im Gebäude selbst. Auch verzichtet er auf Sonnenbrille oder andere ihn verdeckende Utensilien. Er bewegt sich in seinem Rollstuhl schon vor Prozessbeginn offen im Gebäude, während die Journalisten sogar vor dem Behinderten-WC, welches sich direkt gegenüber dem Saal befindet, auf ihn warten. Doch der Begleiter von Torsten H. wimmelt sämtliche Presseanfragen ab.

Das Attentat auf Tochter Louisa P. und Personenschützer Torsten H.

Schon deutlich vor Prozessbeginn begibt sich Torsten H. dann in den Saal und wartet.

Zum Erscheinungsbild: Torsten H. ist sportlich gekleidet, in einer Jeans und einer Trainingsjacke. Aus beiden Ärmeln schauen riesige Tattoos hervor, die bis auf den Handrücken gestochen sind. Auch am Hals scheinen zwei Tattoos oberhalb der Jacke durch.

Auch die Zuschauer in der komplett belegten letzten Reihe sind stark tätowiert und muskulös gebaut, was die Annahme zulässt, dass es sich hier um Kollegen und Freunde von Torsten H. handelt. Wüsste ich es nicht besser, würde ich meinen, ich bin in einem Rocker-Prozess.

Auftakt in den Verhandlungstag

Um9:35 Uhr betreten die Prozessbeteiligten den Saal. Fünf Minuten später erscheint der Angeklagte, der wieder sein Gesicht mit einem Hefter schützt, denn noch sind Kameras im Saal. Nachdem sich diese entfernt haben, betreten auch die Opfer und Zeugen Petra P. und ihre Tochter Louisa P. den Saal. Erneut ist das Entführungsopfer Stefan T. heute nicht anwesend.

Der Richter beginnt den Prozess mit Formalien, die aufgrund der Bombendrohung vom Montag verlesen werden müssen.

Anschließend kommt Torsten H. in den Zeugenstand. Auf Anraten der Staatsanwaltschaft verlässt Louisa P. während der Befragung den Saal. Man möchte offensichtlich vermeiden, dass die Verteidigung den Vorwurf der Aussagenabsprache anbringen kann.

Angeschossener Personenschützer sagt aus

Torsten H. arbeitete – wie er berichtet – circa zwölf Jahre nebenberuflich in der Sicherheitsbranche. Er hat hier sowohl als Selbständiger, als auch für die Firma THE Security Company GmbH & Co. KG gearbeitet, vor allem an Türen von Clubs und Diskotheken in Berlin und Brandenburg. Im Übrigen hat er hier auch temporär und einsatzbedingt eine Schutzweste getragen. Im Auftrag bei der Familie P. sei dies nicht erforderlich gewesen, obschon er über eine verfügt.  

In der Befragung soll sich der heute 33-jährige Torsten H. zunächst zum eigentlichen Auftrag äußern. Außerdem will man wissen, wie man ausgerechnet auf das Unternehmen gekommen sei, für das er arbeitet.

Wie die THE Security Company GmbH & Co. KG den Auftrag erhalten habe, wisse er nicht. Allerdings sei es für ihn ein Auftrag wie jeder andere gewesen. Ziel des Auftrags war die Objektabsicherung und die Begleitung der Personen, wenn sie nicht im Objekt waren.

Eine Bewaffnung war nicht nötig, weil, so Torsten H., die Polizei die Lage andernfalls anders eingeschätzt hätte und selbst tätig geworden wäre.

Eine aus meiner Sicht interessante Aussage von Torsten H. Denn die Lageeinschätzung hat durch die Personenschützer zu erfolgen, die Einschätzung der Polizei ist nur ein weiteres Hilfsmittel. Dies gilt auch bei der Wahl der Einsatzmittel, in diesem Fall der Waffe.

Torsten H. berichtet weiterhin, dass das Unternehmen das Objekt jeden Tag 24 Stunden betreut hat, wobei die Schichten von 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr und 20:00 Uhr bis 8:00 Uhr eingeteilt waren.

In besagter Nacht hat Torsten H. Dienst mit seinem Bruder versehen. Es gab keine Auffälligkeiten rund um den Tattag. Allerdings erinnert er sich, dass Louisa P. ihm sagte, sie hätte schon seit einer Woche kein Wild mehr auf dem Weg zur Koppel gesehen, was ungewöhnlich sei.

Das Attentat

Es beginnt mit dem Weg zur Koppel, den Louisa P. und Torsten H. gemeinsam gehen. Die Zeiten für die Verbringung der Pferde sind im Übrigen immer gleich gewesen, lediglich die Koppel änderte sich. Nachdem die Pferde auf der Koppel waren, machten sich beide auf den Rückweg. Davon, dass eines der Pferde weggelaufen war, wie Petra P. am ersten Tag geschildert hatte, war bei Torsten H. keine Rede.

Auf dem Rückweg haben beide eine Abkürzung durch den Wald genommen. Louisa P. ging etwas vor Torsten H. Plötzlich drehten sich beide aufgrund eines unguten Gefühls zeitgleich um. Das Gefühl, so beschreibt Torsten H., bestand darin, dass er sich beobachtet wähnte. Ein Geräusch oder Ähnliches sei allerdings nicht der Auslöser gewesen.

Sofort erblickten beide beim Umdrehen den Täter. Louisa P. stand zwei bis drei Meter hinter ihrem Personenschützer, abgewandt vom Täter. Der Täter wiederum war sieben bis neun Meter von Torsten H. entfernt und sagte: „Stehen bleiben oder ich schieße dir in den Kopf.“

Torsten H. verringerte dennoch den Abstand zum Täter und ging auf diesen zu. Anschließend forderte der Täter Louisa P. mit den Worten „Leg Dich hin Mädchen.“ auf, sich klein zu machen. Sie kniete sofort nieder. Torsten H. sah das und forderte sie wiederum auf, aufzustehen. Als Grund hierfür gibt er an, dass man mit einer liegenden Schutzperson nicht arbeiten könne.

Torsten H. versuchte weiter, auf den Täter einzuwirken, verringerte zunehmend den Abstand und redete auf den Täter ein, sagte Dinge wie „mach keinen Scheiß“, „beruhige Dich“. Torsten H. steht nun zwischen Louisa P. und dem Täter.

Plötzlich ruft der Personenschützer zu Louisa P.: „Lauf los!“, worauf der Täter die Waffe durchlädt und sofort auf Torsten H. schießt.

Torsten H. erinnert sich, dass der Täter in seinem Auftreten sehr sicher und wie ein geübter Schütze wirkte, so wie er mit der Waffe umgegangen ist. Insbesondere zwischen dem Fertigladen der Waffe – Torsten H. ist sich sicher, dass die Waffe teilgeladen war, sich also noch keine Patrone im Patronenlager befand – und dem Schuss gab es keinen Zeitverzug.

Torsten H. ist sich sicher in seiner Einschätzung, dass der Täter nicht zum ersten Mal auf Menschen geschossen hat.

An dieser Stelle der Anhörung wird es emotional: Torsten H. nennt den Täter eine „feige Sau“, weil er ihm in den Rücken geschossen habe. Er sei sich sicher, dass ein so geübter Schütze auch auf die Beine hätte schießen können. Diese Einlassung wiederholt Torsten H. mehrfach. Er glaubt, dass der Täter ihn lediglich „aus dem Weg“ schießen wollte.

Eine Reaktion des Angeklagten bleibt aus. Ohnehin stelle ich fest, dass der Angeklagte die Befragung ungerührt zur Kenntnis nimmt, aber auch keineswegs den Blickkontakt scheut.

Die grausame Bilanz der Tat

Torsten H. dachte zunächst, er sei von einem Taser – einer Elektroschockpistole – getroffen worden, weil es sich anfühlte wie ein Elektroschock. Er sackte sofort zusammen, nahm aber noch zwei weitere Schüsse wahr. Nachdem er am Boden lag, nahm er sein Handy und telefonierte zunächst mit dem Chef seines Sicherheitsunternehmens, dann mit der 110 und anschließend mit seinem Bruder.

Danach habe er sich selbst in die stabile Seitenlage gelegt, seine Mütze neben sich und darauf sein Handy platziert und mithilfe der Freisprechfunktion telefoniert, damit „die Lichter nicht ausgehen“. Circa zehn bis zwölf Minuten nach der Tat war sein Chef bei ihm. Wo der Täter in der Zeit verblieben ist, kann Torsten H. nicht sagen.

Torsten H. erlitt einen Lungendurchschuss, einen Lebertreffer und einen Treffer an der Wirbelsäule. An der Verletzung der Leber wäre Torsten H. beinahe gestorben.

Heute sind die physischen Einschränkungen offensichtlich, auch psychisch ist die Tat noch nicht überwunden.

Kritische Fragen an den Personenschützer

Unter den nun folgenden Fragen des Richters findet sich auch jene brisante, die klären soll, ob Torsten H. Mitglied in der „Brotherhood Kurmark“, einer Rockergruppe, war. Hierzu verweigert Torsten H. allerdings die Aussage, wenngleich er die Frage, ob die Tat damit zu tun haben könnte, mit einem klaren Nein beantwortet. Er begründet sein Veto damit, dass er am fraglichen Abend ursprünglich für den Einsatz an einer Tür in Neuruppin eingeplant war und der Auftrag bei Familie P. kurzfristig kam.

Die Frage der Staatsanwaltschaft, warum Torsten H. die Waffe so klar beschreiben kann, beantwortet dieser mit seiner Bundeswehrerfahrung sowie mit der Mitgliedschaft in einem Schützenverein. Zudem interessierte die Staatsanwaltschaft der Dialekt des Täters, den Torsten H. als einheimisch, also Berlinerisch / Brandenburgisch wahrgenommen hat.

Die konkrete Frage, ob der Angeklagte der Täter gewesen sein könnte, beantwortet Torsten H. mit den Worten: „Das ist nicht auszuschließen.“ Ein klares Ja gibt es nicht.

Nach dem Sachverständigen hat nun die Verteidigung die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Wie in den vorherigen Tagen versucht sie, Abweichungen zwischen den heutigen Aussagen und den Prozessakten aufzuzeigen. Und tatsächlich muss Torsten H. einräumen, dass er erst weit nach der Tat Mitglied in besagtem Schützenverein wurde.

Das Attentat aus Sicht der Louisa P.

Heute wird nun erstmals auch Louisa P. befragt. Schon nach den ersten Worten fragt der Richter, ob das Mikrofon an sei oder sie nur näher heranrücken müsse. Mein unmittelbarer Eindruck war, dass Louisa P. im Gegensatz zu ihrer Mutter Petra P. nur sehr schwer zu den Taten Stellung nehmen kann. Ohne Louisa P. zu kennen, behaupte ich, dass die psychischen Auswirkungen enorm sind. Ihre Stimme ist leise und gebrochen, die Körpersprache recht ängstlich.

Trotzdem äußert sie sich zum Tathergang, den sie wie folgt schildert:

Louisa P. bekräftigt zunächst die Aussage von Torsten H., dass sie circa eine Woche vor der Tat kein Wild auf den Koppeln gesehen hat, was ihr ungewöhnlich erschien. Auch bestätigt sie die Beschreibung des Hinwegs. Darüber hinaus gibt sie an, dass die Pferde auf dem Weg zur Koppel ungewöhnlich nervös waren, was sie allerdings nun doch wieder auf Wild zurückführt.

Bevor Louisa P. und Torsten H. zur Koppel gegangen sind, hat sie „den Jungs wie immer“ um 6:50 Uhr noch Kaffee gebracht. An dieser Stelle offenbart sich im Übrigen ein aus meiner Sicht unprofessionelles Verhalten: Denn dem Vernehmen nach hat also ein persönliches Verhältnis bestanden. Schutzperson und Personenschützer sind zu dicht beieinander was die Konzentration des Personenschützers beeinträchtigen kann.

An die von Torsten H. geschilderte Abkürzung beim Rückweg kann Louisa P. sich nicht erinnern. Auch weicht ihre den Rückweg betreffende Äußerung ab von der Version des Torsten H. So meint Louisa P., dass die beiden nebeneinander gegangen seien. Sie wisse sogar noch, dass ihr der Personenschützer von der anstehenden Gartenarbeit erzählt habe.

Sie berichtet des Weiteren, dass Torsten H. wohl plötzlich stehen geblieben sein muss, was sie erst zwei, drei Meter später bemerkte. Sie drehte sich um und erblickte den Täter, der sich auf beide zu bewegte.

In der weiteren Beschreibung des Tathergangs gibt es Abweichungen von der Version von Torsten H. Louise P. erzählt, dass Torsten H. sie nicht nach der Aufforderung des Täters „leg Dich hin, Mädchen“ zum Aufstehen bewegt habe. Vielmehr habe er sie sofort aufgefordert, wegzulaufen. (Auch ist sie der Meinung, der Täter hätte einen Helm aufgehabt sowie ein Netz, eine Gaze vor dem Gesicht.)

Im Weglaufen sah sie aber noch, wie Torsten H. nach dem ersten Schuss zusammensackte. Sie rannte weiter und hatte das Gefühl von dem zweiten Schuss getroffen worden zu sein, was sie mit einem lauten Knall und dem Spüren einer Druckwelle begründet. Einen dritten Schuss hörte sie nicht, allerdings sah sie gut einen Meter vor sich Sand aufspritzen, was von einem dritten Schuss hätte herrühren können. Sie lief weiter und wurde kurz vor dem Haus von dem Bruder von Torsten H. aufgenommen. Kurz danach fiel Louisa P. in Ohnmacht.

Im Anschluss an die Anhörung werden durch die Anwälte diverse Fragen an Louisa P. gestellt, wobei erneut das Bestreben der Verteidigung augenscheinlich wird, der Zeugin bezüglich der Aussagen in den Prozessakten Widersprüche nachzuweisen.

Schlussendlich offenbart Louisa P. auf die Frage, wie sich das Attentat auf sie ausgewirkt hat, dass die Familie über ein Jahr in Todesangst gelebt hätte. Sie persönlich müsse sich zudem vorwerfen, dass ihretwegen nun ein Mann im Rollstuhl sitzt.

Damit endet die Befragung von Louisa P., der weitere Nachmittag war der Befragung rund um die Erstellung der Phantomzeichnung vorbehalten. Dabei haben die verantwortlichen Behörden nicht sonderlich geglänzt, was allerdings noch im Verlaufe des Prozesses beleuchtet werden wird, sodass ich den Bericht an dieser Stelle für heute schließe.

Aus der Sicht des Personenschützers

Als Sachverständiger für Personenschutz erachte ich an diesem Prozesstag jedoch folgende Dinge als besonders erwähnenswert:

Als auch Louisa P. gefragt wird, warum das Unternehmen mit dem Schutz beauftragt wurde und wer dies getan hat, erläutert sie, dass diese Entscheidung durch ihren Bruder getroffen worden sei. Dieser habe sich aufgrund der Dringlichkeit nach der Tat gegen die gemeinsame Mutter bewusst für ein ortsansässiges Unternehmen entschieden. Hier muss ich darauf hinweisen, dass ein kleiner Ort wie Storkow, circa 30 Minuten mit dem Fahrzeug von Berlin entfernt, mangels entsprechenden Angebots und Wettbewerbs nicht die Personenschutz-Kompetenz an Firmen aufweisen kann wie etwa die benachbarte Großstadt.

Ebenso spannend ist die Antwort von Louisa P. auf eine Frage des Gerichts, dass die Schutzmaßnahmen eigentlich schon wieder eingestellt werden sollten. Die Maßnahme begann nach dem 22. August 2011, die zweite Tat ereignete sich am 2. Oktober 2011, zwischen beiden Ereignissen liegt also nur etwas mehr als ein Monat.

Als Grund für diese Überlegung erläutert Louisa P., dass Personenschutzmaßnahmen einen erheblichen Eingriff in die persönliche Freiheit bedeuten und ein normales Leben mit einer solchen Maßnahme nicht möglich sei. Diese Äußerung ist insofern verwunderlich, weil durch das Attentat ein noch ein viel schlimmerer Eingriff in die persönliche Freiheit vorgefallen ist. Louisa P. ist seit drei Jahren traumatisiert. Genau so etwas sollen Personenschutzmaßnahmen verhindern.

Der nächste Prozesstag ist der 19. Mai 2014, am 20. Mai geht es hier im Blog weiter.

Bildquelle: Tim Reckmann / pixelio.de

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